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ID0410619600

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    Deutscher Bundestag 106. Sitzung Bonn, den 9. Januar 1964 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . 4825 A, 4912 C Fragestunde (Drucksachen IV/1766, IV/1806, IV/1812) Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Zweites Fernsehprogramm in der Pfalz Stücklen, Bundesminister 4825 C, D, 4826 A Dr. Müller-Emmert (SPD) 4825 D Kaffka (SPD) 4826 A Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Erleichterungen bei der Rentenauszahlung Stücklen, Bundesminister . . 4826 A, B, C, D, 4827 A, B, C Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . . 4826 B, D Cramer (SPD) 4826 C Fritsch (SPD) 4827 A Büttner (SPD) 4827 B Dürr (FDP) 4827 C Fragen des Abg. Dr. Kübler: Schadenersatzforderungen für verlorengehende Telegramme und Haftpflicht für nicht übermittelte Telegramme 4827 D Fragen des Abg. Kubitza: Zulässige Wörter bei gedruckten Glückwunschkarten Stücklen, Bundesminister . . 4828 A, C, D, 4829 A, B Kubitza (FDP) . . . . . . . 4828 C, D Schwabe (SPD) 4829 A, B Sänger (SPD) 4829 B Fragen des Abg. Strohmayr: Zahl der noch in Wohnlagern untergebrachten Familien und Einzelpersonen Krüger, Bundesminister 4829 C Frage des Abg. Fritsch: Grabmal des Unbekannten Soldaten Höcherl, Bundesminister 4830 A Frage des Abg. Fritsch: Gesetz über den Grenzaufsichtsdienst Grund, Staatssekretär 4830 B, C, D, 4831 A Fritsch (SPD) 4830 B, C Lautenschlager (SPD) 4830 D Gscheidle (SPD) . . . . . . . 4831 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Januar 1964 Frage des Abg. Cramer: Gemeinde Nordseebad Wangerooge Schmücker, Bundesminister . . . 4831 A, C Cramer (SPD) 4831 C Fragen des Abg. Glüsing (Dithmarschen) : Deutsche Muschelfischerei . . . . . 4831 D Fragen des Abg. Dr. Gleissner: Angebliche Erklärung des Leiters des Flughafens München-Riem betr. Starts und Landungen in östlicher Richtung Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 4832 A, B Frage des Abg. Dr. Ramminger: Anschluß der Autobahn Regensburg- Passau an die geplante österreichische Autobahn Linz-Passau Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 4832 C, D Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . . 4832 C Frage des Abg. Dr. Ramminger: Änderung der früheren Linienführung der Autobahn Linz-Passau Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 4832 D, 4833 A, B Fritsch (SPD) . . . . . . . . . 4833 A Frage des Abg. Dr. Ramminger: Trasse der Autobahn Regensburg-Passau Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 4833 B, C Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . 4833 B Fritsch (SPD) 4833 C Frage des Abg. Dr. Pohlenz: Teilstück Wesel-Hamminkeln der Holland-Autobahn Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 4833 D, 4834 A Dr. Pohlenz (SPD) 4833 D Frage des Abg. Dr. Pohlenz: Verkehr zwischen der Autobahnabfahrt Hamminkeln und der Bundesstraße 8 Dr. Seiermann, Staatssekretär . 4834 A, B, C Dr. Pohlenz (SPD) 4834 B, C Frage des Abg. Büttner: Änderung oder Ergänzung der Straßenverkehrsordnung (§ 45 StVO) Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 4834 C, D, 4835 A Büttner (SPD) . . . . . 4834 D, 4835 A Sammelübersicht 24 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache IV/1779) 4835 B Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Beteiligungsverhältnisses an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer (Drucksache IV/1770) Dr. h. c. Eberhard, Staatsminister . . 4835 B Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 4838 B Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 4838 D Dr. Imle (FDP) 4839 D Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1964 (Haushaltsgesetz 1964) (Drucksache IV/1700) — Erste Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1963 (Nachtragshaushaltsgesetz 1963) (Drucksache IV/1699) — Erste Beratung — Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler 4840 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 4849 B, 4908 A Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . . 4859 C Dr. Emde (FDP) 4864 A Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) . . . 4871 D Erler (SPD) 4883 D Dr. Vogel (CDU/CSU) . . . . . 4892 B Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 4898 B Ritzel (SPD) . . . . . . . . . 4899 D Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 4902 C Dr. Dichgans (CDU/CSU) . . . . . 4904 D Dr. Artzinger (CDU/CSU) . . . . 4906 C Seuffert (SPD) . . . . . . . . 4909 D Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 4910 A Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes vom 22. Juni 1954 über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21. November 1947 und über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche Organisationen (Drucksache IV/1482); Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses (Drucksache IV/1776) — Zweite und Dritte Beratung — . . . . . . . . . 4911 D Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Januar 1964 III Entwurf eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei sowie zu dem mit diesem Abkommen im Zusammenhang stehenden Abkommen (Drucksache IV/1788) 4912 A Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Strafrechtsänderungsgesetzes (CDU/CSU, SPD, FDP) (Drucksache IV/ 1817) 4912 C Nächste Sitzung 4912 C Anlage 4913 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Januar 1964 4825 106. Sitzung Bonn, den 9. Januar 1964 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Adorno 31. 1. Dr. Aigner * 9: 1. Frau Albertz 10. 1. Arendt (Wattenscheid) 10. 1. Bauer (Wasserburg) 10. 1. Frau Berger-Heise 10. 1. Bergmann * 9. 1. Frau Beyer (Frankfurt) 10. 1. Birkelbach* 9. 1. Frau Blohm 10. 1. Blumenfeld 18. 1. Frau Brauksiepe 10. 1. Dr. von Brentano 21. 3. Brück 10. 1. Brünen 10. 1. Dr. Burgbacher * 9. 1. Deringer * 9. 1. Frau Dr. Elsner * 9. 1. Faller * 9. 1. Dr. Frede 10. 1. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 10. 1. Dr. Furler* 9. 1. Dr. Gerlich 10. 1. Günther 10.1. Haage (München) 10. 1. Hahn (Bielefeld) * 9. 1. Hammersen 10.1. Dr. Harm (Hamburg) 31. 1. Hauffe 10. 1. Dr. Hellige 9. 1. Dr. Hesberg 9. 1. Holkenbrink 9. 1. Hörauf 4. 2. Hörmann (Freiburg) 9. 1. Illerhaus * 9. 1. Frau Jacobi (Marl) 10. 1. Kalbitzer * 9. 1. Kemmer 9. 1. Dr. Kempfler 10.1. Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Klein (Saarbrücken) 10. 1. Klinker * 9. 1. Dr. Kreyssig 10. 1. Kriedemann * 9. 1. Dr. Kübler 16. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 9. 1. Lemmer 10. 1. Lenz (Bremerhaven) 15.2. Lenz (Brühl) * 9. 1. Lücker (München) * 9. 1. Margulies * 9. 1. Mauk * 9. 1. Mengelkamp 10. 1. Metzger * 9. 1. Michels * 9. 1. Dr. Miessner 10. 1. Dr. Müller-Hermann * 9. 1. Peiter 10.1. Dr.-Ing. Philipp * 9. i. Frau Dr. Probst * 9. 1. Rademacher * 9. 1. Richarts * 9. 1. _ Ruland 22. 2. Dr. Rutschke 17. 1. Sander 10. 1. Schmitt-Vockenhausen 9. 1. Schneider (Hamburg) 24. 1. Seidl (München) 10. 1. Seifriz * 9. 1. Dr. Seume 10. 1. Dr. Starke * 9. 1. Frau Strobel* 9. 1. Struve 10. 1. Weinkamm * 10. 1. Wendelborn 10. 1. Wilhelm 10. 1. Wolf 9. 1. Wullenhaupt 31. 1. Zoglmann 9. 1. b) Urlaubsanträge Dr. Bieringer 7. 2. *) Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das soeben hier vorgetragene Koalitionsangebot war recht interessant. Der Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei wird sich natürlich demnächst damit beschäftigen.

