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ID0405809600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 58. Sitzung Bonn, den 7. Februar 1963 Inhalt: Fragestunde (Drucksache IV/947) Frage des Abg. Wellmann: Gesundheitsschädigende ausländische Lebens- und Genußmittel Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister 2589 B Frage des Abg. Blachstein: Verträge der Bundespost für spanische Gastarbeiter Stücklen, Bundesminister 2589 C, 2590 A Blachstein (SPD) . . . . 2589 D, 2590 A Frage des Abg. Dr. Rinderspacher: Unzulässigkeit der Versendung von leeren Briefumschlägen als Drucksache Stücklen, Bundesminister . . 2590 A, B, D, 2591 A, B, C, D Dr. Rinderspacher (SPD) . . . 2590 B, C, D Dr. Mommer (SPD) 2591 A Dr. Bechert (SPD) 2591 B Dr. Schäfer (SPD) 2591 C Regling (SPD) 2591 C, D Fragen des Abg. Biegler: Schmuckblattformulare Stücklen, Bundesminister . . . . 2591 D Fragen der Abg. Dr. Mommer und Dürr: Doppelte Gebühr für Gespräche bei Störung des Selbstwählverkehrs Stücklen, Bundesminister 2592 A, B, C, D, 2593 A, B, C Dr. Mommer (SPD) 2592 B, C Dürr (FDP) . . . . . . 2592 D, 2593 A Dr. Schäfer (SPD) 2593 B Frage des Abg. Freiherr von Mühlen: International gebräuchliche Adressenschreibung Stücklen, Bundesminister 2593 D, 2594 A, B Freiherr von Mühlen (FDP) 2593 D, 2594 A Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung: Ollenhauer (SPD) 2594 C Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 2604 C Dr. Mende (FDP) 2610 C Schmücker (CDU/CSU) . . . . 2615 D Erler (SPD) 2621 C, 2631 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 2629 C Dr. Achenbach (FDP) . . . . . . 2632 B Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2634 C Dr. Jaeger (CDU/CSU) . . . . . 2638 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . 2643 D Anlagen 2645 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 2589 58. Sitzung Bonn, den 7. Februar 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    *) Siehe Anlage 2 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 2645 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Dr. Aigner * 9. 2. Arendt (Wattenscheid) * 9. 2. Dr. Arndt (Berlin) 16.2., Dr. Dr. h. c. Baade 8.2. Bals 8. 2. Bergmann * 9. 2. Birkelbach * 9. 2. Fürst von Bismarck 22. 2. Dr. Bleiß 8. 2. Frau Brauksiepe 8. 2. Dr. Burgbacher * 9.2. Cramer 8.2. Dr. Deist * 9. 2. Deringer * 9. 2. Dr. Dichgans * 9. 2. Dopatka 21.2. Dr. Dörinkel 8. 2. Drachsler 8. 2. Dr. Dr. h. c. Dresbach 31. 3. Frau Dr. Elsner * 9.2. Faller * 9.2. Felder 8. 2. Figgen 20.4. Dr. Dr. h. c. Friedensburg * 9. 2. Funk (Neuses am Sand) 16.2. Dr. Furler * 9. 2. Gaßmann 8.2. Gedat 15.2. Dr. Gleissner 8. 2. Gscheidle 7. 2. Hahn (Bielefeld) * 9. 2. Hammersen 8.2. Dr. von Haniel-Niethammer 8. 2. Harnischfeger 15. 2. Hauffe 28.2. Herold 8. 2. Hilbert 8.2. Illerhaus * 9. 2. Kalbitzer * 9. 2. Katzer 28. 2. Frau Kipp-Kaule 8.2. Dr. Klein (Berlin) 8. 2. Klein (Saarbrücken) 15.2. Klinker * 9. 2. Kohlberger 8.2. Frau Korspeter 8. 2. Dr. Kreyssig * 9. 2. Kriedemann * 9. 2. Kühn (Hildesheim) 8. 2. Kurlbaum 8.2. Lemmer 28. 2. Lenz (Brühl) * 9. 2. Dr. Löhr * 9.2. Lücker (München) * 9.2. Margulies * 9. 2. Mauk * 9.2. Menke 8.2. Metzger * 9. 2. Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Michels 7. 2. Müller (Berlin) 28.2. Müller (Nordenham) 2. 3. Müser 8. 2. Neubauer 17. 2. Nieberg 8. 2. Oetzel 28. 2. Frau Dr. Pannhoff 8.2. Dr.-Ing. Philipp * 9.2. Pöhler 8. 2. Frau Dr. Probst * 9.2. Rademacher 8. 2. Richarts * 9. 2. Dr. Rieger (Köln) 8. 2. Ritzel 8. 2. Ruf 8.2. Seither 11.3. Steinhoff 15. 2. Dr. Steinmetz 8. 2. Storch * 9. 2. Strauß 18. 3. Frau Strobel * 9. 2. Sühler 8.2. Frau Vietje 15. 2. Wacher 8. 2. Dr. Wahl 28.2. Weinkamm * 9.2. Werner 24.2. Wischnewski * 9. 2. Wittmer-Eigenbrodt 16. 2. Dr. Zimmermann (München) 8. 2. * Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments Anlage 2 Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Dr. Wuermeling zu der Aussprache über die Regierungserklärung. Wir haben heute nach Neubildung der Bundesregierung die erste allgemeine politische Aussprache. Bei einer solchen Aussprache sollen die Grundlinien unserer Politik erörtert werden. Sie verstehen es gewiß, wenn ich meinerseits dabei das Thema anspreche, mit dem ich durch mein bisheriges Amt als Familienminister engstens verbunden bin und dem ich künftig auch als Abgeordneter mit Leib und Seele verbunden bleiben werde, die Familienpolitik. Dieses Thema gehört in die Generalaussprache über die Gesamtpolitik, weil es ein Thema ist, das in alle politischen Sachbereiche hineinstrahlt und hineinstrahlen muß und weil es bei allen einzelnen Fachgesetzen leider immer nur irgendwie am Rande erscheint. Es pflegt aber dort jeweils im Schatten der Fülle der Fachprobleme zu stehen, die etwa bei jedem Sozialgesetz, bei jedem Steuergesetz, beim Wohnungsbau usw. zu erörtern sind. Ist es 2646 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 nicht wirklich so, daß wir sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Verwaltung immer wieder der Gefahr erliegen, nur in den vertikalen Fachbereichen etwa der Sozialversicherungszweige, der Kriegsopferversorgung, des Lastenausgleichs, des Steuerrechts usw. zu denken und den horizontal quer durch alle vertikalen Fachbereiche gehenden so wichtigen Bereich Familie darüber in den Hintergrund treten zu lassen? Und das, obwohl es doch ein immer wieder gerade von den beiden großen Fraktionen des Hauses betontes Hauptanliegen ist, die Familie als die wichtigste Institution für Staat und Gesellschaft zu schützen und unseren Familien mit Kindern auch wirtschaftlich wenigstens einigermaßen gleichberechtigte Existenzvoraussetzungen zu ermöglichen. Auch die gestrige Regierungserklärung hat das ja erneut in zwei markanten programmatischen Sätzen unterstrichen. Lassen Sie mich zu letzterem Punkt hier heute etwas sagen, aber mit der betonten Vorbemerkung, daß diese Fragen des Familienausgleichs gewiß nicht der einzige — und nicht einmal der wichtigste — Bereich der Familienpolitik sind, aber doch der Bereich, auf dem gerade wir hier auf der Bundesebene die größten Möglichkeiten und Aufgaben haben, mit deren Erfüllung wir uns -- trotz all dessen, was bisher erreicht wurde — in der Bundesrepublik in einem schmerzlichen Rückstand gegenüber unseren westlichen Nachbarländern befinden. Ich bekenne das in aller Offenheit nach neun Jahren unaufhörlichen und leider nicht genügend erfolgreichen Ringens als Familienminister. Ich will hier nicht im einzelnen auf die Ergebnisse der Godesberger Konferenz von acht europäischen Familienministern vom Mai vorigen Jahres, die das gezeigt haben, eingehen. Sie sind Ihnen und der Öffentlichkeit ja aus dem amtlichen Bulletin bekannt. Ich gebe auch zu, daß