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ID0403505500

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    Vokabeln: 5
    1. Zwischenfrage: 1
    2. ja,: 1
    3. aber: 1
    4. keine: 1
    5. Dialoge!: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 35. Sitzung Bonn, den 15. Juni 1962 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 1443 A Frau Döhring (Stuttgart) (SPD) . . . 1443 B Rasner (CDU/CSU) . . . . . . . 1444 A Dr. Mommer (SPD) . . . . . . . 1444 B Fragestunde (Drucksachen IV/453, IV/462, IV/479) Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Mangel an Formularen des neuen Personalausweises Dr. Hölzl, Staatssekretär 1444 D, 1445 B, C Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 1445 A, C Wehner (SPD) . . . . . . . . 1445 B Fragen des Abg. Fritsch: Heiratsabfindung für ehemalige Kriegerwitwen Blank, Bundesminister 1445 D, 1446 A, B, C Fritsch (SPD) . . . . 1445 D, 1446 A, C Gerlach (SPD) . . . . . . . . . 1446 B Frage des Abg. Lohmar: Chinesische Flüchtlinge in Hongkong Blank, Bundesminister . . . . . . 1446 D Frage des Abg. Imle: Anschlußzug an den Trans-Europa-Expreß „Parsifal" Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 1447 B, C Dr. Imle (FDP) 1447 B, C Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes (Drucksache IV/467) Arndgen (CDU/CSU) 1447 D Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft (Drucksachen IV/421, IV/476) — Zweite und dritte Beratung — Brand (CDU/CSU) 1448 B Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Artikels 64 Abs. 2 des Saarvertrages (Drucksachen IV/422, IV/475) — Zweite und dritte Beratung — 1448 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. November 1961 mit der Republik Österreich zur Regelung von Schäden der Vertriebenen, Umsiedler und Verfolgten usw. (Finanz- und Ausgleichsvertrag) (Drucksachen IV/392, IV/460) — Zweite und dritte Beratung — 1449 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Krankenversicherung, Lohnfortzahlung und Kindergeld (Drucksache IV/215) Dr. Schellenberg (SPD) . 1449 B, 1452 B, 1468 D Rohde (SPD) . . . . . . . . 1449 C Blank, Bundesminister 1451 D Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . 1460 C Spitzmüller (FDP) . . . . . . 1463 D Geiger (SPD) 1465 C Schmücker (CDU/CSU) 1466 D II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Juni 1962 Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung der Abschöpfungen nach Maßgabe der Verordnungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die schrittweise Errichtung gemeinsamer Marktorganisationen für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse (Abschöpfungserhebungsgesetz) (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/ 464) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/466) — Erste Beratung —, dein Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/463) — Erste Beratung —, dem Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 20 (Schweinefleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 (Geflügelfleisch) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/465) — Erste Beratung — und dem Antrag betr. Durchführung der Verordnungen über die schrittweise Errichtung gemeinsamer Marktorganisationen (SPD) (Drucksache IV/428) Struve (CDU/CSU) . . . . . . . 1469 D Schwarz, Bundesminister . 1470 B, 1474 C Dr. Mommer (SPD) . . . . . . 1472 B Nächste Sitzung 1475 D Anlagen 1477 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Juni 1962 1443 35. Sitzung Bonn, den 15. Juni 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Adorno 30. 6. Dr. Arndt (Berlin) 15. 6. Dr. Aschoff 15. 6. Dr. Atzenroth 15. 6. Dr. Dr. h. c. Baade 15. 6. Bäumer 15. 6. Berlin 15. 6. Birkelbach 15. 6. Dr. Brecht 30. 6. Brese 15. 6. Brünen 25. 6. Dr. Burgbacher 15. 6. Busch 15. 6. van Delden 15. 6. Deringer 15. 6. Dr. Dittrich 15. 6. Dr. Dörinkel 15. 6. Drachsler 30. 6. Ehnes 15. 6. Eichelbaum 21. 6. Engelbrecht-Greve 16. 6. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 15. 6. Dr. Furler 15. 6. Gerns 15. 6. Gscheidle 15. 6. Dr. Gradl 15. 6. Haage (München) 15. 6. Hahn (Bielefeld) 15. 6. Herold 17. 6. Dr. Hesberg 15. 6. Höfler 16. 6. Illerhaus 15. 6. Kalbitzer 15. 6. Dr. Klein (Berlin) 1. 7. Koenen (Lippstadt) 30. 6. Dr. Kopf 15. 6. Kriedemann 15. 6. Kühn (Bonn) 30. 6. Kühn (Köln) 15. 6. Lohmar 21. 6. Matthöfer 30. 6. Mattick 15. 6. Maucher 15. 6. Mauk 15. 6. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 15. 6. Dr. Menzel 30. 6. Müller (Remscheid) 15. 6. Dr. Nissen 15. 6. Oetzel 15. 6. Paul 15. 6. Dr. h. c. Pferdmenges 15. 6. Pöhler 15. 6. Frau Dr. Probst 15. 6. Rademacher 15. 6. Ramms 15. 6. Reitz 15. 6. Richarts 15. 6. Ruland 15. 6. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Sander 15. 6. Dr. Schäfer 15. 6. Schlick 15. 6. Schmidt (Würgendorf) 15. 6. Schneider (Hamburg) 15. 6. Schultz 15. 6. Schütz 15. 6. Schwabe 15. 6. Seidl (München) 15. 6. Seifriz 15. 6. 'Seither 15. 6. Stiller 16. 6. Storch 15. 6. Frau 'Strobel 15. 6. Strohmayr 15. 6. Unertl 30. 6. Urban 29. 6. Frau Vietje 15. 6. Dr. Vogel 30. 6. Wacher 15. 6. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 15. 6. Dr. Weber (Koblenz) 15. 6. Wilhelm 15. 6. Dr. Zimmermann (München) 15. 6. Anlage 2 Umdruck 124 Änderungsantrag der Abgeordneten Brand, Kurlbaum, Mertes und Genossen zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft (Drucksachen IV/476, IV/421). Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 1 sind die Worte „31. Dezember 1962" zu ersetzen durch die Worte „31. März 1963". Bonn, den 15. Juni 1962 Brand Kurlbaum Mertes Müser Dr. Steinmetz Dr. Althammer Leonhard Stein Lange (Essen) Frau Dr. Rehling Günther Dr. Serres Dr. Conring Junghans Porzner
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    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die Bundesregierung zum erstenmal die Beantwortung unserer Großen Anfrage verweigerte, schrieb sie an den Herrn Bundestagspräsidenten, daß das deshalb geschehe, weil eine Beantwortung nur im Zusammenhang mit der Vorlage von Gesetzentwürfen erfolgen könne. Mit Interesse stellen wir fest, daß der Herr Bundesarbeitsminister sich heute zu einer wenn auch außerordentlich dürftigen Beantwortung unserer Großen Anfrage bereit gefunden hat, ohne Gesetzentwürfe vorzulegen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir gehen wohl nicht fehl, in der Annahme, daß das mit dem außerordentlich ungünstigen Eindruck zusammenhängt, den das Verhalten der Bundesregierung im allgemeinen und des Herrn Bundesarbeitsministers im besonderen — am 22. Februar — in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat.
    Nun, meine Damen und Herren, was der Herr Bundesarbeitsminister hier so „prägnant" vorgetragen hat, ist uns seit Wochen bekannt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warum dann die Anfrage?)

