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ID0405808800

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    Deutscher Bundestag 58. Sitzung Bonn, den 7. Februar 1963 Inhalt: Fragestunde (Drucksache IV/947) Frage des Abg. Wellmann: Gesundheitsschädigende ausländische Lebens- und Genußmittel Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister 2589 B Frage des Abg. Blachstein: Verträge der Bundespost für spanische Gastarbeiter Stücklen, Bundesminister 2589 C, 2590 A Blachstein (SPD) . . . . 2589 D, 2590 A Frage des Abg. Dr. Rinderspacher: Unzulässigkeit der Versendung von leeren Briefumschlägen als Drucksache Stücklen, Bundesminister . . 2590 A, B, D, 2591 A, B, C, D Dr. Rinderspacher (SPD) . . . 2590 B, C, D Dr. Mommer (SPD) 2591 A Dr. Bechert (SPD) 2591 B Dr. Schäfer (SPD) 2591 C Regling (SPD) 2591 C, D Fragen des Abg. Biegler: Schmuckblattformulare Stücklen, Bundesminister . . . . 2591 D Fragen der Abg. Dr. Mommer und Dürr: Doppelte Gebühr für Gespräche bei Störung des Selbstwählverkehrs Stücklen, Bundesminister 2592 A, B, C, D, 2593 A, B, C Dr. Mommer (SPD) 2592 B, C Dürr (FDP) . . . . . . 2592 D, 2593 A Dr. Schäfer (SPD) 2593 B Frage des Abg. Freiherr von Mühlen: International gebräuchliche Adressenschreibung Stücklen, Bundesminister 2593 D, 2594 A, B Freiherr von Mühlen (FDP) 2593 D, 2594 A Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung: Ollenhauer (SPD) 2594 C Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 2604 C Dr. Mende (FDP) 2610 C Schmücker (CDU/CSU) . . . . 2615 D Erler (SPD) 2621 C, 2631 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 2629 C Dr. Achenbach (FDP) . . . . . . 2632 B Dr. Schröder, Bundesminister . . . 2634 C Dr. Jaeger (CDU/CSU) . . . . . 2638 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . 2643 D Anlagen 2645 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 2589 58. Sitzung Bonn, den 7. Februar 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    *) Siehe Anlage 2 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 2645 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Dr. Aigner * 9. 2. Arendt (Wattenscheid) * 9. 2. Dr. Arndt (Berlin) 16.2., Dr. Dr. h. c. Baade 8.2. Bals 8. 2. Bergmann * 9. 2. Birkelbach * 9. 2. Fürst von Bismarck 22. 2. Dr. Bleiß 8. 2. Frau Brauksiepe 8. 2. Dr. Burgbacher * 9.2. Cramer 8.2. Dr. Deist * 9. 2. Deringer * 9. 2. Dr. Dichgans * 9. 2. Dopatka 21.2. Dr. Dörinkel 8. 2. Drachsler 8. 2. Dr. Dr. h. c. Dresbach 31. 3. Frau Dr. Elsner * 9.2. Faller * 9.2. Felder 8. 2. Figgen 20.4. Dr. Dr. h. c. Friedensburg * 9. 2. Funk (Neuses am Sand) 16.2. Dr. Furler * 9. 2. Gaßmann 8.2. Gedat 15.2. Dr. Gleissner 8. 2. Gscheidle 7. 2. Hahn (Bielefeld) * 9. 2. Hammersen 8.2. Dr. von Haniel-Niethammer 8. 2. Harnischfeger 15. 2. Hauffe 28.2. Herold 8. 2. Hilbert 8.2. Illerhaus * 9. 2. Kalbitzer * 9. 2. Katzer 28. 2. Frau Kipp-Kaule 8.2. Dr. Klein (Berlin) 8. 2. Klein (Saarbrücken) 15.2. Klinker * 9. 2. Kohlberger 8.2. Frau Korspeter 8. 2. Dr. Kreyssig * 9. 2. Kriedemann * 9. 2. Kühn (Hildesheim) 8. 2. Kurlbaum 8.2. Lemmer 28. 2. Lenz (Brühl) * 9. 2. Dr. Löhr * 9.2. Lücker (München) * 9.2. Margulies * 9. 2. Mauk * 9.2. Menke 8.2. Metzger * 9. 2. Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Michels 7. 2. Müller (Berlin) 28.2. Müller (Nordenham) 2. 3. Müser 8. 2. Neubauer 17. 2. Nieberg 8. 2. Oetzel 28. 2. Frau Dr. Pannhoff 8.2. Dr.-Ing. Philipp * 9.2. Pöhler 8. 2. Frau Dr. Probst * 9.2. Rademacher 8. 2. Richarts * 9. 2. Dr. Rieger (Köln) 8. 2. Ritzel 8. 2. Ruf 8.2. Seither 11.3. Steinhoff 15. 2. Dr. Steinmetz 8. 2. Storch * 9. 2. Strauß 18. 3. Frau Strobel * 9. 2. Sühler 8.2. Frau Vietje 15. 2. Wacher 8. 2. Dr. Wahl 28.2. Weinkamm * 9.2. Werner 24.2. Wischnewski * 9. 2. Wittmer-Eigenbrodt 16. 2. Dr. Zimmermann (München) 8. 2. * Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments Anlage 2 Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Dr. Wuermeling zu der Aussprache über die Regierungserklärung. Wir haben heute nach Neubildung der Bundesregierung die erste allgemeine politische Aussprache. Bei einer solchen Aussprache sollen die Grundlinien unserer Politik erörtert werden. Sie verstehen es gewiß, wenn ich meinerseits dabei das Thema anspreche, mit dem ich durch mein bisheriges Amt als Familienminister engstens verbunden bin und dem ich künftig auch als Abgeordneter mit Leib und Seele verbunden bleiben werde, die Familienpolitik. Dieses Thema gehört in die Generalaussprache über die Gesamtpolitik, weil es ein Thema ist, das in alle politischen Sachbereiche hineinstrahlt und hineinstrahlen muß und weil es bei allen einzelnen Fachgesetzen leider immer nur irgendwie am Rande erscheint. Es pflegt aber dort jeweils im Schatten der Fülle der Fachprobleme zu stehen, die etwa bei jedem Sozialgesetz, bei jedem Steuergesetz, beim Wohnungsbau usw. zu erörtern sind. Ist es 2646 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 nicht wirklich so, daß wir sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Verwaltung immer wieder der Gefahr erliegen, nur in den vertikalen Fachbereichen etwa der Sozialversicherungszweige, der Kriegsopferversorgung, des Lastenausgleichs, des Steuerrechts usw. zu denken und den horizontal quer durch alle vertikalen Fachbereiche gehenden so wichtigen Bereich Familie darüber in den Hintergrund treten zu lassen? Und das, obwohl es doch ein immer wieder gerade von den beiden großen Fraktionen des Hauses betontes Hauptanliegen ist, die Familie als die wichtigste Institution für Staat und Gesellschaft zu schützen und unseren Familien mit Kindern auch wirtschaftlich wenigstens einigermaßen gleichberechtigte Existenzvoraussetzungen zu ermöglichen. Auch die gestrige Regierungserklärung hat das ja erneut in zwei markanten programmatischen Sätzen unterstrichen. Lassen Sie mich zu letzterem Punkt hier heute etwas sagen, aber mit der betonten Vorbemerkung, daß diese Fragen des Familienausgleichs gewiß nicht der einzige — und nicht einmal der wichtigste — Bereich der Familienpolitik sind, aber doch der Bereich, auf dem gerade wir hier auf der Bundesebene die größten Möglichkeiten und Aufgaben haben, mit deren Erfüllung wir uns -- trotz all dessen, was bisher erreicht wurde — in der Bundesrepublik in einem schmerzlichen Rückstand gegenüber unseren westlichen Nachbarländern befinden. Ich bekenne das in aller Offenheit nach neun Jahren unaufhörlichen und leider nicht genügend erfolgreichen Ringens als Familienminister. Ich will hier nicht im einzelnen auf die Ergebnisse der Godesberger Konferenz von acht europäischen Familienministern vom Mai vorigen Jahres, die das gezeigt haben, eingehen. Sie sind Ihnen und der Öffentlichkeit ja aus dem amtlichen Bulletin bekannt. Ich gebe auch zu, daß Vergleiche mit anderen Ländern allein nicht zwingend sind, wenn man Entschlüsse für sein eigenes Land zu fassen hat, zumal da solche Vergleiche ja nicht immer auf absolut gleichartigen Komponenten aufgebaut sind. Wir haben uns allerdings bemüht, in der Familienministerkonferenz eine weitgehende Vergleichbarkeit sicherzustellen. Wichtiger als diese internationalen Vergleiche scheint mir vielmehr die Kenntnis der Situation der Familien in unserem eigenen Lande, insbesondere der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation unserer Familien mit Kindern angesichts der Lohn-und Preisentwicklung in einer Zeit, in der wir alle immer wieder die Notwendigkeit des Schutzes und der Gerechtigkeit für sie betont haben. Hier muß leider .die betrübliche Feststellung getroffen werden, daß für die Angehörigen aller Bereiche des sozialen Lebens in den letzten Jahren Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Lebensbedingungen — gewiß unterschiedlichen Ausmaßes, aber jedenfalls sichtbare reale Verbesserungen — eingetreten sind, weithin durch •gesetzliche Maßnahmen, daß aber unsere Familien mit Kindern — und ich wage zu behaupten: allein diese! — hinter der für alle anderen eingetretenen Aufwärtsentwicklung sichtbar zurückgeblieben sind. Weil wir uns das alle täglich vor Augen halten sollten, möchte ich Ihnen diese Feststellung kurz begründen. Dazu zunächst folgendes: Wenn Löhne und Gehälter steigen — und sie sind in den letzten Jahren erheblich, mehr als die Preise gestiegen —, dann hat ,der Alleinstehende die meinetwegen 20 bis 30 DM monatlicher Erhöhung nach Abzug der Steuern und Sozialabgaben für sich allein und verbessert sich entsprechend um das volle Mehr an Kaufkraft. Wo aber auch Frau und Kinder mitversorgt werden müssen, ,dividiert sich die monatliche Erhöhung durch 4 oder 5 oder noch mehr Köpfe, so daß der Kaufkraftrückstand unserer Kinderfamilien gegenüber den Alleinstehenden schon von daher mit jeder linearen Lohn- und Gehaltserhöhung immer größer wird. Dazu kommt aber noch, daß .die Preiserhöhungen für den lebensnotwendigen Bedarf, mit dem die Lohnerhöhungen ja weithin begründet werden, dieselben Familien mit Kindern, die ohnehin mit den linearen Lohnerhöhungen immer weiter hinter ,die Alleinstehenden zurückfallen, multipliziert mit der Zahl der Familienmitglieder, treffen, daß hier also einer dividierten Lohn- oder Gehaltserhöhung eine multiplizierte Verteuerung des lebensnotwendigen Bedarfs gegenübersteht, dem die Eltern gerade für ihre Kinder nicht ausweichen können. Durch diese Entwicklung kommen die Familien mit Kindern auf doppelte Weise immer weiter in Rückstand. Ich sage das jetzt nicht, um nach irgendeiner Seite hin Vorwürfe zu erheben, sondern ausschließlich, weil ich meine, daß wir uns, da wir unsere öffentlichen Erklärungen zugunsten unserer Kinderfamilien doch ernst nehmen, über diesen Tatbestand klar werden müssen. Denn im Anfange allen Fortschritts steht immer die klare Erkenntnis der Sachlage. Ich habe das Gefühl, daß aus dieser Sachlage bisher deshalb nicht die gebotenen Konsequenzen einer entsprechenden Anpassung der Familienleistungen gezogen worden sind, weil diese Erkenntnis vielen von uns bisher einfach nicht tief genug ins Bewußtsein gelangt ist. Ich darf das deshalb mit einigen wenigen Tatsachen erläutern, die meines Erachtens jeden geradezu erschrecken müssen, der sich den besonderen Sorgen unserer Väter und Mütter verbunden weiß. Zunächst das Bild im großen Bereich der freien Wirtschaft. Seit der letzten Erhöhung des Kindergeldes von 30 auf 40 DM monatlich per 1. März 1959 haben sich die durchschnittlichen Monatslöhne männlicher Industriearbeiter nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes schon bis August 1962 um 42 % — inzwischen noch weiter — erhöht. Da das Kindergeld seitdem unverändert blieb, erhöhte sich hier das Monatseinkommen — schon bis August 1962 — bei Ledigen und kinderlos Verheirateten um die genannten 42 %, bei Familien mit 3 Kindern nur um 39 %, bei Familien mit 5 Kindern nur um 34 %, und das, obschon gerade die Familien mit Kindern, wie gesagt, durch die Preisentwicklung viel stärker betroffen sind als andere. Die Zahlenreihe müßte gerechterweise genau die umgekehrte Tendenz aufweisen. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 2647 Hierbei habe ich noch nicht einmal berücksichtigt, daß nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes von 1959/62 die Lebenshaltungskosten für den Unterhalt von Kindern mit rund 10% erheblich stärker angestiegen sind als die allgemeinen Lebenshaltungskosten eines Erwachsenen (7,6 %). Es steht aber ohnedies eindeutig fest, daß in dem großen Bereich der privaten Wirtschaft der Anteil am Sozialprodukt für die Familien mit Kindern sichtbar abgesunken ist, während der Anteil der Kinderlosen am Sozialprodukt zu Lasten der Kinderlosen sich ebenso sichtbar erhöht hat. Das ist aber doch wohl genau das Gegenteil von dem, was wir alle anstreben. Betrachten wir die Entwicklung bei den 835 000 Arbeitern des öffentlichen Dienstes — Bund, Länder und Gemeinden —, von denen über 500 000 allein auf Bundesbahn und Bundespost entfallen, uns also im Bundestag besonders interessieren. Hier ergibt sich, daß, weil die Kinderzuschläge seit 1956 überhaupt nicht mehr erhöht wurden, die Entwicklung noch wesentlich ungünstiger für die Familien ist. Bei einem Arbeiter der Lohngruppe IV (Ortsklasse 1) und einem mittleren Kinderzuschlag von 35 DM monatlich erhöhten sich von 1956 auf 1962 die Monatsbezüge der Kinderlosen um 53 %, bei 3 Kindern um 41%, bei 5 Kindern nur um 35 %. Hier erhöhte sich also der Anteil der Alleinstehenden am Sozialprodukt um 53%, der des Familienvaters mit 5 Kindern aber nur um 35%, beim Alleinstehenden also um rund 50 % mehr, als bei der Familie mit 5 Kindern. Ich glaube, daß das Tatbestände sind, an denen schlechthin niemand von uns vorbeigehen kann und die stärker nach Abhilfe geradezu schreien als jede andere noch so dringlich erscheinende gesellschaftspolitische Maßnahme. Für die Bundesbeamten hat die dem Hause vorliegende Regierungsvorlage, wie wir gern als erfreulich anerkennen, vorgesehen, daß die familienbezogenen Gehaltsteile ab 1. April 1963 ebenso um 6 % erhöht werden wie die Grundgehälter. Die Bundesregierung hat also die mir heute noch absolut unverständlich erscheinende Länderregelung, die ausgerechnet die familienbezogenen Gehaltsteile von der Erhöhung ausschloß, bewußt nicht mitgemacht, so daß hier, wenn man die Dinge rein rechnerisch prozentual sieht — wogegen manches gesagt werden könnte —, die Familien anteilig berücksichtigt sind. Ich glaube, daß dieser familienpolitische Querschnitt durch die verschiedenen Bereiche der Berufstätigen in die allgemeine politische Aussprache gehört, weil man die Lage der Familie einmal quer durch alle Bereiche sehen muß, um ein klares Gesamtbild zu bekommen. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß in allen Bereichen der Lohn- und Gehaltsempfänger — Entsprechendes gilt natürlich auch für die freien Berufe -der Anteil der Familien am Sozialprodukt in den letzten Jahren erheblich geschmälert wurde zugunsten des Anteils der Ledigen und kinderlosen Verheirateten. Die Familien mit Kindern befinden sich wirtschaftlich, gemessen an der Entwicklung der Erwachsenenhaushalte, in einer eindeutig rückläufigen Entwicklung. Bei dieser Sachlage sollen ihnen nun durch die Krankenversicherungsreform noch mehr neue Lasten auferlegt werden als den kinderlosen Haushalten, insbesondere durch die Handhabung des 2%igen Individualbeitrages mit der Selbstbeteiligung auch für Kinder. Ich hoffe zuversichtlich, daß das Hohe Haus den Familien wenigstens solche Sonderbelastungen erspart, wenn schon die vorgesehene Kindergeldaufbesserung nicht einmal das notwendige Mindestausmaß erreicht. Es lag mir sehr daran, diese ernsten und unser aller Wollen eideutig widersprechenden Tatbeständen hier und heute einmal in aller Offenheit darzulegen, damit wir uns demnächst bei allen einschlägigen Gesetzen daran erinnern und alle gemeinsam auf Abstellung dieser eindeutig für die Familien rückläufigen Entwicklung nach besten Kräften bedacht sind, die Wohlstandsentwicklung in den letzten Jahren ist eindeutig auf den Rücken der Familie vor sich gegangen. Das aber kann kein Staat zulassen, der auf seine Zukunft bedacht ist und dessen verantwortliche Träger wissen um die Bedeutung der Familien und ihrer Kinder für den Einzelnen wie für die Gesamtheit. Lassen Sie mich zum Schluß noch die sich natürlich aufdrängende Frage beantworten, wie eine solche Entwicklung im Zeitalter der Familienpolitik und im Jahrhundert des Kindes überhaupt möglich war. Ich möchte das tun ohne jede Polemik nach irgendeiner Seite hin, ich möchte nur erkennbar machen, wo meines Erachtens die Wurzel des Übels liegt. Die Ursache für diese, wie gesagt von niemandem wirklich gewollte Entwicklung liegt in dem individualistischen Denken unserer Zeit, das immer nur allein das Individuum sieht, das im Gesellschaftsleben pair das „do ut des", die Leistung gegen die Gegenleistung kennt und darüber vergißt, daß die für Staat und Gesellschaft lebenswichtige Institution Familie in der modernen Industriegesellschaft dabei zu kurz kommt, gewissermaßen „erdrückt" wird, obschon sie doch mit die wichtigste Leistung auch für Staat und Gesellschaft erbringt. Wir müssen in allen Bereichen unseres sozialen Lebens — jeder an seiner Stelle — darauf bedacht sein und bleiben, daß dieser Entwicklung Einhalt geboten wird, nicht nur vom Gesetzgeber, sondern auch von den Tarifvertragspartnern, auch von Ländern und Gemeinden und überall, wo man etwas dazu tun kann. Niemand darf hier sagen: Familienausgleich natürlich, aber was geht mich das an? Das kann nicht alles allein der Bundesgesetzgeber machen, was hier notwendig ist. Denn das Sozialprodukt ist nur einmal da, und alles, über das etwa die Sozialpartner in tarifvertraglichen Vereinbarungen verfügen, ist für den Familienausgleich nicht mehr greifbar. Und alle Mittel des Bundeshaushalts, über die wir für andere Zwecke verfügen, sind damit der Verwendung für den so zurückgebliebenen Familienausgleich entzogen. Sollten wir alle uns nicht einmal ganz nüchtern fragen, ob wir daran in den letzten Jahren nicht zu wenig gedacht haben? Ziehen wir aus der ge- 2648 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1963 wonnenen Erkenntnis die sich zwangsläufig ergebenden Konsequenzen! In unseren Nachbarländern ist es weithin so, daß alle politischen Parteien ebenso wie Wirtschaft und Gewerkschaften die Familienausgleichsmaßnahmen für absolut vordringlich halten gegenüber anderen gesellschaftspolitischen Anliegen. Mit dieser gemeinsamen Haltung haben sie alle einen wirklichen und einigermaßen gerechten Familienausgleich durchgeführt, auch die Länder, deren wirtschaftlicher Aufstieg nicht das Ausmaß des unseren in der Bundesrepublik erreichte. Ich möchte heute darum werben, daß alle beteiligten Kreise sich zu dem Entschluß durchringen, künftig auch bei uns gemeinsam dieses große und unausweichlich wichtige Anliegen nicht nur zu sehen, sondern auch zu gemeinsamem Tun über alle Parteigrenzen hinweg bereit zu sein. Meinerseits möchte ich jedenfalls in diesem Sinne meinem Nachfolger im Amt des Familienministers jede mögliche Unterstützung zuteil werden lassen, auf daß er es leichter hat als ich in den Jahren, in denen die Familienpolitik erst aufgebaut und ihre Idee und Aufgabe erst einmal durchgesetzt werden mußte. Und hierzu erbitte ich die Mitarbeit aller Fraktionen und auch der Presse, eben weil Schutz und Gerechtigkeit für die Familien ein Anliegen unseres ganzen Volkes in allen gesellschaftlichen Bereichen ist. „Die Rettung des Menschengeschlechtes beginnt bei der Familie" ! Dessen mögen wir alle — jeder in seinem Bereich — stets eingedenk sein und bleiben und danach handeln!
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Schmücker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So will es ja wohl die Übung dieses Hauses, daß man seine Ausführugen mit ein paar Vorbemerkungen beginnt. Vielleicht dienen sie auch dazu, es denjenigen, die noch kommen wollen, zu ermöglichen, bei der Debatte, dann, wenn es um das Sachliche geht, dabei zu sein. Die erste Vorbemerkung ist dann meist eine Zensur des Vorredners. Ich versage es mir, in dieses Spiel einzusteigen; denn ich weiß ja nicht, ob mir mein Referat gelingt. Im Bundestag ist es ja nicht anders als in den Versammlungen: Das, was man sachlich zu sagen hat, wissen die Leute sowieso, und es kommt nur darauf an, wie man es sagt. Das gelingt einem nicht jedesmal in gleicher Weise.



