Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nach der Verabschiedung des Vierten Rentenanpassungsgesetzes legt meine Fraktion dem Hause einen Entschließungsantrag auf Umdruck 3 vor, der ein Problem betrifft, mit dem wir uns bei sozialpolitischen Debatten und insbesondere bei den Rentenanpassungsgesetzen der letzten Jahre immer wieder beschäftigen mußten. Es handelt sich dabei um die leidige Frage der Bestimmungen über die gegenseitige Anrechnung der durch das Rentenanpassungsgesetz erhöhten Rentenzahlbeträge auf die anderen Sozialleistungen, insbesondere auf die Leistungen aus der Kriegsopferversorgung, aus der Lastenausgleichsgesetzgebung und aus der Bundesentschädigungsgesetzgebung.
Die Regelung, die man hier leider immer wieder getroffen hat — gegen unsere Vorstellungen, gegen unseren Willen und auch gegen unsere Änderungsanträge —, hat man in der Öffentlichkeit und auch hier im Hause mit dem Wort „Es wird mit der einen Hand gegeben und mit der anderen Hand wieder genommen" oder mit dem anderen Wort charakterisiert: „Der Staat steckt gleichzeitig beide Hände in die Taschen des Rentners, die eine Hand gibt, und die andere nimmt wieder."
Um auch den Kolleginnen und Kollegen, die neu in den Bundestag gekommen und mit dem Problem noch nicht im einzelnen vertraut sind, und um auch uns anderen, die wir schon länger diesem Hause angehören, die Situation noch einmal sehr deutlich und klar vor Augen zu führen, möchte ich darauf hinweisen, daß die 5%ige Rentenerhöhung, die wir jetzt beschlossen haben, für die Monate Januar bis Mai 1962 auf andere Sozialleistungen nicht angerechnet wird; es gibt also bis Mai nächsten Jahres so etwas wie eine Schonfrist. Aber dann, ab Juni 1962, setzt die gegenseitige Anrechnung auf andere Sozialleistungen mit voller Schärfe und mit aller Härte ein. Das heißt also, die von uns beschlossenen erhöhten Rentenzahlbeträge werden auf andere Sozialleistungen voll angerechnet, so daß der davon betroffene Personenkreis praktisch von dieser Erhöhung völlig ausgeschlossen bleibt. Ein Beispiel: Bei einem Rentner, der eine 5%ige Erhöhung aus diesem Rentenanpassungsgesetz bekommt, der gleichzeitig noch Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleichsgesetz oder eine Ausgleichsrente aus der Kriegsopferversorgung bezieht, wird am 1. Juni dieser erhöhte Rentenzahlbetrag völlig auf die andere Sozialleistung angerechnet, d. h. diese Erhöhung wird ihm abgezogen.
Dabei, meine Damen und Herren, handelt es sich nicht etwa um einen kleinen Personenkreis. Allein schon bei den Kriegsopfern kann man wohl mit zirka 1,1 Millionen Rentnern rechnen, die davon betroffen werden. Hinzu kommen die Vertriebenen und Flüchtlinge, die Bezieher von Renten aus dem
Bundesentschädigungsgesetz, die gleichzeitig Sozialversicherungsrentner sind.
Es ist völlig verständlich, daß eine solche Regelung bei den Betroffenen immer wieder bitterste Enttäuschung ausgelöst hat. Wir haben diese Regelung von jeher abgelehnt. Wir haben sie als völlig untragbar dargestellt, wobei wir uns, meine Damen und Herren von der CDU — das möchte ich in diesem Zusammenhang doch noch einmal sagen —, immer in guter Gesellschaft befunden haben, nämlich in der Gesellschaft Ihres Parteivorsitzenden, unseres Bundeskanzler, der bereits 1957, damals im Wahlkampf, diese Regelung verurteilt hat, — wohlgemerkt: verurteilt hat.
Wir wollen mit unserem Entschließungsantrag erreichen, daß die Bundesregierung beauftragt wird, ernsthafte und gewissenhafte Überlegungen anzustellen, damit diese Härten endlich beseitigt werden, die sich bei dieser gegenseitigen Anrechnung auf andere Sozialleistungen ergeben.
Anträge, die wir in den letzten Jahren bei der Beratung der Rentenanpassungsgesetze gestellt haben, wurden von Ihnen immer mit der Begründung abgelehnt, daß man die Anrechnungsbestimmungen nur über die anderen einschlägigen Gesetze ändern könne. Sie haben mit diesem Argument auch jetzt wieder im Ausschuß unseren Antrag abgelehnt — ich verweise dabei auf den Bericht des Herrn Berichterstatters —, in dem er diese Situation geschildert hat.
Nun, meine Damen und Herren, wir haben heute deshalb einen Weg gesucht, den Sie, wie wir meinen, nun eigentlich nicht ablehnen können, weil es uns unerfindlich wäre, wenn Sie etwa mit Gegenargumenten diesen unseren Entschließungsantrag ablehnen wollten. Wir legen Ihnen heute unseren Entschließungsantrag vor, der die Bundesregierung beauftragt,
dem Bundestag Gesetzentwürfe zur Beseitigung der Härten vorzulegen, die sich bei der Anrechnung der durch die Rentenanpassung erhöhten Rentenzahlbeträge auf 'aridere Sozial- und Entschädigungsleistungen ergeben. Dabei sind insbesondere das Bundesversorgungsgesetz, das Bundesentschädigungsgesetz und das Lastenausgleichsgesetz in der Weise zu ändern und zu ergänzen, daß künftig Erhöhungen von Renteneinkommen und anderen Einkommen nicht mehr Leistungsminderungen bewirken, wenn und soweit die Einkommensverbesserungen den Vomhundertsatz der Rentenanpassung nicht übersteigen. Die Gesetzentwürfe sind idem Bundestag bis zum 30. April 1962 vorzulegen.
Dabei möchte ich auch gleich zu dem Entschließungsantrag Stellung nehmen, den die beiden Fraktionen der Regierungskoalition eingebracht haben. Er beschäftigt sich mit 'demselben Problem. Aber, meine Damen und Herren, nehmen Sie es uns nicht übel, wenn wir sagen: Dieser Entschließungsantrag scheint uns doch reichlich schwach zu sein. Man hat den Eindruck, als solle er geradezu eine Ablenkung von unserem weitaus konkreteren Entschließungsantrag sein. Sie sprechen hier davon, daß die Bundesregierung ersucht werden soll, „zu prüfen, ob und
168 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. Dezember 1961
Frau Korspeter
inwieweit die in den verschiedenen Zweigen des sozialen Leistungsrechtes geltenden Abrechnungsbestimmungen reformbedürftig sind". Meine Damen und Herren, das wissen wir doch schon lange, daß diese Anrechnungsbestimmungen reformbedürftig sind. Das hat ja ihr Parteivorsitzender schon vor einer Reihe von Jahren gemerkt und auch beanstandet.
Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen, und zwar bitten wir darum, gleich heute und hier über unseren Entschließungsantrag abzustimmen, weil wir der Meinung sind, daß das Problem so klar liegt, daß durchaus die Möglichkeit besteht, heute über ihn eine Abstimmung durchzuführen.