Vergleiche mit anderen Ländern allein nicht zwingend sind, wenn man Entschlüsse für sein eigenes Land zu fassen hat, zumal da solche Vergleiche ja nicht immer auf absolut gleichartigen Komponenten aufgebaut sind. Wir haben uns allerdings bemüht, in der Familienministerkonferenz eine weitgehende Vergleichbarkeit sicherzustellen. Wichtiger als diese internationalen Vergleiche scheint mir vielmehr die Kenntnis der Situation der Familien in unserem eigenen Lande, insbesondere der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation unserer Familien mit Kindern angesichts der Lohn-und Preisentwicklung in einer Zeit, in der wir alle immer wieder die Notwendigkeit des Schutzes und der Gerechtigkeit für sie betont haben. Hier muß leider .die betrübliche Feststellung getroffen werden, daß für die Angehörigen aller Bereiche des sozialen Lebens in den letzten Jahren Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Lebensbedingungen — gewiß unterschiedlichen Ausmaßes, aber jedenfalls sichtbare reale Verbesserungen — eingetreten sind, weithin durch •gesetzliche Maßnahmen, daß aber unsere Familien mit Kindern — und ich wage zu behaupten: allein diese! — hinter der für alle anderen eingetretenen Aufwärtsentwicklung sichtbar zurückgeblieben sind. Weil wir uns das alle täglich vor Augen halten sollten, möchte ich Ihnen diese Feststellung kurz begründen. Dazu zunächst folgendes: Wenn Löhne und Gehälter steigen — und sie sind in den letzten Jahren erheblich, mehr als die Preise gestiegen —, dann hat ,der Alleinstehende die meinetwegen 20 bis 30 DM monatlicher Erhöhung nach Abzug der Steuern und Sozialabgaben für sich allein und verbessert sich entsprechend um das volle Mehr an Kaufkraft. Wo aber auch Frau und Kinder mitversorgt werden müssen, ,dividiert sich die monatliche Erhöhung durch 4 oder 5 oder noch mehr Köpfe, so daß der Kaufkraftrückstand unserer Kinderfamilien gegenüber den Alleinstehenden schon von daher mit jeder linearen Lohn- und Gehaltserhöhung immer größer wird. Dazu kommt aber noch, daß .die Preiserhöhungen für den lebensnotwendigen Bedarf, mit dem die Lohnerhöhungen ja weithin begründet werden, dieselben Familien mit Kindern, die ohnehin mit den linearen Lohnerhöhungen immer weiter hinter ,die Alleinstehenden zurückfallen, multipliziert mit der Zahl der Familienmitglieder, treffen, daß hier also einer dividierten Lohn- oder Gehaltserhöhung eine multiplizierte Verteuerung des lebensnotwendigen Bedarfs gegenübersteht, dem die Eltern gerade für ihre Kinder nicht ausweichen können. Durch diese Entwicklung kommen die Familien mit Kindern auf doppelte Weise immer weiter in Rückstand. Ich sage das jetzt nicht, um nach irgendeiner Seite hin Vorwürfe zu erheben, sondern ausschließlich, weil ich meine, daß wir uns, da wir unsere öffentlichen Erklärungen zugunsten unserer Kinderfamilien doch ernst nehmen, über diesen Tatbestand klar werden müssen. Denn im Anfange allen Fortschritts steht immer die klare Erkenntnis der Sachlage. Ich habe das Gefühl, daß aus dieser Sachlage bisher deshalb nicht die gebotenen Konsequenzen einer entsprechenden Anpassung der Familienleistungen gezogen worden sind, weil diese Erkenntnis vielen von uns bisher einfach nicht tief genug ins Bewußtsein gelangt ist. Ich darf das deshalb mit einigen wenigen Tatsachen erläutern, die meines Erachtens jeden geradezu erschrecken müssen, der sich den besonderen Sorgen unserer Väter und Mütter verbunden weiß. Zunächst das Bild im großen Bereich der freien Wirtschaft. Seit der letzten Erhöhung des Kindergeldes von 30 auf 40 DM monatlich per 1. März 1959 haben sich die durchschnittlichen Monatslöhne männlicher Industriearbeiter nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes schon bis August 1962 um 42 % — inzwischen noch weiter — erhöht. Da das Kindergeld seitdem unverändert blieb, erhöhte sich hier das Monatseinkommen — schon bis August 1962 — bei Ledigen und kinderlos Verheirateten um die genannten 42 %, bei Familien mit 3 Kindern nur um 39 %, bei Familien mit 5 Kindern nur um 34 %, und das, obschon gerade die Familien mit Kindern, wie gesagt, durch die Preisentwicklung viel stärker betroffen sind als andere. Die Zahlenreihe müßte gerechterweise genau die umgekehrte Tendenz aufweisen. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 2647 Hierbei habe ich noch nicht einmal berücksichtigt, daß nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes von 1959/62 die Lebenshaltungskosten für den Unterhalt von Kindern mit rund 10% erheblich stärker angestiegen sind als die allgemeinen Lebenshaltungskosten eines Erwachsenen (7,6 %). Es steht aber ohnedies eindeutig fest, daß in dem großen Bereich der privaten Wirtschaft der Anteil am Sozialprodukt für die Familien mit Kindern sichtbar abgesunken ist, während der Anteil der Kinderlosen am Sozialprodukt zu Lasten der Kinderlosen sich ebenso sichtbar erhöht hat. Das ist aber doch wohl genau das Gegenteil von dem, was wir alle anstreben. Betrachten wir die Entwicklung bei den 835 000 Arbeitern des öffentlichen Dienstes — Bund, Länder und Gemeinden —, von denen über 500 000 allein auf Bundesbahn und Bundespost entfallen, uns also im Bundestag besonders interessieren. Hier ergibt sich, daß, weil die Kinderzuschläge seit 1956 überhaupt nicht mehr erhöht wurden, die Entwicklung noch wesentlich ungünstiger für die Familien ist. Bei einem Arbeiter der Lohngruppe IV (Ortsklasse 1) und einem mittleren Kinderzuschlag von 35 DM monatlich erhöhten sich von 1956 auf 1962 die Monatsbezüge der Kinderlosen um 53 %, bei 3 Kindern um 41%, bei 5 Kindern nur um 35 %. Hier erhöhte sich also der Anteil der Alleinstehenden am Sozialprodukt um 53%, der des Familienvaters mit 5 Kindern aber nur um 35%, beim Alleinstehenden also um rund 50 % mehr, als bei der Familie mit 5 Kindern. Ich glaube, daß das Tatbestände sind, an denen schlechthin niemand von uns vorbeigehen kann und die stärker nach Abhilfe geradezu schreien als jede andere noch so dringlich erscheinende gesellschaftspolitische Maßnahme. Für die Bundesbeamten hat die dem Hause vorliegende Regierungsvorlage, wie wir gern als erfreulich anerkennen, vorgesehen, daß die familienbezogenen Gehaltsteile ab 1. April 1963 ebenso um 6 % erhöht werden wie die Grundgehälter. Die Bundesregierung hat also die mir heute noch absolut unverständlich erscheinende Länderregelung, die ausgerechnet die familienbezogenen Gehaltsteile von der Erhöhung ausschloß, bewußt nicht mitgemacht, so daß hier, wenn man die Dinge rein rechnerisch prozentual sieht — wogegen manches gesagt werden könnte —, die Familien anteilig berücksichtigt sind. Ich glaube, daß dieser familienpolitische Querschnitt durch die verschiedenen Bereiche der Berufstätigen in die allgemeine politische Aussprache gehört, weil man die Lage der Familie einmal quer durch alle Bereiche sehen muß, um ein klares Gesamtbild zu bekommen. