Rede:
ID0316700800

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Metadaten
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    Vokabeln: 8
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    7. Dr.: 1
    8. Mende.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung zur politischen Lage und Beratung über die Lage Berlins Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 9769 B Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . 9773 C Dr. Krone (CDU/CSU) 9777 A Ollenhauer (SPD) 9779 D Dr. Mende (FDP) 9781 A Schneider (Bremerhaven) (fraktionslos) 9783 C Behrisch (fraktionslos) 9786 A Neubauer (SPD) 9788 A D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . 9788 C Anlage 9791 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9769 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Stenographischer Bericht Beginn: 11.04 Uhr
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    Anlage 1 Liste ber beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Bärsch 18. 8. Bettgenhäuser 22. 8. Caspers 22. 8. Dewald 22. 8. Dr. Frey 22. 8. Dr. Greve 22. 8. Hauffe 22. 8. Jaksch 18. 8. Frau Klemmert 22. 8. Dr. Königswarter 22. 8. Kuntscher 18. 8. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lena (Trossingen) 22. 8. Meitmann 22. 8. Dr. Menzel 18. 8. Neuburger 22. 8. Pelster 22. 8. Dr. Pferdmenges 22. 8. Pohle 22. 8. Reitzner 22. 8. Scharnowski 22. 8. Schoettle 18. 8. Struve 22. 8. Strauß 18. 8. Dr. Tamblé 22. 8. Frau Welter (Aachen) 22. 8.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im Namen meiner Fraktion folgende Erklärung abgeben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verurteilt auf das schärfste den Gewaltakt der sowjetzonalen Machthaber vom 13. August. Er ist ein Bruch internationaler Vereinbarungen und eine brutale Verletzung der Menschenrechte.
    Die hermetische Isolierung des Ostsektors von Berlin ist eine gewaltsame Annexion und die Einleitung der endgültigen Spaltung Deutschlands.
    Das Vorgehen der sowjetzonalen kommunistischen Machthaber bedroht die Existenz und die Freiheit von West-Berlin, es bedroht die Freiheit und den Frieden in der ganzen Welt. Die Verantwortung für diese gefährliche Zuspitzung trägt die Sowjetunion, ohne deren Zustimmung der Gewaltakt des 13. August nicht möglich gewesen wäre.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bekennt sich in dieser Stunde zu den Menschen im Ostsektor von Berlin und in der sowjetisch besetzten Zone.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir wissen, daß sie die Sorgen und Leiden, die sie jetzt in dem großen Konzentrationslager der Stacheldrähte und Panzer auf sich nehmen müssen, für uns alle tragen. Sie sollen die Gewißheit haben, daß
    9780 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Ollenhauer
    keine Gewalt uns trennen kann, daß wir ein Volk bleiben

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses)

    und daß wir hier nicht ruhen werden, bis wir wieder in einem Deutschland in Freiheit zusammen leben können.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU und FDP.)

    Wir wissen uns eins mit der Bevölkerung des freien Berlin. Wir danken ihr für ihre tapfere und verantwortungsbewußte Haltung während dieser neuen schweren Belastungsprobe.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU und FDP.)

    Die Erhaltung der Lebensmöglichkeiten und der Freiheit von Berlin ist die Sache des ganzen deutschen Volkes. Wir stehen für sie ein.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU und FDP.)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion appelliert an das deutsche Volk in der Bundesrepublik, sich in der Verurteilung und in der Abwehr des Gewaltstreichs vom 13. August zu vereinigen. Die Not unserer Landsleute in Ostberlin und in der Sowjetzone ist eine nationale Not; sie wird zur Not aller Deutschen. In dem Existenz- und Freiheitskampf der Ostberliner und unserer Landsleute in der Zone entscheiden sich auch unser Schicksal und unsere Hoffnungen auf eine friedliche und lebenswerte Zukunft.
    Unsere Solidarität muß zuerst ihren praktischen Ausdruck finden in der materiellen und menschlichen Hilfe für die Landsleute, die als Flüchtlinge über Westberlin zu uns gekommen sind und in der Zukunft — trotz der Absperrungen — noch zu uns kommen werden. In der Art und Weise, wie wir uns hier als einzelne und als Volk bewähren, wird sich vor der ganzen Welt die Ernsthaftigkeit unseres gesamtdeutschen Bewußtseins beweisen müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Machthaber in der Sowjetzone und ihre Einrichtungen und Organisationen haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn die Ansätze zum kulturellen Austausch auf den verschiedensten Gebieten nach den Ereignissen um den 13. August bei der Bevölkerung der Bundesrepublik auf kalte Ablehnung stoßen.
    Die Antwort der Bundesregierung und unserer Verbündeten auf den Gewaltakt vom 13. August darf sich nicht in Protesten in Berlin-Karlshorst und in Moskau erschöpfen. Das Ziel muß sein, den Gewaltakt vom 13. August rückgängig zu machen und die Stacheldrähte und Betonpfeiler in Ostberlin zum Verschwinden zu bringen.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU und FDP.)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erwartet von der Bundesregierung, daß sie unverzüglich und nachdrücklich über die Stärkung der Verteidigungsnotwendigkeiten hinaus gemeinsam mit unseren Verbündeten alle Maßnahmen prüft und durchführt, die geeignet sind, dieses Ziel der Aufhebung des Gewaltaktes vom 13. August zu erreichen.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten in der Mitte.)

