Rede von
Walter
Behrendt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Abschluß der zweiten Lesung des Mindesturlaubsgesetzes möchte ich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu der nunmehr vorliegenden Fassung Stellung nehmen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legte dem Deutschen Bundestag in der 3. Legislaturperiode, und zwar am 16. März 1960, erstmalig den Entwurf eines Gesetzes über Mindesturlaub für Arbeitnehmer, Drucksache 1376, vor. Wegen der Nichtverabschiedung im 3. Deutschen Bundestag brachte sie am 24. Januar dieses Jahres erneut einen in einigen Punkten geänderten Gesetzentwurf auf Drucksache IV/142 ein. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat mit diesen Gesetzentwürfen die Initiative ergriffen, um zwei entscheidende Ziele zu verwirklichen: erstens einen Mindesturlaub von 18 Werktagen für alle Arbeitnehmer gesetzlich zu verankern und zweitens eine einheitliche Regelung der grundsätzlichen Bestimmungen des Urlaubsrecht auf Bundesebene zu schaffen.
Die CDU/CSU-Fraktion, die sich im 3. Bundestag zunächst gegen eine gesetzliche Regelung des Mindesturlaubs auf Bundesebene ausgesprochen hatte, schloß sich in diesem Bundestag durch die Einreichung eines eigenen Gesetzentwurfs der sozialdemokratischen Auffassung an.
Die beiden Entwürfe unterschieden sich in den grundsätzlichen Bestimmungen des Urlaubsrechts. In den meisten Fällen wurden — das sei zugegeben — im Ausschuß Kompromisse gefunden, die allerdings nach unserer Auffassung oftmals zu einer besseren Lösung hätten führen sollen.
Der entscheidende Unterschied bestand hinsichtlich der Mindesthöhe des Urlaubs. Ohne die Diskussion aus der zweiten Lesung wiederaufnehmen zu wollen, stellen wir fest: ein Mindesturlaubsgesetz, das auf dem sozialrechtlichen Schutzprinzip des Arbeitsrechts und dem Interesse der Allgemeinheit an der Gesunderhaltung der Arbeitnehmer beruht — und das Urlaubsrecht ist ja auch zu einem Gewohnheitsrecht geworden —, hat allen Arbeitnehmern einen Urlaub in der Mindesthöhe zu gewähren, damit die Erhaltung der Arbeitskraft angesichts des ständig steigenden Arbeitstempos gewährleistet ist. Das ist der entscheidende Punkt in diesem Mindesturlaubsgesetz. Wir bedauern sehr, daß die grundsätzlich sogar von allen anerkannte Notwendigkeit, einen Mindesturlaub von 18 Werktagen zu gewähren, heute noch keine Mehrheit gefunden hat, obwohl Sie sie im Prinzip bereits dadurch anerkannt
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haben, daß Sie für die 35jährigen einen Urlaub von 18 Werktagen gewähren wollen. Wir bedauern das um so mehr, als wir wissen, daß nicht wenige von Ihnen eine solche Regelung auch lieber sähen als die jetzt beschlossene Fassung. Es muß auch noch einmal wiederholt werden: die CDU/CSU hat sogar eine der beiden Aufstockungen auf den 15tägigen Urlaub wieder herausgestimmt und damit den eigenen Entwurf in der Frage der Mindestdauer des Urlaubs verschlechtert.
Zu der Frage der Mindestdauer des Urlaubs erkläre ich daher noch einmal mit allem Nachdruck für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion: wir sind, gestützt auf wissenschaftliche gutachtliche Äußerungen und auf Grund eigener gutachtlicher Erfahrung nach wie vor der Meinung, daß ein jährlicher Mindesturlaub von 18 Werktagen für alle Arbeitnehmer als Minimum dessen anzusehen ist, was unbedingt erforderlich ist. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bleibt daher die Durchsetzung von 18 Werktagen Urlaub ein Nahziel.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Problem Urlaubsverlängerung und Arbeitszeitverkürzung! In voller Übereinstimmung mit Professor Graf, dem leider viel zu früh verstorbenen anerkannten Arbeitsmediziner, meinen wir: Urlaubsdauer und Arbeitszeit sind getrennt voneinander zu betrachten. Das freie Wochenende dient dazu, annähernd die Leistungen der Arbeitskraft über die erhöhten körperlichen, aber vor allem nervlichen Belastungen unseres Arbeitstages hinweg aufrechtzuerhalten. Der Urlaub aber dient dazu, die Reste der Ermüdung infolge dieser Arbeitsbelastung voll zu beseitigen und durch einen lange genug währenden Urlaub die Erhaltung der Arbeitskraft und eine Verbesserung der Gesundheit im allgemeinen zu gewährleisten. So dienen Arbeitszeitverkürzung und Urlaubsverlängerung zwei notwendigen, aber verschiedenen Zwecken, die nebeneinander bestehen.
