Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, unseren Antrag zu § 15 Abs. 3 Ziffer 1 zu begründen. Nach unserem Antrag soll diese Ziffer lauten:
§ 4 Abs. i des Gesetzes über die Gewährung von Urlaub in Berlin vom 24. April 1952 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Urlaubsgesetzes vom (GVBl. S....);
ich möchte meinen, dieses Gesetz ist von gestern und wird wahrscheinlich heute im Gesetz- und Verordnungsblatt von Berlin veröffentlicht.
Dieser § 4 sieht materiell vor, daß der jährliche Mindesturlaub in Berlin 18 Werktage beträgt.
Bevor ich zur eigentlichen Begründung unseres Antrages komme, möchte ich hier erklären, daß ich es bedauere, wegen der so oft besprochenen und anerkannten Schwierigkeiten in Berlin einen besonderen Antrag für die Regelung des Mindesturlaubs in Berlin vorlegen zu müssen. Ich hätte gewünscht, daß Sie aus den Ausführungen meines Kollegen Hörmann die Schlußfolgerung gezogen und sich generell zu einem Mindesturlaub von 18 Tagen bekannt hätten. Dann hätten wir hier nicht über eine Sonderregelung für Berlin zu sprechen brauchen.
Nunmehr müssen wir diesen Antrag aber wegen der leider so oft strapazierten Sonderbelastungen Berlins stellen. Ich bin dabei gezwungen, auch zu sagen, es könnte der Eindruck entstehen, als poche Berlin auf diese Sondersituation, als sei Berlin nicht bundestreu, oder als wolle Berlin auf Grund dieser Situation von Gesetzen abweichen. Meine Damen und Herren, Sie wissen sicher, daß wir in Berlin das größte Interesse daran haben, die Gesetzgebung des Bundes so weit wie möglich zu übernehmen, daß uns im Grunde gar nichts daran lingt, davon abzuweichen, wenn nicht zwingende Notwendigkeiten vorliegen. Diese scheinen mir hier vorzuliegen. Ich bedauere darum, daß rein optisch der Eindruck entstehen könnte, als wenn unsere Bundestreue in bezug auf Gesetzgebung und natürlich auch in politischer Hinsicht irgendwie ins Wanken gekommen wäre. Ich betone ausdrücklich, daß daran nichts ist, sondern daß wir gern und immer die bundesgesetzliche Regelung übernehmen — aus diesen politischen Gründen — und daß hier aber, wo zwingende Notwendigkeiten sind, leider ein entsprechender Antrag gestellt werden mußte.
Nachdem Sie sich für 15 Tage Mindesturlaub, zumindest für die Altersklassen 18 bis 35 Jahre, entschieden haben, möchte ich sagen, daß die Regelung mit 18 Tagen nicht nur aus Gründen der Sozialpolitik und nicht nur aus arbeitsrechtlichen Gründen, sondern auch aus gesundheitspolitischen Gründen — wie hier von einem unserer Sprecher erklärt wurde — beantragt wurde; denn die gesundheitspolitischen Gründe hängen wieder mit wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Gründen zusammen. Wirtschaftsfaktoren sind nicht nur Kapital, Produktionsmittel, Absatz und Aufträge und ähnliche, sondern auch die produzierende Kraft, also der Mensch in seinem Arbeitsprozeß.
— Dann will ich es Ihnen jetzt sagen, wenn Sie es noch nie gehört haben. Ich will es sogar noch unterstreichen, weil der produzierende Mensch ein Faktor für die Wirtschaft ist und die Wirtschaft ein Faktor für die Lebensfähigkeit Berlins. In diesem Zusammenhang bitte ich das einmal sehen zu wollen. Deshalb ist die Erhaltung der Arbeitskraft überall, besonders aber in Berlin wesentlich, weil über das Normalmaß des Kräfteverschleißes in einer modernen Produktion hinaus durch die zusätzliche Belastung der gesamten Bevölkerung in Berlin eine Belastung entsteht, die man beachten muß.
