Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß wir Ihre Geduld sehr in Anspruch nehmen. Deswegen haben wir uns geeinigt, daß meine Ausführungen gleichzeitig das Schlußwort für heute sein sollen, es sei denn, daß nach mir noch mehr Redner kommen.
— Sie werden gleich hören, was ich zu sagen habe.
Zunächst möchte ich 'bedauern, daß diese Sitzung heute nicht in Anwesenheit des Bundeskanzlers stattfindet. Der Bundeskanzler 'hat nämlich bei der letzten Debatte gesagt: Ich werde mich der Öffentlichkeit stellen.
— Das tut er nicht. Wenn er es getan hätte, hätte er
heute hier sein müssen und nicht nur die Herren
Postminister und Finanzminister vorschicken dürfen.
Er hätte den letzten Entschluß, den er gefaßt hat, und den vorhergehenden noch einmal zu vertreten gehabt.
Es ist hier bedauernd gesagt worden — auch von Ihnen, Herr Kollege Müller-Hermann —, daß unsachlich gesprochen worden sei. Sie haben gesagt, daß der Kollege Börner unsachlich gesprochen habe. Vielleicht sagen Sie auch von mir, ich spreche unsachlich,
weil ich sagte, daß ich den Bundeskanzler vermisse. Was der Kollege Börner gesagt hat, war durchaus sachlich. Wenn er Sie dadurch geärgert hat, dann kann er dafür nichts. In dieser Sache liegen wir so verschieden, daß es gar nicht ausbleiben kann, daß die Meinungen aufeinanderplatzen.
— Das wäre schön, Herr Kollege Schulhoff.
Herr Bundesminister Dahlgrün ist auch nicht sachlich 'geblieben. Er hat seine Bemerkungen damit eröffnet, 'daß er dem Kollegen Börner seine Jugend vorgehalten und ihm den Sachverstand abgesprochen hat. Wir haben im Laufe dieser Zeit — Herr Kollege Börner ist auch Mitglied des Verwaltungsrates der Bundespost — soviel über diese Dinge gesprochen, daß diejenigen, die sich heute zu Wort gemeldet haben, durchaus das Recht haben, mitzureden, weil sie von der Sache etwas verstehen.
Es war aber schon in den vergangenen Jahren so, daß, wenn der Postetat zur Debatte stand, alle unsere Einwendungen nicht ernst genommen wurden. Wie oft haben wir hier drüben ein Lächeln gesehen oder die Bemerkung gehört, das sei alles nicht so wichtig. Wir haben von diesem Platze aus rechtzeitig gewarnt und entsprechende Maßnahmen verlangt; Sie haben sie aber nicht durchgeführt.
Herr Kollege Müller-Hermann, Sie sprachen von der Monopolstellung. Diese Monopolstellung besteht nur für den Brief- und Zeitungsddenst und für das Fernsprechwesen. Auf allen anderen Gebieten hat die Post keine Monopolstellung, sondern ist sie Wettbewerber; da muß sie ihre Tarife an 'den Tarifen der Wettbewerber ausrichten.
Nun zu dem, was Herr Minister Dahlgrün gesagt hat! Mir ist soeben zugeflüstert worden: 20 Minuten gesprochen und nichts gesagt! Zum Schluß brachte er die Feststellung: Wir stochern alle im Nebel herum. Es ist bedauerlich, daß der Finanzminister in diesem Augenblick noch nicht genau weiß, wie man der Bundespost helfen muß. Auch er wartet auf das Sachverständigengutachten, das wahrscheinlich auch nichts anderes bringt als das, was die Oppositionsvertreter seit Jahr und Tag gesagt haben und was heute allgemeine Auffassung im Postverwaltungsrat ist: Man muß der Bundespost helfen, man muß ihre Finanzstruktur ändern. Man muß diese nicht mehr gerechtfertigte Ablieferung nach dem Umsatz von ihr wegnehmen; man kann ihr etwas anderes auferlegen. Aber das, was jetzt ist, ist sinnwidrig.
Wir haben uns damals, als im Ausschuß und hier im Bundestag der Beschluß gefaßt wurde, an dieser Sachverständigenkommission nicht so interessiert gezeigt, weil wir der Meinung waren, es sei genug Sachverstand vorhanden. Da sitzt ein Minister, da sitzen Staatssekretäre, da sitzen hohe Beamte, die
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sich ihr Leben lang mit diesem Problem beschäftigt haben. Da ist ein Verwaltungsrat, bestehend aus Sachverständigen. Die alle zusammen sollen nicht wissen, wo der Bundespost der Schuh drückt? So etwas gibt es nicht.