    Der Ernst der Stunde und die Schwierigkeiten der Probleme verbieten eine detaillierte Aufzählung der möglichen und wirksamen Maßahmen. Die Bevölkerung von Berlin erwartet mit Recht und mit Ungeduld derartige Schritte, und auch wir erwarten in Kürze weitere Informationen der Bundesregierung über das Resultat ihrer Bemühungen.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP.)

    Wir appellieren an alle, sich der tiefgreifenden Bedeutung der Ereignisse des 13. August voll bewußt zu werden. Der Gewaltakt vom 13. August ist ein entscheidender Schritt in der Richtung der sowjetischen Vorstellungen für die Zementierung der Spaltung Deutschlands und der Einverleibung ganz Berlins in den kommunistischen Machtbereich. Die Tolerierung dieses Schrittes schafft keine Befriedung, sondern wird neue Spannungen und Konflikte hervorrufen. Sie wird die Position der freien Welt nicht erleichtern, sondern erschweren und die Kriegsgefahr vergrößern.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Gewaltakt vom 13, August ist aber auch vor allem ein brutaler Angriff auf die elementarsten Menschenrechte. Die Grundrechte der Charta der Vereinten Nationen, die auch die Sowjetunion unterzeichnet hat, werden vergewaltigt.
    Das Leid, das in ,diesen Tagen erneut über die Menschen in Ostberlin und in der Sowjetzone ,gekommen ist, ist unermeßlich. Sie leben in Furcht, und ihre einzige Hoffnung ist ,die freie Welt. Sie werden zerbrechen, wenn wir sie enttäuschen. Die Anklage wegen dieser brutalen Verletzung der Menschenrechte gehört vor die Vereinten Nationen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Menschen in West und Ost leben in Furcht vor dem Krieg. Seit dem 13. August ist diese Furcht gestiegen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß ,sie unsere Verbündeten drängt, ohne Verzögerung ,den Versuch zu unternehmen, in Verhandlungen mit der Sowjetunion den Gewaltakt vom 13. August rückgängig zu machen und eine mit unseren freiheitlichen Grundsätzen und Lebensvorstellungen und mit den Grundsätzen des Selbstbestimmungsrechts zu vereinbarende friedliche Lösung der internationalen Spannungen, vor allem auch des Deutschlandproblems, zu erreichen. Die Unterlassung eines solchen Versuchs, durch den die Aufrichtigkeit des Willens aller Beteiligten zu einer solchen friedlichen Lösung unter Beweisgestellt werden muß, ist angesichts der drohenden Kriegsgefahr nicht zu verantworten.
    Meine Damen und Herren! Wir mstehen vor der Gefahr einer Vertrauenskrise in der westlichen Welt. Würde sie Wirklichkeit, dann wäre das ein großer Erfolg der sowjetischen Politik. Die Art und
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9781
    Ollenhauer
    Weise, wie die Bundesregierung und unsere Verbündeten in den nächsten Tagen auf die Ereignisse vom 13. August reagieren, wird entscheidend sein für die Frage, ob die westliche Gemeinschaft ihre Bewährungsprobe besteht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das deutsche Volk ist durch die dramatische Zuspitzung der Entwicklung aufgerufen, sich als Volk zu bewähren, Wir Sozialdemokraten sind bereit, mit allen, die guten Willens sind, für die Freiheit und die Einheit unseres Volkes in allen seinen Teilen und für die Erhaltung des Friedens gemeinsam zu wirken.

