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ID0316701200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung zur politischen Lage und Beratung über die Lage Berlins Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 9769 B Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . 9773 C Dr. Krone (CDU/CSU) 9777 A Ollenhauer (SPD) 9779 D Dr. Mende (FDP) 9781 A Schneider (Bremerhaven) (fraktionslos) 9783 C Behrisch (fraktionslos) 9786 A Neubauer (SPD) 9788 A D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . 9788 C Anlage 9791 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9769 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Stenographischer Bericht Beginn: 11.04 Uhr
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    Anlage 1 Liste ber beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Bärsch 18. 8. Bettgenhäuser 22. 8. Caspers 22. 8. Dewald 22. 8. Dr. Frey 22. 8. Dr. Greve 22. 8. Hauffe 22. 8. Jaksch 18. 8. Frau Klemmert 22. 8. Dr. Königswarter 22. 8. Kuntscher 18. 8. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lena (Trossingen) 22. 8. Meitmann 22. 8. Dr. Menzel 18. 8. Neuburger 22. 8. Pelster 22. 8. Dr. Pferdmenges 22. 8. Pohle 22. 8. Reitzner 22. 8. Scharnowski 22. 8. Schoettle 18. 8. Struve 22. 8. Strauß 18. 8. Dr. Tamblé 22. 8. Frau Welter (Aachen) 22. 8.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Erklärung der Bundesregierung, der Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und in den Ausführungen meiner Vorredner ist der brutale Rechtsbruch vom 13. August, der neue Anschlag des Bolschewismus gegen die einfachsten Menschenrechte in Worten dargestellt worden, denen ich kaum weitere hinzuzufügen brauche. Trauer und Empörung erfüllen heute alle Deutschen, von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, gleichermaßen. Ebenso stark aber sind die Gefühle hilfloser Ohnmacht und schmerzlicher Enttäuschung, die heute gleichfalls breiteste Schichten unserer Bevölkerung weit über Berlin hinaus bewegen. Es scheint meinen Freunden von der Gesamtdeutschen Partei und mir die Hauptaufgabe dieser Stunde zu sein, vor allem von ihnen zu sprechen. Dazu gehört auch, daß ich unserem Bedauern darüber Ausdruck geben möchte, daß diese außerordentliche Sitzung des Bundestages in Bonn und nicht in Berlin stattfindet.
    In vielen Kommentaren ist der 13. August ein Markstein in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Europas genannt worden. Er wurde verglichen mit dem Prager Fenstersturz von 1948, der seinerzeit gleichfalls einen neuen Abschnitt in dem Ringen um Europa einleitete. Meine Freunde und ich fürchten dagegen, daß die Historiker eines Tages nicht den 13. August, sondern die ihm folgenden Tage mit dem Prager Fenstersturz vergleichen werden, diese letzten Tage endloser Debatten, unerfüllter Ankündigungen und offenbarer Ratlosigkeit der freien Welt.
    Seit dem November 1958, dem Berlin-Ultimatum Chruschtschows, kennen wir, kennt die Welt die Berlin-Pläne und Deutschland-Pläne Moskaus. Seit dem Wiener Treffen zwischen Präsident Kennedy und dem sowjetischen Regierungschef hat sich der Himmel von Woche zu Woche verdüstert. Dementsprechend wurden die Vorbereitungen der freien Welt auf eine mögliche Krise verstärkt und beschleunigt. Nach der Pariser Außenministerkonferenz zu Anfang dieses Monats wurde verkündet, der Westen sei auf jeden möglichen Fall vorbereitet. Nun liegt der 13. August hinter uns, und die Reaktion des Westens ist ganz anders ausgefallen, als die große Mehrheit der Deutschen es erwartet hatte. Es ist notwendig, in diesem Augenblick offen und ohne Umschweife von der gefährlichen Ernüchterung und Enttäuschung zu sprechen, die große Teile unserer Bevölkerung erfaßt haben.
    Die Bundesregierung nannte in ihrer Erklärung vom Dienstag das Vorgehen vom 13. August mit vollem Recht und ohne Einschränkung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes kündigte an, daß nunmehr in die Mappe mit den vorbereiteten Plänen gegriffen werde und der Aktion des Ostblocks gleichwertige Gegenmaßnahmen entgegengesetzt würden,
    9784 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Schneider (Bremerhaven)

