Rede von
Arthur
Killat
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Mit den Änderungsanträgen auf Umdruck 2 Ziffern 2 und 3 fordern wir die Einfügung eines neuen § 7 ,a und eines neuen § 7 b. Damit soll ein erster Schritt auf dem Wege zur Gleichbehandlung aller Renten bei den nach den gesetzlichen Bestimmungen alljährlich vorzunehmenden Anpassungen getan werden. Bekanntlich hinken unsere Altrenten bei der Anpassung immer ein Jahr hinterher. Die Neurentner erhielten im vergangenen Jahr eine gegenüber der bereits 1960 festgesetzten Rente um 5 % höhere Rente. Durch das Vierte Rentenanpassungsgesetz sollen die Altrentner, deren Renten 1960 oder in den Jahren davor festgesetzt wurden, ab 1. Januar 1962 eine um 5 % höhere Rente erhalten; diese Rentenerhöhung haben die Neurentner bereits 1961 erhalten. Die Neuzugänge von 1962 sollen dazu noch eine weitere Erhöhung um 6,6 % bekommen.
Mit unserem Vorschlag 2u § 7 a Abs. 1 beabsichtigen wir, als ersten Schritt eine Erhöhung um die Hälfte des notwendigen Anpassungsbetrages für 1962, nämlich um 3,3 %, zu erreichen. Diese Erhöhung um 3,3 % - die Hälfte der Erhöhung für die Neurentner ab 1962 — würde bei zwölf Monatsbeträgen rund 40 % einer Monatsrate ausmachen.
Wir sind der Meinung, daß diese 40 % in einer Summe zur Auszahlung kommen sollten. Diese Sonderzahlung soll nach unserem Vorschlag möglichst schnell erfolgen.
Deshalb haben wir in Abs. 3 des § 7 a eine pauschalierte Sonderzahlung in Höhe von 80 DM für die Rentner und 40 DM für die Waisen vorgesehen.
Nach dem von uns vorgesehenen § 7 .a Abs. 4 sollen diese Mindestbeträge, die nicht in jedem Fall rechnerisch die Anpassungssumme erreichen, gezahlt werden, und der Differenzbetrag soll aus Bundesmitteln gedeckt werden.
Der von uns ebenfalls vorgeschlagene § 7 b regelt in den Absätzen 1 und 2 die technische Seite der Auszahlung und legt fest, daß die Auszahlung unverzüglich vorzunehmen ist.
Meine Damen und Herren, zur Begründung darf ich mir noch einige Anmerkungen erlauben. Die Bundesregierung hat bereits bei ihrem Reformvorschlag im Frühjahr 1957 zum Ausdruck gebracht, was mit der Rentenreform erreicht werden solle — ich zitiere —:
Wenn der Lebensstandard des arbeitenden Menschen steigt, wird auch der Lebensstandard des Rentners steigen. Der in .der Vergangenheit beobachtete Vorgang, daß der Lebensstandard 'der Rentner immer weiter hinter .dem des Arbeiters zurückbleibt, wird sich nicht wiederholen.
Diese Auslassung der Bundesregierung zur Rentenreform fand auch in der Begründung zu § 1259 RVO eine weitere Vertiefung. Zur Begründung wurde seinerzeit erklärt — ich darf wieder zitieren —:
Nach einer 40jährigen Versicherungsdauer erhält der Versicherte 60 vom Hundert seines durchschnittlichen gegenwartsbezogenen Arbeitsverdienstes und damit zugleich 60 vom Hundert des gegenwärtigen Verdienstes vergleichbarer Arbeitnehmer.
Das war das Ziel, das mit dem Rentenreformvorschlag erreicht werden sollte. Wir müssen leider feststellen, daß dieses Ziel bis jetzt nicht erreicht wurde. Zum Teil liegt das auch daran, daß beispielsweise bei den Arbeitern die Beitragsdichte in den jährlichen Versicherungszeiten etwa nur 9 bis 10 Monate beträgt, weil die Arbeiter durch die noch nicht gewährte Lohnfortzahlung während ihres Arbeitslebens nicht voll versichert sind.