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß in allen Bereichen der Lohn- und Gehaltsempfänger — Entsprechendes gilt natürlich auch für die freien Berufe -der Anteil der Familien am Sozialprodukt in den letzten Jahren erheblich geschmälert wurde zugunsten des Anteils der Ledigen und kinderlosen Verheirateten. Die Familien mit Kindern befinden sich wirtschaftlich, gemessen an der Entwicklung der Erwachsenenhaushalte, in einer eindeutig rückläufigen Entwicklung. Bei dieser Sachlage sollen ihnen nun durch die Krankenversicherungsreform noch mehr neue Lasten auferlegt werden als den kinderlosen Haushalten, insbesondere durch die Handhabung des 2%igen Individualbeitrages mit der Selbstbeteiligung auch für Kinder. Ich hoffe zuversichtlich, daß das Hohe Haus den Familien wenigstens solche Sonderbelastungen erspart, wenn schon die vorgesehene Kindergeldaufbesserung nicht einmal das notwendige Mindestausmaß erreicht. Es lag mir sehr daran, diese ernsten und unser aller Wollen eideutig widersprechenden Tatbeständen hier und heute einmal in aller Offenheit darzulegen, damit wir uns demnächst bei allen einschlägigen Gesetzen daran erinnern und alle gemeinsam auf Abstellung dieser eindeutig für die Familien rückläufigen Entwicklung nach besten Kräften bedacht sind, die Wohlstandsentwicklung in den letzten Jahren ist eindeutig auf den Rücken der Familie vor sich gegangen. Das aber kann kein Staat zulassen, der auf seine Zukunft bedacht ist und dessen verantwortliche Träger wissen um die Bedeutung der Familien und ihrer Kinder für den Einzelnen wie für die Gesamtheit. Lassen Sie mich zum Schluß noch die sich natürlich aufdrängende Frage beantworten, wie eine solche Entwicklung im Zeitalter der Familienpolitik und im Jahrhundert des Kindes überhaupt möglich war. Ich möchte das tun ohne jede Polemik nach irgendeiner Seite hin, ich möchte nur erkennbar machen, wo meines Erachtens die Wurzel des Übels liegt. Die Ursache für diese, wie gesagt von niemandem wirklich gewollte Entwicklung liegt in dem individualistischen Denken unserer Zeit, das immer nur allein das Individuum sieht, das im Gesellschaftsleben pair das „do ut des", die Leistung gegen die Gegenleistung kennt und darüber vergißt, daß die für Staat und Gesellschaft lebenswichtige Institution Familie in der modernen Industriegesellschaft dabei zu kurz kommt, gewissermaßen „erdrückt" wird, obschon sie doch mit die wichtigste Leistung auch für Staat und Gesellschaft erbringt. Wir müssen in allen Bereichen unseres sozialen Lebens — jeder an seiner Stelle — darauf bedacht sein und bleiben, daß dieser Entwicklung Einhalt geboten wird, nicht nur vom Gesetzgeber, sondern auch von den Tarifvertragspartnern, auch von Ländern und Gemeinden und überall, wo man etwas dazu tun kann. Niemand darf hier sagen: Familienausgleich natürlich, aber was geht mich das an? Das kann nicht alles allein der Bundesgesetzgeber machen, was hier notwendig ist. Denn das Sozialprodukt ist nur einmal da, und alles, über das etwa die Sozialpartner in tarifvertraglichen Vereinbarungen verfügen, ist für den Familienausgleich nicht mehr greifbar. Und alle Mittel des Bundeshaushalts, über die wir für andere Zwecke verfügen, sind damit der Verwendung für den so zurückgebliebenen Familienausgleich entzogen. Sollten wir alle uns nicht einmal ganz nüchtern fragen, ob wir daran in den letzten Jahren nicht zu wenig gedacht haben? Ziehen wir aus der ge- 2648 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 wonnenen Erkenntnis die sich zwangsläufig ergebenden Konsequenzen! In unseren Nachbarländern ist es weithin so, daß alle politischen Parteien ebenso wie Wirtschaft und Gewerkschaften die Familienausgleichsmaßnahmen für absolut vordringlich halten gegenüber anderen gesellschaftspolitischen Anliegen. Mit dieser gemeinsamen Haltung haben sie alle einen wirklichen und einigermaßen gerechten Familienausgleich durchgeführt, auch die Länder, deren wirtschaftlicher Aufstieg nicht das Ausmaß des unseren in der Bundesrepublik erreichte. Ich möchte heute darum werben, daß alle beteiligten Kreise sich zu dem Entschluß durchringen, künftig auch bei uns gemeinsam dieses große und unausweichlich wichtige Anliegen nicht nur zu sehen, sondern auch zu gemeinsamem Tun über alle Parteigrenzen hinweg bereit zu sein. Meinerseits möchte ich jedenfalls in diesem Sinne meinem Nachfolger im Amt des Familienministers jede mögliche Unterstützung zuteil werden lassen, auf daß er es leichter hat als ich in den Jahren, in denen die Familienpolitik erst aufgebaut und ihre Idee und Aufgabe erst einmal durchgesetzt werden mußte. Und hierzu erbitte ich die Mitarbeit aller Fraktionen und auch der Presse, eben weil Schutz und Gerechtigkeit für die Familien ein Anliegen unseres ganzen Volkes in allen gesellschaftlichen Bereichen ist. „Die Rettung des Menschengeschlechtes beginnt bei der Familie" ! Dessen mögen wir alle — jeder in seinem Bereich — stets eingedenk sein und bleiben und danach handeln!
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Achenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der verehrte Kollege Erler hat seine Darlegungen mit einigen spaßigen Bemerkungen über die Koalition begonnen, 'sicher provoziert durch meinen Freund Erich Mende. Aber, Herr Erler, ich habe Sie doch richtig verstanden, daß Sie 'die These von Erich Mende eigentlich bestätigt haben, daß Sie nämlich eine
    Koalitionspartei im Wartestand wirklich bleiben wollen und sich jederzeit bereit halten, in die Regierung einzutreten.
    Sie wissen, es gibt in Berlin einen Mann, der einmal die Bemerkung gemacht hat: Wer nicht so denkt wie die CDU, der fliegt aus der SPD. Ich halte diese Bemerkung natürlich nicht für richtig. Aber sie ist gemacht worden. Auf der anderen Seite wird man nach den Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers zugeben müssen, daß die andere These: „Wer nicht 'so denkt wie die SPD, der fliegt aus der CDU" vorläufig noch nicht gilt, wenngleich wir vor einiger Zeit so gewisse Tendenzen glaubten feststellen zu können.
    Herr Erler, Sie haben dann von dem verlorenen Jahr gesprochen. Stellen wir doch auch das vernünftigerweise richtig! Herr Kollege Ollenhauer, ein Jahr, in dem es gelungen ist, den Frieden zu erhalten und noch eine Steigerung des Sozialprodukts zu erzielen, ist wirklich kein verlorenes Jahr.
    Nun hat die Frage des deutsch-französischen Vertrages einen großen Raum in den Darlegungen von Herrn Erler eingenommen. Wir sind uns jedoch einig, daß wir uns heute noch nicht in der Ratifizierungsdebatte befinden, und ich möchte mich auch daran halten.