    (Heiterkeit.)

    Ich möchte allerdings meinen, daß die Person des Absenders eine ernsthafte Prüfung ein bißchen erschwert.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Jetzt hat sich das Geheimnis jedenfalls gelüftet,
    welche Bücher sich auf dem Rücksitz des Wagens



    Erler
    unseres verehrten Kollegen Strauß befunden haben. Ich bin gern bereit, dafür zu sorgen, daß er die noch fehlenden Materialien unserer anderen Kongresse zugesandt bekommt. Wir werden dann sicher hier noch erstaunlichere Offenbarungen hören. Vor allem möchte ich Ihnen die Materialien unseres Parteitages von München zum Thema der zweiten industriellen Revolution zugänglich machen. Damals hat es geheißen, so etwas gebe es gar nicht, das sei eine bodenlose Dramatisierung. Heute haben wir gehört, daß die Bundesregierung unter der Führung der CDU die industrielle Revolution bei uns zustande gebracht hat.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Klassenlose Gesellschaft!)

    — Darum bemühen wir uns alle. Ich bin erfreut, in welcher Weise sogar die marxistische Terminologie, nachdem sie bei uns etwas in Verruf geraten ist, von Ihnen aufgegriffen wird.

    (Heiterkeit und Beifall. bei der SPD.)

    Der Herr Kollege Dr. Emde hat davor gewarnt, das Parlament zu einem Chor der griechischen Tragödie werden zu lassen. Ich glaube, damit hat er recht. Ich habe nur überlegt, wen er damit gemeint hat und ob er Sie, verehrter Herr Kollege Barzel, in diesem Zusammenhang als Chorknaben — in der griechischen Tragödie natürlich — angesprochen hat; die lyrischen Partien Ihrer Rede könnten vielleicht einen gewissen Anlaß dazu gegeben haben. Ich möchte mich deswegen jetzt weniger diesen lyrischen Partien zuwenden, sondern den Problemen, die — das ist das gute Recht dieses Hauses — in diesem Hause im Zusammenhang mit der Haushaltsdebatte zur Erörterung gestellt worden sind.
    Natürlich halten auch wir es für richtig, daß der Herr Bundeskanzler die erste Gelegenheit nutzt, über wichtige außenpolitische Vorkommnisse diesem Hohen Hause zu berichten. Die allererste Gelegenheit wäre sogar vorgestern gewesen, wenn er vor dem Finanzminister gesprochen hätte. Dann wäre es nicht zu der Schwierigkeit gekommen, daß in der gleichen Reihenfolge, nachdem erst der Finanzminister den Haushalt eingebracht hat, natürlich dann auch seine Ausführungen als erste in der Debatte behandelt werden mußten. Aber das mag das Kabinett unter sich ausmachen, in welcher Reihenfolge künftig die verschiedenen Regierungssprecher hier aufmarschieren, der eine zur Eröffnung der Debatte mit seiner Erklärung und der andere dann gewissermaßen als Partner in der Debatte, wenn er nicht eine besondere Regierungserklärung abzugeben wünscht.
    Meine Damen und Herren, in dieser Debatte sind einige bemerkenswerte Ausführungen über unser aller gemeinsame Position zum deutschfranzösischen Verhältnis gemacht worden. Wir sollten uns hier wohl — dazu besteht Anlaß — daran erinnern, daß der Bundestag in der einmütig beschlossenen Präambel zum deutsch-französischen Vertragswerk klargemacht hat, einen wie hohen Rang wir der Aussöhnung dieser beiden Völker zumessen und daß wir alles tun wollen, um daraus mit den anderen freien europäischen Staaten eine immer engere
    Gemeinschaft werden zu lassen. Wir haben in dieser Präambel auch klargemacht, daß es sich für uns dabei nicht um einen Sonderbund handelt, daß wir die deutsch-französische Gemeinschaft in die europäische Gemeinschaft und in die atlantische Solidarität hineingestellt wissen wollen. Auch die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zu diesem Thema haben nicht ohne weiteres alle Sorgen übertönen können, die uns zu diesen drei Gebieten in der letzten Zeit beschäftigt haben. Es handelt sich um das Verhältnis zu Großbritannien, es handelt sich um das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Es handelt sich unter anderem auch um die hier vom Herrn Bundeskanzler vorgetragene Bemerkung, daß es offenkundig in Paris eine gewisse Tendenz gibt, Europa mehr als dritte Kraft aufzufassen, also gewissermaßen gelöst von der engen Verbindung mit den Vereinigten Staaten von Amerika, von Großbritannien gar nicht zu sprechen. Besondere Sorge — das möchte ich auch dem Kollegen Strauß sagen, der mit Recht darauf aufmerksam gemacht hat, daß die engste Solidarität besonders auf dem Gebiet der Verteidigung erforderlich ist — haben uns allen wohl die Alleingänge unseres französischen Partners auf diesem Gebiet bereitet. Wir müssen dafür sorgen, daß es keine weiteren Risse im westlichen Bündnis gibt. Daher sollte der Einfluß der Bundesrepublik Deutschland bei unserem französischen Freunde auch in dieser Richtung angesetzt werden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Vom Herrn Bundeskanzler ist kurz die Aussicht auf eine mögliche neue Initiative zur Förderung des europäischen Einigungswerks gestreift worden. Wir wären alle froh, wenn das ins Stocken gekommene Einigungswerk einen neuen Impuls erhielte. Dieser neue Impuls kann bestimmt nicht dadurch geschaffen werden, daß man sich an den Einrichtungen reibt, die nach dem Willen der Regierungen in den Verträgen von ihnen selbst geschaffen worden sind. Diese Einrichtungen können nämlich nichts dafür, daß das europäische Einigungswerk ins Stocken geraten ist. Ganz im Gegenteil, die europäischen Gemeinschaftseinrichtungen, insbesondere die Kommission, geben sich redliche Mühe, das Einigungswerk fortzusetzen. Wenn die Kritik berechtigt ist, daß mit der Übertragung nationaler Zuständigkeiten an übernationale Einrichtungen ein Element der demokratischen Kontrolle entfällt, dann darf die Schlußfolgerung nicht etwa sein, daß wir Gemeinschaftsbefugnisse auf die Nationen zurückübertragen,