    — Wir waren der bescheidenen Hoffnung, daß die Antwort etwas präziser sein würde als die Pressemitteilung! — Wir sind in dieser Hinsicht sehr enttäuscht worden; denn in der Tat ist das, was der Bundesarbeitsminister heute hier gesagt hat, dürftiger, viel dürftiger als das, was sowohl prominente Sprecher der CDU/CSU-Fraktion — nicht wahr, Herr Kollege Schmücker? — erklärt haben, als auch der Herr Bundesarbeitminister beispielsweise im Bulletin der Öffentlichkeit mitgeteilt hat.
    Wir empfinden dies als eine, ich muß schon sagen: Brüskierung des Parlaments,

    (Beifall bei der SPD)

    daß der Minister heute hier weniger sagt, als er im Bulletin schreibt.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Killat: Der darf nicht mehr sagen!)

    Meine Damen und Herren, man kann ahnen, worin diese Zurückhaltung begründet ist: in sehr erheblichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierungskoalition.
    In diesem Zusammenhang muß ich etwas vorlesen, was der Herr Bundesarbeitsminister schrieb. Er hat in dem Artikel im Bulletin geschrieben: „Wir sind uns in der Koalition über den weiteren Weg einig." — Wenn sich die Koalition über den weiteren Weg einig ist, hat das Parlament ein Recht darauf, zu hören, wohin der weitere Weg gehen soll,

    (Beifall bei der SPD)

    ein Recht darauf, daß nicht die entscheidenden Fragen weiterhin im Nebel gelassen werden.
    Trotz der bemerkenswerten Zurückhaltung, die der Herr Bundesarbeitsminister heute an den Tag legt, hat ter seine Vorstellungen bereits mit Vorschußlorbeeren bedacht. Ich darf aus dem Bulletin vom 5. Juni zitieren: „Wohl selten sind sozialpolitische Vorhaben der Bundesregierung und der CDU/ CSU-Fraktion so zielstrebig, intensiv und umsichtig beraten worden."

    (Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt!)

    — Weiter spricht der Herr Bundesarbeitsminister im Bulletin von einer Entwicklung einer „Gesamtkonzeption,

    (Abg. Ruf: Gott sei Dank!)

    die dem Willen zum Handeln Kraft verleiht und ein Höchstmaß an Erfolgsaussicht begründet." Meine Damen und Herren, das sind große Worte, und gemessen an denen muß das, was heute gesagt wird, als dürftig, als kläglich bezeichnet werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich zur Gesundheitsvorsorge geäußert und erklärt, daß Vorsorgeuntersuchungen eingeführt werden sollten. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen daran erinnern, daß sich eine so allgemein gehaltene Aussage schon in den Leitgedanken des Bundesarbeitsministeriums vom März 1955 findet, also der Öffentlichkeit schon seit über 7 Jahren bekannt ist. In diesen 7 Jahren ist wenig zur Aktivierung der gesundheitlichen Vorsorge geschehen. Liest man den