    Fest steht jedenfalls, daß eine völlige Einigkeit in diesem Hause über die unverrückbare Notwendigkeit einer deutschfranzösischen Feundschaft besteht. Das hat der Bundestag in seiner letzten außenpolitischen Debatte bekräftigt, und das ist, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, auch immer unsere Meinung gewesen. Es hat in der Vergangenheit Dinge gegeben, bei denen wir nicht derselben Meinung waren; in diesem Punkt jedoch habe ich immer mit Freude und mit Bewunderung festgestellt, mit welcher Zähigkeit Sie an diesem Gedanken festgehalten haben. Ich selbst hatte ihn schon von jemandem, der noch älter war als Sie, nämlich von jemandem, der im Siegerland auf dem Kartoffelfeld die Mobilmachung von 1870 noch miterlebt hat und der mir, wenn ich von Paris zurückkam, wo ich studierte, immer sagte: Na, was machen denn die Franzosen? Das sind doch auch Menschen wie wir! — So ist es in der Tat und infolgedessen muß der alte deutsch-französische Gegensatz überwunden werden! Ich bin auch der Meinung, die ganze Welt sollte sich darüber freuen, daß wir diesen Gegensatz überwunden haben.
    Natürlich gilt das gleiche auch für unser Verhältnis zu den Engländern. Auch mit den Engländern wollen wir gute, ja ausgezeichnete Beziehungen haben. Aber lassen Sie mich hier ganz kurz noch eine Bemerkung machen; sie schlägt ein bißchen in die Kerbe, in die vorhin der Herr Bundeskanzler geschlagen hat. Ich meine — der Bundestag hat es zum Ausdruck gebracht, und der Herr Bundeskanzler hat es jetzt sehr stark unterstrichen —, wir sind nun einmal für ausgezeichnete Beziehungen zu Großbritannien, und wir wollen, daß Großbritannien nach Europa und in die EWG hineinkommt. Das haben wir erklärt.



    Dr. Achenbach
    Nun vielleicht ist es ganz natürlich im Hinblick auf gewisse Pressestimmen, auch drüben, bei unseren Freunden, den Amerikanern, wenn ich sie einmal ein bißchen aufkläre auch über gewisse Gefühlsregungen bei uns. Sehen Sie, wenn mich jemand fragt: Sind Sie für den Eintritt der Engländer in Europa?, sage ich ja, und wenn er dann zu mir sagt: Sind Sie wirklich dafür?, dann sage ich ja. Wenn er dann aber sagt: Sind Sie auch ganz wirklich dafür und haben Sie auch gar keine Vorbehalte, und ist es wirklich so?, ja dann, muß ich sagen, fällt mir das langsam doch etwas lästig, und dann würde ich fast reagieren mit dem Wort: Was denken denn die Leute eigentlich, was wir für Leute sind! Das ist übrigens der Titel eines Artikels, der kürzlich drüben in Amerika ein gewisses Aufsehen erregt hat.
    Wir wollen das einmal richtig verstehen. Es hat ja auch bei uns Leute gegeben, die in früheren Zeiten das Bedürfnis hatten, an jedem Tag morgens, mittags und abends von den Amerikanern bestätigt zu bekommen, daß sie zu uns stehen würden. Das ist natürlich auch nicht richtig. Wir haben Vertrauen dazu, daß die Amerikaner zu uns stehen; aber da wir ihre Verbündeten sind, haben auch wir schließlich ein Recht darauf, daß man zu unserem Wort Vertrauen hat. Dabei sollten wir es belassen und diese Tatsache nicht zerreden.
    Herr Kollege Erler, wie immer haben sich in Ihren Ausführungen auch Gedankengänge befunden, die unsere Billigung finden können. Ich meine, daß das auch bei unseren Koalitionsfreunden der Fall ist. Ihre Anregung, aus der WEU ein Instrument zu machen, das mithilft, das europäische Vertrauen wieder zu stärken, scheint mir richtig zu sein. Auch ihr Hinweis auf die Verpflichtungen der WEU sind sicher richtig. Nun, die Politische Kommission der WEU, Herr Bundeskanzler, die neulich in Paris getagt hat, hat ja schon den Wunsch geäußert, der Ministerrat der WEU möge es doch als eine vordringliche Aufgabe ansehen, eben im Rahmen der Sieben — der Sechs plus England — wieder einen guten neuen Anfang zu machen und in absehbarer Zeit die Krise zu überwinden. Sie haben gesagt, die Krise sei heilbar. Das ist auch unsere Auffassung, und ich meine, es ist gut, wenn niemand bei uns und auch niemand draußen diesen unseren Willen in Zukunft in Zweifel zieht.
    Nun, ich habe mich eigentlich gemeldet, weil ich auch noch auf eine andere Tatsache hinweisen möchte. Nicht nur im Westen nämlich, Herr Bundeskanzler, werden die Motive des deutsch-französischen Vertrags oder gewisse Möglichkeiten falsch interpretiert, sondern die Sowjetunion hat uns ja gerade jetzt eine Note übersandt, in dem auch sie diesem Vertrag völlig falsche Motive unterschiebt. Auch die Sowjetunion sagt, sie habe nichts gegen gute deutsch-französische Beziehungen — und das ist sehr erfreulich —, aber sie meint, daß dieser Vertrag zwischen uns und den Franzosen den Zweck verfolge, einen Sturmbock gegen sie 'zu bilden.
    Ich glaube, es ist gut, wenn man hier feststellt, daß diese Auffassung abwegig ist. In diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, ist es sicher
    auch gut, wenn wir gerade heute noch einmal die Entschließung des Bundestages vom 12. Oktober 1962 zitieren. Ziffer 4 lautet:
    Der Fortschritt der Menschheit, von der ein großer Teil noch von Hunger und Elend geplagt ist, hat als erste und unerläßliche Voraussetzung die Erhaltung des Weltfriedens.
    Der Bundestag ist der Auffassung, daß, nachdem in Westeuropa eine dauerhafte Friedensordnung gefunden worden ist, erneut versucht werden muß, auch mit Deutschlands östlichen Nachbarn zu einem wahren Frieden zu gelangen.
    Das Recht auf Selbstbestimmung, auf nationale Einheit und Freiheit muß dabei für das deutsche Volk ebenso respektiert werden wie für alle anderen Völker.
    Nun kann man natürlich über den Zeitpunkt von Verhandlungen geteilter Meinung sein; aber ich möchte doch von mir aus auf die Tatsache hinweisen, Herr Bundeskanzler, daß gerade die Westeuropäische Union in einer einmütigen Entschließung im Dezember vorigen Jahres darauf hingewiesen hat, daß nach ihrer Auffassung, also nach Auffassung der Beratenden Versammlung .der Westeuropäischen Union, der Moment gekommen sei, im Hinblick auf die Beendigung der Kuba-Krise nunmehr beschleunigt und dringend Gespräche zu eröffnen mit dem Ziel, zum Abschluß eines Friedensvertrages mit dem Osten zu kommen, der naturgemäß die Wiedervereinigung Deutschlands in sich schließen muß und der natürlich auch — und insofern, Herr Kollege Erler, sind wir uns auch völlig einig — das Recht der Deutschen, sich in eine vernünftigere europäische Organisation einzugliedern, in sich schließt. Das lassen wir uns selbstverständlich von niemandem bestreiten. Ich bin sehr froh, daß auch Sie das hier gesagt haben. Wir sind sicher alle dieser Meinung.
    Aber ich glaube, Herr Bundeskanzler, wir sollten an dieser Entschließung der Westeuropäischen Union nicht achtlos vorbeigehen, weil sie die falsche Argumentation der russischen Note geradezu demonstriert. Nein, es ist nicht so, daß wir gegen friedliche Koexistenz seien. Das stimmt ja nicht. Der Bundestag und die Westeuropäische Union haben eindeutig erklärt, daß sie einen gerechten Frieden im Osten wollen.