    Schmücker
    Die zweite Bemerkung, die ich machen wollte: Leider ist der Herr Bundeskanzler noch nicht da; ich kann es ihm ja nachher erzählen. Er war so humorvoll, seinen Ausführungen selbst ein Prädikat zu geben, und Herr Kollege Ollenhauer sagte dann, der Herr Bundeskanzler habe möglicherweise mit Absicht so geredet. Ich bin dieser Auffassung nicht. Herr Bundeskanzler — ich glaube, wir können es uns auch gegenseitig sagen —, ich habe den Eindruck, daß wir der inneren Politik nicht immer den Rang zukommen lassen, den sie verdient, daß wir doch hin und wieder unter einer gewissen Überbetonung der Außenpolitik leiden.
    Meine Damen und Herren, ich weiß sehr wohl, daß in keinem Bereich der Politik die Aufgabenstellung, und zwar die umfassende Aufgabenstellung, so deutlich wird wie in der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen. Aber liegt nicht in der Anerkennung dieses Vorrangs, dieses Primats der Außenpolitik auch eine gewisse Gefahr, daß man eben zu leicht geneigt wird, die übrigen Probleme zu unterschätzen?
    Wir haben es heute morgen auch wieder erlebt, daß jeder sofort und selbstverständlich im Grundsatz bereit ist, beispielsweise die Unteilbarkeit von nationaler und persönlicher Freiheit, die Unteilbarkeit von sozialer, wirtschaftlicher und militärischer Sicherheit anzuerkennen; aber wenn es dann um die Realisierung geht, sieht das Bild leider recht oft anders aus.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Es ist fraglos ein großer Gewinn, daß wir in diesem Bundestag nicht mehr wie in den ersten zehn Jahren außen- und verteidigungspolitisch so unversöhnlich kontrovers diskutieren; aber ausreichend ist das nicht. Es genügt nicht, sich zur Wiedervereinigung, zu Berlin, zu einem verstärkten Verteidigungsbeitrag zu bekennen. Dieses Bekenntnis wird erst glaubwürdig, wenn man bereit ist, wirtschafts-, finanz-
    und sozialpolitisch, eben im gesamten politischen Bereich, die Konsequenzen zu ziehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer dazu nicht bereit ist, meine Damen und Herren, dessen Worte sind hohl.
    Nun bin ich keineswegs der Meinung, daß die Abzweigung wirtschaftlichen Potentials für unsere nationalen Aufgaben, für die Verteidigung oder für die Entwicklungshilfe oder auch für die Überwindung der Übergangsschwierigkeiten in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine selbstlose Opferleistung der deutschen Wirtschaft darstellen würde. Das ist nichts anderes als die Sache einer vernünftigen Gegenseitigkeit. Ohne eine gute Politik im Inneren wie im Äußeren kann auch idle Wirtschaft nicht gedeihen, und ohne eine starke Wirtschaftskraft kann die Politik ihre besten Ideen nicht verwirklichen. Und sprechen wir es offen 'aus: Um die Verwirklichung dieser ganz einfachen Wahrheit — sicher ist das ein Gemeinplatz; aber man kann nicht ganz darauf verzichten, hin und wieder darauf hinzuweisen — ist es in 'der Bundesrepublik noch nicht zubest bestellt. Wir alle, das ganze deutsche
    Volk, seine Parlamente und Regierungen von den Kommunen über die Länder bis zu uns, haben das rechte Maß für diese Politik noch nicht gefunden.
    In seiner Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler gesagt, daß er angesichts des in der nächsten Woche zu erstattenden Wirtschaftsberichts keine längeren Ausführungen zur wirtschaftspolitischen Lage machen wolle. Meine Freunde von der CDU/CSU-Fraktion sind damit einverstanden, daß wir die Fragen der engeren Wirtschaftspolitik bei Vorlage des Berichts behandeln. Das gilt auch für die Agrarpolitik, die eine Spezialdebatte im Zusammenhang mit dem Grünen Bericht erfordert.
    Aber das in der Regierungserklärung angeschnittene und von mir aufzugreifende Thema geht über den Rahmen einiger Ressorts hinaus. Ich möchte sogar behaupten, daß bei aller Anerkennung ihrer Wichtigkeit .die Fragen der Wirtschaftspolitik in engerem Sinn wie das Kartellrecht oder die Frage des Warentests oder sogar die Konzentrationsenquete nicht zur ersten Dringlichkeitsstufe gehören.
    Nun verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Die genannten Dinge sind sehr wichtig, und es gibt gar keinen Grund, sie zu verzögern. Aber die lebensnotwendige Stärkung unserer Wirtschaft, ohne die wir unsere politischen Aufgaben nicht werden erfüllen können, ohne die auch die Wirtschaftskraft selber nicht wachsen kann, geht in Aufgaben hinein, die — ich sagte es schon — weit über die engen Bereiche einzelner Ressorts hinausreichen. Es geht hier im wesentlichen um folgende vier Punkte — auch ich möchte keine Rangordnung, wenn ich sie in folgender Reihenfolge aufzähle —: 1. die Gestaltung der öffentlichen Haushalte, 2. die Fortentwicklung unseres Steuer- und Finanzrechts, 3. unsere Sozialpolitik und 4. nicht zum geringsten die Tarifpolitik. Alle diese Fragen können nicht nur nach innerdeutschen Gesichtspunkten behandelt werden, sie müssen auch nach der Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und nach den Bedürfnissen, die sich aus der übrigen Außenwirtschaft ergeben, behandelt werden.
    Aber ich möchte noch einmal betonen: Es kommt mir hier nicht darauf an, eine Spezialdebatte zu entfesseln, sondern den Zusammenhang herzustellen mit der Tatsache, daß hohe Ausgaben befriedigt werden müssen, und der Tatsache, daß die Mittel dafür erarbeitet werden müssen. Ich glaube, wenn wir die Bereitschaft zu diesen Ausgaben nicht mit konkreten Vorschlägen stützen, sind wir auch in unseren Grundsatzerklärungen nicht ausreichend glaubwürdig.
    Zunächst also zur Gestaltung der öffentlichen Haushalte! Herr Kollege Ollenhauer hat uns davor gewarnt, dieses Problem immer wieder in den Vordergrund zu stellen. Aber, meine Herren von der SPD, die Summe der öffentlichen Haushalte hat 100 Milliarden überschritten. Daran erkennen wir, welche Bedeutung die öffentlichen Haushalte haben. Wenn ich einmal aus der anderen Kiste ein Wort herausnehmen darf, möchte ich sagen: Die öffentliche Hand sind die marktbeherrschenden Unternehmen schlechthin. Wenn Sie die Beziehung des Ein-