    Dr. Schellenberg
    Regierungsentwurf zum Krankenversicherungsneuregelungsgesetz nach, zu dem sich der Herr Bundesarbeitsminister sehr nachdrücklich bekannte, so stellt man fest, daß es darin über das Recht auf Vorsorgeuntersuchungen heißt, sie sollen nur Versicherten gewährt werden, die das 40. Lebensjahr bereits vollendet haben, und dann auch nur einmal innerhalb von 3 Jahren.
    Im Hinblick auf diese Tatbestände muß befürchtet werden, daß die Bundesregierung in bezug auf die Vorsorge keine stärkere Aktivität entfalten will als bisher. Eine so mangelnde Initiative ist besonders bedenklich angesichts der Tatsachen, daß über 300 000 Menschen jährlich wegen vorzeitigen Verbrauchs ihrer Gesundheit und ihrer Arbeitskraft für dauernd Rentner werden und daß heute 1 700 000 Arbeiter und Angestellte vorzeitig berufs- und erwerbsunfähig sind. Diese Zahl ist doppelt so hoch wie die Zahl derjenigen, die als Arbeitsunfähige vorübergehend Krankengeld beziehen. In diesen Zahlen spiegelt sich ein schweres persönliches Schicksal für den einzelnen und seine Familie, spiegeln sich aber auch volkswirtschaftliche Probleme wider. Diese Tatbestände und diese Entwicklung dürfen nicht hingenommen werden.
    In diesem Zusammenhang kann ich nicht umhin, auch unserer Enttäuschung darüber Ausdruck zu geben, daß in dem bisherigen Wirken der Frau Ministerin für das Gesundheitswesen keine Aktivierung der Gesundheitsvorsorge sichtbar geworden ist. Sicher lag das zuerst an Ressortschwierigkeiten. Aber das erste Jahr der Legislaturperiode nähert sich seinem Ende, und es sollten zumindest Umrisse dessen erkennbar sein, was die hochverehrte Frau Ministerin zum Ausbau der Gesundheitsvorsorge zu tun gedenkt. Wir haben nämlich mit großem Interesse davon Kenntnis genommen, daß die Frau Ministerin am 21. Mai dieses Jahres dem Bundesgesundheitsrat ausdrücklich ihren Dank für dessen Vorschläge in bezug auf jährliche Vorsorgeuntersuchungen für alle Altersgruppen ausgesprochen hat. Wir sind deshalb erstaunt, daß die Frau Ministerin die Bundesregierung offenbar nicht veranlassen konnte, diesen Erkenntnissen in der Antwort auf unsere Große Anfrage klareren Ausdruck zu verleihen.
    Nun zu einem anderen großen sozialpolitischen Problem: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Wir haben seit sieben Jahren in diesem Hause immer wieder eine echte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gefordert. Durch unsere Bemühungen sind Verbesserungen in der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erreicht worden. Eine volle Lohnfortzahlung wurde aber bisher von der Mehrheit abgelehnt. Deshalb hören wir mit besonderer Freude, — —

    (Zuruf des Abg. Katzer.)

    — Mit besonderer Freude, selbstverständlich! Herr Kollege Katzer, ich komme nachher auch noch auf Sie zu sprechen, weil ich mit Ihnen in verschiedener Hinsicht gleicher Auffassung bin.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Wir sind also besonders erfreut darüber, daß sich nunmehr auch die Bundesregierung zur Lohnfortzahlung bekennt, wenn auch aus der Antwort des Herrn Bundesarbeitsministers, soweit ich ihn verstanden habe, ein sehr entscheidender Punkt — ob es sich nämlich um eine Lohnfortzahlung auf arbeitsrechtlicher oder auf versicherungsrechtlicher Grundlage handelt — nicht erkennbar ist.

    (Abg. Ruf: Was heißt denn Lohnfortzahlung anders?)

    — Ich hätte mich sehr gefreut, wenn gerade in dieser Hinsicht von dem Herrn Bundesarbeitsminister die Formulierungen sehr präzise gewählt worden wären.

    (Abg. Stingl: Es war von Gleichstellung und voller Lohnfortzahlung die Rede!)

    — Unter voller Lohnfortzahlung versteht der andere Koalitionspartner etwas anders als Sie in der CDU; jedenfalls war das bisher der Fall. Wir würden uns freuen, wenn Sie nun zu einer gemeinsamen Auffassung über die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung gekommen sind. Noch mehr würden wir uns freuen, wenn Sie dafür präzise Gesetzesformulierungen vorgelegt hätten.

    (Abg. Dr. Barzel: Genießen Sie die Vorfreude!)

    — Ich verstehe Sie leider nicht, Herr Kollege Barzel.

    (Abg. Dr. Barzel: Ich wollte Sie ermuntern, die Vorfreude zu genießen!)

    — Ich will Ihnen sagen, weshalb ich mich ganz besonders freue: weil sich in der Regierungserklärung noch kein Wort über die Lohnfortzahlung findet. Wir dürfen deshalb wohl annehmen, daß die Mitteilung des Herrn Bundesarbeitsministers über die Lohnfortzahlung — ich will bescheiden sein — in einem gewissen Zusammenhang mit unserer Großen Anfrage 'steht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Lohnfortzahlung hat eine materielle und eine gesellschaftspolitische Seite. Was die wirtschaftliche Seite betrifft, so wird seit dem letzten Verbesserungsgesetz, abgesehen von dem einen Karenztag, insgesamt der volle Nettolohn bei Krankheit gewährt. Aber der Arbeiter hat durch seinen Krankenversicherungsbeitrag einen erheblichen Teil hiervon mitzufinanzieren.
    Wir begrüßen es, daß die Heranziehung des Arbeiters zur Finanzierung des vollen Lohnes bei Krankheit fortfallen soll.
    Niemand verkennt, daß die Übernahme der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber einen Fortschritt bedeutet. Wir verkennen auch nicht, daß das eine wirtschaftliche Belastung für den Arbeitgeber darstellt. Man soll jedoch das Ausmaß auch nicht übertreiben, wie es manche Leute tun. Das Ganze kostet ungefähr — wenn ich schätzen darf —31/2 Prozent des Lohneis. 11/2% werden durch die Beitragsermäßigung aufgefangen, so daß eine Neubelastung des Arbeitgebers von rund 2 % des Lohnes bleibt. 1 % soll durch das Kindergeld ausgeglichen werden. Es ergibt sich somit eine effektive neue Belastung der Arbeitgeber in einer Größenordnung von etwa 1 % des Lohnes. Das ist eine Mehrleistung. Aber man soll sie auch nicht, wie es