    Nun, wenn man zu einem Frieden kommen will, Herr Bundeskanzler, dann gibt es zwei Dinge, die man berücksichtigen muß, erstens die Methode und zweitens die Substanz. Sicherlich haben alle die recht, die darauf hingewiesen haben, daß es nicht so aussieht, als ob es in der Substanz jetzt oder ganz schnell eine Einigung zwischen den Auffassungen der Russen und den unseren geben könne. Die russischen Vorschläge vom Jahre 1959 waren sicher nicht geeignet, eine Einigung herbeizuführen.
    Aber man muß ja, Herr Bundeskanzler, selbst wenn der Gegner — wenn Sie so wollen — einen Balken im Auge hat, als besonders anständiger Mensch auch den geringsten Splitter bei sich selbst vermeiden. Es ist nun nicht ganz zu bestreiten, daß



    Dr. Achenbach
    Ï auch wir noch ein bißchen insofern in Verzug sind, als eine Note der Russen, die in höflichem Ton gehalten war, von uns jedenfalls nicht beantwortet worden ist. Das ist die Note vom 3. August 1961, in der die Russen sagen, ihre Vorschläge seien kein Ultimatum, wir sollten Vorschläge machen, und sie wollten sie prüfen.
    Die Frage, was dabei herauskommt, ist, glaube ich, eine Frage, die man in der Außenpolitik nie stellen sollte, Herr Bundeskanzler. Wenn man zu mir sagt: Mach' Vorschläge!, dann mach' ich welche. Dann wird sich herausstellen, wer zu was steht und was bei der Sache herauskommt.
    Die Erhaltung des Weltfriedens und ständige Bemühungen um den Weltfrieden sind unsere vornehmste Aufgabe. Vor aller Welt und auch vor der Sowjetunion sollten wir deutlich machen: Wir sind eindeutig bereit, über alles zu sprechen, was an politischen Problemen zwischen Ost und West noch offensteht. Wir möchten nicht, daß es aus der deutschen Frage zu einer Bedrohung des Weltfriedens kommt. Es heißt in der russischen Note, daß, wenn wir uns atomare Waffen zulegten, sie das als eine unmittelbare Bedrohung ihrer lebenswichtigen Interessen betrachten müßten und sie dann gezwungen wären, gewisse Maßnahmen zu ergreifen. Darin liegt natürlich eine gewisse Parallelität zu Kuba.
    Alle diese Dinge, Herr Bundeskanzler, würden dann entschärft, wenn wir uns zumindest in der Methode dazu entschließen würden, für eine Friedenskonferenz einzutreten. Selbstverständlich soll das in fester Absprache mit unseren Verbündeten geschehen; denn das Bündnis mit den Vereinigten Staaten ist nach wie vor der Eckpfeiler und die Grundlage unserer Außenpolitik. Wer wollte das bezweifeln! Jeder Zweifel daran ist absolut abwegig. Aber zusammen mit unseren Verbündeten sollten wir jetzt sagen: 18 Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten ist es an der Zeit, sich zusammenzusetzen und die Probleme zu erörtern, die noch offenstehen. In diese Verhandlungen sollten wir durchaus selbstbewußt hineingehen, gestützt auf unsere Verbündeten und mit dem festen Willen, dann nein zu sagen, wenn uns etwas zugemutet wird, was mit unseren Lebensinteressen und unserer Selbstachtung nicht vereinbar ist. Zumindest ist dann der sowjetischen Propaganda sehr viel Wind aus den Segeln genommen.
    Herr Bundeskanzler, ich glaube, gerade Sie werden die Bedeutung dieser Forderung ermessen. In diesem Jahrhundert ist das deutsche Volk zweimal durch das Fegefeuer von großen Kriegen gegangen mit all dem Leid, das Kriege nun einmal mit sich bringen. Es ist unser aller Pflicht, alles zu tun, diesem Volk einen neuen Weltkrieg zu ersparen, soweit es in unseren Kräften steht. Kein zukünftiger Historiker soll sagen dürfen — Herr Bundeskanzler, Sie werden mir da wohl zustimmen —, an den Deutschen sei der Friede mit dem Osten gescheitert. Wir wollen den Frieden. Überall dort, wo es eine Möglichkeit gibt, den Weltfrieden zu erhalten, überall dort, wo es darum geht, offenstehende politische Probleme in gerechter Weise zu lösen oder einer Lösung näherzubringen, sollte die Welt wissen, daß
    die Bundesrepublik und die Bundesregierung bereit sind, das Notwendige zu tun.

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger. — Verzeihung, Herr Abgeordneter, der Herr Außenminister hat sich inzwischen zu Wort gemeldet. Das Wort hat der Herr Außenminister.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir sehr leid, daß ich mich vor dem Kollegen Jaeger gemeldet hatte. Aber er wird nach mir noch lange Zeit haben, um sprechen zu können. Ich halte diesen Augenblick jetzt doch für ganz geeignet, einige Ausführungen zu machen.
    Ich möchte mich zunächst, um es anschließend etwas einfacher zu haben, mit einigem beschäftigen, das Herr Kollege Erler gesagt hat. Herr Kollege Erler hat manches gesagt, dem ich unbedingt zustimmen kann — und das weiß er auch —, und er hat einiges gesagt, dem ich keineswegs zustimmen kann. Die Dinge, denen ich keineswegs zustimmen kann, liegen ein bißchen in seiner Analyse der Vergangenheit. Darauf ist der Herr Bundeskanzler zu einem Teil schon eingegangen. Ich gestehe ganz offen, daß ich etwas unterstreichen muß, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat: Sosehr wir nach dem geschichtlichen Ablauf gewisse Motivationen von früher unter Umständen in ein neues Licht rücken können und damit zu Änderungen unseres heutigen Verhaltens kommen, so bedeutet doch natürlich für politische Wirksamkeit und politische Entscheidung die Stunde sehr, sehr viel. Ich möchte jetzt nicht wieder ganz so weit zurückgehen, und deswegen will ich das nur eingangs meiner Ausführungen tun.
    Ich bin der Überzeugung, daß wir damals in diesem Hohen Hause — das ist eine Entwicklung von 1949 an gewesen — einen Kurs eingeschlagen haben, der sich eben als richtig erwiesen hat — ich lasse einmal den Verteidigungsbereich weg, das ist der etwas empfindlichere Bereich —, einen Kurs, der sich in dem Anstreben europäischer Integration als Weg wieder zurück in die Gemeinschaft der freien Völker darstellt. Das ist in den Zeiten Ihres Parteivorsitzenden Schumacher leidenschaftlich umstritten gewesen. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. Ich glaube, Herr Kollege Erler, Sie werden fair genug sein, einzuräumen, daß wir in dieser Sache recht behalten haben. Ich sage das nicht der Rechthaberei wegen, sondern ich sage es, weil heute diese Kontroverse aufgekommen ist.
    Nachdem ich nun das beschrieben habe, worin ich mit dem Kollegen Erler nicht übereinstimme, möchte ich ein zweites hinzufügen; denn das ist notwendig, weil wir sonst immer wieder an diese Stelle kommen, aus der sich per Saldo vielleicht doch einmal eine sich sehr festfressende Legende ergeben könnte. Es ist die Auffassung, die Deutschen hätten in irgendeinem Augenblick seit 1945 die Chance ge-
    Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den .7. Februar 1963 2635
    Bundesminister Dr. Schröder
    habt, mit sowjetischer Zustimmung ein freies Deutschland zu bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist in meinen Augen eine Legende, der wir widerstehen müssen, wo immer sie aufkommt. Wir dürfen auch nicht zulassen, daß sie sich in eine Debatte wie die heutige einschleicht.