    Schmücker
    zelnen zu dieser Summe bei 25 Millionen Beschäftigten nehmen, stellen Sie fest, daß auf den Kopf dieser Beschäftigten eine Leistung von 4000 DM entfällt. Wenn Sie die Lohnsumme des Haushalts der öffentlichen Hand einschließlich Post und Bahn nehmen, dann macht sie über ein Fünftel der Gesamtlohnsumme aus.
    Daß diese gewaltige Macht am Markt das Marktgeschehen sehr stark beeinflußt, kann doch niemand bestreiten. Daß wir, die wir einen Teil kontrollieren, genauso wie die Parlamente von Ländern und Gemeinden dazu verpflichtet sind, gerade die Haushalte auf das öffentliche Wohl auszurichten, daran kann doch wohl kein Zweifel bestehen. Nun haben wir es aber mit einer ganz merkwürdigen Erscheinung zu tun. Wenn eine einzelne Person zum eigenen Vorteil etwas Geschäftliches tut, dann kommen noch gewisse Bedenken, dann sind noch sehr viele Skrupel vorhanden, sich über Gebote und Gesetze hinwegzusetzen. Aber in dem Augenblick, wo der einzelne für eine größere Gemeinschaft handelt, sind diese Skrupel viel geringer. Es kommt darauf an, daß wir mit gutem Beispiel vorangehen — das will ich gar nicht bestreiten; ich will es sogar unterstreichen — und verlangen, daß die öffentliche Hand sich auf allen ihren Ebenen den Möglichkeiten des Marktes anpaßt, daß man mit größerem wirtschaftlichem Verständnis an die Dinge herangeht.
    Nun werden Sie dazu sagen: Was hat 'das mit deinem Thema zu tun? Nun, ich meine, sehr viel; denn die Kostenverteuerungen — ein anderes Wort für die nicht ausgenutzte Wirtschaftskraft — rühren
    ja zum großen Teil daher, daß in geradezu unsinniger Weise teilweise die Kapazitäten am Markt überfordert werden. Was nützt es zum Beispiel, wenn die Bundesregierung Bundesmittel zögerlich herausgibt, um einen langsameren Ablauf zu erreichen und die bedachten Stellen dieses Unternehmen durch Zwischenfinanzierungen wieder auffangen!

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Oder was nützt es, wenn wir festlegen, daß Verwaltungsbauten nicht oder nur in beschränktem Ausmaß errichtet werden sollen, und sehr schlaue Ausleger dieses Gesetzes dann feststellen, daß beispielsweise ein Katasteramt ein Kartenhaus und kein Verwaltungshaus ist! Man baut darauf los und verfälscht so die Begriffe.
    Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal, daß wir mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Alle die Kritik, die von Ihrer Seite gekommen ist, daß der vorgelegte Bundeshaushalt geradezu ein klassisches Beispiel dafür sei, wie man nicht vorgehen dürfe, trifft nicht den Kern. Ich möchte einmal wissen, wie Sie reagiert hätten, wenn wir in diesem Bundeshaushalt bereits Beträge für Gesetze eingestellt hätten, die noch gar nicht beschlossen sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Es ist 'doch eine alte Sache, daß so etwas nicht geht. Andererseits war die tage, als das Stabilisierungsprogramm verkündet wurde, völlig anders als heute. Inzwischen ist doch etwas geschehen.
    Meine Damen und Herren, wie sähe es wohl aus, wenn wir im Herbst die Nominallösung gemacht hätten und alles heute noch zusätzlich verkraften müßten! Wir sollten aber nach den Verhältnissen des heutigen Tages diskutieren und nicht in vergangenen Dingen, die heute nur noch historische Bedeutung haben, herumkramen.
    Wenn wir eine antizyklische Haushaltspolitik auf allen Ebenen unter dem guten Beispiel des Bundes verlangen, dann wissen wir sehr wohl, daß die Bundesregierung keine ausreichenden Vollmachten hat, um eine solche Politik durchzusetzen. Einesteils bin ich sogar froh, daß sie diese Vollmachten nicht hat; denn wenn es zu schwierig wird, weicht man ja allzu leicht und allzu gern in dirigistische Maßnahmen aus. Es ist besser, daß wir versuchen, uns gegenseitig zu überzeugen, und daß wir als politische Parteien, die nicht nur in Bonn, sondern auch in den Ländern und Gemeinden vertreten sind, jeweils eine einheitliche Linie vertreten. Als wir in Niedersachsen einen sehr interessanten Streit mit den Rathausparteien hatten, haben wir von unserer Seite immer wieder darauf hingewiesen, daß es doch gerade der Sinn der politischen Parteien im kommunalen Bereich sei, die politischen Vorstellungen von der obersten Ebene bis zur kommunalen einheitlich zu verwirklichen, damit sich keiner aus der Gesamtverpflichtung herauslösen könnte. So, meine ich, sind wir bei dieser Frage als politische Parteien insgesamt angesprochen, ob es uns gegen den verständlichen Egoismus des Bundes, der Länder und der Gemeinden gelingt, diesen Zusammenhalt in der Haushaltspolitik herzustellen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ganz richtig!)

    Ich wäre sehr begierig, von der Sozialdemokratie zu hören, wie sie dazu steht. Herr Kollege Deist, Sie sind ja im Januar äußerst aktiv und produktiv gewesen,

    (Abg. Dr. Deist: Ich bemühe mich!)

    und ich habe, wo ich es zu Gesicht bekam, alles gelesen, um festzustellen, in welchem Grade der Annäherung wir uns befinden und welche neuen Liebeserklärungen Sie sogar einigen großwirtschaftlichen Verbänden gewidmet haben. Ich glaube Ihnen durchaus, daß wir hier weitgehend einer Meinung sind; aber ich habe auch einige andere Zitate aus Ihren Reihen vorliegen, aus denen hervorgeht, daß man gar nicht der Auffassung ist, daß wir hier zu einer einheitlichen Gestaltung des öffentlichen Haushalts kommen sollten. Auf unsere Bitten hin, hier etwas zu tun, wird uns dann entgegengehalten — Herr Möller, das waren Sie —, der Bund solle lieber zwei Milliarden an die Länder und Gemeinden geben, als zwei Milliarden von ihnen zu verlangen.

    (Abg. Dr. Möller: Das habe ich nie gesagt!)

    Und Herr von Knoeringen sagte im Herbst vor den Kommunalpolitikern der SPD — so habe ich es schriftlich vorliegen; wenn es nicht stimmte, wäre ich froh. Ich habe nicht vor, Zitate vorzulesen und hinter Zitaten etwas zu verstecken. Es kommt mir darauf an, von Ihnen zu hören, ob Sie mit uns der Auffassung sind, daß wir die Gestaltung der öffent-



    Schmücker
    lichen Haushalte im Sinne einer antizyklischen Politik gemeinsam durchführen müssen, und ob Sie bereit sind, die Konsequenzen aus dieser Notwendigkeit zu ziehen. Die Konsequenzen aus dieser Notwendigkeit sind fraglos die, daß wir uns verstärkt Sorgen und Gedanken-um die Umgestaltung unseres Steuer- und Finanzrechts machen müssen. Ich weiß — und ich schließe mich der Kritik voll und ganz an —, daß die Kommission schon längst hätte tätig werden können. Aber was soll andererseits eine solche Kommission machen, wenn sie politisch im luftleeren Raum schwebt und gar nicht weiß, welche Beschlüsse eventuell von den Parteien überhaupt honoriert werden! Es muß doch von den Parteien auch gesagt werden, wozu sie bereit sind.
    Wir haben auf dem Dortmunder Parteitag der CDU ausdrücklich festgestellt, daß für uns die Finanzverfassungsreform eines der wichtigsten Anliegen ist. Solange wir aber nicht die allgemeine Zustimmung dazu haben, also die notwendige Mehrheit dazu nicht haben, schwebt doch eine Kommission im luftleeren Raum. Sie können also diese Arbeit, die trotzdem hätte angelaufen sein können, jetzt ganz wesentlich dadurch erleichtern, daß Sie sich zu diesem Prinzip bekennen.
    Ich möchte zur Begründung der Notwendigkeit dieser Reform noch ein paar weitere Hinweise geben, und ich darf zwischendurch bemerken, daß ich hier keine Spezialdebatte entfesseln und mich auch gar nicht zu Einzelfragen dieses Themas äußern will. Ich möchte vielmehr den Zusammenhang herstellen zwischen der allgemeinen inneren Politik
    und den notwendigen Mehrausgaben. Ich möchte also dazu sprechen, wie es uns gelingen kann, die Wirtschaftskraft so zu fördern und zu stärken, daß wir in der Lage sein werden, diese Mehrausgaben zu leisten. Jede wettbewerbliche Ungleichheit, jede strukturelle Verschiebung, ja — ich möchte sagen — jede strukturelle ungesunde Entwicklung bedeutet immer gleichzeitig eine Kostenverteuerung und eine Verringerung des wirtschaftlichen Gesamtertrags.
    Sehen Sie sich beispielsweise die Verhältnisse in den Kommunen an, dann stellen Sie fest, daß an der Spitze die beiden Autostädte Rüsselsheim und Wolfsburg stehen. Rüsselsheim hegt bei 1153 pro Kopf der Bevölkerung, Wolfsburg bei 805, und die Landgemeinden — die Landkreise eingerechnet krebsen so bei 50 bis 80 herum. Dabei weiß jeder von uns, daß die wesentliche Steuerquelle, die Gewerbesteuer, an sich nur in den Gemeinden anfällt, aber nicht von den Bürgern der Gemeinden gezahlt wird. Das wird von der breiten Konsumentenschicht im Bund gemacht. Dadurch entstehen doch Strukturverschlechterungen — ich sage noch einmal —, die Kostenverteuerungen großen Ausmaßes bedeuten. Wir müssen diese Dinge bereinigen.
    Unsere Großstädte, in denen man nicht teurer oder billiger lebt als auf dem Lande, werden ja praktisch von der Gesamtheit eben über diese Gewerbesteuer finanziert. Ich habe nichts dagegen. Aber wenn Sie sich das Ausmaß ansehen und beispielsweise feststellen, daß eine Stadt wie Dortmund ein Steueraufkommen hat, das nur halb so groß ist wie das von Stuttgart, und sich dann die
    Städte ansehen, fragen Sie sich: Mit welchem Recht eigentlich? Wenn Sie sich die Liste der 20 steuerstärksten Kommunen in Deutschland ansehen, so stellen Sie fest, daß darunter erstaunlicherweise abgesehen von einer Stadt, die aber atypisch ist, keine Stadt aus dem Ruhrgebiet ist.
    Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen hat das stärkste Steueraufkommen auf dem Kommunalsektor, ich glaube, im Schnitt 155 DM pro Kopf der Bevölkerung. Unter den Spitzenstädten ist Nordrhein-Westfalen jedoch kaum zu finden. Sehen wir uns einmal speziell das Ruhrgebiet an. Ich verstehe es — die Bundesregierung hat es ja auch angeschnittten —, daß es im Interesse des Ruhrgebietes notwendig ist, die Frage der Energieplanung zu lösen. Aber was wird hier deutlich? Das Ruhrgebiet steht mit fast allen seinen Städten am unteren Ende, unter dem Durchschnitt des kommunalen Steueraufkommens. Hier findet also eine Strukturwandlung statt, die aus dem Bereich selbst getragen wird, während in anderen Bereichen überhaupt keine nennenswerte Eigenleistung erbracht wird. So ist es vielleicht zu verstehen, daß das RheinMain-Becken in den letzten zehn Jahren eine Verzwölffachung der Wirtschaftskraft erfahren hat, während das Ruhrgebiet im Vergleich damit stagniert.
    Meine Damen und Herren, ich würde viel lieber als Provinzler die Beispiele der Strukturwandlung aus den Landgemeinden als Folgen der agrarwirtschaftlichen Verhältnisse bringen. Aber dann würde man vielleicht sagen: Du vertrittst hier eine Interessentenmeinung, eine Wahlkreisauffassung. Ich möchte lieber auf dieses Beispiel des Ruhrgebiets hinweisen, um darzutun, wie bitter notwendig es ist, eine Änderung im Interesse der Stärkung der Wirtschaftskraft herbeizuführen. Damit wir alle in die Lage versetzt werden, die Mehrausgaben, die wir leisten müssen, auch ohne Minderung unseres Lebensstandards zu leisten, kommen wir um erhebliche Reformen nicht herum.
    Ich darf in diesem Zusammenhang ein Wort aus der Regierungserklärung aufgreifen, Herr Bundeskanzler, das Sie zur Raumordnung gesagt haben. Ich bin sehr für diese Raumordnung. Aber ich warne davor, daß man eine Raumordnung mit administrativen Maßnahmen beginnt, wenn man nicht die Grundlagen der Finanzwirtschaft geordnet hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das nützt uns doch nichts, daß wir — ich darf hier auf das Beispiel des Hannoverschen Gesetzes hinweisen — einen Großraum schaffen, der eine Überkommune darstellt, und in der Finanzwirtschaft noch keine gesunden Verhältnisse haben.

