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ID0410614200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 106. Sitzung Bonn, den 9. Januar 1964 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . 4825 A, 4912 C Fragestunde (Drucksachen IV/1766, IV/1806, IV/1812) Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Zweites Fernsehprogramm in der Pfalz Stücklen, Bundesminister 4825 C, D, 4826 A Dr. Müller-Emmert (SPD) 4825 D Kaffka (SPD) 4826 A Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Erleichterungen bei der Rentenauszahlung Stücklen, Bundesminister . . 4826 A, B, C, D, 4827 A, B, C Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . . 4826 B, D Cramer (SPD) 4826 C Fritsch (SPD) 4827 A Büttner (SPD) 4827 B Dürr (FDP) 4827 C Fragen des Abg. Dr. Kübler: Schadenersatzforderungen für verlorengehende Telegramme und Haftpflicht für nicht übermittelte Telegramme 4827 D Fragen des Abg. Kubitza: Zulässige Wörter bei gedruckten Glückwunschkarten Stücklen, Bundesminister . . 4828 A, C, D, 4829 A, B Kubitza (FDP) . . . . . . . 4828 C, D Schwabe (SPD) 4829 A, B Sänger (SPD) 4829 B Fragen des Abg. Strohmayr: Zahl der noch in Wohnlagern untergebrachten Familien und Einzelpersonen Krüger, Bundesminister 4829 C Frage des Abg. Fritsch: Grabmal des Unbekannten Soldaten Höcherl, Bundesminister 4830 A Frage des Abg. Fritsch: Gesetz über den Grenzaufsichtsdienst Grund, Staatssekretär 4830 B, C, D, 4831 A Fritsch (SPD) 4830 B, C Lautenschlager (SPD) 4830 D Gscheidle (SPD) . . . . . . . 4831 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Januar 1964 Frage des Abg. Cramer: Gemeinde Nordseebad Wangerooge Schmücker, Bundesminister . . . 4831 A, C Cramer (SPD) 4831 C Fragen des Abg. Glüsing (Dithmarschen) : Deutsche Muschelfischerei . . . . . 4831 D Fragen des Abg. Dr. Gleissner: Angebliche Erklärung des Leiters des Flughafens München-Riem betr. Starts und Landungen in östlicher Richtung Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 4832 A, B Frage des Abg. Dr. Ramminger: Anschluß der Autobahn Regensburg- Passau an die geplante österreichische Autobahn Linz-Passau Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 4832 C, D Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . . 4832 C Frage des Abg. Dr. Ramminger: Änderung der früheren Linienführung der Autobahn Linz-Passau Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 4832 D, 4833 A, B Fritsch (SPD) . . . . . . . . . 4833 A Frage des Abg. Dr. Ramminger: Trasse der Autobahn Regensburg-Passau Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 4833 B, C Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . 4833 B Fritsch (SPD) 4833 C Frage des Abg. Dr. Pohlenz: Teilstück Wesel-Hamminkeln der Holland-Autobahn Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 4833 D, 4834 A Dr. Pohlenz (SPD) 4833 D Frage des Abg. Dr. Pohlenz: Verkehr zwischen der Autobahnabfahrt Hamminkeln und der Bundesstraße 8 Dr. Seiermann, Staatssekretär . 4834 A, B, C Dr. Pohlenz (SPD) 4834 B, C Frage des Abg. Büttner: Änderung oder Ergänzung der Straßenverkehrsordnung (§ 45 StVO) Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 4834 C, D, 4835 A Büttner (SPD) . . . . . 4834 D, 4835 A Sammelübersicht 24 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache IV/1779) 4835 B Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Beteiligungsverhältnisses an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer (Drucksache IV/1770) Dr. h. c. Eberhard, Staatsminister . . 4835 B Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 4838 B Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 4838 D Dr. Imle (FDP) 4839 D Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1964 (Haushaltsgesetz 1964) (Drucksache IV/1700) — Erste Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1963 (Nachtragshaushaltsgesetz 1963) (Drucksache IV/1699) — Erste Beratung — Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler 4840 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 4849 B, 4908 A Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . . 4859 C Dr. Emde (FDP) 4864 A Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) . . . 4871 D Erler (SPD) 4883 D Dr. Vogel (CDU/CSU) . . . . . 4892 B Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 4898 B Ritzel (SPD) . . . . . . . . . 4899 D Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 4902 C Dr. Dichgans (CDU/CSU) . . . . . 4904 D Dr. Artzinger (CDU/CSU) . . . . 4906 C Seuffert (SPD) . . . . . . . . 4909 D Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 4910 A Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes vom 22. Juni 1954 über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21. November 1947 und über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche Organisationen (Drucksache IV/1482); Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses (Drucksache IV/1776) — Zweite und Dritte Beratung — . . . . . . . . . 4911 D Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Januar 1964 III Entwurf eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei sowie zu dem mit diesem Abkommen im Zusammenhang stehenden Abkommen (Drucksache IV/1788) 4912 A Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Strafrechtsänderungsgesetzes (CDU/CSU, SPD, FDP) (Drucksache IV/ 1817) 4912 C Nächste Sitzung 4912 C Anlage 4913 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Januar 1964 4825 106. Sitzung Bonn, den 9. Januar 1964 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Adorno 31. 1. Dr. Aigner * 9: 1. Frau Albertz 10. 1. Arendt (Wattenscheid) 10. 1. Bauer (Wasserburg) 10. 1. Frau Berger-Heise 10. 1. Bergmann * 9. 1. Frau Beyer (Frankfurt) 10. 1. Birkelbach* 9. 1. Frau Blohm 10. 1. Blumenfeld 18. 1. Frau Brauksiepe 10. 1. Dr. von Brentano 21. 3. Brück 10. 1. Brünen 10. 1. Dr. Burgbacher * 9. 1. Deringer * 9. 1. Frau Dr. Elsner * 9. 1. Faller * 9. 1. Dr. Frede 10. 1. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 10. 1. Dr. Furler* 9. 1. Dr. Gerlich 10. 1. Günther 10.1. Haage (München) 10. 1. Hahn (Bielefeld) * 9. 1. Hammersen 10.1. Dr. Harm (Hamburg) 31. 1. Hauffe 10. 1. Dr. Hellige 9. 1. Dr. Hesberg 9. 1. Holkenbrink 9. 1. Hörauf 4. 2. Hörmann (Freiburg) 9. 1. Illerhaus * 9. 1. Frau Jacobi (Marl) 10. 1. Kalbitzer * 9. 1. Kemmer 9. 1. Dr. Kempfler 10.1. Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Klein (Saarbrücken) 10. 1. Klinker * 9. 1. Dr. Kreyssig 10. 1. Kriedemann * 9. 1. Dr. Kübler 16. 1. Freiherr von Kühlmann-Stumm 9. 1. Lemmer 10. 1. Lenz (Bremerhaven) 15.2. Lenz (Brühl) * 9. 1. Lücker (München) * 9. 1. Margulies * 9. 1. Mauk * 9. 1. Mengelkamp 10. 1. Metzger * 9. 1. Michels * 9. 1. Dr. Miessner 10. 1. Dr. Müller-Hermann * 9. 1. Peiter 10.1. Dr.-Ing. Philipp * 9. i. Frau Dr. Probst * 9. 1. Rademacher * 9. 1. Richarts * 9. 1. _ Ruland 22. 2. Dr. Rutschke 17. 1. Sander 10. 1. Schmitt-Vockenhausen 9. 1. Schneider (Hamburg) 24. 1. Seidl (München) 10. 1. Seifriz * 9. 1. Dr. Seume 10. 1. Dr. Starke * 9. 1. Frau Strobel* 9. 1. Struve 10. 1. Weinkamm * 10. 1. Wendelborn 10. 1. Wilhelm 10. 1. Wolf 9. 1. Wullenhaupt 31. 1. Zoglmann 9. 1. b) Urlaubsanträge Dr. Bieringer 7. 2. *) Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zeitpunkt der
    Haushaltsdebatte ist dazu angetan, ja er zwingt fast dazu, Rechenschaft über die rückliegenden Monate abzulegen. Ich verwalte mein Amt erst seit drei Monaten; aber in diesen drei Monaten hat sich manches, auch über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus ereignet. Es scheint mir zweckmäßig zu sein, darüber hier einiges auszuführen. Sie wissen, daß sich durch den tragischen Tod des Präsidenten Kennedy in Amerika ein Wechsel in der Präsidentschaft vollzogen hat. Sie wissen, daß in Großbritannien das Amt des Premierministers in der Person von Lord Home neu besetzt worden ist. In Italien ist eine neue Regierung gebildet worden. Da ist es eigentlich fast selbstverständlich, daß man sich nicht nur in unserem Lande, sondern in der Welt fragt, welche Konsequenzen sich hieraus für die Politik ergeben, sei es im nationalen, im europäischen Raum, in der atlantischen Zusammenarbeit oder auch in den Ost-West-Beziehungen.
    Bevor ich zu der Haushaltsfrage als solcher Stellung nehme, darf ich, obwohl mir kein Votum zusteht, zu der soeben erfolgten Abstimmung folgendes sagen. Die Bundesregierung begrüßt es natürlich außerordentlich, daß es gelungen ist, zwischen Bund und Ländern zu einem besseren Verhältnis zu kommen, und daß damit nicht nur der leidige Streit um die Anteile an der Einkommen- und Körperschaftsteuer beigelegt worden ist, sondern daß auch über die Ausgleichsforderungen eine befriedigende Regelung erzielt werden konnte. Wir haben also jetzt Ruhe, um die Verfassungsreform vorzubereiten. Ich glaube, daß damit ein weiterer Schritt vorwärts in Richtung auf eine Verständigung getan worden ist.
    Ich wäre aber nicht ehrlich, wenn ich nicht zugleich auch gewisse Bedenken in bezug auf den Ausgleich des Haushalts von 1964 äußerte. Der Haushalt ist bekanntlich auf einem Bundesanteil von 40 % aufgebaut. Der Beschluß, der soeben erfolgt ist, besagt — in Mark und Pfennig ausgedrückt —, daß in einem Bundeshaushalt, der mit 60,3 Milliarden DM abschließt, ein zu deckendes Defizit von rund 400 Millionen DM auftritt.
    Es ist hier nicht der Ort, die Deckungsfragen zu behandeln. Die Möglichkeiten aber, die zur Verfügung stehen, möchte ich nicht gerade als klassische Mittel der Finanzierung bezeichnen. Also: in meine Freude auf der einen Seite mischt sich aber auch kein Jubel über das erzielte Ergebnis.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor der Haushaltsdebatte darf ich zuerst einmal ein Wort der Verbundenheit und der Anerkennung für den Finanzminister sagen. Wir wollen uns nicht darüber streiten, wem hier die größeren Verdienste zukommen, sei es an dem Zustandekommen des Burgfriedens zwischen Bund und Ländern, sei es an der Haushaltsdisziplin im ganzen; das scheint mir in einer Koalition nicht gemäß zu sein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich weiß es sehr wohl zu würdigen, daß der Finanzminister in gleicher geistiger Haltung und in gleich hohem Verantwortungsbewußtsein an die Bearbeitung und an den schließlichen Erfolg des Haushalts-



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
    ausgleichs herangegangen ist. Ihm gilt nicht nur der Dank der Bundesregierung, sondern, ich glaube, das ganze Hohe Haus ist ihm für seine Mühen Dank schuldig.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie wissen aus der Regierungserklärung, daß ich in den Mittelpunkt der Bemühungen unserer Politik der Bundesregierung gestellt habe die eiserne Zucht, um die Stabilität unserer Wirtschaft, unserer Währung, den Schutz der Kaufkraft des deutschen Volkes zu gewährleisten.

    (Zuruf von der SPD: „Eiserne Zucht"?!)