Ich will das Thema dieser Belastung gar nicht ausweiten, und zwar der seelischen und der Ner-
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venbelastung, weil es eigentlich bekannt ist. Die Wichtigkeit dieser Frage aber zwingt mich, trotzdem einige Worte dazu zu sagen, und ich bitte darum um Verständnis. Seit nunmehr 17 Jahren lebt die Berliner Bevölkerung in einer politischen Situation, die an den Menschen stärkere Anforderungen stellt, als es glücklicherweise im Bundesgebiet der Fall ist. Ich erinnere nur an die Blockade, an die Spaltung Berlins, an den 13. Juni 1953 und dann an die Höhepunkte seit 1958, seit der Freistadt-Drohung Chruschtschows, und dann an den 13. August 1961, die Mauer. Meine Damen und Herren, Sie hatten alle Gelegenheit, in Berlin zu sein. Sie waren damals alle einstimmig der Meinung, nachdem Sie sich persönlich überzeugt haben von den Auswirkungen dieser Trennungslinie der Mauer in Berlin, daß sie Auswirkungen auf die Familie, auf den Menschen hat. Sie selbst haben Rückschlüsse draußen auf Ihr eigenes Leben gezogen. Für Sie ist es kaum vorstellbar, daß man den nächsten Menschen nicht sehen kann, nicht besuchen kann, daß man, in absoluter Nähe lebend, trotzdem getrennt ist. Diese Verhältnisse sind eine Belastung, und sie wirken sich im Leben eines jeden Menschen, auch der Berliner Bevölkerung, aus. Jeder, der dort lebt, ist unter diesem Druck.
Und noch etwas anderes! Die Einengung der Bewegungsfreiheit ist ebenfalls dadurch gegeben, daß die Berliner von den nächsten Erholungsgebieten abgeschnitten sind, die Sie von früher sicher alle kennen, die Sie allerdings noch aufsuchen können, während der Berliner sie nicht mehr aufsuchen kann. Ob Sie die Bedingungen erfüllen wollen, die Ihnen die Ostzone stellt, ist eine andere Sache. Sie können es, Sie haben die Möglichkeit, aber der Berliner kann nicht in die Mark Brandenburg, kann nicht nach Mecklenburg, kann nicht in die Sächsische Schweiz, kann nicht an die Ostsee. Das sind die natürlichen Erholungsgebiete der Berliner. Sie liegen 60 bis 100 km vor den Toren Berlins. Sie waren sonst die Ausweichstellen für die Erholung des Menschen. Jetzt sind sie es nicht mehr. Die Berliner sind gebunden, sie müssen jetzt neue Erholungsgebiete suchen. Dazu müssen sie Strecken von 200 km über Helmstedt zum Harz bewältigen, über 200 km über Lauenburg zur Lüneburger Heide oder zur Holsteinischen Schweiz und über 300 km nach Hof, wenn sie ins Fichtelgebirge kommen wollen.
Der Einwand, den man ab und zu hört, daß da nun auch der Münchner nicht besser dran sei, wenn er zur Ostsee oder zur Nordsee fahren wolle — oder umgekehrt —, zieht doch wohl nicht. Denn nach Überwindung dieser 200 bis 300 km beginnt praktisch erst die Anfahrt zum Urlaubsgebiet. In der Bundesrepublik kann glücklicherweise jeder so weit fahren, wie er will. Er kann 1000 km fahren, er kann aber auch vor seiner Haustür oder 50 km vor seiner Haustür ein Urlaubsgebiet suchen. Das ist seine Angelegenheit. Der Berliner kann das aber nicht.
Dabei geht es nicht nur um die zusätzliche Fahrt, um die Überwindung der Strecke, sondern auch um die Ungewißheit während dieser Fahrt, die Schikanen, die Kontrollen an den Stützpunkten, die Wartezeiten, besonders in den Urlaubsmonaten. Vielleicht erinnern Sie sich, welche Turbulenz entstand, als einige Schwierigkeiten bei .den Paßkontrollen an der südlichen Grenze der Bundesrepublik auftraten. Da wurden z. B. Paßstellen gestürmt, weil die Wartezeiten zu lang waren.