    (Zustimmung in der Mitte und bei der SPD.)

    Die beste Raumordnung, die beste Strukturpolitik ist eine Änderung der Finanzverfassung im Sinne einer möglichst gleichmäßigen Beteiligung am Steueraufkommen.

    (Abg. Dr. Deist: Wem sagen Sie das eigentlich?)




    Schmücker
    — Herr Dr. Deist, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nachher hierherkämen und die Bereitschaft Ihrer Partei zur Durchführung all dieser Maßnahmen erklärten. Dann hätten wir es nicht mehr nötig — wir haben sowieso nicht so gute Leute in der Dokumentation wie Sie —, das Material all der anderen zu sammeln, die sich immer leidenschaftlich dagegen äußern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, ich möchte, auch ohne in eine Sachdebatte einzusteigen, das zweite Steuerproblem, das Problem der Umsatzsteuer, ansprechen. Hier sind die Dinge ja durch die Brüsseler Direktive Gott sei Dank — ich sage das auch mit einem gewissen Vorwurf — jetzt in Gang gekommen. Aber was hat sich bei den Beratungen zumindest in unserer Fraktion herausgestellt? Daß die Harmonisierung dieser Steuersätze allein gar nicht genügt, daß man das Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern im EWG-Raum betrachten muß. Dabei stellen wir fest, daß wir in Deutschland — und allein auf Deutschland bezogen halte ich diese Zahl für sehr gesund — einen Anteil der direkten Steuern von etwa 56,5% haben. Ich habe die Zahlen dem Finanzbericht 1963 Seite 64 entnommen. Frankreich liegt bei 43%, Italien bei 36%.
    Was geht daraus hervor? Daß alle Pläne, die auf der Annahme beruhen, man könne noch ein bißchen auf unsere Ertragsteuern aufstocken, uns wirtschaftlich in die größten Schwierigkeiten bringen. Denn wenn wir beim grenzüberschreitenden Verkehr für die indirekten Steuern eine Abgleichung vornehmen, dann bleibt doch immer noch diese Differenz der direkten Belastungen. Diese Differenz ist so erheblich, daß es unserer deutschen Wirtschaft schwerfallen wird, sich zu behaupten.
    Aber im wesentlichen mache ich diesen Hinweis, damit die Länder einmal die Konsequenzen bedenken möchten. Wenn nämlich unsere Wirtschaft nicht floriert, dann werden auch sie nicht das Steueraufkommen haben, da sie ja im Steueraufkommen im wesentlichen vom Ertrag abhängen.
    Wenn man die internationalen Vergleiche zieht, dann sieht das Spiel beim Kampf um die Quote Bund : Länder etwas anders aus. Vielleicht stehen wir sogar vor der Notwendigkeit, die Aufteilung der Steuerquellen auch im Hinblick auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft völlig neu zu überdenken. Damit möchte ich ein paar Bemerkungen zur Einkommen-, Körperschaft- und Lohnsteuer machen. Ich sagte schon, daß es eine fast naive Überlegung ist, nun einfach aufzustocken, sowohl auf den Plafond wie insgesamt mit einer Ergänzungsabgabe aufzustocken. Das sage ich ausdrücklich.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Eine Aufstockung ist nur möglich, wenn wir eine weitere Bereinigung der noch im Tarif enthaltenen Ungerechtigkeiten durchführen. Aber es wäre auch naiv, den Plafond zu erhöhen. Siehe England und die Vereinigten Staaten. Dort hat man das ja auch versucht und hat davon später Abstand genommen.
    Nun möchte ich hier ganz kurz ein Thema anreißen, Herr Dr. Deist, das bei Ihnen — seit der
    Herbstrede — immer wieder auftaucht. Wenn ich Sie recht verstanden habe, sind Sie der Meinung, daß es durch die Art der deutschen Steuergesetzgebung, vor allen Dingen durch die degressive Abschreibung, zu einer Überinvestition gekommen ist, die letzten Endes nicht rationalisierend wirkt, sondern kostenverteuernd. Ich gebe Ihnen recht, daß das für viele Bereiche der Fall ist, z. B. für den Bereich, aus dem ich selber komme. Man kann in diesem Bereich gar nicht rationalisieren, ohne gleichzeitig zu expandieren. Wir sollten Ihnen dankbar dafür sein, daß Sie diesen Hinweis gegeben haben. Ich möchte doch davor warnen — Sie haben sicher selbst gar nicht die Absicht gehabt, aber so ist es aufgenommen worden —, daß man diese Behauptung generalisiert.

    (Zuruf.)

    — Ich sage es aus einem anderen Grund, nicht aus einem polemischen Grund. Die Behauptung trifft nur einen bestimmten Bereich der deutschen Wirtschaft. Durch diesen Hinweis wird aber etwas anderes deutlich: daß bei der Begünstigung oder vielleicht nur bei der gerechten Behandlung — das können Sie auslegen, wie Sie wollen — der Investitionen im Gegensatz dazu der Barmittelbedarf der deutschen Wirtschaft zu kurz kommt. Der Barmittelbedarf, der liquide Bedarf ist eigentlich nur ein anderes Wort für die Lagerhaltung. Wir spüren das gerade in diesen Wochen, in diesem Winter, daß sowohl nach dem Prinzip der Marktwirtschaft als auch nach unserer Steuergesetzgebung die Lagerhaltung zu kurz kommt. Das führt weiterhin zu einer Verschärfung des Konjunkturablaufs, und die mangelhafte Lagerhaltung — damit bin ich wieder bei dem roten Faden — muß kostenverteuernd wirken.
    Wir müssen uns also überlegen, wie wir diese Benachteiligung der deutschen Wirtschaft gegenüber der Wirtschaft im Ausland beseitigen können. Wir müssen uns das auch deswegen überlegen, weil wir darauf angewiesen sind, einen noch höheren Effekt aus der deutschen Wirtschaft herauszuholen, um unsere gewachsenen Aufgaben bestreiten zu können. Gleichzeitig wird aber, glaube ich, mit diesem Problem der Kern des sogenannten Mittelstandsproblems angesprochen. Denn das eigentliche Problem im Mittelstand ist doch, wie man den sehr gestiegenen Kapitalbedarf befriedigen kann.
    Wenn wir also über solche Fragen künftig diskutieren, dann bitten wir darum, daß wir uns im Interesse der Steigerung der deutschen Wirtschaftskraft — und zwar für alle Aufgaben, für die sozialen, die kulturellen wie für die militärpolitischen — überlegen, wie wir die Steuergesetzgebung im Hinblick auf diese Notwendigkeiten verbessern können.
    Meine Damen und Herren, ich nannte drittens ,als maßgebend für die wirtschaftliche Entwicklung unsere Sozialgesetzgebung. Befürchten Sie nun nicht, daß ich hier in eine Spezialdebatte einsteige. Außerdem beherrsche ich die Terminologie gar nicht ausreichend, um das zu können. Aber so viel darf man ja wohl feststellen, daß die Art der Sozialgesetzgebung heute völlig anders ist als früher; es ist keine Fürsorgegesetzgebung mehr, sondern schon



    Schmücker
    mehr eine Versorgungsgesetzgebung. Hoffentlich habe ich den richtigen Ausdruck gebraucht; aber ich denke, Sie wissen, was ich meine. Wir wollen nicht darüber jammern. All dieses Gerede über den Wohlfahrtsstaat: Gott, es gehört ja wohl dazu. Aber es gehört auch ein Sicherheitsbedürfnis dazu. Wir müssen verstärkt darauf Bedacht nehmen, daß man die Sozialgesetzgebung leistungsbejahend gestaltet, daß heißt die Eigenverantwortung stärkt, und das heißt, Kasten sparen für die Gesamtheit.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wir haben ja die Gesetze vorliegen, und ich erkläre ausdrücklich im Auftrage meiner Fraktion, daß wir nach wie vor an der geschlossenen Verabschiedung dieser Gesetze festhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wir sagen es gar nicht als Klage, sondern wir sagen es mit Stolz, daß wir in den Sozialleistungen in Deutschland an der Spitze innerhalb der EWG marschieren. Wir sagen das mit Stolz, und wir möchten diese Leistungen aufrechterhalten. Wir weisen aber darauf hin, daß wir diese Leistungen nur aufrechterhalten können, sie nur geben können, wenn sie vorher genommen worden sind.

    (Beifall in der Mitte.)

    Dieser Zusammenhang muß immer wieder herausgestellt werden, schon um das rechte Maß zu finden.
    Ich habe vorhin gesagt, wir stehen an der Spitze.
    Wenn man nun die einzelnen Gruppen untersucht, stellen wir — und hier sage ich, leider — fest, daß wir in der Familienpolitik nachhinken. Daraus ergibt sich doch eigentlich nur, wenn wir das Bestehende erhalten wollen, 'daß wir dann, wenn wir Weiteres tun, zunächst einmal familienpolitisch vorgehen müssen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wir 'wollen mehr leisten. Dann aber sollten wir den Sektor zuerst nehmen, der am schlechtesten dran ist. Dazu gehört aber nicht nur das Fordern, sondern auch das Verzichten; denn erst dann ist es wahrhaftig.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte als letzten Punkt kurz die Tarifpolitik ansprechen. Jeder betont, er sei für die Autonomie der Tarifpartner. Man stelle sich doch bloß einmal vor, wir hätten im Bundestag diese Zuständigkeit auch noch. Nun, vielleicht wird es dann wieder etwas interessanter; aber seien wir doch heilfroh, daß wir keine unmittelbare Einwirkung haben. Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht, die Tarifpartner darauf hinzuweisen, in welcher Situation wir uns befinden. Wirtschaftsbericht hin und her; ich halte sehr viel davon. Aber auch ohne daß. der Bericht da ist, wissen 'wir, daß wir maßhalten müssen. Wir hören mit einiger Sorge die Forderungen, die 'aufgestellt worden sind. Daß man in der Frage der Lohnhöhe beweglich bleiben muß, ist selbstverständlich. Wenn die Tarifpartner es nicht sind, dann sorgt der Markt schon dafür, daß die Sache im Spiel bleibt. Aber für eines haben wir — das darf ich für meine ganze Fraktion sagen — gar kein
    Verständnis, daß wir angesichts der heutigen Situation auf dem Arbeitsmarkt noch Forderungen vorgesetzt bekommen, die Arbeitszeit über das durchschnittliche Maß hinaus zu verkürzen. Meine Damen und Herren, diese Forderungen sind ja nicht echt; denn die Verkürzung findet ja gar nicht statt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Entweder leisten diejenigen, die die verkürzte Zeit bekommen haben, Überstunden — na, das 'geht noch —, oder sie leisten Schwarzarbeit. Auf jeden Fall halten wir eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit, abgesehen von den Bereichen, die noch nicht im Mittel liegen, für nicht vertretbar. Wenn hier soviel von sozialer Gesinnung geredet wird, bitte ich, auch einmal 'an diejenigen zudenken, die heute noch 60 und mehr Stunden arbeiten müssen. Dann sollten wir uns zunächst einmal um diese kümmern. Wenn man nicht weiß, wer das ist, empfehle ich, einmal aufs Land und in die Bauernhöfe zu gehen und nachzusehen, was die Hausfrauen arbeiten müssen, und auch einmal anzusehen, wieviel Selbständige, die nicht über eine Versorgung verfügen, heute noch zu schuften haben.
    Meine Damen und Herren, 'darüber hinaus meinen wir, sollten wir gerade zur Auflockerung des Arbeitsmarktes — und ich setze hinzu: zur Stärkung unserer Wirtschaftskraft, damit wir unsere gewachsenen Aufgaben erfüllen können — uns Gedanken darüber machen, wie man immer mehr — seien Sie nicht erschrocken — Selbständige in die Arbeit bis in den öffentlichen Bereich einordnen kann; denn der große Unterschied zwischen einem Beschäftigten mit festgesetzter Arbeit und einem Selbständigen ist doch der, daß der Selbständige sich dem Arbeitsanfall anpassen muß und das auch gerne tut, während der andere aus der Organisation der Behörde oder des Betriebes heraus das gar nicht kann.
    Meine Damen und Herren, ich habe versucht, in hoffentlich nicht zu langen Ausführungen über den engeren Rahmen der Wirtschaftspolitik hinaus die Probleme anzusprechen, die wir meinen jetzt lösen zu müssen, damit wir unsere Wirtschaft intakt halten und sie stärken und damit wir im politischen Raum unsere sozialen, unsere kulturellen, unsere verteidigungspolitischen, kurzum unsere politischen Aufgaben erfüllen können.
    Wir sollten diese Überlegungen auch im Hinblick auf den wachsenden — ich sage das bewußt: den wachsenden — Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anstellen; denn, meine Damen und Herren, so ist es ja nicht, daß man einfach sagen kann: Noch ein paar dazu! Wir müssen uns ja auch im Wettbewerb gegenüber der Wirtschaft 'in diesen Ländern behaupten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich las mit großer Freude, 'daß man beispielsweise in Österreich — man hatte dort unsere Finanzverfassung — eine Finanzverfassungsreform bereits durchgeführt hat im Hinblick auf den späteren Anschluß an die EWG, 'während wir — wie war das heute morgen noch? — auf Grund unseres Grundgesetzes noch nicht zu einer 'derartigen Finanzver-