    Dr. Schellenberg
    von mancher Seite geschieht, finanziell gewissermaßen dramatisieren, indem man erklärt, auf die Wirtschaft kämen dadurch außerordentliche Belastungen zu.
    Wir haben mit Interesse auch davon gehört, daß ein Ausgleich für kleinere Unternehmungen vorgesehen ist. Das haben wir seit Jahren gefordert.
    Das ist die eine Seite der Angelegenheit, die wirtschaftliche. Die andere Seite ist das gesellschaftspolitische Anliegen. „Es sind Konsequenzen aus der Wandlung der Gesellschaft zu ziehen, d. h. die Deklassierung des Arbeiters gegenüber des Angestellten ist zu beseitigen."

    (Beifall bei der SPD.)

    Das sind nicht meine Worte, sondern Ihre Worte, Herr Kollege Katzer, und deshalb haben Sie wohl beifällig genickt.

    (Abg. Stingl: Das ist auch unsere Meinung!)

    — Aus dem, was der Herr Bundesarbeitsminister hier erklärt hat, haben wir aber kein eindeutiges Bekenntnis zu diesem gesellschaftspolitischen Anliegen entnehmen können! Deshalb bleibt die Frage offen, ob gegenüber dem kranken Arbeiter weiterhin Sondermaßnahmen in Gestalt von Nachuntersuchungen beibehalten oder sogar verschärft werden sollen.
    Seitdem die Lohnfortzahlung diskutiert wird, wird behauptet, der Krankenstand habe sich seit dem ersten Leistungsverbesserungsgesetz in besorgniserregender Weise verschlechtert.

    (Zuruf von der Mitte: In der Tat!)

    Man wird, wenn man das immer wieder hört, den Eindruck nicht los, daß damit entweder „bewiesen" werden soll, der Arbeiter sei eigentlich noch nicht reif für eine volle Lohnfortzahlung, oder daß damit zumindest gesagt werden soll: Wenn eine volle Lohnfortzahlung gewährt wird, muß sie mit Sondermaßnahmen, mit einer verschärften Nachuntersuchung, gekoppelt werden.
    Der Bundesarbeitsminister hat über diesen sehr wichtigen gesellschaftspolitischen Bereich geschwiegen. Um so deutlicher hat sich aber Herr Kollege Schmücker dazu geäußert, und zwar in offizieller Eigenschaft, nämlich als Vorsitzender des Arbeitskreises der CDU/CSU-Fraktion. Herr Kollege Schmücker hat erklärt, daß im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des subjektiven Risikos — womit er den Mißbrauch insbesondere durch Arbeiter meinte — ergriffen werden müssen.
    Selbstverständlich muß sich jeder, der Verantwortung trägt, Gedanken über den Krankenstand machen und auch Überlegungen hinsichtlich der Entwicklung der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung anstellen. Niemand — auch von uns — bestreitet, daß es in der Krankenversicherung Mißbräuche gibt.

    (Abg. Ruf: Na also!)

    — Ja, aber, meine Damen und Herren und insbesondere Herr Kollege Ruf, entscheidend ist etwas ganz
    anderes! Entscheidend ist, ob Mißstände in einem
    Ausmaß vorliegen, das ein Eingreifen des Gesetzgebers zur Beseitigung dieser Mißstände unbedingt erforderlich macht. Herr Kollege Schmücker hat diese Auffassung vertreten. Er war insofern Sprecher einer in der Öffentlichkeit und wahrscheinlich auch bei den Mehrheitsparteien überwiegend vertretenen Auffassung. Deshalb möchte ich dazu einige Bemerkungen machen.
    Erstens. Die Steigerung der Ausgaben der Krankenversicherung ist keineswegs allein durch die Entwicklung des Krankenstandes bedingt,

    (Abg. Ruf: Keineswegs allein!)

    sondern vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, nämlich die Rentnerkrankenversicherung, das Kassenarztrecht und die beiden Leistungsverbesserungsgesetze. Jeder, der diesen Gesetzen zugestimmt hat, mußte wissen, daß sich hieraus finanzielle Auswirkungen für die gesetzliche Krankenversicherung ergeben. Deswegen darf man für diese finanziellen Auswirkungen nicht die Arbeiter verantwortlich machen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind bereit, die Verantwortung für diese finanzielle Entwicklung zu tragen, und verwahren uns dagegen, daß man diese Entwicklung auf einen angeblichen Mangel an Verantwortungsbewußtsein der Arbeiter zurückzuführen sucht.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Wer behauptet denn das?)

    — Fragen Sie Herrn Kollegen Schmücker; ich werde noch einiges dazu sagen.

    (Abg. Schmücker: Versuchen Sie einmal, vernünftig zu lesen! Sie verallgemeinern! — Abg. Arndgen: Sie stellen Behauptungen auf, und dann polemisieren Sie gegen Ihre eigenen Behauptungen!)

    — Ich kann Ihnen, wenn Sie es wünschen, den genauen Text der Ausführungen des Herrn Kollegen Schmücker vorlesen. Herr Kollege Schmücker ist im Hause und hat die Möglichkeit, sich dazu zu äußern.
    Ich möchte ein Zweites zu seinen Gedankengängen sagen: unbestreitbar ist der Krankenstand gestiegen. Auch das hat Herr Schmücker gesagt. Aber auch diese Entwicklung mußte jeder voraussehen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Daß der Krankenstand steigt?)

    der den Leistungsverbesserungsgesetzen zugestimmt hat. Wenn die Zahl der Karenztage von drei auf einen verkürzt oder die Leistungsdauer von 26 auf 78 Wochen verlängert wird, muß sich der Krankenstand erhöhen.