Aber entscheidend für das Zurückbleiben der Renten hinter den Verdiensten der Arbeitnehmer ist nach wie vor der Zustand, daß die Altrentner bisher um ein Jahr in der Anpassung nachhinken. Ich möchte bei dieser Gelegenheit gleich den Berufsoptimisten — so möchte ich sie nennen —, die bei der Behandlung einer solchen Materie in der Öffentlichkeit ständig ein sehr phantasievolles Bild über die Rentenhöhe entwickeln, folgende Daten hinsichtlich der Rentenzahlung vortragen. Unter 59,90 DM erhalten heute 29 % aller versicherten Frauen und 12 % der Witwen. Unter 100 DM liegen drei Viertel aller Renten der weiblichen Versicherten und fast 45 % der Renten aller Witwen. Schon fast 20 % der Renten der männlichen Versicherten liegen unter
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100 DM. Ich darf dazu die Rentenschichtung bis zu 150 DM Monatsrente vortragen. Fast 40 % der männlichen Versicherten, 93 % der weiblichen Versicherten und 72 % der Witwen erhalten eine Rente unter 150 DM.
Auch noch ein Wort zu den sogenannten „Ringeltauben", die uns immer wieder vorgezaubert werden, also Renten von 400, 500, 600 DM. Nur 1,5% der Männer aus -der Arbeiterrentenversicherung erhalten eine Rente in Höhe von 400 DM und mehr —11/2 %! —, und nur 2 % der Frauen erhalten eine Rente über 200 DM. Wie gesagt, das sind Daten und Zahlen aus der Arbeiterrentenversicherung.
Ich meine — deshalb habe ich diese Rentenschichtung hier einmal vorgetragen —, man kann weder die Anpassung noch, was soeben geschehen ist, die Einbeziehung des Sonderzuschlages noch, was wir auch mit unserem Antrag bezwecken, einen Mindestsonderzuschlag in Höhe von 80 DM mit der Begründung ablehnen — wie es uns teilweise im Ausschuß ergangen ist —, daß damit beim Zusammenfall mehrerer Renten Beträge zustande kämen, die vielleicht sogar über dem Einkommen der jetzt tätigen Arbeitnehmer lägen.
In der Debatte zur ersten Lesung hat mein Kollege Schellenberg schon auf das Unrecht und die durch nichts begründete unterschiedliche Behandlung von Alt- und Neurenten hingewiesen. Ich glaube, wir sollten uns in diesem Hause darüber einig sein — und im Prinzip wird dies sogar auch von den Regierungsparteien bejaht —, daß die unterschiedliche Behandlung von Alt- und Neurenten einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellt, und zwar deshalb, weil man hier gleiche Tatbestände im Versicherungsfall ungleich behandelt.
Wir meinen, daß diese Differenzierung auch verwaltungsmäßig kompliziert und unlogisch ist.
Wir hatten, nachdem der Sozialbericht vorgelegt worden war, auf Grund der Auslassungen von Vertretern der Regierung und der Regierungsparteien in der ersten Lesung die begründete Hoffnung, daß Sie nunmehr einen ersten Schritt zur Anpassung tun würden. Der Herr Arbeitsminister — ich darf noch einmal zitieren — hat sich in einer Rundfunkansprache, ich glaube am 24. September, gegen diese ungleiche Behandlung gleichwertiger Renten gewandt und sie als Übelstand bezeichnet. Er hat erklärt, daß er sie beim Ersten Rentenanpassungsgesetz noch bewußt in Kauf genommen habe, weil damals die finanzielle Entwicklung nicht vorauszusehen gewesen sei; aber er habe jetzt mit der Frage gerungen, ob er nicht für 1962 eine nachholende Anpassung vorschlagen solle. Noch schien ihm jedoch die Finanzlage der Rentenversicherung nicht günstig genug. Er erklärte dazu wörtlich:
Dennoch aber bleibt dieses Problem offen, und es ist sicher einmal die Frage, ob man nicht den Weg gehen könnte, vielleicht bei der nächsten oder übernächsten Rentenanpassung jeweils um die Hälfte anzupassen.
Meine Damen und Herren, vor diese Entscheidung werden Sie jetzt gestellt. Wir meinen, daß man absolut um die Hälfte anpassen kann.
Die Herren Kollegen Spitzmüller und Ruf haben in der ersten Lesung sehr hoffnungsvolle Ausführungen gemacht. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich aus der damaligen Debatte weiter zitieren. Herr Spitzmüller erklärte:
Nach dem jetzt geltenden Recht hinken die Altrenten hinter den Neurenten her — das ist sehr deutlich angesprochen worden —, und daß das kein guter Zustand ist, ist ebenfalls unumstritten; denn mit ihm klassifiziert man die Rentenempfänger in zwei Schichten.
