Rede:
ID0316701000

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    Deutscher Bundestag 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung zur politischen Lage und Beratung über die Lage Berlins Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 9769 B Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . 9773 C Dr. Krone (CDU/CSU) 9777 A Ollenhauer (SPD) 9779 D Dr. Mende (FDP) 9781 A Schneider (Bremerhaven) (fraktionslos) 9783 C Behrisch (fraktionslos) 9786 A Neubauer (SPD) 9788 A D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . 9788 C Anlage 9791 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9769 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Stenographischer Bericht Beginn: 11.04 Uhr
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    Anlage 1 Liste ber beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Bärsch 18. 8. Bettgenhäuser 22. 8. Caspers 22. 8. Dewald 22. 8. Dr. Frey 22. 8. Dr. Greve 22. 8. Hauffe 22. 8. Jaksch 18. 8. Frau Klemmert 22. 8. Dr. Königswarter 22. 8. Kuntscher 18. 8. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lena (Trossingen) 22. 8. Meitmann 22. 8. Dr. Menzel 18. 8. Neuburger 22. 8. Pelster 22. 8. Dr. Pferdmenges 22. 8. Pohle 22. 8. Reitzner 22. 8. Scharnowski 22. 8. Schoettle 18. 8. Struve 22. 8. Strauß 18. 8. Dr. Tamblé 22. 8. Frau Welter (Aachen) 22. 8.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei die folgende Erklärung abzugeben:
    Der 13. August dieses Jahres wird als schwarzer Tag in die Geschichte unseres Vaterlandes eingehen. Die Gemeinsamkeit, die in diesem Hause innerhalb der drei Fraktionen in der Berlin- und Deutschlandfrage erkennbar geworden ist, sollte auch außerhalb dieses Hauses in den nächsten Wochen und Monaten erkennbar sein.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Denn Form und Inhalt des gegenwärtig laufenden Bundestagswahlkampfes können und dürfen nicht unbeeinflußt von den Ereignissen des 13. August und der folgenden Tage bleiben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Parteien sind nicht Selbstzweck, sie sind Mittel zum Zweck! Über den Parteien steht das gemeinsame Vaterland,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    und es kommt am 17. September dieses Jahres nicht mehr so entscheidend darauf an, ob die Christlich-Demokratische Union, die Sozialdemokratische Partei oder die Freie Demokratische Partei den größten Wahlerfolg davonträgt, sondern ob es uns drei für das Schicksal Deutschlands verantwortlichen demokratischen Parteien durch ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit in der Berlin- und Deutschlandfrage und in engster Zusammenarbeit mit unseren Partnern gelingt, die Bedrohung von Berlin und Deutschland zu nehmen und Europa und Deutschland vor einem neuen „Korea" zu bewahren.

    (Beifall von der FDP und der SPD).

    Die Absperrung der deutschen Menschen in der Sowjetzone und im sowjetischen Sektor in Berlin vom freien Teil unseres -Vaterlandes ist ein neuer unmenschlicher Willkürakt. Die Maßnahmen der Sowjetzone verletzen das noch immer bestehende Vier-Mächte-Abkommen über Berlin. Die Besetzung des Ostsektors durch Truppen der sogenannten Volksarmee und die Erklärung der Sektorengrenze zur Staatsgrenze ist ein Akt der Aggression und der Annexion. Die Sowjetzonenmachthaber verhöhnen aufs neue das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen. Sie nehmen den Deutschen aus der Sowjetzone und aus dem sowjetischen Sektor von Berlin die Freizügigkeit, ein Grundrecht, das in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und ebenso in der Verfassung der sogenannten DDR garantiert ist und das zu 'den unveräußerlichen Rechten eines jeden Volkes gehört.
    Die Sowjetunion, die mit der Billigung dieses Rechtsbruchs erneut das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes mißachtet, sollte erkennen, daß nach den schmerzlichen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit alle Völker dieser Erde den absoluten Wert der Freiheit erkannt haben. Wer sich zur Freiheit des einzelnen und zur Freiheit der Völker bekennt, fühlt sich immer dann betroffen, wenn die Freiheit irgendwo in der Welt bedroht ist. In einer Zeit, in der die jungen Staaten Asiens und Afrikas um das Recht auf Selbstbestimmung und nationale Freiheit ringen, muß die Verletzung dieser Rechte in Deutschland als Rückfall in den Kolonialismus wirken und die Freiheitssehnsucht dieser Völker hitter enttäuschen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das Verhalten der Sowjetunion in der Berlin- und Deutschlandfrage muß für die Weltöffentlichkeit auch der Gradmesser für die Ehrlichkeit ihrer Beteuerungen gegenüber den jungen Völkern Asiens und Afrikas sein.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Die Machthaber der Sowjetzone trifft nach den Willkürmaßnahmen vom 13. August 1961 erneut die Verachtung des ganzen deutschen Volkes in beiden Teilen. Unsere Gedanken sind in dieser Stunde bei den Deutschen jenseits des Brandenburger Tores und jenseits des Eisernen Vorhanges. Die Gemeinschaft des deutschen Volkes kann durch keinen Stacheldraht und keinen Todesstreifen aufgehoben werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der übrigen Fraktionen.)