    (Abg. Schmücker: Haargenau das habe ich erwähnt!)

    — Herr Kollege Schmücker, Sie haben daraus aber die Folgerung gezogen, man müsse den vertrauensärztlichen Dienst verschärfen.

    (Abg. Schmücker: Der Meinung bin ich auch!)




    Dr. Schellenberg
    Diese Folgerung ist gesellschaftspolitisch gefährlich, sage ich Ihnen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Drittens. Neben weiteren objektiven Faktoren, die wir alle kennen — die Einbeziehung auch gesundheitlich geschwächter Menschen in den Arbeitsprozeß — gibt es natürlich auch ein subjektives Risiko. Es gibt aber nicht nur ein subjektives Risiko der Arbeiter, sondern es gibt auch, wenn Sie so sagen wollen, ein subjektives Risiko der Unternehmer. Wir wissen nämlich, daß der Krankenstand auch mit dem Betriebsklima zusammenhängt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Für das Betriebsklima ist doch wohl im wesentlichen der verantwortlich, .der einen Betrieb leitet.

    (Abg. Bauer [Wasserburg]: Eine gewisse Betriebspraxis täte Ihnen gut! — Weitere Zurufe.)

    — Aber Herr Kollege, ich habe ein Berufsleben seit dem 15. Lebensjahr hinter mir.

    (Zuruf des Abg. Memmel.)

    — Ich verstehe Sie nicht. Vielleicht sind Sie so liebenswürdig und melden sich zu einer Zwischenfrage; dann will ich sie gern beantworten.


Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Zwischenfrage ja, aber keine Dialoge!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Noch ein weiteres, meine Damen und Herren. Man darf nicht so tun und sollte nicht so tun, als ob sich lediglich in der gesetzlichen Krankenversicherung die Ausgaben erhöht hätten; sie haben sich nämlich auch in der privaten Krankenversicherung mit dem sogenannten Pro-Kopf-Betrag von 1954 auf 1960 von 100 % auf 163 % erhöht.

    (Abg. Killat: Also gestiegen trotz Selbstbeteiligung!)

    Die Ursache hierfür liegt u. a. auch in der Entwicklung der Medizin, die bewirkt hat, daß sich wesentliche, beachtenswerte Veränderungen im Altersaufbau und hinsichtlich der Sterblichkeit vollzogen haben. Aber wir alle wissen doch, daß „Länger leben" leider nicht heißt „Länger gesund bleiben".

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Noch ein letztes Wort zu dem, was Herr Kollege Schmücker als Vorsitzender der CDU-Kommission erklärte. Sie haben ausschließlich mit den Nominalausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung operiert; Sie haben 'darüber hinaus sogar so etwas wie eine versicherungstechnische Bilanz für die Zukunft gegeben — für die Rentenversicherung warten wir immer noch auf eine versicherungstechnische Bilanz —, Sie haben eine Vorausberechnung der Krankengeldausgaben für die nächsten Jahre gemacht. Gut! Aber Sie haben lediglich mit den Nominalausgaben operiert. Gerade im Hinblick auf Ihre .großen wirtschaftspolitischen Erfahrungen hätte man doch erwarten dürfen, daß Sie die Entwicklung der Ausgaben der Krankenversicherung auch zu der
    gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zum Sozialprodukt in Beziehung setzen. Wenn man die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung seit 1958, also seit vollem Wirksamwerden des ersten Leistungsverbesserungsgesetzes, zum Bruttosozialprodukt in Beziehung setzt, erkennt man, daß sie mit 2,5 % des Bruttosozialproduktes seit dem ersten Leistungsverbesserungsgesetz gleichgeblieben sind.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Ruf: Es wäre traurig, wenn es anders gewesen wäre!)

    Diese Ausgaben haben lediglich mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Schritt gehalten und sind nicht über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hinaus — das ist doch das Kriterium — gewachsen.
    Ungeachtet dieser Tatsachen hat der Kollege Schmücker als Sprecher des Arbeitskreises der CDU/ CSU eine Verschärfung der Nachuntersuchung gefordert, und aus Ihrem Zwischenruf, Herr Kollege Schmücker, darf ich wohl entnehmen, daß Sie sich zu dieser Forderung bekennen.
    Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich zu diesen Sondermaßnahmen nicht geäußert. Das ist eine sehr wichtige Frage, und wir vermissen deshalb eine Äußerung. Ein Schweigen zu diesem gesellschaftspolitischen Bereich, hat, wenn man gleichzeitig Lohnfortzahlung ankündigt, sicher bestimmte taktische Gründe. Im übrigen hat der Herr Bundesarbeitsminister selber in dem früheren Gesetzentwurf — in § 205 — folgendes gefordert:
    Der Versicherte hat die Arbeitsunfähigkeit innerhalb von zwei Tagen dem Beratungsärztlichen Dienst mitzuteilen. Wird diese Mitteilung später gemacht, so ruht der Anspruch auf Krankengeld.
    Damals, beim Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz, hatte der Bundesarbeitsminister eine Verschärfung des vertrauensärztlichen Dienstes vorgeschlagen, obwohl keine Lohnfortzahlung beabsichtigt war.
    Aber auch andere repräsentative Sprecher der CDU/CSU, hochverehrter Herr Kollege Stingl, haben sich erst kürzlich im gleichen Sinne geäußert. Ich möchte deshalb zitieren, und zwar aus dem „Bonner Informationsdienst":
    Insoweit
    — schrieb Herr Kollege Stingl! —
    wird sich auch die Stellung des bisherigen vertrauensärztlichen Dienstes verändern müssen. Er sollte Kenntnis bekommen von jedem Fall, der zur Arbeitsunfähigkeit führt.
    Das bedeutet praktisch eine wesentliche Verschärfung des vertrauensärztlichen Dienstes.