    (Starker Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei die folgende Erklärung abzugeben:
    Der 13. August dieses Jahres wird als schwarzer Tag in die Geschichte unseres Vaterlandes eingehen. Die Gemeinsamkeit, die in diesem Hause innerhalb der drei Fraktionen in der Berlin- und Deutschlandfrage erkennbar geworden ist, sollte auch außerhalb dieses Hauses in den nächsten Wochen und Monaten erkennbar sein.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Denn Form und Inhalt des gegenwärtig laufenden Bundestagswahlkampfes können und dürfen nicht unbeeinflußt von den Ereignissen des 13. August und der folgenden Tage bleiben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Parteien sind nicht Selbstzweck, sie sind Mittel zum Zweck! Über den Parteien steht das gemeinsame Vaterland,

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    und es kommt am 17. September dieses Jahres nicht mehr so entscheidend darauf an, ob die Christlich-Demokratische Union, die Sozialdemokratische Partei oder die Freie Demokratische Partei den größten Wahlerfolg davonträgt, sondern ob es uns drei für das Schicksal Deutschlands verantwortlichen demokratischen Parteien durch ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit in der Berlin- und Deutschlandfrage und in engster Zusammenarbeit mit unseren Partnern gelingt, die Bedrohung von Berlin und Deutschland zu nehmen und Europa und Deutschland vor einem neuen „Korea" zu bewahren.

    (Beifall von der FDP und der SPD).

    Die Absperrung der deutschen Menschen in der Sowjetzone und im sowjetischen Sektor in Berlin vom freien Teil unseres -Vaterlandes ist ein neuer unmenschlicher Willkürakt. Die Maßnahmen der Sowjetzone verletzen das noch immer bestehende Vier-Mächte-Abkommen über Berlin. Die Besetzung des Ostsektors durch Truppen der sogenannten Volksarmee und die Erklärung der Sektorengrenze zur Staatsgrenze ist ein Akt der Aggression und der Annexion. Die Sowjetzonenmachthaber verhöhnen aufs neue das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen. Sie nehmen den Deutschen aus der Sowjetzone und aus dem sowjetischen Sektor von Berlin die Freizügigkeit, ein Grundrecht, das in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und ebenso in der Verfassung der sogenannten DDR garantiert ist und das zu 'den unveräußerlichen Rechten eines jeden Volkes gehört.
    Die Sowjetunion, die mit der Billigung dieses Rechtsbruchs erneut das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes mißachtet, sollte erkennen, daß nach den schmerzlichen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit alle Völker dieser Erde den absoluten Wert der Freiheit erkannt haben. Wer sich zur Freiheit des einzelnen und zur Freiheit der Völker bekennt, fühlt sich immer dann betroffen, wenn die Freiheit irgendwo in der Welt bedroht ist. In einer Zeit, in der die jungen Staaten Asiens und Afrikas um das Recht auf Selbstbestimmung und nationale Freiheit ringen, muß die Verletzung dieser Rechte in Deutschland als Rückfall in den Kolonialismus wirken und die Freiheitssehnsucht dieser Völker hitter enttäuschen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das Verhalten der Sowjetunion in der Berlin- und Deutschlandfrage muß für die Weltöffentlichkeit auch der Gradmesser für die Ehrlichkeit ihrer Beteuerungen gegenüber den jungen Völkern Asiens und Afrikas sein.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Die Machthaber der Sowjetzone trifft nach den Willkürmaßnahmen vom 13. August 1961 erneut die Verachtung des ganzen deutschen Volkes in beiden Teilen. Unsere Gedanken sind in dieser Stunde bei den Deutschen jenseits des Brandenburger Tores und jenseits des Eisernen Vorhanges. Die Gemeinschaft des deutschen Volkes kann durch keinen Stacheldraht und keinen Todesstreifen aufgehoben werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der übrigen Fraktionen.)

    Die Gemeinschaft des deutschen Volkes gründet sich auf das tiefe Zusammengehörigkeitsgefühl von Menschen, die nach schmerzlichsten Erfahrungen Freiheit und Menschenwürde als die höchsten irdischen Güter der Nation ansehen.

    (Zustimmung bei der FDP.)

    Den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhanges werden Freiheit und Menschenwürde auch heute noch vorenthalten. Sie tragen die Last der deutschen Teilung. Ihr Schicksal muß daher der Maßstab unseres Handelns sein. Das Grundgesetz verpflichtet dieses freigewählte Parlament der Deutschen, für unsere Landsleute mit zu handeln, denen die Mitgestaltung unseres staatlichen Lebens versagt ist. Die Politik, die seit 1945 gemacht worden ist, wird eines Tages danach beurteilt werden, was wir für das ganze deutsche Volk erreicht haben.