    Die Gemeinschaft des deutschen Volkes gründet sich auf das tiefe Zusammengehörigkeitsgefühl von Menschen, die nach schmerzlichsten Erfahrungen Freiheit und Menschenwürde als die höchsten irdischen Güter der Nation ansehen.

    (Zustimmung bei der FDP.)

    Den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhanges werden Freiheit und Menschenwürde auch heute noch vorenthalten. Sie tragen die Last der deutschen Teilung. Ihr Schicksal muß daher der Maßstab unseres Handelns sein. Das Grundgesetz verpflichtet dieses freigewählte Parlament der Deutschen, für unsere Landsleute mit zu handeln, denen die Mitgestaltung unseres staatlichen Lebens versagt ist. Die Politik, die seit 1945 gemacht worden ist, wird eines Tages danach beurteilt werden, was wir für das ganze deutsche Volk erreicht haben.

    (Beifall bei der FDP.)

    9782 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Dr. Mende
    Ziel und Aufgabe ist daher unverrückbar die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit. Sie ist der politische Auftrag für unsere Generation, an dessen Erfüllung Erfolg oder Mißerfolg unserer Politik dereinst gemessen werden.

    (Beifall bei der FDP.)

    Heute ist nicht die Stunde, Kritik an der Bundesregierung zu üben. Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung zu stärkerer Initiative in der Deutschland-Frage übergehen will und für alsbaldige Verhandlungen in der Deutschlandfrage eintritt.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD. — Oho-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Es ist jetzt jeder mögliche Fall einer neuen Provokation ins Auge zu fassen, konkrete Gegenmaßnahmen mit den Verbündeten sind vorzubereiten. Es darf sich nicht wiederholen, daß die Bundesregierung wie am 5. Mai 1961 dem Deutschen Bundestag versichert, daß sie und ihre Verbündeten auf jegliche Maßnahme der anderen Seite eingestellt seien und daß wir schon wenige Wochen später durch eine nicht vorausgesehene Aktion des Unrechts überrascht werden. Wir würden unsere Pflichten als freigewählte Vertreter unseres Volkes verletzen, wenn wir in dieser Stunde der Weltöffentlichkeit die Unruhe in unserem Volke verbergen würden. Die (bewundernswürdige Disziplin der Berliner in beiden Teilen der Stadt und die Haltung der Deutschen in der Sowjetzone sollten niemanden darüber hinwegtäuschen, daß die Grenzen der Selbstachtung des deutschen Volkes erreicht sind. Die Forderung: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" darf den Ruf nach Freiheit für das ganze deutsche Opfers würdig ist.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Der Wiederaufbau des freien Teils Deutschlands war nur möglich, weil die Menschen in der Sowjetzone dem Kommunismus widerstanden und ungeheure Opfer für uns alle gebracht haben. Wenn wir durch eine Überschätzung des materiellen Wohlstandes jegliche Opferbereitschaft in der Bundesrepublik abtöten, den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhanges dagegen täglich das Opfer, der kommunistischen Herrschaft zu widerstehen, zumuten würden, würden wir Verrat an der gesamtdeutschen nationalen Solidarität üben.