Meine Damen und Herren, überlegen Sie einmal, wann das Gutachten herauskommen soll. Man hat uns gesagt: Vor Mai, Juni nicht. Das heißt: bevor dieser Bundestag auseinandergeht, bekommen wir das Gutachten nicht mehr zu sehen.
— Nein, Herr Schulhoff. Wir kriegen es nicht, ich nicht, Sie nicht und wir alle nicht. Vielleicht bekommt es der Minister noch rechtzeitig. Aber wir haben keine Zeit mehr, nach den Sommerferien dazu Stellung zu nehmen. Und das bedeutet doch, daß die Bundespost noch ein ganzes Jahr, sagen wir es einmal ganz deutlich, so hinwursteln muß. Ich bin überzeugt, die Bundespost wird liquid bleiben, und was hier geunkt wird, nämlich die Post könnte eines Tages die Löhne und Gehälter nicht mehr zahlen, stimmt nicht. Was eintreten kann, meine Damen und Herren, und was sehr bedauerlich wäre, ist, daß die Post ihre Investitionen nicht in dem Umfang Weiterbetreiben kann, wie es notwendig ist.
360 000 Personen stehen auf der Warteliste derjenigen, die einen Hauptanschluß haben wollen. Sie können ihn nicht bekommen, weil einmal die Mittel fehlen und weil auf der anderen Seite die Industrie gar nicht so schnell nachkommen kann.
— Lachen Sie nicht zu früh! — Ich habe den Minister einmal gefragt, ob er sich nicht erinnert, daß wir schon Zeiten gehabt haben, wo die Industrie in der Lage gewesen wäre, zu liefern, aber der Bund das Geld nicht zur Verfügung gestellt hat. Das haben wir versäumt; es wäre sonst niemals zu einer so langen Liste von Wartenden gekommen, wie wir sie heute haben. Diese Liste wird in acht, neun oder zehn Jahren auch noch vorhanden sein, hoffentlich aber nicht mehr ganz so lang.
In einer Sache stehen wir an der Spitze, bei den Gebühren. Ich habe hier eine Aufstellung; ich weiß nicht, ob sie schon einmal verlesen worden ist: Ein Telefongespräch von drei Minuten über 100 km kostet in der Schweiz 55 Pfennig, in Holland 66 Pfennig, in Frankreich 81 Pfennig, in Belgien 84 Pfennig, in Österreich 1,30 DM, in England 1,68 DM, in Italien 2,09 DM. In der Bundesrepublik hat das gleiche Telefongespräch bis zum 1. Juli 1964 1,92 DM gekostet und seit der Gebührenerhöhung kostet es 2,40 DM. Hier marschieren wir an der Spitze!
— Aber leider nur mit den Preisen, Herr Schulhoff.
Herr Minister Stücklen, wir sind sehr enttäuscht von Ihrer Regierungserklärung. Was haben Sie uns gesagt? Sie haben uns gar nichts gesagt. Sie haben lediglich auf die Tatsache hingewiesen,
daß die Bundesregierung ja gewisse Konsequenzen gezogen habe. Und jetzt frage ich Sie, Herr Minister: Was ist der Grund dafür gewesen, die Gebührenerhöhung wieder rückgängig zu machen? Sosehr wir uns. darüber freuen, möchten wir doch den Grund mal wissen. Wir haben gefragt, was der Grund gewesen ist, die Gebührenerhöhung rückgängig zu machen. Sie haben uns hier nachzuweisen versucht, daß gegenüber 1963 Mehreinnahmen zu verzeichnen sind. Frage: Was haben Sie erwartet? Sind es die Mehreinnahmen, haben Sie entsprechende Mehreinnahmen erwartet, oder war es etwas anderes, war es der Druck der Öffentlichkeit, der Presse und auch der Opposition, der sie veranlaßt hat, hier einen Rückzieher zu machen, oder war es — was viel wahrscheinlicher ist, weil es zeitlich damit zusammenfiel — der Ausgang der Kommunalwahlen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen?
Das war nach meiner Auffassung der Grund, weil die Entscheidung des Bundeskanzlers so schnell im Anschluß an diese Kommunalwahlen fiel.