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    sondern dann muß die Konsequenz sein, daß wir die demokratische Kontrolle über die übernationalen Einrichtungen verbessern und stärken.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Wir wissen alle, wo die Widerstände liegen. Auch hier wär es, wenn künftig von politischer Union gesprochen wird, gut, rechtzeitig auf diesen entscheidenden, für uns alle entscheidenden politischen Charakter der Zusammenarbeit aufmerksam zu machen.



    Erler
    Wer keine Technokratien will, sondern ein demokratisches Europa, der muß für die Stärkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments bis hin zur direkten Wahl zu diesem Parlament eintreten und muß sich auch im Rahmen der Verträge und im Rahmen der Konsultation mit unseren französischen Freunden um die ersten Schritte in dieser Richtung bemühen.
    Meine Damen und Herren, es sei mir hier auch ein Wort erlaubt zu einem schmerzlichen Vorgang, der im vergangenen Jahr in diesem Hause debattiert worden ist und dessen Abwicklung einen Schatten auf das sonst so freundschaftliche Verhältnis zu unserem französischen Nachbarvolk und seiner Regierung geworfen hat: das ist der Fall „Argoud". Wir haben zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung hier erneut bei unserem französischen Partner vorstellig geworden ist. Wir begrüßen die Absicht der Regierung, alles zu tun, damit unter diesem Fall die deutsch-französische Freundschaft keinen Schaden leidet. Aber wir möchten hinzufügen: ein derartiges Bemühen muß dann auch bei unserem französischen Freund und Partner erkennbar werden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die deutsch-französischen freundschaftlichen Gefühle zueinander sind nicht dadurch in Mitleidenschaft gezogen worden, daß es sich die Bundesregierung verbittet, daß andere Regierungen mit Gewalt auf ihrem eigenen Gebiet widerrechtlich Akte vollführen, sondern auf diese Beziehungen ist ein Schatten dadurch geworfen worden, daß ein Freund auf unserem Gebiet widerrechtlich gehandelt und den Nutzen dieser Handlung bis zur Stunde der Bundesrepublik Deutschland gegenüber nicht wiedergutgemacht hat. Das ist der entscheidende Punkt.

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Es hat dann hier eine kurze Debatte gegeben über die Ereignisse in Brüssel im Zusammenhang mit der künftigen Entwicklung der Agrarpolitik. Ich habe die Befürchtung, daß die Bundesrepublik Deutschland ihrer eigenen Landwirtschaft im Verhältnis zu den Landwirtschaften unserer Partnerländer in 'der Gemeinschaft dadurch Nachteile zufügt, daß sie sich mit der Anpassung an die Bedingungen des künftigen gemeinsamen Marktes mehr Zeit läßt als die anderen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es ist erforderlich, Klarheit zu schaffen für den Verbraucher, für den Erzeuger, für unsere Partner draußen in der Welt, für die Drittländer und unsere Partner in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, welchen Kurs die deutsche Agrarpolitik zu steuern gedenkt; denn als größtem Einfuhrland innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kommt den Wünschen der Bundesregierung auf diesem Gebiet und ihrer Haltung auf diesem Gebiet eine ganz besonders große Bedeutung zu.
    Ich möchte hier gleich eine Bemerkung zu den Darlegungen unseres Kollegen Strauß über die Zukunft der deutschen Landwirtschaft einfließen lassen. Er hat sicher völlig recht damit, daß wir uns für den Fortbestand gesicherter bäuerlicher Existenzen einsetzen müssen. Aber es hat, glaube ich, keinen Sinn, unseren Landwirten zu versprechen, daß die weiteren Fortschritte rationeller Produktionsweisen in der Landwirtschaft an der deutschen Landwirtschaft spurlos vorübergehen können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das werden sie sicher nicht tun. Und da wir alle nicht in beliebiger Menge unseren eigenen Konsum an landwirtschaftlichen Erzeugnissen vermehren können — ohne die Kreislauferkrankungen in unseren eigenen Reihen über Gebühr zu beschleunigen, denn der Nahrungsaufnahme sind gewisse Grenzen gesetzt — ist ganz klar, daß in unserer Landwirtschaftspolitik in der Zukunft das Schicksal eines Teiles des ländlichen Nachwuchses dadurch angepackt werden muß, daß Ausbildungs- und Berufschancen für andere als landwirtschaftliche Berufe in größerem Ausmaß als bisher auf das Land hinausgebracht werden, um künftig auch dort ein anständiges Lebensniveau zu sichern.

    (Beifall bei der SPD.)