    Schmücker
    fassungsreform gekommen sind. Die Franzosen sollen schuld daran sein? Nun, mögen sie schuld daran sein, daß wir diese Einteilung haben. Wir haben es doch selbst als Deutsche in der Hand, diese Dinge nun im Rahmen der Buchstaben und des Geistes des Grundgesetzes so auslegen, so zu gestalten, daß das Gesamte einen Vorteil hat.
    Herr Bundeskanzler, es hat geheißen, Ihre Regierungserklärung sei langweilig gewesen. Möglich, daß derjenige, der nur die Worte hörte, das als langweilig empfunden hat. Aber ich glaube, es sind eine Fülle interessanter und lebenswichtiger Probleme, wenn auch nur stichwortartig, angesprochen worden. Es kommt nun für jeden von uns darauf an, die direkte Verbindung von der Alltagsarbeit bis zur hohen Politik zu sehen und von diesen Zusammenhängen durchdrungen zu sein. Wir verkennen und verschweigen gar nicht die Schwierigkeiten, welche die Regierung im ersten Jahr gehabt hat. Aber ich nehme das Wort des Kollegen Mende auf und sage: Wer diese Schwierigkeiten überwunden hat, überwindet auch den Tadel, den er bis dahin vielleicht verdiente.
    Ich darf in abschließender Zusammenfassung noch einmal feststellen: jede soziale Maßnahme, überhaupt jede fortschrittliche Leistung, gleich welcher Art, jede Verteidigungsanstrengung ist nur möglich, wenn wir die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Wer sich zur Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit bekennt, muß immer dazu sagen, welches Geld — und das heißt letzten Endes, welche Arbeit — notwendig ist und was er vom deutschen Volke verlangen muß, um diese Leistungen zu erbringen. Wer es unterläßt, dies zu tun, der kann seine Ideale so leidenschaftlich vortragen, wie es ihm die Schule erlaubt, letzten Endes redet er hohl und unwahrhaftig, oder — um ein Schlagwort der letzten Tage zu gebrauchen — er stellt sich selber ins Zwielicht.
    Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU ist bereit, alle, auch die im einzelnen unpopulären Maßnahmen zu unterstützen, um das Gesamtziel unserer Politik zu realisieren. Sie fordert die Bundesregierung auf, die Arbeit in diesem Sinne vérstärkt und auch beschleunigt fortzusetzen. Wir bitten die Opposition, die sich erfreulicherweise in vielen Punkten der Außen- und Verteidigungspolitik nach Jahren harten Widerstandes unseren Auffassungen genähert hat, nun auch die innerpolitischen Konsequenzen zu ziehen, also nicht nur die großen Ziele anzuerkennen, sondern auch den Weg dahin im Alltag mitzugehen oder aber ihrerseits andere Vorschläge zu machen. Niemand darf unserem Volk verschweigen, daß wir große Anstrengungen zu machen haben, wenn wir gleichzeitig unseren Lebens standard aufrechterhalten und unsere Verteidigung kräftigen wollen. Wir können das letztlich nur durch Arbeit und durch die Bereitschaft zu persönlicher Verantwortung. Wir sind überzeugt, daß diese Bereitschaft in unserem Volk besteht. Sorgen wir in Politik und Verwaltung in Bund, Ländern und Gemeinden dafür, daß — ausgerichtet auf das Ganze die Grundlagen richtig gelegt werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der' Abgeordnete Erler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorhin hat Herr Kollege Dr. Mende uns hier in diesem Hause seinen Albtraum vorgetragen, den Albtraum, daß unter Umständen einmal die Sozialdemokratische Partei in der Regierung sitzen könnte. Er hat mit etwas — beinahe — Bedauern verzeichnet, daß die Sozialdemokraten inzwischen die Partei der Regierungsanwärter geworden seien, was wohl einschließt, daß dann andere — ich lasse es völlig offen, wer — gewissermaßen die Parteien der Oppositionsanwärter wären.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Ich bin ehrlich genug, zuzugestehen, daß die Bereitschaft, vom Anwärter zum aktiven Tun überzugehen, natürlich verschieden entwickelt ist. Die Bereitschaft der Sozialdemokratischen Partei, Regierungsverantwortung zu übernehmen, ist sicherlich stärker entwickelt als die Bereitschaft der Freien Demokraten, in die Opposition zu gehen; das kann ich vollkommen verstehen.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der FDP.)

    Eines möchte ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Eine Regierung mit der Sozialdemokratischen. Partei ist eben einfach nicht mehr dieselbe Regierung. Eine Regierung mit einer Partei, die 40 % der Sitze in diesem Hause hat, schaut nicht nur personell ein bißchen anders aus, sondern da kommt dann natürlich auch das politische und allgemeine Gewicht dieser Partei in einer solchen Regierungskombination zur Geltung; wie sollte das denn auch anders sein? Vielleicht gestehe ich hier ganz offen, daß ich das Gefühl habe, daß dies der entscheidende Grund dafür gewesen ist, daß wir diesmal noch nicht auf die Regierungsbänke gekommen sind.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.) Aber was nicht ist, kann ja noch werden.


    (Erneute Heiterkeit.)

    Für uns jedenfalls bleibt das durchaus auf der Tagesordnung, und das ist ein heilsamer Faktor der Unruhe für alle anderen Beteiligten.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Jedenfalls ist das Ansehen der Sozialdemokratischen Partei auch im Zuge dieser Erörterungen des vergangenen Jahres in unserem Volk außerordentlich gestärkt worden. In der Welt draußen war das schon längst passiert. Es geht hier nicht immer ganz so schnell, daß man das auch bei uns einsieht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich möchte das zurückführen auf unsere Haltung — worauf denn sonst? —, aber natürlich auch auf Ihre Fehler. Nun muß ich sagen, über Ihre Fehler könnte ich mich im Interesse meiner Partei freuen; im Interesse des Ganzen sind sie natürlich zu bedauern. Eine makel- und fehlerlose Regierung wäre für das Volk besser, auch wenn es die Opposition schwerer hätte.

    (Beifall bei der SPD.)




    Erler
    Bei dieser Lage hilft es nun wirklich nichts, wenn Herr Kollege Dr. Mende hier das schöne Bild entrollte: Wenn etwas erreicht worden ist, dann liegt es an der FDP; wenn nichts erreicht worden ist, hat die Opposition die Schuld.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Das war so ungefähr das einleitende Kapitel seiner Rede.
    Es kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es wirklich mit einem verlorenen Jahr — inzwischen ist noch mehr Zeit verflossen — zu tun hatten. Die Ankündigungen munterer Taten sind kein Ersatz für das, was in dieser Zeit alles nicht geschehen ist. Ich habe soeben mit großer Aufmerksamkeit und einer guten Portion Wohlwollen gehört, was uns alles über Raumordnung und Finanzverfassung vom Kollegen Schmücker vorgetragen worden ist, so ungefähr, als würde er die Oppositionsrede gegen eine Regierung halten, die seit nunmehr 14 Jahren regiert.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ganz so ist das aber nicht. Er hat auf richtige, notwendige Dinge hingewiesen, die nun angepackt werden müssen. Ich entsinne mich noch, wie wir hier haben kämpfen müssen um einen Antrag, den der Kollege Dr. Möller eingebracht hatte, den Antrag, um z. B. an dieses Kernstück: Neuordnung der finanziellen Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden heranzugehen, eine Sachverständigenkommission einzusetzen. Da war es der damalige Finanzminister, der gesagt hat: „Oh nein, das braucht ihr gar nicht, die habe ich schon längst berufen." Nun, wir haben inzwischen gemerkt: die Kommission hat noch nicht ein einziges Mal getagt. Es wäre vielleicht doch besser gewesen, wenn wir damals den Möllerschen Antrag angenommen hätten.
    Ein ähnliches Kapitel wäre etwa über die derzeitigen doch recht torsohaften Beratungen des Haushaltsauschusses über den Bundeshaushalt zu schreiben. Jeder weiß: was der Haushaltsausschuß dort berät, das stimmt schon gar nicht mehr, weil inzwischen eine ganze Reihe von neuen Forderungen auf uns zugekommen sind — wie es so schön im Neudeutschen heißt —, die also dort nun noch mit verkraftet werden müssen, und weil — das gestehe ich hier auch ganz offen — wir bisher weder in der Regierungserklärung noch in irgendwelchen finanziellen Erwägungen der Bundesregierung etwas davon vernommen haben, wie sie denn die Zusage des Herrn Bundeskanzlers nun auch finanziell zu honorieren gedenkt, die er erst vor wenigen Tagen den Vertretern der deutschen Landwirtschaft gegeben hat. Das ist doch auch ein Betrag von 800 bis 900 Millionen DM, den man nicht einfach aus dem Ärmel schütteln kann; er muß doch irgendwo also noch im Bundeshaushalt da sein. Wir wären gern neugierig zu wissen, wo dieser Haushalt nach der Meinung des Bundeskanzlers so viel Luft aufweist, und vielleicht kann man sich dann über dieses Problem relativ rasch verständigen.

    (Bundeskanzler Dr. Adenauer: Wo habe ich die Zusage gemacht?)

    — Ach, das ist mir interessant, daß der Herr Bundeskanzler jetzt also meint, er habe diese Zusage nicht gegeben. Das wird die Bauernverbände freuen. In den Zeitungen stand das.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Nun gut; ich meine, was nun zwischen dem Bauernverband und dem Bundeskanzler und der CDU passiert, das überlasse ich ganz Ihnen, meine Herren; das ist nicht unsere Sorge.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben zu ein paar anderen großen Fragen, die unser Volk gemeinsam angehen müssen, in dieser Regierungserklärung verhältnismäßig wenig gehört. Da ist z. B. ein Problem, auf das der Herr Bundespräsident neulich die Aufmerksamkeit gelenkt hat und von dem ich durchaus zugebe, daß es sich der reinen Gesetzgebungsarbeit entzieht: das Problem von fünf Millionen alten Menschen, die in Einsamkeit leben. Das ist aber auch nicht ein Problem, das man nur mit der karitativen Liebestätigkeit der Nachbarn angehen kann; hier müssen wir zu einem Zusammenwirken aller gesellschaftlichen, religiösen, kulturellen und politischen Kräfte dieses Landes kommen, von der Spitze — der Bundespräsident hat ein Signal gegeben — bis hin zu den Gemeinden.
    Ähnliches gilt für den dringend notwendigen Ausbau unseres Erziehungswesens. Auch da will ich jetzt nicht in eine Fachdebatte eintreten. Es wäre gut, wenn, über die reine Forschung hinaus, bei aller Respektierung der im Grundgesetz gezogenen Kompetenzabgrenzungen auch hier ein Wort über die Zusammenarbeit gefallen wäre. Wenn man das in Staatsverträgen mit fremden Ländern angeht, dann kann man auch im Bundestag ein verbindliches Wort zu diesem allgemeinen nationalen Problem sagen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hier ist vorhin einiges, mit Recht, glaube ich, vom Kollegen Schmücker vorgetragen worden über die Belastung vieler Menschen unseres Landes durch eine für sie noch allzu harte und allzu lange Arbeitslast. Das wird niemand bestreiten. Wir leben — übrigens betrifft das nicht nur die Landwirtschaft und die Selbständigen, sondern auch viele andere — in einem Lande, in dem wir ein erstaunlich hohes Ausmaß an Frühinvalidität haben. Darüber ist 'bei der ersten Beratung des Sozialpakets gesprochen worden. Die wichtigste Aufgabe wäre, dafür zu sorgen, daß nicht so viele Millionen Menschen vorzeitig verschlissen sind und gar nicht erst das Alter der Altersrente erreichen, sondern wegen vorzeitiger Berufs- und Arbeitsunfähigkeit Invalidenrente zugebilligt bekommen müssen. Das ist einmal Leid für die Betroffenen, das ist Leid für deren Familien; und außerdem — hier bin ich nun bei dem Punkt —: das kostet eine Stange Geld. Diese Menschen schlagen volkswirtschaftlich ganz anders zu Buche, wenn sie vorzeitig Rente bekommen müssen, statt bei Bewahrung ihrer Arbeitskraft noch Beiträge und Steuern zahlen und einen Beitrag zum Sozialprodukt leisten zu können. Mit