    Nun aber kommen wir zu dem eigentlichen Gegenstand! Welches ist, der eigentliche Gegenstand? — Ich verhehle mir keinen Augenblick, daß eine große Beunruhigung sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten vorhanden ist. Das ist eine Tatsache, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. Wenn ich diese Tatsache einmal ganz einfach in ein paar Daten kleiden darf, so sehen — zunächst nur so für den landläufigen Verstand, aber manchmal auch für besorgtere Betrachter — drei Daten in folgender Kette so aus, als ob sie zusammengehörten. Das eine ist die Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten de Gaulle am 14. Januar, eine Pressekonferenz, wohlvorbereitet, offensichtlich eine Pressekonferenz mit einem weltweiten Echo. Das zweite Datum liegt ein bißchen mehr als eine Woche später: die Unterzeichnung des deutsch-französischen Vertrags in Paris am 22. Januar. Ein drittes Datum liegt eine Woche später: der 29. Januar in Brüssel, das — wie ich sagen möchte und hoffentlich sagen kann — einstweilige Scheitern der Bemühungen um den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
    Meine Damen und Herren, je weiter man manchmal von den Dingen weg ist, desto eher ist man geneigt, sozusagen Kausalität zwischen diesen drei Daten herzustellen oder jedenfalls eine Art inneren Zusammenhangs darzustellen. Das entspricht nicht den Tatsachen. Ich bin mir aber darüber klar — und ich bin mir gleich nach der Pressekonferenz des Generals de Gaulle darüber klar gewesen —, daß wir einiges tun müssen und einiges tun mußten und einiges getan haben, um zu vermeiden, daß wir irgendwie in ein falsches Licht geraten könnten; denn es gibt viele Länder in der Welt, die sich vielleicht dann und wann etwas Zwielicht erlauben können. Wenn es aber ein Land gibt, das sich unter gar keinen Umständen Zwielicht erlauben kann, dann ist es unser Vaterland,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    weil es, sobald etwas wie ein Zwielicht aussieht, noch so viele alte Erinnerungen und so viele noch unaufgelöste Vorbehalte gegenüber den Deutschen gibt, daß man unter Umständen sehr schnell in einer sehr schwierigen Situation dastände.
    Was ist nun geschehen? Ich sage das hier mit solcher Deutlichkeit, um auch hier wieder einer sich möglicherweise weiter entfaltenden Legende entgegenzutreten. Am 14. Januar war jene Pressekonferenz in Paris. Ich habe am 15. Januar, also an dem Tage darauf, in Brüssel eine ganz klare und ganz eindeutige Stellungnahme zu diesen das Thema betreffenden Ausführungen des französischen Staatspräsidenten abgegeben, so klar und so eindeutig,
    daß über die Position, die wir in dieser Frage des Beitritts Großbritanniens einnehmen, überhaupt kein Zweifel aufkommen konnte. Ich habe das vielleicht sogar ein bißchen nachdrücklicher getan, als es dem einen oder anderen in dem Augenblick richtig erschienen sein mag. Ich habe es getan im ganz klaren Bewußtsein unseres Zeitplanes und unseres Fahrplanes.
    Ich darf Sie vielleicht noch einmal an die weiteren Stadien dieses Fahrplanes erinnern. Der Herr Bundeskanzler hat die verantwortlichen Spitzen der Fraktionen ein paar Tage später, nämlich am 18. Januar, bei sich gehabt. Wir haben an diesem 18. Januar über diese Fragen ganz offen gesprochen. Dieses Zusammensein bei dem Herrn Bundeskanzler diente der Vorbereitung unserer Reise nach Paris. Ich habe aus diesem Anlaß das, was wir in Paris unterzeichnen wollten, sehr ausführlich, ich möchte sagen, beinahe wörtlich vorgetragen, und die Anwesenden werden sich daran erinnern: das hat damals eine einhellige Zustimmung gefunden, so daß wir hinsichtlich dieser vorgesehenen Reise eine ganz klare Linie hatten.

    (Abg. Dr. Mommer: Eine Reise, von der wir Sozialdemokraten abgeraten haben!)

    — Herr Kollege Mommer, ich schildere die Sache ganz vollständig, Sie werden es gleich hören.
    Wir waren uns also in dem Vorhaben, das für Paris bestand, völlig einig. Im übrigen handelte es sich nicht um ein neu angekündigtes Vorhaben, sondern um ein Vorhaben, von dem jedermann seit' dem Spätherbst wußte, daß es vorbereitet war, und der sorgfältige Zeitungsleser oder jemand, der an anderen Informationen teilnahm, kannte den Inhalt dessen, was vereinbart werden sollte, je sehr genau.
    Wir haben dann die Zustimmung zu unserem Vorhaben auf der Basis, sagen wir einmal, einer Verständigung, etwa in folgendem Sinne bekommen: Wir stimmen dem, was ihr hier beabsichtigt, völlig zu. Derselbe Eindruck, wie er sich auch aus der Debatte erigbt! Der eine oder andere hat sogar gesagt, man könne eigentlich noch etwas weitergehen in den beabsichtigten Vereinbarungen. Es wurde gesagt, die Zustimmung geschehe auf der Basis unserer Erklärung, daß wir uns so, wie wir uns vor Paris eindeutig für den Beitritt Großbritanniens eingesetzt hätten, auch in Paris bei dieser Sache eindeutig in dieser Richtung einsetzen würden.
    Meine Damen und Herren, so sind wir am 18. Januar verblieben, und so haben wir uns in Paris verhalten, ganz klar entsprechend dem, was wir vorher von uns aus erklärt hatten, und entsprechend dem, was uns sozusagen als eine Art Mandat mitgegeben wurde.
    Ich habe noch wenige Stunden, bevor dieser Vertrag im Elysée unterzeichnet wurde, in einer für das Deutsche Fernsehen veranstalteten' Sendung dem Sinne nach etwa folgendes gesagt: Das, was wir hier zu tun vorhaben, ist eine gewisse Bestätigung der heutigen Entwicklung der deutschfranzösischen Freundschaft, ist die Vereinbarung



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    einer bestimmten Art von künftiger Zusammenarbeit, deren Kernstück das Konsultieren ist. Ich komme darauf gleich noch einmal zurück. Das ist eine Methode der Zusammenarbeit, die hier unter Freunden vereinbart wird. Und ich habe ganz klar gesagt: Dies bedeutet nicht, daß wir hier sozusagen einen Blankoscheck für die französische Politik ausstellen — davon kann doch überhaupt keine Rede sein —, sondern wir haben eine Methode vereinbart, nach der wir in Zukunft miteinander umgehen wollen und nach der wir uns unter Freunden unterhalten wollen. Ich habe hinzugefügt: Es kann Meinungsverschiedenheiten unter Freunden geben; ja, es kann unter Umständen sogar schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten unter Freunden geben. Und hier gibt es ein paar Punkte, von denen alle Welt weiß, daß wir in ihnen nicht einig sind. Aber es ist eben eine Frage, wie man mit seinen Freunden umgeht und was man für den Umgang mit ihnen vereinbart; und das haben wir hier getan.
    Nun, meine Damen und Herren, eine Woche später waren wir in Brüssel, und niemand wird auch nur den Schatten eines Zweifels auf dem Verhalten der deutschen Delegation in Brüssel sehen wollen. Wir haben in Brüssel haargenau das getan und durchgehalten, was wir vor Paris getan haben, was wir in dieser Frage in Paris getan haben, was wir nach Paris getan haben und, wie ja jeder sehen und hören kann, heute in derselben klaren Weise zum Ausdruck bringen.