    In dieser Debatte ist dann über das erfreuliche Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika berichtet worden, wie es sich bei dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers beim amerikanischen Präsidenten Johnson manifestiert hat. Wir sind noch einmal erinnert worden an das wesentliche Vermächtnis der Kennedyschen Außenpolitik, die Zweigleisigkeit, die darin besteht, daß man sowohl über die notwendige eigene und gesamtwestliche Kraft verfügen müsse, um nicht von einem überlegenen Gegner ausmanövriert oder zur Kapitulation gezwungen werden zu können, als auch auf der anderen Seite gestützt auf diese Kraft den redlichen Willen haben müsse, um eine Überwindung und Lösung weltpolitischer Probleme und Schwierigkeiten am Verhandlungstisch bemüht zu sein, gestützt auf die Kraft, damit man dort nicht zur Hinnahme von Nachteilen gezwungen werden kann.
    Manche in Europa haben sich immer nur die eine Seite der amerikanischen Politik ausgesucht. Die einen glaubten, man habe allein auf die militärische Kraft, auf die Stärke zu setzen, und übersahen, daß, wer sich nur darauf verläßt und das für Politik hält, entweder eines Tages einem bewaffneten Austragen eines Konflikts, der am Ende eines blinden Wettrüstens stünde, zutreibt oder günstigenfalls zur Zementierung der bestehenden politischen Verhältnisse einschließlich der unseligen Teilung unseres Landes kommt. Die Stärke muß also ergänzt werden durch die Politik.
    Es mag auch andere geben, die sich aus der amerikanischen Politik nur den Verhandlungskuchen herausschneiden wollten und nicht gesehen haben, daß die notwendige Kraft und die für diese Kraft notwendigen Anstrengungen die unentbehrliche Ergänzung der Verhandlungsbereitschaft sind, wenn man nicht am Konferenztisch erpreßt werden soll. Ich rufe das in Erinnerung, weil mich dieses Bekenntnis zu den Grundzügen der Kennedyschen Außenpolitik in diesem Hause und der starke Beifall an diesen Stellen so gefreut haben. Denn seien wir doch ehrlich: Hoffentlich bleiben alle diejenigen nun bei der



    Erler
    Stange, die zu Lebzeiten des ermordeten Präsidenten in unserem Lande mit seiner Politik oft so ganz und gar nicht einverstanden gewesen sind,

    (Beifall bei der SPD)

    wie ein Blick in manche Publikationen von damals uns heute zeigt.
    Wir haben uns dann hier in diesem Hause heute mit den Ereignissen in Berlin im Zusammenhang mit der Erteilung der Passierscheine beschäftigt. Ich habe kürztlich im Hessischen Rundfunk in ähnlichem Sinne oder, ich möchte sogar sagen: in völlig übereinstimmendem Sinne mit dem Bundeskanzler zu diesem Problem ausführlich Stellung genommen. Ich glaube, daß in Berlin sichtbar geworden ist, daß diese Stadt eine Stadt ist und daß die Deutschen ein Volk sind und e i n Volk bleiben wollen.

    (Beifall bei der SPD und bei den Regierungsparteien.)

    Was sich in Berlin vollzogen hat, war eine Volksabstimmung gegen die unmenschliche Trennung und für die nationale Einheit unseres Landes.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und bei den Regierungsparteien.)

    Die Wirkung auf das Ausland wollen wir gar nicht gering anschlagen. Es hat viele Menschen draußen gegeben — wer viel herumreist, weiß das —, die immer wieder an einen die Frage gerichtet haben: Wollen denn die Deutschen überhaupt zusammenkommen? Und wenn man jetzt englische Zeitungen liest, merkt man, wie selbst mitunter harte Kritiker an unserem Volke sich durch die Berliner Ereignisse davon haben überzeugen lassen, daß der Wille zum Zusammenkommen und zur Wiederherstellung der Einheit in unserem Volke nicht ausgelöscht ist, sondern über jeden Zweifel erhaben große Energien zu mobilisieren fähig ist. Das ist ein Aktivposten für die deutsche Politik, wenn wir ihn richtig ausnutzen.
    Manche haben geglaubt, durch diese Möglichkeit einer befristeten Menschlichkeit würde die Mauer verniedlicht. O nein! Gerade die Tatsache, daß die Modalitäten von der anderen Seite so gestaltet wurden, daß die Parallele zu einer Art Gefängnisbesuch immer deutlicher wurde, hat der Welt ein erschütterndes Beispiel für die Lage unseres Volkes und unserer Landsleute in der Hauptstadt gegeben.

    (Beifall bei der SPD und bei den Regierungsparteien.)

    Ein Besuch auf Stunden, durch Stacheldraht und Gefängnistore hindurch, mit der Auflage, abends wieder zurücksein zu müssen, — ein Besuch, von dem man wußte, die Zeit, in der überhaupt Besuchserlaubnis gegeben wird, wird auch noch auf eine bestimmte Periode befristet, — ein Besuch, der abhängig gemacht wird vom Vorliegen bestimmter Verwandtschaftsverhältnisse, — all dies machte klar, daß Menschen in Freiheit aufbrechen mußten, um faktisch ihre Landsleute in einem Kerker aufzusuchen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das war ein Signal für die Welt und hat für viele den schrecklichen Charakter der Mauer, den sie
    nicht so ganz einsehen wollten, deutlicher als vorher hervortreten lassen.
    Dennoch war das Ganze aber auch eine Ermutigung für unsere Landsleute. Es haben in Ost-Berlin Hunderttausende von Familientreffen stattgefunden, nicht nur zwischen den Bewohnern beider Teile dieser Stadt, sondern zwischen Bewohnern ganz Deutschlands. Denn da waren auch die Westdeutschen, und da kamen unsere Landsleute aus der Zone. Da ist sicherlich nicht viel über Politik gesprochen worden. Aber das, was die Menschen im ganzen persönlich bewegt hat, das war ein Stück politischer Wirklichkeit unserer Tage.
    Die Dinge sind den Machthabern drüben sogar etwas über den Kopf gewachsen, sosehr sie auch glaubten, nachher politische Geschäfte damit verbinden zu können. Denn sie wurden vor die Fragen gestellt: Warum heute abend zurück? Warum nur bis zum 5. Januar? Warum nur in einer Richtung? Warum nicht auch aus Ost-Berlin nach West-Berlin? Warum nicht auch aus der Zone nach West-Berlin? Warum nicht überhaupt aus Deutschland nach Deutschland? Das waren für die Machthaber drüben harte Fragen. So versuchen sie nun, die Dinge so darzustellen, daß eine Erneuerung eines ähnlichen Vorhabens mit möglichst vielen politischen Schwierigkeiten behaftet wird.
    Wir wissen, daß Berlin ein Teil des freien Deutschlands ist und bleibt. Wir wissen, daß wir durchaus miteinander und mit der Bundesregierung bereit sind, abzutasten, was geschehen kann, um unseren Landsleuten in Ost-Berlin und in der Zone ein Höchstmaß an Erleichterungen zu verschaffen.
    Aber wir wissen auch — und sagen es den Machthabern in Ostberlin —, was nicht geschehen kann. Was nicht geschehen kann, ist ein Annagen der freiheitlichen Position Westberlins und ein Annagen unseres Rechtes auf Selbstbestimmung für das ganze deutsche Volk. Hinter dièse Grenzlinie können wir nicht zurück.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Regierungsparteien.)

