Diese Modifikation des Antrags auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage wird zur Kenntnis genommen. Ich lasse über
den Antrag in dieser Form abstimmen. Ich bitte um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 9, — 10, — 11, — 12, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich rufe lauf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Ernst Meyer.
— Hier steht „Ernst"!
Meyer (SPD) : Es ist sicher symbolisch, Herr Präsident, denn es handelt sich um eine ernste Angelegenheit,
um eine ernste Angelegenheit deshalb, weil rund 7 Millionen Menschen von diesem Gesetz betroffen sind.
Die Sicherung des Lebensabends wird immer stärker zu einer gesellschaftspolitischen Frage und zu einer Frage der politischen Meinungsbildung. Das heißt, was in diesem Hohen Hause in der Frage der Rentenanpassungen beschlossen wird, wird gewissermaßen in allen Familien unseres Volkes besprochen. Eine ganze Reihe von Fragen sind auch diesmal wieder, beim Fünften Rentenanpassungsgesetz, offen geblieben, insbesondere die Frage der unterschiedlichen Behandlung der Altrentner und der Neurentner. Die Altrenter sind immer ein Jahr hinter der Entwicklung zurück. 1957 haben wir in diesem Hause und hat auch die Bundesregierung durch die sogenannte „Rentenfibel" den Rentnern gewissermaßen das heilige Versprechen gegeben, daß sie nicht wie bis dahin weiter hinter der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben würden. Sie sind aber immer um ein Jahr zurückgeblieben, und auch diesmal, beim Fünften Rentenanpassungsgesetz, fand sich im Sozialpolitischen Ausschuß leider keine Mehrheit dafür, diesen bedeutsamen Unterschied in der Behandlung der Altrentner und der Neurentner endlich aufzuheben.
Wir von unserer Seite haben des öfteren Versuche in dieser Richtung unternommen. 1958 haben wir eine Sonderzulage beantragt, worüber in diesem Hause eine große Debatte stattgefunden hat. Wir haben damals, als wir diesen Unterschied beseitigen wollten, nicht sehr gute Worte gehört. Beim Dritten Rentenanpassungsgesetz haben wir versucht, einen Ausgleich dadurch herbeizuführen, daß eine viermalige Zahlung im Jahr erfolgt. Im letzten Jahr haben wir versucht, eine Anhebung unter Berücksichtigung wenigstens der Hälfte des zurückliegenden Jahres vorzunehmen. Wir haben unseren Vorschlag, den wir beim Vierten Rentenanpassungsgesetz vorgebracht haben, so formuliert, daß der Ausgleich in Form einer Sonderzulage erfolgen sollte;
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 52. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1962 2311
Meyer
damals spielte der Umstand, daß man kurz vor dem Weihnachtsfest stand, mit eine Rolle. Diese Sonderzulage hätte den Rentnern nicht nur die Hälfte der ansonsten verlorenen Anpassung gebracht, sondern sie hätte darüber hinaus für drei Millionen Klein-und Kleinstrentner eine sofortige Zulage von ungefähr 80 DM im Jahr bedeutet, die dann nach unserem Vorschlag aufgerechnet werden sollte.
In diesem Jahr war die Lage bei den Beratungen im Ausschuß folgendermaßen. Der Sprecher der CDU erklärte in einer kurzen Generalaussprache von vornherein, man werde sich in diesem Jahre an den Buchstaben der Regierungsvorlage halten und sei nicht bereit, irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Wir waren ja gerade Zeuge eines Vorganges: vorübergehend war gewissermaßen der Flügelschlag einer sozialen Koalition im Ausschuß zu spüren. Man war nämlich bereit, wenigstens die Anrechnungsbestimmungen in diesem Jahr nicht in Anwendung zu bringen, und CDU-Kollegen stimmten mit uns. Sie haben das durch Ihre Entscheidung im Augenblick wieder rückgängig gemacht.
Von unserer Seite wurde dann noch besonders die konkrete Frage an die Regierungsparteien gerichtet, ob sie gewillt seien, mit uns gemeinsam nach einem Weg zu suchen, um endlich diese Schere zwischen den Neu- und Altrentnern zu schließen. Wir wissen, daß die Neurenten im nächsten Jahr bereits um 8,2 % über den jetzigen Altrenten liegen werden. Auf diese von uns konkret gestellte Frage wurde erklärt, man halte sich an die soeben abgegebene Erklärung, daß man nicht bereit sei, nach einem gemeinsamen Weg zu suchen, um hier etwas Entscheidendes zu tun. Wir haben aus diesem Grunde unsere vorbereiteten Anträge zurückgehalten und hielten es für müßig, sie überhaupt einzubringen.