    In Brüssel hatte sich eine Situation ergeben, die sicherlich keineswegs angenehm war, vom Standpunkt der deutschen Delegation aus betrachtet; denn es wäre uns sehr, sehr, sehr viel lieber ,gewesen, wenn es uns gelungen wäre, in Brüssel eine Formel zu finden, die nicht zu diesem doch recht massiven einstweiligen Stopp der Verhandlungen geführt hätte, sondern die die Möglichkeit gegeben hätte — nachdem man eine gewisse Zeit 'gewonnen hätte —, in diesen Verhandlungen fortzufahren. Wir haben in Brüssel die Überzeugung ausgesprochen — und diese Überzeugung ist völlig unverändert geblieben —, daß diese an sich sehr schwierigen Fragen, die es zu lösen galt, doch ganz offensichtlich nicht Fragen seien, die eine lange Dauer beinhalteten, die die eigentliche Dauer des Beitritts Großbritanniens beinhalteten, sondern Fragen, bei denen es sich um eine Übergangszeit drehte. Niemand wird daran zweifeln, daß es natürlich einer gewissen Einplanungs- und Anlaufzeit bedarf, wenn ein so großer und bedeutender Wirtschaftskörper — ich spreche jetzt einmal von Großbritannien als von einem Wirtschaftskörper — sich in die europäische Gemeinschaft einfügen will.
    Das war nach Meinung der Fünf ziemlich dicht vor dem Abschluß. Wenn Sie jetzt die Ausführungen lesen, die Präsident Hallstein darüber in Straßburg gemacht hat, wenn Sie die Reden lesen, die Herr Mansholt gerade über den schwierigen Agrarsektor gehalten hat, dann hat die Grundposition, die wir Fünf dort bezogen haben, doch offensichtlich sehr viel sachlich Richtiges in sich getragen.
    Es ist uns nicht gelungen, die andere Seite zu überzeugen, soviel Mühe wir auch darauf verwendet haben. Das bedeutet — ich neige gar nicht dazu, die Bedeutung dieses Vorgangs irgendwie zu verkleinern —, daß große Hoffnungen zunächst einmal zerstört worden sind; denn man sah dem Beitritt Großbritanniens etwa Anfang des nächsten Jahres mit großen Hoffnungen entgegen. Das haben wir eigentlich alle hier überall so dargestellt. Ich erinnere mich an das, was ich zuletzt gerade den Berlinern über diese Frage Großbritannien gesagt habe: daß nämlich für uns die Vergrößerung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft um die Kraft Großbritanniens sozusagen eine gewisse Krönung dessen zu sein scheine, was wir seit vielen Jahren betrieben haben, wovon wir uns versprächen, daß daraus die Wirkung der Bildung neuer Kräftefelder hervorgehen würde, die auch im Verhältnis zum Osten bedeutende Veränderungen hervorrufen könnten. Nun, dies war eine große Konzeption, dies bleibt eine große Konzeption, dies bleibt eine notwendige Konzeption, so tief die Enttäuschung heute auch sein mag.
    Das ist die Einleitung zur Beantwortung der Fragen, die nun hier gestellt worden sind.
    Herr Kollege Ollenhauer hat die Frage gestellt: Bringt uns das etwa zurück in das 19. Jahrhundert? Stellt dieser deutsch-französische Vertrag etwa eine Wende unserer Politik dar? Er hat die Frage gestellt: Hat dieser Vertrag etwa eine auflösende Wirkung für das bisher Geschaffene? Und er hat die Frage gestellt: Ist diese heutige Entwicklung nicht etwa das Gegenteil von dem, was wir als supranational bezeichnen und was wir lange angestrebt haben?
    Ich glaube, daß sich einige dieser Fragen leicht beantworten lassen und im Grunde durch die gestern abgegebene Regierungserklärung auch beantwortet sind. Niemand hat die Absicht, hier eine Wende zu vollziehen, niemand hat die Absicht, in das 19. Jahrhundert zurückzugehen, und niemand hat die Absicht, hier etwas Auflösendes zu tun. Aber, meine verehrten Damen und Herren, eine Klarstellung würde ich doch sehr gern vornehmen. Ganz sicher ist nicht alles, was etwa in den letzten anderthalb Jahren auf dem Gebiet politischer Einigung in Europa betrieben worden ist, unter dem Stichwort „supranational" zusammenzufassen. Davon kann keine Rede sein. Denken Sie daran, wie die politische Union geschaffen werden sollte. Sie sollte zunächst einmal als ein Zusammenschluß geschaffen werden, dem offensichtlich jenes Kriterium des „Supranationalen" fehlte und womöglich noch sehr lange gefehlt hätte. Ich glaube, man darf also nun nicht in einen Gegensatz zueinander bringen: supranationale Konzeption damals und kleinere — um den Ausdruck zu gebrauchen — Konzeption heute.
    Wir haben heute vielleicht ein 'bißchen besser erkannt, als man es vor vielen Jahren sehen konnte, daß der Weg bis zu einem wirklich integrierten Europa doch offensichtlich noch ein gutes Stück länger und langwieriger ist, als wir es manchmal angenommen hatten. Wir sind zu der Überzeugung gekommen — und das ist eine Überzeugung, die ja auch hier in mehreren Debatten eine Rolle gespielt



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    hat —, daß wir nicht das Integrierungsziel aufgeben dürften, daß wir uns aber auf dem Wege dorthin der jeweils möglichen und nach unserer Meinung brauchbaren Methoden bedienen müßten.
    Sosehr es also richtig ist, daß hier 'derzeit keine supranationale Entwicklung stark gefördert worden ist und auch nicht stark gefördert werden kann, bleibt das Ziel des vereinigten Europas ein Ziel auch dieses deutsch-französischen Vertrages, wie in der ,gemeinsamen Erklärung festgehalten ist. Deswegen ist der Vertrag nicht etwa eine Wende und er ist auch nicht etwa — und ich beziehe mich hier auf Herrn von Brentano, der diesen Ausdruck gebraucht hat — eine bilaterale Allianz. Er ist keineswegs als solche gedacht. Ich sage noch einmal: Er ist nicht etwa die Unterschrift schlechthin unter eine französische Politik, sondern er ist ein Abkommen zur Entwicklung und Vereinbarung und — lassen Sie 'mich sagen — zur Förderung einer gemeinsamen Politik mit einem ganz klaren Ziel, nämlich dem eines vereinten Europas.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, nun bleiben mir nur noch .ein paar Worte an die Adresse all derjenigen, mit denen wir es dabei in der Zukunft zu tun haben werden. Das eine ist ein Wort an Großbritannien. Das Wort an Großbritannien bedeutet zunächst einmal die Anerkennung und ,die Bekräftigung der Tatsache, daß Großbritannien nun nicht etwa das Brüsseler Ereignis dahin deutet, daß die Folge ein neuer Kurs Großbritanniens wäre. Wir erkennen die Bedeutung der Tatsache an, daß sich die britische Regierung entschlossen hat, an ihrem Europa-Kurs festzuhalten. Dieses Festhalten am Europakurs ist die entscheidende Voraussetzung für 'alles Weitere, was sich entwickeln wird.