    (Beifall bei der FDP.)

    Niemand bei uns und in der Welt sollte glauben, daß das ,deutsche Volk sich in der Erwartung, daß ein Teil auch morgen im Wohlstand leben kann, mit der jetzt geschaffenen Lage auf die Dauer abfindet. Die Deutschen in der Sowjetzone und die Berliner haben ihre Vorleistung auf die Freiheit unter schwersten Bedingungen und Belastungen erbracht. Die Haltung der freien Welt in den nächsten Wochen und Monaten wird beweisen, ob sie dieses Opfer würdig ist.
    Die Vier Mächte haben als Unterzeichner des Potsdamer Abkommens die Verantwortung für die staatliche Einheit Deutschlands übernommen. Sie haben den Viermächtestatus von Berlin nicht nur als Vertragspartner der Sowjetunion, sondern auch aus der gegenüber dem deutschen Volk übernommenen Verantwortung zu wahren. Der Artikel 7 des Deutschland-Vertrages bekräftigt .die Verpflichtung unserer westlichen Verbündeten, das gemeinsame Ziel eines wiedervereinigten Deutschland mit friedlichen Mitteln zu verwirklichen. Unsere Vertragspartner würden Inhalt und Geist der Verträge nicht gerecht werden, wenn sie die Berlinfrage allein unter dem Blickpunkt ihrer Rechte in Berlin betrachten würden. Die Absperrung in Berlin ist keine innere Angelegenheit der Sowjetzone. Die von den Verbündeten übernommene Verpflichtung, die Sache der deutschen Einheit mit zu ihrer eigenen zu machen, verpflichtet sie auch, die letzten Klammern zwischen den getrennten Teilen Deutschlands aufrechtzuerhalten.
    Das Recht auf Freizügigkeit zwischen den beiden Teilen Deutschlands, das in diesen Tagen völlig unterdrückt worden ist, war die wichtigste und menschlich wirksamste Klammer. Eine Anerkennung der sowjetzonalen Maßnahmen zur Beseitigung dieses Rechts in der einen oder anderen Form würde einen Bruch der Verträge bedeuten. Das im Grundgesetz für alle Deutschen verbürgte Recht auf Freizügigkeit hindert jede deutsche Regierung, die Maßnahmen der Sowjetzonenbehörden hinzunehmen. Moskau und die Welt sollen wissen, daß jede vertragliche Vereinbarung, die die Spaltung unseres Vaterlandes zur Voraussetzung hat, gegen die Menschenrechte und gegen den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes verstößt, die Einheit in Freiheit zu vollenden. Die Macht des Unrechts kann uns zwar zwingen, eine Zeitlang getrennt voneinander leben zu müssen. Keine Macht der Welt kann uns aber bewegen, durch unsere Unterschrift ,aus diesem Unrecht Recht werden zu lassen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir halten an den Vier-Mächte-Vereinbarungen über Berlin fest. Es sei aber gesagt: An dem Tage, an dem diese Vereinbarungen nicht mehr gelten, erlöschen die Vorbehalte der drei westlichen Mächte gegen die im Grundgesetz und in der Verfassung von Berlin vorgesehene Zugehörigkeit Berlins zur Bundesrepublik Deutschland als Bundesland, d. h., die Antwort auf eine fortgesetzte Verletzung und Verhöhnung des Vier-Mächte-Status durch die Einbeziehung des Sowjetsektors von Berlin in die Sowjetzone kann nur die Eingliederung Berlins in die Bundesrepublik Deutschland sein mit allen daraus sich ergebenden Rechten und Pflichten in bezug auf die mit der Bundesrepublik geschlossenen Verträge.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

