Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Der Herr Abgeordnete Dr. Gerstenmaier hat das Wort.
D. Dr. Gerstenmaier, Präsident des Deutschen Bundestages: Meine Damen und Herren! Ich habe mit Aufmerksamkeit und einigem Bedauern einige Diskussionsbeiträge gehört. Ich möchte mich damit nicht weiter befassen. Zum großen Teil sind die Vorhalte und Vorwürfe schon von meinen Vorrednern widerlegt worden. Nur eine einzige Bemerkung, Herr Kollege Brese, gestatten Sie mir vielleicht. Ich glaube, daß Sie das Problem insoweit verkennen, als es ja nicht etwa mit den Tarifverhandlungen der sogenanten Sozialpartner korrespondiert und daß es insoweit auch gar nichts mit der Lohn- und Preisspirale zu tun hat, sondern, wenn Sie mir einen einfachen Vergleich erlauben, daß die Frage, die heute hier zur Debatte steht — in ihrem materiellen, nicht in ihrem formellen Gehalt — einfach die ist: Sind die Sätze, die eine anständige Firma ihren anständigen Facharbeitern, die sie auf Montage schickt, als Spesen, nicht als Lohn oder Gehalt, bezahlt, heute noch angebracht oder nicht? Es wird doch vielleicht erlaubt sein, eine solche Überlegung anzustellen, und es wird wohl auch erlaubt .sein, eine solche Überlegung in diesem Hause anzustellen.
Was mich in ,der Aussprache jedoch am meisten betroffen hat, sind die sehr temperamentvollen Äußerungen unseres verehrten Kollegen Professor Böhm. Herr Kollege Böhm, der Bedeutung der Sache wegen erlaube ich mir, noch einmal darauf hinzuweisen, daß ich ausdrücklich festgestellt oder mich jedenfalls bemüht habe, klar zu sagen, daß ich nicht der Meinung, nicht der Überzeugung bin, das Selbst- und Pflichtbewußtsein des Abgeordneten, des Mitglieds dieses Hauses, hänge ab von der Höhe der Diäten, sondern ich habe gesagt — ich zitiere noch einmal —:
Ich weiß auch, daß die moralische Qualität und der Rang des Abgeordneten nicht von seinen Diäten abhängen; aber die Moral des Staates und der Rang einer parlamentarischen Demokratie verlangen, daß anständige und verantwortungsvolle Arbeit auch im Parlament anständig entschädigt wird.
Das ist eine ganz andere Sache!
Wir sind hier eigentlich die einzigen in diesem Land, die bei einem solchen Anlaß nicht auseinanderfallen können. Insofern muß ich noch ein Wort zu dem Gedanken unseres Kollegen Zoglmann sagen. Wir können nicht sozusagen in Sozialpartnerparteien auseinanderfallen. Wir sind Abgeordnete und haben als solche Ansprüche an den Staat. Aber wir vertreten gleichzeitig diesen Staat und haben für ihn zu entscheiden. Es nützt nichts, Herr Kollege Zoglmann, daß wir uns das Geschäft damit zu erleichtern versuchen, daß wir Sachverständige, die doch nicht in diesem Maße in dieser Sache sachverständig sein können wie wir selber, weil sie nämlich an der Arbeit selbst gar nicht teilnehmen, daß wir also Leute von außen in einer internen Frage heranholen, um uns auf deren Rat zu stützen. Es bliebe uns — übrigens nicht nur formell, sondern auch moralisch — dann gar nichts anderes übrig, als über das, was uns solche Berater, so wohlmeinend sie auch sein mögen, vorschlagen, doch wieder nach eigener gewissenhafter Prüfung zu entscheiden und diese Entscheidung selber zu verantworten. Wir können diese Entscheidung und diese Verantwortung unter keinen Umständen abwälzen; das ist unmöglich in diesem Hause. Hier muß man sich stellen.