Nun, die Berliner können sich das gegenüber dem System drüben nicht erlauben. Dort muß man leider sehr still sein, und man schweigt, weil man sich die Folgen vergewärtigt.
Sie sind wohl schon alle einmal mit dem Wagen über die Zonengrenze gefahren. Man atmet doch wohl auf, wenn man diese Strecke mit all den Schikanen hinter sich hat. Wer das vermeiden will, fliegt dann ja auch. Ich weiß, daß einige Damen und Herren dieses Hauses den Flugweg bevorzugen, um diesen Schikanen, Schwierigkeiten und Ungewißheiten zu entgehen. Nun, der Berliner kann das nicht in dem Umfang; das wird ihm zu teuer. Ich wünschte, er könnte das.
Aber es ist nun einmal eine Tatsache, daß man sich von der Belastung der Fahrt heraus aus Berlin und wieder hinein nach Berlin erst einmal erholen muß. Ich bitte, das zu würdigen. Dabei geht mehr als ein Tag für die Hinfahrt und mehr als ein Tag für die Rückfahrt drauf. Es gibt Berliner, die auf Grund der schlechten Urlaubsregelung — auch durch Tarifvertrag —, eben weil die 14 Tage oder 12 Tage nicht ausreichen, auf eigene Kosten, nur um ihre Gesundheit zu erhalten, 8 Tage zusätzlich nehmen, weil sie die Mehrbelastung, die ihnen entsteht, einfach nicht ertragen können. Die Zeit reicht dann für den Urlaub nicht aus. Leider ist das kein Einzelfall, und man sollte hier eine grundsätzliche Klärung schaffen.
Ich muß auch noch ein paar Worte zu den kurzfristigen Erholungsmöglichkeiten am Wochenende sagen. Sie wissen, daß 50 000 Kleingärtner, die in Westberlin wohnen, vom Zonenrandgebiet abgeschnitten sind. 9000 sind, nachdem die Mauer gezogen worden ist, von ihren Kleingärten abgeschnitten. Tausende von Westberliner Kleingärtnern haben wegen der Einschnürung Berlins ihre Grundstücke verloren, weil Wohnungen und Industriegebäude gebaut werden mußten. Berlin muß ja leben. Dort sind also 2 1/4 Millionen Menschen auf engem Raum zusammengedrängt. Sie müssen zugeben, daß das eine sehr starke Belastung ist, insbesondere wenn Sie einen Vergleich mit den Verhältnissen im Bundesgebiet anstellen. Sie können doch über das Wochenende in kürzester Zeit, wenn auch unter einigen Schwierigkeiten, die Erholungsgebiete aufsuchen. Bei uns hier besteht immerhin, wenn auch vielleicht nicht genügend die Möglichkeit der Erholung.
Wir sind uns klar, daß infolge all der Zustände, die ich geschildert habe, der Krankenstand erheblich ist. Die Belastung schlägt sich dort nieder. Ich darf dazu einige Zahlen anführen. Im ersten Monat vor Errichtung der Mauer — am 1. August 1961 — hatten wir um 28 % mehr Kranke als das Bundesgebiet. Am 1. September 1961, also 17 Tage nach Errichtung der Mauer, waren es 36 % mehr. Das ist eine Steigerung von 8 % in diesem einen Monat.
Einige weitere Zahlen: Am 1. August 1961 betrug der Krankenstand in der Bundesrepublik 5,25 %, in Berlin 6,99. Am 1. September betrug der Kran-
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kenstand im Bundesgebiet 5,85, in Berlin 8,36 %, am 1. Dezember 1961 6,54 % im Bundesgebiet, in Berlin 9,55%, und am 1. März betrug die Zahl für das Bundesgebiet 7,82, für Berlin 12,62. Dann sank es wieder ab; aber es blieben immer 3 % Kranke in Berlin mehr als im Bundesgebiet.