    Wir kennen inzwischen das Ergebnis. Die Protestnoten der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs sind scharf und in ihrer Beweisführung für die freie Welt völlig überzeugend. Der Eindruck, den sie in Moskau erzielen werden, wird ebenso gering sein, da gleichzeitig offenkundig ist, daß sie die einzigen sofortigen Gegenmaßnahmen bleiben werden, abgesehen von der neuerlichen Verstärkung der Verteidigungsbereitschaft der drei Mächte, auf die ich in anderem Zusammenhang noch eingehen werde.
    Von den umfassenden wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen, von denen der Herr Bundeskanzler noch am Dienstag sprach, ist leider nicht mehr die Rede. Statt dessen versuchen nunmehr einflußreiche Zeitungen und Kommentatoren insbesondere in den USA und in England, den Deutschen klarzumachen, weshalb die angekündigten gleichwertigen Gegenmaßnahmen nur so und nicht anders aussehen können. Ihre Argumente wirken auf meine Freunde und mich zu einem Teil manchmal fast zynisch und so, als ob ihre Verfasser noch immer mit Blindheit geschlagen wären, wenn es darum geht, Wesen und Ziele der Aktionen des Bolschewismus in aller Welt zu erkennen. Es sollte uns alle tief beunruhigen, daß die Erinnerung an das München vom September 1938 in vielen Köpfen und nicht nur bei uns in Deutschland umgeht. Im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers sind meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei und ich der Meinung, daß nach den vielfältigen Beschwörungen unseres westlichen Bündnisses und nach den vielfältigen Beweisen unserer Bündnistreue es nun an den Westmächten ist, ihrerseits einen Beweis für eben diese Bündnistreue zu liefern.
    Die Deutschen haben eine fürchterliche Lektion des Totalitarismus lernen müssen. Weil sie glauben, daß auch die freie Welt sie endlich kennen sollte, deshalb fordern heute so viele Menschen bei uns effektive Handlungen an Stelle noch so gut formulierter Protestnoten, die für den Bolschewismus nur ein Zeichen von Schwäche und geradezu eine Einladung zu weiteren Rechtsbrüchen sind. Sie fordern diese Gegenmaßnahmen nicht aus Leichtfertigkeit und nicht, weil ihnen die Erinnerung an die Schrekken des Krieges etwa schon vergangen wäre, sondern ganz im Gegenteil, weil sie davon überzeugt sind, daß nur auf diese Weise schließlich eine furchtbare Katastrophe vermieden werden kann.
    Die größte Gefahr für den Weltfrieden liegt in der Überzeugung eines totalitären Regimes, es mit einem schwachen, handlungsunfähigen Gegner zu tun zu haben, der zu keiner wirklichen Abwehr bereit und fähig ist. Genau darum geht es. Es geht darum, den Eindruck in Moskau zu zerstören, daß man über einen neuen Status von West-Berlin gar nicht mehr zu verhandeln brauche, nachdem es so leicht war, den Viermächtestatus für Gesamt-Berlin ohne jede effektive Gegenwirkung endgültig zu beseitigen. Es geht darum, die den Frieden bedrohenden Fehleinschätzungen und Illusionen der bolschewistischen Führer zu zerstören und ihnen endlich klarzumachen, daß die zielbewußt betriebene Unterhöhlung der westlichen Position in Berlin ihr Ende gefunden haben muß. Aus diesem Grunde unterstützen meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei uneingeschränkt die Forderung, den Rechtsbruch vom 13. August vor die Vereinten Nationen zu bringen.
    In Berlin und in der Sowjetzone besteht heute tatsächlich eine akute Gefahr für den Frieden dieser Welt. Sollte der Kessel explodieren, dessen Überdruckventil am 13. August verstopft worden ist, dann sind die Folgen wahrhaftig unübersehbar. Weiter kann die freie Welt es nicht länger hinnehmen, in welcher Weise die elementarsten Grundsätze der Vereinten Nationen im Herrschaftsbereich Ulbrichts mit Füßen getreten werden. Der Hinweis darauf, daß von einer solchen Aktion schließlich doch keine greifbaren Ergebnisse zu erwarten seien, geht an dem Wesen der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus vorbei und übersieht insbesondere, daß auch die Sowjetunion alles andere als etwa unempfindlich gegenüber dem Auf und Ab in der Weltmeinung wäre. Die Gefühle des größten Teiles der Welt für die Sache der Unterdrückten zu gewinnen und gegen ihre Unterdrücker zu mobilisieren, ist eine politische Aufgabe von höchster Bedeutung. Wenn der Westen daran zweifelt, diese Aufgabe auf dem Boden der Vereinten Nationen lösen zu können, woher überhaupt will er dann die Zuversicht nehmen, in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus zu bestehen?
    Die Anrufung der Vereinten Nationen muß ergänzt werden durch wirtschaftliche Abwehrmaßnahmen der ganzen atlantischen Gemeinschaft. Es ist bekannt, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß der Westen große Beiträge zur industriellen Aufrüstung der Sowjetunion leistet. Die Bundesregierung ist der wichtigste Lieferant beim Aufbau der sowjetischen Schwerchemie. Ganz unzweifelhaft ist der Sowjetblock nur deshalb zu nicht unbeträchtlicher Lieferung in ,die Entwicklungsländer in der Lage, weil die freie Welt auf der anderen Seite seine großen Lücken beim industriellen Aufbau ausfüllt. Ist es zuviel gesagt, meine Damen und Herren, wenn unterrichtete Fachleute seit langem der Ansicht sind, daß die freie Welt durch ihre Lieferungen in den Ostblock das ihre dazu beiträgt, um die gegen sie gerichtete wirtschaftliche und militärische Aufrüstung der Sowjetunion zu beschleunigen? Wenn überhaupt irgendwo, so liegen hier die besten Ansatzpunkte für wirksame Gegenmaßnahmen. Unerläßliche Voraussetzung allerdings ist eine wirkliche Geschlossenheit der freien Welt, die endlich darauf verzichtet, ihrem Henker vorher noch den Strick zu liefern, der für sie selbst bestimmt ist.
    Und ein Weiteres, meine Damen und Herren. Wir meinen darüber hinaus und schlagen vor, West-Berlin sowie seine Verbindungswege zum freien Westen unter den Schutz der NATO zu stellen. Hierzu ist der Westen um so mehr berechtigt, als die Terrormaßnahmen gegen Ost-Berlin und die Zone mit ausdrücklicher Billigung, ja sogar auf Empfehlung der Warschauer-Pakt-Staaten erfolgt sind.
    Die energische weitere Verstärkung der Verteidigungskraft der USA, Englands und Frankreichs
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9785
    Schneider (Bremerhaven)

