Rede von
Dr.
Rolf
Dahlgrün
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Gscheidle, ich habe mir vorgenommen, gegen Schluß meiner Ausführungen etwas zu den Anträgen zu sagen, an der Monopolabgabe oder Postabgabe — wie Sie sie nennen, ist mir gleichgültig — zu manipulieren. Gestatten Sie mir deshalb, daß ich Ihre Frage dann im Zusammenhang beantworte.
Jedenfalls habe ich am 29. Juli darauf hingewiesen, daß andere Maßnahmen getroffen werden müßten, um die Lage der Bundespost in Ordnung zu 'bringen. Zur Erleichterung des Übergangs habe ich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1964 7401
Bundesminister Dr. Dahlgrün
verschiedene in Vorbereitung befindliche Maßnahmen in Aussicht gestellt, die der Bundespost ermöglichen sollten, die Ergebnisse des Gutachtens der Sachverständigenkommission in Ruhe abzuwarten. Es scheint mir Überhaupt der wesentliche Kern der heutigen Debatte zu sein, daß wir uns darüber einig sind: diese Sachverständigenkommission muß zur Arbeit kommen. Sie wissen, daß ich zu Beginn den dringenden Appell an die Kommission gerichtet habe: Um Gottes willen, arbeitet schnell, kümmert euch um die Dinge, damit wir möglichst bald das Gutachten haben und dann auf Grund des Gutachtens die Entscheidung treffen können, mwie man die Post nachhaltig sanieren kann!
Von allen Sprechern, die hier zur Begründung gesprochen haben, ist bereits erwähnt worden, welche Maßnahmen der Bundesminister der Finanzen bzw. die Bundesregierung getroffen oder vorgeschlagen hat; ein Teil der Maßnahmen ist noch gar nicht gesetzlich effektuiert worden, sondern muß erst im Nachtragshaushalt 1964 und im Haushaltsgesetz 1965 beschlossen werden. Weitere Hilfen aus dem Bundeshaushalt erschienen damals, d. h. im späten Frühjahr, im Sommer und bis Ende Juli, Ibis zum 29. Juli, der Sondersitzung des Bundestages, nicht möglich.
Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Große Anfrage über die seinerzeit in Aussicht gestellten Maßnahmen hinaus einen teilweisen Verzicht auf die Ablieferung der Bundespost an den Bund für 1964 und 1965 empfohlen. Und hier liegt die Erklärung: Die Einnahmenentwicklung hat sich besser und günstiger gestaltet, als das im Juli, als das im September angenommen werden konnte. Sie haben schon in der nächsten Woche — ich habe das zu meiner großen, ich muß sagen, freudigen Überraschung gesehen — den Nachtragshaushalt 1964 in zweiter und dritter Lesung auf der Tagesordnung, obwohl er erst am Mittwoch vom Hohen Hause an den Haushaltsausschuß überwiesen worden ist. Da wird Gelegenheit sein, über diese Dinge etwas zu sagen. Lassen Sie mich aber vorweg heute schon gegen einen gewissen Vorwurf, der von verschiedenen Seiten gegen mich, gegen das Finanzministerium erhoben wurde, — „Warum habt ihr das nicht damals schon gemacht?" — sagen, daß noch Ende August über 700 Millionen DM Steuereinnahmen gefehlt haben. Erst der Steuertermin vom 10. September 1964 hat einen Umschlag in eine günstigere Richtung gebracht. Auch heute noch, wenn ich die Oktoberzahlen nehme, sind wir nicht über den Berg hinweg; aber nach der ganzen Berechnung haben wir im Nachtragshaushalt 1964 500 Millionen DM Steuereinnahmen veranschlagen können. Das war, wie gesagt, im Herbst, meine Damen und Herren, und der Haushaltsausschuß und der Finanzausschuß ides Bundesrats und das Plenum des Bundesrats haben diese Schätzungen und diese Linie, die der Nachtragshaushalt 1964 zeichnet, offenbar anerkannt, der Bundesrat im ersten Durchgang sogar ausgesprochen anerkannt, und daran, daß der Haushaltsausschuß schon in der nächsten Woche in der Lage ist, den Nachtragshaushalt 1964 hier in zweiter und dritter Lesung zu beraten, können Sie erkennen, daß das einwandfreie Zahlen waren.
Und nun, Herr Kollege Börner: wie kommen diese einwandfreien Zahlen zustande? 500 Millionen DM Steuermehreinnahmen im Jahre 1964! Vor dieser Riesenzahl erschrickt man: eine halbe Milliarde! Wenn Sie ,das aber auf ein Haushaltsvolumen von 60,3 Milliarden beziehen, das wir durch den Nachtragshaushalt 1964 in vollem Umfang ordnungsgemäß aufrechterhalten haben, werden Sie sehen, daß das Mehreinnahmen von weniger als 1 % sind. 500 Millionen DM sind eine gewaltige Summe, das ist richtig. Wenn Sie sie aber auf das Gesamte beziehen, ist es ein Verschätzen der Steuerexperten in einer Größenordnung von unter 1 %. Meiner Überzeugung nach eine hervorragende Leistung! Wie kommt die zustande, Herr Kollege Börner? Nicht der Bund allein stellt die Schätzung an, sondern seit anderthalb Jahren nehmen auf meine Veranlassung auch die deutschen Länder an der Steuerschätzung im Zusammenwirken mit den Instituten teil. Die Schätzung ist keine diktatorische Festlegung des Bundesministers der Finanzen, sondern hochspezialisierte Fachleute schätzen. Es sieht nicht nur der Bund mit zwei Augen in die Dinge hinein, sondern 11 Länder mit 22 Augen. Und die Länder sind schon sehr sorgfältig. Die Größenordnung kann am Ende von niemandem beanstandet werden.