    Das deutsche Volk wünscht gute Beziehungen zu den Völkern der Sowjetunion. Auch die Regierung der UdSSR muß erkennen, daß die von ihr gebilligten Unrechtsmaßnahmen die Gefühle des deutschen Volkes aufs tiefste verletzen. Solange dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten wird, solange unser Land widerrechtlich geteilt ist, wird der auch von der Sowjetunion gewünschte Frieden in Europa ge-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9783
    Dr. Mende
    fährdet bleiben. Die Berlin-Frage kann daher nur im Rahmen der deutschen Frage im Sinne einer Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands gelöst werden. Die Regierung der Sowjetunion möge sich an den Satz erinnern, der in ihrem eigenen Aide-mémoire vom 19. März 1958 enthalten ist — ich zitiere ihn wörtlich —:
    „Um weitere falsche Gerüchte zu vermeiden, hält es die sowjetische Regierung für notwendig, erneut festzustellen, daß sie für den Abschluß eines einzigen Friedensvertrages mit ganz Deutschland eintritt.
    Im Bewußtsein der Verantwortung gegenüber unserem Volk und für den Frieden der Welt fordern wir Freien Demokraten, daß wir Deutschen nun die Sache der deutschen Einheit stärker in unsere Hand nehmen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Unsere Aufgabe ist es, den verbündeten Völkern und ihren Regierungen den Weg zu dem gemeinsamen Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu zeigen, für das wir ihre Hilfe erwarten. Ich wiederhole die Worte, die der Bundestagspräsident am 30. Juni dieses Jahres unter dem Beifall aller Fraktionen des Deutschen Bundestages vor diesem Hause gesprochen hat:
    Ich glaube aber,
    — so führte der Präsident dieses Hauses aus —
    daß es das Gebot der Stunde ist, daß über das Verfahren zu einem Friedensvertrag mit Deutschland eine Einigung zwischen den Westmächten und Sowjetrußland herbeigeführt wird. Die Friedensverhandlungen selbst müssen Klarheit schaffen
    erstens über den militärischen und politischen Status des zukünftigen Gesamtdeutschlands.
    Zweitens ist es selbstversändlich, daß ein Friedensvertrag die definitive Bereinigung der materiellen und rechtlichen Fragen bringen muß, die sich aus dem zweiten Weltkrieg ergeben. Dazu gehört auch die Frage der Reichsgrenzen.
    Drittens
    — so führte der Bundestagspräsident aus —ist es unerläßlich, daß dem ganzen deutschen Volke die Möglichkeit verbürgt wird — ich sage: verbürgt wird —, Gebrauch zu machen von „dem Grundsatz der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker", wie er verankert ist in dem Artikel 1 der Charta der Vereinten Nationen.
    Meine Damen und Herren, diese Erklärung des Präsidenten des Deutschen Bundestages hat für die Freie Femokratische Partei weiterhin uneingeschränkte Geltung.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider (Bremerhaven).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Erklärung der Bundesregierung, der Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und in den Ausführungen meiner Vorredner ist der brutale Rechtsbruch vom 13. August, der neue Anschlag des Bolschewismus gegen die einfachsten Menschenrechte in Worten dargestellt worden, denen ich kaum weitere hinzuzufügen brauche. Trauer und Empörung erfüllen heute alle Deutschen, von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, gleichermaßen. Ebenso stark aber sind die Gefühle hilfloser Ohnmacht und schmerzlicher Enttäuschung, die heute gleichfalls breiteste Schichten unserer Bevölkerung weit über Berlin hinaus bewegen. Es scheint meinen Freunden von der Gesamtdeutschen Partei und mir die Hauptaufgabe dieser Stunde zu sein, vor allem von ihnen zu sprechen. Dazu gehört auch, daß ich unserem Bedauern darüber Ausdruck geben möchte, daß diese außerordentliche Sitzung des Bundestages in Bonn und nicht in Berlin stattfindet.
    In vielen Kommentaren ist der 13. August ein Markstein in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Europas genannt worden. Er wurde verglichen mit dem Prager Fenstersturz von 1948, der seinerzeit gleichfalls einen neuen Abschnitt in dem Ringen um Europa einleitete. Meine Freunde und ich fürchten dagegen, daß die Historiker eines Tages nicht den 13. August, sondern die ihm folgenden Tage mit dem Prager Fenstersturz vergleichen werden, diese letzten Tage endloser Debatten, unerfüllter Ankündigungen und offenbarer Ratlosigkeit der freien Welt.
    Seit dem November 1958, dem Berlin-Ultimatum Chruschtschows, kennen wir, kennt die Welt die Berlin-Pläne und Deutschland-Pläne Moskaus. Seit dem Wiener Treffen zwischen Präsident Kennedy und dem sowjetischen Regierungschef hat sich der Himmel von Woche zu Woche verdüstert. Dementsprechend wurden die Vorbereitungen der freien Welt auf eine mögliche Krise verstärkt und beschleunigt. Nach der Pariser Außenministerkonferenz zu Anfang dieses Monats wurde verkündet, der Westen sei auf jeden möglichen Fall vorbereitet. Nun liegt der 13. August hinter uns, und die Reaktion des Westens ist ganz anders ausgefallen, als die große Mehrheit der Deutschen es erwartet hatte. Es ist notwendig, in diesem Augenblick offen und ohne Umschweife von der gefährlichen Ernüchterung und Enttäuschung zu sprechen, die große Teile unserer Bevölkerung erfaßt haben.
    Die Bundesregierung nannte in ihrer Erklärung vom Dienstag das Vorgehen vom 13. August mit vollem Recht und ohne Einschränkung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes kündigte an, daß nunmehr in die Mappe mit den vorbereiteten Plänen gegriffen werde und der Aktion des Ostblocks gleichwertige Gegenmaßnahmen entgegengesetzt würden,
    9784 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Schneider (Bremerhaven)

