Rede von
Dr.
R. Martin
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sie waren doch einer der Scharfmacher in der Frage des Festhaltens am deutschen Getreidepreis. Daß es Ihnen heute schwerfällt, davon herunterzukommen, das glaube ich Ihnen.
Der Devise von Herrn Schwarz, die ich soeben zitiert habe, ist dieser buchstabengetreu nachgefolgt. Er hat sie bei allen möglichen Gelegenheiten ausdrücklich bekräftigt, und er hat damit den Keim für eine verhängnisvolle Politik gelegt, deren Folgen für die deutsche Landwirtschaft sich heute noch nicht voll übersehen lassen.
Mit dieser fatalen Taktik hat es die deutsche Delegation in Brüssel fertiggebracht, daß die Bundesregierung an die Wand gedrückt wurde. Manchmal hatte man den Eindruck, sie reiße sich geradezu um den Schwarzen Peter. Diese Taktik hat sogar dazu geführt, daß die europäische Politik in eine schwere Krise geriet.
Heute versucht man, die Sache so hinzustellen, als habe es sich um einen klugen Schachzug gehandelt. Der Herr Bundeskanzler hat in der vergangenen Woche an dieser Stelle sogar behauptet, er habe nur den richtigen Augenblick abwarten wollen, um außer der Getreidepreisregelung auch noch Fortschritte in anderen Bereichen der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit durchzusetzen. Selbst den Mitgliedern der CDU-Fraktion, von Herrn Barzel einmal ganz zu schweigen, dürfte es schwerfallen, diese Behauptung zu beweisen, und wenn sie dies beschwören müßten, würden sie einen glatten Meineid leisten. Was der Bundeskanzler hierbei wieder einmal exerziert hat — erst äußerste Härte, dann Rückzug auf der ganzen Linie —, das rundet das Bild von ihm in bester Weise ab.
Der Leidtragende dieser unseligen Taktik des sturen Neins ist die deutsche Landwirtschaft.
Denn diese Taktik hat auf der einen Seite verhindert, daß man in Brüssel aus der Defensive herauskam und versuchen konnte, für die deutschen Anliegen in der Europa-Politik und in der EWG-Agrarpolitik Forderungen auf ähnliche Weise durchzusetzen, wie dies unsere Partner versuchen. Auf der anderen Seite hat sie jeden Fortschritt in der deutschen Agrarpolitik blockiert.
Der Getreidepreis — das war das A und O aller
Agrardebatten in dieser Legislaturperiode, das war
wichtiger als alle Grünen Pläne und alle Kernfragen
der deutschen Agrarpolitik. Keines der dringenden Probleme wurde angepackt:
Erstens. Die geradezu haarsträubende Haushaltspolitik des Bundesernährungsministeriums wurde mit dem Mantel der christlich-demokratischen Nächstenliebe überdeckt;
Hauptsache war, der Getreidepreis blieb erhalten.
Zweitens. Die Strukturverbesserung stagnierte, weil man die Zeit nicht aufbrachte, sich ein paar neue Ideen einfallen zu lassen.
Drittens. Ein Ausbau der sozialen Sicherung des Landvolks war nicht möglich, denn dazu fehlte das Geld. Jetzt übrigens ist es auf einmal vorhanden.
Viertens. Die Rationalisierung der Betriebe konnte nicht beschleunigt werden, obwohl die Möglichkeit dazu — durch einen Druck auf die Betriebsmittelpreise — bestanden hätte. Wir haben dazu genügend Fingerzeige gegeben.
Fünftens. Die Verbesserung der Marktstruktur wurde nicht intensiviert, denn man ging davon aus, daß sich bis zum Ende der EWG-Übergangszeit 1970 nicht allzuviel ändern würde,
schon gar nicht an den Preisen.
Seit Beginn dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung außer Routinevorlagen und EWG-Verordnungen nicht einen einzigen Gesetzentwurf in diesem Hohen Hause eingebracht, der die deutsche Agrarpolitik einen nennenswerten Schritt nach vorn gebracht hätte.
Die einzige Initiative, die der Erwähnung wert ist, kam von außen: der Entwurf eines Marktstrukturgesetzes, den der Deutsche Bauernverband und Raiffeisenverband ausgearbeitet haben, von dem die sozialdemokratische Fraktion die Kerngedanken übernommen hat.
Es ist kaum zu fassen, daß zu den schärfsten Gegnern dieses 'Entwurfs Herr Struve gehört.