Ich möchte gleich hier ankündigen, daß wir auf Grund dieser Einstellung dem Entschließungsantrag der FDP, der nach der dritten Lesung zur Abstimmung kommt, nicht zustimmen können.
Nach diesen Bemerkungen zum entscheidenden Teil des Mindesturlaubsgesetzes nur noch kurz zu einigen Punkten des vorliegenden Gesetzentwurfs. Wir bedauern, daß die Ausschußmehrheit sich nicht dazu entschließen konnte, für Arbeitnehmer, die mit gefährlichen oder gesundheitsschädigenden Arbeiten beschäftigt sind, einen Zusatzurlaub gesetzlich zu verankern, wie es in § 3 unseres Gesetzentwurfs vorgeschlagen worden ist. Wir meinen jedoch, daß z. B. die Länderregelung für den Zusatzurlaub in Bayern dort, wo er durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen festgelegt ist, nicht berührt wird und der Zusatzurlaub nach wie vor zu gewähren ist, daß jedoch dort, wo solche Vereinbarungen nicht bestehen, der Zusatzurlaub wegfällt und dies zu schwierigen arbeitsrechtlichen Problemen führen wird.
§ 5, der den Teilurlaub behandelt, ist eine Ausnahmevorschrift. Grundsätzlich besteht immer der volle Urlaubsanspruch. Lediglich in drei im einzelnen aufgezählten Ausnahmefällen findet eine Zwölftelung des Urlaubs statt. Dieser Charakter der Vorschrift als Ausnahmebestimmung ergibt sich eindeutig aus der Systematik des Gesetzes, wenn er auch in der Formulierung etwas klarer — vielleicht durch die Einführung des Wortes „nur" — hätte zum Ausdruck kommen sollen.
Die Fassung des Buchstaben a in § 5 Abs. 1 ist nicht ganz glücklich. Es könnte der Eindruck entstehen, daß in jedem Kalenderjahr und damit in jedem Urlaubsjahr der volle Urlaubsanspruch erst nach Erfüllung einer Wartezeit erworben würde, so daß in der ersten Hälfte des Jahres nur ein Anspruch auf Teilurlaub bestünde. Es steht jedoch außer Zweifel, daß eine Wartezeit nur einmal — bei Beginn des Arbeitsverhältnisses — zu durchlaufen ist. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wort „erstmalig" bei der Regelung der Wartezeit in § 4. Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist daher klarzustellen, daß § 5 Abs. 1 Buchstabe a eine Zwölftelung des Urlaubs nur im Eintrittsjahr zuläßt.
Durch die Formulierung des § 5 Abs. 3 könnte der Eindruck entstehen, daß nur ein in der ersten Hälfte des Kalenderjahres zuviel gezahltes Urlaubsentgelt nicht zurückgefordert werden könnte. Nach anerkannten juristischen Auslegungsgrundsätzen ist es jedoch selbstverständlich, daß das gleiche auch für das Urlaubsentgelt gilt, das in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres zuviel gezahlt wird.
Im Schriftlichen Bericht des Ausschusses wird in der Frage der Festlegung des Urlaubszeitpunktes —§ 7 — etwas einseitig, wie wir meinen, das Direktionsrecht des Arbeitgebers herausgestellt, eine Auffassung, die keineswegs unbestritten ist. Der Ausschuß wollte sich in diesem Zusammenhang auch gar nicht in einer bestimmten Richtung festlegen, sondern vor allem erreichen, daß die Bestimmung des Urlaubszeitpunkts unter Berücksichtigung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam erfolgt, wie dies auch in der Formulierung des § 7 Abs. 1 klar zum Ausdruck gekommen ist.
In § 7 Abs. 4 Satz 2 ist, wie es in dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses heißt, „für eng umgrenzte Ausnahmefälle die Verwirkung des Abgeltungsanspruchs gesetzlich festgelegt". Im Grunde genommen entspricht diese Regelung bereits dem geltenden Recht, das die Geltendmachung des Anspruchs auf Urlaubsalbgeltung im Falle des Rechtsmißbrauchs versagt. Es handelt sich also um einen Anwendungsfall des in § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelten Grundsatzes von Treu und Glauben. Die Formulierung des § 7 Abs. 4 Satz 2 spricht jedoch nicht von einem Verstoß gegen Treu und Glauben, sondern von der Verletzung der Treuepflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Damit wird ein in der Rechtslehre zwar gebräuchlicher Begriff deutschsprachlicher Herkunft verwendet, der jedoch wegen seines mittelalterlich-mythischen Gehalts und seiner besonderen Ausprägung in der Zeit des Dritten Reiches umstritten ist und nach unserer Auffassung dem heutigen Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht mehr so gerecht wird, daß man ihn jetzt erstmals ausdrücklich in ein Gesetz aufnehmen sollte. Besser wäre es ohne Zweifel gewesen, von einem Verstoß gegen Treu
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und Glauben und einer groben Verletzung der Pflichten — statt „Treuepflichten" — aus dem Arbeitsverhältnis zu sprechen.