Das als Entgegnung auf Ihren vorherigen Zwischenruf, Herr Ruf!
Aber Herr Spitzmüller hat gleichzeitig erklärt:
Wir sollten im Sozialpolitischen Ausschuß des Deutschen Bundestages versuchen, über das Trennende hinweg schließlich das Gemeinsame zu finden, das in so großem Maße vorhanden ist, und uns zusammenraufen im Interesse der alten Rentner, aber auch im Interesse derer, die erst in Zukunft Rentenempfänger sein werden.
Herr Kollege Weber hat seine Ausführungen zwar in einer anderen Richtung gemacht. Aber auch er mußte sich folgendem bekennen — ich zitiere —:
Herr Kollege Ruf, lassen Sie sich folgendes sagen: Die Sorgen, die Sie vorgetragen haben, die im Sozialbericht enthalten sind, und die Sorgen wegen des Nachhinkens, die Herr Kollege Schellenberg vorgetragen hat, sind berechtigt. Die Beseitigung des Nachhinkens, der Rentenschere, ist genauso unser Anliegen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition.
Nun, heute dürfen Sie sich entscheiden, meine Damen und Herren. Der Herr Kollege Ruf hat unter positiver Würdigung der finanziellen Situation auch noch erklärt, daß Sie im Ausschuß gewissenhaft prüfen würden und daß Sie hofften, wir sähen uns recht bald bei der zweiten und dritten Lesung wieder. Nun, wir sind jetzt bei der Entscheidung.
Meine Damen und Herren, der Sozialbeirat hat sich mit fünf seiner Mitglieder für eine absolute nachholende Anpassung ausgesprochen. Auch die anderen fünf Mitglieder, die im Augenblick eine nachholende Anpassung glaubten noch nicht vertreten zu können, haben unter Hinweis auf eine mögliche teilweise Nachholung erklärt, daß ihre Bedenken gegen eine generelle Nachholung dann nur noch in einem abgeschwächten Maße zuträfen.
Sehr interessant ist, daß nach dem Sozialbericht — hier zitiere ich — -gegen eine solche teilweise nachholende Anpassung vom Bundesministerium für Arbeit verwaltungstechnische Bedenken geltend gemacht worden sind. -Das ist eine Argumentation, die wir nicht anerkennen können. Wir stellen nämlich immer wieder fest, daß man jedesmal bei der
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Diskussion über die Anpassung oder über die Aufholung der notwendigen Anpassung bisher im wesentlichen nur mit wirtschaftlichen Argumenten operiert hat.
Nachdem diese Argumente in allen Phasen der wirtschaftlichen Betrachtung, sei es die Entwicklung des Sozialprodukts, sei es die Steigerung des Einkommens aller Erwerbstätigen, sei es die Frage der Produktivität oder auch die Frage der finanziellen Situation der Rentenversicherungsträger, mehr oder weniger nicht mehr ziehen, bringt man neue Argumente, die bei der Behandlung von Anpassungsfragen bisher nicht gebracht worden sind. Das halten wir allerdings für eine sehr schlechte Sache. Verwaltungstechnisch, so meinen wir, ist unser Verfahren ebenso einwandfrei wie jede sonstige generelle Anpassung. Ja, unser Vorschlag, mit einem Sonderzuschuß, einer pauschalierten Sonderzahlung zu arbeiten, vereinfacht zumindest die unverzügliche Nachholung in den nächsten Wochen unmittelbar.
Nun haben wir in der Ausschußberatung von dem Herrn Arbeitsminister gehört, daß wieder ein neuer Gesichtspunkt aufgetaucht sei, der es diesmal noch nicht erlaube — obwohl sich auch der Herr Arbeitsminister im Grundsatz zu der nachholenden Anpassung bekennt —, diese Anpassung vorzunehmen; er wies nämlich darauf hin, daß die Bevölkerungspyramide unseres Volkes neuerdings ein Gesicht habe, das dies nicht erlaube.
Meine Damen und Herren, ich will mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen. Aber wenn dieses Argument überhaupt eine Rolle spielt, dann hätte es schon bei den vergangenen Anpassungen vorgebracht werden müssen, und dann müßte es eigentlich auch in den gesetzlichen Regelungen, die von bestimmten Voraussetzungen abhängig sind, mit verankert sein.