    Wir wollen in diesem Zusammenhang, gerade nachdem die volle Übereinstimmung zwischen Bundesregierung, Berliner Senat und Westmächten in diesen Fragen vom Herrn Bundeskanzler in so dankenswerter Weise unterstrichen worden ist, auch der Berliner Bevölkerung und ihrer politischen Führung Dank sagen dafür, wie sie die Fährnisse der vergangenen Jahre und Monate mit ungebrochenem Mute durchgestanden hat.


    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Regierungsparteien.)

    Die Berliner wissen genau, woran sie mit Ulbricht sind. Denen brauchen wir keine allzu weisen Ratschläge zu erteilen. Wir haben, glaube ich, in diesem Hause auch gezeigt, daß, wo es um das Schicksal Berlins ging, in mancher Schlacht gerade die Sozialdemokratische Partei auf die enge Verbundenheit Berlins mit der Bundesrepublik Deutschland und allen ihren Einrichtungen entscheidenden Wert —



    Erler
    gegen sogar mancherlei örtlichen Widerstand — gelegt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich sage das, weil ich der Überzeugung bin, daß wir angesichts der Übereinstimmung von Regierung, Westmächten und Senat zu den jüngsten Berliner Ereignissen keine Gegensätze konstruieren sollten, die bei den Herren in Ostberlin unter Umständen falsche Hoffnungen auf Nachgiebigkeiten am falschen Punkte zu erwecken geeignet sein könnten. Ich glaube, das ist unser gemeinsames Interesse.
    Genau so ist es unser gemeinsames Interesse, in einigen Grundfragen heute schon, obwohl sich die Regierung bis zum Abschluß der Konsultation mit unseren Verbündeten einer begreiflichen Zurückhaltung befleißigt, einige Bemerkungen zu der jüngsten sowjetischen Note zu machen.
    Wir erstreben — das weiß die ganze Welt, und das sollte auch die Sowjetunion zur Kenntnis nehmen — die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts für das deutsche Volk mit ausschließlich politischen Mitteln. Es gibt niemanden in diesem Hause, der die Durchsetzung dieses Rechtes etwa mit den Mitteln der Gewalt anstreben würde, weil wir alle wissen, daß das keine Wiedervereinigung in gesicherter Freiheit, sondern eine Wiedervereinigung im Massengrabe wäre. Das sollten auch alle anderen draußen wissen, daß es hier um ein politisches Ringen geht. Dieses Ringen geht darum, daß wir Deutsche unsere inneren Angelegenheiten in ganz Deutschland selber und ohne fremde Bevormundung, ohne sowjetische Bevormundung, entscheiden wollen.
    Man könnte im Zusammenhang mit dieser Note vielleicht die Frage aufwerfen, wie denn die Sowjetunion die von ihr angeregte Haltung zu einem Gewaltverzicht etwa im Zusammenhang mit Ereignissen wie denen in Ungarn 1956 oder in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands am 17. Juni 1953 interpretieren würde,

    (Zustimmung bei der SPD)

    wie der Gewaltverzicht etwa aussehen würde, wenn es darum geht, von Schikanen und Erschwerungen gegenüber Westberlin und der ungefährdeten Freiheit seiner Bewohner abzusehen.
    Das wären einige Fragen, die sich stellen, wie auch die andere Frage, ob die sowjetische Regierung den Grundsaz, den sie gegenüber Formosa aufstellt, daß nämlich kein Regime einem Teil eines großen Landes durch Anwesenheit fremder Truppen aufgezwungen werden dürfe, eigentlich nicht auch auf die sowjetische Besatzungszone in Deutschland anwenden müsse, wenn es ihr ehrlich mit diesen Grundsätzen ist.
    Das wären so ein paar Fragen. Und wenn uns gelegentlich die Formel von der Realität der deutschen Teilung, die es endlich hinzunehmen gelte, entgegentritt, nun, dann erinnere ich an das, was ich soeben über Berlin gesagt habe. Niemand von uns leugnet, daß das Land zerrissen und geteilt ist — gegen unseren Willen. Das ist eine Realität, an der wir uns jeden Tag wund stoßen. Aber der Wille, uns
    mit diesem Zustand nicht abzufinden, sondern ihn zu überwinden, ist auf die Dauer die stärkere Realität, von der man Kenntnis nehmen muß.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Meine Damen und Herren, damit möchte ich zu einigen Problemen überleiten, die nicht direkt mit der Außenpolitik zusammenhängen, sondern nur insofern etwas damit zu tun haben, als wir zur Lösung unserer großen außenpolitischen Probleme nur fähig sind, wenn unser eigenes Haus in Ordnung ist, wenn wir zeigen, daß unsere freiheitliche, unsere soziale Ordnung die überlegene ist.
    Es hat hier in den Debatten Kontroversen und Erklärungen zum Thema der Kriegsopferversorgung gegeben. Uns wurde verkündet, die CDU stehe zu ihrem Wort. Da wäre es natürlich wichtig zu wissen: zu welchem Wort eigentlich?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Steht sie zum Wort des Bundeskanzlers, daß über die bewußten etwas über 600 Millionen DM hinaus kein Pfennig mehr bereitgestellt werden könne, sonst müsse von Art. 113 des Grundgesetzes Gebrauch gemacht werden. Steht sie zum Wort des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Strauß, der sich zusammen mit der Kollegin Probst gegen den Stufenplan und für eine Lösung in einem Zuge ausgesprochen hat? Steht sie zum Wort der Mitglieder der CDU/CSU im Kriegsopferausschuß oder im Haushaltsausschuß? Meine Damen und Herren, hier gibt es kein Wort, hier gibt es ein Wörterbuch.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Barzel: Es gibt eine Erklärung der Fraktion vom Dezember!)

