Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Gedanken zum Gebiete der Entwicklungshilfe aussprechen, die der Kollege Kahn-Ackermann schon anklingen ließ, aber aus Zeitmangel nicht mehr entwickeln konnte.
Die Entwicklungspolitik ist ein Teil unserer Beziehungen zum Ausland, gehört daher zur Zuständigkeit des Bundes. Der Bund verfügt aber nun einmal nicht über die Personen, die den betreuten Ländern das Wissen und Können vermitteln könnten, das sie für ihre eigene Entwicklung brauchen. Darum wird die Hilfe der Länder benötigt. So wird die Entwicklungshilfe eine Gemeinschaftsaufgabe beider Ebenen, eine Bewährungsprobe für das Zusammenspiel in unserem sehr komplizierten Staatsaufbau, dessen mangelnde Eignung für kulturelle Auslandsarbeit ich schon im März dieses Jahres bei der Kulturdebatte zu beklagen Gelegenheit hatte. Nun, wir müssen uns im Rahmen des Grundgesetzes halten und dürfen uns mit der Erfahrung trösten, daß auch mit einem unvollkommenen Werkzeug in der Hand des Meisters Brauchbares geleistet werden kann.
Das Ministerium, mit dessen Arbeit wir uns heute beschäftigen, ist erst ein Jahr alt. Auch in der Entwicklungsarbeit steht unser Staat noch nicht sehr lange. Vor wenigen Jahren waren wir ja selbst noch Entwicklungsland, brauchten wir selbst noch die Hilfe von Freunden zum Wiederaufbau unserer Wirtschaft. In der Wissenschaft haben wir bisher das Weltniveau noch nicht wieder erreichen können.
Um so mehr begrüßen wir es, daß unsere deutsche Wissenschaft schon jetzt die Verpflichtung spürt, zu ihrem Teile an der Bewältigung dieser großen Aufgabe mitzuhelfen. Ich nehme daher gern Gelegenheit, Zahlen, die ich in der erwähnten Debatte vor einem halben Jahr über die Tätigkeit deutscher Wissenschaftler in Übersee genannt habe, — einen, wie ich glaube, sehr wesentlichen Teil unserer Bildungshilfe — nach ihrem neuesten Stand diesem Hohen Hause mitzuteilen.
Zur Zeit sind in Süd- und Mittelamerika mit Schwerpunkt in Chile und Argentinien 120 bis 130 deutsche Gelehrte tätig. Die genaue Zahl ist sehr schwer zu ermitteln, da nicht alle Herren die Hilfe der Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaftler im Ausland, der ich diese Unterlagen verdanke, in Anspruch nehmen. Im islamischen Orient einschließlich der Türkei arbeiten zur Zeit 30 bis 35 deutsche Gelehrte, im übrigen Asien etwa 40. Insgesamt sind in den Entwicklungsländern etwa 220 deutsche Wissenschaftler tätig. Von diesen Herren war die Hälfte schon 1955 im Amt. In den Jahren 1956 bis 1960 waren es 15 mehr, 1961 und 1962 sind es rund 30.
Das sind nun gewiß keine respektablen Zahlen, wenn wir sie etwa mit dem Auftrag vergleichen, den die Sowjetunion ihrem Orientalistentag in Taschkent vor vier Jahren gestellt hat: innerhalb kurzer Zeit 5000 Arabisten auszubilden. Immerhin habe ich gestern im Ausschuß mit Genugtuung gehört, daß das Goethe-Institut schon über 26 deutsche Arabisten verfügen kann.
Aber wir haben ja auch in der Bundesrepublik an wissenschaftlichem Nachwuchs keinen Überfluß. Den erfreulichen, wenn auch sehr bescheidenen Fortschritt verdanken wir dem zunehmenden Interesse der Bundesländer an der Entwicklungsaufgabe. Sie alle kennen die Bereitwilligkeit unserer Ministerpräsidenten, an diesem Werk mitzuarbeiten, die in der Bremer Konferenz im Mai dieses Jahres zum Ausdruck kam. Die Kultusminister haben die beamtenrechtliche Sicherung der aus ihrem Dienst zur Verfügung gestellten Persönlichkeiten als Aufgabe übernommen. In mehreren Ländern sind Leerstellen geschaffen worden, in denen im Ausland arbeitende Landesbeamten geführt werden.
Auch die Wissenschaft hat sich in zunehmendem Maße der Entwicklungsaufgaben angenommen. Fakultäten haben sich zur Übernahme von Patenschaften für Fakultäten in den Entwicklungsländern entschlossen. Ich nenne Ihnen als Beispiele die medizinische Fakultät in Freiburg für Hue in Vietnam, die veterinär-medizinische in Gießen für Nairobi und für Izmir und das große, gut anlaufende Vorhaben der Universitäten Bonn und Köln für die Errichtung von zwei Fakultäten in Kabul. Weite Patenverhältnisse sind geplant.
Nun ist die Wissenschaft unabhängig. Sie bedarf nicht der Weisung 'durch ein Ministerium. Sie hat sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt. Ich habe vernommen, daß diese Zusammenarbeit mit dem Ministerium in Kürze organisatorische Formen finden wird.
