Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Erklärung der Bundesregierung, der Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und in den Ausführungen meiner Vorredner ist der brutale Rechtsbruch vom 13. August, der neue Anschlag des Bolschewismus gegen die einfachsten Menschenrechte in Worten dargestellt worden, denen ich kaum weitere hinzuzufügen brauche. Trauer und Empörung erfüllen heute alle Deutschen, von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, gleichermaßen. Ebenso stark aber sind die Gefühle hilfloser Ohnmacht und schmerzlicher Enttäuschung, die heute gleichfalls breiteste Schichten unserer Bevölkerung weit über Berlin hinaus bewegen. Es scheint meinen Freunden von der Gesamtdeutschen Partei und mir die Hauptaufgabe dieser Stunde zu sein, vor allem von ihnen zu sprechen. Dazu gehört auch, daß ich unserem Bedauern darüber Ausdruck geben möchte, daß diese außerordentliche Sitzung des Bundestages in Bonn und nicht in Berlin stattfindet.
In vielen Kommentaren ist der 13. August ein Markstein in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Europas genannt worden. Er wurde verglichen mit dem Prager Fenstersturz von 1948, der seinerzeit gleichfalls einen neuen Abschnitt in dem Ringen um Europa einleitete. Meine Freunde und ich fürchten dagegen, daß die Historiker eines Tages nicht den 13. August, sondern die ihm folgenden Tage mit dem Prager Fenstersturz vergleichen werden, diese letzten Tage endloser Debatten, unerfüllter Ankündigungen und offenbarer Ratlosigkeit der freien Welt.
Seit dem November 1958, dem Berlin-Ultimatum Chruschtschows, kennen wir, kennt die Welt die Berlin-Pläne und Deutschland-Pläne Moskaus. Seit dem Wiener Treffen zwischen Präsident Kennedy und dem sowjetischen Regierungschef hat sich der Himmel von Woche zu Woche verdüstert. Dementsprechend wurden die Vorbereitungen der freien Welt auf eine mögliche Krise verstärkt und beschleunigt. Nach der Pariser Außenministerkonferenz zu Anfang dieses Monats wurde verkündet, der Westen sei auf jeden möglichen Fall vorbereitet. Nun liegt der 13. August hinter uns, und die Reaktion des Westens ist ganz anders ausgefallen, als die große Mehrheit der Deutschen es erwartet hatte. Es ist notwendig, in diesem Augenblick offen und ohne Umschweife von der gefährlichen Ernüchterung und Enttäuschung zu sprechen, die große Teile unserer Bevölkerung erfaßt haben.
Die Bundesregierung nannte in ihrer Erklärung vom Dienstag das Vorgehen vom 13. August mit vollem Recht und ohne Einschränkung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes kündigte an, daß nunmehr in die Mappe mit den vorbereiteten Plänen gegriffen werde und der Aktion des Ostblocks gleichwertige Gegenmaßnahmen entgegengesetzt würden,
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Schneider
Wir kennen inzwischen das Ergebnis. Die Protestnoten der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs sind scharf und in ihrer Beweisführung für die freie Welt völlig überzeugend. Der Eindruck, den sie in Moskau erzielen werden, wird ebenso gering sein, da gleichzeitig offenkundig ist, daß sie die einzigen sofortigen Gegenmaßnahmen bleiben werden, abgesehen von der neuerlichen Verstärkung der Verteidigungsbereitschaft der drei Mächte, auf die ich in anderem Zusammenhang noch eingehen werde.
Von den umfassenden wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen, von denen der Herr Bundeskanzler noch am Dienstag sprach, ist leider nicht mehr die Rede. Statt dessen versuchen nunmehr einflußreiche Zeitungen und Kommentatoren insbesondere in den USA und in England, den Deutschen klarzumachen, weshalb die angekündigten gleichwertigen Gegenmaßnahmen nur so und nicht anders aussehen können. Ihre Argumente wirken auf meine Freunde und mich zu einem Teil manchmal fast zynisch und so, als ob ihre Verfasser noch immer mit Blindheit geschlagen wären, wenn es darum geht, Wesen und Ziele der Aktionen des Bolschewismus in aller Welt zu erkennen. Es sollte uns alle tief beunruhigen, daß die Erinnerung an das München vom September 1938 in vielen Köpfen und nicht nur bei uns in Deutschland umgeht. Im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers sind meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei und ich der Meinung, daß nach den vielfältigen Beschwörungen unseres westlichen Bündnisses und nach den vielfältigen Beweisen unserer Bündnistreue es nun an den Westmächten ist, ihrerseits einen Beweis für eben diese Bündnistreue zu liefern.