    (Abg. Stingl: Nein! Aber dazu sage ich nachher etwas!)

    — Aber bitte schön, Herr Kollege Stingl! Wenn jeder Fall der Arbeitsunfähigkeit gemeldet werden soll, kann das nur den Sinn haben, daß es zu einer



    Dr. Schellenberg
    Verschärfung des vertrauensärztlichen Dienstes führt.

    (Abg. Stingl: Nein! Mir ist der Arzt lieber als der Schalterbeamte! Das wissen Sie doch!)

    — Herr Kollege Stingl, Sie können sich nachher dazu äußern. Der Sinn der Meldung aller Fälle von Arbeitsunfähigkeit an den vertrauensärztlichen Dienst ist doch nicht nur Verwaltungstätigkeit, sondern er liegt auch darin, daß die Nachuntersuchung intensiviert wird. Ich habe Sie im übrigen nur in Ergänzung zu Herrn Kollegen Schmücker zitiert, und Herr Kollege Schmücker hat das sehr klar und deutlich gesagt.
    Was ist die gesellschaftspolitische Konsequenz? Wenn Sprecher der Regierungsparteien in Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung eine Verschärfung des vertrauensärztlichen Dienstes fordern, so richtet sich das wesentlich gegen die Arbeiter.

    (Widerspruch in der Mitte. - Abg. Arndgen: Das ist nicht wahr!)

    — Aber, Herr Kollege Arndgen, melden Sie sich bitte nachher zum Wort und machen Sie nicht derartige Zwischenrufe. Eine solche Bemerkung müssen Sie schon begründen.

    (Abg. Arndgen: Das wird auch geschehen!)

    Das ist eine Unterstellung, und die kann ich Ihnen nicht abnehmen; dazu weiß ich von der Angelegenheit genug.
    Sie verkünden eine Gleichstellung im Krankheitsfall. Das wurde hier soeben auch durch Zwischenrufe betont. Sofern Sie sich nicht anders äußern, bedeuten die erwähnten Stellungnahmen, daß Sie gleichzeitig die Sondermaßnahmen der Nachuntersuchung gegenüber den Arbeitern verschärfen wollen. Das würde bedeuten, laß der eine Pfichtversicherte, weil er Angestellter ist, keiner solchen verschärften Nachuntersuchung unterliegt, aber der andere laut Gesetz sofort dem vertrauensärztlichen Dienst gemeldet werden soll, und zwar nur deshalb, weil er Arbeiter ist.

    (Abg. Arndgen: Das ist wieder eine solche von Ihnen aufgestellte Behauptung, gegen die Sie dann polemisieren! Genau das, was ich vorhin gesagt habe!)

    — Aber, Herr Kollege Arndgen, eis ist doch von CDU-Seite erklärt worden, daß jeder Arbeitsunfähige dem vertrauensärztlichen Dienst gemeldet werden soll. Bitte sagen Sie, wie Sie es regeln wollen!

    (Zuruf rechts: Wir haben jetzt keine Lesung des Gesetzes!)

    — Bedauerlicherweise nicht! Wir hätten sie gern; wir warten nämlich sehr auf eine genaue Stellungnahme.

    (Beifall bei der SPD.)

    Solange das alles nicht durch einen eindeutigen Gesetzestext klargestellt ist, müssen wir auf Grund Ihrer Erklärungen daran festhalten, daß Sie Maßnahmen beabsichtigen, die Ausdruck des Mißtrauens gegenüber dem Arbeiter sind.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Wenn Sie den vertrauensärztlichen Dienst gegenüber dem Arbeiter verschärfen wollen, so ist das, um den Begriff von Herrn Katzer wiederaufzunehmen, eine Deklassierung des Arbeiters. Darüber kann auch die Ankündigung einer Lohnfortzahlung — ob auf arbeitsrechtlicher oder versicherungsrechtlicher Grundlage, kann ich im einzelnen nicht untersuchen — nicht hinwegtäuschen.
    Auch sonst lassen die Vorstellungen der Bundesregierung ein Mißtrauen — ich muß sogar sagen: ein tiefes Mißtrauen — gegenüber der versicherten Bevölkerung erkennen. Ich möchte in dieser Hinsicht zu dem kommen, was der Herr Bundesarbeitsminister hier nur sehr allgemein durch den Begriff „individueller Beitrag" umrissen hat. Ferner erklärte er im Bulletin:
    Die Verantwortung gegenüber der Krankenversicherung muß gestärkt werden.
    Er fuhr dann fort:
    Dieser Gedanke muß im Mittelpunkt des Reformwerks stehen.

    ( Abg. Memmel: Ist das kein guter Satz?)

    — Ich will Ihnen sagen, was der Herr Bundesarbeitsminister damit gemeint hat; dann können Sie sagen, ob der Satz gut ist oder nicht. Er hat nämlich — ich habe dies früher schon einmal erwähnt und muß es nochmals tun, weil es hiermit im Zusammenhang steht — am 3. Dezember 1961 auf dem CDU-Parteitag des Kreises Wiedenbrück erläutert: In dem Arbeiter muß noch mehr als bisher das Gefühl der Verantwortung entwickelt werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! — Abg. Memmel: Ein sehr guter Satz!)