    — Meine Herren von der Opposition, das ist ganz ehrlich gemeint. Wir sind bei dem Haushalt ausgegangen von einer Zuwachsrate von 1963 auf 1964 von realiter 4,5 %; das bedeutet nominell rd. 6 %. Aber darin liegt schon eine gewisse Problematik. Ich finde es gefährlich, wenn hier, sei es von seiten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute, sei es von seiten der Bundesregierung oder der Bundesbank, ein Verfahren Platz greift, daß man zwischen realem Zuwachs und nominellem Zuwachs unterscheidet. Denn praktisch beinhaltet das bereits, daß man eine gewisse Preissteigerung von 11/2 bis 2 % als eine gottgewollte Einrichtung hinzunehmen bereit ist.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich bin also von seiten der Regierung nicht bereit, über die mit real 4,5 % angenommene Zuwachsrate hinauszugehen.
    Wir waren schon etwas großzügig, indem wir 6 % nominell eingesetzt haben, weil sonst keine Möglichkeit des Ausgleichs bestanden hätte —

    (Abg. Dr. Schäfer: Na also!)

    in voller Kenntnis der Gefahren, die daraus erwachsen, wenn wir uns nicht rechtzeitig besinnen. Aber ich lasse mich über die 4,5 % nicht hinauslocken, auch nicht von den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben die 4,5 % mit ihnen gemeinsam erarbeitet.
    Ich darf z. B. daran erinnern, daß im Jahre 1963 die tatsächlich erreichte Zuwachsrate Unter den Ansätzen geblieben ist, die im Wirtschaftsbericht des vergangenen Jahres angenommen wurden. Eine verantwortungsbewußte Regierung muß hier vorsichtig operieren. Im übrigen: wenn wir uns auf 5 bis 51/2% realen Zuwachs einließen und sich dann automatisch eine nominelle Steigerung von 3 % ergeben würde, dann bedeutete das, daß wir mit dieser Mehrausgabe des Bundes von 7 % praktisch das Signal für alle Forderungen geben, die im Jahre 1964 laut werden. Ich möchte aber nicht noch einmal erleben, daß man sich draußen im gewerblichen Leben, sei es auf der Arbeitgeber-, sei es auf der Arbeitnehmerseite, immer wieder auf die Haltung und die Politik der Regierung bezieht und sagt:
    Wenn die da oben nicht sparen, kann man es von uns auch nicht verlangen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich glaube also, daß wir ein Beispiel zu geben haben.
    Und das nicht zuletzt, meine Damen und Herren, wenn Sie betrachten, was sich rund um Deutschland auf dem Gebiet der Kosten- und Preissteigerung ereignet. Das sollte uns eine ernste Mahnung sein. Wenn die Konjunktur bei uns im Innern auf Sonnenschein steht, vor allen Dingen durch die starke Auslandsnachfrage hervorgerufen, dann wollen wir das nicht so sehr als unser eigenes Verdienst und als Erfolg der Produktivitätssteigerung unserer Volkswirtschaft hinstellen, sondern wir profitieren von den größeren Sünden, die andere begehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Inflation ist kein Ordnungselement, meine Damen und Herren, das uns weiterhelfen könnte oder geeignet wäre, die Integration und den Zusammenhalt innerhalb Europas und der freien Welt zu fördern.
    Wir haben mannigfache Beispiele gerade auch aus der jüngsten Zeit, daß ein Volk nicht nur über seine Verhältnisse leben kann, sondern daß es auch über seine Verhältnisse investieren kann. Ich sage hier ganz deutlich: ich gehöre nicht zu jenen Wachstumsfanatikern — nicht, ohne dieses Streben zu besitzen —, die sich vorher ausrechnen: Soundso viel muß erreicht werden, sei es in einem Jahr oder in zehn Jahren, und dann Gefangene der eigenen Politik, der eigenen Voraussage sind. Dieser Wachstumsfanatismus hat wesentlich dazu beigetragen, in der Welt die inflationäre Entwicklung weiter voranzutreiben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mir ist ein etwas geringeres Wachstum bei innerer Stabilität von Wirtschaft und Währung sehr viel sympathischer als große Wachstumsziffern, als diese Großmannssucht, die den Effekt auslöst, daß inflationäre Entwicklungen nur immer stärker voranschreiten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sonst nur noch zu dem Haushalt einige ganz wenige Worte, meine Damen und Herren. Ich glaube, daß das, wenn ich die öffentliche Kritik allenthalben lese, zu sagen notwendig ist.
    Die größte Ausgabensteigerung vor Jahre 1963 auf 1964 entfällt, wie auch der Herr Finanzminister schon ausgeführt hat, auf die Sozialausgaben, die jetzt 3041/4 des gesamten Haushalts ausmachen und die gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 20 % aufweisen. Das ist die höchste Zuwachsrate in den Sozialausgaben, die wir bisher erreicht haben, und vor allen Dingen die höchste Zuwachsrate, die auch im Haushalt 1964 auf die verschiedenen Kategorien entfällt. Ohne daß ich jetzt die Kriegsopferfrage behandeln will, möchte ich doch sagen: Auch für die Kriegsopfer sind in der Vorlage der



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
    Bundesregierung 15% Mehrausgaben gegenüber dem Jahre 1963 eingesetzt.
    Die Verteidigungsausgaben haben nur eine Steigerung von 5% erfahren, allerdings, wie auch schon hier dargelegt wurde, nach sehr erheblichen Zuwachsraten in den vergangenen Jahren. Aber wir wissen ja alle, wie wichtig, wie lebensentscheidend, wie schicksalhaft unsere Aufwendungen für die Verteidigung, d. h. unsere Verteidigungsbereitschaft und unser Verteidigungswille sind. Ich glaube, daß alles, was sich im letzten Jahr auf politischem Felde ereignet hat, und alles, was an Entspannung bisher als Realität betrachtet werden kann, uns nicht zu der Auffassung berechtigt, daß wir in unseren Verteidigungsanstrengungen erlahmen dürften. Jedenfalls ist eine Kürzung des Verteidigungshaushalts — um es gleich zu sagen — von dem jetzigen Stand völlig unmöglich und wäre weder politisch aus unserer eigenen Sicht und Verantwortung noch aus der Sicht des westlichen Bündnisses überhaupt zu verteidigen.
    Ich muß Ihnen auch noch sagen — um alle meine Sorgen loszuwerden —, daß ich nicht alles ernst nehme, was an zusätzlichen Ausgabewünschen im Raum steht; denn wenn ich das alles zusammennehmen wollte und annehmen müßte, daß das uns in diesem Jahr noch beschäftigen wird, dann errechnete sich daraus noch eine zusätzliche Ausgabe von 2,6 Milliarden DM über die 60,3 Milliarden DM hinaus. Daß das nicht ernst gemeint sein, daß aber die Bundesregierung unmöglich bereit sein könnte, solche Mehrausgaben anzuerkennen, das möchte ich jedenfalls nicht verschweigen.
    Damit, meine Damen und Herren, sei es mit dem Haushalt zunächst genug. Ich sagte Ihnen ja, daß ich einen Rechenschaftsbericht über die politischen Ereignisse dieses letzten Vierteljahres geben will, und ich hoffe, Sie nehmen das so hin, wie es gemeint ist — nämlich nicht polemisch —: als eine Unterrichtung. Ich glaube, es ist eine gute Sache und ist ein guter demokratischer Grundsatz, wenn der Regierungschef auch zwischen den Zeiten Gelegenheit nimmt, das Parlament zu unterrichten.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Ich kann bei dieser Betrachtung nicht streng dem historischen Ablauf folgen. Aber es ist wohl richtig, wenn ich zunächst auf die Beziehungen zu Frankreich zu sprechen komme, die ihren besonderen Ausdruck bei meinem Besuch in Paris gefunden haben. Ich stelle voran — unmißverständlich — das Bekenntnis auch dieser Bundesregierung zu der Freundschaft und Aussöhnung mit Frankreich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Sie ist das tragende Element unserer Politik, denn es gäbe kein Europa, es gäbe keine europäische Politik, es gäbe keine europäische Integration, und es gäbe zuletzt auch keine atlantische Partnerschaft, wenn nicht auf der Grundlage der Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland das bewegende Element der europäischen Einigung geschaffen worden wäre.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Ich war mir mit dem französischen Staatspräsidenten durchaus einig: Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag soll nichts Exklusives an sich haben, sondern er soll, so möchte ich sagen, zur europäischen Sammlung mahnen. Rein technisch gesehen wäre zu sagen, daß er sowohl eine zentrifugale wie auch eine zentripetale Wirkung auslösen könnte. Es wird unser aller Mühe bedürfen, diesem Freundschaftsvertrag einen zentripetalen Effekt zu geben, d. h. nicht andere abzustoßen und vor allen Dingen den kleineren Ländern nicht das Gefühl zu geben, daß sie zweitrangig beiseite zu stehen haben bzw. daß die europäische Politik nur von diesen beiden Partnern inspiriert wird.

    (Beifall in der Mitte.)

    Aber, wie gesagt, da gibt es keine echte Differenz in den Auffassungen.
    Wir haben in diesem Jahr dann schließlich in Brüssel — und darauf werde ich noch zu sprechen kommen — erfahren, daß die EWG nicht ohne Risiko, am Ende aber zweifellos eine innere Festigung erreicht hat. Wenn ich dem hinzufüge, daß die Freundschaft zwischen den beiden Ländern Frankreich und Deutschland in den Völkern selbst fest verwurzelt ist, dann ergibt sich meiner Ansicht nach auch insofern in gesamteuropäischer Sicht eine neue politische Situation, als wir nicht mehr besorgt zu sein brauchen, daß ein weiterer Partner innerhalb der EWG etwa diese innere Geschlossenheit sprengen könnte oder daß die deutsch-französische Freundschaft gefährdet wäre, wenn auch ein drittes Land uns umarmen möchte. Insofern ruhen die Dinge schon zu sehr in sich selbst, haben ein eigenes Gewicht erlangt, als daß wir nach dieser Richtung eine übergroße Ängstlichkeit an den Tag zu legen bräuchten.
    Meine Damen und Herren: der französische Staatspräsident weiß ganz genau, daß wir Deutsche das jetzige Europa im Bereich der Sechs nicht als der Weisheit letzten Schluß ansehen. Das ist ja in den Richtlinien der Politik oft genug zum Ausdruck gekommen, nicht zuletzt auch in dem Votum dieses Hohen Hauses selbst. Aber wir sprechen in diesem Augenblick Großbritannien nicht an, und wir erwarten 'in diesem Augenblick auch von Großbritannien keine Antwort. So ist also dieses Problem nicht unmittelbar aktuell, aber es ist auch nicht vergessen und in der deutschen Politik nicht abgeschrieben.
    Natürlich hat die Frage der künftigen Gestaltung Europas in unserem persönlichen Gespräch eine große Rolle gespielt. Ich sagte dem französischen Präsidenten, daß wir völlig einer Meinung seien, wenn er sich ein starkes und geeintes Europa wünsche. Da mögen wohl Nuancierungen bestehen, daß ein Partner etwa an eine „dritte Kraft" glaube, der andere diesem Europa in dem Weltgeschehen nur das ihm zukommende politische Gewicht verleihen möchte. Daß aber Europa an innerer Stärke und Geschlossenheit gewinnen muß, ist unbestritten. Das



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
    gilt für den französischen Staatspräsidenten wie auch für mich.
    Allerdings stellt sich dabei sofort die Frage: Was ist vonnöten, um Europa zu dieser Geschlossenheit, auch zu stärkerer politischer Kraft und zu wirksamer Einflußnahme auf das politische Weltgeschehen zu verhelfen? Wir werden nicht umhin können, uns ernste Gedanken darüber zu machen, wie für die Zukunft — so wie die Dinge sich uns im Augenblick darstellen — dieses Europa wieder von der Stelle kommen kann.
    Schon als General de Gaulle im Sommer dieses Jahres hier in Bonn war, hatte ich Gelegenheit, mit ihm über die Frage zu sprechen, ob es genüge, in Europa eine wirtschaftliche Integration für sich allein fortzuführen. Nach meiner Überzeugung ist das nicht der Fall.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Das mag Ihnen merkwürdig vorkommen, da ich ja aus dem wirtschaftlichen Ressort komme. Aber das habe ich schon immer gesagt, daß mit dem Automatismus im Rahmen der Römischen Verträge, d. h. also auf dem Felde der wirtschaftlichen Integration allein, Europa nicht erstehen wird. Ich habe es auch in unserer Besprechung in Paris wiederholt: Die Annahme, daß allein mit der Weitung der wirtschaftlichen Beziehungen, mit dem Automatismus des Zollabbaus und allem, was noch dazugehört und sozusagen gesetzmäßig abläuft, Europa ersteht, so daß am Ende der Übergangszeit das politische Europa wie eine reife Frucht vom Baume fällt, ist falsch. Das wird nicht der Fall sein. Es wird vielmehr unser aller Anstrengungen, eines originären politischen Willens bedürfen, um Europa nicht allein zu einem technokratischen, sondern zu einem politischen Europa zusammenzufassen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Diese Meinung bedeutet beileibe keine Kritik an den bisher geschaffenen Einrichtungen, sei es der Montanunion, sei es der EWG oder der EURATOM. Deren Zusammenlegung ist gewiß auch ein Problem. Sie kann nützlich sein; aber man soll sich davon auch kein europäisches politisches Wunder versprechen.
    Wie sehen denn die Dinge im Augenblick aus? Wir geben eine nationale Zuständigkeit nach der anderen, einen Teil unserer Souveränität nach dem anderen ab an die geschaffenen Organe, insbesondere, wie wir ja um die Weihnachtszeit erfahren haben, nach Brüssel. Das ist alles gut und schön. Aber wir wissen im Grunde nicht, wem wir diese Rechte im letzten übertragen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Jedenfalls nicht an eine im demokratischen Sinne politisch verantwortliche Körperschaft,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der SPD)

    sondern an eine — wenn auch noch so vorzügliche — gemeinsame Verwaltungseinrichtung.