Nun aber noch ein Wort zu der Diskussion, die eigentlich geschäftsordnungswidrig aufgeflammt ist; denn sie hat mit den Grundzügen dieser Vorlage nichts gemein; aber ich verstehe natürlich sehr gut, daß hier darüber gesprochen wird. Der Herr Kollege Böhm hat die Mängel des Hauses beklagt. Wer müßte ihm darin nicht beipflichten! Nun, meine Damen und Herren, in einem Punkte erinnert mich das an die Diskussion, die wir hier heute morgen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 112. und 113. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Februar 1964 5169
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
führen. Als sich damals der Bundestagsvorstand — nicht einstimmig, aber mit großer Mehrheit — zu Vorlagen für den Neubau entschloß, die, Herr Kollege Böhm, einfach die unerläßlichen Voraussetzungen dessen enthalten, was sack- und fachgerecht ein modernes Parlament sich selber und seinem Staate schuldig ist,
als sich also die große Mehrheit des Bundestagsvorstandes zu solchen Vorschlägen durchrang, die meiner Überzeugung nach Hand und Fuß haben und weitreichend und weitblickend auch noch für andere Eventualitäten gedacht waren, da habe ich manchen „Helden" in diesem Hause gefunden, der mir sonst in den Ohren liegt, wie unzumutbar die Verhältnisse in diesem Hause seien, der aber, als es galt, auf die Barrikaden zu steigen und dem Unmut und der Reaktion dieser und jener Kreise in der Öffentlichkeit standzuhalten, nicht da war, sondern der es mir dann, ich will nicht gerade sagen, ganz allein überließ, das zu tun. Ich sah jedenfalls viele, die zuvor und darnach laut gerufen hatten, dann aber nicht neben mir waren.
Nun, meine Damen und Herren, das kümmert mich nicht. Auch in der Sache, was den Neubau dieses Hauses betrifft, hält das Beschlußorgan dieses Hauses an klaren Beschlüssen fest. Es steht zu den Beschlüssen, die es gefaßt hat. Diese Sache wird weitergehen und durchgeführt werden. Aber sie wird langsam gehen. Erst lag der Baustopp dazwischen. Der Baustopp ist aufgehoben. Jetzt kommen die Grundstücksverhandlungen, äußerst komplizierte Geschichten. Auch müssen wir diesen Neubau so planen, daß wir, wenn Gott es uns erlaubt, nach Berlin zu gehen, daraus wieder ohne große Schwierigkeiten etwas anderes machen können.
Aber erlauben Sie mir noch das eine zu sagen, Herr Kollege Böhm: Mit weiteren Improvisationen ist in diesem Haus nur noch ein ganz kleines Minimum zu verbessern, und all die Beschwerden, die am meisten zu Buche schlagen, die berechtigt sind und auch hier heute morgen wieder berechtigterweise zum Ausdruck kamen, sie werden damit nicht abgestellt werden können. Herr Kollege Schulhoff, es ist wahr, was Sie gesagt haben: Zwei Mann in einem Büro: der eine telefoniert, der andere soll Besucher empfangen. Der eine will diktieren, der andere will etwas anderes machen. Das ist völlig unmöglich. Das ist unter dem Rang und unter der Würde dieses Hauses und ist der Arbeitsweise in unserer Zeit ganz unangemessen.
Aber ich kann nur herzlich bitten: Machen Sie sich doch um Gottes willen nichts aus den Tönen des Unmuts! Was ist denn, wenn auch einmal irgendwo ein Kommentar oder eine Glosse in einer Zeitung dazwischenschlägt! Stellen Sie sich hin, und sagen Sie sich, es regnet ab und zu, und dann scheint auch wieder die Sonne! Tun Sie jedenfalls, was Pflicht und Gewissen Ihnen gebieten. Ich jedenfalls bin gesonnen, diesem Hause nach dem Maße meiner Kraft auch darin zu dienen. Ich habe — auch mit dieser Vorlage — keine andere Absicht gehabt, als das zu vertreten, was das Amt dem Bundestagspräsidenten natürlicherweise auferlegt. Aber ich möchte dem Hause ausdrücklich dafür danken, daß es mir auch in diesen Stücken erlaubt, mein Amt nach gewisserhafter eigener Einsicht zu führen, und jedes Wort, das ich hier namens meines Amtes für das Haus gesprochen habe, jedes einzelne Wort decke ich mit meiner eigenen persönlichen Überzeugung und mit meiner Person.