Ohne hellseherische Qualitäten — und ich sage Ihnen offen, daß ich an solche Qualitäten in dieser Welt nicht glaube — konnte das Ergebnis im Mai, Juni oder Juli und auch noch im August niemand voraussehen. Wir haben noch im August 1964 im Finanzministerium die Köpfe zusammengesteckt und waren außerordentlich besorgt, wie dieses Jahr 1964 wohl laufen würde. Wie gesagt, ist es schließlich am 15. oder 19. September möglich geworden, die Schätzung zu verbessern. Wir haben das im Nachtragshaushalt sofort der Öffentlichkeit vorgelegt, und ich nehme an, daß da nichts beanstandet wird. Der ganze Verlauf des Haushalts 1964 war also im Herbst, im September/Oktober, besser zu übersehen, und daraus hat der „Arbeitskreis Gesamtwirtschaftliche Vorausschätzung" — so heißt er — am 15. September seine Schlüsse gezogen.
Im übrigen sind — auch das gehört zur Abwehr des Vorwurfes, der uns völlig ungerechtfertigt gemacht wird — nach der Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes die damit verbundenen Ausfälle erkennbarer geworden; auch die Lage am Kapitalmarkt war dann so weit geklärt, daß, von heute aus gesehen, auch im nächsten Rechnungsjahr mit einer Deckung des außerordentlichen Haushalts in der vorgesehenen Höhe gerechnet werden kann. Deshalb konnten wir den Entscheidungen für die Post zustimmen, die hier als verspätet beanstandet worden sind.
Herr Kollege Börner hat gesagt: Das bedeutet eine Kapitulation des Bundeskanzlers. Ich finde: Das ist keine Kapitulation; davon kann gar keine Rede sein. Sie haben es so dargestellt, als ob die Opposition die Bundesregierung gezwungen hätte. Meine Damen und Herren, wenn diese Entwicklung da ist, wenn diese Schätzungen auf dem Tisch liegen und wenn dann eine Bundesregierung sagt: Ich bin in der Lage, etwas zu tun!, dann kapituliert sie nicht,
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sondern handelt wirtschaftlich vernünftig, wie es sich gehört und wie es ihre Pflicht ist.
Selbstverständlich werden sich die Steuermehreinnahmen des Jahres 1964, die im Nachtragshaushalt 1964 finanzpolitisch einwandfrei — ich möchte bald sagen: klassisch einwandfrei — zur Minderung des außerordentlichen Haushalts verwendet worden sind — ich bin darüber sehr glücklich —, in das Jahr 1965 hinein fortsetzen. Es wäre vom Finanzminister aus unklug, zu sagen: Das weiß ich noch nicht. Selbstverständlich weiß ich das, das ist gar nicht zu bestreiten. Darüber sollten wir uns aber doch schließlich alle auch freuen.
Der Haushaltsausschuß wird, wie das üblich ist, im Januar 1965 kurz vor Beendigung seiner Beratungen zum Haushalt 1965 die Steuerschätzungskommission — Bund, Länder, Institute — wieder zusammenholen und den Betrag feststellen, der nach dem Stand von Mitte Januar 1965 für das Jahr 1965 zur Verfügung steht. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, daß das Finanzministerium mit praeter propter 700 Millionen DM Mehreinnahmen im Jahre 1965 rechnet.
Aber, meine Damen und Herren, seien Sie ja vorsichtig! Glauben Sie nicht, daß diese Mehreinnahmen noch vorhanden sind! Die sind nämlich inzwischen durch Beschlüsse, die Sie gefaßt haben, längst verzehrt, auch durch die 255 Millionen DM Postabgabe, die ich zu senken vorschlage.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, meine Damen und Herren, will ich abschließend zu diesem Punkt noch leinmal betonen, daß es die unveränderte Auffassung der Bundesregierung ist: Die Ausgaben hat die Deutsche Bundespost einschließlich der Finanzierung ihrer Investitionen grundsätzlich aus ihren Einnahmen zu bestreiten. Es kann einfach nicht verantwortet werden, den Steuerzahler mit einem Teil der Kosten zu belasten.
Die Herren Kollegen Börner, Gscheidle und Besold haben von einem kaufmännischen Unternehmen gesprochen. Das ist richtig; es handelt sich tatsächlich um ein Leistungsunternehmen. Wir wissen alle, daß die Kosten, insbesondere Löhne und Gehälter, gestiegen sind. Bei einem Leistungsunternehmen ist es dann unvermeidlich, auch das Entgelt für die zu erbringenden Leistungen zu erhöhen. Daran geht gar kein Weg vorbei. Ich bin Herrn Kollegen Gscheidle dankbar dafür, daß er das so klar gesagt hat.
Die Bundesregierung erwartet von der Sachverständigenkommission Vorschläge, wie das bei der Bundespost verlorengegangene Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben auf die Dauer wiederhergestellt werden kann. Von dem gesunden wirtschaftlichen Grundsatz, daß der Empfänger einer Leistung die echten Kasten zu tragen hat, sollte — wie überall in der Wirtschaft — auch bei der Deutschen Bundespost nicht abgewichen werden.