Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man nach drei so gehaltvollen und guten Reden als vierter zu sprechen hat, läuft man Gefahr, das zu sein, was Tucholsky einmal mit dem Begriff des „Unterstreichungsredners" bezeichnet hat. Man läuft Gefahr, des öfteren bei Problemen sagen zu müssen: „Wie mein Herr Vorredner schon sehr richtig betont hat."
Ich möchte das im allgemeinen Interesse unterlassen. Ich glaube, niemand wird dann, wenn er das, was ich gesagt habe, im Protokoll nachliest, in die Gefahrt kommen, zu sagen: Der FDP ist offensichtlich hier nicht mehr eingefallen.
Gerade dieses Thema des Urheberrechts ist ja, wie die bisherige Debatte gezeigt hat, zwischen den Parteien in keiner Weise kontrovers. Es ist natürlich bedauerlich, daß wir das Thema des Urheberrechts, wie die meisten Fragen, die etwas in den kulturellen Bereich hineingehen, am Freitagvormittag behandeln, mit den Folgen, die der Freitagvormittag für die Besetzung des Plenums nun eben hat.
Manche beißumkämpfte Frage der Wirtschaftspolitik oder der Sozialpolitik wirkt ja nicht so sehr in die Zukunft hinein und baut nicht so sehr an der Zukunft mit wie die mehr geistig-kulturellen Probleme, zu denen das Urheberrecht ja ohne jeden Zweifel gehört. In diesen Fragen werden kaum große Streitigkeiten zwischen den Parteien auftreten. Nur in einem Punkt muß ich dem Redner einer anderen Partei etwas entgegenhalten, nämlich der Bemerkung des Kollegen Reischl, mit der er seine Rede begonnen hat, seinen Stoßseufzer: Endlich! Es kommt ja gelegentlich vor, daß ein Politiker auf dem falschen Fuß „Hurra" schreit, und hier hat der Kollege Reischl ein wenig auf dem falschen Fuß „Endlich" geschrien. Herr Kollege Reischl, die Bundesregierung ist daran völlig unschuldig. Darin sind wir uns, denke ich, einig.
— Dann haben Sie also in eine Richtung gerufen, in die es paßt. Daß die Bundesregierung den Entwurf frühzeitig eingebracht hat und an dem späten Datum der heutigen ersten Lesung unschuldig ist, darüber sind wir uns einig, so daß auch hier zu un-
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serer großen Freude die Einigkeit wiederhergestellt ist.
Es geht hier um die Modernisierung unseres Urheberrechts; es geht auch um die Vereinheitlichung unseres Urheberrechts. Die technische Entwicklung hat Fortschritte gebracht, die Anfang des 20. Jahrhunderts nicht vorhergesehen werden konnten. Unsere Gesetze sind in diesem Punkt nicht auf dem laufenden, und die Gerichte waren gezwungen, ohne die sichere Grundlage eines klaren und modernen Gesetzestextes brauchbare Regelungen zu schaffen. Wir alle sind vielleicht mit der einen oder anderen Entscheidung höchster Gerichte nicht völlig einverstanden. Aber unseren Gerichten, insbesondere dem Bundesgerichtshof, gebührt wohl Dank dafür, daß sie hier Aufgaben bewältigt haben, die in ihrer Schwierigkeit kaum mehr von anderen richterlichen Aufgaben zu übertreffen sind.
Ich möchte nur auf wenige Punkte des Entwurfs kurz eingehen, manchmal nicht einmal auf die wichtigsten, weil von meinen Vorrednern dazu schon alles gesagt worden ist.
Ein gewisser Nebenpunkt ist die Frage des Vergütungsanspruchs für das Vermieten von Vervielfältigungsstücken. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß sie gründlich geprüft werden muß, und zwar aus allen möglichen Gesichtspunkten. Man wird auch einige kulturpolitische Erwägungen anstellen müssen; denn die Leihbüchereien enthalten nicht nur sehr wertvolle Werke, sondern zu einem beachtlichen Teil auch Bücher, die in kürzester Zeit unter minimalem Aufwand an geistiger Leistung zusammengeschrieben werden. Die Regelung dieser Frage wird eine der zahlreichen Aufgaben sein, die den Ausschüssen des Bundestages hei der Beratung bevorstehen.
Wir werden — auch darauf muß ich hinweisen bei der Frage der öffentlichen Musikaufführungen prüfen müssen, wieweit wir den Begriff der Öffentlichkeit ziehen wollen. Sie kennen die Entscheidungen über Tanzkränzchen usw. Auch dieses Problem ist, wie die Rechtsprechung zeigt, keineswegs einfach.
Eines der schwierigsten Probleme, die wir zu lösen haben werden, ist zweifellos die Urhebernachfolgevergütung. Der Gedanke — ich zitiere den Altbundespräsidenten Theodor Heuss —, „die frei gewordenen Dichter oder Schriftsteller in gewissem Umfang zu Mitwirkenden bei der Sicherung der Lebensarbeit und der Lebenswürde ihrer Nachfolger zu machen", wird nicht nur in Deutschland diskutiert; er ist aber in anderen Ländern zum Teil noch sehr umstritten. Eines scheint mir klar zu sein — da bin ich mit den Kollegen Deringer und Dr. Reischl völlig einig —: die vom Bundesrat aufgeworfene Kompetenzfrage ist von ihm in einer Weise behandelt worden, daß wir hier nur unsere aus guten Gründen entgegenstehende Meinung gemeinsam bekunden können.