Die Deutschen haben eine fürchterliche Lektion des Totalitarismus lernen müssen. Weil sie glauben, daß auch die freie Welt sie endlich kennen sollte, deshalb fordern heute so viele Menschen bei uns effektive Handlungen an Stelle noch so gut formulierter Protestnoten, die für den Bolschewismus nur ein Zeichen von Schwäche und geradezu eine Einladung zu weiteren Rechtsbrüchen sind. Sie fordern diese Gegenmaßnahmen nicht aus Leichtfertigkeit und nicht, weil ihnen die Erinnerung an die Schrekken des Krieges etwa schon vergangen wäre, sondern ganz im Gegenteil, weil sie davon überzeugt sind, daß nur auf diese Weise schließlich eine furchtbare Katastrophe vermieden werden kann.
Die größte Gefahr für den Weltfrieden liegt in der Überzeugung eines totalitären Regimes, es mit einem schwachen, handlungsunfähigen Gegner zu tun zu haben, der zu keiner wirklichen Abwehr bereit und fähig ist. Genau darum geht es. Es geht darum, den Eindruck in Moskau zu zerstören, daß man über einen neuen Status von West-Berlin gar nicht mehr zu verhandeln brauche, nachdem es so leicht war, den Viermächtestatus für Gesamt-Berlin ohne jede effektive Gegenwirkung endgültig zu beseitigen. Es geht darum, die den Frieden bedrohenden Fehleinschätzungen und Illusionen der bolschewistischen Führer zu zerstören und ihnen endlich klarzumachen, daß die zielbewußt betriebene Unterhöhlung der westlichen Position in Berlin ihr Ende gefunden haben muß. Aus diesem Grunde unterstützen meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei uneingeschränkt die Forderung, den Rechtsbruch vom 13. August vor die Vereinten Nationen zu bringen.
In Berlin und in der Sowjetzone besteht heute tatsächlich eine akute Gefahr für den Frieden dieser Welt. Sollte der Kessel explodieren, dessen Überdruckventil am 13. August verstopft worden ist, dann sind die Folgen wahrhaftig unübersehbar. Weiter kann die freie Welt es nicht länger hinnehmen, in welcher Weise die elementarsten Grundsätze der Vereinten Nationen im Herrschaftsbereich Ulbrichts mit Füßen getreten werden. Der Hinweis darauf, daß von einer solchen Aktion schließlich doch keine greifbaren Ergebnisse zu erwarten seien, geht an dem Wesen der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus vorbei und übersieht insbesondere, daß auch die Sowjetunion alles andere als etwa unempfindlich gegenüber dem Auf und Ab in der Weltmeinung wäre. Die Gefühle des größten Teiles der Welt für die Sache der Unterdrückten zu gewinnen und gegen ihre Unterdrücker zu mobilisieren, ist eine politische Aufgabe von höchster Bedeutung. Wenn der Westen daran zweifelt, diese Aufgabe auf dem Boden der Vereinten Nationen lösen zu können, woher überhaupt will er dann die Zuversicht nehmen, in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus zu bestehen?
Die Anrufung der Vereinten Nationen muß ergänzt werden durch wirtschaftliche Abwehrmaßnahmen der ganzen atlantischen Gemeinschaft. Es ist bekannt, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß der Westen große Beiträge zur industriellen Aufrüstung der Sowjetunion leistet. Die Bundesregierung ist der wichtigste Lieferant beim Aufbau der sowjetischen Schwerchemie. Ganz unzweifelhaft ist der Sowjetblock nur deshalb zu nicht unbeträchtlicher Lieferung in ,die Entwicklungsländer in der Lage, weil die freie Welt auf der anderen Seite seine großen Lücken beim industriellen Aufbau ausfüllt. Ist es zuviel gesagt, meine Damen und Herren, wenn unterrichtete Fachleute seit langem der Ansicht sind, daß die freie Welt durch ihre Lieferungen in den Ostblock das ihre dazu beiträgt, um die gegen sie gerichtete wirtschaftliche und militärische Aufrüstung der Sowjetunion zu beschleunigen? Wenn überhaupt irgendwo, so liegen hier die besten Ansatzpunkte für wirksame Gegenmaßnahmen. Unerläßliche Voraussetzung allerdings ist eine wirkliche Geschlossenheit der freien Welt, die endlich darauf verzichtet, ihrem Henker vorher noch den Strick zu liefern, der für sie selbst bestimmt ist.