    Erler
    anderen Worten: Investitionen in vorausschauender Gesundheitspolitik sind keine Fehlinvestitionen, sondern dienen der Erhaltung unseres kostbarsten Gutes, nämlich unserer Arbeitskraft.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn wir diesen Zusammenhang richtig sehen — und deswegen habe ich es eigentlich nur gesagt, Kollege Schmücker — und wenn wir dieses Problem einmal energisch anpacken, wenn wir uns z. B. sagen, daß man dabei vielleicht in unserer überbeschäftigten Wirtschaft Arbeitskräfte länger erhalten und damit auch die Arbeitsmarktlage entspannen kann — allein ein Jahr Arbeitszeit mehr macht schon den ganzen Bestand an ausländischen Arbeitskräften in der Bundesrepublik Deutschland aus —, dann würde auch manches andere Licht auf die Diskussion über die Arbeitszeit fallen,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    die man nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Überstundenvergütung sehen darf. Wenn es uns gelingt, das in die Gesundheitspolitik einzubauen, wo es eigentlich hingehört, dann kann eine vernünftige Urlaubs- und Arbeitszeitgestaltung auf Sicht ein volkswirtschaftlicher Gewinn durch Gesunderhaltung unserer Arbeitskraft sein.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zu den Problemen Städtebau, Raumordnung und was damit zusammenhängt, kann ich Ihnen nur sagen: Wenn die Bundesregierung sich entschließen sollte, an diesen ganzen Komplex, der nicht nur ein Komplex der Gewerbesteuer, sondern doch wohl auch ein Komplex der Strukturpolitik ist, die unsere Wirtschaft im ganzen betrifft, energisch heranzugehen, so wird es an der sozialdemokratischen Unterstützung daran bestimmt nicht fehlen. Bei allen diesen vier genannten Gebieten handelt es sich um große Gemeinschaftsaufgaben eines ganzen Volkes, das seine Existenzbedingungen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts allmählich der modernen Industriegesellschaft anpassen muß. Das werden wir nur in einer gemeinsamen Arbeit von Bund, Ländern und Gemeinden schaffen. Das ist mehr als ein finanzielles Problem, aber auch ein finanzielles Problem.
    Sie sehen, wie das alles zusammengehört. Das geht von einer Energiepolitik, über deren Fehlen sich heute gerade auch die Sachkundigen in den betroffenen Bereichen beschweren, bis zu einer Wirtschaftspolitik aus einem Guß, die nicht darin bestehen kann, daß man die Dinge treiben läßt und von Zeit zu Zeit Ermahnungen an die Bevölkerung richtet, sondern die in wirtschaftspolitischer Führung bestehen muß.
    Jetzt gibt es einen Ansatz. Wir werden hier demnächst — und dieser Debatte möchte ich keineswegs vorgreifen — den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorgelegt bekommen. Ich finde, es ist ein guter Ansatz, nachdem früher einmal der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, mit ihm könne man solche Scherze nicht machen. Man sieht, daß im wechselseitigen Gespräch offenbar auf allen
    Seiten Einsicht geweckt werden kann, auf den verschiedensten Gebieten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Sozialpaket, das wir hier behandelt haben, enthält noch sehr viel schädlichen Ballast. Die Vorsorge für Notfälle — um die hier in diesem Hause in den Ausschüssen anstehende Beratung der vielfältigen Gesetze auf diesem Gebiet noch einmal in ein etwas anderes Licht zu bringen — war auf weiten Gebieten auch ohne Grundgesetzergänzung und ohne neue Gesetze möglich.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich weiß, daß es viele Dinge gibt — darüber haben wir uns hier unterhalten —, zu denen diese Gesetzgebung gehört. Aber der Bau von Ersatzbetten für Krankenhäuser, die Bevorratung mit bestimmten Dingen, die Gewinnung von noch mehr Freiwilligen für die Tätigkeit in den Bereichen des zivilen Bevölkerungsschutzes und anderes mehr wären durchaus möglich gewesen, schon bevor der Bundestag hier nunmehr erst weitergehende Gesetze beschließt. Auch da handelt es sich um eine Unterlassungssünde. Darüber haben wir seit 1955 jedes Jahr bei der Haushaltsberatung gesprochen und die entsprechenden Anträge vorgelegt. Was in unserem Volke fehlt, ist offenbar, daß man eine entschlossene, von Interessengruppen freie Führung an der Spitze weiß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, dieser Mangel an Führung oder das Auseinanderklaffen der Meinungen der Führenden hat sich besonders in der Außenpolitik bemerkbar gemacht. Ich will das, was Kollege Dr. Mende hier behandelt hat, nicht noch einmal in aller Breite darstellen, daß es in der deutschen Frage sicher auch und gerade darauf ankommt, daß wir immer wieder erneut mit unseren Verbündeten das Gespräch führen, damit sie wirklich wissen, daß diejenigen, die hier in erster Linie berufen sind, nicht nur zu reagieren, sondern den Westen zu einer eigenen politischen Konzeption zu bringen, die Deutschen sein müssen; denn das ist in erster Linie unsere Frage und weniger eine Frage anderer, soviel Verantwortung sie weltpolitisch oder auch juristisch für die deutsche Frage tragen mögen.
    Das Thema, um das es heute vor allem ging, ist doch wohl die Zukunft der europäischen Gemeinschaft und ihre Beziehung zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Auf diesen beiden Gebieten ist das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland nicht klar und eindeutig zur Geltung gebracht worden. Es hat lange gedauert, bis sich auch die Bundesregierung in Brüssel, nachdem sich dort schon Minister anderer Regierungen sehr lange aufgehalten haben, nicht nur durch Verhandlungspartner im Beamtenrange, sondern auch durch die Minister selber vertreten ließ.
    Wir haben nun einen in diesem Hause von allen bedauerten Fehlschlag in Brüssel erlebt. Niemand von uns wird die deutschen Möglichkeiten zur seinerzeitigen Abwehr dieses Fehlschlages oder auch jetzt zur Überwindung der Folgen überschätzen



    Erler
    wollen; das wäre völlig verfehlt. Wir wissen, daß es auch für die Bundesrepublik Deutschland sehr schwierig würde, wenn man ihr zumuten wollte, etwas fertigzubekommen — etwa bei der französischen Regierung —, was der großen Macht der Vereinigten Staaten von Amerika und dem seit Jahrzehnten mit Frankreich befreundeten und verbündeten Großbritannien nicht gelungen ist. Von so viel Größenwahn ist in diesem Hause niemand erfüllt, daß er diese Aufgabe etwa allein auf seine Schultern nehmen wollte. Wir müssen sogar dafür sorgen, daß auch in unserem Lande kein falscher Eindruck entsteht, weil man uns sonst mit falschen Verantwortungen belasten würde, die uns nicht zukommen.
    Aber wir dürfen auch draußen in der Welt nicht den Eindruck entstehen lassen, daß hinsichtlich des Fehlschlages von Brüssel die deutsche Politik etwa mit denen solidarisch sei, die ihn herbeigeführt haben. Es ist ein Unterschied, ob die Kräfte nicht ausreichen, den Fehlschlag abwenden zu helfen, oder ob man durch eigenes Verhalten einen falschen Eindruck aus der Welt schaffen kann. Gerade jetzt kommt es auf das richtige Verhalten der deutschen Politik entscheidend an. Aus dieser Sicht einer Solidarität mit einer Politik, die nicht die unsere ist, muß der deutsch-französische Vertrag heraus. Dazu ist sorgsame politische Arbeit nötig. Ich warne vor der Vorstellung, daß wir, weil andere Porzellan zerschlagen haben, nun auch noch Porzellan zerschlagen sollten;

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    das macht das zerschlagene Porzellan auch nicht wieder heil.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Deshalb darf der Leidtragende vor allem nicht die europäische Gemeinschaft sein. Denn ich weiß, daß jene Kräfte in Frankreich, die jetzt den Fehlschlag herbeigeführt haben, seinerzeit im französischen Parlament nicht zu den glühenden Anhängern der europäischen Gemeinschaft gehört haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es kommt also darauf an, daß wir die Gemeinschaft erhalten, stärken, ausbauen und schließlich so erweitern, wie sie dieser Bundestag in der überwältigenden Mehrheit seiner Mitglieder selber erweitert zu sehen wünschte. Das ist eine Arbeit der Überzeugung. Zwingen kann man nach dein Mechanismus der Verträge nämlich niemanden. Möglicherweise dauert diese Arbeit länger, als uns allen lieb ist.
    Ich bin überzeugt, daß die politische Fernhaltung Großbritanniens vom europäischen Kontinent und die damit unvermeidliche Störung der Solidarität zwischen Europa und den Vereinigten Staaten auch nicht im wahren Interesse Frankreichs liegt und daß wir hier durchaus zusammen' mit unseren Freunden geduldige Überzeugungsarbeit leisten können und müssen. Aber heute stehen wir noch etwas im Zwielicht. Ich will gar nicht untersuchen, worauf das zurückzuführen ist; das ist einfach eine Tatsache. Was können wir nun, damit diese Überzeugungsarbeit eines Tages einmal Erfolg hat, inzwischen tun?
    Inzwischen kommt es darauf an — und hier schließe ich mich sehr eng an einige Gedanken an, die Herr Dr. von Brentano vorhin vorgetragen hat —, die Abmachungen sorgsam auf ihre Auswirkungen zu prüfen, aber nicht nur dies, sondern nach dem Ergebnis dieser Prüfungen auch etwas zu tun, um Mißdeutungen und eventuell schädliche Auswirkungen zu verhindern. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die nun auszuarbeiten und im diplomatischen Geschäft auf ihre Tragfähigkeit hin abzutasten Sache der Bundesregierung ist. Das kann nicht das Parlament machen; wir können hier nur anregen. Dazu könnten z. B. in Form von Protokollen oder Briefwechseln bestimmte Zusätze gehören, die klarstellen, daß deutsch-französische Konsultation nicht dazu benutzt wird, Gemeinschaftsentscheidungen in den bestehenden Gemeinschaften zu präjudizieren und damit einen deutsch-französischen Sonderbund gegen andere zu schaffen oder ihnen gar deutsch-französischen Sonderwillen aufzwingen zu wollen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Dann bleibt immer noch ein erstaunlich hohes Maß an Konsultation übrig.
    Ich weiß, daß z. B. hier der Gedanke, ähnliche Verträge mit anderen abzuschließen — der von mir unterstützt wird, von Ihnen auch — begreiflicherweise etwas Hemmungen bei denen auslöst, die da sagen: Aber, um Himmels willen, ein solches Netzwerk bilateraler Konsultation ist doch noch kein Ersatz für wirkliche Gemeinschaftsarbeit!

    (Abg. Dr. von Brentano: Kein Ersatz!)

    — Gut, es ist eine politische Demonstration: Keine Einseitigkeit! Es muß, führte man es durch, in den Fragen, die die Gemeinschaft angehen, zwangsläufig dazu führen — schon aus Zeitgründen —, daß man einander nicht mehr bilateral, sondern am Gemeinschaftstisch konsultiert und die Dinge, die die Gemeinschaft angehen, eben nicht in zweiseitigen Abmachungen regelt und vorab festlegt, sondern dort behandelt, wohin sie gehören, am Tisch der Gemeinschaft, unter gleichberechtigten Freunden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Da geht es mir nicht nur um das Verhältnis zu Großbritannien, so wichtig das auch ist. Großbritannien ist ein großer Staat; wenn die Briten in die europäische Gemeinschaft hineinkommen, werden sie sich in bestimmten Dingen schon ihrer Haut wehren. Mir geht es um die Befürchtungen auch und gerade der kleineren Partner in der europäischen Gemeinschaft, die nach dem jetzigen Stimmengewicht jedes Einflusses beraubt wären, wenn das deutsch-französische Gewicht immer geschlossen in die Waagschale gelegt werden müßte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darauf sollten wir achten, damit auch bei jenen Ländern, ob es sich nun um Luxemburg, um Belgien oder die Niederlande handelt und schließlich auch um Italien, das ja eine ähnliche Bedeutung hinsichtlich des Stimmgewichts hat wie wir, gar nicht erst das Gefühl aufkommt, der Gemeinschaftscharakter würde
    durch Sonderabmachungen gefährdet.