Wir werden uns sehr eingehend darüber unterhalten müssen, ob wir eine Urhebernachfolgevergütung beschließen wollen oder — das muß im Zusammenhang gesehen werden — ob wir uns mit dem Gedanken einer Verlängerung der Schutzdauer befreunden können. Kommen wir zu einer Urhebernachfolgevergütung, erhebt sich natürlich die Frage, was mit den Mitteln geschehen und wer gefördert werden soll.
Gegen die im Gesetz vorgesehene Unterstützung der Hinterbliebenen von Urhebern wird kein Mensch etwas sagen und kann auch kein Mensch etwas sagen. Der Ehrensold an Urheber, die bedürftig sind. bedarf ebenfalls keiner Diskussion. Problematisch sind die vorgesehenen Förderungsbeihilfen an begabte Urheber. Beim Lesen der Bestimmungen hat man doch sicher den Gedanken: Ja, das wäre wunderschön; wenn wir nur von vornherein genau wüßten, daß das die Richtigen bekommen. Man kann sich die Frage stellen: Hätte es Ende des 19. Jahrhunderts eine Urhebernachfolgevergütung gegeben, hätte dann wohl Vincent van Gogh an dieser Urheberrechtsnachfolgevergütung als förderungswürdiger Künstler partizipiert? An diesem Beispiel sehen Sie, wir schwierig hier nicht nur die Grundsatzfragen, sondern auch die Fragen der Durchführung sind. Die Vervielfältigung von urheberrechtlich geschützten Werken zu Privatzwecken ist nicht minder kompliziert. Darüber ist von meinen Vorrednern, denen ich nur zustimmen kann, schon so vieles gesagt worden, daß ich keine weiteren Einzelheiten vorbringen will.
Nicht nur die Grundsatzfrage ist schwierig, sondern auch die Frage, ob wir eine praktikable Verwirklichung unserer grundsätzlichen Entscheidung finden werden. Es kommt hier mit darauf an, daß wir eine Abgrenzung zwischen den Rechten der Urheber und der Privatsphäre des einzelnen finden. Wenn ich es ganz ins Unreine sagen darf: die GEMA sollte in die Privatwohnung nicht weiter eindringen dürfen, als dies aus guten Gründen dem Herrn Staatsanwalt erlaubt ist.
— Ein allgemeiner Satz, dem Sie Beifall spenden.
Ich bin mir aber darüber klar, daß die Verwirklichung dieses Satzes im konkreten Falle nicht so leicht ist wie die Proklamierung des Grundsatzes. Auch das Verwertungsgesellschaftengesetz wird uns vor eine Menge von Problemen stellen. Es kribbelt mir etwas in den Fingern, gefühlsbetonte Worte über das Problem GEMA von mir zu geben. Es fällt mir nicht leicht, das zu unterlassen. Die GEMA ist nicht populär, und ihr Geschäftsgebaren ist auch nicht so, daß sie Popularität erwarten könnte.
Das Urheberrecht geht sehr weit, und die Frage, was den Urhebern die materiellen Einkünfte, auf die sie ein Anrecht haben, bringt, ist ein Problem, das mit vom Geschäftsgebaren einer solchen Verwertungsgesellschaft abhängt. Ein wenig habe ich den Eindruck, daß sich die GEMA zeitweise mit einem urheberrechtlichen Ährenlesen befaßt. Ich habe mir von Agrarpolitikern sagen lassen, daß in
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der modernen Landwirtschaft das Ährenlesen nicht mehr besonders rationell sei.
Aber hier können wir das wenigste davon im Gesetz selber regeln; für die Handhabung beim Geschäftsgebaren der Verwertungsgesellschaften müssen wir einiges diesen überlassen.
Einig sind meine politischen Freunde und ich mit dem, was die Kollegen Deringer und Reischl gesagt haben: Wir müssen versuchen, die vier Gesetzentwürfe noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Ich glaube, die Reden, die hier gehalten worden sind, und die Atmosphäre, in der sie gehalten worden sind, verbürgen ein gutes Klima in den Ausschüssen, die sich mit diesen Fragen zu befassen haben. Vorschaltgesetze sind immer schwierig. Auf diesem Gebiet wären Vorschaltgesetze noch viel problematischer als jene, mit denen wir es in den vergangenen Jahren in der Sozialpolitik etwa zu tun gehabt haben.
Lassen Sie mich mit einer Bemerkung schließen, die über das Urheberrecht hinausgeht, die sich aber einem parlamentarischen Geschäftsführer nun einmal aufdrängt. Die Schwierigkeit der Behandlung der verschiedenen Reformen auf dem Gebiet des Rechtswesens, auch die Tatsache, daß wir erst heute die erste Lesung der vier Gesetze haben, zeigt, daß wir im Deutschen Bundestag nicht zuviel, sondern zuwenig Juristen haben, die bereit und in der Lage sind, sich den Reformarbeiten auf diesen Rechtsgebieten zu widmen. Wenn man in anderthalb Jahren an die Aufstellung der Kandidaten für die Bundestagswahl 1965 denkt, wäre es kein Fehler, wenn alle Parteien hier für geeigneten Nachwuchs sorgten. Es grenzt zwar ans Peinliche, wenn ein Jurist das sagt; aber ich bin von der Richtigkeit meiner Behauptung so sehr überzeugt, daß ich glaubte, sie nicht unterlassen zu können.