Wenige Wochen, nachdem er selbst im Präsidium des Deutschen Bauernverbandes das Marktstrukturgesetz gebilligt hatte, kam er mit einem Gegenentwurf heraus, der in dieser Form nicht weniger weltfremd ist
als die Agrarparolen der FDP, die den Bauern heute noch ein Gesetz zum automatischen Ausgleich der Disparität verspricht.
Ich will es mir versagen, auf die deutsche Taktik in Brüssel im einzelnen einzugehen. Sie war ganz offensichtlich von der Zwangsvorstellung beherrscht, man könne durch kleine Gefälligkeiten eine Unterstützung für den deutschen Standpunkt in der Getreidepreisfrage einhandeln. Wie sich gezeigt hat, ist diese Hoffnung unerfüllt geblieben.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1964 7547
Dr. Schmidt
Lassen Sie mich an dieser Stelle nur einige wenige Bemerkungen über den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen in Brüssel machen.
In meiner kurzen Erklärung in der letzten Woche habe ich schon hervorgehoben, daß die Bereitschaft der Bundesregierung, über die Angleichung der Preise zu verhandeln, ein eminenter Fortschritt ist. Dieser Schritt erfolgt leider zu spät, ja viel zu spät.
Die Bundesregierung wird einräumen müssen, daß sie schon wieder unter einem ungeheuren Zeitdruck steht. Den hat sie aber selbst zu verantworten. Von den tröstenden Erklärungen des Bundesaußenministers in der Fragestunde vor 14 Tagen bleibt also gar nicht viel übrig.
Der Verhandlungsvorschlag der Bundesregierung ist allen Kollegen in großen Zügen bekannt. Der Verhandlungsspielraum ist offen, und scheinbar ist darüber noch nicht entschieden. Die Lage vor der letzten Runde, die in einer Woche zu Ende gehen soll, bietet Ihnen, meine Damen und Herren, wenig Hoffnung für ein Durchsetzen ides Standpunktes der Bundesregierung. Die Bundesrepublik ist .den Schwarzen Peter nicht losgeworden. Um es noch deutlicher zu sagen: wir stehen ziemlich isoliert da, zumal Luxemburg eine bescheidene Rolle in diesem Ringen spielt und sich immer auf das Sonderprotokoll berufen kann.
Ich kann mich nicht des 'Eindrucks erwehren, daß die deutsche Delegation und die Bundesregierung in solch harten Verhandlungen nicht einmal die einfachsten Regeln und Verhaltensweisen beachtet haben. Angefangen von der Publizierung frommer Wünsche, von Zusagen und Versprechen im Innern, die die deutsche Lage nur erschwert haben, von der Verhandlungsführung, die den anderen Delegationen erlaubte, von Anfang an weitere Zugeständnisse zu fordern und zu erwarten, und die keine Einmütigkeit in den deutschen Auffassungen erkennen ließen, bis zur völligen Fehlbeurteilung der Wünsche und Forderungen unserer fünf Partner, es ist eine einzige Kette — gelinde ausgedrückt — peinlicher Überraschungen.
— Lesen Sie die „Welt" nach! Da finden Sie es ähnlich beurteilt.
Hat man denn noch immer nicht begriffen, daß man es in Brüssel nicht mit braven Micheln anderer Länder zu tun hat, sondern mit Vertragspartnern, die genau wissen, was sie wollen, und die bestens vorbereitet in die Verhandlungen gehen?! Vielleicht werden Sie auf die Verhandlungsmethoden unserer Partner schimpfen und die Schuld für das mögliche Mißlingen womöglich dort abladen, wo man sie nicht suchen sollte.
Sie sollten wissen, daß das dort keine „Kaffeekränzchen" sind.
In der gegenwärtigen Stunde ist ,es offensichtlich, daß unsere Partner darin einig sind, uns in der Frage der Preishöhe, der Preisrelationen, der Revisionsklausel und des Einkommensausgleichs allein zu lassen, zumal die EWG-Kommission es in meisterhafter Weise verstanden hat, durch alle möglichen Zugeständnisse an den einen oder anderen Pluspunkte für ihren Standpunkt zu sammeln. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich kann abschließend nur den Wunsch zum Ausdruck bringen, daß die Verhandlungen zu einem befriedigenden Ergebnis führen mögen.
