Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe volles Verständnis dafür, daß die Herren Kollegen Conring und Emde ein Plädoyer für diesen Nachtragshaushalt und diese Finanzpolitik der Bundesregierung sich zu halten bemüht haben. Ich habe aber kein Verständnis dafür, daß sie sich auch bemüht haben, nachzuweisen, daß sie an der öffentlichen Meinung vorbeiliegen.
So hat beispielsweise am 7. Dezember, also vor einigen Tagen, eine angesehene Zeitung, nämlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung, einen Artikel mit der Überschrift „Gefahren für den Bundeshaushalt" veröffentlicht. Schon der erste Satz enthielt die lapidare Feststellung: „Von drohender finanzpolitischer Anarchie in unserem Lande ist seit ein paar Wochen die Rede."
Später wird in diesem Artikel hinzugefügt: „Was sich gegenwärtig in der Finanzpolitik abspielt und was sich weiter ,abzuspielen droht, rechtfertigt die harten Worte."
Ich habe mit voller Absicht die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert, weil ich bisher der Meinung war, daß Sie wenigstens ,ein solches Blatt in einer solchen Diskussion ernst nehmen.
Sie können doch nicht, meine Herren von der Koalition, einfach darauf hinweisen: Wir diskutieren über den Nachtragshaushalt. Auch mein Vorredner, Herr Emde, hat die Zusammenhänge zwischen dem Nachtragshaushalt und der Finanz- und Haushaltspolitik überhaupt aufgezeigt.
Im Bewußtsein der Tragweite solcher Vorwürfe, wie sie in der Öffentlichkeit erhoben werden, mußte die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die erste passende Gelegenheit benutzen — und das ist doch ohne Zweifel die zweite und dritte Lesung des Nachtragshaushalts 1964 —, um in dem für die deutsche Finanzpolitik mitverantwortlichen Bundestag auch ihrerseits nachdrücklichst die Verantwortung für die jetzige Situation klarzustellen. Das tun wir — ob Ihnen das angenehm oder unangenehm ist, spielt keine Rolle —, das ist unsere Pflicht hier in diesem Bundestag als eine starke Fraktion, die sich berufen fühlt, kritisch die Tätigkeit der Bundesregierung zu überwachen, und das um so mehr tun muß, als sie immer wieder festzustellen hat, daß es sich bei den Koalitionsfraktionen nur um treue Gefolgsleute handelt.
Wenn wir uns fragen, wie diese finanzpolitische Situation entstanden ist, so sind drei Fakten festzuhalten. Diese drei Fakten, meine Herren von der Koalition, bestehen und können auch von Ihnen nicht weggewischt werden,
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Erster Fakt: Bei der Beratung im Bundesrat wurde darauf hingewiesen, daß der Bundeshaushalt 1963 mit einem Überschuß abgeschlossen hätte, wenn nicht kurz vor Jahresende Umschichtungen, insbesondere beim Verteidigungshaushalt, vorgenommen worden wären. Diese Umschichtungen haben nach Ausführungen von Bundsfinanzminister Dahlgrün vor dem Bundestag am 7. Januar 1964 im Ergebnis eine Entlastung im Etat 1964 herbeigeführt. Das ist deswegen besonders beachtlich, weil der Bundeshaushalt 1963 durch Beschlüsse des Bundestages sowie nach Anrufung des Vermittlungsausschusses erhebliche Veränderungen erfahren hat und weil im Laufe des Rechnungsjahres 1963 Mindereinnahmen an Steuern von 636 Millionen DM eingetreten sind. Der Ausgleich des Nachtragshaushalts 1963 wurde auch durch Minderausgaben im außerordentlichen Haushalt in Höhe von rund 370 Millionen DM sowie durch Vereinnahmung eines Tilgungsdarlehens aus dem VW-Erlös in Höhe von 280 Millionen DM herbeigeführt.
Im diesjährigen Haushalt hat der Bundestag gegenüber dem Regierungsentwurf eine Deckung für neue und geänderte Haushaltsansätze in Höhe von 852,4 Millionen DM beschlossen. Der Nachtragshaushalt weist eine zusätzliche globale Minderausgabe von 1,72 Milliarden DM aus, die der Finanzierung von Mehrausgaben über 1,79 Milliarden DM dienen mit der Erläuterung zu dem entsprechenden Titel:
In einigen Bereichen, namentlich bei der militärischen und der zivilen Verteidigung, fließt ein Teil der Investitionsausgaben langsamer als erwartet ab. Eine Erhöhung der Minderausgabe auf den veranschlagten Betrag erscheint gerechtfertigt.