    (Abg. Wehner: Vergessen Sie dabei nicht den Ministerrat! Der ist da leider auch nicht ganz richtig!)

    — Jawohl! Dazu komme ich noch.
    So erhebt sich die Frage: Wer trägt eigentlich die letzte Verantwortung? Wer trägt, solange die nationale Souveränität fortbesteht, d. h. solange keine europäische politische Gestalt im staatsrechtlichen Sinne funktionsfähig ist, die Verantwortung? Können also die nationalen Regierungen und Parlamente vor ihren Völkern noch die ganze Verantwortung für sich tragen, wenn sie ein Teil nach dem anderen abgeben? Kann etwa die europäische Kommission im staatsrechtlichen, politischen, demokratisch-parlamentarischen Sinne diese Verantwortung übernehmen? Ganz bestimmt nicht! Die Frage, wie ein europäisches Parlament geartet und geordnet sein könnte, mit welchen Vollmachten es ausgestattet sein müßte, sei hier nicht beantwortet; aber hier liegt ein ernstes Problem.
    Nun zu Ihrer Frage wegen des Ministerrates! Der Ministerrat soll sozusagen die Brücke zwischen der Arbeit der europäischen Kommission in Brüssel und den Entscheidungen der nationalen Regierungen sein. Hier ist also, so möchte ich sagen, die politisch-demokratische Nahtstelle. Aber ich mache auch kein Hehl daraus, daß es immer deutlicher wird, wie schwer es für den Ministerrat ist — und damit will ich gewiß nicht seine Würde und den Wert seiner Arbeit schmälern —, seine Funktion zu erfüllen. Er darf nicht Gefahr laufen, eine Art Feigenblatt zu werden, wenn er nicht mehr in der Lage ist, allein dem Volumen nach diese Arbeit zu bewältigen. In unseren einschlägigen Ressorts sind beinahe ein Drittel der Beamten bloß mit den Papieren beschäftigt, die hinüber und herüber produziert werden. Die Minister sind dauernd auf Reisen, auf der Achse. Gestern lasen wir z. B. eine Glosse, daß wegen der Äpfel — es ging um „Jonathan" oder „Marie Luise" oder was weiß ich — viele Minister Hunderte von Kilometern sich bewegen müssen. Hier wird sichtbar, daß Europa Gefahr läuft, in viele tausend Einzelentscheidungen zerfasert zu werden. Aber der Blick für das Ganze geht dabei nur zu leicht verloren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun, was folgt daraus? Ich sagte dem französischen Staatspräsidenten, daß nach meiner Überzeugung eine neue Initiative politischer Art zur Neugestaltung Europas erfolgen sollte. Ich kann darauf verzichten, den historischen Ablauf zu schildern, was sich ereignete, um den Elan zu mindern und einen Stillstand herbeizuführen. Jedenfalls ist eine gewisse Malaise in der europäischen politischen Integration zu verzeichnen. Aber die Müdigkeit darf nicht länger auf Europa lasten. Es scheint mir dringend notwendig zu sein, daß wir einen neuen Anlauf nehmen.
    Ich kann heute um so freimütiger sprechen, als in der Zwischenzeit auch der französische Staatspräsident und der Ministerpräsident Pompidou sich zur gleichen Frage geäußert haben. Der französische



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
    Staatspräsident äußerte sich mir gegenüber bereits im November dahin, daß, wenn er auch persönlich keine Initiative entfalten wolle, er doch damit einverstanden sei, wenn ich für ,die Bundesrepublik dieses Thema so etwa bei meinem nächsten Besuch in Rom anschneiden wolle. Ich bin für dieses Gespräch sehr dankbar; denn ich wollte und konnte nicht im Alleingang eine europäische Initiative entfalten. Das ist nur möglich im Einvernehmen mit unseren Partnern, mit unseren Freunden. Der französische Staatspräsident ermächtigte mich, auch in seinem Namen zu sprechen. Er wäre, wie zwischenzeitlich bestätigt, bereit, nach Rom zu kommen, d. h. eine Einladung des italienischen Regierungschefs zu einer Zusammenkunft der Regierungschefs und der Außenminister anzunehmen. Ich kann nur mit großer Genugtuung die Aufgeschlossenheit des französischen Staatspräsidenten verzeichnen; damit glaube ich, daß wir wieder einen Schritt vorwärts tun können.

    (Zustimmung in der Mitte)


    Ich habe mich wohlweislich gehütet, in vorgenormten Begriffen und Kategorien zu denken, denn irgendwie sind sie alle vorbelastet, ob Fouchet-Plan I oder Fouchet-Plan II. Man sollte also aus der augenblicklichen politischen Situation die Konsequenzen zu ziehen bereit sein.
    Nun wurde im Zusammenhang mit meinem Besuch in den Vereinigten Staaten die Frage gestellt, wie es um die zweifellos vertiefte Freundschaft zu den Vereinigten Staaten und die Sicherung der Freundschaft und der gesicherten Aussöhnung mit Frankreich bestellt sei. Ich hege in dieser Beziehung gar keine Sorge. Das ist kein Widerspruch, sondern verträgt sich miteinander sehr gut. Ich bin auch nicht eingebildet genug, zu glauben, Deutschland sei der Nabel der Welt. Wir haben nur unseren redlichen Teil zur Versöhnung der freien Welt beizutragen und dann, wenn sie vereint, wenn sie stark ist, das Mögliche und Realistische zu tun, um die Ost-West-Spannungen zu mindern.
    Wir sprechen nicht doppelzüngig, nicht mit verschiedenen Zungen. Ob wir mit Frankreich sprechen oder mit den Vereinigten Staaten, es ist immer die gleiche innere, die gleiche moralische, die gleiche politsche Haltung, die uns beseelt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir treiben auch keine unwahrhaftige Politik. Deshalb brauchen wir auch nicht besorgt zu sein, daß wir etwa in die Situation kommen, die man profan so bezeichnen könnte: man setzt sich zwischen alle Stühle. Wir werden aber bestimmt nicht „zwischen" den Stühlen sitzen.
    Es war sehr interessant zu hören, daß es dem französischen Staatspräsidenten gar nicht einfalle, die Bundesregierung etwa vor die Alternative Freundschaft zu Frankreich oder Freundschaft zu Amerika zu stellen; er meinte, daß das geradezu einem schlechten Witz gleichkäme. Frankreich hat durchaus Verständnis dafür, daß für uns die feste Freundschaft mit Amerika — so wie das westliche Verteidigungsbündnis nun einmal geartet ist — ein lebensentscheidendes Element darstellt. Ich kann
    Ihnen umgekehrt sagen, daß der amerikanische Präsident in unserem Gespräch ausdrücklich beteuerte, wie glücklich auch die Vereinigten Staaten seien, daß die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich gelungen ist. Präsident Johnson weiß sehr wohl, daß, wenn die atlantische Partnerschaft, wenn vor allem die innere Stärke des westlichen Bündnisses Bestand haben soll, auch und vor allem die deutsch-französische Freundschaft gesichert sein muß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen darf ich darauf verweisen, daß sich schon Präsident Kennedy dahin äußerte — und sein Außenminister hat ,es wiederholt —, daß, so wertvoll die Freundschaft mit Deutschland sei, es nicht Ziel oder Ideal der USA sein könne, ein Koordinatensystem bilateraler Beziehungen zu allen europäischen Ländern zu errichten. Amerika würde viel glücklicher sein, wenn es sozusagen eine Adresse in Europa hätte, an die es sich wenden könnte, — d. h. ein Europa zu wissen, das aus gemeinsamer Haltung, aus gleicher Gesinnung und Verpflichtung an der Gestaltung der freien Welt mitzuarbeiten bereit wäre.
    Insofern besteht also nicht die geringste Disharmonie. Ich habe das in Amerika in einer großen Pressekonferenz über alle Maßen auch deutlich werden lassen.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, daß alles uns lehren sollte, wie eng die atlantische Welt zusammenstehen muß, Es ist ganz sicher, daß der französische Staatspräsident die westliche Allianz voll bejaht. Er bekannte sich ausdrücklich als ein treuer Partner und Verbündeter der westlichen Allianz, wie er das z. B. bei dem Fall Kuba ganz deutlich bezeugte. In allen deutschen Fragen ist Frankreichs Haltung von unserem Volke hoch anerkannt. Dazu ist nur auf die Vorkommnisse auf der Autobahn zu verweisen.
    Daß indessen der französische Staatspräsident in bezug auf die Wirksamkeit und Organisation der NATO unsere Meinung nicht teilt, das brauche ich hier nicht zu erläutern; es ist bekannt genug. Aber das wurde auch klar ausgesprochen. Die Positionen wurden beiderseits eindeutig bezogen, sowohl in den Fragen, in denen wir uns völlig einig sind — im Denken und in den Zielen —, aber auch in jenen Fragen, in denen wir eben nicht ganz beisammen sind, aber doch jeder Partner seine Ansicht zum Ausdruck bringen kann und dann auch respektiert weiß.
    Ich kann Ihnen — weil es heute schon in der Zeitung steht — auch sagen, daß ich eine neuerliche Einladung des französischen Staatspräsidenten für Mitte Februar erhalten habe. Der General hat den Wunsch, sich vor seiner Lateinamerika-Reise mit mir noch einmal zu unterhalten.
    Natürlich war es mißlich und bedauerlich, daß sich der Fall Argoud ereignet hat. Ich möchte ihn hier nicht vertiefen; der Außenminister hat darauf vor dem Auswärtigen Ausschuß bereits Bezug genommen. Wir mußten unsere Rechtsposition mit aller Entschiedenheit wahren, aber wir werden ebenso



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard •
    besorgt sein, daß von diesem Fall und der Art seiner Erledigung — Sie kennen unsere deutschen Vorschläge — die deutsch-französische Freundschaft nicht ernstlich berührt oder gar bedroht wird.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Wehner: Aber das ist doch sicher keine Einladung zur Wiederholung von Menschenraub?!)

    — Nein, ich sage ja, wir wahren unsere Rechtsposition.

    (Abg. Erler: Hoffentlich sieht es die andere Seite auch so!)

    — Wir haben ja bereits zwei Noten an die französische Regierung gerichtet. Eine Antwort auf die letzte Note ist noch nicht erfolgt.
    Lassen Sie mich nun — weil das alles in einem unmittelbaren Zusammenhang steht — auf die Ereignisse in Brüssel zu sprechen kommen, d. h. auf die Regelungen, die dort im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gefunden wurden.
    Es kam mir sehr darauf an — und das war ja auch die Politik des vergangenen Jahres —, einen Weg zu finden, um aus der isolierten bzw. detaillierten Behandlung der Dinge herauszukommen. Diese Absicht kam in einem „Papier" vom 9. Mai zum Ausdruck, das vom Ministerrat angenommen wurde und praktisch besagt, daß mit der Regelung der noch ausstehenden Agrarmarktordnungen zugleich auch weitgehende Klarheit und Übereinstimmung über die Haltung bestehen muß, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in der Kennedy-Runde einnimmt. Am Rande spielen auch noch Wettbewerbsverzerrungen eine gewisse Rolle, aber ich glaube, daß ich nicht zu sehr auf Details eingehen sollte
    Unser Anliegen ist in den Verhandlungen in Brüssel auch berücksichtigt worden. Hinsichtlich der Agrarmarktordnungen konnte im Verfahren der Rahmen gesetzt werden, der zum Teil noch der materiellen Ausfüllung bedarf. Das wird in den nächsten Monaten noch geschehen.
    Ich habe den französischen Staatspräsidenten ausdrücklich gebeten, er möge den 31. Dezember nicht als ein politisches Datum setzen, während ich ihm das Versprechen gab, daß die Bundesregierung ganz bestimmt keine Verzögerungstaktik betreiben werde. Das haben wir auch nicht getan —, und so haben wir uns denn in Brüssel schließlich auch geeinigt.
    Es wurde gesagt und war zu lesen, daß es bei diesen Verhandlungen keine Sieger und keine Besiegten gab. Das ist zwar ein beliebter Slogan, aber in diesem Fall trifft die Aussage zu.
    Uns Deutschen kam es darauf an, vor allen Dingen sicherzustellen, daß mit der inneren Festigung auf dem agrarwirtschaftlichen Gebiet innerhalb Europas unsere Beziehungen zu Drittländern nicht schweren Schaden leiden. Nicht nur in die neuen Agrarmarktordnungen, sondern auch in die 1962 abgeschlossenen wurde eine Klausel aufgenommen, die man in unserer neuen Sprache die Klausel 39/110 nennt. In deutscher Sprache heißt das, daß sowohl
    die Ziele der europäischen Agrarpolitik zu beachten sind, aber nach den Römischen Verträgen auch sicherzustellen ist, daß die Wirtschaftsbeziehungen, die traditionellen Handelsströme gegenüber Drittländern nicht gestört oder gar zerstört werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zustimmung in der Mitte.)