Von keiner Seite ist bisher der Unterschied zwischen den Alt- und Neurentnern bestritten worden. Es ist daher bei der Betrachtung dieses Problems immer wieder die Frage aufzuwerfen, zu welchem Zeitpunkt denn nun dieser Ausgleich einmal herbeigeführt werden soll. Wir hören Reden im Rundfunk, wir haben sogar den Herrn Bundesarbeitsminister am Bildschirm erlebt. Man erkennt mit großem Bedauern diesen Zustand an. Aber immer, wenn es darum geht, konkret an die Lösung dieses Problems heranzugehen, gibt es keine Möglichkeit einer Lösung.
Die Finanzlage, zu der ich kurz noch einiges sagen möchte, ist günstig. In den letzten Wochen gab es im Zusammenhang mit dem Fünften Rentenanpassungsgesetz sehr viele Zeitungsartikel und Prognosen über die allgemeine Lage der Rentenversicherung, über die Renten usw. usw. Zum großen Teil wurden pessimistische Prognosen gestellt. Wenn also jetzt in einem günstigen finanzpolitischen Augenblick die Mehrheit dieses Hauses nicht bereit ist, endlich den Unterschied zwischen den Alt- und Neurentnern aufzuheben, dann möchten wir uns gestatten, Ihnen konkret die Frage vorzulegen: wann ist dann nach Ihrer Auffassung der richtige Zeitpunkt, dieses den Rentnern im Jahre 1957 gegebene Versprechen, daß sie nicht hinter der Entwicklung
zurückbleiben sollen, einzulösen? Das ist die eine offengebliebene Frage beim Fünften Rentenanpassungsgesetz.
In diesem Jahre ist der Sozialbericht des Jahres 1962 ausgeklammert worden, der in jedem Jahre bei den Beratungen eine gewisse Rolle gespielt hat. In diesem Jahre kamen noch die „Versicherungstechnischen Bilanzen" per 1. Januar 1959 hinzu. Der Sozialpolitische Ausschuß beschloß, diese beiden für die Entwicklung der Sozialversicherung sehr wichtigen Dokumente zurückzustellen, später zu beraten, da wir ja in der Fülle der Arbeit stecken und uns gemeinsam alle Mühe geben wollen, möglichst schnell das umfassende Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz zu verabschieden. Also diese beiden Dokumente sind ausgeklammert.
Aber in Anbetracht der vielen Diskussionen und auch eines gewissen Pessimismus, der Unruhe nicht nur in die Kreise der Rentner, sondern insbesondere auch in die Kreise der Sozialversicherten, also der 22,5 Millionen Menschen getragen hat, die eine vernünftige Sicherung ihres Lebensabends erwarten, gestatte ich mir, einen kurzen Abschnitt aus der Zeitschrift „Die Sozialversicherung", dem gewissermaßen halboffiziellen Organ des Verbandes der Rentenversicherungen, zu verlesen. Dort heißt es:
Auf der anderen Seite hat sich im Jahre 1961 das Einnahme- und Ausgabevolumen der Rentenversicherungen beträchtlich vergrößert, wobei die Einnahmesteigerung das Ausgabenwachstum erneut übertraf. Die Zunahme der Rentenausgaben war vor allem durch das Wachsen der Zahl der Renten und die Erhöhung der Durchschnittsrenten infolge der Rentenanpassungen bedingt. Stärker noch als 1960 stiegen im Vorjahr die Beitragseinnahmen, und zwar in der Rentenversicherung der Arbeiter um 12 v. H., in der Angestelltenversicherung um 14 v. H. Der Unterschiedsbetrag zwischen Einnahmen und Ausgaben beider Versicherungen wuchs von 1,4 Milliarden 1960 auf 1,8 Milliarden DM 1961. Das Vermögen beider Rentenversicherungen erreichte Ende 1961 den Betrag von 18 Milliarden DM.
— Es kommen also jetzt noch die 1,8 Milliarden DM hinzu. —
Die Prognose hinsichtlich des gesetzlich vorgesehenen Rücklage-Solls am Ende des I. Dekkungsabschnitts hat sich gegenüber den früheren Sozialberichten erneut verbessert: Bei gegenwartsnahen Annahmen über die künftige Finanzentwicklung werden in beiden Rentenversicherungen, wie der Bericht hervorhebt, die fünfte und die sechste Rentenanpassung durchgeführt werden können, ohne daß die Rücklage unterschritten werden müßte.
Hier haben wir also das Zahlenmaterial, welches Zeigt, daß in irgendeiner Form der Ausgleich zwischen Alt- und Neurenten gefunden werden kann. Wir meinen, Sie sollten den Menschen draußen ehrlich sagen, daß Sie nicht gewillt sind, überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt — denn der jetzige Zeitpunkt ist, wie offizielle Verlautbarungen besagen,
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günstig — diesen Ausgleich zwischen den Alt- und Neurenten herbeizuführen.