    (Beifall bei der FDP.)

    9782 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Dr. Mende
    Ziel und Aufgabe ist daher unverrückbar die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit. Sie ist der politische Auftrag für unsere Generation, an dessen Erfüllung Erfolg oder Mißerfolg unserer Politik dereinst gemessen werden.

    (Beifall bei der FDP.)

    Heute ist nicht die Stunde, Kritik an der Bundesregierung zu üben. Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung zu stärkerer Initiative in der Deutschland-Frage übergehen will und für alsbaldige Verhandlungen in der Deutschlandfrage eintritt.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD. — Oho-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Es ist jetzt jeder mögliche Fall einer neuen Provokation ins Auge zu fassen, konkrete Gegenmaßnahmen mit den Verbündeten sind vorzubereiten. Es darf sich nicht wiederholen, daß die Bundesregierung wie am 5. Mai 1961 dem Deutschen Bundestag versichert, daß sie und ihre Verbündeten auf jegliche Maßnahme der anderen Seite eingestellt seien und daß wir schon wenige Wochen später durch eine nicht vorausgesehene Aktion des Unrechts überrascht werden. Wir würden unsere Pflichten als freigewählte Vertreter unseres Volkes verletzen, wenn wir in dieser Stunde der Weltöffentlichkeit die Unruhe in unserem Volke verbergen würden. Die (bewundernswürdige Disziplin der Berliner in beiden Teilen der Stadt und die Haltung der Deutschen in der Sowjetzone sollten niemanden darüber hinwegtäuschen, daß die Grenzen der Selbstachtung des deutschen Volkes erreicht sind. Die Forderung: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" darf den Ruf nach Freiheit für das ganze deutsche Opfers würdig ist.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Der Wiederaufbau des freien Teils Deutschlands war nur möglich, weil die Menschen in der Sowjetzone dem Kommunismus widerstanden und ungeheure Opfer für uns alle gebracht haben. Wenn wir durch eine Überschätzung des materiellen Wohlstandes jegliche Opferbereitschaft in der Bundesrepublik abtöten, den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhanges dagegen täglich das Opfer, der kommunistischen Herrschaft zu widerstehen, zumuten würden, würden wir Verrat an der gesamtdeutschen nationalen Solidarität üben.

    (Beifall bei der FDP.)

    Niemand bei uns und in der Welt sollte glauben, daß das ,deutsche Volk sich in der Erwartung, daß ein Teil auch morgen im Wohlstand leben kann, mit der jetzt geschaffenen Lage auf die Dauer abfindet. Die Deutschen in der Sowjetzone und die Berliner haben ihre Vorleistung auf die Freiheit unter schwersten Bedingungen und Belastungen erbracht. Die Haltung der freien Welt in den nächsten Wochen und Monaten wird beweisen, ob sie dieses Opfer würdig ist.
    Die Vier Mächte haben als Unterzeichner des Potsdamer Abkommens die Verantwortung für die staatliche Einheit Deutschlands übernommen. Sie haben den Viermächtestatus von Berlin nicht nur als Vertragspartner der Sowjetunion, sondern auch aus der gegenüber dem deutschen Volk übernommenen Verantwortung zu wahren. Der Artikel 7 des Deutschland-Vertrages bekräftigt .die Verpflichtung unserer westlichen Verbündeten, das gemeinsame Ziel eines wiedervereinigten Deutschland mit friedlichen Mitteln zu verwirklichen. Unsere Vertragspartner würden Inhalt und Geist der Verträge nicht gerecht werden, wenn sie die Berlinfrage allein unter dem Blickpunkt ihrer Rechte in Berlin betrachten würden. Die Absperrung in Berlin ist keine innere Angelegenheit der Sowjetzone. Die von den Verbündeten übernommene Verpflichtung, die Sache der deutschen Einheit mit zu ihrer eigenen zu machen, verpflichtet sie auch, die letzten Klammern zwischen den getrennten Teilen Deutschlands aufrechtzuerhalten.
    Das Recht auf Freizügigkeit zwischen den beiden Teilen Deutschlands, das in diesen Tagen völlig unterdrückt worden ist, war die wichtigste und menschlich wirksamste Klammer. Eine Anerkennung der sowjetzonalen Maßnahmen zur Beseitigung dieses Rechts in der einen oder anderen Form würde einen Bruch der Verträge bedeuten. Das im Grundgesetz für alle Deutschen verbürgte Recht auf Freizügigkeit hindert jede deutsche Regierung, die Maßnahmen der Sowjetzonenbehörden hinzunehmen. Moskau und die Welt sollen wissen, daß jede vertragliche Vereinbarung, die die Spaltung unseres Vaterlandes zur Voraussetzung hat, gegen die Menschenrechte und gegen den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes verstößt, die Einheit in Freiheit zu vollenden. Die Macht des Unrechts kann uns zwar zwingen, eine Zeitlang getrennt voneinander leben zu müssen. Keine Macht der Welt kann uns aber bewegen, durch unsere Unterschrift ,aus diesem Unrecht Recht werden zu lassen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir halten an den Vier-Mächte-Vereinbarungen über Berlin fest. Es sei aber gesagt: An dem Tage, an dem diese Vereinbarungen nicht mehr gelten, erlöschen die Vorbehalte der drei westlichen Mächte gegen die im Grundgesetz und in der Verfassung von Berlin vorgesehene Zugehörigkeit Berlins zur Bundesrepublik Deutschland als Bundesland, d. h., die Antwort auf eine fortgesetzte Verletzung und Verhöhnung des Vier-Mächte-Status durch die Einbeziehung des Sowjetsektors von Berlin in die Sowjetzone kann nur die Eingliederung Berlins in die Bundesrepublik Deutschland sein mit allen daraus sich ergebenden Rechten und Pflichten in bezug auf die mit der Bundesrepublik geschlossenen Verträge.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