Meine Damen und Herren, ich knüpfe an die ersten Bemerkungen an: Sie bekommen jetzt die Quittung für Ihr Verhalten der letzten Zeit in Brüssel. Mit kleinen Gefälligkeiten — das sagte ich schon — können Sie das nicht gutmachen. Aber das hat die Bundesregierung nicht daran gehindert, sich immer wieder vorzumachen, es werde schon nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Ganz abgesehen davon, daß man nicht nur sich selbst, sondern auch die Landwirtschaft in einem geradezu unverantwortlichen Maße getäuscht hat, hat diese Politik auch bewirkt, daß der nun schon seit Jahren überfällige Kurswechsel unterblieben ist, über den wir uns in diesem Hause schon einmal einig waren.
Mehr noch: Man hat nicht einmal einige Gedanken darauf verschwendet, was nun eigentlich getan werden müsse, wenn der Getreidepreis eines schönen Tages nun doch gesenkt wird. Als nämlich die Stunde der Wahrheit gekommen war, war das Bundesernährungsministerium nicht einmal in der Lage, dem Kabinett ein Programm vorzulegen, aus dem hervorging, welche Maßnahmen und mit welchen Mitteln sie jetzt getroffen werden müßten, um eine ernste Krise der Landwirtschaft zu verhindern. Es war der Deutsche Bauernverband, der die Bundesregierung aus dieser fatalen Verlegenheit retten mußte.
Es ist in den letzten Wochen, meine Damen und Herren, sehr viel über die sogenannten Wettbewerbsverzerrungen gesprochen worden. Aber erstaunlicherweise hat niemand danach gefragt und gesagt, wie diese Verzerrungen überhaupt entstanden sind. Die Antwort ist gar nicht so schwer. Diese Verzerrungen kommen zu einem großen Teil daher, daß sich die Regierungen unserer Partnerländer etwas haben einfallen lassen, während die Bundesregierung geschlafen und dabei geträumt hat, es würde alles so bleiben, wie es ist.
Der Herr Bundeskanzler hat nunmehr am vergangenen Mittwoch erklärt, daß er für einen Ausgleich der bestehenden Wettbewerbsnachteile der deutschen Landwirtschaft bei den Kosten, Lasten und Sozialleistungen sorgen wird. Im Grundsatz ist dieser Gedanke durchaus zu bejahen, und es gehört sicherlich zu den wichtigsten und vordringlichsten Aufgaben der deutschen Agrarpolitik, sich um gleiche Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt zu bemühen. Wir wissen, daß das noch nicht der Fall ist. Wir fragen uns jedoch, weshalb die Bundesregierung in der Vergangenheit eigentlich
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Dr. Schmidt
noch nichts dagegen unternommen hat und aus welchen Gründen sie es unterlassen hat, die Landwirtschaft und die Öffentlichkeit über diese Verzerrungen aufzuklären. Diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers bleibt eine Phrase, solange er nicht tatkräftig an die Beseitigung dieser Mißverhältnisse herangeht.
Der Herr Bundeskanzler hat es leider auch versäumt, zu erklären, welchen Umfang diese Verzerrungen denn nun eigentlich haben. Er war dazu offensichtlich nicht in der Lage, weil es das zuständige Ressort noch nicht fertiggebracht hat, eine detaillierte Aufstellung vorzulegen. Aus einer solchen Aufstellung müßte hervorgehen, um welche Maßnahmen und Beträge es sich im einzelnen handelt. Es müßte weiter daraus hervorgehen, welche Verzerrungen gegebenenfalls durch eine entsprechende deutsche Initiative in Brüssel beseitigt werden könnten. Schließlich müßte daraus hervorgehen, für welche Bereiche die nationale Politik zuständig ist. An diese Analyse müßte sich dann ein Agrarprogramm anschließen. Ein solches Programm hätte schon längst in der Schublade liegen können.
— Ja, wir haben es! Bis zum 30. November lag nichts, aber auch gar nichts vor, getreu nach dem Motto des Herrn Schwarz, daß „man sich nicht in Fragen aufsplittern soll, was später einmal geschehen könnte."
Leider spricht nichts dafür, daß man wenigstens jetzt gewillt ist, von der Politik der Täuschung und Selbsttäuschung abzugehen.