    Wir möchten zu diesem Wörterbuch ganz klarmachen, daß die Entschädigung für die Aufopferung von Leben, Gesundheit und Freiheit im Dienste der Gemeinschaft von allen Formen einer Entschädigung für irgendwelche Opfer den höchsten Rang haben muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist der Maßstab, von dem wir uns bei der Kriegsopferversorgung wohl leiten lassen müssen, weil es sonst sehr schwierig ist, in unserem Lande die Verteidigungsbereitschaft, die wir ja wohl brauchen, im richtigen Sinne zu sehen.
    Lassen Sie mich zum Thema Verteidigungsbereitschaft noch einmal auf die Debatten über den Verteidigungshaushalt zurückkommen. Der Kollege Dr. Emde hat gesagt, auch dieser Haushalt müsse genau geprüft werden. Was mein Freund Möller hier vorgetragen hat und was ihm einen gewissen Widerspruch unseres Kollegen Strauß zugezogen hat, war ein Hinweis darauf, daß es dabei um mehr geht als lediglich um eine möglichst genaue buchhalterische Prüfung. Hier geht es um langfristige Vorausschau.
    Sicher ist es richtig, daß die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der NATO zur Aufstellung einer bestimmten Zahl operativ verwendungsfähiger Einheiten verpflichtet ist, daß wir also gewissermaßen von daher rechnen. Das ist aber nur



    Erler
    die halbe Wahrheit; denn bevor wir uns dazu verpflichten, machen wir unsere Vorschläge für die Planung der künftigen Jahre. Darauf kommt es an, daß wir schon bei diesen vorausschauenden Planungen — aus denen heraus übrigens das Beschaffungswesen sich nicht in der Zuständigkeit der NATO, sondern in nationaler Zuständigkeit befindet, genauso wie sich der ganze Nachschubdienst in nationaler Zuständigkeit befindet — den Versuch unternehmen, auch an den Verteidigungshaushalt nach den modernen Grundsätzen wirtschaftlicher Gestaltung und nicht nur im Sinne kameralistischer Sparsamkeit heranzugehen. Auch dort gibt es Möglichkeiten, bei der Entwicklung verschiedener operativer und Waffensysteme zu prüfen, in welchen strategischen Alternativen im Verhältnis zu den Kasten der höchste Nutzeffekt für die Abschreckung erreicht wird.
    Es gibt ein dickes Buch, das zu einer Art Bibel im amerikanischen Pentagon geworden ist. Es ist eine Art Leitfaden für den Verteidigungsminister McNamara. Den Mann, der es geschrieben hat, hat er zur Leitung der Finanzpolitik in sein Haus hereingeholt. Er ist dort jetzt das, was man „Controller" nennt. Es ist Mr. Hitch, und sein Buch heißt „Economy of Defence in the Nuclear Age", die Wirtschaftlichkeit der Verteidigung im atomaren Zeitalter. Ich will nicht einfach sagen, man kann daraus abschreiben. Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Amerika, wir können nicht so unabhängig planen wie die Amerikaner. Aber wir sollten mindestens versuchen, etwas mehr von der Improvisation wegzukommen.
    Daher erneuere ich den Vorschlag meines Freundes Dr. Möller, daß es notwendig wäre, sich einmal über diese Art langfristiger Vorausplanung der Verteidigung einschließlich ihrer militärischen, finanziellen und wirtschaftlichen Aspekte dort zu unterrichten, wo ein Minister mit dieser Methode offenkundig greifbare Erfolge erzielt hat. Denn er hat im amerikanischen Parlament ohne Widerspruch darlegen können, daß es möglich gewesen ist, mit dem gleichen finanziellen Aufwand eine wesentlich leistungsfähigere Verteidigungsapparatur für die verschiedenen Aufgaben der Vereinigten Staaten von Amerika innerhalb und außerhalb der NATO zur Verfügung zustellen. Ich halte das nicht für bloße Sprüche. Die Zahlen in den Dokumenten über das, was effektiv an bewaffneten Einheiten und Transportmöglichkeiten, an Schiffen, an Waffen damit beschafft worden ist, ergeben eine eindrucksvolle Liste. So meinen wir, das würde sich lohnen, einfach um unserem Steuerzahler das Gefühl zu geben: Dieser große Aufwand, der im Prinzip für die Sicherheit unseres Landes unvermeidlich ist, wird mit einem Höchstmaß an Wirksamkeit gemacht. Das ist es doch wohl, was man redlicherweise verlangen kann. Das kann man nicht nur im NATO-Rat tun. Denn dieser gibt keine Bestellungen auf, sondern nimmt nur einen Teil der Vorausplanung vor, nämlich die Einigung über die Zielvorstellungen der aufzustellenden Verbände und sonst nichts. Das, was davor liegt, nämlich .die Erarbeitung der eigenen Vorschläge, und das, was nachher kommt: das ganze Beschaffungs-, Finanzierungs-,
    Produktions- und Einkaufsprogramm, und das, was ganz am Anfang steht, nämlich die Entwicklung künftiger Dinge, die es noch gar nicht gibt und die überhaupt noch nicht beim NATO-Rat gelandet sind, das alles entzieht sich nicht unserem Zugriff und sollte infolgedessen im Lichte der Erfahrungen unseres wichtigsten Verbündeten noch einmal sorgfältig studiert werden. Dahin geht unser Vorschlag. Wir meinen ihn sehr ernst und würden uns freuen, wenn Sie ihn aufgreifen könnten.
    Die Durchführung dieses Vorschlags hat zwar nicht für dieses Jahr, aber für die Entwicklung kommender Jahre unmittelbare Bedeutung. Man muß beizeiten damit anfangen. Von der Durchführung einer rationellen Verteidigungsplanung hängt nämlich für die Bewahrung dessen einiges ab, was Herr Kollege Barzel das gute Geld genannt hat.
    Über das gute Geld haben wir ja heute auch ein paar Debatten gehabt. Herr Strauß hat den stellvertretenden Vorsitzenden des DGB, Herrn Tacke, etwas attackiert wegen seiner Bemerkung, die Mäßigung der Lohnpolitik im vergangenen Jahre habe sich gar nicht gelohnt. Nun, laßt uns nicht um Worte streiten, schaun wir uns die Zahlen an! Im Jahre 1959 sind die Preise um 1,1 % gestiegen, im Jahre 1960 um 1,6 %, im Jahre 1961 um 2,7%, 1962 um 3,4 % und 1963 um mehr als 3,6%: Das Jahr mit der geringsten Lohnbewegung hat die größte Preissteigerung gebracht. Im Lichte dieser Zahlen ist die Bemerkung des stellvertretenden DGB-Vorsitzenden doch nicht völlig unberechtigt. Man sollte ihr also ernsthaft nachgehen. War vielleicht dieser Teil der Rede des Kollegen Strauß eine Art inoffizieller Kommentar zum Gespräch des Herrn Bundeswirtschaftsministers Schmücker mit der Gewerkschaftsführung? Ich würde es aufrichtig bedauern, wenn das das einzige Echo von den Regierungsparteien zu diesem wichtigen Gespräch sein sollte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Über Herrn Rosenberg hat Herr Strauß auch noch etwas gesagt!)