    Wir kennen inzwischen das Ergebnis. Die Protestnoten der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs sind scharf und in ihrer Beweisführung für die freie Welt völlig überzeugend. Der Eindruck, den sie in Moskau erzielen werden, wird ebenso gering sein, da gleichzeitig offenkundig ist, daß sie die einzigen sofortigen Gegenmaßnahmen bleiben werden, abgesehen von der neuerlichen Verstärkung der Verteidigungsbereitschaft der drei Mächte, auf die ich in anderem Zusammenhang noch eingehen werde.
    Von den umfassenden wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen, von denen der Herr Bundeskanzler noch am Dienstag sprach, ist leider nicht mehr die Rede. Statt dessen versuchen nunmehr einflußreiche Zeitungen und Kommentatoren insbesondere in den USA und in England, den Deutschen klarzumachen, weshalb die angekündigten gleichwertigen Gegenmaßnahmen nur so und nicht anders aussehen können. Ihre Argumente wirken auf meine Freunde und mich zu einem Teil manchmal fast zynisch und so, als ob ihre Verfasser noch immer mit Blindheit geschlagen wären, wenn es darum geht, Wesen und Ziele der Aktionen des Bolschewismus in aller Welt zu erkennen. Es sollte uns alle tief beunruhigen, daß die Erinnerung an das München vom September 1938 in vielen Köpfen und nicht nur bei uns in Deutschland umgeht. Im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers sind meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei und ich der Meinung, daß nach den vielfältigen Beschwörungen unseres westlichen Bündnisses und nach den vielfältigen Beweisen unserer Bündnistreue es nun an den Westmächten ist, ihrerseits einen Beweis für eben diese Bündnistreue zu liefern.
    Die Deutschen haben eine fürchterliche Lektion des Totalitarismus lernen müssen. Weil sie glauben, daß auch die freie Welt sie endlich kennen sollte, deshalb fordern heute so viele Menschen bei uns effektive Handlungen an Stelle noch so gut formulierter Protestnoten, die für den Bolschewismus nur ein Zeichen von Schwäche und geradezu eine Einladung zu weiteren Rechtsbrüchen sind. Sie fordern diese Gegenmaßnahmen nicht aus Leichtfertigkeit und nicht, weil ihnen die Erinnerung an die Schrekken des Krieges etwa schon vergangen wäre, sondern ganz im Gegenteil, weil sie davon überzeugt sind, daß nur auf diese Weise schließlich eine furchtbare Katastrophe vermieden werden kann.
    Die größte Gefahr für den Weltfrieden liegt in der Überzeugung eines totalitären Regimes, es mit einem schwachen, handlungsunfähigen Gegner zu tun zu haben, der zu keiner wirklichen Abwehr bereit und fähig ist. Genau darum geht es. Es geht darum, den Eindruck in Moskau zu zerstören, daß man über einen neuen Status von West-Berlin gar nicht mehr zu verhandeln brauche, nachdem es so leicht war, den Viermächtestatus für Gesamt-Berlin ohne jede effektive Gegenwirkung endgültig zu beseitigen. Es geht darum, die den Frieden bedrohenden Fehleinschätzungen und Illusionen der bolschewistischen Führer zu zerstören und ihnen endlich klarzumachen, daß die zielbewußt betriebene Unterhöhlung der westlichen Position in Berlin ihr Ende gefunden haben muß. Aus diesem Grunde unterstützen meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei uneingeschränkt die Forderung, den Rechtsbruch vom 13. August vor die Vereinten Nationen zu bringen.