Wenn es Sinn und Zweck eines Nachtragshaushalts ist, Positionen, die nicht vorhersehbar sind, zu etatisieren und den zeitnahen Tatbestand in Einnahme und Ausgabe wiederzugeben, so kann niemand bestreiten, daß dieser Nachtragshaushalt diese Voraussetzungen nicht erfüllt. An Stelle von echten Deckungsvorschlägen ist die globale Ermächtigung für die Exekutive um den errechneten Differenzbetrag erhöht worden. Das ist sowohl ein unzulängliches als auch ein bedenkliches Verfahren.
Vorhersehbar waren z. B. doch die Inanspruchnahme der Tilgungsrate durch die Bundesbank aus der Nachkriegswirtschaftshilfe in Höhe von 400 Millionen DM, wie mein Kollege Schoettle schon gesagt hat, und auch .— das wiederhole ich trotz der gegenteiligen Bemerkungen in der bisherigen Diskussion — der jetzt eingesetzte weitere Betrag für den Straßenbau von 183,5 Millionen DM.
Es finden sich überhaupt einige Beträge im Nachtragshaushalt, die bei der Haushaltsdebatte in der zweiten und dritten Lesung des Haushalts 1964 von der Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt worden sind. Ich bin davon überzeugt, daß diese Beträge, die jetzt im Nachtragshaushalt etatisiert werden, nach wie vor die Milchmädchenrechnung auffüllen müssen, die immer wieder von der Koalition aufgemacht wird, um zu beweisen, daß wir zuviel fordern und daß wir mit unseren Forderungen nicht maßhalten könnten.
Ein letztes Wort zu diesem Punkt: Der Bundesminister der Finanzen, Dr. Dahlgrün, hat bei der Postdebatte am 4. Dezember dem Kollegen Börner ein Privatissimum über Haushaltspolitik und Steuereinnahmen gehalten.
Es war in keiner Weise berechtigt. — Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie sagen: „Das war auch nötig", so muß ich Sie bitten, einmal in aller Ruhe das Protokoll zu lesen. Erinnern Sie sich an die Aufgaben eines Abgeordneten hier im Parlament, erinnern Sie sich an das Verhältnis eines Abgeordneten dieses Parlaments zum Minister, und dann überlegen Sie, ob Sie eine solche Bemerkung wiederholen können!
Das Privatissimum war aber auch in der Sache falsch, und das weise ich Ihnen nach. Eine solche Feststellung treffen zu müssen, scheint mir etwas bedenklicher zu sein, als sich mit dem Vorwurf zu beschäftigen, den der Herr Bundesfinanzminister meinem Kollegen Börner gemacht hat. Die sozialdemokratische Fraktion hat schon in der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1964 und in der späteren Konjunkturdebatte darauf hingewiesen, daß sie mit den Schätzungen der zu erwartenden Steigerung dès Bruttosozialprodukts und damit auch mit den Steuervorausschätzungen der Bundesregierung nicht konform geht. Ich erinnere an das Bundeskanzlerwort vom 9. Januar im Deutschen Bundestag — ich zitiere wörtlich —, „sich über eine Zuwachsrate von 6% nominal und 4% real nicht hinauslocken zu lassen, auch nicht von den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten".
Wie in jedem Konjunkturaufschwung, so werden auch diesmal die effektiven Steuereinnahmen das veranschlagte Aufkommen erheblich übertreffen. Das hat aber, wie der Herr Bundesfinanzminister wissen müßte, bereits die Einnahmeentwicklung des ersten Halbjahres mit einer Zuwachsrate von rund 10'0/o unterstrichen: erstes Halbjahr 1963 — ich nenne die Zahlen — 22,676 Milliarden DM, erstes Halbjahr 1964 25,523 Milliarden DM. Wenn man jetzt, wie aus den Erklärungen des Bundsefinanzministers vom 4. Dezember zu entnehmen war, im Nachtragshaushalt 1964 von 500 Millionen DM Steuermehreinnahmen ausgeht, so möchte ich meinen, daß sich dieser Betrag schon allein aus der konjunkturempfindlichen Umsatzsteuer ergeben wird. Hinzu kommen noch zwei beachtliche Posten an Mehreinnahmen, und zwar bei den Zöllen und bei dem Bundesanteil an der Einkommensteuer.