In § 10 erscheint uns die Vorschrift des Satzes 2 bedenklich, wonach eine Anrechnung von Kurzeiten auf den Urlaub möglich sein soll, wenn sie die übliche Gestaltung eines Erholungsurlaubs nicht erheblich beeinträchtigen. Die Kur- und Heilverfahren werden häufig in Jahreszeiten durchgeführt, in denen der Arbeitnehmer normalerweise keinen Urlaub nimmt. Auf jeden Fall muß es daher außer Zweifel stehen, daß ein Kur- oder Heilverfahren die „übliche Gestaltung eines Erholungsurlaubs" bereits dann „erheblich beeinträchtigt" und damit nicht auf den Urlaub anrechenbar ist, wenn es den Arbeitnehmer z. B. daran hindert, seinen Urlaub gemeinsam mit seiner Familie zu verbringen. Dies gilt vor allem für Familienväter, die auf einen gemeinsamen Urlaub während der Schulferien angewiesen sind.
Zu dieser Vorschrift ist weiter festzustellen, daß die im Anschluß an Kur- und Heilverfahren ärztlich verordneten Schonzeiten mit dem Kur- und Heilverfahren untrennbar verbunden sind und ihnen daher für die Frage der Anrechnung auf den Urlaub gleichstehen. Diese Auffassung ergibt sich für die Frage des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung während der Schonzeit eindeutig aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. Februar 1961. Ebenso stellte der Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vor dem Ausschuß in bezug ,auf die Schonzeiten fest, daß es darauf ankomme, db der Arzt sich entschließe, festzustellen, daß ,der betreffende Arbeitnehmer sich Schonmaßnahmen unterziehen müsse.
Bei der Berechnung des Urlaubsentgelts sind nach § 11 Verdienstkürzungen unter anderem von Arbeitsausfällen außer Betracht zu lassen. Hierunter sind selbstverständlich nicht nur betriebsbedingte Ausfälle zu verstehen, sondern auch solche durch Freistellung mit Zustimmung des Arbeitgebers. Hierzu rechnet z. B. die Teilnahme an Lehrgängen der Jugend- und Sportverbände, der Gewerkschaften und anderer öffentlicher und öffentlich-rechtlicher Einrichtungen.
In § 13 Abs. 1 Satz 1 ist bestimmt, daß durch Tarifverträge von allen Vorschriften des Gesetzes abgewichen werden kann außer den §§ 1, 2 und 3 Abs. 1. Um Mißdeutungen vorzubeugen, ist dazu klarzustellen — und das ist die einheitliche Auffassung des Ausschusses —, daß durch tarifliche Vereinbarungen selbstverständlich auch über den in § 3 festgelegten Mindesturlaub von 15 Werktagen hinausgegangen werden kann. Dies ergibt sich ja auch daraus, daß § 3 von einem Urlaub in Höhe von mindestens 15 Werktagen spricht.
§ 13 Abs. 1 Satz 2 ist überflüssig, da die arbeitsvertragliche Vereinbarung von tariflichen Regelungen bereits nach geltendem Recht möglich ist. Es ist bedauerlich, wenn der Gesetzgeber die Klarheit der Gesetze durch unnötige Regelungen gefährdet, und es ist weiter bedauerlich, daß Sie unserem Antrag auf Streichung nicht gefolgt sind.
Ich glaube, daß die Ablehnung unserer beiden Anträge zu § 15, den Berliner Arbeitnehmern einen 18tägigen Mindesturlaub entsprechend dem praktisch einstimmigen Beschluß des Berliner Abgeordnetenhauses zu gewähren und den Urlaub der jugendlichen Arbeitnehmer an der Saar von 18 bis 21 Jahren nicht von 18 Tagen auf 15 Tage herunterzusetzen, von der Bevölkerung allgemein, aber besonders in diesen Ländern nicht verstanden wird. Uns scheint, das war eine schlechte Entscheidung.
Nach diesen Ausführungen, die sowohl sachliche Feststellungen als auch kritische Bemerkungen enthielten, erkläre ich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, daß wir das Mindesturlaubsgesetz im ganzen bejahen. Durch unsere Initiative wird heute ein Mindesturlaubsgesetz verabschiedet, das über alle bisherigen Mindestregelungen der Ländergesetze hinsichtlich der Urlaubsdauer hinausgeht, wenn uns auch die Mindestdauer nicht hoch genug ist. Verbunden damit ist, wie ich eingangs erwähnte, eine einheitliche Regelung der grundsätzlichen Bestimmungen des Urlaubsrechts.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird auf Grund der Abstimmungsergebnisse der zweiten Lesung in der dritten Lesung keine weiteren Änderungsanträge stellen. Sie wird bei der Schlußabstimmung, falls es nicht von anderer Seite durch Änderungsanträge zu einer Veränderung der jetzt beschlossenen Fassung kommt, dem vorliegenden Entwurf, der durch unsere Initiative zustande kam, ihre Zustimmung geben.