Die Zahlen bei den Frauen sind noch viel furchtbarer. Die Frauen sind ja infolge der Sorge für ihre Angehörigen usw. nervenmäßig stärker belastet. Das wirkt sich auf den Gesundheitszustand und natürlich auch im Produktionsprozeß aus. Ich möchte Ihnen eben die die Frauen betreffenden Zahlen nennen: Am 1. August 1961 betrug der Krankenstand bei den Frauen im Bundesgebiet 5,19 %, in Berlin 7,96, am 1. September 1961 5,81 % im Bundesgebiet, 'in Berlin 9,15, am 1. Dezember 1961 im Bundesgebiet 6,25 %, in Berlin 10,15, und am 1. März 1962 im Bundesgebiet 8 %und in Berlin 13,94. Das sind 5,94 % mehr als im Bundesgebiet. Diese Zahl sinkt dann glücklicherweise am 1. Juni auf nur mehr 3,36 ab.
Die Zahlen für die Anmeldung zur Rentenversicherung auf Grund von Frühinvalidität sehen nicht anders aus, meine Damen und Herren. 54% der Männer in Berlin haben vor Erreichung des 65. Lebensjahres einen Antrag wegen Berufsunfähigkeit gestellt, bei den Frauen waren es 80 %. In einer Rentenversicherung — Männer und Frauen — haben 60 % vor Erreichung der Altersgrenze einen Antrag gestellt. Diese Zahlen sind im Bundesgebiet glücklicherweise erheblich niedriger; aber wenn Sie bedenken, daß der Prozentsatz der Frauen an der arbeitenden Bevölkerung in Berlin 46 ausmacht gegenüber 36 im Bundesgebiet, können Sie sich die Auswirkungen in den Betrieben vorstellen, und es kommt mir darauf an, darauf hinzuweisen.
— Entschuldigen Sie, diese Frage ist mir viel zu wichtig, als daß ich Rücksicht darauf nehmen könnte, daß es Ihnen etwas zu lange dauert. Es tut mir furchtbar leid; aber meine Ausführungen sind auf Grund der Situation notwendig. Sie sollen ja eine Entscheidung fällen, meine Damen und Herren.
Diese Entscheidung soll auf einer richtigen Würdigung dieser Fragen beruhen. Mit allgemeinen Redensarten ist hier nicht geholfen, und ich will mit meinen Ausführungen verhindern, daß Sie vielleicht in Unkenntnis der Sachlage eine falsche Entscheidung treffen.
Es ist wohl ein Kennzeichen der Situation auf dem Arbeitsmarkt, daß die Frauen allgemein oder die Frauen in Berlin einen so hohen Anteil am Arbeitsprozeß haben. Was ist die Folge? Berlin versucht verzweifelt, junge Arbeitskräfte im Bundesgebiet zu werben, mit dem Erfolg, daß monatlich tausend meist junge Arbeitskräfte kommen. Das ist sehr erfreulich; aber um lebensfähig zu bleiben, brauchen wir mehr Arbeitskräfte. Eins ist sicher: Wir brauchen junge Arbeitskräfte, und wenn Sie die Arbeitsbedingungen in Berlin mit denen in der Bundesrepublik vergleichen und dabei die Situation bedenken, in der sich Berlin befindet, einschließlich der Einschränkungen, denen der Mensch dort ausgesetzt ist, kommen Sie zu dem Ergebnis, daß die arbeitsmäßige Situation für einen jungen Menschen in seiner Heimat im Bundesgebiet doch unbestritten günstiger ist. Wenn der junge Mensch nach Berlin geht, bedeutet das für ihn doch irgendwie eine Verschlechterung. Das erschwert die Werbung ungeheuer. Das merken die Berliner, wenn sie diese Frage anpacken, und die Zahlen beweisen es.