    Dieses Schema hat natürlich auch einen wesentlichen Inhalt der Gespräche in Paris ausgemacht.
    Es ist nicht zu bestreiten — das ist auch wieder eine völlig natürliche Sache, die sich aus der unterschiedlichen Position der beiden Länder im Welthandel erklärt —, daß wir auf Grund unserer Struktur, auf Grund unserer weltweiten Beziehungen, auf Grund des Gewichts, das dem deutschen Außenhandel im Gesamtrahmen unserer Volkswirtschaft zukommt, stärker daran interessiert sein müssen, offene Märkte in der ganzen Welt vorzufinden, als das bei Frankreich, — ich sage eigens noch hinzu: heute noch der Fall zu sein scheint. Denn die Entwicklung in Frankreich zeigt deutlich, daß auch Frankreich immer mehr in die Weite streben muß und daß das, was wir heute als Beengung empfinden, morgen in Frankreich ebenso in Erscheinung treten wird. Wir haben also die Revisionsklausel in alle Agrarmarktordnungen, insbesondere auch in die schon abgeschlossenen, eingesetzt und glauben, daß dadurch eine beweglichere Politik auch innerhalb der Kennedy-Runde gewährleistet erscheint.
    Daneben spielen die Zolldisparitäten eine nicht unwichtige Rolle, vor allen Dingen diejenigen zwischen dem Gemeinsamen Markt und den Vereinigten Staaten. Aber ich würde wieder ins Technokratische verfallen, wenn ich darüber an dieser Stelle mehr sagte. Ich möchte dieses Problem nur als Erinnerunsgposten zur Ordnung des Wettbewerbs innerhalb der atlantischen Gemeinschaft anfügen.
    Im Zusammenhang mit meinem Besuch in den Vereinigten Staaten ist ein Mißverständnis aufgetreten, das ich dann sofort zu beseitigen suchte. Es waren Meldungen, die glauben lassen mußten, daß die deutsche Delegation mit den Vereinigten Staaten einen Sonderpakt oder ein Spezialabkommen in bezug auf die Kennedy-Runde oder auf die Gestaltung der Agrarmarktordnungen innerhalb der EWG geschlossen hätte. Nichts davon ist richtig; es handelt sich vielmehr um ein echtes Mißverständnis. Die Lage war so, daß uns bei unserem Besuch auf. der Ranch in Texas die Papiere von Brüssel noch nicht vorlagen. Daß wir als Hauptagrarimportland innerhalb der EWG für Drittländer besonders interessant sind, ist selbstverständlich. Ich denke z. B. an die Reislieferungen der Vereinigten Staaten und der Entwicklungsländer, aber auch an die Absatzmöglichkeiten für pflanzliche Ole und Fette auf dem deutschen Markt. Nachdem wir darüber keine Auskunft geben konnten, teils weil eben die Ausfertigungen noch nicht vorlagen, teils weil der Rahmen noch nicht mit materiellem Inhalt ausgefüllt war, kamen wir dahin überein, daß wir zu einem gemeinsamen Gespräch bereit seien — es handelt sich ja nicht um Geheimdokumente —, um zu prüfen, welche Konsequenzen sich aus den neuen Regelun-



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
    gen ergeben könnten. Das erfordert keine. Form, keine Institution, kein Abkommen. Wir springen also nicht aus der EWG heraus, sondern wir bleiben ihr treues Mitglied.
    In bezug auf die Handelspolitik bestehen natürlich innerhalb der EWG Nuancierungen. Sie bestehen aber nicht etwa nur zwischen Frankreich und der Bundesrepublik, sondern auch zwischen anderen Ländern.
    Ich habe in einer großen amerikanischen Zeitung gelesen, daß jetzt wieder das „neue alte Europa" in der Rückbildung begriffen sei. Ferner wurde behauptet, daß man z. B. in Brüssel nur um nationale Interessen gefeilscht habe. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß diese Deutung und diese Betrachtung unhaltbar, ja falsch ist. Natürlich hat jedes Land guten Grund, seine Belange zur Diskussion zu stellen. Aber das als ein Feilschen in dem alten nationalistischen Geist zu verstehen, wird dem Geist von Brüssel doch nicht gerecht. Von diesem solchem engen Egoismus waren die Brüsseler Verhandlungen denn doch nicht getragen. Wenn angefügt wurde, der Nationalismus feiere in Europa wieder Triumpfe, so kann ich reinen Herzens erklären, daß niemand freier von einem falschen und verlogenen Nationalismus ist, als ich es bin. Niemand wünscht ehrlicher, daß wir in Europa über die Nationalstaatlichkeit hinaus zum Gefühl einer gemeinsamen Verantwortung und einer gemeinsamen Politik zusammenfinden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der SPD.)

    Ich darf nun auf meinen Besuch auf der Ranch in Texas zu sprechen kommen. Natürlich war der äußere Rahmen im Vergleich zu meinem Besuch im Elysée-Palast differenziert genug. Aber die Differenzierung lag mehr in den äußeren Formen als im Geist und der Atmosphäre der Verhandlungen. Auch in Frankreich begegnete ich großer Aufgeschlossenheit, einer Herzlichkeit und dem redlichen Bemühen, von beiden Seiten das zu tun, was notwendig ist, um die Freundschaft zu pflegen. Nun, eine Ranch ist natürlich kein Elysée-Palast, und dieser keine Ranch. Die häusliche Atmosphäre in Texas hat dem Gespräch eine sehr private Note gegeben. Gewiß sind auch die Persönlichkeiten anders geprägt, —aber ist das nicht selbstverständlich? Aber auch hier — ich habe es vorhin schon angedeutet — bezieht sich das nicht auf eine differenzierte Haltung gegenüber Deutschland oder gegenüber Frankreich oder gar ein Konkurrenzverhältnis zwischen diesen beiden Ländern.
    Das freundschaftliche Verhältnis der Vereinigten Staaten zur Bundesrepublik Deutschland ist sicherlich gefestigt worden, daran ist gar kein Zweifel. Der amerikanische Präsident weiß und spürt ganz genau, daß Deutschland innerhalb Europas ein gewichtiger Partner ist, nicht nur wegen seiner Verteidigungsanstrengungen, nicht nur wegen der Verpflichtungen, die wir auf dem Felde der Entwicklungshilfe erfüllen, nicht nur wegen unserer Haltung gegenüber den drängenden amerikanischen Problemen wie etwa der Handels- und Zahlungsbilanz oder
    auch der Währungspolitik, die die amerikanische Öffentlichkeit sehr stark beschäftigen, sondern auch aus der Überzeugung heraus, daß Deutschland auf Grund seiner Lebensnotwendigkeiten und seiner volkswirtschaftlichen Struktur am ehesten in Richtung einer atlantischen Politik als Partner angesprochen werden könnte, — nicht um uns aus Bindungen herauszubrechen, sondern um uns zu ermuntern, unseren eigenen Idealen und Grundsätzen, die wir seit 1948 in der Bundesrepublik verfolgen, treu zu bleiben.
    Es kommt also nicht darauf an — und das wurde auch vom amerikanischen Präsidenten deutlich gemacht —, die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Europa in erster Linie als ein bilaterales Verhältnis zwischen den USA und Deutschland zu sehen — beileibe nicht! Auch die Amerikaner sagen: alles, was Sie tun können, all Ihr Einfluß, den Sie in Europa ausüben können, um dieses Europa stärker zu verklammern, findet unseren vollen Beifall; je einiger dieses Europa ist, je stärker es in sich selbst ist, um so mehr sind wir bereit und um so mehr können wir es vor unserem eigenen Volk verantworten, die so großen Anstrengungen für die Verteidigung der ganzen freien Welt fortzuführen.
    Wir dürfen ja nicht vergessen, daß die Vereinigten Staaten immerhin eine Million Soldaten außerhalb ihres eigenen Landes stehen haben, daß sie für den Frieden, für die Freiheit und für die Sicherheit in allen bedrohten Teilen der freien Welt zeugen. Sie sind nicht nur gegenüber uns engagiert, sondern allerorts in fast allen Kontinenten. Aber Sie kennen ja das Kommuniqué, das hinsichtlich der Haltung der Vereinigten Staaten in allen Fragen, die aus unserem deutschen Anliegen entstehen — Selbstbestimmung Wiedervereinigung, Sicherheit und Freiheit Berlins —, keinen Zweifel an der Bündnistreue der Vereinigten Staaten zuläßt. Das ist eine Fragestellung, die in unserem Lande nicht mehr laut werden sollte.

    (Beifall bei allen Parteien.)

    Ich habe auch das Gefühl sowohl aus meiner früheren Verbindung zu dem Präsidenten Kennedy wie jetzt aus meiner Verbindung zu Präsident Johnson, daß jede Frage dieser Art unberechtigt ist, — vor allem dann, wenn auch Europa seine Pflicht tut.
    Ich mache aber, meine Damen und Herren, gar kein Hehl daraus, daß der amerikanische Präsident mir sagte: Bei dem. hohen Risiko und den hohen Lasten, die wir auf uns nehmen, sind wir selbstverständlich interessiert, in Fortführung der Politik von Kennedy nichts unversucht zu lassen, um die Spannungen in der Welt zu mindern, wobei Sie sicher sein können, daß wir zugleich alles tun, um die Sicherheit, die Freiheit und die Gerechtigkeit in der Welt zu verteidigen und überall für sie einzustehen. — So hat man es in den Vereinigten Staaten auch begrüßt, daß wir Handelsmissionen in den Ostblockstaaten errichtet haben. Man war auch zu der Passierscheinregelung positiv eingestellt, nicht ohne zu übersehen, daß hier unter Umständen doch auch ein Pferdefuß dahintersteckt. Das ist ja auch nicht zu übersehen.



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
    Die Linien der amerikanischen Politik sind deutlich zu erkennen. Auf der einen Seite steht sie ein für die Freiheit in der Welt, gleichzeitig aber bleibt sie darauf bedacht, die Schwelle des heißen Krieges, soweit es ohne Bedrohung unserer Welt erreichbar erscheint, hinauszuschieben. Man erwartet, daß auch wir uns darüber Gedanken machen, ob und in welcher Weise wir dazu einen gemäßen Beitrag leisten können.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Der deutsche Beitrag, zu dem wir uns bereits verstanden, wurde durchaus in diesem Sinne und in dieser Richtung gewürdigt.
    In den Gesprächen hat natürlich auch die Frage der Verteidigung, und im besonderen des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses, eine Rolle gespielt. In diesem Zusammenhang war natürlich auch die Frage einer multilateralen Atomstreitmacht angesprochen. Bekanntlich haben wir uns positiv eingestellt, aber wir hegen zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten den lebhaften Wunsch, daß auch andere europäische Länder sich dazugesellen möchten und daß es in dieser Sache nicht bei einer bilateralen Verständigung bleiben möchte. Die Gespräche darüber sind bekanntlich im Gange. Ich möchte indessen den Ergebnissen nicht vorgreifen.
    Meine Damen und Herren! Wir waren uns mit den Vereinigten Staaten auch einig, daß wir nichts unternehmen sollten, um durch die Gewährung langfristiger Kredite die wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder Spannungen — ich will sie nicht charakterisieren, und ich kann sie auch nicht analysieren — zu vermindern. Das hat nichts zu tun mit Kaltherzigkeit. Wir spielen nicht den Shylock, sondern wir sind nur der Meinung, daß die Möglichkeiten, mit Chruschtschow doch auf dieser oder jener Ebene in dieser oder jener Sache in ein fruchtbares Gespräch zu kommen, um so geringer werden, je mehr die sogenannte kapitalistische Welt die Sowjetunion aus zweifellos vorhandenen Schwierigkeiten zu befreien bereit ist.
    Seien Sie also überzeugt; diese Besuche sowohl in Paris wie in Johnson — —

    (Zuruf)

    — Johnson-City, ja, das gibt es auch! (Heiterkeit)

    — auf der Ranch in Texas haben uns nicht dazu verleitet, wieder einmal zu glauben, wir Deutsche seien der Mittelpunkt der Welt. Wir sind aber auch kein amerikanisches Protektorat, diese falsche und durchsichtige Kennzeichnung ist jetzt manchmal zu hören. Nein, so fühlen wir uns wirklich nicht. Denn wir sind Freunde der Vereinigten Staaten, und zwar in gegenseitiger Bindung. Aber wenn Sie „Protektorat" so verstehen, daß wir des Schutzes der Vereinigten Staaten bedürfen, dann nehme ich diesen Begriff hin. Er darf nur keine falsche politische Deutung erhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie wissen, meine Damen und Herren, daß ich vor weiteren Reisen stehe. Ich habe gestern Herrn Adenauer gesagt: „In einer Beziehung habe ich mich getäuscht, nämlich in der Vorstellung, daß der Bundeskanzler sich vorwiegend mit inneren Fragen befassen müsse.." — Nein, er muß sich in gleicher Art auch der Außenpolitik widmen; denn unsere Zeit und unsere Welt sind nun einmal so geartet. So führt mich also mein Weg in der nächsten Woche nach London, Ende des Monats nach Rom und Mitte nächsten Monats noch einmal nach Frankreich.
    Zu den inneren Fragen, die da noch anstehen, möchte ich nicht mehr allzu viel sagen. Die Passierscheinfrage ist Ihnen bekannt genug. Ich betrachte sie durchaus nicht nur von einer Seite, ich erkenne die beiden Seiten. Gewiß ist nicht zu verkennen, daß die Begegnung von vielen Hunderttausenden Westberlinern mit ihren Anverwandten in der Ostzone natürlich auch eine politische Kraft bedeutet. Es wäre töricht, das leugnen zu wollen. Denn die Westberliner sind zudem ja auch nicht mit leeren Händen gekommen. Aber was mir noch wesentlicher erscheint, ist das: wir sind doch manchmal in der Welt vor die Frage gestellt worden: Ist die Sehnsucht der Deutschen nach Wiedervereinigung wirklich echt und stark, oder ist das mehr oder minder zu einem Slogan, zu einem Erinnerungsposten in der deutschen Politik geworden? — Gerade darauf ist in Berlin in den Weihnachtsfeiertagen eine eindeutige Antwort gegeben worden!