Und ein Weiteres, meine Damen und Herren. Wir meinen darüber hinaus und schlagen vor, West-Berlin sowie seine Verbindungswege zum freien Westen unter den Schutz der NATO zu stellen. Hierzu ist der Westen um so mehr berechtigt, als die Terrormaßnahmen gegen Ost-Berlin und die Zone mit ausdrücklicher Billigung, ja sogar auf Empfehlung der Warschauer-Pakt-Staaten erfolgt sind.
Die energische weitere Verstärkung der Verteidigungskraft der USA, Englands und Frankreichs
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sollte durch eine solche Maßnahme demonstrativ unterstrichen werden, um auch auf diese Weise die Garantien der Westmächte so glaubwürdig wie möglich zu machen. Das Ziel auch dieser Maßnahme muß es stein, Chruschtschow vor Fehleinschätzungen der wirklichen Lage zu bewahren und damit entscheidend zur Sicherung des Friedens beizutragen.
Meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei unterstreichen, daß in dieser Situation ruhig und überlegt gehandelt werden müsse. Die Betonung in diesem Satz kann aber nur auf dem „Handeln" liegen. Welche einseitigen Aktionen und Provokationen Moskaus — so fragen wir — müssen eigentlich noch geschehen, bis sich der Westen zu Antworten aufrafft, die dem Bolschewismus effektiv verständlich sind? Auf diese Frage muß auch die Bundesrepublik selbst eine Antwort zu geben in der Lage sein.
Es ist gewiß keine Übertreibung, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn auch ich an dieser Stelle unterstreiche, daß in keinem anderen Volk auf dieser Erde die Sehnsucht nach einem wirklichen Frieden größer ist als in dem unseren. Die Erlebnisse der letzten zwanzig Jahre unserer Geschichte waren zu furchtbar, als daß sie etwa spurlos an uns vorübergegangen wären. Den Willen zu einem friedlichen Ausgleich mit allen Völkern, die dazu bereit sind, den Willen auch zu einer aufrichtigen Wiedergutmachung haben die Deutschen in der Bundesrepublik mehr als einmal überzeugend bewiesen. Sie sind aufgeschlossener als alle anderen europäischen Nachbarn bereit gewesen, auf Souveränitätsrechte zu verzichten, um die Absage an jede Machtpolitik zu unterstreichen. Sie sind aber nicht bereit, auf ihre Selbstachtung zu verzichten, wenn ihre Forderung nach Gewährung der Menschenrechte auch für die Deutschen immer wieder brutal zurückgewiesen wird.
Deshalb hat die Bundesrepublik nach unserer Auffassung auch die Verpflichtung, als Antwort auf den 13. August jene Maßnahmen zu ergreifen, die sie in eigener Zuständigkeit durchführen kann. Dazu gehört nicht die Kündigung des Interzonenhandelsabkommens, jedenfalls nicht als einzige wirtschaftliche Abwehrmaßnahme der freien Welt, da die Zusammenhänge zwischen dem Interzonenhandel und den Berlin-Verbindungen nicht übersehen werden können. Wo aber steht geschrieben, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die freie Wirtschaft der Bundesrepublik etwa gezwungen ist, den im Interzonenhandelsabkommen vorgezeichneten Rahmen auch tatsächlich auszufüllen? Wo steht geschrieben, daß die freie Wirtschaft der Bundesrepublik auf der Leipziger Messe vertreten sein muß? Wer vor den Scharfmachern warnt, wie es in diesen Tagen geschehen ist, sollte nicht vergessen, gleichzeitig auch vor den Geschäftemachern zu warnen. Welchen Nutzen soll es haben, sich weiterhin um ein neues Kulturabkommen mit der Sowjetunion zu bemühen, jener Macht, ohne deren Entscheidung der 13. August nicht möglich gewesen wäre? Auf diese Fragen muß die Bundesrepublik eine Antwort geben, im Interesse ihrer Selbstachtung und der Glaubwürdigkeit ihres Bekenntnisses zu den Menschen in Berlin und Mitteldeutschland.
