Rede von
Hans
Hörmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begründe den zur zweiten Beratung des Bundesurlaubsgesetzes gestellten Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu § 3 Abs. 1. In diesem Antrag wird gefordert:
Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 18 Werktage; maßgebend ist der Beginn des Kalenderjahres.
Wir wiederholen selbsverständlich diesen Antrag, weil wir immer noch der Auffassung sind, daß ein Mindesturlaub von 18 Tagen dringend notwendig ist, und weil wir immer noch die Hoffnung haben, daß es uns gelingt, Sie von der Fraktion der CDU/ CSU und auch von der Fraktion der FDP davon zu überzeugen, daß es notwendig ist, die noch bestehende kleine Hürde zu überwinden und einen Mindesturlaub von 18 Tagen festzulegen.
Wir hoffen auf Ihre Zustimmung insbesondere auch deshalb, weil wir heute einen Entschließungsantrag der FDP-Fraktion zur dritten Lesung bekommen haben, der eine Art Zuckerbrot darstellt. Der Antrag verfolgt das Ziel, auf dem Wege über tarifvertragliche Vereinbarungen doch noch 18 Tage Urlaub zu erhalten. Er ist zwar gegenüber dem gestern gestellten Antrag noch einmal ein wenig reduziert worden, aber ich glaube, daß wir uns doch ziemlich nahegekommen sind.
Ich darf noch einmal die Grundsätze, die uns veranlassen, diesen Antrag zu stellen, kurz darlegen. Wir sagten bereits in unserem Regierungsprogramm: „Wir wollen ein gesundes Volk in einem gesunden Staat. Der Staat muß der Gesundheit seiner Bürger dienen. In der modernen Gesellschaft
*) Siehe Anlage 7
ist der Mensch nicht nur durch Krankheit, sondern auch durch frühzeitigen Verbrauch seiner Kräfte stark gefährdet. Der einzelne bedarf zur Erhaltung seiner Gesundheit einer ausreichenden Erholung. Die gegenwärtige Urlaubsdauer ist nach der Erkenntnis der ärztlichen Wissenschaft zu kurz."
Wir haben bereits bei der Begründung unseres Urlaubsantrags in der ersten Lesung auf diese grundsätzlichen Probleme hingewiesen. In Stichworten haben wir gesagt, daß die Verdichtung des Arbeitsprozesses mit stärkerer arbeitsphysiologischer Belastung, daß lange Wegstrecken zusätzlich zur Arbeitszeit, daß 'die starke Belastung der berufstätigen Frau, daß die bestehende Frühinvalidität einen Mindesturlaub von 18 Tagen unbedingt notwendig machen, um die Voraussetzung zu schaffen, daß die Arbeitskraft erhalten bleibt. Wir wollen doch schließlich die Möglichkeit finden, daß jeder Beschäftigte sein Arbeitsleben voll ausfüllen kann und nicht allzufrüh invalide wird.
Nun wurden der ersten Lesung bei der Begründung des von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Urlaubsantrags ungefähr dieselben Argumente vorgebracht. Unser Grundsatz wurde im wesentlichen bestätigt. Es ergab sich nur ein Unterschied, indem nämlich auf den Zusammenhang mit der Arbeitszeitverkürzung — den wir nicht bestreiten — hingewiesen wurde. Es wurde gesagt, daß aus medizinischen Gesichtspunkten mehr Gewicht auf längeren Urlaub als auf weitere Arbeitszeitverkürzung gelegt werden müsse.
Wir glauben, daß diese Auslegung den Aussagen der medizinischen Sachverständigen nicht ganz gerecht wird; denn es wurde ganz einwandfrei gesagt und darauf abgehoben, daß aus medizinischen Gesichtspunkten sowohl Urlaubsverlängerung als auch Arbeitszeitverkürzung notwendig seien. Natürlich ergeben sich hierbei die entsprechenden Gesichtspunkte wirtschaftlicher Schwierigkeiten, über die wir sprechen müssen, um zu einer Einigung zu gelangen.
Wir betrachten den von der CDU/CSU-Fraktion eingereichten Entwurf eines Mindesturlaubsgesetzes als einen Erfolg unserer Bemühungen, zu einem solchen Mindesturlaub zu kommen. Aber ich glaube, dieser Entwurf war nur ein halber, ein zögernder Schritt zum Endziel. Mir kommt es eigentlich so vor — gestatten Sie mir, daß ich es sage —, wie wenn man zwar mit Vollgas hinter der Entwicklung her zu fahren versucht, dabei aber die Handbremse angezogen hat, um doch nicht allzu schnell dahin zu kommen, wohin man seiner Überzeugung nach eigentlich kommen müßte.
Herr Professor Dr. Graf hat bei der Sachverständigenanhörung, wie im Protokoll Nr. 107 auf Seite 27 nachzulesen ist, zu der Frage der medizinischen Probleme ganz klar Stellung genommen. Er hat insbesondere auch das Problem untersucht, ob vom ärztlichen Standpunkt aus der Mindesturlaub auf drei Wochen erhöht werden soll und muß, trotz der geforderten und in der Entwicklung befindlichen Fünftagewoche. Ich, möchte auf diese medizinischen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 7. Dezember 1962 2265
Hörmann
Gesichtspunkte nicht naher eingehen. Ich nehme an, daß das im Verlaufe der Debatte einer meiner Kollegen tun wird.
