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ID0316700200

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    Deutscher Bundestag 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung zur politischen Lage und Beratung über die Lage Berlins Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 9769 B Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . 9773 C Dr. Krone (CDU/CSU) 9777 A Ollenhauer (SPD) 9779 D Dr. Mende (FDP) 9781 A Schneider (Bremerhaven) (fraktionslos) 9783 C Behrisch (fraktionslos) 9786 A Neubauer (SPD) 9788 A D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . 9788 C Anlage 9791 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9769 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Stenographischer Bericht Beginn: 11.04 Uhr
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    Anlage 1 Liste ber beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Bärsch 18. 8. Bettgenhäuser 22. 8. Caspers 22. 8. Dewald 22. 8. Dr. Frey 22. 8. Dr. Greve 22. 8. Hauffe 22. 8. Jaksch 18. 8. Frau Klemmert 22. 8. Dr. Königswarter 22. 8. Kuntscher 18. 8. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lena (Trossingen) 22. 8. Meitmann 22. 8. Dr. Menzel 18. 8. Neuburger 22. 8. Pelster 22. 8. Dr. Pferdmenges 22. 8. Pohle 22. 8. Reitzner 22. 8. Scharnowski 22. 8. Schoettle 18. 8. Struve 22. 8. Strauß 18. 8. Dr. Tamblé 22. 8. Frau Welter (Aachen) 22. 8.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Namens der Bundesregierung gebe ich folgende Erklärung ab:
    Die Machthaber in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands haben seit den frühen Morgenstunden des 13. August den Verkehr zwischen dem sowjetischen Sektor und den drei westlichen Sektoren Berlins fast völlig zum Erliegen gebracht. Entlang der Sektorengrenze wurden Stacheldrahtverhaue errichtet; starke Verbände der Volks- und Grenzpolizei bezogen ihre Stellungen an der Sektorengrenze, um die Abriegelung des Verkehrs zwischen Ost- und Westberlin durchzuführen. Gleichzeitig wurden Truppen der Nationalen Volksarmee in Ostberlin eingesetzt.
    Diese Abriegelungsmaßnahmen wurden auf Grund eines Beschlusses der Zonenmachthaber vom 12. August ergriffen. Mit ihrer Durchführung hat das Ulbricht-Regime gegenüber der gesamten Welt eine klare und unmißverständliche politische Bankrotterklärung einer 16jährigen Gewaltherrschaft abgegeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP.)

    Mit diesen Maßnahmen hat das Ulbricht-Regime eingestehen müssen, daß es nicht vom freien Willen der in der Zone lebenden Deutschen getragen und gestützt wird. Mit diesen Maßnahmen hat das Ulbricht-Regime bestätigt, daß die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch das deutsche Volk zur Erhaltung des Weltfriedens unaufschiebbar geworden ist!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD.)

    Diese widerrechtlichen Maßnahmen, die die Bundesregierung mit Sorge und mit Abscheu zur Kenntnis genommen hat, stehen in flagrantem Widerspruch zu den Viermächtevereinbarungen über die Bewegungsfreiheit innerhalb Groß-Berlins und denjenigen Viermächtevereinbarungen, die die Regelung des Verkehrs zwischen Berlin und ,der Zone zum Gegenstand haben.
    Mit der Abriegelung des Verkehrs zwischen Ost- und Westberlin hat das Zonenregime die bestehenden und von der Regierung der UdSSR bis auf den heutigen Tag anerkannten Viermächtevereinbarungen betreffend Berlin einseitig und mit brutaler Gewalt verletzt.
    Die Bundesregierung stellt mit großem Bedauern fest, daß dieser Willkürakt mit Billigung der Regierung der UdSSR als Führungsmacht des Warschauer Paktes erfolgt ist. Mit dieser Billigung hat sich die sowjetische Regierung in Gegensatz zu ihren ständigen Beteuerungen gestellt, die Deutschland- und Berlin-Frage auf dem Verhandlungswege zu lösen. Während der amerikanische Präsident in seiner letzten Pressekonferenz vom 10. August erneut die Bereitschaft der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zum Ausdruck gebracht hat, über die Deutschland- und Berlin-Frage Verhandlungen zu führen, reagieren die Zonenmachthaber auf diesen westlichen Friedens- und Verhandlungswillen mit militärischen Maßnahmen. Diese Reaktion führt der gesamten Weltöffentlichkeit — mehr als Worte dies zu tun vermögen — vor Augen, daß die gegenwärtige Krise einzig und allein durch die sowjetische Deutschland- und Berlin-Politik ausgelöst wurde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP.)

    Die Regierung der Sowjetunion hat am 10. November 1958 durch ihre Erklärungen die Berlin-Krise ausgelöst. Sie hat in der Zwischenzeit in zahllosen Noten und Erklärungen darauf hingewiesen, daß sie, was auch sonst ihr Ziel sei, nicht daran denke, die Freiheit Westberlins anzutasten, die vielmehr von ihr feierlich garantiert werden solle. Wie lassen sich diese Erklärungen mit den Ereignissen der letzten Tage vereinbaren? Die Abmachungen der Sowjetunion mit ,den drei westlichen Mächten wurden zerrissen. Die Panzer der Volksarmee, die Volkspolizei und die Betriebskampfgruppen, die in und um Ostberlin zusammengezogen wurden, um einen rechtswidrigen Angriff gegen den Status der Stadt Berlin militärisch zu unterstützen, geben eine Vor-
    9770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    ahnung dessen, wie die Garantie einer sogenannten Freien Stadt beschaffen sein würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD sowie rechts.)