    Zu diesen Methoden gehört nicht nur die Absicht, den vertrauensärztlichen Dienst zu verschärfen, sondern auch jener Plan des Individualbeitrags.
    Meine Damen und Herren, der Begriff trifft die Sache, um die es geht, nicht. Es handelt sich faktisch um eine indirekte Kostenbeteiligung. Insofern hat sich an der Konzeption des Bundesarbeitsministers gegenüber dem Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz nichts geändert. Die Technik wird geändert. Wenn wir bei dem Beispiel des „Pakets" bleiben wollen, von dem mein Kollege Rohde gesprochen hat, kann man sagen: Die Verpackung hat sich geändert, aber die Konzeption ist die gleiche geblieben.
    Soweit wir zu den bisher leider sehr verschwommenen Bemerkungen über den Individualbeitrag Feststellungen treffen können, ist folgendes dazu zu sagen. Ansatzpunkt für diesen neuen Versuch, auf indirektem Wege zur Kostenbeteiligung zu kommen, ist der Umstand, daß sich im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung der Beitragsanteil des versicherten Arbeiters reduziert. Dieser gleiche Anteil soll aber in Gestalt eines Individualbeitrages erhoben werden, so daß die Gesamtbelastung unverändert bleibt. Der Unterschiedsbetrag, der sich für die 12,7 Millionen Arbeiter im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung ergibt, soll in Gestalt eines Individualbeitrags oder Zusatzbeitrags erhoben werden.



    Dr. Schellenberg
    Zweitens, meine Damen und Herren, habe ich die Frage: Wie soll denn die Sache mit dem Individualbeitrag für die Rentner, für die Angestellten und für die freiwillig Versicherten geregelt werden? Der Bundesarbeitsminister hat sich auch hierzu nicht geäußert. Jeder, der die Zusammenhänge kennt, weiß, daß man ein solches System auch für die anderen Versicherten einführen müßte. Das würde für die Angestellten, für die Rentner, für die freiwillig Versicherten, für die sich keine Umgestaltung bei der Lohnfortzahlung ergibt, ausschließlich eine zusätzliche Belastung bedeuten. Für den größten Teil aller Versicherten — zusammen über 15 Millionen Versicherte — drohen Zusatzbeiträge, ganz abgesehen von dem Verwaltungsproblem, das damit zusammenhängt.
    Ich bezweifle, daß sich diejenigen, die den Individualbeitrag ersonnen haben, klargemacht haben, was das verwaltungsmäßig bedeuten muß. Vielleicht hat sich der Herr Bundesarbeitsminister deshalb so außerordentlich zurückhaltend geäußert. Der Individualbeitrag bedeutet nämlich, daß für 27,8 Millionen Versicherte einzelne Beitragskonten errichtet werden müssen und für jede Beitragszahlung und Lohnfortzahlung eine Buchung dieses Anteils wird erfolgen müssen.

    (Abg. Ruf: Nein!)

    — Herr Kollege Ruf, vielleicht sagen Sie uns einmal Ihr Patentrezept. Ich würde es gern einmal kennenlernen.
    Bisher haben die Sachverständigen das Problem nicht lösen können. Alle Sachverständigen, mit denen man in „Geheimbesprechungen" dies und jenes erörterte, erklärten, der Individualbeitrag müsse dazu führen, daß etwa eine halbe Milliarde Beitragsbuchungen erforderlich sind, wobei auch die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen ist. Aber das ist nur die eine Seite der Sache. Die andere Seite sind die Leistungsbuchungen. Darüber haben wir Unterlagen aus dem Entwurf des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes. Anhand deren können wir ermessen, welche Leistungsbuchungen, für die die Kostenbeteiligung zu verrechnen ist, zu erwarten sind. Dies würden zirka weitere rund eine halbe Milliarde Leistungsbuchungen sein. Insgesamt wären also, Beitrags- und Leistungsbuchungen zusammen, rund eine Milliarde Buchungen erforderlich. Am Ende des Jahres müßte dann wohl ein Abschluß und eine Verrechnung mit über 27 Millionen Versicherten erfolgen.
    Ich muß in diesem Zusammenhang noch einmal Herrn Kollegen Schmücker ansprechen, der sich zu dieser Sache geäußert hat und der Repräsentant derjenigen ist, die das wollen, worüber der Herr Bundesarbeitsminister geschwiegen hat. — Alle Sachverständigen haben in den „Geheimbesprechungen" gegenüber den Vertretern des Bundesarbeitsministers erklärt, der Individualbeitrag würde — weil man bei den 2000 Kassen die Großbuchungsanlagen leider nicht einsetzen kann — etwa 20- bis 25 000 Angestellte zusätzlich erfordern. Von „Geheimbesprechungen" spreche ich übrigens deshalb, weil das Ministerium gesagt hat,
    es müßte strengstes Stillschweigen gewahrt werden. Na ja, „strengstes Stillschweigen" herrschte auch über die Beratungen in den fünf verschiedenen Ausschüssen, die Sie von der CDU gebildet haben, und dennoch hat die Presse vielfältig darüber berichtet, und auch einzelne von Ihnen haben darüber gesprochen.

    (Abg. Stingl: Da geht es uns allen gleich!)

    — Ich bin leider auf Kombinationen angewiesen. Ich wäre froher, wenn der Herr Bundesarbeitsminister sich präzise geäußert hätte. Dann hätten wir uns konkreter auseinandersetzen können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Sachverständigen also haben die Vertreter des Bundesarbeitsministers darauf hingewiesen, welchen Verwaltungsaufwand die Neuregelung bedeuten würde. Demgegenüber wurde von den Vertretern des Bundesarbeitsministers erklärt: Aber die Politiker wollen aus politischen Gründen den Individualbeitrag! — Herr Kollege Schmücker, das kommt sehr nahe dem Wort, das Sie einmal in einer Kindergelddebatte gebraucht haben.