Vom Bundesarbeitsministerium sind Vergünstigungen für die Kräfte geschaffen worden, die aus Westdeutschland nach Berlin kamen; aber sie beziehen sich nur auf das Fahrgeld für Heimfahrten, für die zwei oder vier Tage bewilligt werden, je nachdem, ob es sich um Ledige oder Verheiratete handelt. Wenn man weit von Berlin beheimatet ist, reichen ein Tag hin und ein Tag zurück nicht aus, und ein Verheirateter kommt mit vier Tagen hin und zurück auch nicht aus, sondern jeder muß dann auf seinen Urlaub zurückgreifen. Er wird ja für die Zeit nicht bezahlt, und sein Urlaub wird gekürzt. Ist das nicht eine Verschlechterung, wenn man berücksichtigt, daß im Bundesgebiet ganz allgemein wesentlich bessere Arbeitsbedingungen geboten werden?
Wir haben nun, um diese Belastung auszugleichen, den Antrag gestellt, 18 Tage Mindesturlaub zu gewähren. In dem Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Dörinkel über die Beratung im Ausschuß wind gesagt, daß die Situation in Berlin anerkannt und, wie es heißt, gewürdigt wurde. Die Würdigung bestand aber nicht darin, daß man bei der Beratung der Berlin-Klausel in § 14 dem Antrag zustimmte, in Berlin 18 Tage Mindesturlaub zu gewähren, vielmehr lehnte man diesen Antrag ab. Das ist eine sonderbare „Würdigung", muß ich schon sagen. Ich hätte mir gewünscht, daß die Situation in Berlin mit einer Zustimmung zu diesem Antrag gewürdigt worden wäre.
Diese Stellungnahme wurde zwar nicht im Schriftlichen Bericht, aber in der Ausschußberatung mit der zu starken Belastung der Wirtschaft 'begründet. Es wurde darauf hingewiesen, daß es die Berliner Wirtschaft schwer habe, Erträge zu erwirtschaften. Mit Recht wurde auf die besondere Lage der Wirtschaft hingewiesen. Diese kennen wir, und wir wollen auch helfen. Das kann man aber nicht damit tun, daß man durch einen zu geringen Urlaub den Arbeitskräften nicht die Möglichkeit gibt, sich wieder zu erholen; damit schädigt man die Wirtschaft.
Ich will mich aber einmal mit der Frage beschäftigen, ob denn die Ertragsfähigkeit der Berliner Wirtschaft dadurch verringert würde, daß man drei Tage mehr Urlaub, also mindestens 18 Tage Urlaub gäbe. In Berlin gibt es 920 000 Arbeitskräfte. Tarifverträge haben das Bauhauptgewerbe, die chemische Industrie, das Bekleidungsgewerbe, die Textilindustrie, Banken und Versicherungen — kleine Bereiche — und dann auch das Bestattungsgewerbe. Das sind zusammen 149 000 Personen, die über 18 Tage tariflichen Urlaub haben. Hinzu kommen 110 000 Personen des öffentlichen Dienstes und 43 000 Jugendliche von 15 bis 18 Jahren. Das sind zusammen 302 000 Arbeitskräfte mit Urlaub über 18 Tagen. Es verbleiben somit 618 000. Und nun ist
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man darauf angewiesen, die Sache aus den Tarifverträgen festzustellen; Betriebszugehörigkeit und Alter sind kombiniert für diesen Urlaub von 18 Tagen. Nach den Unterlagen wird die Zahl auf 220 000 Personen geschätzt, so daß ein Rest von 400 000 Arbeitnehmern — das sind 44 % — zwischen 12 und 17 Tagen Urlaub hat. Die Zahl wind wahrscheinlich viel geringer sein, weil jetzt das Gesetz 15 Tage vorschreibt. Ich weiß nicht, ob das für diejenigen, die ablehnen wollen, besser ist oder schlechter. Ich meine, man sollte das ruhig einmal durchrechnen. Mir wurde gesagt, es seien ja nur noch 60 000 Arbeitnehmer. Ich würde mich gerne der Zugrundelegung dieser Zahl anschließen; aber ich möchte mal von den 400 000 Arbeitnehmern ausgehen und als Grundlohn den Durchschnittslohn von 355,80 DM im Monat nehmen, wie ihn die AOK 1961 in Berlin zugrunde gelegt hatte. 355,80 DM mal 400 000 ergibt 1,708 Milliarden DM.