    Nun ist hier die Frage gestellt worden, in welcher Weise sich dieses Ziel bei der gegebenen Grundeinstellung Großbritanniens weiter fördern lassen werde. Es ist in der Tat zu früh, schon irgendeine Art von Festlegung vorzunehmen, welcher mögliche Weg beschritten werden wird. Hier sind darüber einige Andeutungen gemacht worden. Wir sind dabei, zu prüfen, ob die Westeuropäische Union, die, ja ein Siebener-Gremium ist, ein geeignetes Gremium ist, um durch Konsultation dort das Beitrittsproblem ein Stück voranzubringen. Da Deutschland im Augenblick den Vorsitz im Ministerrat der Westeuropäischen Union führt, liegt es nahe, :daß wir uns um diese Frage besonders bemühen. Wir glauben aber, daß die Einberufung einer Ministerkonferenz in diesem Rahmen erst dann sinnvoll ist, wenn man vorher doch durch mehr bilaterale Berührungen ein Stück Fortschritt als einigermaßen gesichert ansieht; denn es hat keinen Zweck, daß wir in jenem Siebener-Gremium zusammenkommen, um nur noch einmal Klagen über das Brüsseler Ereignis zu äußern. Zweck hat es nur, wenn wir konkret ein Stück weiter vorangehen können.
    Deswegen bleibt die Frage: Welche anderen Möglichkeiten gibt es dafür? Wir haben die Frage geprüft und prüfen die Frage weiter, was geschehen kann, um weitere bilaterale Kontakte zu pflegen.
    Diese bilateralen Kontakte gehören sowieso zu unseren täglichen Vorgängen. Deswegen — und das ist ein Bemühen, bei dem wir augenblicklich sind — werden wir zunächst alles, was wir tun können, versuchen im Rahmen dieser bilateralen Kontakte. Ich glaube aber auch, daß die Hinweise auf andere Gremien — auch auf die NATO ist als ein Konsultationsgremium verwiesen worden, ebenso auf die OECD — sehr wertvoll und wichtig waren. Solche Hinweise bedeuten aber immer erst dann etwas, wenn man vorher jene Schritte etwas klarer ins Auge gefaßt hat, die dem Ziel dienen können, nämlich zunächst einmal unter den Sechs zu einer Übereinstimmung über die Modalitäten des britischen Beitritts zu kommen.
    In diesem Zusammenhang ist es durchaus möglich, daß man auf einen Gedanken zurückgreift, den man früher einmal gehabt hat, einen Gedanken, der auch heute erwogen wird: ob nicht unter Umständen eine Zwischenlösung im Bereich der Assoziierung angestrebt werden kann, die eines Tages in eine volle Lösung hineinwachsen könnte. Daß es dagegen auch viele Bedenken gibt, liegt auf der Hand. Aber ich möchte die Möglichkeit dieses Weges nicht ausgeschlossen haben. Wenn man sich innerlich für einen bestimmten Zeitpunkt zu einer vollen Lösung entschließen kann, dann mag eine Zwischenlösung eine Möglichkeit darstellen.
    Ich habe also die Hoffnung, wenn auf dieser Seite, d. h. auf der Seite der Fünf und des Einen, also auf der Seite der Sechs, derselbe Wille lebendig bleibt bzw. aktiver wird, als das in Brüssel der Fall gewesen ist, und sich mit dem unveränderten Willen Großbritanniens trifft, daß wir dann dieses Ziel erreichen können.
    Mir liegt aber daran, noch ein Wort an die Adresse der Vereinigten Staaten von Amerika zu sagen. Sie wissen, daß augenblicklich Staatssekretär Carstens drüben zu Besprechungen ist, die dem Ziel dienen, unsere Haltung sowohl in der europäischen Politik wie in der atlantischen Politik darzulegen. Ich habe die Hoffnung, daß es ihm gelingen wird und gelungen ist, Verständnis für die Gesichtspunkte zu gewinnen, die wir hier auch in der Regierungserklärung und heute in der Debatte vertreten haben. Wir haben uns mit einer solchen Eindeutigkeit, wenn das überhaupt noch nötig gewesen wäre, für das atlantische Bündnis ausgesprochen, wir haben mit einer solchen Klarheit die auch deutscherseits gegebene Interessenlage gekennzeichnet, daß es eigentlich keinen Zweifel an unserer Grundeinstellung geben sollte. Für uns, meine Damen und Herren, ist der Kanal nicht, was er früher vielleicht einmal war, eine wirksame Wassergrenze zwischen dem Kontinent und Großbritannien, für uns ist auch der Atlantik nicht mehr eine unübersehbare Wasserfläche, hinter der irgend etwas liegen mag, was sich die Neue Welt nennt, sondern für uns sind dies alles Wirklichkeiten, die mit den Augen der modernen Technik gesehen und gewertet werden müssen.
    Meine Damen und Herren, wenn es möglich ist — ich sehe das jetzt nur einen Augenblick einmal unter einem militärischen Gesichtspunkt —, daß man im Grunde binnen weniger Tage zwei ganze amerika-



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    nische Devisionen durch die Luft nach Europa verlegen kann, dann kann man, glaube ich, nicht mehr davon sprechen, daß der Atlantik eine Trennung bedeutet, die in Augenblicken der Gefahr unüberwindliche Hindernisse aufwürfe. Ich glaube, wir brauchen hier ein etwas moderneres Anschauungsbild davon, daß diese Welt in einer ganz anderen Weise zusammengewachsen ist, als man das vielleicht vor 30, 40, 50 Jahren für möglich gehalten hätte.
    Nun noch ein einziges Wort zum Schluß. In diesen Tagen, in denen es wirklich sehr viele Sorgen und Bewegungen in der Welt gegeben hat, gibt es ganz bestimmt eine Stelle in der Welt, in der man aufs äußerste angenehm berührt ist, und das ist der Kreml in Moskau. Man braucht sich nicht sehr viel Mühe beim Nachdenken zu geben, man braucht nur einen Blick in die sowjetischen Publikationen zu werfen, dann wird man sehen, was dieser Rückschlag in Brüssel tatsächlich für Wirkungen ausgelöst hat. Denn wie war die Lage? Ein ganz klares Bild: Kuba war von der sowjetischen Entwicklung aus gesehen ein Punkt, der nicht so ganz leicht überwunden werden konnte. Was es für eine Weltmacht heißt, irgendwo einen großen Teil ihres Raketenpotentials zu placieren und es dann auf denselben Schiffen, mit denen es hintransportiert worden ist, unfreiwillig wieder abzutransportieren, das will ich hier im einzelnen gar nicht weiter beschreiben. Das muß man sich nur ein bißchen plastisch vorstellen, um einen geringen Begriff davon zu bekommen, was sich in Wirklichkeit in den Köpfen der Herren des Kreml seit Kuba abspielt. Und nun kommt ihnen etwas entgegen, was von ihnen aus gesehen wie ein großes Geschenk wirken muß.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Gerade hatte man einen Augenblick geglaubt, daß die freie Welt zu etwas fähig schiene, was in die sowjetische Theorie nie hineingepaßt hätte: einen Zusammenhang und einen Zusammenhalt darzustellen, der eine unüberwindliche Kraft bedeuten würde. Und nun glauben sie plötzlich, Spaltungserscheinungen, jedenfalls große Schwierigkeiten im westlichen Lager zu sehen. Das muß man klar erkennen.
    .Deswegen glaube ich, daß dieselbe Klarheit und Einschätzung der Interessenlage in dem West-OstVerhältnis, die uns bis an diese Stelle positiv gebracht hatte, es uns auch morgen ermöglichen muß, dieses Werk wirklich zu vollenden. Wenn wir in diesem Sinne sowohl- an das Konsultieren mit unseren französischen Freunden herangehen als auch an die weitere Zusammenarbeit im europäischen Rahmen, dann wird dies nicht ein definitiver Rückschlag, nicht ein definitiver Stopp sein, sondern es wird nur eine Verzögerung bedeuten. Und — das sage ich ganz offen — es liegt zu einem ganz großen Teil an uns allen, wie kurz die Verzögerung sein mag. Ich habe' die Hoffnung, daß das Ergebnis der heutigen Debatte in seiner Auswirkung dazu beiträgt, die Verzögerung so kurz wie nur möglich zu halten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)