Rede von
Hubert
Lemper
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mein Fraktionskollege Zühlke hat in der 84. Sitzung des Deutschen Bundestages aus Anlaß der Aussprache über die Regierungsvorlage eines 17. Änderungsgesetzes zum Lastenausgleichsgesetz erklärt, daß die Vorlage an Dürftigkeit wohl kaum zu überbieten sei. Gleichzeitig hat er erklärt, daß die sozialdemokrati-
4654 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1963
Lemper
sche Bundestagsfraktion einen eigenen Entwurf einbringen würde. Ich freue mich, diese Vorlage heute begründen zu dürfen.
Ein Vergleich der beiden Gesetzentwürfe zeigt sehr unterschiedliche Merkmale auf, deren wesentlichste Punkte ich herausstellen möchte. Bei meinen Ausführungen kann ich mir polemische Betrachtungen ersparen. Zudem möchte ich Ihre kostbare Zeit nicht zu sehr beanspruchen und mich so kurz wie möglich fassen.
Der SPD-Entwurf sieht in seinen Kernpunkten folgende Verbesserungen vor, zu denen ich im weiteren Verlauf noch Stellung nehmen möchte: erstens eine fühlbare Erhöhung der Unterhaltshilfe, zweitens die Nichtanrechnung der Unterhaltshilfe auf die Hauptentschädigung, drittens eine entscheidende Auflockerung und Verbesserung der Selbständigenzuschläge sowie viertens die Nichtanrechnung von Rentenerhöhungen auf die Unterhaltshilfe.
Als erstes darf ich zur Unterhaltshilfe folgendes ausführen. Während der Regierungsentwurf eine Erhöhung von nur 15 DM vorsieht, sind wir Sozialdemokraten der Meinung, daß die Unterhaltshilfe um 35 DM auf 190 DM erhöht werden sollte. Ebenso soll der Ehegattenzuschlag spürbar erhöht sowie der Kinderzuschlag entsprechend angehoben werden. Damit soll erreicht werden, daß die alte Relation zwischen der Unterhaltshilfe und der Sozialhilfe wiederhergestellt wird. Ich darf dies an Hand eines Beispiels erläutern. Bisher erhält ein Alleinstehender monatlich 155 DM Unterhaltshilfe. Nach der Regierungsvorlage soll er 170 DM erhalten. Nach unserer Auffassung muß er mindestens 190 DM bekommen. Warum? Ein alleinstehender Sozialhilfeempfänger erhält monatlich im Durchschnitt etwa 190 DM. Von jeher aber war in diesem Hohen Hause die Meinung, daß zwischen den Leistungen der Fürsorge bzw. Sozialhilfe und der Unterhaltshilfe eine Relation bestehen sollte, die um 20 % höher liegt, als dies im Augenblick der Fall ist. Wenn wir Sozialdemokraten mit unserem Vorschlag bis an die Grenze des Möglichen — gemeint ist dabei: nach unten — gegangen sind, so dürfte das ein Beweis dafür sein, daß wir uns ernsthaft mit dieser Frage befaßt haben. Daß die Unterhaltshilfe künftig nicht mehr auf die Hauptentschädigung angerechnet werden soll, dürfte bei gerechter Beurteilung der Gesamtsituation als berechtigt anerkannt werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt in unserer Vorlage ist die Verbesserung der Selbständigenzuschläge. Im Regierungsentwurf vermissen wir die seit langem fällige Verbesserung. Wir Sozialdemokraten wollen hier zumindest das Notwendige tun. Der SPD-Entwurf bringt eine entscheidende Auflockerung der bisherigen Voraussetzungen in mehrfacher Hinsicht.
Zunächst soll der Selbständigenzuschlag nicht wie bisher erst bei einem Grundbetrag zur Hauptentschädigung von 3600 DM, sondern bereits bei einem Grundbetrag von 1500 DM gewährt werden. Dadurch wird der größte Teil der kleinen und mittleren
Betriebe in die Regelung neu einbezogen. Aus den bisherigen vier Stufen, nach denen sich die Höhe bemißt, sind sieben Stufen geworden. Der Selbständigenzuschlag wird nunmehr in der niedrigsten Stufe 30 DM und bei einem Grundbetrag zur Hauptentschädigung von über 12 000 DM 125 DM betragen. Dazu kommt eine großzügige Anhebung der Ehegattenzuschläge, die bisher grundsätzlich 10 DM betrugen. Diese Höhe wird der Zuschlag nur noch in den Stufen 1 und 2 haben. In den darauffolgenden Stufen wird der Zuschlag bis zu 60 DM — in der letzten Stufe — angehoben. Wir glauben, daß wir die Verbesserungen und vor allen Dingen die Auflockerung vornehmen müssen, um endlich auch die Klein- und Mittelbetriebe berücksichtigen zu können. Bei dem Personenkreis, der neu berücksichtigt werden soll, handelt es sich um Menschen, die sich bisher benachteiligt fühlten und dies auch waren.
Ein besonderes Anliegen meiner Fraktion ist es, daß Rentenerhöhungen auf Grund der allgemeinen Bemessungsgrundlage auf die Unterhaltshilfe nicht mehr angerechnet werden. Sie kommen dadurch als wirkliche Leistungsverbesserungen dem Empfänger zugute und werden nicht wie bisher ganz oder teilweise wieder weggesteuert. Es kann und darf nicht der Wille dieses Hauses sein, daß mit der linken Hand das weggenommen wird, was mit der rechten Hand gegeben wird.
Die von mir hier besprochenen sind nur ein Teil der in unserer Vorlage vorgesehenen Verbesserungen. Die von mir aufgezeigten und alle noch auftauchenden Probleme werden im Lastenausgleichsausschuß Gegenstand der Beratung sein. Wir Sozialdemokraten hoffen und erwarten, daß unser Entwurf auch den anderen Fraktionen eine Grundlage bietet, eine reale, den sozialen Verhältnissen entsprechende Novellierung zu finden. Die Ausführungen der Sprecher aller Fraktionen, die Forderungen des Herrn Bundesvertriebenenministers in seiner Eigenschaft als Präsident des Bundes vertriebener Deutscher, die berechtigten Forderungen der Geschädigtenverbände, ob das Kriegssachgeschädigte, Vertriebenenverbände oder Sowjetzonenflüchtlingsverbände sind, sowie die zwingende Notwendigkeit, eine wirklich soziale Novelle zu verabschieden, stimmen uns zuversichtlich.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Dichterwort schließen, das so schön in die Situation paßt: „Es ist nicht genug zu wissen, man muß es auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muß es auch tun."
Ich beantrage namens der SPD-Fraktion Überweisung an den Lastenausgleichsausschuß.