Man kann das Problem nicht voll ausschöpfen, wenn man nicht gleichzeitig etwas über die Höhe der Renten sagt. Denn es gehört zu einem abschließenden Bericht, sich einen Überblick zu verschaffen, wohin die Entwicklung geht. Stimmen denn die pessimistischen Zahlen, die da immer wieder gegeben werden? Wie aus Veröffentlichungen der Rentenversicherungsträger hervorgeht, erhalten z. B. fast 20 % der männlichen und 78,8 % der weiblichen Arbeiter-Neurentner — also der Zugänge des Jahres 1959 — eine Rente von weniger als 100 DM im Monat.
— Das sind Zahlen des Verbandes der Rentenversicherungsträger. Das ist eine Auswirkung der neuen Rentenberechnungsart. Es handelt sich also nicht um die phantastisch hohen Renten, von denen wir in der Presse immer in pessimistischen Berichten lesen, in denen die Finanzgrundlage angegriffen wird. Mehr als 200 DM erhalten nur rund 2 % der Arbeitnehmer, die im Jahre 1959 zum erstenmal Rente bekamen.
Eindrucksvolle Zahlen vermittelte auch der Geschäftsbericht der Landesversicherungsanstalt Berlin, demzufolge 1960 in Berlin 8265 Rentner und 87 856 Rentnerinnen Beträge bis zu einer Höhe von 109 DM erhielten. Renten unter 150 DM bekamen sage und schreibe 16 792 Rentner und 120 278 Rentnerinnen der LVA. Ich will Sie mit diesem Zahlenmaterial, das ja nicht so schnell zu erfassen ist, nicht weiter langweilen, sondern will nur auf die Zahlen der Landesversicherungsanstalt Hannover hinweisen und auch auf die sehr interessanten Bemerkungen, die der hessische Arbeitsminister Hemsath als Berichterstatter im Bundesrat über das ganze Problem der Entwicklung der Renten gemacht hat. Ich möchte feststellen — ich könnte idas aus den weiteren Zahlen exakt nachweisen —, daß alle Zugangsrenten seit 1959 eine fallende Tendenz haben und daß auch die in diesem Gesetz in einer neuen Höhe festgelegten Höchstrenten nur in sehr seltenen Fällen erreicht werden.
Ich glaube, die ganze Frage müßte aber noch durchgesprochen werden, wenn wir uns mit dem Sozialbericht und mit der „Versicherungstechnischen Bilanz" zu beschäftigen haben. Ich könnte Ihnen auch noch nachweisen, daß nicht, wie es ursprünglich in den Absichten und Vorschlägen des Sozialkabinetts enthalten war, 60% der Rente eines Durchschnittslebens eines arbeitenden Menschen erreicht werden, sondern daß dieser Durchschnitt von Jahr zu Jahr sinkt. Das liegt einfach in der Rentenformel und in der laufenden Entwertung der Beiträge durch das Ansteigen der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage begründet. Heute sind wir bereits, wenn ich einen Rentner mit 100% Durchschnitt seiner Rentenbemessungsgrundlage als Beispiel nehme — das ist auf großen Gewerkschaftstagungen exakt bewiesen —, bei 45 % angelangt.
Das ist eine Erscheinung, die in keiner Form dem
draußen hörbaren Pessimismus entspricht. Sie muß
vielmehr zu einer Überprüfung der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage, der Rentenformel und anderer Dinge führen.
Wie in jedem Jahre — eigentlich war es nicht anders zu erwarten — haben Sie auch in diesem Jahre wieder den Sonderzuschuß abgelehnt. Sie haben aber nicht die von uns gewünschte Beweisführung antreten können, daß es sich bei diesem Sonderzuschuß um einen nicht lohnbezogenen Teil handelt, sondern Sie sind einfach mit allgemeinen Bemerkungen dieser Frage ausgewichen. Sie nehmen also lieber große Verwaltungsarbeit in Kauf, anstatt eine Rentenerhöhung von 1 DM oder 1,30 DM im Monat 2,5 Millionen Kleinrentnern zuzugestehen.
Die Frage der Anrechnungsbestimmungen ist nach unserer Auffassung noch nicht endgültig entschieden. Wir werden uns in der dritten Lesung gestatten, dem Hohen Hause einen neuen Antrag vorzulegen, und wir hoffen, daß wenigstens diese abgewandelte Form auf eine größere Bereitschaft stößt. Wir ersuchen jedenfalls recht herzlich darum.