Der Nachtrag gibt keine neuen Zahlen an, weder bei den Steuereinnahmetiteln noch bei den Positionen der Anleihefinanzierung. Es genügt nicht, daß der Herr Kollege Emde vorhin den Herr Bundesfinanzminister mit Ausführungen im Haushaltsausschuß zitiert hat. Das, was der Nachtrag in der Einnahmeseite auszuweisen hat, muß ausgewiesen werden, wenn der Nachtrag uns möglichst nahe an die
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Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit heranbringen soll.
Herr Kollege Conring hat einen Ausflug auf den Kapitalmarkt unternommen und gemeint, die Situation sei so, daß die Bundesregierung mit ordentlichen Einnahmen den außerordentlichen Haushalt zu finanzieren in der Lage sei. Es ist immerhin sehr beachtlich, daß in dieser Situation, wo in diesen Tagen neue Veröffentlichungen über den Schuldenstand der Gemeinden erschienen sind und wo das Deutsche Industrieinstitut neue Angaben über die Notwendigkeit für die Länder veröffentlicht, an den Kapitalmarkt zu gehen, im Bundestag festgestellt wird, daß die Bundesregierung in der Lage ist, mit ordentlichen Einnahmen den außerordentlichen Etat mitzufinanzieren.
— Glauben Sie doch ja nicht, Herr Kollege Conring, daß ich Ihnen erspare, auf diesen Ihren schwächsten Punkt einzugehen!
Diese eine Tatsache in diesem Zusammenhang festzuhalten ist notwendig, wenn wir die Finanzpolitik als Ganzes sehen, wenn wir der Meinung sind, daß das, was der Bürger an Steuern und öffentlichen Abgaben zu zahlen hat, allen zugute kommen muß, die Träger öffentlicher Aufgaben sind, also nicht nur dem Bund, sondern auch den Ländern und Gemeinden, und zwar nach einem Katalog, der sich aus der Dringlichkeit der Aufgabenstellung zu ergeben hat und nicht aus der Stärke der Position, die der eine oder andere einnimmt.
— Es ist eine erhebliche Verbesserung des Finanzausgleichs zugunsten des Bundes vorgenommen worden. Das kann doch Ihrer Kenntnis nicht entgangen sein. Wenn Sie hier an einer Debatte über den Nachtragshaushalt teilnehmen, möchte ich erwarten, daß Sie sich zumindest einmal die Verhandlungen im Bundesrat über diesen Nachtragshaushalt 1964 ansehen. Dann müssen Sie erkennen, daß die Länder und daß der Berichterstatter des Finanzausschusses des Bundesrates mit Nachdruck darauf hingewiesen haben, daß die Länder auf Grund der Abschlüsse 1962 und 1963 beim Bundeshaushalt und auf Grund dieser Entwicklung des Bundeshaushalts 1964 zu Recht der Meinung sein müssen, man habe bei der Änderung des Finanzausgleichs von den Ländern zu früh und zuviel mehr verlangt und leider auch bekommen.
Ich jedenfalls, der ich aus einem Lande komme, wo eine Landesregierung nicht durch Sozialdemokraten in der Verantwortung verstärkt ist, sehe mir auch selbstverständlich die Stellungnahmen der Länder in einer solchen Situation an. Und der Herr Bundesfinanzminister — —
— Wenn man sich nach Niedersachsen orientiert, dann sollte das für Sie eine Warnung sein und Sie veranlassen, sich etwas näher mit den Argumenten zu beschäftigen, die der FDP-Finanzminister von Niedersachsen vorgetragen muß, um zu begründen, warum er eine Anleihe am Kapitalmarkt aufnehmen muß, um einmal das Defizit für den Haushalt 1964 und dann das mutmaßliche Defizit für den Haushalt 1965 zudecken.
Meine Damen und Herren darüber können Sie nun einmal nicht hinwegsehen.
Nun aber wieder zurück zu der Bemerkung, die vorhin gemacht worden ist und die den Kapitalmarkt betrifft. Ich möchte hier den Herrn Bundesfinanzminister zitieren, der sich im Bundesrat am 20. November mit den Argumenten der Länder auseinandersetzen mußte und der darauf hingewiesen hat, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf über die Einführung einer Kapitalertragsteuer für festverzinsliche 'Wertpapiere von Gebietsfremden eingebracht hat — das ist also die sogenannte Kupon-Steuer. Der Herr Bundesfinanzminister sagte hierzu — nachzulesen in dem Protokoll auf den Seiten 212/213 —:
Diese Maßnahme, meine Damen und Herren, die den Druck auf den Kapitalmarkt vermin-dem sollte, hat, wie Sie wissen, auf der anderen Seite zu großen Schwierigkeiten auf dem Kapitalmarkt geführt. Der Bund hat im Wege der Kurspflege mehr als 280 Millionen DM aufwenden müssen. Dazu kommen noch Stützungskäufe der Bundesbahn, der Bundespost und des Lastenausgleichs von zusammen rund 270 Millionen DM. Insgesamt sind somit vom Bund einschließlich seiner Sondervermögen für mehr als 550 Millionen DM Kursstützungskäufe erfolgt.