    Da wir nun über die Preisentwicklung gesprochen haben und hier Männer aus dem Bankwesen zitiert worden sind, insbesondere um zu beweisen, daß die Preise zwar gestiegen sind, daß aber außerdem untersucht werden müsse, woher — natürlich, das sehe ich ein, es ist immer ganz gut, wenn man weiß, woher; die Armut kommt manchmal von der Powerteh —, darf ich Ihnen auch noch mit einem Bankier dienen. Der Präsident der Landeszentralbank von Baden-Württemberg, Professor Otto Pfleiderer, hat kürzlich laut „Handelsblatt" vom 3. Dezember bei der Eröffnung einer neuen Zweigstelle der Bundesbank folgendes ausgeführt:
    Wenn man feststellen müsse, daß die Kaufkraft der deutschen Mark, gemessen am Index der Lebenshaltungskosten, sich in den dreizehn Jahren von 1950 bis heute um nicht weniger als 24 % vermindert habe
    — das war kein sozialdemokratischer Demagoge, ich wiederhole, das hat der Direktor Pfleiderer geäußert —,



    Erler
    so sei es für die davon Betroffenen gewiß nur ein schwacher Trost, wennn sie darüber belehrt würden, daß ein nicht unerheblicher Teil der Erhöhung der Lebenshaltungskosten auf legislative und administrative Maßnahmen wie den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und die allmähliche Hinlenkung des Wohnungswesens auf eine mehr marktwirtschaftliche Mietpreisbildung oder die agrarpolitisch motivierte Hochhaltung der Ernährungskosten zurückzuführen sei.
    Soweit die nicht zu bestreitenden Feststellungen des Bankpräsidenten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Ernährungskosten sind doch kaum gestiegen! Die sind am wenigsten gestiegen, Herr Kollege Erler!)

    — Das ist ein kleiner Irrtum. Ich habe leider den Zettel mit den Ernährungskosten auf meinem Tisch da unten; sonst würde ich sie Ihnen gleich nennen. Aber da liegen Sie bestimmt schief.
    Die Verlagerung der Kaufkraft wurde als einer der Gründe hier angeführt. Sicher, das ist einer der Gründe. Das ist aber auch ein schwacher Trost. Denn entscheidend für den Verbraucher ist doch wohl, ob er sich für seine D-Mark weniger als bisher kaufen, mieten oder an Dienstleistungen leisten kann. Das ist es, was für den Verbraucher zählt. Für ihn ist also die gute Deutsche Mark weniger wert geworden, wie verständnisvoll man das auch immer erklären mag. Das ist einfach der Tatbestand.

    (Abg. Dr. Fritz [Ludwigshafen] : Dann müssen Sie auch etwas vom steigenden Realeinkommen sagen!)

    — Jetzt habe ich von der D-Mark gesprochen, die der einzelne Verbraucher in der Hand hat.
    Was das steigende Realeinkommen betrifft, so wäre es allerdings gut, einmal in Erinnerung zu rufen, daß wir ohne jene Lohnpolitik, welche zu steigenden Realeinkommen der breiten Massen der Bevölkerung geführt hat, wohl kaum eine so blühende Automobil-, Kühlschrank- und Fernsehindustrie in unserem Lande hätten,

    (Beifall bei der SPD)

    ohne jene Lohnpolitik, die dann, wenn die Gewerkschaften versucht haben, in dieser Richtung zu wirken, auf Ihrer Seite des Hauses im allgemeinen auf erheblichen Widerstand gestoßen ist.