— Die Rechnung ist nicht lang. — Drei Tage machen 1 % der Jahreslohnsumme aus, 6 Tage 2 %, so daß im Höchstfalle 2 % von 1708 Millionen DM gleich 34,16 Millionen DM als Belastung der Wirtschaft herauskommen, wenn volle 6 Tage mehr gewährt wenden; wenn es nur 3 Tage sind, dann die Hälfte. Das würde also 0,25 bis 0,58 % der Jahresbruttolohnsumme ausmachen.
Das ist aber nur eine theoretische Größe, meine Damen und Herren, weil damit nicht der Produktionsverlust enfaßt wind; denn 100 000 sind nicht produktiv im Sinne einer betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung und müssen durch Arbeitsgemeinschaften den Urlaubsausfall wieder erarbeiten.
Ich lasse aber die Summe einmal gelten und frage
— ja, man kann darüber lachen; setzen Sie sich einmal ernsthaft damit auseinander! —: Meinen Sie, daß die Wirtschaft das nicht tragen kann?
Wir sind an einer gewinnerzielenden Wirtschaft äußerst interessiert. Das beweisen alle unsere Bemühungen — bitte, Sie können sich davon überzeugen; lesen Sie die Protokolle; denken Sie an das letzte Wirtschaftsfönderungsgesetz! —, der Wirtschaft dort zu helfen, wo es notwendig ist, weil die Wirtschaft für uns in Berlin lebenswichtiger ist als vielleicht in anderen Gebieten. Aber bitte, unsere Haltung ist unter Beweis gestellt, und wir sind auch bereit, immer wieder Notlagen der Wirtschaft zu prüfen und die Wirtschaft zu unterstützen. Wir haben ein großes Heft, in dem steht, welche Verbesserungen der Berliner Wirtschaft gewährt werden müssen. Aber glauben Sie nicht auch, bevor man die Frage nach den 38 Millionen und weniger stellt, daß es nicht eine Möglichkeit gibt, diese Last, die sich aus dem Mehrurlaub ergibt, auszugleichen? Die Senkung des Krankenstandes um 0,6 bis 0,7 % würde bereits den Ausgleich dieses Betrages schaffen.
Nun, meine Damen und Herren, ich nehme an, daß diese Begründung — finanzielle Belastung der Wirtschaft — kein Argument Ist.
Nun die zweite Frage, meine Damen und Herren.
— Ich bereite mich noch auf etwas vor, entschuldigen Sie bitte. —
Ein weiterer Grund für die Ablehnung dieses Antrags im Ausschuß war die Vereinheitlichung der gesetzlichen Bestimmungen. Dem stimmen wir restlos zu! Aber vielleicht darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten hier einmal einen Satz vorlesen, den Herr Professor Dr. Boldt vom Bundesarbeitsgericht in der Sitzung des Ausschusses vom 15. Juni 1961, auf die sich der Schriftliche Bericht bezieht — ich betone: 1961 war bereits diese gutachtliche Anhörung —, vorgetragen hat. Er sagte: Insbesondere sind folgende grundsätzliche Punkte unterschiedlich geregelt: Kreis der urlaubsberechtigten Personen, Urlaubsjahr, Urlaubsdauer, Wartezeit, Gewährung von Urlaub, Eintritts- und Austrittsjahr, Urlaubsübertragung, Urlaubsentgelt usw. und die vielen, vielen Fragen, die sich aus den verschiedenen Bestimmungen in den Landesgesetzen ergeben. -
Natürlich sind wir damit einverstanden, daß hier eine Vereinheitlichung des Rechts herbeigeführt wird. Aber die Frage der Tage dürfte doch wohl die geringste Sorge machen bei der Vereinheitlichung oder bei einer Abweichung; denn das ist ein klares Bild. Unklar werden die Bilder doch nur, wenn es um Urlaubsjahr, Anrechnungszeiten, Wartezeiten und ähnliches mehr geht. Die Frage, ob 15 oder 18 Tage, dürfte keine Schwierigkeiten machen.