Das ist die Situation am Kapitalmarkt, die Sie herbeigeführt haben: mit der Konsequenz, daß Sie einen derartigen Betrag aus den zusätzlichen Steuereinnahmen für einen solchen Zweck zur Verfügung stellen müssen. Meine Damen und Herren, Sie glaubeen doch nicht, daß das in dem Augenblick aufhört, in dem Sie das Gesetz beschließen. Jeder Fachmann wird Ihnen sagen, daß Sie dann erneut erhebliche Beträge zur Kurspflege zur Verfügung stellen müssen.
Diese Seiten müssen Sie berücksichtigen, wenn Sie darauf hinweisen, daß der Bund den Kapitalmarkt nicht in Anspruch genommen habe, weil der Kapitalmarkt insoweit für den Bund z. Zt. keine Beträge abwirft.
— Wir sind für Stabilitätspolitik, aber, Herr Kollege Schmidt, wovon ich hier spreche, das hat nichts mit dieser Frage der Stabilitätspolitik zu tun.
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— Ich habe mit einer solchen Bemerkung gerechnet und habe mir deswegen ein Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft vom 3. Dezember 1964 mit nach hier oben genommen. Vielleicht glauben Sie dem mehr als mir; das müssen Sie ja, dazu sind Sie verpflichtet. Das Schreiben hat den Betreff: Kapitalertragsteuer für Gebietsfremde.
I. Konjunktur- und währungspolitische Gründe
1. Veranlassung für die Gesetzesvorlage war die konjunktur- und währungspolitische Situation im Frühjahr 1964. Es ist zuzugeben, daß die Situation heute eine andere ist.
Also, meine Damen und Herren, —
— Aber selbstverständlich!
Die Besserung ist weitgehend bedingt durch die von der Bundesregierung verfolgte Politik,
nicht zuletzt durch die Ankündigung der Kuponsteuer für Gebietsfremde.
— Meine Damen und Herren von der CDU, Sie können doch schließlich von dem Referenten des Bundesministers für Wirtschaft, der das geschrieben hat, nicht verlangen, daß er hinzuschreibt: „Beispielsweise wäre die Herabsetzung .der Zölle nicht ohne die Haltung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion möglich gewesen."
Soviel Loyalität müssen Sie doch dem Herrn im Bundeswirtschaftsministerium entgegenbringen! Und wenn er ,das wirklich geschrieben hätte, dann traue ich Herrn Schmücker zu, daß er diesen Satz herausgestrichen hätte.
— Mit diesem Zwischenruf erinnern Sie mich daran, daß Sie etwas über das Steueränderungsgesetz gemacht haben, auch im Zusammenhang mit den sogenannten Wahlgeschenken. Herr Kollege Wehner hat schon dazwischengerufen, .daß für uns in erster Linie der Zeitpunktinteressant ist, in dem Sie bestimmte Beträge zur Verfügung stellen. Darauf komme ich gleich noch in einem anderen Zusammenhang zurück.
Sie hätten ja durch unsere Vorlagen, die wir im Herbst 1962 eingebracht haben — z. B. ein Steueränderungsgesetz —, die Möglichkeit gehabt, bereits zum 1. Januar 1964 etwas zu tun.
Das haben Sie aber nicht nur deshalb nicht getan, weil
Sie damals 'überhaupt noch keine Konzeption hat-
ten, wie das Steueränderungsgesetz aussehen sollte,
sondern weil Sie dieses Steueränderungsgesetz möglichst nah an den neuen Wahltermin heranbringen wollten.
Meine Damen und Herren, es nimmt Ihnen in der Öffentlichkeit niemand .ab, wenn Sie etwa so tun, als hätten Sie eine einheitliche Konzeption gehabt. Warum haben Sie dann das Steueränderungsgesetz halbieren müssen?
Warum haben Sie dann erst die Hälfte verabschiedet?