    (Beifall bei der SPD. — Unruhe bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich noch etwas zu dem Thema hinzufügen, das auch in dem Hin und Her von eventuellen Steuersenkungen behandelt worden ist. Es wurde hier in merkwürdiger Weise den Sozialdemokraten vorgerechnet, was sie alles für Geld auszugeben gedenken, und gleichzeitig verschwiegen, daß die Bundesregierung offenbar für die Zukunft so viel Gelderwartungen hat, daß sie glaubt, ein Steuersenkungsgesetz für zweineinhalb Milliarden D-Mark verkraften zu können. Das ist doch wohl ein gewisser innerer Widerspruch. Wir lassen durchaus
    — das ist im Interesse unserer eigenen Forderungen — den Grundsatz gelten, daß unser Steuerrecht einen Umbau im Sinne größerer steuerlicher Gerechtigkeit dringend nötig hat. Das gilt auch und gerade für die von Ihnen mit Recht genannten Mittelschichten. Der sogenannte Mittelstandsbauch z. B. ist ein Ärgernis für Sie wie für uns. Aber wenn der Her Bundesfinanzminister sagt: „Wenn ihr bei der Änderung des Umsatzsteuersystems neue Maßnahmen einführt, dann muß das Ergebnis für mich der gleiche Steuerbetrag sein; sonst lasse ich nicht mit mir reden, weil ich Einnahmeausfälle nicht hinnehmen kann", dann muß man auch bereit sein, zur Herstellung größerer steuerlichen Gerechtigkeit dafür zu sorgen, daß Steuerausfälle an einer Stelle durch erhöhte Steuereinnahmen an anderer Stelle ausgeglichen werden, weil man sonst unrecht hat, wenn man vor den Staatsbürger tritt und sagt: In meinen Kassen habe ich für die 5 dringend notwendigen Ausgaben nicht die ausreichenden Mittel zur Verfügung.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wie wollen Sie denn die großen Gemeinschaftsaufgaben anpacken, die nicht nur Mittel des Bundes erfordern und zu denen Sie die Länder und die Gemeinden bitter nötig haben, wenn Sie gleichzeitig die finanziellen Fundamente dafür zerstören, ob es sich um Erziehung, Forschung, Gesundheitswesen, Verkehr, Städtebau oder anderes handelt? Überdies hat unsere Gemeinschaft im Interesse der Modernisierung unseres Lebens neue Aufgaben zu erfüllen. Da ist es keine Zeit — ich sage das ganz hart und deutlich —, unserem Volke vorzugaukeln, daß wir den gemeinsamen Lebensstandard steigern können, wenn wir gleichzeitig unseren Wählern für 1965 allgemeine Steuersenkungen ohne Ausgleich versprechen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das läßt sich nicht miteinander vereinbaren, oder aber die Regierungserklärung Ihres eigenen Bundeskanzlers besteht nur aus leeren Worten, und übrig bleibt das Wahlversprechen der Steuersenkung und nichts für die anderen großen Zwecke der Gemeinschaftsaufgaben, gegen deren Notwendigkeit ja auch von Ihnen hier eigentlich kein Widerspruch zu hören war.
    Hier wird das Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika erwähnt. Nun gut. Wozu wird dort eine Steuersenkung betrieben? Um fünf Millionen Arbeitslosen allmählich zur Beschäftigung zu verhelfen; während wir bei uns nach übereinstimmender Meinung des Hauses doch zur Zeit keine Massenarbeitslosigkeit, sondern Überbeschaftigung haben. ist das nicht ein Unterschied.?

    (Abg. Etzel: Haben Sie schon einmal etwas von Eigenkapitalbildung gehört?)

    — Natürlich; sicher habe ich davon etwas gehört; so dumm bin ich gar nicht.

    (Abg. Etzel: Das ist in Amerika völlig anders!)

    — Das amerikanische Steuersenkungsprogramm hat aber genau dieses Ziel der Mobilisierung zum Zwecke der Ingangsetzung eines neuen Impulses in der Wirtschaft, zur Gewinnung neuer Arbeitsplätze.



    Erler
    Und wenn wir schon mal sagen, was wir alles schon gehört haben — wissen Sie denn, von welch hohen Steuensätzen die Amerikaner eigentlich herunter wollen? Die Steuersätze bei den direkten Steuern gehen dort ibis auf 90 %.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Sie sprechen vom Durchschnitt; wir unterhalten uns über die Spitzeneinkommen, die bei uns bei 53 % auslaufen, in den Vereinigten Staaten von Amerika bei beinahe 90%.

    (Beifall bei .der SPD. — Abg. Etzel: Wir fangen in der Spitze mit 340 000 an, die Amerikaner mit 800 000! Das ist der Unterschied bei den Spitzeneinkommen!)

    Selbst nach Senkung der amerikanischen Steuersätze sind sie immer noch höher als bei uns.
    Was allerdings völlig anders ist bei dem internationalen Steuervergleich, das ist:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die Abschreibungssätze!)

    daß unsere Belastung, die hinsichtlich der Steuerbelastungsquote ungefähr auf gleicher Höhe mit der in den meisten anderen Ländern liegt, im Schnitt für die Masse der Bürger höher als in den Vereinigten Staaten ist, daß unsere Belastung in einem höheren Ausmaße als bei den im Wettbewerb mit uns stehenden Partnern eine Belastung der Masseneinkommen durch Verbrauchsteuern, Zölle und indirekte Steuern ist.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Fritz — Schauen Sie sich die amerikanischen und britischen Zahlen dazu an, dann werden Sie das einwandfrei feststellen können. (Abg. Dr. Fritz [Ludwigshafen] : Dann müssen Sie eine genaue Analyse haben; dann stellen Sie ein ganz anderes Ergebnis fest.)

    Deswegen sollen wir ganz nüchtern hier feststellen: Wer bereit ist, dem Mittelstand zu helfen, der muß wissen, daß es für diesen hilfsbedürftigen Mittelstand eine Obergrenze gibt — über deren Abgrenzung wir uns dann ernsthaft miteinander unterhalten müssen —, weil es tatsächlich Einkommen und Vermögen gibt, die keiner fühlbaren Entlastung bedürfen. Das ist unbestritten.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Etzel: Sie haben in Essen mehrfach erklärt: Keine Steuererhöhung!)

    — Sicher! Keine allgemeinen Steuererhöhungen, sondern Ausgleich im Sinne größerer steuerlicher Gerechtigkeit; jawohl. Nehmen wir einmal den interessanten Fall der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer. Herr Kollege Strauß hat behauptet, wenn wir diese Abzugsfähigkeit beseitigen, dann geht der Mittelstand zugrunde.

    (Abg. Strauß: Das ist simplifiziert!)

    — So haben Sie es aber hier dargestellt; dann haben Sie es so simplifiziert dargestellt. Unsere Vorlage enthält ausdrücklich die Vorschrift, daß gerade für alle mittelständischen Einkommen die Abzugsfähigkeit bei bestimmten Vermögen mittelständischer Größenordnung erhalten bleibt und daß lediglich bei den idarüber hinausgehenden Beträgen die Vermögensteuer nicht mehr abgezogen werden soll, weil dort durch die Steigerung der Progression bei der Einkommensteuer in wachsendem Ausmaße die Vermögensteuer gar nicht vom Steuerpflichtigen, sondern auf dem Umweg über den Abzug bei der Einkommensteuer vom Finanzamt entrichtet wird. Das ist ungerecht, das muß man beseitigen.


Rede von Erwin Schoettle
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Abg. Erler: Bitte!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Kollege Erler, ist Ihnen klar, daß mit dieser steuerlichen Änderung in Verbindung mit der Änderung des Bewertungsgesetzes sich für ,das, was man ohne Zweifel „gewerblichen Mittelstand" nennt, steuerliche Mehrbelastungen ergeben, deren Auswirkung auf seine Existenzfähigkeit geprüft werden muß, bevor man so einfache, simplifizierte Feststellungen trifft?