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.) Aber ich sagte schon: das ist die eine Seite.

    Es wäre nämlich völlig falsch, verkennen zu wollen, daß sich hinter dieser Aktion auch ein politisches Problem verbirgt. Sie kennen die Sage vom Trojanisches Pferd. Ja, meine Damen und Herren, die Passierscheine bedeuten schon so etwas wie ein Trojanisches Pferd. Mittels solcher List und Tücke soll die Dreistaatentheorie zu uns hereingeschleust werden. Es geht um den bewußten Versuch, Westberlin von der Bundesrepublik, aus der Verantwortung der Bundesrepublik, aus der Bindung zu der Bundesrepublik zu lösen, ebenso natürlich auch das Verhältnis zu den westlichen Schutzmächten zu lockern. Ich bin sehr glücklich sagen zu können, daß, wenn sich auch manchmal da oder dort in der Pflege der Kontaktnahme bei diesem Geschehen nicht alles ganz vollendet vollzog, doch zwischen der Bundesregierung, dem Berliner Senat, den Botschaftern der Schutzmächte und den Kommandanten von Berlin zuletzt immer ein Einvernehmen hergestellt werden konnte

    (Beifall bei der SPD)

    und daß vor allem die letzte Zustimmung, die wirklich an einem seidenen Faden hing, in sorgfältiger und wirklich höchst verantwortungsbewußter Weise schließlich von allen Beteiligten getroffen wurde. Aber, meine Damen und Herren, die Humanität ist nicht von der Sowjetzone bezeugt worden;

    (Sehr gut! bei der SPD)

    die Humanität ist in dieser Frage von uns bezeugt worden.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Das war sozusagen das Schild, hinter dem die Zone
    diese Passierscheinfrage zu politischen Zwecken zu



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
    mißbrauchen suchte. Denn wenn die Ulbrichts gewollt hätten, wenn es ihnen um ein humanitäres Anliegen gegangen wäre, hätte von uns aus gesehen jeder Ostberliner jeden Tag nach Westberlin kommen und dort seine Verwandten besuchen können.

    (Erneuter allgemeiner Beifall.)

    Nichts von alledem! Es war vielmehr mit einer penetranten Deutlichkeit zu erkennen, daß mit dieser Passierscheinregelung das politische Ziel, die politische Verselbständigung Berlins, der Weg zur Dreistaatentheorie und die völlige Zerreißung der Bindung zwischen der Bundesrepublik und Westberlin erreicht werden sollte. Da sind wir natürlich auf der Hut gewesen, und das werden wir auch weiter sein.
    Ich kann Ihnen in diesem Augenblick noch nicht sagen, wie sich der weitere Ablauf gestalten wird. Wir müssen Wert darauf legen, daß nicht nur die Westberliner ihre Verwandten besuchen, daß sich alle Westberliner frei nach Ostberlin bewegen dürfen, sondern daß auch umgekehrt alle Ostberliner frei nach Westberlin kommen können. Auch sollte man die Begegnung nicht nur auf einige Feiertage beschränken, sondern es sollte eine laufende Beziehung hergestellt werden, und man sollte auch in den technischen Fragen zu einer Erleichterung kommen. Ich glaube, das sind berechtigte Anliegen, soweit die Sowjetzone dieses überhaupt ernst nimmt und ihre Aktion eben nicht nur ein politischer Coup gewesen ist.
    Meine Damen und Herren! Wir selbst haben mit der Passierscheinregelung über alle Maßen deutlich gemacht — sowohl die Bundesregierung wie der Berliner Senat und die Botschafter der Schutzmächte wie auch die Kommandanten in Berlin, die zu unserem Schutze dort stehen —, daß wir damit in keiner Weise auch nur im geringsten eine Änderung oder gar Verschlechterung des derzeitigen Status anzuerkennen bereit sind,

    (allgemeiner Beifall)

    und das werden wir bei weiteren Regelungen noch weiter zu verdichten suchen.
    In gewissem Zusammenhang damit steht auch die jüngste Note Chruschtschows, die gleichlautend den maßgebenden Ländern zugegangen ist. Daß diese Note natürlich auch eine großangelegte Propagandaaktion bedeutet, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Rußland bietet sich den Asiaten und den Afrikanern sozusagen als der Retter dar, der es so gut meint und aus reiner Menschlichkeit allen helfen möchte, die sich in Nöten befinden. Die Note ist so aufgenommen worden, wie sie es nach meiner Ansicht aus politischer Sicht verdient, nämlich mit kühler Reserve, in nüchterner Prüfung. Ich nehme an, daß die Antworten zwischen den westlichen Alliierten abgestimmt werden und, wenn auch nicht im Wortlaut, so doch im Geiste völlig gleich sein werden.
    Interessant an dieser Note ist, daß zwar jene Länder, die in der Sprache Chruschtschows noch unter „kolonialer Ausbeutung" leiden, sehr wohl Gewalt anwenden dürfen, ja, daß es sogar ihr geheiligtes
    Recht ist, Gewalt anzuwenden; daß dieses Recht aber den Ländern verwehrt ist, die gewaltsam getrennt sind. Unsere 17 Millionen Deutschen drüben in der Zone sind nicht gefragt worden, in welchen Lebens-. formen sie leben wollen, sondern die sind wider ihren Willen annektiert worden. Das ihnen aufgezwungene Regime ist nicht mehr als eine Beleidigung der menschlichen Würde und ein Hohn auf Recht und Freiheit.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wenn unsere deutschen Landsleute die freie Möglichkeit hätten, sich zu entscheiden, dann gäbe es doch nicht den geringsten Zweifel, wozu sie sich bekennen würden.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Herr Chruschtschow sagt, man müsse es diesen getrennten Völkern — er zählt da auf: Deutschland, Korea, Vietnam — überlassen, ohne Einmischung von außen,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    ihre innere Ordnung und den Zusammenschluß zu erreichen. Die Zerreißung dieser Völker geschah doch wirklich nicht von ungefähr; dieser Vorgang hat doch eine Geschichte, und diese Geschichte kennen wir, leidvoll genug, sehr gut.
    Wir sind voll damit einverstanden, daß den Menschen in Deutschland — hüben und drüben — das Recht der Selbstbestimmung eingeräumt wird. Wenn zugesagt wird, die Völker sollen selbst entscheiden, — ja, wir sind damit völlig einverstanden. Die Deutschen hüben und drüben sollen frei entscheiden, was sie wollen. Davor bangt uns nicht. Mit der Selbstbestimmung ist die Frage der Wiedervereinigung zu gleicher Zeit erledigt, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der SPD.)

    Nun besteht die Absicht, daß in der ViermächteBotschafterkonferenz auf Grund einer neuen deutschen Initiative die Frage geprüft wird, ob, auf welche Weise, in welchem Verfahren und in welchen Stationen wir der Wiedervereinigung doch näherkommen könnten. Es wird also nicht an unserem guten Willen fehlen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit auch in unserem eigenen Vaterlande, im ganzen deutschen Vaterlande, herzustellen.
    Herr Chruschtschow sagt ferner, es solle auf Gewalt verzichtet werden. Wir selbst haben bekanntlich den Gewaltverzicht ausgesprochen. Wir werden aber nie darauf verzichten, das Recht auf Selbstbestimmung zu fordern. Herr Chruschtschow sagt, diese Völker selbst sollen ihr Schicksal bestimmen und entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. Ich darf in diesem Zusammenhang eine Warnung aussprechen. Bei allem Verständnis — wer hegt nicht die Sehnsucht, in einem wiedervereinigten Deutschland leben zu können — sollten wir uns doch vor der Illusion hüten, als ob es zwischen so unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaften Systemen, wie dem, das jetzt der Ostzone aufoktroyiert ist, und dem, das wir uns frei gewählt haben, eine Mischung gäbe. Nein, da gibt



    Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
    es auch kein arithmetisches Mittel oder eine andere brauchbare Formel.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

    Wenn wir unser Schicksal in freier deutscher Entscheidung selbst bestimmen sollen, dann darf Herr Chruschtschow aber auch nicht so und so vielen Besuchern sagen: die Deutschen sollen das in sich selbst regeln, aber möglich ist das nur, wenn daraus ein kommunistisches Deutschland entsteht. Das verstehe ich nicht unter der Freiheit der Völker, ihr Schicksal selbst zu regeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich komme zum Ende und an den Anfang zurück. Meine Damen und Herren, wir werden eine Rolle in der Welt nur spielen können, wir werden die Hilfe der freien Welt für unsere deutschen Anliegen nur behalten, solange dieses Deutschland etwas wert ist. Das heißt aber, daß es in unserer Verantwortung liegt, alles zu tun, um die innere Ordnung, die wirtschaftliche Stabilität, die soziale Sicherheit, aber vor allem auch die Stabilität unserer Währung zu wahren.
    Sie, Herr Präsident, haben gestern gesagt: Wer die Macht hat, muß einer Kontrolle unterliegen. Natürlich, die Bundesregierung unterliegt der Kontrolle des Parlaments. Aber auch das Parlament unterliegt nicht so sehr einer Kontrolle, wohl aber dem Votum des deutschen Volkes. Und ich bin überzeugt, dieses Parlament wird nicht daran gemessen werden, was die einzelnen Fraktionen tun, um sich für den Augenblick da oder dort populär zu machen, sondern an dem, was dieses ganze Hohe Haus tut, um die Lebensrechte und die Zukunft des deutschen Volkes zu gewährleisten.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Möller.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alex Möller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn seiner Ausführungen erklärt, daß er die Gelegenheit dieser Haushaltsdebatte benutzen möchte, um das Parlament über wichtige Ergebnisse seiner politischen Reisen zu unterrichten. Wir begrüßen die uns damit zuteil gewordene Aufklärung, die vor allen Dingen in einigen Punkten doch Erleichterung, insbesondere in meiner Fraktion, hervorgerufen hat. Ich komme darauf noch zurück.
    Wenn der Herr Bundeskanzler nun auch einige Bemerkungen zur haushaltspolitischen Lage gemacht hat, so wird er Verständnis dafür haben, daß ich ihm hier nicht in demselben Umfang folgen kann, wie das hinsichtlich seiner außenpolitischen Konzeption der Fall ist. Das wäre bei den einzelnen Teilen meiner Stellungnahme zum Bundeshaushalt 1964 zum Ausdruck zu bringen. Aber gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, einige wenige Anmerkungen zu den außenpolitischen Ausführungen des
    Herrn Bundeskanzlers, wobei ich den Hinweis hinzufüge, daß es meine Fraktion selbstverständlich als eine politische Aufgabe ansieht, sich mit wichtigen Teilen dieser außenpolitischen Konzeption eingehend zu beschäftigen.
    Der Herr Bundeskanzler hat recht, wenn er auf zwei wichtige Punkte unserer Haltung in der Außenpolitik hingewiesen hat, nämlich auf das Bekenntnis der Aussöhnung mit Frankreich, ohne daß dadurch unsere Beziehungen zum amerikanischen Bündnispartner tangiert werden können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Hohe Haus hat ja erfreulicherweise durch eine Präambel zum deutsch-französischen Vertrag hinsichtlich der einmütigen Haltung der Bundesrepublik Deutschland jeden Zweifel beseitigt,

    (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

    und die Wirkung in der Weltöffentlichkeit wäre sicherlich noch größer und zwingender, wenn eine ähnliche Präambel auch vom französischen Parlament verabschiedet worden wäre.

    (Beifall.)