    In Berlin und in der Sowjetzone besteht heute tatsächlich eine akute Gefahr für den Frieden dieser Welt. Sollte der Kessel explodieren, dessen Überdruckventil am 13. August verstopft worden ist, dann sind die Folgen wahrhaftig unübersehbar. Weiter kann die freie Welt es nicht länger hinnehmen, in welcher Weise die elementarsten Grundsätze der Vereinten Nationen im Herrschaftsbereich Ulbrichts mit Füßen getreten werden. Der Hinweis darauf, daß von einer solchen Aktion schließlich doch keine greifbaren Ergebnisse zu erwarten seien, geht an dem Wesen der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus vorbei und übersieht insbesondere, daß auch die Sowjetunion alles andere als etwa unempfindlich gegenüber dem Auf und Ab in der Weltmeinung wäre. Die Gefühle des größten Teiles der Welt für die Sache der Unterdrückten zu gewinnen und gegen ihre Unterdrücker zu mobilisieren, ist eine politische Aufgabe von höchster Bedeutung. Wenn der Westen daran zweifelt, diese Aufgabe auf dem Boden der Vereinten Nationen lösen zu können, woher überhaupt will er dann die Zuversicht nehmen, in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus zu bestehen?
    Die Anrufung der Vereinten Nationen muß ergänzt werden durch wirtschaftliche Abwehrmaßnahmen der ganzen atlantischen Gemeinschaft. Es ist bekannt, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß der Westen große Beiträge zur industriellen Aufrüstung der Sowjetunion leistet. Die Bundesregierung ist der wichtigste Lieferant beim Aufbau der sowjetischen Schwerchemie. Ganz unzweifelhaft ist der Sowjetblock nur deshalb zu nicht unbeträchtlicher Lieferung in ,die Entwicklungsländer in der Lage, weil die freie Welt auf der anderen Seite seine großen Lücken beim industriellen Aufbau ausfüllt. Ist es zuviel gesagt, meine Damen und Herren, wenn unterrichtete Fachleute seit langem der Ansicht sind, daß die freie Welt durch ihre Lieferungen in den Ostblock das ihre dazu beiträgt, um die gegen sie gerichtete wirtschaftliche und militärische Aufrüstung der Sowjetunion zu beschleunigen? Wenn überhaupt irgendwo, so liegen hier die besten Ansatzpunkte für wirksame Gegenmaßnahmen. Unerläßliche Voraussetzung allerdings ist eine wirkliche Geschlossenheit der freien Welt, die endlich darauf verzichtet, ihrem Henker vorher noch den Strick zu liefern, der für sie selbst bestimmt ist.
    Und ein Weiteres, meine Damen und Herren. Wir meinen darüber hinaus und schlagen vor, West-Berlin sowie seine Verbindungswege zum freien Westen unter den Schutz der NATO zu stellen. Hierzu ist der Westen um so mehr berechtigt, als die Terrormaßnahmen gegen Ost-Berlin und die Zone mit ausdrücklicher Billigung, ja sogar auf Empfehlung der Warschauer-Pakt-Staaten erfolgt sind.
    Die energische weitere Verstärkung der Verteidigungskraft der USA, Englands und Frankreichs
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9785
    Schneider (Bremerhaven)