Auf diese Fragen kann die Bundesrepublik eine Antwort geben, ohne im geringsten gegen die absolut notwendige Solidarität der freien Welt zu verstoßen.
Auch auf diese Antworten ,der Bundesrepublik haben die Deutschen hier und jenseits der Elbe und Werra bis heute vergeblich gewartet. Statt dessen wurden sie am Donnerstagmorgen mit einer Verlautbarung der Bundesregierung über das Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit dem sowjetischen Botschafter überrascht, die selbst bei zahlreichen absolut loyalen Befürwortern der Politik der Bundesregierung auf wenig Verständnis gestoßen ist. Ich will es mir versagen, meine Damen und Herren, in diesem Augenblick ,die Gefühle der Menschen hier in unserem eigenen Lande und auch jenseits der Zonengrenze zu schildern, als sie diesen Tatbestand zur Kenntnis nehmen mußten.
Ich frage aber: Womit will die Bundesregierung der Bevölkerung der Bundesrepublik den Sinn ihrer Worte erläutern, daß sie keine Schritte unternehmen wird, die die Beziehungen zwischen ihr und der Sowjetunion erschweren und die internationale Lage verschlechtern könnten? Die Macht, die eben noch als Rechtsbrecher bezeichnet worden ist, sollte nicht die Zusicherung erhalten, etwa für ihre brutalen Willkürmaßnahmen noch mit Wohlverhalten belohnt zu werden.
Die Folge kann nur eine weitere Entmutigung des Willens ,der Deutschen zur Wiedervereinigung sein. Niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß die Deutschen die Hoffnung auf eine Überwindung der Spaltung ihres Vaterlandes so lange nicht aufzugeben brauchen, solange in ihnen das Bewußtsein, trotz allem eine Nation zu sein, noch lebendig ist. Erst wenn dieses Bewußtsein sich wundgestoßen hat und lahm geworden ist, beginnt die Teilung Deutschlands endgültig zu werden. Und deshalb bedauern meine Freunde und ich so tief diese Verlautbarung und die Auswirkungen, die sie hier und da haben mag.
Wir fragen uns vergeblich, welche positiven Wirkungen sich die Bundesregierung von ihr versprochen hat. Hoffnungen auf Verhandlungen? Gewiß, meine Damen und Herren, Verhandlungen müssen sein. Aber es ist die Frage gestattet: Welchen Wert können sie überhaupt haben, wenn der Partner bereits vorher so handgreiflich herausgefordert wird, an ,die Schwäche der Gegenseite zu glauben? Welchen Wert haben solche Verhandlungen überhaupt mit einer Macht, die gerade eben noch den zynischsten Rechtsbruch der Neuzeit begangen hat?
Die Zukunft ist wahrhaftig trübe. Meinen politischen Freunden und mir scheint es kein geeigneter Augenblick zu sein, jetzt irgendwelche tröstlichen Hoffnungen zu erwecken. Eines allerdings glauben wir mit Bestimmtheit zu wissen: das deutsche Volk im freien Teil Deutschlands und jene 16 Millionen in Moskaus Kolonie ,zwischen Elbe und Werra und Oder und Neiße haben nur eine Möglichkeit, trotz aller Gefahren und Widerstände dieser Zeit die ihnen auferlegten Prüfungen zu bestehen, wenn ihr Drang zur Freiheit und ihr Wille zur Wiederver-
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einigung die Welt schließlich zu überzeugen vermag, daß auch den Deutschen endlich das Recht auf Selbstbestimmung nicht vorenthalten werden kann. Dieses Bekenntnis zur Freiheit und diesen Willen zur Wiedervereinigung zu stärken, ihn glaubwürdig zu erhalten und ihn aller Welt anläßlich ,der Bundestagswahlen auch durch eine damit verbundene Volksabstimmung in Westberlin und Westdeutschland vor Augen zu führen, muß die vornehmste Aufgabe dieses Hauses sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Drohung des Separatfriedens steht als nächste Provokation der Kommunisten bevor. Wir stehen sicherlich vor schweren Bewährungsproben. Das macht ein Zusammenstehen all e r Deutschen über alle parteipolitischen Gegensätze hinweg notwendig.