Ich darf vielleicht noch einmal einen Satz von Herrn Dr. Boldt zitieren. Er sagt: wir gehen davon aus, daß im Zuge des Erlasses eines solchen Gesetzes die landesrechtlichen Urlaubsbestimmungen beseitigt und landesrechtliche Sonderregelungen, die aus irgendeinem Grund aufrechterhalten werden sollen, in die Übergangsbestimmungen übernommen werden sollen. Damit haben Sie auch von juristischer Beurteilung der Dinge her die Möglichkeit, daß man nur geordnet sehen will, wo notwendige Sonderregelungen untergebracht werden können. Es ist nicht so, daß keine darin sein dürften, und ich meine, daß Sonderregelungen eben nicht ausgeschlossen sind. Wir haben ja selbst in diesem Gesetz, das wir heute verabschieden, einige Sonderregelungen für strukturell andere Situationen, nämlich für das Baugewerbe — hier gilt das Kalenderjahr — und im Seemannsgesetz.
— Ja, ich weiß. Sie haben ja auch das Wort „Urlaubsgeschädigte" geprägt. Mir ist die Sache zu ernst, als daß ich mich mit diesen billigen Zwischenrufen auseinandersetzte.
Nun, wie die Dinge auch liegen mögen, diese Abweichungen aus strukturellen Gründen sind bereits im Gesetz enthalten, und ich frage nun: Liegt in der Berliner politischen, wirtschaftlichen, gesundheitspolitischen Situation nicht auch ein wichtiger Grund, mehr als nur ein struktureller Unterschied, und ist bei der Frage: Vereinheitlichung der Gesetze dieser Punkt nicht besonders zu würdigen? Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß es bereits mehr als 80 Gesetze und Verordnungen gibt, bei denen Berlin leider abweichen mußte.
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Sie haben, meine Damen und Herren, zwar nur eine Liste, die ad hoc für den Ausschuß aufgestellt wurde, in der lediglich etwa 35 Gesetze aufgezählt werden. Die Berliner sind nicht glücklich, daß sie diese Ausnahmeregelungen haben; aber sie sind mit Ihrer Zustimmung erfolgt, und ich glaube, daß man hier nun nicht splitterrichterlicher oder pingliger sein und sagen soll, in diesem Gesetz sei das unmöglich.
Meine Damen und Herren, ist das denn eine Grundsatzfrage: 15 oder 18 Tage? Ich glaube, Sie haben sich überwiegend bereits weitgehend zu 18 Tagen — zwar noch nicht entschlossen, aber Sie haben die Berechtigung anerkannt, und ich bin beinahe bereit, darüber zu streiten, was denn nun Grundsatz in diesem Gesetz ist, 15 oder 18 Tage. Erst vom 35. Lebensjahr ab 18 Tage, vorher 15 Tage! Meine Damen und Herren, hier von Grundsatz zu reden, ist meiner Ansicht nach doch recht fragwürdig.