Warum wird also in der jetzigen Vorlage nur ein Mindesturlaub von 15 Tagen vorgeschlagen? Ich konnte bisher keine Argumente finden, die mich hätten überzeugen können. Hauptsächlich wurden wirtschaftliche Bedenken vorgebracht, auch bei den Ausschußberatungen. Ich meine, zu diesen wirtschaftlichen Bedenken muß man folgendes sagen. Man sollte die Entwicklung nicht 2u kurzfristig beurteilen, sollte nicht nur kurze Zeiträume, die für die Konjunkturpolitik von Bedeutung sein können, berücksichtigen, sondern auf lange Sicht gerade aus gesundheitspolitischen Überlegungen einen ausreichenden Urlaub gewähren, weil das letzten Endes ein volkswirtschaftlicher Gewinn für uns alle sein wird.
Natürlich gibt es bei dieser Urlaubsgewährung Schwierigkeiten, insbesondere bei den Kreisen, die wir heute als Mittelschicht bezeichnen. Aber hier muß folgendes berücksichtigt werden. Wir können das Problem der unterschiedlichen Kastenlage nicht damit lösen, daß wir für gewisse Schichten die Sozialbedingungen zurückschrauben. Damit wäre, insbesondere bei dem heutigen Arbeitskräftemangel, keinem der Betroffenen gedient. Wenn diese Mittelschicht schlechtere Sozialbedingungen gewähren müßte, würde sie Arbeitskräfte an die Industrie, insbesondere an die Großindustrie, verlieren, weil diese in der Lage ist, günstige Arbeitsbedingungen, bessere soziale Bedingungen zu gewähren. Ich glaube, das muß man damit ausgleichen, daß diese Mittelschichten durch staatliche Förderung, durch wirtschaftspolitische, steuerpolitische und allgemeinpolitische Maßnahmen in die Lage versetzt werden, ihre Arbeitskräfte zu halten und zu erreichen, daß auch bei dem heute angespannten Arbeitsmarkt die Arbeitskräfte gerne in den Betrieben dieser Mittelschichten arbeiten.
Die Arbeitskraft ist knapp. Wir müssen mit der Arbeitskraft haushälterisch umgehen, und dazu gehört eben nach unserer Auffassung auch ein Mindesturlaub von 18 Tagen.
Ich darf bei dieser Gelegenheit vielleicht ein bißchen auf die tariflichen Probleme und die Frage der Tarifautonomie eingehen, weil sie durch den Antrag, den die FDP-Fraktion zur dritten Lesung gestellt hat, angeschnitten werden. Ich glaube nicht, daß man das Problem mit einer starken Bindung der Tarifparteien lösen kann. Man sollte das Vertrauen zu den Tarifparteien haben, daß sie in der Lage sind, abzuwägen, in welcher Form Arbeitszeitverkürzung und Mindesturlaub verankert werden können.
Ich persönlich habe jedenfalls dieses Vertrauen zu den Tarifparteien. Ich glaube, daß wir mit einem Mindesturlaub von 18 Tagen einen vernünftigen und guten Richtpunkt setzen.
Wir sollten bei dieser Gelegenheit auch an die 3 Millionen nicht tarifgebundener Arbeitnehmer denken, denen wir als Gesetzgeber ebenfalls aus gesundheitspolitischen Gründen einen Mindesturlaub garantieren sollten. Wenn wir untersuchen, welche Auswirkungen bei einem Urlaubsgesetz festzustellen sind, das für einen Teil der Beschäftigten nur 15 Tage vorsieht, dann stellen wir folgendes fest. Im Ausschußbericht wind die Mehrbelastung, die sich auf Grund des jetzt vorliegenden Bundesurlaubsgesetzes ergibt, mit ewas weniger als einem Tag Mehrurlaub im Durchschnitt aller Beschäftigten angegeben. Ich möchte fragen: Sollte es unvertretbar sein, daß auch der Rest der Beschäftigten zwischen 18 und 35 Jahren, denen man noch keine 18 Tage zubilligt, soweit es nicht der Tarifvertrag vorsieht, einen Anspruch auf 18 Tage Mindesturlaub bekommt? Dadurch wird keine wesentliche Erhöhung der Durchschnittsbelastung eintreten.
Wenn wir das nicht tun, dann entstehen die folgenden Konsequenzen, auf die ich aufmerksam machen möchte. Jugendliche, die nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz nunmehr Anspruch auf 24 Tage Urlaub haben, bekommen plötzlich, wenn sie das 18. Lebensjahr erreicht haben, nur noch einen Mindesturlaub von 15 Tagen, wenn nicht der Tarifvertrag für sie eine bessere Regelung vorsieht. Wir sollten zweitens beachten, daß wir mit einem Mindesturlaub von 15 Tagen hinter der Sozialcharta zurückbleiben, die die Beratende Versammlung des Europarats schon vor geraumer Zeit aufgestellt hat. Dort wurde ein Mindesturlaub von drei Wochen gefordert. Wir sollten drittens beachten, daß, wenn wir jüngeren Menschen zwischen 18 und 35 Jahren einen geringeren Mindesturlaub zubilligen, das gerade auch für diese jüngeren Menschen aus gesundheitspolitischen Gründen auf lange Sicht nicht zweckmäßig und nicht vorteilhaft ist.
Ich meine, 18 Tage Urlaub für alle wäre ein echter Fortschritt. Ich glaube auch, daß es Ihnen möglich sein müßte, über diese restliche kleine Hürde noch hinwegzuspringen. Wir sollten vielleicht bei der Verabschiedung dieses Gesetzes nebenbei, sozusagen in Klammern, auch ein bißchen an unsere eigenen Urlaubsvorstellungen und -ansprüche denken.
Wir sollten aber insbesondere an den Menschen denken, der in unserem sozialen Rechtsstaat im Mittelpunkt stehen soll und nach dem sich letzten Endes die wirtschaftlichen Bedingungen auszurichten haben.
Ich darf Sie bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.