    (Abg. Schmücker: Und das Ihre Kollegen im Ausschuß — allerdings nicht so gut formuliert — bei jeder „passenden" Gelegenheit gebrauchen!)

    — Für die neuen Kollegen darf ich erklären, um welche Äußerung es sich handelt: „Wir lassen uns durch den größeren Sachverstand nicht von unserer politischen Linie abbringen." Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich — insofern stehen Sie gar nicht allein, Herr Kollege Schmücker — in anderem Zusammenhang, nämlich beim Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz, in ähnlicher Weise geäußert. Er erklärte: „Wenn man eine Stärkung der Selbstverantwortung für ein hohes Ziel hält, muß man grundsätzlich auch einen höheren Verwaltungsaufwand in Kauf nehmen." — Herr Kollege Stingl, Sie nicken zustimmend; dann muß ich auch Ihre Ausführungen zitieren. Sie haben kürzlich nämlich sehr prägnant gesagt: „Wer das Verantwortungsbewußtsein stärken will, muß den Kassen bürokratische Mehrarbeit zumuten."

    (Abg. Stingl: Das ist noch immer meine Meinung! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

    — Meine Damen und Herren, da sind wir sehr unterschiedlicher Auffassung.

    (Abg. Schmücker: Endlich mal wieder Unterschiede! — Heiterkeit.)

    Sie scheinen übersehen zu haben, daß schon gegenwärtig nach der Sozialbilanz für alle Bereiche der sozialen Sicherung 2,462 Milliarden DM Verwaltungsaufwendungen entstehen. Wir sind der Auffassung, daß dieser enorm hohe Verwaltungsaufwand im sozialen Bereich für alle, die Verantwortung tragen, Anlaß zu der Überlegung sein sollte, wie man die Dinge vereinfachen kann.

    (Beifall bei der SPD — Abg. Stingl: Die Einheitsversicherung ist am Ende nicht billiger! — Zuruf des Abg. Ruf.)




    Dr. Schellenberg
    und daß man nicht Vorschläge ersinnen sollte, durch die die soziale Sicherung weiter kompliziert und verteuert wird. Das liegt weder im Interesse der sozialen Sicherung im allgemeinen noch der Menschen, um die es geht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, deshalb sind ihre Vorstellungen über den Individualbeitrag noch unausgegoren. Das ist wohl auch der Grund, weshalb sich der Bundesarbeitsminister so sehr allgemein geäußert und in keiner Weise präzise Stellung genommen hat.

    (Abg. Ruf: Warten Sie doch die Einbringung des Gesetzes ab!)

    — Wir haben Verständnis für Sie, Herr Kollege Ruf. Sie standen unter dem Druck unserer großen Anfrage,

    (Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU)

    Sie mußten sich endlich einmal stellen und hatten deshalb nicht ausreichend Zeit, sich die Sache hinsichtlich der Durchführbarkeit gründlich genug zu überlegen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — So, Sie wollen gründlich überlegen? Dann wird noch einige Zeit vergehen, bis etwas auch nur verwaltungstechnisch Praktikables vorgelegt wird; das sage ich heute schon.

    (Abg. Schmücker: Reden Sie in der Zwischenzeit!)

    — Aber, Herr Kollege Schmücker, wir haben doch wohl eigene Gesetzentwürfe vorgelegt, andere werden noch folgen; darauf können Sie sich verlassen!

    (Abg. Ruf: Von uns abgeschrieben!)

    Noch einige Bemerkungen zu der Frage des Individualbeitrages. Bisher wurde im Zusammenhang mit der Kostenbeteiligung erklärt, ihr Sinn sei, Bagatellefälle zu vermeiden. Was ergibt sich aber aus dem System, das Sie hier erwägen?

    (Zuruf von der Mitte: Weil es gar nicht stimmt!)

    Bei diesem System muß es so sein, daß selbst bei mehreren Bagatellfällen die indirekte Kostenbeteiligung geringer ist als bei nur einem einzigen schweren Krankheitsfall. Bei der Größenordnung nämlich, um die es sich handelt bei einem Durchschnittseinkommen von 500 DM, stehen immerhin entweder 60 DM oder 120 DM Kostenbeteiligung auf dem Spiele, je nachdem, ob der Satz von 1 % oder 2 % für den Individualbeitrag genommen wird. Bei einer ernsthaften Erkrankung ergibt sich somit insgesamt eine empfindliche Belastung der Familie, nämlich mit 60 oder 120 DM bei einem Einkommen von 500 DM monatlich.

    (Abg. Stingl: Die nehmen Sie dafür durch Beitragserhöhungen jeder Familie, auch der nicht kranken Familie, längst ab bei Ihrem System!)

    — Welche Beitragserhöhungen haben wir beschlossen, Herr Kollege Stingl?

    (Abg. Stingl: Bei dem System, das Sie befürworten, steigen die Beiträge ständig, und sie belasten die Familie um so mehr!)

    — Aber, Herr Kollege Stingl, wir wollen doch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle ohne Sonderbeitrag. Wo steigen da die Beiträge? Da werden sie gesenkt, während Sie eine indirekte Kostenbeteiligung einführen wollen.

    (Zuruf von der FDP.)

    — Ich habe Ihre Bemerkung nicht verstanden. (Erneuter Zuruf von der FDP.)