Nun hat man bei der Ablehnung dieses unseres Vorschlages auf die Tarifpartner hingewiesen. Es tut mir leid, hier etwas über das Vertrauen in die Tarifpartner sagen zu müssen. Sie haben bei der Begründung, Herr Kollege Scheppmann, allerdings nur auf die Gewerkschaften hingewiesen; zu den Tarifpartnern gehören doch auch die Firmen, die Betriebsvertretungen, die Verbände, und die haben Sie leider nicht erwähnt. Ich muß sie leider vorzugsweise erwähnen, weil da in Berlin bedauerlicherweise nicht sehr viel „drin" ist. Ich will es Ihnen ganz kurz sagen. Man sollte erwarten, daß es so wäre, wie hier gesagt wurde: die Tarifpartner sollen aus der Lage heraus die Dinge beurteilen und danach handeln. Bis 1959 hatten wir in Berlin den Widerstand der Arbeitgeberverbände zu verzeichnen, und zwar zu einem Mindesturlaubsgesetz mit 18 Tagen. Dann zeichnete sich in der Mitte des Jahres 1960 eine Zustimmung zu 18 Tagen ab, bis zu dem Augenblick, wo Sie, meine Damen und Herren von der CDU, 15 Tage in das Urlaubsgesetz hineinbrachten. In dem Augenblick plädierten unsere Arbeitgeberverbände in Berlin dafür, daß wir auf das Bundesurlaubsgesetz warten sollten, weil sie eben damit rechneten, daß dabei nur 15 Tage herauskommen würden.
Ich möchte Sie nun nicht über Gebühr strapazieren.
Ich hoffe aber, daß der Brief von der Zentralstelle der Berliner Arbeitgeberverbände, der einigen Herren vorliegt, hier nicht zur Grundlage der Aussprache gemacht wird. Sonst müßte ich von vornherein hier darüber sprechen,
oder Sie hätten das Vergnügen, daß ich nachher zu diesem Brief noch einmal spreche.
— Ob das Vergnügen fragwürdig ist, weiß ich nicht und lasse ich dahingestellt; es ist für mich nicht interessant. Für mich ist interessant, daß Sie wissen, was in dieser Sache los ist.
Angesichts dieses Verhaltens aller Tarifpartner haben die Gewerkschaften ab 1960 darum gebeten, in Berlin ein Mindesturlaubsgesetz zu schaffen. Man ist nämlich auf dem Wege über Tarifverhandlungen in Berlin nicht weitergekommen. Man hat bereits begonnen, seitens der Gewerkschaften in die Tarifverträge hinsichtlich der Urlaubsfrage Kündigungsklauseln einzuführen, in der Hoffnung, daß eine gesetzgeberische Regelung erfolgt. Aber wie kommt das? Es sind hier die Zahlen der nicht tarifgebundenen Partner in Berlin genannt worden. Diese sind ganz besonders hartleibig und hartnäckig
hinsichtlich der Frage, keine Abschlüsse zu tätigen. Ich darf Ihnen sagen, es gibt auf anderen Gebieten in der Wirtschaft Beweise dafür, daß man nicht gewillt ist, tarifrechtliche Regelungen zu schaffen.
Nun darf ich Ihnen nur einen einzigen Fall schildern. Eine Fachvereinigung des Großhandels z. B. hat erklärt, daß sie nicht bereit ist, irgendwie geartete weitergehende Verpflichtungen, als sie bisher hinsichtlich der Urlaubsfrage vorgesehen sind, zu übernehmen,
weil sie im Hinblick auf eine eventuelle politische Krise — im Hinblick auf eine eventuelle politische Krise! — keine Möglichkeit für die Zukunft sieht, derartige Verpflichtungen wieder zurückzuziehen.
— Ich höre das Wort „prima" ; ich komme darauf zurück.
Aus dem Grunde ist also dort eine tarifvertragliche Regelung abgelehnt worden. Glücklicherweise ist dieser Fall, daß man aus politischen Gründen, wegen der Situation Berlins, so handelt, nur vereinzelt aufgetreten. Wenn die Arbeitnehmer so dächten, wäre es schlimmer. Gott sei Dank können wir uns bei ihnen auf klare Gedanken stützen. Glücklicherweise handeln auch andere Verbände nicht so. Es war also eine Ausnahme. Aber darf ich Sie bitten, einmal daran zu denken. So ist die Situation. Meinen Sie, es würde in Berlin nicht auffallen, wenn dort gestreikt wird? Da fällt es sehr auf. Und 1961 mußte man im Holzgewerbe streiken, weil man den Mindesturlaub von 15 auf 18 und 122 Tage erhöht haben wollte.