    Erler
    Dazu gehört auch, daß wir näher definieren, was mit den deutsch-französischen Besprechungen auf militärischem Gebiet gemeint ist. Es gab bisher schon eine ganze Masse; die waren völlig unschädlich, im Gegenteil, sogar nützlich, und so gibt es bestimmte Probleme der Rüstungswirtschaft, der waffentechnischen Zusammenarbeit, der Erziehung, des Truppenaustauschs. Das steht in völliger Übereinstimmung mit der allgemeinen Zielsetzung der NATO. Warum soll man das nicht weiterentwickeln? Die Sache wäre gefährlich, wenn der Versuch unternommen würde, durch diese Konsultation die Bundesrepublik Deutschland auf eine strategische Konzeption festzulegen, die in erklärtem Gegensatz zu der strategischen Konzeption nicht nur der Führungsmacht, sondern der Mehrheit der Atlantikpaktstaaten stände. Das wäre gefährlich und würde die Allianz schwächen. Deshalb wäre es gut, wenn wir auch zu diesem Punkt ein paar Klarstellungen von beiden Regierungen, nicht nur von der deutschen, bekommen könnten. Schließlich wäre es wichtig, wenn man einen neuen Anlauf nehmen könnte, um die Besprechungen mit Großbritannien, die ja nach offizieller französischer Erklärung nicht abgebrochen, sondern nur unterbrochen sind, auf geeignete Weise und in geeignetem Rahmen wieder anzufangen. Vielleicht gibt der Tisch der Westeuropäischen Union eine Möglichkeit, wo die Sechs und Großbritannien zusammenkommen, nicht als einander gegenüberstehende Fremde, bei denen der eine bei den anderen erst eintreten soll, sondern bereits als gleichberechtigte Teilnehmer ein und derselben Gemeinschaft, — übrigens einer viel engeren, als man vielerorts zu wissen scheint.
    Die Westeuropäische Union unterscheidet sich z. B. dadurch vom Atlantikpakt, daß sie eine automatische Beistandsklausel mit allen militärischen Hilfsmitteln einschließt. Durch die Westeuropäische Union ist Großbritannien stärker mit dem Kontinent verbunden als die Vereinigten Staaten von Amerika, wenn auch die Vereinigten Staaten von Amerika physisch durch ihre Anwesenheit stärker mit dem europäischen Kontinent verbunden sind. Der NATO-Vertrag enthält an sich nur ein Beistandsversprechen, hat jedoch eine weitgehende Integration der Streitkräfte zur Folge gehabt, die faktisch eine gewisse automatische Antwort der Beteiligten auslöst. Es bleibt in der Hoheit des unter Umständen zum Beistand verpflichteten Landes, zu entscheiden, mit welchen Mitteln und in welchem Umfang es eingreift und ob es überhaupt zu militärischen Mitteln greift. Die Westeuropäische Union verpflichtet zum Einsatz mit allen Mitteln. Deswegen sollten wir in dieser Verhandlungsrunde dieses Instrument einer sehr engen Gemeinschaft — denn es ist eine Gemeinschaft auf Leben und Tod — nicht unterschätzen.
    Ein anderes geeignetes Forum wäre zum Beispiel der Tisch der OECD. Er hat den Vorteil, daß dort auch die Amerikaner mit von der Partie sind. Dort kann man mit den Briten natürlich nicht die engeren europäischen Probleme besprechen, aber die Fragen der wirtschaftlichen und politischen Solidarität zwischen den beiden Partnern diesseits und jenseits des Atlantik, die ja auch durch den Brüsseler Fehl-
    schlag Schaden gelitten haben. Diese Fragen könnten in jenem Rahmen nach meiner Überzeugung erneut angegangen werden.
    Schließlich muß man, glaube ich, dafür sorgen — und das wird jetzt Aufgabe der deutschen Politik im weiteren Ausbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein —, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft weltoffen bleibt, wirklich eine liberale Außenhandelspolitik betreibt, sich nicht von anderen abschließt. Hier habe ich große Sorgen. Etwas populär gesagt, hat doch der französische Staatspräsident in seiner Pressekonferenz ungefähr ausgeführt: Eßt europäisch, und ihr bleibt gesund! Wir sollten also zunächst einmal die Erzeugnisse des eigenen europäischen Wirtschaftsgebiets verdauen, bevor wir uns daran machen, auch von woanders etwas zu beziehen.
    Meine Damen und Herren, Europa in Autarkie wäre ein verstümmeltes Europa mit einer völlig künstlichen Wirtschaft, mit jener Abschnürungswirtschaft, die zum Schein sogar einmal auf hohen Touren laufen kann — wie im „Dritten Reich" vor 1939 —, in der aber in Wahrheit der Wurm ist, und sei es auch nur die schleichende Inflation. Ich meine, daß ein Land wie unseres, +das für 50 Milliarden DM Erzeugnisse pro Jahr exportiert, ein Lebensinteresse daran hat, daß sich Europa nicht von den übrigen Weltmärkten +abschließt; denn wer exportieren will, muß auch zur Einfuhr bereit sein. Das ist das kleine Einmaleins der Wirtschaftspolitik.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darauf werden wir achten müssen, daß bis in sehr viele Einzelheiten hinein die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft diesen dem Geist und dem Wortlaut des Vertrages allein entsprechenden Kurs auch einhält und sich von Vertretern autarker Wirtschaftsvorstellungen darin nicht im geringsten beirren läßt.
    Meine Damen und Herren, wenn wir das alles zusammen machen, dann kann eine politische Landschaft entstehen, die die deutsch-französischen Abmachungen eines jeden schädlichen Beiklangs entkleidet. Ich verlange nicht, daß das alles durchgeführt wird — um Himmels willen —, bevor der Bundestag zu diesem Dokument Stellung genommen hat. Das ist ein ziemlich reichhaltiges Programm. Aber einleiten muß man es, und zwar bald, gerade damit die deutsche Politik den Vertrauensverlust wieder wettmacht, den Deutschland und Europa in Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika leider erlitten haben. Verschließen wir doch nicht die Augen vor der Wirklichkeit! Deswegen müssen wir jetzt ein bißchen mehr tun als reden. Deshalb muß unsere Regierung auf diesen Gebieten — wenn nicht auf allen, dann auf einigen — in Bälde Fortschritte vorzuweisen haben, die von ihrer guten Absicht zeugen.
    Das bedeutet, daß man mit anderen Regierungen darüber spricht und versucht, von dem, was ich ungefähr zu skizzieren versucht habe, etwas in die Wirklichkeit umzusetzen. Denn niemand in diesem Hause hat doch falsche Vorstellungen von der welt-



    Erler
    politischen Bedeutung des deutsch-französischen Verhältnisses. Wir sind alle froh, daß die Zeit der deutsch-fanzösischen Bürgerkriege ein für allemal der Geschichte angehört. Aber wir wissen doch alle, daß, selbst wenn Deutschland und Frankreich zusammen mehr sind als jedes einzelne von ihnen, sie auch zusammen keine Weltmacht sind, auch wenn der eine oder andere vielleicht sogar schon den einen Partner drüben ,für eine Weltmacht hält. Dazu gehört ein bißchen mehr als allein ein ungebrochenes Selbstbewußtsein, meine Damen und Herren!

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Daher sollten wir uns hier der realen Machtverteilung in der Welt immer bewußt sein und erkennen, daß Deutschland und Frankreich gemeinsam in enger Verbindung und in enger Freundschaft Teil der europäischen Gemeinschaft sein müssen und gleichfalls ein enges solidarisches Vertrauensverhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika aufrechterhalten müssen. Das liegt im Interesse beider Länder, nicht nur eines von ihnen.
    Ich darf noch etwas zu dem Problem Großbritannien sagen. Mir geht es dabei nicht nur um das Hereinholen eines wirtschaftlich wichtigen Landes, damit der europäische Markt noch ein bißchen größer wird, die Wachstumschancen noch größer werden, die Lebenshaltung der Bevölkerung steigt. Alles wichtig, aber ich finde, hier gibt es noch einen politischen Grund, nämlich den: Wie soll die künftige europäische Gemeinschaft in ihrem inneren Leben beschaffen sein? Mir geht es um das Verhältnis des werdenden Europa zu den Prinzipien der freiheitlich-rechtsstaatlichen parlamentarischen Demokratie.

    (Beifall bei der SPD.)

    Gerade deshalb sollten wir uns Mühe geben, die Briten mit ihrer in Jahrhunderten gewachsenen Tradition, so fremd sie auch manchem Kontinentaleuropäer sein mag, mit bei der Partie zu haben. Wir meinen, daß ein solches volles Mitwirken der Briten eine der besten Garantien dafür ist, daß im künftigen Europa freiheitlich-demokratische rechtsstaatliche Grundlagen für unser Zusammensein vorhanden sind.
    Hier könnte auch die Bundesregierung heute schon einiges tun. Wir wollen ja alle — der Herr Bundeskanzler hat das neulich noch einmal sehr eindrucksvoll nach seiner Rückkehr aus Paris dargetan — keine unkontrollierten Bürokratien haben, ob die nun in Brüssel oder anderwärts sitzen. Nun gut, wie wäre es denn, wenn die Bundesregierung bei der 'nächsten Ministerratsitzung den Vorstoß des Europäischen Parlaments unterstützte, der dahin ging, daß die Befugnisse dieses Parlaments gestärkt, seine Mitglieder — wenn auch im Anfang zunächst nur teilweise — direkt 'gewählt und die drei Exekutiven zu einer einzigen verschmolzen würden? Nach dieser Rede des Herrn Bundeskanzlers habe ich keinen Zweifel mehr daran, daß die Bundesregierung nun sicher auf schnellstem Wege in der nächsten Ministerratsitzung der EWG diesen Vorstoß zur Stärkung ides demokratisch-parlamentarischen Charakters der Gemeinschaft unternehmen wird.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei einigen Abgeordneten der FDP.)

    Der Bundestag wird sich darüber freuen und vielleicht gar nicht erst einen Antrag einbringen müssen, den wir dann einstimmig annehmen, sondern vielleicht nachträglich eine Haltung der Regierung in dieser Frage mit großer Mehrheit billigen. Das ist noch viel besser.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, vorhin ist wieder einmal die berühmte Frage aufgeworfen worden, die uns oft und oft in diesem Hause beschäftigt hat: Warum wart ihr Sozialdemokraten eigentlich seinerzeit bei der Beratung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der Montanunion gegen dieses Unternehmen und warum setzt ihr euch heute so warm für die weitere Festigung und den Ausbau der europäischen Gemeinschaft und die Stärkung der atlantischen Solidarität ein? — Ich will zunächst einmal den Komplex Montanunion von den anderen Verträgen, die etwas mit den militärischen Problemen zu tun haben, trennen.
    Die Einwände gegen die Montanunion waren dreifach; davon sind zwei durch die Geschichte weitgehend überholt. Der erste Einwand war das vermutete besatzungsrechtliche Relikt, die Unterwerfung von wichtigen Teilen der deutschen Wirtschaft unter fremde Interessen ohne entsprechende Gegenseitigkeit. Ich glaube, das ist im wesentlichen überwunden, auch wenn sich gelegentlich die Ruhrwirtschaft wegen des Kohlenverkaufs oder wegen der Verbundwirtschaft, die es in Frankreich gibt und bei uns nicht, noch benachteiligt fühlt. Aber das ist im wesentlichen überwunden; hier haben die Vertragspartner im guten Geiste der Gemeinschaft diese Besorgnisse aus dem Weg räumen können.
    Der zweite war der allgemeine Einwand, der in unserem Volke sicher als Problem heute immer noch diskutiert wird: Wie weit steht die Einschmelzung des halben Deutschlands in westliche Organisationen den Chancen der Wiederherstellung des ganzen Deutschlands im Wege? Das ist ein wirkliches Problem, und es hat gar keinen Sinn, den Kopf davor zu verschließen. Ich bin der Meinung, daß wir hier sorgsam trennen müssen zwischen dem Gebiet, wo ich aus Gründen, die ich nachher noch darlegen werde, keinen anderen Weg als die Einschmelzung sehe, nämlich dem militärischen, wo man aber wahrscheinlich für die Zukunft im Zusammenhang — und wohl nur dann — mit Fortschritten auf dem Gebiete der Abrüstung und der kontrollierten Begrenzung der Rüstung überhaupt wieder an die deutsche Frage heran kann und wo ein einigermaßen verständliches legitimes Interesse der Sowjetunion erkennbar ist, und allen anderen Gebieten — Wirtschaft, Politik, soziales und kulturelles Leben —, wo ich kein legitimes Interesse eines fremden Staates sehe, sich in die Gesundung der europäischen Völker einzumischen; hier sehe ich allenfalls ein kommunistisches Parteiinteresse daran, daß durch Unordnung, Elend



    Erler
    und Unzufriedenheit der Weizen der kommunistischen Propaganda blüht.

    (Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: sehr richtig!)

    Da ich aber in der Außenpolitik sagen muß: ich bin bereit, mich über die Interessen fremder Staaten zu unterhalten, ich bin nicht bereit, die Interessen der kommunistischen Partei zu fördern, verbitte ich mir jede Intervention einer anderen Macht in diesen inneren Vorgang der Gesundung der europäischen Staaten von der Kleinstaaterei zu einer modernen Gemeinschaft.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FPD.)

    Das ist das eine.
    Und nun, meine Damen und Herren, gibt es ein einfaches Rechenexempel. Wer da sagt, man müsse mit der europäischen Einigung warten, bis die deutsche Einheit erreicht sei, der zahlt der Sowjetunion eine Prämie für die Verhinderung der deutschen Einheit, denn damit hätte sie gleichzeitig auch noch die europäische Einheit torpediert. Dann kommt beides überhaupt nicht zustande.