Auch die vorhin von Herrn Kahn-Ackermann angesprochene Erforschung der Kulturen der von uns zu betreuenden Länder ist gut angelaufen. Wir haben das Sprachenprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Wir haben nach viel-
Dr. Hellige
jähriger Pause das Orientalische Seminar, das früher in Berlin der sprachlichen Ausbildung unserer Beamten diente, nun hier in Bonn wieder am Leben. Ich empfehle Ihnen, soweit Sie sie nicht kennen, die Empfehlung des Wissenschaftsrats zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen, nach der die Fächer der Orientalistik und Afrikanistik erheblich stärker mit Lehrstühlen ausgestattet werden sollen, als das bisher der Fall war. Ich empfehle Ihnen einen Blick in die Denkschrift „Orientalistik", die Professor Falkenstein für die Deutsche Forschungsgemeinschaft ausgearbeitet hat und in der alle diese Probleme angesprochen worden sind. Unsere Soziologen und unsere Ethnologen werden sich in erheblich größerem Maße dem Problem des Kulturwandels zuwenden müssen, jenem in der Geschichte der Menschheit wohl einmaligen Phänomen, daß Menschengruppen aus steinzeitlichen, zum Teil sogar aus vorsteinzeitlichen Kulturzuständen nun innerhalb weniger Jahre in die Zivilisation des 20. Jahrhunderts nach Christi Geburt übergeführt werden; ein Forschungsgebiet, das Bronislaw Malinowski mit seiner amerikanischen soziologisch-ethnologischen Schule mustergültig angefaßt hat.
Über die Schulen hier zu sprechen, möchte ich mir aus Gründen der Zeitersparnis schenken.
In einigen Fällen haben die Länder sich unmittelbar in der Entwicklungsarbeit engagiert. Die Errichtung des schon angesprochenen Gewerbeförderungszentrums in Tunesien durch Baden-Württemberg darf als ein gutes Beispiel genannt werden. Die hessische Aktivität in Ghana ist bekanntgeworden. I Voraussetzung für das Tätigwerden der Länder im Ausland ist die gemeinsame Planung mit dem Bunde, die allein die Einheitlichkeit der Maßnahmen sicherstellen kann. Die Hauptaufgabe der Länder wird aber sicher im Inland liegen müssen: Bereithalten von Ausbildungsstätten, Aufnahme und Betreuung von Studenten und Praktikanten. Sie finden für diesen Zweck bereits Mittel in den Länderetats. Forschungsaufgaben mannigfachster Art, Pflege von Kontakten, von Nachkontakten — wer könnte die Aufgaben alle erschöpfend aufzählen? Schließlich die wichtigste Aufgabe, die vor uns steht: Menschen bereitzustellen, Menschen zu schulen, die sich dieser wichtigen Arbeit widmen wollen.
Die Entwicklungshilfe in der Bundesrepublik sieht sich Schwierigkeiten gegenüber, die unsere westlichen Nachbarn nicht kennen. Wir Deutschen sind eben seit einem halben Jahrhundert der Arbeit in Übersee entfremdet. Wir waren auch vorher nur ganz kurze Zeit dort tätig. Wir haben nur sehr wenige Menschen, die in diesen Ländern aufgewachsen sind, die an ihr Klima gewöhnt sind, ihre Sprache beherrschen, mit ihren Anschauungen und ihrer Lebensart von Kindheit her vertraut sind. Unsere Entwicklungshelfer müssen alles erst lernen. Sie können sich freilich auf die Erfahrungen unserer Freunde stützen. Sie sind frei von den Schatten, die die Kolonialzeit auf den früheren Kolonialherren haften läßt.
Auch in der Organisation der Arbeit — das ist von Herrn Wischnewski und auch von Herrn KahnAckermann erwähnt worden — leiden wir an einem Handikap. Uns fehlt zunächst die zentrale Kompetenz, die die Arbeit aller unserer Nachbarn, im Osten wie im Westen, so stark begünstigt. Wir haben einen Bund, wir haben elf Länder. Sie alle haben ihren guten Willen bewiesen, aber der Willensakt muß stets im einzelnen herbeigeführt werden. Das kostet Zeit, das kostet Besprechungen, das kostet sicher auch Kraft. Eine ganze Reihe von Bundesministerien sind beteiligt. Niemand gibt gern Zuständigkeiten ab, das liegt nun einmal in der menschlichen Natur. Ich teile die Bedenken, die hier gegen diese Vielfalt geäußert worden sind. Ich wünsche dem Herrn Minister, daß seine Kompetenzen sich vermehren mögen.
Hinzu kommt die Tatsache; daß wir die Kirchen für die Mitarbeit wünschen und brauchen, die Hochschulen, die Wirtschaft, die Gewerkschaften, sehr viele Verbände, Stiftungen, Institute, kurz, die ganze bunte Vielfalt unserer modernen Gesellschaft. Alle diese Kräfte müssen mit großer Behutsamkeit auf e i n Ziel ausgerichtet werden. Sie müssen nach einem Programm wirken. Daß diese Teile gut zusammenzuwirken beginnen, spricht für das diplomatische Geschick, mit dem der Minister seine Aufgabe wahrnimmt. Wir stehen noch ganz in den Anfängen. Niemand wird erwarten dürfen, daß man das Erreichte schon bald an amerikanischen Maßstäben messen kann. Aber ich glaube, wir sind auf einem guten Wege.