    sollte durch eine solche Maßnahme demonstrativ unterstrichen werden, um auch auf diese Weise die Garantien der Westmächte so glaubwürdig wie möglich zu machen. Das Ziel auch dieser Maßnahme muß es stein, Chruschtschow vor Fehleinschätzungen der wirklichen Lage zu bewahren und damit entscheidend zur Sicherung des Friedens beizutragen.
    Meine Freunde von der Gesamtdeutschen Partei unterstreichen, daß in dieser Situation ruhig und überlegt gehandelt werden müsse. Die Betonung in diesem Satz kann aber nur auf dem „Handeln" liegen. Welche einseitigen Aktionen und Provokationen Moskaus — so fragen wir — müssen eigentlich noch geschehen, bis sich der Westen zu Antworten aufrafft, die dem Bolschewismus effektiv verständlich sind? Auf diese Frage muß auch die Bundesrepublik selbst eine Antwort zu geben in der Lage sein.
    Es ist gewiß keine Übertreibung, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn auch ich an dieser Stelle unterstreiche, daß in keinem anderen Volk auf dieser Erde die Sehnsucht nach einem wirklichen Frieden größer ist als in dem unseren. Die Erlebnisse der letzten zwanzig Jahre unserer Geschichte waren zu furchtbar, als daß sie etwa spurlos an uns vorübergegangen wären. Den Willen zu einem friedlichen Ausgleich mit allen Völkern, die dazu bereit sind, den Willen auch zu einer aufrichtigen Wiedergutmachung haben die Deutschen in der Bundesrepublik mehr als einmal überzeugend bewiesen. Sie sind aufgeschlossener als alle anderen europäischen Nachbarn bereit gewesen, auf Souveränitätsrechte zu verzichten, um die Absage an jede Machtpolitik zu unterstreichen. Sie sind aber nicht bereit, auf ihre Selbstachtung zu verzichten, wenn ihre Forderung nach Gewährung der Menschenrechte auch für die Deutschen immer wieder brutal zurückgewiesen wird.
    Deshalb hat die Bundesrepublik nach unserer Auffassung auch die Verpflichtung, als Antwort auf den 13. August jene Maßnahmen zu ergreifen, die sie in eigener Zuständigkeit durchführen kann. Dazu gehört nicht die Kündigung des Interzonenhandelsabkommens, jedenfalls nicht als einzige wirtschaftliche Abwehrmaßnahme der freien Welt, da die Zusammenhänge zwischen dem Interzonenhandel und den Berlin-Verbindungen nicht übersehen werden können. Wo aber steht geschrieben, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die freie Wirtschaft der Bundesrepublik etwa gezwungen ist, den im Interzonenhandelsabkommen vorgezeichneten Rahmen auch tatsächlich auszufüllen? Wo steht geschrieben, daß die freie Wirtschaft der Bundesrepublik auf der Leipziger Messe vertreten sein muß? Wer vor den Scharfmachern warnt, wie es in diesen Tagen geschehen ist, sollte nicht vergessen, gleichzeitig auch vor den Geschäftemachern zu warnen. Welchen Nutzen soll es haben, sich weiterhin um ein neues Kulturabkommen mit der Sowjetunion zu bemühen, jener Macht, ohne deren Entscheidung der 13. August nicht möglich gewesen wäre? Auf diese Fragen muß die Bundesrepublik eine Antwort geben, im Interesse ihrer Selbstachtung und der Glaubwürdigkeit ihres Bekenntnisses zu den Menschen in Berlin und Mitteldeutschland.
    Auf diese Fragen kann die Bundesrepublik eine Antwort geben, ohne im geringsten gegen die absolut notwendige Solidarität der freien Welt zu verstoßen.