— Passen Sie auf! Ich sagte das schon. Kaum hatte die Bundesregierung die eine Illusion zu Grabe getragen, da hob sie schon die nächste aus der Taufe. Sie erklärte nicht nur, sie werde für einen Ausgleich der Wettbewerbsnachteile sorgen, sondern sie sagte auch der Landwirtschaft einen vollen Ausgleich der Erlösminderungen als Folge einer Getreidepreissenkung zu. Es wäre nicht erstaunlich, wenn die Bundesregierung an diese Zusage von der Landwirtschaft noch einmal sehr nachdrücklich erinnert würde. In dem Kommuniqué, das im Anschluß an die Gespräche zwischen Kabinett, Koalition und Landwirtschaft veröffentlicht worden ist, fehlen nämlich leider einige Erläuterungen und Wahrheiten, die in diesem Zusammhang unumgänglich sind: und zwar:
Erstens. Wenn es zu einem Ausgleich kommt, wird dieser allenfalls für zwei Jahre möglich sein, nämlich bis zum Ende der Übergangszeit.
Zweitens. Nicht die Erlösminderung des einzelnen Erzeugers kann ausgeglichen werden, sondern allenfalls der Rückgang der Erlöse der Landwirtschaft insgesamt.
Drittens. Ein Ausgleich kann sich nur auf die Erlösminderungen beziehen, die sich unmittelbar aus der Getreidepreissenkung ergeben. Nicht erfaßt werden dagegen die Einbußen aus dem Wegfall der verschiedenen Schutzmaßnahmen, für deren Abschaffung sich der Herr Bundeswirtschaftsminister
Schmücker in der vergangenen Woche in Brüssel eingesetzt hat.
Viertens. Die möglichen Beihilfen dürfen nicht an einzelne Erzeugnisse gebunden sein, sondern müssen in einer produktneutralen Form gegeben werden.
Fünftens. Art und Umfang dieser Maßnahmen werden nicht von der Bundesregierung bestimmt, sondern vom EWG-Ministerrat, der auch in dieser Frage nach 1965 bekanntlich mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann. Soweit es sich übersehen läßt, wird der Ministerrat jetzt und erst recht in einem Jahr nur einem degressiven Ausgleich zustimmen.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Alle diese Einwendungen gegen diese Formulierungen des Herrn Bundeskanzlers sind nicht etwa Einwendungen der Opposition, sondern sie ergeben sich ganz zwangsläufig aus dem EWG-System, das schließlich von der Bundesregierung mitentwickelt worden ist.
Dieses System hat einen guten Sinn, denn es soll dafür sorgen, daß die Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden, und es soll verhindern, daß neue Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Die Bundesregierung könnte sicher mit Recht darauf hinweisen, daß auf diesem Gebiet bisher zuwenig geschehen ist und daß die EWG-Kommission ihre Pflichten — ganz offensichtlich aus politischen Gründen — vernachlässigt hat. Aber es wäre eine gefährliche Fehlspekulation, sich einzubilden, man könne das Problem dadurch lösen, daß man auf einen Schelm anderthalbe setzt und eine Agrarpolitik in der EWG nach dem Motto betreibt: „Wer bietet mehr?"
Innenpolitisch — und jetzt komme ich zu dem anderen Aspekt — wäre zu den Zusagen des Herrn Bundeskanzlers zu bemerken, daß bisher noch nicht klar ist, woher überhaupt die 840 Millionen für 1965 kommen sollen. Wir sind mit Dr. Starke von der FDP der Meinung, daß nicht das Parlament, sondern die Bundesregierung einen entsprechenden Vorschlag machen muß. Wir wehren uns mit aller Entschiedenheit dagegen, daß man die Deckungsvorschläge dem Haushaltsausschuß überläßt oder in der zweiten Lesung des Bundeshaushalts mit einem kleinen Papierchen die ganze Komposition ändert. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, möchte ich an dieser Stelle unterstreichen, daß meine Fraktion dieses Spiel mit gezinkten Karten
nicht mitmachen wird, und zwar nicht deshalb, weil sie es der Landwirtschaft nicht gönnt, daß sie aus der Bundeskasse etwas bekommt, sondern weil sie die Methode ablehnt, mit der hier die Verantwortung verschoben werden soll.
Damit hängt auch etwas ganz anderes zusammen. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie wissen natürlich ganz genau, daß Sie nur einen Teil der Zusagen durch Gesetze abdecken können. Der Bundeskanzler hat der Landwirtschaft gegenüber
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Verpflichtungen übernommen, für die er allenfalls als Mitglied der CDU geradestehen kann. Denn es ist völlig ausgeschlossen, daß eine Regierung Wechsel querschreibt und dann ihrer Nachfolgerin die Einlösung überläßt.
Mit einem solchen Geschäftsgebaren kann nicht nur eine Firma, sondern selbst eine Regierung pleite machen.
Sie können allenfalls sagen: Liebe Bauern, wählt
uns, — —