    sollte durch eine solche Maßnahme demonstrativ unterstrichen werden, um auch auf diese Weise die Garantien der Westmächte so glaubwürdig wie möglich zu machen. Das Ziel auch dieser Maßnahme muß es stein, Chruschtschow vor Fehleinschätzungen der wirklichen Lage zu bewahren und damit entscheidend zur Sicherung des Friedens beizutragen.
    Meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei unterstreichen, daß in dieser Situation ruhig und überlegt gehandelt werden müsse. Die Betonung in diesem Satz kann aber nur auf dem „Handeln" liegen. Welche einseitigen Aktionen und Provokationen Moskaus — so fragen wir — müssen eigentlich noch geschehen, bis sich der Westen zu Antworten aufrafft, die dem Bolschewismus effektiv verständlich sind? Auf diese Frage muß auch die Bundesrepublik selbst eine Antwort zu geben in der Lage sein.
    Es ist gewiß keine Übertreibung, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn auch ich an dieser Stelle unterstreiche, daß in keinem anderen Volk auf dieser Erde die Sehnsucht nach einem wirklichen Frieden größer ist als in dem unseren. Die Erlebnisse der letzten zwanzig Jahre unserer Geschichte waren zu furchtbar, als daß sie etwa spurlos an uns vorübergegangen wären. Den Willen zu einem friedlichen Ausgleich mit allen Völkern, die dazu bereit sind, den Willen auch zu einer aufrichtigen Wiedergutmachung haben die Deutschen in der Bundesrepublik mehr als einmal überzeugend bewiesen. Sie sind aufgeschlossener als alle anderen europäischen Nachbarn bereit gewesen, auf Souveränitätsrechte zu verzichten, um die Absage an jede Machtpolitik zu unterstreichen. Sie sind aber nicht bereit, auf ihre Selbstachtung zu verzichten, wenn ihre Forderung nach Gewährung der Menschenrechte auch für die Deutschen immer wieder brutal zurückgewiesen wird.
    Deshalb hat die Bundesrepublik nach unserer Auffassung auch die Verpflichtung, als Antwort auf den 13. August jene Maßnahmen zu ergreifen, die sie in eigener Zuständigkeit durchführen kann. Dazu gehört nicht die Kündigung des Interzonenhandelsabkommens, jedenfalls nicht als einzige wirtschaftliche Abwehrmaßnahme der freien Welt, da die Zusammenhänge zwischen dem Interzonenhandel und den Berlin-Verbindungen nicht übersehen werden können. Wo aber steht geschrieben, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die freie Wirtschaft der Bundesrepublik etwa gezwungen ist, den im Interzonenhandelsabkommen vorgezeichneten Rahmen auch tatsächlich auszufüllen? Wo steht geschrieben, daß die freie Wirtschaft der Bundesrepublik auf der Leipziger Messe vertreten sein muß? Wer vor den Scharfmachern warnt, wie es in diesen Tagen geschehen ist, sollte nicht vergessen, gleichzeitig auch vor den Geschäftemachern zu warnen. Welchen Nutzen soll es haben, sich weiterhin um ein neues Kulturabkommen mit der Sowjetunion zu bemühen, jener Macht, ohne deren Entscheidung der 13. August nicht möglich gewesen wäre? Auf diese Fragen muß die Bundesrepublik eine Antwort geben, im Interesse ihrer Selbstachtung und der Glaubwürdigkeit ihres Bekenntnisses zu den Menschen in Berlin und Mitteldeutschland.