    (Abg. Rasner: Späte Erkenntnis! — Abg. Majonica: Wie gut, daß Sie kein Prämienzahler mehr sind, Herr Erler! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich habe zu diesem Thema schon einmal gesprochen und habe Ihnen das gleiche schon einmal gesagt; ich rufe es nur noch einmal in Erinnerung.
    1) Dieser zweite Einwand hinsichtlich der Montanunion, der verständlich ist und der auf dem militärischen Gebiete noch eher verständlich sein müßte
    — auf das militärische Gebiete komme ich noch —, ist durch den Lauf der Geschichte überholt.
    Bliebe ein dritter! Es war lebensgefährlich, auf die Dauer aus den lebendigen Volkswirtschaften zwei Scheiben herauszuschneiden — Kohle und Stahl — und diese sozusagen zu einem autonomen Kuchen zu verbacken, weil das nicht funktionieren kann, wenn der Rest der Volkswirtschaft draußen ist, da man Wirtschaftskraft nicht so aufspalten kann. Aus dem Grunde mußte man den Sprung nach vorne wagen und die gesamten Wirtschaften integrieren. Aus diesem Grunde haben wir Sozialdemokraten den Gemeinsamen Markt nicht nur gefordert, sondern mit beschlossen, im Gegensatz zu den Freien Demokraten, die sich seinerzeit diesem Vertragswerk versagt haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und nun zu den offenbar bei Ihnen immer noch schwer verständlichen Diskussionen um die militärischen Probleme! Dazu muß man sich einfach die Machtverteilung in der Welt ansehen, heute und in den 50er Jahren. Damals verfügten die Vereinigten Staaten von Amerika über ein beinahe vollständiges Monopol an Atomwaffen und als einzige über eine strategische Luftwaffe, mit deren Hilfe sie ihre Atomwaffen im Falle eines großen Konflikts nahezu an jeden Punkt der Sowjetunion hätten bringen können, ohne daheim auch nur zu verdunkeln zu brauchen. In jener Lage war die Frage offen — Sie
    haben sie mit Nein beantwortet, wir mit Ja —, ob man zur Überwindung der Sorge der Sowjetunion vor einer Kombination dieser amerikanischen atomaren und Fernwaffenüberlegenheit mit dem amerikanischen Rüstungspotential unter amerikanischer Führung, der deutschen militärischen Tüchtigkeit und Erfahrung — wo ja die Sowjetunion im zweiten Weltkrieg immerhin einiges erlebt hatte — und den ungelösten Problemen im Herzen Europas als Gegenleistung für eine andere Sicherheitslösung im Herzen Europas, die nicht die Waffenlosigkeit gewesen wäre, sondern die ein europäisches Sicherheitssystem mit der Höhe nach vertraglich begrenzten Beiträgen einer Reihe von Partnerstaaten außer den Deutschen gewesen wäre, die Sowjetunion zu einer Lösung der Deutschlandfrage im Sinne der Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit hätte bewegen können.
    Es ist heute nahezu müßig, darüber zu streiten. Der Versuch ist nicht unternommen worden. Aber heute sieht die Weltlage anders aus. Diese Sorge, meine Damen und Herren, ist doch weitgehend nur noch ein sowjetischer Propagandaschlager. Wir haben es doch bis vor Kuba erlebt — erst seit Kuba ist das wieder anders —, daß die sowjetische Politik sich beinahe in einer Euphorie der Macht bewegt hat. Seit 1958 weiß man von sowjetischer Raketentechnik. Der Sputnik war der erste Beweis für die ganze Welt. Seitdem hallen die sowjetischen Atomexplosionen beinahe ununterbrochen über den Erdball, seitdem weiß man, daß die Sowjetunion nicht allein empfindlich ist, sondern sowohl die Vereinigten Staaten als auch Europa.
    Sehen Sie, diese Veränderung der weltpolitischen Machtverhältnisse hat auch zu einer brutalen Zuspitzung der sowjetischen Deutschlandpolitik geführt. Denn seitdem liegt das Berlin-Ultimatum auf dem Tisch. Seitdem handelt es sich nicht mehr um Angebote, einen Vertrag — so schlecht er in der Vorlage auch gewesen sein mag — mit einem Deutschland abzuschließen, sondern darum, unserem Volke ein Spaltungsdiktat aufzuerlegen. Seitdem handelt es sich um den Versuch, das freie Berlin aus den freiheitlichen Lebensformen des Westens herauszubrechen. Diese Veränderung der Weltpolitik muß man einfach sehen.
    Ich bedauere Sie. Ich kann nicht mit Stolz sagen: Gott sei Dank, daß es so gekommen ist. Aber bitte, ist das ein Grund, daß man sich heute über jene erhebt, die damals versucht haben, nach einem anderen im Interesse unseres Volkes liegenden Wege zu ringen? Sie waren anderer Meinung. Laßt die beiden Meinungen gegeneinander stehen! Aber die Veränderung der weltpolitischen Machtverhältnisse kann nicht dahin mißdeutet werden, daß wir politische Entscheidungen des Jahres 1952 heute für richtig halten, die damals falsch waren, deren Konsequenzen aber heute von uns allen miterlebt und mitgetragen werden müssen, weil niemand aus der Geschichte dieses Volkes aussteigen kann,

    (Beifall bei der SPD)

    weil bei der Entwicklung der Machtverhältnisse
    unser Volk auf Gedeih und Verderb auf die engste



    Erler
    Solidarität mit der westlichen Führungsmacht angewiesen ist und — was ich seit 1955 in diesem Saal gesagt habe — weil selbstverständlich auch eine Oppositionspartei Verträge einhalten muß, die von der Mehrheitspartei seinerzeit gegen ihren Willen abgeschlossen worden sind. Ich wollte Ihnen das hier ruhig noch einmal im Zusammenhang sagen.
    Und nun ganz zum Schluß: ich sprach von der Solidarität mit den Vereinigten Staaten. Vorhin klang in diese Debatte etwas die Aussprache über die Grundprobleme der Verteidigung hinein. Ich freue mich darüber, daß der Verteidigungsausschuß demnächst Gelegenheit haben wird, mit dem Herrn Verteidigungsminister, wenn er sich einen allgemeinen Einblick verschafft hat, über diese Dinge ausführlicher zu sprechen. Ich möchte hier nur meinen, daß es auch im Interesse des deutschen Volkes und nicht nur der westlichen Führungsmacht liegt, wenn die Glaubwürdigkeit des Verteidigungswillens überhaupt, die manchmal erschüttert war, wiederhergestellt wird. Dazu gehört, daß der Westen aus der schrecklichen Alternative herausmuß, für den Fall eines jeden Konflikts nur wählen zu können zwischen einer atomaren Auseinandersetzung, die mit dem eigenen Selbstmord identisch ist, und der Kapitulation. Das ist eine Verführung des Gegners, auf die Kapitulation zu spekulieren. Deshalb muß man über eine breitere Skala von Abwehrmöglichkeiten verfügen, in die immer noch eingebaut ist — jawohl — als durchaus der Abschreckung dienende Möglichkeit, daß in der heutigen Welt jeder Konflikt die Gefahr der Entartung bis in die letzte atomare Auseinandersetzung hinein in sich trägt. Die Ungewißheit des Risikos gehört zur Abschrekkung, aber das Risiko ist nur dann ungewiß, wenn man zwischen mehreren Möglichkeiten wählen kann.
    Dazu muß man eben mehrere haben. Und das ist nun heute die Sorge in der westlichen Allianz: Wie sollen diese Möglichkeiten beschaffen sein? Nachdem der Westen insgesamt über ein atomares Potential verfügt, das ausreicht, um die Menschheit ein paarmal auszurotten, fehlt es ganz entscheidend auf dem Gebiet der konventionellen Kampfkraft. Wir können uns auch hier nicht übernehmen. Wir wissen um unsere Grenzen, um die Menschen, um die finanziellen, um die wirtschaftlichen Grenzen. In der Regierungserklärung heißt es daher mit Recht, daß es auf die Verstärkung der Qualität und der Kampfkraft ankommt, und ich freue mich darüber, daß endlich entgegen dem Text einer vom früheren Verteidigungsminister dem Hause leider schriftlich erteilten Antwort auf eine Anfrage die territoriale Verteidigung einen gebührenden Rang in der Verteidigungsplanung bekommt. Hier sind also Aufgaben zu erfüllen, bei denen auch wir, ohne daß wir uns Unmögliches zumuten, die Kampfkraft unserer Bundeswehr im Rahmen des westlichen Bündnisses stärken können.
    Das zweite ist: Das Bündnis muß Sicherheit für alle schaffen. Und da gab es natürlich die Sorge, ob der stärkste Partner in der Stunde der Gefahr auf Leben und Tod seine Mittel auch für den schwächeren einsetzt. Ich habe nie verstanden, warum ausgerechnet ein Land, das zweimal durch eben jenen stärksten Partner von einem gefährlichen Invasoren erlöst worden ist, ein übergroßes Maß an Mißtrauen gegenüber der westlichen Führungsmacht entwickelt. Offenbar liegen diese geschichtlichen Erfahrungen schon zu lange zurück.
    Ich finde, daß zur Glaubwürdigkeit des Verteidigungswillens der Allianz gegenüber der Sowjetunion auch das Vertrauen in die Entschlossenheit der westlichen Führungsmacht gehört, ohne die Europa heute in diesen globalen Machtverhältnissen sich gar nicht schützen kann.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wer an diesem Vertrauen nagt, der zerstört praktisch die kriegsverhütende Wirkung des Bündnisses und ermuntert andere zu Abenteuern. Das löst noch nicht das Problem, daß man zur Bewahrung dieses Vertrauens im Mechanismus des Bündnisses seine Stimme erheben muß für eine Verteidigungsplanung, die so angelegt ist, daß jeder mit gutem Gewissen weiß: Jawohl, dies deckt die Interessen aller Beteiligten, auch unsere. Wenn hier jene militärische, nach meiner Meinung gar nicht notwendige, aber für diesen politischen Zweck vielleicht sinnvolle Anregung von Nassau diesem Ziele dienen kann, dann liegt es durchaus in unserem Interesse, daß wir die Hand, die uns da hingestreckt worden ist — um ernsthaft darüber zu reden, wie dieses Problem gemeistert werden kann —, ergreifen und mit den anderen Beteiligten darüber sprechen, wie man diesem Problem beikommen kann.
    Was ich aber für lebensgefährlich und geradezu für beleidigend halte, das ist jene unsinnige Diskussion, daß die Führungsmacht angeblich die Europäer in den Rang eines Fußvolks herabdrücken wolle, um nur ja sich selber für unbegrenzte Zeit im Besitz der atomaren Verfügungsgewalt zu wissen. Die Vereinigten Staaten wissen einmal, was der Verlust Euorpas auch für sie bedeuten würde. Und zum zweiten — das sei hier nicht verschwiegen —: das mit dem Fußvolk sieht doch wohl so aus, daß die Amerikaner mit 400 000 Soldaten auf dem europäischen Kontinent einen größeren Beitrag zu dem Fußvolk leisten als die meisten europäischen Staaten.
    Damit, meine Damen und Herren, bin ich am Ende. Auf die Bemerkungen von Herrn von Brentano wegen der Zusammenarbeit der Fraktionen beim Schutz von Staatsgeheimnissen brauche ich nicht ausführlich zurückzukommen. Dazu liegen Vorschläge seit langem vor; wir sollten uns ernsthaft darüber unterhalten. Nur hat dies nichts ,mit dem Fallex-Artikel zu tun; das wissen Sie auch, und um den geht es ja heute,

    (Abg. Dr. von Brentano: Nicht allein!)

    um den ging es bei den Untersuchungen. Dazu möchte ich sagen: was wir hier erörtert haben und woran eine Bundesregierung zerbrochen ist, war doch nicht der Inhalt des Artikels einer Zeitschrift; so mächtig ist die auch nicht,

    (Beifall bei der SPD)




    Erler
    sondern es war das, was hinterher passierte und was in der Öffentlichkeit den Eindruck hervorrief, daß man hier nicht nach einwandfrei rechtsstaatlichen Prinzipien vorgegangen ist. Daß das Militärressort Zuständigkeiten der Rechtspflege an sich gezogen hat, war das Beunruhigende;

    (Beifall bei der SPD)

    und zwar nicht einmal deswegen, weil die Soldaten das wollten, sondern weil der zivile Verantwortliche des Militärressorts dies zur Bewahrung seiner politischen Machtposition tat. Das hat Beunruhigung verursacht. Dieser Punkt ist durch die Aktionen dieses Hauses, durch die Auseinandersetzungen auch im Regierungslager und durch den Sturm in der öffentlichen Meinung in erfreulicher Weise klargestellt worden. So etwas wollen wir alle in unserem Lande nicht noch einmal erleben. Ich bin überzeugt, daß z. B. der neue Verteidigungsminister — soviel wir vielleicht auch in anderen Fragen gelegentlich werden streiten müssen; ich weiß es ja noch nicht — sich in dieser Frage — davon zeugt die Regierungspraxis in seinem Lande — anders verhalten wird. Das wollte ich hier doch noch einmal ausdrücklich gesagt haben.
    Was uns weiterhin erregt hat, war die Tatsache, daß das Haus es ertragen mußte, von einem verantwortlichen Minister so hinters Licht geführt zu werden, wie wir es jetzt dokumentarisch vor uns sehen. Auch das war nicht gut; auch das darf sich nicht wiederholen. Vor diesem Hause müssen alle die Wahrheit sagen, auch und in erster Linie die Bundesregierung.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Im Hintergrund steht das Verhältnis von Regierung und Parlament zu Presse und öffentlicher Meinung. Die sorgsame Abgrenzung — bei der Strafrechtsreform werden wir noch darüber reden müssen — zwischen dem legitimen Bedürfnis nach Geheimnisschutz des Staates und dem legitimen Grundrecht der Informations- und Meinungsfreiheit auf der anderen Seite ist eine schwierige Aufgabe; wir müssen uns an sie heranmachen. Nur so erreichen wir, daß unsere Staatsbürger, wenn sie an die Wahlurne gehen, auch einwandfrei informiert sind und eine Entscheidung fällen können; denn sie sind der Souverän, nicht wir. Wir handeln in ihrem Auftrag, meine Damen und Herren. Auch zwischen den Wahlen müssen die Staatsbürger sich regen können. Ohne Demokraten gibt es keine Demokratie. Das ist ein schwieriges Erziehungswerk, zu dem dieses Haus sicher schon einen Beitrag geleistet hat, aber auch weiterhin leisten muß.

    (Vorsitz: Präsident D. Dr. Gerstenmaier.)

    Denn in Stunden der Gefahr ist kein Verlaß auf noch so gut geölte Maschinerien; da kommt es auf den Willen und die Bereitschaft der Bürger dieses Landes an, für ihre freiheitlich rechtsstaatliche Grundordnung auch unter Risiken einzustehen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)