Bevor die nächsten Kommunalwahlen in Hessen, im Saarland und in Rheinland-Pfalz stattfinden konnten, mußte die Gebührenstaffel wieder gesenkt werden.
— Es hat nichts genützt; es wird auch nichts mehr nützen. Es wird auch bis zur Bundestagswahl nichts mehr nützen. Dieses Hick-Hack der Bundesregierung
— das hat ein Kollege von Ihnen, Herr Schulhoff, im Verwaltungsrat gesagt —, dieses Hick-Hack der Bundesregierung und des Bundeskanzlers wird die Bevölkerung nicht vergessen.
Herr Minister Stücklen, Sie tun uns manchmal wirklich leid — ich muß das ganz offen sagen —, wie Sie zum Befehlsempfang hinbestellt werden, Sie und der Bundesfinanzminister, und Ihnen nichts anderes übrigbleibt, als auf den Befehl hin die Gebühren zu senken und zu sagen: Jawohl, Herr Bundeskanzler,
um hinterher die Begründung zu finden, daß die Gebühren deshalb gesenkt werden konnten, weil der Weihnachtsmann vor der Tür steht und uns der Weihnachtsmann mehr Steuern bringt.
Herr Bundesfinanzminister, dieses Weihnachtsmärchen ist zu schön, um wahr zu sein. Wir glauben nicht daran, daß es nur die gefüllte Kasse gewesen ist, die Sie ausnutzen konnten, sondern wir glauben,
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daß es politische Entscheidungen sind, politische Entscheidungen, die der Bundeskanzler von sich aus gefaßt hat, fassen mußte, weil sonst noch mehr Unheil im Volke angerichtet worden wäre. Vielleicht hat dazu auch die Äußerung des Herrn Zoglmann beigetragen, der bei der Besprechung im Kanzleramt gesagt hat, die FDP wolle den Fehlschlag der Gebührenerhöhung nicht mehr decken und notfalls in der Telefonfrage mit der SPD stimmen. So wird berichtet, und ich habe keinen Anlaß, daran zu zweifeln.
Die Finanzmisere der Deutschen Bundespost ist nicht über Nacht entstanden, das ist heute schon mehrmals zum Ausdruck gebracht worden. Die Finanzmisere war seit Jahren ersichtlich. Sie mußte kommen, und .die verantwortlichen Leute haben das auch erkannt. Nur hat niemand darauf reagiert. Hier ist auch gesagt worden, daß wir vier Minister verbraucht haben und daß alle vier Minister ihrem Kanzler idas vorgetragen, aber niemals Gehör gefunden haben.
— Herr Kollege Müller-Hermann, das lassen Sie unsere Sorge sein. Ich glaube, daß wir schneller handeln werden als Sie.
Sie bringen mich aber auf einen Gedanken, den hätte ich sonst vergessen. Sie haben noch keinen Entwurf fertiggebracht, Herr Müller-Hermann, Sie nicht. Eine Gruppe von der CSU — ich weiß nicht, ob überhaupt CDU-Leute dabei waren — hat einen Entwurf eingebracht. Er hat nicht die Zustimmung Ihrer Fraktion gefunden, Herr Dr. Besold. Ich habe es bisher noch in keiner Zeitung gelesen. Soviel ich weiß, stehen nur Sie und eine Anzahl Ihrer Kollegen hinter dem Entwurf. Bei uns steht die Fraktion dahinter. Herr Müller-Hermann, Sie können das glauben, Sie können es ruhig hinnehmen: wir würden schnell handeln, wir hätten schnell gehandelt. Wir wären in die Misere, in der wir heute sind, nicht hineingekommen.
— Das ist sehr nett, das ist sehr schön.
Wir alle wissen, daß die heutige Debatte nur den einen Zweck haben konnte, noch einmal auf den Ernst der Situation hinzuweisen. Wir sollten auch nicht warten, bis das Sachverständigengutachten vorliegt. Dann geht es uns wie bei der Bundesbahn mit dem Brand-Gutachten. Es hat Jahre gedauert, bis wir es bekommen haben, und — na schön, geben wir zu: einige Dinge sind vielleicht verwirklicht, aber das ganze Knzept der Brand-Kommission lagert und ruht noch irgendwo in den Schränken und wird nicht verwirklicht.