    Auf diese Fragen kann die Bundesrepublik eine Antwort geben, ohne im geringsten gegen die absolut notwendige Solidarität der freien Welt zu verstoßen.
    Auch auf diese Antworten ,der Bundesrepublik haben die Deutschen hier und jenseits der Elbe und Werra bis heute vergeblich gewartet. Statt dessen wurden sie am Donnerstagmorgen mit einer Verlautbarung der Bundesregierung über das Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit dem sowjetischen Botschafter überrascht, die selbst bei zahlreichen absolut loyalen Befürwortern der Politik der Bundesregierung auf wenig Verständnis gestoßen ist. Ich will es mir versagen, meine Damen und Herren, in diesem Augenblick ,die Gefühle der Menschen hier in unserem eigenen Lande und auch jenseits der Zonengrenze zu schildern, als sie diesen Tatbestand zur Kenntnis nehmen mußten.
    Ich frage aber: Womit will die Bundesregierung der Bevölkerung der Bundesrepublik den Sinn ihrer Worte erläutern, daß sie keine Schritte unternehmen wird, die die Beziehungen zwischen ihr und der Sowjetunion erschweren und die internationale Lage verschlechtern könnten? Die Macht, die eben noch als Rechtsbrecher bezeichnet worden ist, sollte nicht die Zusicherung erhalten, etwa für ihre brutalen Willkürmaßnahmen noch mit Wohlverhalten belohnt zu werden.
    Die Folge kann nur eine weitere Entmutigung des Willens ,der Deutschen zur Wiedervereinigung sein. Niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß die Deutschen die Hoffnung auf eine Überwindung der Spaltung ihres Vaterlandes so lange nicht aufzugeben brauchen, solange in ihnen das Bewußtsein, trotz allem eine Nation zu sein, noch lebendig ist. Erst wenn dieses Bewußtsein sich wundgestoßen hat und lahm geworden ist, beginnt die Teilung Deutschlands endgültig zu werden. Und deshalb bedauern meine Freunde und ich so tief diese Verlautbarung und die Auswirkungen, die sie hier und da haben mag.
    Wir fragen uns vergeblich, welche positiven Wirkungen sich die Bundesregierung von ihr versprochen hat. Hoffnungen auf Verhandlungen? Gewiß, meine Damen und Herren, Verhandlungen müssen sein. Aber es ist die Frage gestattet: Welchen Wert können sie überhaupt haben, wenn der Partner bereits vorher so handgreiflich herausgefordert wird, an ,die Schwäche der Gegenseite zu glauben? Welchen Wert haben solche Verhandlungen überhaupt mit einer Macht, die gerade eben noch den zynischsten Rechtsbruch der Neuzeit begangen hat?
    Die Zukunft ist wahrhaftig trübe. Meinen politischen Freunden und mir scheint es kein geeigneter Augenblick zu sein, jetzt irgendwelche tröstlichen Hoffnungen zu erwecken. Eines allerdings glauben wir mit Bestimmtheit zu wissen: das deutsche Volk im freien Teil Deutschlands und jene 16 Millionen in Moskaus Kolonie ,zwischen Elbe und Werra und Oder und Neiße haben nur eine Möglichkeit, trotz aller Gefahren und Widerstände dieser Zeit die ihnen auferlegten Prüfungen zu bestehen, wenn ihr Drang zur Freiheit und ihr Wille zur Wiederver-
    9786 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Schneider (Bremerhaven)

