Für uns als Gesetzgeber, Herr Kollege Kanka, sollten die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts immer eine Mahnung sein, bei allen Gesetzen, auch soweit vorkonstitutionelles Recht vorliegt, sehr sorgfältig zu prüfen, ob sie dem Grundgesetz entsprechen.
Eines kann ich Ihnen nun doch nicht vorenthalten, weil es sich dabei um Entscheidungssätze handelt, die für uns auch in der kommenden Zeit von größter politischer Bedeutung sind. Ich meine das, was das Bundesverfassungsgericht zu Art. 5 des Grundgesetzes gesagt hat, also zu dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit. Hier hat das Bundesverfassungsgericht Grundsätze aufgestellt, die für jeden, dem an einer lebendigen Demokratie liegt, goldene Worte sein müssen. Deswegen habe ich sie mir für den Schluß meiner Rede aufgespart. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen ganz klar herausgestellt, daß es sich bei dem Grundrecht des Art. 5 des Grundgesetzes um eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt handelt. Es bezeichnet dieses Grundrecht als Grundlage der Freiheit.
In einer anderen Entscheidung heißt es:
Für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung ist die politische Meinungsfreiheit, die
Geistesfreiheit schlechthin konstituierend, denn
sie ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist.
Und in einer weiteren Entscheidung:
Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung sichert die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im freiheitlichen demokratischen Staat notwendig „pluralistisch" im Widerstreit verschiedener und aus verschiedenen Motiven vertretener, aber jedenfalls in Freiheit vorgetragener Auffassungen, vor allem in Rede und Gegenrede vollzieht.
Diese Sätze haben gerade in der letzten Zeit bei Disukussionen, die über bestimmte dichterische Werke stattgefunden haben, eine besondere Bedeutung erlangt. Sie sollten uns mahnen, tolerant gegeneinander zu sein. Sie lehren uns, daß wir, auch wenn eine künstlerische Gestaltung in ihrem geistigen Inhalt nicht unserer Auffassung entspricht, nicht nach dem Strafrichter rufen, sondern die Dinge in freier Diskussion klarstellen sollten.
Weiter sagt das Bundesverfassungsgericht:
Das ... Grundrecht der Pressefreiheit ist mehr als nur ein Unterfall der Meinungsfreiheit, da darüber hinaus die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung gewährleistet ist.
Das ist eine Entscheidung im Geiste unseres Grundgesetzes. Ich wünsche, daß das Bundesverfassungsgericht auch in Zukunft Zeit und Muße findet — Anlaß wird es immer haben —, seine Rechtsprechung in diesem Geiste, der seinerzeit zunächst von Höpker-Aschoff geprägt wurde, fortzusetzen. Ich glaube auch, daß das Bundesverfassungsgericht sich im Politischen die Zurückhaltung auferlegt hat, die Höpker-Aschoff damals forderte. Es hat sich bemüht, nicht selbst den politischen Gesetzgeber zu spielen — trotz der Versuchung, die natürlich in manchen politischen Rechtsstreiten vorhanden war.
Ich wünsche für das Bundesverfassungsgericht, daß wir in absehbarer Zeit über eine sinnvolle Vereinfachung des Verfahrens hinaus den weiteren Schritt, nämlich die Errichtung des Einheitsgerichts, tun können und damit das höchste Gericht erhalten, das wir uns von Anfang an als Hüter unserer Grundrechte gewünscht haben.