    Das deutsche Volk wünscht gute Beziehungen zu den Völkern der Sowjetunion. Auch die Regierung der UdSSR muß erkennen, daß die von ihr gebilligten Unrechtsmaßnahmen die Gefühle des deutschen Volkes aufs tiefste verletzen. Solange dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten wird, solange unser Land widerrechtlich geteilt ist, wird der auch von der Sowjetunion gewünschte Frieden in Europa ge-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9783
    Dr. Mende
    fährdet bleiben. Die Berlin-Frage kann daher nur im Rahmen der deutschen Frage im Sinne einer Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands gelöst werden. Die Regierung der Sowjetunion möge sich an den Satz erinnern, der in ihrem eigenen Aide-mémoire vom 19. März 1958 enthalten ist — ich zitiere ihn wörtlich —:
    „Um weitere falsche Gerüchte zu vermeiden, hält es die sowjetische Regierung für notwendig, erneut festzustellen, daß sie für den Abschluß eines einzigen Friedensvertrages mit ganz Deutschland eintritt.
    Im Bewußtsein der Verantwortung gegenüber unserem Volk und für den Frieden der Welt fordern wir Freien Demokraten, daß wir Deutschen nun die Sache der deutschen Einheit stärker in unsere Hand nehmen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Unsere Aufgabe ist es, den verbündeten Völkern und ihren Regierungen den Weg zu dem gemeinsamen Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu zeigen, für das wir ihre Hilfe erwarten. Ich wiederhole die Worte, die der Bundestagspräsident am 30. Juni dieses Jahres unter dem Beifall aller Fraktionen des Deutschen Bundestages vor diesem Hause gesprochen hat:
    Ich glaube aber,
    — so führte der Präsident dieses Hauses aus —
    daß es das Gebot der Stunde ist, daß über das Verfahren zu einem Friedensvertrag mit Deutschland eine Einigung zwischen den Westmächten und Sowjetrußland herbeigeführt wird. Die Friedensverhandlungen selbst müssen Klarheit schaffen
    erstens über den militärischen und politischen Status des zukünftigen Gesamtdeutschlands.
    Zweitens ist es selbstversändlich, daß ein Friedensvertrag die definitive Bereinigung der materiellen und rechtlichen Fragen bringen muß, die sich aus dem zweiten Weltkrieg ergeben. Dazu gehört auch die Frage der Reichsgrenzen.
    Drittens
    — so führte der Bundestagspräsident aus —ist es unerläßlich, daß dem ganzen deutschen Volke die Möglichkeit verbürgt wird — ich sage: verbürgt wird —, Gebrauch zu machen von „dem Grundsatz der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker", wie er verankert ist in dem Artikel 1 der Charta der Vereinten Nationen.
    Meine Damen und Herren, diese Erklärung des Präsidenten des Deutschen Bundestages hat für die Freie Femokratische Partei weiterhin uneingeschränkte Geltung.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)