    einigung die Welt schließlich zu überzeugen vermag, daß auch den Deutschen endlich das Recht auf Selbstbestimmung nicht vorenthalten werden kann. Dieses Bekenntnis zur Freiheit und diesen Willen zur Wiedervereinigung zu stärken, ihn glaubwürdig zu erhalten und ihn aller Welt anläßlich ,der Bundestagswahlen auch durch eine damit verbundene Volksabstimmung in Westberlin und Westdeutschland vor Augen zu führen, muß die vornehmste Aufgabe dieses Hauses sein.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Drohung des Separatfriedens steht als nächste Provokation der Kommunisten bevor. Wir stehen sicherlich vor schweren Bewährungsproben. Das macht ein Zusammenstehen all e r Deutschen über alle parteipolitischen Gegensätze hinweg notwendig.

    (Beifall rechts.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Behrisch.

(Unruhe.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Arno Behrisch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle sind durch das, was in Berlin geschehen ist, erschüttert. Wie könnte es anders sein?

    (Zuruf von der Mitte.)

    Aber erschütternder, meine Damen und Herren, ist noch die vollkommene, auch hier wieder sichtbar gewordene Blindheit gegenüber den Ursachen der Ereignisse. Wir sind dabei, die Schuld zu suchen, und fragen: wer trägt die Schuld? Man kann auch sagen: Wer trägt nicht mit an ihr? Aber wenn wir jetzt die Schuldigen suchen und schon dabei sind, auch bei 'den Verbündeten nach der Schuld zu suchen, dann wäre es doch eigentlich an der Zeit, zu fragen: Wie weit sind wir an diesen Dingen schuld?
    Der Herr Präsident hat in ,einem anderen Zusammenhang einmal das Wort vom Ursachenzusammenhang in ,der Politik geprägt. Ich glaube, daß das ein wahres Wort ist und daß es uns weiterhilft. Ein Freund unseres Landes, ein Freund der Einheit Deutschlands, ein Demokrat, ein Weltbürger, Ministerpräsident Nehru, hat hier in Bonn einmal zu diesem Stichwort gesagt:
    Aber .das Heute steht nicht 'isoliert in der Luft.
    Heute ist Idas Kind von Gestern und der Vater von Morgen, und nicht nur das Kind von Gestern, sondern von alledem, was vorausgegangen ist. Die ganze vergangene Geschichte hat das Heute hervorgebracht.
    Schauen wir ein wenig zurück, so müssen wir sagen: Wir hätten das, was über uns gekommen ist, ja nicht erlebt, wenn wir nicht 1933 den falschen Leuten die Macht gegeben hätten. In Jerusalem ist davon im Augenblick viel die Rede.
    Wir müssen uns fragen, wie die Situation wohl wäre, wenn der § 9 Abschnitt 4 des Potsdamer Abkommens, der uns die österreichische Lösung und den österreichischen Weg offenhielt, nicht verhindert worden wäre. Wir müssen unis auch fragen, wo wir stünden, wenn das Wirklichkeit geworden wäre, was auf der Moskauer Außenministerkonferenz 'im März 1947 gefordert wurde, nämlich freie und geheime Wahlen unter internationaler Kontrolle in ganz Deutschland. Leider sind auch Freunde von uns damals auf diese Forderung nicht eingegangen.
    Ich möchte meinen, meine Damen und Herren, wir sind in dieser Krise und in dieser Misere, weil wir uns von einigen Grundwahrheiten aller Politik und Diplomatie entfernt haben. Wenn nämlich Politik die Kunst des Möglichen ist, dann kann man sich nicht idem Wunschdenken hingeben. In dieser Berlinkrise zeigt sich doch wohl, daß es wahr list, was Bismarck sagte: daß alle Völker sich an ihr e n Interessen orientieren. Es wäre also Aufgabe der deutschen Politik gewesen, nachdem wir alle darin übereinstimmen, daß Frieden und Wiedervereinigung die obersten deutschen Interessen sind —