    Auch auf diese Antworten ,der Bundesrepublik haben die Deutschen hier und jenseits der Elbe und Werra bis heute vergeblich gewartet. Statt dessen wurden sie am Donnerstagmorgen mit einer Verlautbarung der Bundesregierung über das Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit dem sowjetischen Botschafter überrascht, die selbst bei zahlreichen absolut loyalen Befürwortern der Politik der Bundesregierung auf wenig Verständnis gestoßen ist. Ich will es mir versagen, meine Damen und Herren, in diesem Augenblick ,die Gefühle der Menschen hier in unserem eigenen Lande und auch jenseits der Zonengrenze zu schildern, als sie diesen Tatbestand zur Kenntnis nehmen mußten.
    Ich frage aber: Womit will die Bundesregierung der Bevölkerung der Bundesrepublik den Sinn ihrer Worte erläutern, daß sie keine Schritte unternehmen wird, die die Beziehungen zwischen ihr und der Sowjetunion erschweren und die internationale Lage verschlechtern könnten? Die Macht, die eben noch als Rechtsbrecher bezeichnet worden ist, sollte nicht die Zusicherung erhalten, etwa für ihre brutalen Willkürmaßnahmen noch mit Wohlverhalten belohnt zu werden.
    Die Folge kann nur eine weitere Entmutigung des Willens ,der Deutschen zur Wiedervereinigung sein. Niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß die Deutschen die Hoffnung auf eine Überwindung der Spaltung ihres Vaterlandes so lange nicht aufzugeben brauchen, solange in ihnen das Bewußtsein, trotz allem eine Nation zu sein, noch lebendig ist. Erst wenn dieses Bewußtsein sich wundgestoßen hat und lahm geworden ist, beginnt die Teilung Deutschlands endgültig zu werden. Und deshalb bedauern meine Freunde und ich so tief diese Verlautbarung und die Auswirkungen, die sie hier und da haben mag.
    Wir fragen uns vergeblich, welche positiven Wirkungen sich die Bundesregierung von ihr versprochen hat. Hoffnungen auf Verhandlungen? Gewiß, meine Damen und Herren, Verhandlungen müssen sein. Aber es ist die Frage gestattet: Welchen Wert können sie überhaupt haben, wenn der Partner bereits vorher so handgreiflich herausgefordert wird, an ,die Schwäche der Gegenseite zu glauben? Welchen Wert haben solche Verhandlungen überhaupt mit einer Macht, die gerade eben noch den zynischsten Rechtsbruch der Neuzeit begangen hat?
    Die Zukunft ist wahrhaftig trübe. Meinen politischen Freunden und mir scheint es kein geeigneter Augenblick zu sein, jetzt irgendwelche tröstlichen Hoffnungen zu erwecken. Eines allerdings glauben wir mit Bestimmtheit zu wissen: das deutsche Volk im freien Teil Deutschlands und jene 16 Millionen in Moskaus Kolonie ,zwischen Elbe und Werra und Oder und Neiße haben nur eine Möglichkeit, trotz aller Gefahren und Widerstände dieser Zeit die ihnen auferlegten Prüfungen zu bestehen, wenn ihr Drang zur Freiheit und ihr Wille zur Wiederver-
    9786 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Schneider (Bremerhaven)

    einigung die Welt schließlich zu überzeugen vermag, daß auch den Deutschen endlich das Recht auf Selbstbestimmung nicht vorenthalten werden kann. Dieses Bekenntnis zur Freiheit und diesen Willen zur Wiedervereinigung zu stärken, ihn glaubwürdig zu erhalten und ihn aller Welt anläßlich ,der Bundestagswahlen auch durch eine damit verbundene Volksabstimmung in Westberlin und Westdeutschland vor Augen zu führen, muß die vornehmste Aufgabe dieses Hauses sein.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Drohung des Separatfriedens steht als nächste Provokation der Kommunisten bevor. Wir stehen sicherlich vor schweren Bewährungsproben. Das macht ein Zusammenstehen all e r Deutschen über alle parteipolitischen Gegensätze hinweg notwendig.

    (Beifall rechts.)