    Meine Damen und Herren, in allen Gesprächen, die man seit Verabschiedung des deutsch-französischen Vertrages in Amerika führen konnte, wird man auf solche Fragen aufmerksam gemacht, und jeder von uns, der diese Gespräche geführt hat, wird sich veranlaßt gesehen haben, den amerikanischen Freunden zu sagen, wie stark die freie Welt und wie stark insbesondere Amerika daran interessiert ist, daß diese Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich ein fester Bestandteil der westlichen Politik bleibt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, ich freue mich auch, daß aus den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers eine Würdigung der Haltung Amerikas, insbesondere der durch den Präsidenten Kennedy eingeleiteten neuen amerikanischen Politik, erkennbar war. Ich hoffe, daß insoweit nicht durch unser Verschulden zu irgendeinem Zeitpunkt neue Mißklänge im deutschfranzösischen Verhältnis bemerkbar werden, daß wir auch hier in diesem deutsch-amerikanischen Verhältnis uns in vollem Umfang von gegenseitigem Vertrauen leiten lassen und daß jedes Mißtrauen im politischen Handeln der beiden großen aufeinander angewiesenen Staaten verschwindet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn, meine Damen und Herren, es ist ja in jeder Weise ein Bündnis auf Gegenseitigkeit. Sosehr wir Deutschen Amerika brauchen und alles zu tun haben, um uns in der Erfüllung dieser großen nationalen Pflicht von keinem Amerikaner überspielen zu lassen, ist auch Amerika daran interessiert, daß dieser europäische Kontinent, der noch frei ist, der also in gefährlichem Sinne eine Vorpostenlinie in der großen Auseinandersetzung zwischen der westlichen Welt und dem Kommunismus darstellt, daß dieser Teil Europas wirklich über eine innere demokratische Stabilität verfügt. Denn nur so groß, wie diese



    Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
    innere demokratische Stabilität ist, ist der Wert
    Deutschlands und dieses Europas auch für Amerika.

    (Beifall bei der SPD.)


    Meine Damen und Herren, es ist selbstverständlich, daß wir bei einer anderen Gelegenheit auf die bemerkenswerten Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zurückkommen werden, die sich mit Brüssel, die sich mit der EWG als Faktor der Weltpolitik beschäftigt haben. Wir teilen in großem Umfang seine Sorgen, ob das Abtreten nationaler Rechte ohne eine ausreichende politisch-parlamentarische Kontrolle auf die Dauer aufrechterhalten werden kann. Alle Ansätze, die in dieser Richtung schon gemacht worden sind, werden dabei einer Würdigung unterliegen. Wie gesagt, wir werden auf diese Ausführungen bei einer anderen Gelegenheit positiv zurückkommen, weil wir glauben, daß hier Wege aufgezeigt werden, die wir notwendigerweise beschreiten müssen. Denn ganz sicher haben doch die Erfahrungen der vergangenen Jahre bewiesen, daß eine wirtschaftliche Trennung des westlichen Europas politische Gefahren heraufbeschwört. Aus dieser wirtschaftlichen Trennung ergeben sich Differenzen, die politische Auswirkungen haben können. Solche politische Auswirkungen sind auf die Dauer einfach nicht zu vertreten.
    Ganz besonders dankbar — ich glaube, ich kann das für die sozialdemokratische Fraktion erklären, ohne sie besonders fragen zu müssen — sind wir dem Herrn Bundeskanzler für seine eindeutigen
    Ausführungen über die volle Übereinstimmung zwischen der Bundesregierung und dem Senat von Berlin in all den Fragen der letzten Wochen, die ja Gegenstand mancher Erörterungen und mancher Mißdeutungen gewesen sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die eindeutige Haltung, die hier der Herr Bundeskanzler eingenommen hat, wird von uns in vollem Umfang begrüßt, und wir sind davon überzeugt, daß ein solches Zusammenwirken der Bonner Bundesregierung, des Berliner Senats und der westlichen Alliierten immer zu guten Ergebnissen im Rahmen des politisch Möglichen führen wird.
    Sie, Herr Bundeskanzler, haben nun darauf hingewiesen, daß Ihnen noch manche außenpolitische Reise bevorstehe. Sie dürfen sicher sein, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion Sie mit allen guten Wünschen für beste Ergebnisse begleitet,

    (Beifall bei SPD)

    aus dem ganz einfachen Grunde, weil wir Sozialdemokraten Sie, Herr Bundeskanzler, nicht als den Bundeskanzler der einen oder anderen Partei, sondern als den Bundeskanzler des ganzen deutschen Volkes ansehen

    (Beifall)

    und Ihnen deswegen für das deutsche Volk den Erfolg wünschen, den unser leidgeprüftes Volk nun wirklich braucht.

    (Beifall.)

    Das wollte ich zu den außenpolitischen Bemerkungen und zu den wichtigen außenpolitischen Informationen sagen, die der Herr Bundeskanzler vorgetragen hat.
    Nun, meine Damen und Herren, hatte ich vor, mich zunächst einmal mit zwei wichtigen haushaltspolitischen Fragen zu beschäftigen, bin aber der Meinung, daß ich das zunächst einmal den Rednern der Koalition überlassen sollte. Ich bin auf die Idee nicht von selbst gekommen, sondern auch durch einige Bemerkungen des Herrn Bundestagspräsidenten über das Gewicht der Kontrolle des Parlaments gegenüber der Bundesregierung. Und da interessiert es uns — ohne daß wir Ihnen vorher einen Waschzettel liefern —, wie Sie zu zwei wichtigen Punkten des Haushaltsgesetzes stehen.
    Punkt eins ist die Tatsache, daß wieder einmal die Bestimmung des Art. 110 Abs. 2 des Grundgesetzes verletzt worden ist, indem der Haushaltsplan nicht vor Beginn des Rechnungsjahres durch ein Gesetz festgestellt wurde. Das ist seit vielen Jahren leider die Übung geworden, und Sie werden Verständnis dafür haben, daß wir wissen möchten, wie die Mehrheit des Hauses zu dieser Bestimmung des Grundgesetzes steht und inwieweit sie auf ihre Bundesregierung Einfluß nehmen möchte, diesem Prinzip des Grundgesetzes Geltung zu verschaffen.
    Ein Zweites. Wir sind der Meinung, daß das Haushaltsgesetz in vielen Punkten so gestaltet worden ist, daß man es beinahe als ein Ermächtigungsgesetz für die Bundesregierung bezeichnen müßte.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Sie werden ja auch bemerkt haben, in wie großem Umfang hier das Etatrecht des Parlaments kastriert werden soll.

    (Abg: Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Wir möchten wissen, wie die Mehrheit dieses Hohen Hauses — weil wir ja allein nicht ausreichen, wenigstens zur Zeit noch nicht ausreichen, das zu verhindern — nun über dieses Haushaltsgesetz denkt und welche Anträge sie gemeinsam mit uns einzubringen beabsichtigt, um das Etatrecht, das wichtigste Recht eines Parlaments in einem demokratischen Staat, in vollem Umfang wieder herzustellen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zwei ganz interessante Aufgaben! Der Herr Kollege Vogel, der mir sagte, er habe nicht vor, heute länger zu sprechen, wird sich ja nun doch wohl etwas eingehender mit dieser Problematik, die man nicht mit ein paar Redensarten abtun kann, zu beschäftigen haben. Ich darf Ihnen versichern, daß wir im Laufe der heutigen Debatte auch noch unseren Beitrag zu diesen beiden Kapiteln leisten werden.
    Meine Damen und Herren, wer zu einem Haushaltsentwurf des Bundes Stellung nehmen will, der muß die gesamtwirtschaftlichen Aspekte, die für die Etatgestaltung von Bedeutung sind, sorgfältig untersuchen. Nichts kennzeichnet die konjunkturellen Erwartungen für 1964 besser als die Steigerungen der vorausgeschätzten Zuwachsraten für das nominale und reale Sozialprodukt 1964 im Verlaufe der letzten Wochen des vergangenen Jahres. Der im Dezember vorgelegte Wirtschaftsbericht der Bundes-



    Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
    regierung schätzt den nominalen Zuwachs auf 6,4 und den realen auf 4,5 v. H. Die Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute von Mitte Dezember —darauf ist schon hingewiesen worden — veranschlagt die Zuwachsraten auf 7,5 und 5,3 v. H.
    Ich komme bei einem anderen Punkt meiner Ausführungen noch auf das Bekenntnis des Herrn Bundeskanzlers zurück, daß er nur graduell sündigt, daß er einen Teil der nominalen Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts für die Einnahmeseite des Bundeshaushalts akzeptiert, — aber einen Teil nur, der willkürlich gewählt ist und der nicht der jetzigen Lage entspricht. Es muß überraschen, daß die im Ersten Wirtschaftsbericht der Bundesregierung dominierenden, aber konjunkturpolitisch deplacierten Maßhalterichtlinien im Zweiten Wirtschaftsbericht völlig in den Hintergrund getreten sind. Nun mag zu dem neuen Maßhalten im Moralisieren die Kritik, die der verbale Teil des Ersten Wirtschaftsberichts wegen seines Ideologiegehalts erfahren hat, beigetragen haben. Wichtiger scheint mir jedoch zu sein, daß das neue Steigen der Ausfuhrüberschüsse jedwelcher Art von Restriktion der Binnennachfrage den Boden unter den Füßen weggezogen hat.

    (Abg. Erler: Sehr wahr!)

    Nicht ohne Grund wird hierauf im Zweiten Wirtschaftsbericht mehrmals hingewiesen. Der Schlußabsatz 31 des Wirtschaftsberichts enthält beispielsweise Hinweise auf die Notwendigkeit internationaler Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Preisstabilität.
    Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit, meine Damen und Herren, auf den Märkten des In- und Auslandes hat, wenn sie bei dem niedrigen Aufwertungssatz im März 1961 je als gefährdet angesehen werden konnte, sich wiederhergestellt, ohne daß die Maßhaltezielsetzungen der Leitlinien respektiert worden sind. Statt einer Orientierung der Ausgaben der öffentlichen Hand an der zu erwartenden Zunahme des realen Sozialprodukts von 3,5 v. H., die ja schon im Zahlenteil des gleichen Berichts nicht mehr ernst genommen wurde, hat es eine Erhöhung der öffentlichen Verbrauchsausgaben — siehe Zahlenteil im Zweiten Bericht! — um 11 v. H., der öffentlichen Einkommensübertragungen um 8,1 v. H. und der öffentlichen Investitionen in zwar nicht quantifizierter Höhe, mindestens aber in Höhe der Bauinvestitionen, nämlich in mit plus 7,2 v. H. anzusetzender Intensität, gegeben. Statt einer Steigerung der Lohn- und Gehaltssumme je Beschäftigten von, wie gefordert, 3 bis 3,5 v. H. hat, wie dem Zweiten Wirtschaftsbericht zu entnehmen ist, die Zuwachsrate der Brutto-Einkommen aus unselbständiger Arbeit je Kopf fast 6% betragen.
    Diese Feststellungen sind deswegen erfreulich, weil ohne Ignorierung der Leitlinien nicht einmal die bescheidene Zuwachsrate des realen BruttoSozialprodukts von 3 % zu erreichen gewesen wäre, dafür aber für 1964 die Voraussetzungen für einen noch stärkeren Ausfuhrüberschuß entstanden wären. Im zweiten Wirtschaftsbericht wird der Außenbeitrag für 1964 auf 3,8 Milliarden DM geschätzt. Das ist sicherlich zu niedrig. Aus den von den Forschungsinstituten geschätzten Zuwachsraten läßt sich der von ihnen veranschlagte Außenbeitrag auf 6 Milliarden errechnen.
    Dieser ganze Komplex hat in der Haushaltsdebatte 1963, insbesondere in der ersten Beratung, eine zentrale Rolle gespielt. Es gibt keinen Grund, diesmal anders zu verfahren, wobei nur zu hoffen ist, daß die Bundesregierung nun realistischer in ihrer Verbindung des Beitrags des Bundeshaushalts zur gesamtwirtschaftlichen Stabilität verfährt. Sicher ist das allerdings nicht. Denn nach wie vor wird für die Ausgabensteigerung der öffentlichen Hand ein Limit gesetzt, das nicht aus der außenwirtschaftlichen Situation abgeleitet wird und das daher zu den Leitlinien für private Investitionsnachfrage und private Konsumnachfrage speziell und für die Binnennachfrage im allgemeinen in Widerspruch geraten kann. Dieses Limit wird in der zu erwartenden Steigerung des Bruttosozialprodukts gesehen. Volkswirtschaftlich müßte das Limit zweifellos noch auf andere Kriterien Rücksicht nehmen, um nicht, insbesondere in der jetzigen Situation, durch eigenes Verhalten zu weiter steigenden Ausfuhrüberschüssen zu kommen.
    Vielleicht bringt schon das Jahr 1965 für den Bundesetat ein, dann aber begründetes Maßhalteerfordernis. Bis dahin kann die scharfe Preissteigerung im Ausland unter Kontrolle gebracht worden sein, so daß dann erstens eine Binnenrestriktion konjunkturpolitisch wirksam würde, und zweitens könnte sich die Investitionsnachfrage der deutschen Unternehmen derart entwickelt haben, daß auch durch Zurückhaltung im öffentlichen Sektor zur erreichbaren Stabilität beigetragen werden muß. Wem wirklich an einer Preisstabilität liegt, hat die einzelnen Herde ihrer ständigen Gefährdung sorgfältig zu unterscheiden. Nicht immer — das haben wir jetzt erlebt — ist eine konjukturelle Überhitzung ihr Anlaß. Das hat sich besonders deutlich im Jahre 1963 gezeigt. Wie wir dem neuen Wirtschaftsbericht der Bundesregierung entnehmen können, ist mehr als die Hälfte des auf rund 3 % geschätzten Anstiegs der Verbraucherpreise — ich zitiere wörtlich — auf „von der Konjunkturentwicklung weitgehend unabhängige Faktoren" entfallen. Neben — ich zitiere wieder — „witterungsbedingten Verteuerungen bei Nahrungsmitteln und Brennstoffen" haben dazu in starkem Maße — das sage ich jetzt — öffentlich veranlaßte Preiserhöhungen bei Bahn und Post, bei Wohnungsmieten und bei .den Nahrungsmitteln beigetragen.
    Was nützt aber die Einschränkung von Ausgaben im Bundeshaushalt zu idem ausdrücklich erklärten Zweck, Preisstabilität zu bewirken, wenn die gleiche Regierung auf den von ihr unmittelbar zu beeinflussenden Gebieten bewußt Preissteigerungen herbeiführt?