    (Zurufe von der CDU/CSU: Freiheit!)

    — Einheit in Freiheit, selbstverständlich! Sie dürfen mir glauben, meine Damen und Herren, daß ich es anders nie verstanden habe und nie verstehen werde.
    Wenn wir für Frieden und Einheit in Freiheit sind, wenn das das oberste Interesse ist, dann hätten wir die Mittel der Politik und der Diplomatie einsetzen müssen, um festzustellen: Wie ist das Verhältnis der Nachbarn, wie ist ihr Interesse mit diesem deutschen Hauptinteresse vereinbar? Und dann beginnt die Politik, dann muß man, wenn es sich stößt, versuchen, einen Kompromiß zu finden. So immer war Politik.

    (Abg. Dr. Krone: Ist in der Zone Freiheit?)

    — Herr Kollege, wir müssen uns darüber nicht unterhalten, weil wir darüber völlig einig sind.

    (Abg. Dr. Krone: Dort ist keine Freiheit, gut!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sagte mit Bismarck: Alle Völker orientieren sich an ihren Interessen. Sie sehen jetzt ganz deutlich in der Berlinkrise, daß wir die Interessen der Verbündeten zumindest in der Rangordnung falsch eingeschätzt haben. Nun, wir haben bisher nie ernsthaft nach ,einem Kompromiß in dieser entscheidenden Frage mit denen gesucht, die das Faustpfand in der Hand haben.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Sind Sie bereit, denen zu sagen, daß es unmoralisch ist, wenn sie das tun?)

    — Herr Professor Carlo Schmid, Leute, die auch etwas von Politik verstehen wie etwa Präsident Paasikivi, der sein Land zweimal davor bewahrt hat, verschluckt zu werden, nachdem Abenteurer es an den Abgrund gesteuert hatten, sind der Meinung, daß Großmächte sich nicht an der Moral zu
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9787
    Behrisch
    orientieren pflegen, sondern an ihren Interessen. Wir sollten das wissen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihre Meinung?)

    — Das zeigt sich.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme noch einmal auf Bismarck zu sprechen, der uns sagte: Es war stets ein Fehler der Deutschen, alles erreichten zu wollen oder nichts und sich eigensinnig auf eine bestimmte Methode zu versteifen. Wir haben es, um mit ihm weiter zu sprechen, an politischem Augenmaß fehlen lassen.

    (Abg. Dr. Barzel: Wann sprechen Sie endlich von der Schuld der Sowjetunion?)

    Wir haben die Tatsachen der Geographie und der Geschichte mißachtet, und wir haben uns, was uns auch Nehru in Bonn sagte, nicht dazu durchringen können, für das richtige Ziel auch die richtigen Mittel zu finden.

    (Abg. Dr. Barzel: Sind wir also schuld?!) — Ich habe das nicht gesagt, Herr Barzel.


    (Abg. Dr. Barzel: So ist aber der Inhalt Ihrer ganzen Rede!)