Was kostet nun diese nachholende Anpassung? Nach unseren Ausrechnungen kostet sie den Bund rund 150 Millionen DM und die Versicherungsträger der Arbeiter- und Angestelltenversicherung rund 450 Millionen DM. Nach Lage der Dinge ist das finanziell ohne weiteres zu verkraften.
Aber wenn gesagt wird — wir haben es heute schon durch Ihren Sprecher gehört, der sich bei der Geschäftsordnungsdebatte über die Tagesordnung zu einigen anderen Anträgen äußerte —, daß man aus Sorge um die Währungsstabilität nicht in der Lage sei, auch nur in eine Beratung über solche Fragen einzutreten oder gar zuzustimmen, dann, meine Damen und Herren, möchte ich dazu sagen: Wenn das Problem der Währungsstabilität akut ist, dann ist dieses Haus selbstverständlich gehalten, entsprechende konjunktur-, wirtschafts- und währungspolitische Maßnahmen zu ergreifen. Aber ich glaube, es ist eine unmögliche Sache, die Stabilität unserer Währung nur auf dem Rücken der Rentner sichern zu wollen.
— Herr Kollege Schütz, wenn Sie sich auch einmal
die Erklärungen Ihrer Kollegen von der Ministerbank ansehen, finden Sie auch darin die Berufung auf die Währungsstabilität immer nur dann, wenn es darum geht, Leistungen im Bereich der Sozialpolitik oder im Bereich der Arbeitnehmerschaft zu gewähren. Hinsichtlich der Gewinnsituation haben Sie noch nicht auf die Währungsstabilität hingewiesen.
Meine sehr geschätzten Damen und Herren, man sollte in diesem Hause auch nicht so operieren, wie es Ihr Sprecher heute morgen getan hat, der sagte, wir seien nur bereit, der Regierung oder den Regierungsparteien die Verantwortung und die Belastungen aufzuerlegen, die zur Sicherung unseres Staates notwendig sind. Meine Damen und Herren, für die Sicherung unserer demokratischen Gesellschaftsordnung, für die Sicherung unserer freiheitlichen Ordnung sind wir bereit, jeden Preis und gemeinsam den Preis zu bezahlen, der notwendig ist. Wenn sich dort Unterschiede in der Betrachtung ergeben, dann kann es sich nur um Fragen der Zweckmäßigkeit oder der im Augenblick von uns eingeschätzten Notwendigkeit handeln. Sie dürfen das nicht mit der Frage der Sicherheit im sozialen Bereich kombinieren. Wir versuchen nun einmal mit diesem Antrag, auch den Rentnern eine soziale Sicherheit zu gewährleisten.
Im Hinblick auf das Weihnachtsfest wäre es verlockend, auch auf diesen Aspekt einer solchen Leistung aufmerksam zu machen. Sie wissen, daß wir aus wohlerwogenen Gründen keine entsprechenden Anträge für die Sozialleistungsempfänger in der Sozialversicherung gestellt haben. Unser Vorschlag, eine erste Anpassung in Form eines halben Anpassungsbetrages vorzunehmen, bleibt in bezug auf die Leistungsrente systemgerecht. Sie haben aber durch Ihre Vertreter Hoffnungen erweckt — das darf ich doch wohl hier bemerken —, Hoffnungen, die man nicht enttäuschen sollte. Wir können diese Enttäuschung vermeiden, wenn Sie unserem Vorschlag zustimmen, der im Prinzip eine Sonderzahlung in Höhe von 80 DM und 40 DM vorsieht, aber nicht in Form eines besonderen Weihnachtsgeldes, sondern in Form der absolut notwendigen und sozial gerechten Anpassung der Renten.
Meine Damen und Herren, schon heute ist die Stunde der Bewährung gekommen, die Stunde der Bewährung für die Abgeordneten der Koalitionsparteien. Jetzt muß sich zeigen, ob die sozialpolitische Einsicht, die Sie oder ein Teil Ihrer Mitglieder vertreten haben, und Ihre freie Gewissensentscheidung höher stehen als das Koalitionspapier, das irgendwo unterschrieben worden ist.
Damit darf ich Sie, zumindest die Kollegen aus dem Bereich des Arbeitnehmerflügels, um Zustimmung zu unserem Antrag bitten.