    (Abg. Erler: Sehr wahr!)

    Was nützen dem Verbraucher und was nützen dem Kaufmann Stabilisierungshaushalte und Maßhalteetats, die, wie das letzte Jahr bewiesen hat, Preisstabilität deklamieren, aber nicht zu realisieren imstande sind, vielleicht auch gar nicht imstande sein können, wenn die Quelle der Preissteigerung



    Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
    eben nicht konjunkturpolitische Überhitzung oder Lohnauftrieb gewesen ist, die mit der Höhe der öffentlichen Gesamtausgaben einer mittelbaren Regulierung fähig wären.
    Meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Teil meiner Ausführungen in leise Zweifel ziehen möchten, empfehle ich Ihnen, die Seite 12 des Wirtschaftsberichts der Bundesregierung aufzuschlagen, die Ziffer 24 vorzunehmen, und Sie werden eine volle Bestätigung meiner Ausführungen dieser Ziffer 24 entnehmen können.
    Auch 1964 scheint sich an dieser Grundsituation nichts geändert zu haben. Zwischen den Ausführungen im Wirtschaftsbericht des Kabinetts und des Herrn Bundesfinanzministers bei der Einbringung des Etats klaffen in diesem Punkt nicht zu überbrückende Widersprüche. Wenn keine Übernachfrage zu befürchten ist — und darin besteht doch allgemeine Übereinstimmung —, dann gilt es, die außerkonjunkturellen Quellen der Preissteigerung zu verstopfen, und diese liegen zunächst einmal und für die Regierung leicht erreichbar auf agrar-, wohnungs- und verkehrspolitischem Gebiet.
    In der weiteren Zukunft kann sich das allerdings ändern, und vielleicht — darauf habe ich schon hingewiesen — werden 1965 konjunkturell verursachte Preissteigerungen auch konjunkturpolitisch, d. h. auch durch Zurückhaltung bei öffentlichen Ausgaben, bekämpft werden müssen.
    Aber gerade diese Überlegungen scheint die Bundesregierung nicht anzustellen. Mit Rücksicht auf die Bundestagswahl versucht sie, jetzt Mittel für 1965 vorzubereiten und flüssig zu machen, obwohl 1964, wie die gemeinsamen Vorausschätzungen der Forschungsinstitute zeigen, ein höheres reales Wachstum ohne ein Mehr an Preissteigerungen möglich ist.
    Daraus ergibt sich für die sozialdemokratische , Bundestagsfraktion die Forderung: nur eine gegenwartsnahe, sachverständige gesamtwirtschaftliche Prognose kann für die Ermittlung des finanziell Möglichen in der Etatgestaltung maßgebend sein.
    Was für Folgerungen sind nun aus diesen Überlegungen zunächst für die Einnahmeseite des Bundeshaushalts zu ziehen? Legt man die neue Interessenquote des Bundes von 39 % der Bundeseinnahme zugrunde, so würde der hieraus resultierende Einnahmeausfall durch die zu erwartenden Steuermehreinnahmen im Falle einer Sozialproduktsteigerung um 7,5 % ausgeglichen werden. Wir schätzen, daß sich in diesem durchaus realistischen Fall die gesamten Steuereinnahmen des Bundes auf 53 560 Millionen stellen und damit um 60 Millionen DM höher liegen als der Ansatz des Etatentwurfs mit einer Interessenquote von 40 %. Ich gebe zu, daß insoweit der Herr Bundesfinanzminister bei seiner Rede in einer etwas schwierigen Lage war. Er konnte nicht auf die letzte Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute zurückgreifen, weil dadurch erstens die Einnahmeseite eine Veränderung erfahren haben würde und weil er damit zweitens eine wirkungsvolle Begründung für die Richtigkeit des Vorschlags des Vermittlungsausschusses geliefert hätte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Ansatz für die übrigen Einnahmen — Anleihen zunächst einmal ausgenommen — ist im allgemeinen und aus unserer Sicht nicht zu beanstanden. Allerdings wird bei der Masse der kleineren Einzelpositionen bei den Verwaltungseinnahmen, wie eine genaue Kontrolle der Ansätze in den in Frage kommenden Einzelplänen zeigen dürfte, noch eine Erhöhung von insgesamt etwa 100 Millionen DM entstehen.
    Für Anleihen hat der Herr Bundesfinanzminister 2150 Millionen DM vorgesehen. Der in der Etatdebatte 1963 viel zitierte Kapitalmarkt hätte natürlich ohne Zinssteigerung mehr an öffentlichen Anleihen zugelassen. In dieser Frage hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ebenfalls recht behalten. Einem Zitat von Herrn Bundesfinanzminister Dr. Dahlgrün — Bundestagsprotokoll der 76. Sitzung S. 3696 — zufolge wurde die Leistungsfähigkeit des Kapitalmarktes für 1963 auf 12 bis 14 Milliarden DM veranschlagt. Im Zeitraum vom Januar bis Oktober — Bundesbank-Bericht vom November 1963, S. 58 — betrug der gesamte Wertpapierabsatz bereits 13,8 Milliarden DM. Er wird in den restlichen Monaten des vergangenen Jahres sicher nicht geringer gewesen sein als im Jahre 1962, so daß effektiv 15 bis 16 Milliarden DM untergebracht werden konnten. Dabei betrifft diese Rechnung nur die festverzinslichen Wertpapiere, obwohl der Herr Bundesfinanzminister in seinen Zahlen die Aktienemission möglicherweise mit eingeschlossen hat. Vielleicht mag 1964 der Auslandsabsatz etwas zurückgehen. Dafür werden aber auf Grund der durch die Devisenzuflüsse verbesserten Bankliquidität von den Banken mehr Papiere gekauft werden können. Der Ansatz im Bundeshaushalt für die Anleiheaufnahme ist daher sicher nicht überhöht.
    Wir berücksichtigen dabei, daß man in einem, sagen wir, „Schatten-Budget" noch folgende Beträge vor sich herschiebt: 500 Millionen DM Zuschuß an die Rentenversicherungsträger, die in Form von Schuldbuchforderungen entrichtet werden, 350 Millionen DM Straßenbaumittel über die Offa, 200 Millionen DM Entwicklungshilfe, die eine Stelle außerhalb der Bundesverwaltung finanzieren soll, und 132 Millionen DM Berlin-Anleihe. Das sind also 1182 Millionen DM, die neben dem Haushalt herlaufen, sicher aber mindestens intern in den außerordenlichen Haushalt gehören.
    Auf der Ausgabenseite des Etats zeigen die —allerdings nur zum Teil — geschätzten Ist-Zahlen für 1963, daß es dem Herrn Bundesfinanzminister voll gelungen ist, die pauschal abgesetzten Minderausgaben in Höhe von 1050 Millionen DM im Laufe des Jahres auf die einzelnen Haushaltsstellen aufzuteilen. Sieht man von den neuerdings in den kurzfristigen Ausweisen gesondert gebuchten durchlaufenden Ausgaben im Verteidigungsetat ab, so dürfte im Jahre 1963 ein Betrag von schätzungsweise 56,4 Milliarden DM verausgabt worden sein. Dieser Betrag entspricht genau dem Ausgabe-Soll abzüglich der in ihm enthaltenen Vorgriffe von 400 Millionen DM an Verteidigungsausgaben. Dieses Verfahren, meine Damen und Herren — das möchte ich voraussagen —, wird der Herr Bundesfinanzminister 1964 sicher



    Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
    mit demselben Erfolg wie im Vorjahr praktizieren können, vor allen Dingen dann, wenn nicht wesentliche Teile des Haushaltsgesetzes eine Änderung erfahren.
    Daher ließen sich Reserven, von der Ausgabe- und von der Einnahmeseite zusammengenommen, in den Etat einstellen. Die Etatsumme würde sich in diesem Fall auf etwa 60 750 Millionen DM belaufen. Die Steigerungsrate der Etatsumme würde dann noch nicht einmal 7 % betragen und unter der von den Forschungsinstituten geschätzten nominalen Zuwachsrate des Sozialprodukts liegen.
    Solche Untersuchungen sind für den Teil des Bundestages, der zur Zeit keine Bundesregierungsverantwortung trägt, unerläßlich. Wir beabsichtigen dabei nicht, von uns aus die magische Grenze von 60,3 Milliarden DM zu überschreiten. Inwieweit sie echt ist und bleiben kann, werden die weiteren Beratungen zeigen.
    Ich will nur auf zwei Punkte hinweisen, um diese magische Grenze von 60,3 Milliarden DM zu beleuchten. Die Übernahme des Defizits aus dem vorangegangenen Haushalt in den Nachtragshaushalt 1963 ist eine Maßnahme, die auch nur erfolgt, um bei dieser magischen Grenze von 60,3 Milliarden DM zu bleiben. Ein viel 'betrüblicheres Beispiel ist die Berlin-Anleihe in Höhe von 132 Millionen DM. Abgesehen davon, daß ich aus rein politischen Gründen nicht glaube, daß der Zeitpunkt richtig gewählt worden ist, den Senat von Berlin gerade jetzt zu veranlassen, eine Berlin-Anleihe aufzulegen, frage ich mich, warum das geschehen ist, wenn, wie der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede erklärt hat, der Bund bereit ist, den Zinsen- und Tilgungsdienst voll zu übernehmen. Man kann doch nur dann eine Antwort auf diese Frage finden, wenn man davon ausgeht, daß auch auf diesem Wege verhindert werden sollte, daß die magische Grenze von 60,3 Milliarden DM in Frage gestellt wird. Eine andere überzeugende Begründung kann nicht gegeben werden. Deswegen fordert die sozialdemokratische Bundestagsfraktion: auch innerhalb von willkürlich gesetzten magischen Grenzen muß das realistische Ziel die der öffentlichen Hand anvertraute Erfüllung lebenswichtiger, für die Existenz des demokratischen Staates unabweisbarer Aufgaben sein.
    Nun ist ohne jede Einschränkung zuzugeben, daß das auf steuer- und finanzpolitischem Gebiet von den Adenauer-Erhard-Kabinetten der neuen 'Bundesregierung Erhard-Mende hinterlassene Erbe zweifellos besondere Wiedergutmachungsleistungen herausfordert. Zur traurigen Hinterlassenschaft gehört z. B. erstens die fehlende, seit 1953 in den Regierungserklärungen angekündigte Finanzreform. Ich will auf die Leidensgeschichte dieser Finanzreform allein in unserer Legislaturperiode nicht eingehen. Aber wenn Sie einmal das Bundestagsprotokoll vom 17. Januar 1962 zur Hand nehmen und nachlesen, was dort der damalige Bundesfinanzminister Starke ausgeführt hat, dann werden Sie die Berechtigung meiner Feststellung anerkennen müssen. Der Herr Bundeskanzler hat am 18. Oktober in seiner Regierungserklärung gesagt:
    Die Vorarbeiten für eine Finanzreform, die eine allzu lange Verzögerung erfahren haben,
    — das stammt nicht von mir, sondern von ihm —
    werden deshalb unverzüglich aufgenommen.
    Nun, wir haben heute wieder gehört, es sei damit zu rechnen, daß eine solche Expertenkommission die Arbeit aufnimmt. Daß wir noch gelinde Zweifel anmelden, bitte ich wegen der Erfahrungen aus der Vergangenheit anzuerkennen. Beispielsweise ist ja auch noch immer nicht die Bildung des Sachverständigenrates vorgenommen, eines Sachverständigenrates, der nach Auffassung der Experten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Bedeutendes leisten könnte. Das Gesetz ist lange verabschiedet. Die CDU hat es beispielsweise fertiggebracht, einen Wirtschaftsausschuß für ihre Partei zu bilden. Aber zu dem Sachverständigenausschuß, der die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in die Hand bekommen und unter Kontrolle bringen soll, der neutrale Daten zu setzen hat, ist es leider noch nicht gekommen.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Deswegen zweitens auch die fehlende Rangfolge in der Aufgabenerfüllung von Bund, Ländern und Gemeinden; daher auch die allzu lange fehlende Verständigung mit den Ländern im Steuerstreit; daher auch die falschen Ausgangspunkte scheinbarer, weil manipulierter Bundesdefizite, die dann auch noch mit dem Zauberstab erhöhter Länderzuschüsse ausgeglichen werden sollen; und daher auch die fehlende Einsicht bei der Mehrheit dieses Hohen Hauses, daß den letzten, z. B. unsere Gemeinden, nicht die Hunde beißen dürfen, sondern daß gerade ihm eine den Prinzipien unseres Grundgesetzes entsprechende sorgende Hilfe zuteil werden muß; daher auch die sich häufenden Fehlanzeigen in der Aufgabenerfüllung, vom Verkehrschaos über die ungenügende Förderung der wissenschaftlichen Forschung bis zum Schweigemarsch der Heimkehrer- und Kriegsopferverbände. Immer wieder handelt es sich um .denselben Bürger, dessen Leben und Schicksal mit den Leistungen seiner Gemeinden, seines Landes und des Bundes unlösbar verbunden bleibt. Nur dieser Bürger darf der für uns alle gemeinsame Ausgangs- und Orientierungspunkt sein.
    Auch die Regierungserklärung vom 18. Oktober vorigen Jahres hat den großen Spannungsbogen der schwerpunktmäßig nun einmal vorhandenen Aufgabenstellung in der Innen- und Außenpolitik deutlich gemacht, allerdings ohne ausreichend der Sünden der Vergangenheit zu gedenken und ohne mehr zu tun, als den Willen für die Tat in Erscheinung treten zu lassen.
    Meine Damen und Herren! Die Finanzpolitik ist zur wichtigsten Ausgangsposition für Ausmaß und Zielsetzungen in der gesamten Politik geworden. Die Finanzen sind der Nerv aller Dinge, und der Bundeshaushalt muß sozusagen als Nervensystem der öffentlichen Finanzwirtschaft angesehen werden. Auch an dieser Stelle wiederhole ich: Jeder Etat offenbart die in Geldwert bemessene Regierungspolitik. In den Einnahme- und Ausgabeansätzen hat sich widerzuspiegeln, was in der Regie-



    Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
    rungspolitik in vollem Umfange getan und wie es finanziert werden soll. So war es auch durchaus verständlich, daß sich in der Erhardschen Regierungserklärung immer wieder Hinweise auf den noch vorzulegenden Haushaltsplan 1964 gefunden haben. Dieses Regierungsprogramm und die jetzt zur Debatte stehende Haushaltsvorlage sind zwei Seiten derselben Münze. Wie man die Münze auch wirft, was immer oben liegt, ob Kopf oder Zahl, hat notwendig das andere zur Rückseite. Die Haushaltsvorlage 1964 gehört zur Regierungserklärung. Beide sind siamesische Zwillinge.
    Wir Sozialdemokraten haben uns in diesem Bundestag redlich abgemüht, zu verhindern, daß sich die Koalitionsmehrheit in einer finanzwirtschaftlichen Sackgasse festrennt, und haben immer wieder vernünftige Vorschläge zur Debatte gestellt. Wenn nicht allzu oft Rechthaberei als Mittel der Politik angesehen würde, hätte die jetzige Regierung einen besseren Start haben können. Es fehlt seit Jahren die Erkenntnis, die der neue Bundeskanzler in der richtigen Formulierung ausgedrückt hat, daß die Opposition ein notwendiger und vollwertiger Bestandteil des parlamentarisch-demokratischen Systems ist. Das bedeutet, in vollem Umfange Verantwortung tragen, und dieser staatspolitischen Aufgabe gerecht zu werden, ist unser stetes Bemühen. Deswegen die Forderung unserer Fraktion: An Stelle von Rechthaberei und Parteiegoismen muß immer das bessere Argument Mittel der Politik sein.
    Meine Damen und Herren! Als ich in diesem Hohen Hause am 14. März 1962 in der ersten Beratung zum Haushaltsgesetz 1962 Stellung nahm, habe ich darauf verwiesen, daß noch kein Gesetz vorliegt, das auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 120 des Grundgesetzes d. h. zur Regelung der Kriegsfolgelasten bzw. der Tilgung der Ausgleichsforderungen, notwendig geworden war. Das Protokoll, Seite 856, vermerkt dazu: „Zuruf von der Mitte: Ist längst geregelt!". Die Herren der Mitte, der CDU, die mir diesen Zwischenruf gemacht haben, die also der Meinung waren, es sei schon alles in Ordnung, das Gesetz über die Regelung der Kriegsfolgelasten sei erlassen, die Änderung des Art. 120 des Grundgesetzes sei erfolgt, haben sich gründlich geirrt. Der eine oder andere sitzt heute auf der Ministerbank.
    Inzwischen, meine Damen kund Herren, ist ja. durch das Beratungsergebnis des Vermittlungsausschusses vom 18. Dezember 1963 bekanntgeworden, welche Rolle dieses Dürkheimer Abkommen spielt. Wir haben, um eine Einigung zwischen Bund und Ländern zu erzielen, die im Vermittlungsausschuß angeregten Vorschläge zur Neutralisierung des Dürkheimer Abkommens und zur Neuordnung auch des Art. 120 akzeptiert, und insoweit sind die Beschlüsse bzw. die Beratungsergebnisse des Vermittlungsausschusses zusammenzufassen. Es handelt sich nicht nur um eine Änderung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, sondern natürlich auch um dieses Gentlemen Agreement in der Frage des Dürkheimer Abkommens und auch hinsichtlich einer befriedigenden Regelung der
    Kriegsopferversorgung. Darauf, meine Damen und
    Herren, möchte ich mit allem Nachdruck hinweisen.
    Nun will ich nicht untersuchen, wer die Palme erhalten muß für das, was man als Burgfrieden zwischen Bund und Ländern bezeichnet, der Herr Bundeskanzler oder der Herr Bundesfinanzminister. Ich will nur einfach als Realität festhalten, daß im Vermittlungsausschuß auch sozialdemokratisch geführte Länder und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion vertreten sind. Wir haben im Vermittlungsausschuß dieses Ergebnis akzeptiert, trotz der Erklärung des Bundesfinanzministers, das Steueränderungsgesetz mit den Länderfinanzministern in seinen Auswirkungen auf die Einnahmeseite der Etats früh genug zu besprechen. Wir haben aber in der Entscheidung diesen Punkt ausgeklammert, obwohl wir uns darüber klar sind, daß diese Bundestagsmehrheit immer dann mit Steuergeschenken vor den Wahlen sehr großzügig umzugehen versteht, wenn der Ausfall in der Hauptsache die Länder und damit auch die Gemeinden trifft.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede u. a. auch einen Appell an die Länder gerichtet, hinsichtlich des Zuwachses des Haushaltsvolumens von 196.3 zu 1964 den Bund als Beispiel zu nehmen und nicht über 6 % hinauszugehen. Ich kann mich darüber nur wundern. Denn dem Herrn Bundesfinanzminister müßte, wenn er diesen Appell aus innerer Überzeugung erlassen hat, unbekannt sein, daß sein eigenes Ministerium Mitte Dezember eine Aufstellung angefertigt hat, aus der hervorgeht, zu welchem Prozentsatz sich das Haushaltsvolumen der Länder insgesamt vom Etatjahr 1963 zum Etatjahr 1964 verändert. Wir haben die Unterlagen vom Bundesfinanzminister; es ist zu beanstanden, daß seine Herren ihm diese Unterlagen nicht auch geben. Denn aus diesen Unterlagen geht hervor, daß sich die Länderhaushalte von 1963 zu 1964 um 5,9% erhöhen, so daß also jeder Appell an die Länder überflüssig ist.

    (Abg. Dr. Schäfer: Wobei Bayern um 12 % erhöht!)

    — Ja; es handelt sich um den Durchschnitt der Länder. Ich will das im einzelnen nicht untersuchen, weil man ja wohl zugeben muß, daß die Verhältnisse in den Ländern unterschiedlich sind. Rheinland-Pfalz — um einmal dieses Beispiel zu nehmen, weil dort keine Sozialdemokraten in der Regierung sind — kann schon deshalb keine hohe Zuwachsrate haben, weil die finanzielle Situation dieses Landes außerordentlich prekär ist.
    Meine Damen und Herren, wir wissen nun, daß das Bundesfinanzministerium die Absicht hat, im Steueränderungsgesetz 1964 bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer Ermäßigungen in Höhe von 2,5 Milliarden DM durchzuführen. Das soll nach den uns gewordenen Informationen der Ausgangspunkt sein. Wir haben ja auch Anträge vorgelegt, allerdings mit Wirkung ab 1. Januar 1964. Hier wiederum der Versuch der Bundesregierung, das alles hinauszuschieben bis zu einem Zeitpunkt, wo die Wählerinnen und Wähler das merken, und der



    Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
    Herr Bundeskanzler hat ja gesagt, daß zwar die Bundesregierung der Kontrolle des Parlaments unterliegt, daß es aber auch ein Votum der Wählerinnen und Wähler gegenüber dem Parlament gibt. Wir hoffen, daß diese Wählerinnen und Wähler ihrer Urteilsbildung nicht einige Monate zugrunde legen, sondern die gesamte Legislaturperiode des Deutschen Bundestages.

    (Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

    Da, meine Damen und Herren, muß ich doch folgendes feststellen: Diese 2,5 Milliarden bedeuten für die Bundeseinnahmen einen Ausfall von 2 %, aber für die Länder einen Ausfall von 5 %, oder in Zahlen ausgedrückt für den Bund eine Mindereinnahme von einer Milliarde, für die Länder eine Mindereinnahme von anderhalb Milliarden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Minderung der Mehreinnahmen, Herr Möller!)

    — Mein lieber Herr Zwischenrufer, was Sie mit den Mehreinnahmen alles machen wollen, ist ein großes Rätsel. Denn wenn Sie die dynamische Ausgabenentwicklung, von der der Herr Bundesfinanzminister sprach, einmal berücksichtigen und auch einiges, was sonst noch auf uns zukommt — ich denke nur an den zivilen Bevölkerungsschutz, doch sicher eine Aufgabe, die Sie ernst nehmen —, dann, meine ich, müssen Sie schon ganz gründlich rechnen können und müssen Sie sich wahrscheinlich völlig neue Rechenmaschinen anschaffen, wenn Sie zu dem von Ihnen gewünschten Ergebnis kommen wollen.
    Meine Damen und Herren, worauf es mir ankommt, ist, festzustellen, daß man von seiten dieser Bundestagsmehrheit bereit ist, Steuernachlässe zu gewähren, wenn der Hauptteil nicht vom Bund, sondern von den Ländern und Gemeinden getragen wird. Sie dürfen nicht vergessen, daß die kommunalen Finanzausgleiche in fast allen Ländern davon ausgehen, daß der Anteil der Gemeinden an der kommunalen Ausgleichsmasse aus dem Teil der Einkommen- und Körperschaftsteuer entsteht, der den Ländern verbleibt, so daß sich jeder Abstrich an dieser Einnahme der Länder auf die Gemeinden durch geringere Zuweisungen entsprechend auswirkt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren,, Sie haben noch ein anderes Beispiel. Nehmen Sie die Umsatzsteuer! Der Herr Bundesfinanzminister ist mit dem Bundeskabinett der Auffassung, daß wir eine Systemänderung vornehmen sollen — eine Auffassung, die auch wir teilen ---, daß wir von der Allphasensteuer zur Mehrwertsteuer übergehen sollen, jedoch unter der nicht zu erschütternden Voraussetzung, daß der Bund in vollem Umfange dieselben Einnahmen aus der Umsatzsteuer erhält wie bei dem jetzigen System. Das kann doch niemand bestreiten.

    (Abg. Dr. Vogel: Wird auch nicht bestritten!)

    Wenn das also der Fall ist, dann, meine ich, ergibt sich damit die Brüchigkeit Ihrer Darstellung hinsichtlich der Haltung bezüglich Steuervergünstigungen. Oder glauben Sie nicht, daß man bei der Änderung im System der Umsatzsteuer einiges bereinigen
    müßte, beispielsweise — um nur einmal einen Punkt herauszustellen — in der Umsatzsteuerbelastung verschiedener freier Berufe? Das können Sie doch nicht in Abrede stellen, und wenn Sie dieselben Einnahmen behalten wollen, bedeutet das, daß Sie insgesamt den Prozentsatz erhöhen müssen.