    — Nein! Ich bin nur der Meinung, daß man aufhören muß, schwarz-weiß zu malen, weil Sie damit nicht weiterkommen und weil hier in vielen Stükken eben doch die Lebensinteressen mächtiger Völker, nicht nur die unseren, auf dem Spiel stehen.
    Das Kriterium für jede Rüstungspolitik sind die Ereignisse, die auf die Rüstung folgen. Wir haben ein solches Ereignis vor uns. Ich erinnere mich, daß es Wilhelm Mellies war, der sagte, als wir uns auf dieses Wettrüsten einließen: Ohne Bündnislosigkeit keine Einheit!
    Eine große Frankfurter Zeitung hat dieser Tage richtig geschrieben — ich muß das meinen ehemaligen Freunden von der Sozialdemokratie sagen —: Die SPD sagt nicht die unbequeme Wahrheit, daß nämlich die Berlinkrise das Resultat jener monumentalen Fehleinschätzung ist, auf der die westliche Politik der Stärke seit 1952 beruht. Nun ruft man nach allerlei Maßnahmen aus diesem Lande. Ich habe in dieser Debatte feststellen können, daß diese Seite des Hauses (nach links) weiter geht als diese Seite, weil diese Seite, die Regierung, wohl schon das Gefühl hat, daß es ohne Verhandlungen nicht gehen wird.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, Panzer und Stacheldraht in Berlin sind eine ungeheuerliche Sache. Aber wer Panzer und Stacheldraht aus Berlin heraus haben will, muß wissen, daß er sie ohne Verhandlungen nicht beseitigen kann. Vielleicht würde unser Herr Bundesverteidigungsminister einen ersten Beitrag zur Verhandlungsatmosphäre dadurch liefern, daß er zum Beispiel die Einberufung von Reservisten stoppt; denn ich glaube, daß solche Gesten das Verhandlungsklima günstiger stimmen.
    Ich habe mir erlaubt, am 13. Juni, als es in diesem Hause keine Debatte gab, obwohl es besser gewesen wäre, wir hätten damals eine geführt, weil man ja die Dinge schon kommen sah, eine deutsche Friedensregelung vorzuschlagen. Ich habe sie der Presse und den Botschaftern zugänglich gemacht. Es freut mich, daß der Herr Regierende Bürgermeister später zu demselben Vorschlag kam, den ich am 30. Juni gemacht habe, nämlich Einberufung einer Friedenskonferenz aller Staaten, die gegen Deutschland im Kriege gestanden haben.
    Wir sind tes uns selbst schuldig, für eine Atmosphäre der Entspannung zu sorgen, etwas dafür zu tun, daß unser deutscher Raum atomwaffenfrei bleibt oder atomwaffenfrei wird. Ich habe das in meinen Vorschlägen drin. Ich habe darin auch die Vorstellung, daß das wiedervereinigte Deutschland seine Garantien durch die Vereinten Nationen bekommt, und ich habe mich vor allem bemüht, dem Thema Berlin gerecht zu werden. Ich möchte Ihnen das zum Schluß zum Gehör bringen.
    Meine Vorstellungen über Berlin waren die: Der Friedensvertrag bestimmt Berlin als Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschlands. Bis dahin verpflichten sich alle Teilnehmerstaaten der Friedenskonferenz, den von der gleichen Konferenz ausdrücklich vereinbarten Status Westberlins als Interimslösung zu respektieren. Für Deutschland ist dabei jede Interimslösung annehmbar, die die völlige Freiheit der Westberliner Bevölkerung garantiert, innerhalb Westberlins über ihre Angelegenheiten auf der Grundlage einer unangetasteten Demokratie selbst zu bestimmen, und die die Verbindung Westberlins mit der Bundesrepublik und dem übrigen westlichen Ausland eindeutig sicherstellt. Die Bundesrepublik wird in den Kreis der Garantiemächte für die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Westberlins durch ausländische Mächte einbezogen, und alle Teilnehmerstaaten verpflichten sich, auf die aus dieser Interimslösung ihnen eventuell zukommenden Rechte in Westberlin zu verzichten, wenn die Einheit Deutschlands wiederhergestellt ist.
    Meine Wiege stand in Mitteldeutschland, und ich habe alle meine Angehörigen in Mitteldeutschland. Sie dürfen mir glauben, daß mir die Frage der deutschen Einheit eine Herzensfrage ist, und Sie dürfen mir im Hinblick auf meinen politischen Weg glauben, daß mir die Einheit in Freiheit eine Herzenssache ist. Aber — —