    (die schwerwiegendste und ,die brutalste. Die von den ,Behörden der sowjetischen Besatzungszone auf Weisung ihrer Auftraggeber durchgeführten Absperrungsmaßnahmen innerhalb der Stadt Berlin und zwischen der Stadt und ,der sowjetisch besetzten Zone sollen offensichtlich der Auftakt sein für die Abschnürung des freien Teiles der deutschen Reichshauptstadt von der freien Welt. Das Marionettenregime in der Zone macht in seinem Beschluß vom 12. August den vergeblichen Versuch, die angebliche Notwendigkeit dieser Abriegelungsmaßnahmen zu begründen. Die Bundesregierung hält es für unter ihrer Würde, auf diese Verdrehungen und unwahren Behauptungen näher einzugehen. Diese Behauptungen werden von der Wirklichkeit selbst gerichtet. Die Bundesregierung möchte jedoch mit allem Nachdruck klarstellen, daß diese illegale Aktion der Zonenmachthaber ein für allemal der Weltöffentlichkeit zeigt, in welchem Teil Deutschlands „Militarismus und Aggression" praktiziert werden. Noch in ihrer letzten Note vom 3. August 1961 hat die Sowjetunion erneut ihre Forderung nach Abschluß eines sogenannten Friedensvertrages und nach Umwandlung Ides geltenden Viermächtestatus der Stadt Berlin, und zwar nur des westlichen Teils von Berlin, in eine sogenannte freie Stadt mit der Behauptung begründet, ,daß diese Maßnahme notwendig sei, um dem angeblichen Militarismus und Revanchismus in der Bundesrepublik zu (begegnen. Sie hat erneut versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob verantwortliche Kreise in der Bundesrepublik die Absicht hätten, gegen die Sowjetunion oder irgendeinen anderen Staat der Welt kriegerische Maßnahmen vorzubereiten. Jeder, der in die Bundesrepublik kommt, kann sich von dem Gegenteil überzeugen, und die überwältigende Mehrheit aller Staaten der Welt stimmt mit uns in ,der Bewertung unserer friedlichen und ausschließlich auf die Verteidigung unserer Lebensinteressen ausgerichteten Politik überein. Jeder, der heute nach Ostberlin und in die Zone geht, kann sich durch Augenschein davon überzeugen, daß dort Maßnahmen getroffen worden sind, die im wahren Sinne des Wortes die Bezeichnung militaristisch verdienen. Diese Maßnahmen sind zudem in einem Zeitpunkt ergriffen worden, in dem die ganze Welt nur von der einen Hoffnung erfüllt ist, daß es nicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommen möge. In einer solchen an und für sich schon sehr ernsten Situation treiben die Zonenmachthaber durch ihre militärischen Vorbereitungen ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Die Bundesregierung hält es für unerläßlich, die Weltöffentlichkeit auf die wahren Ursachen dieser Gewaltpolitik hinzuweisen. Nicht die angebliche militaristische und revanchistische Politik der Bundesrepublik hat die Zonenmachthaber veranlaßt, ihre wahren Absichten offenzulegen, sondern das Resultat ihrer ständigen Weigerung, den in der Zone lebenden Deutschen die Lebensordnung zu geben, die (diese Menschen halben wollen. Es mutet wie eine makabre Groteske an, wenn sich die Vertreter des Ulbricht-Regimes heute hinstellen und erklären, daß die Deutschen in der Zone das Selbstbestimmungsrecht bereits ausgeübt hätten. Der ständige Flüchtlingsstrom der vergangenen Wochen und Jahre spricht eine andere Sprache, die Sprache der Wirklichkeit. Es ist aufschlußreich, sich in .das Gedächtnis zurückzurufen, wann dieser verstärkte Flüchtlingsstrom erneut einsetzte. Er setzte ein, als die massiven Drohungen des sowjetischen Ministerpräsidenten, einen Friedensvertrag mit der Zone abzuschließen, den Menschen in der Zone die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation vor Augen führten. Für diese Menschen wurde der angekündigte Separationsvertrag ein Alpdruck, dem sie unter allen Umständen entrinnen wollten. In ihrer seelischen Verzweiflung sahen diese Menschen keinen anderen Ausweg, als ihre Heimat in der Zone unter Aufgabe von Hab und Gut und unter Gefährdung ihres Lebens zu verlassen, um in der Bundesrepublik ein neues Leben in Freiheit zu beginnen und aufzubauen. Ihr freier Entschluß, ihre Heimat aufzugeben, war die einzige Form, in der sie das ihnen verbliebene persönliche Selbstbestimmungsrecht ausüben konnten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als die „Abstimmung mit den Füßen", um diesen Ausdruck Lenins zu gebrauchen. Mit dieser Abstimmung haben diese Menschen der Welt gezeigt, was sie wirklich wollen: Sie wollen die Freiheit und nicht die Unfreiheit. Die Bundesregierung hat sichere Unterlagen dafür, daß trotz einer 16jährigen Terrorherrschaft kommunistischer Funktionäre in der Zone über 90 % der dort lebenden Deutschen das Regime, welches sie unterdrückt, ablehnen, den Sklavenstaat, den man ihnen aufgezwungen hat, verachten und nichts sehnlicher als die Vereinigung mit den in der Freiheit lebenden Deutschen wünschen. Die Sowjetunion, meine Damen und Herren, behauptet immer wieder, daß der jetzt gültige Status der Stadt Berlin eine der Ursachen für die bestehenden Spannungen sei. Es ist nicht nötig zu wiederholen, daß diese Behauptung unrichtig ist. Wohl aber ist es angebracht, nachdrücklich darauf hinzuDeutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9771 Bundeskanzler Dr. Adenauer weisen, daß eine Lösung des Deutschlandproblems auf der Grundlage der Selbstbestimmung der beste, ja der einzige Weg ist, um die Spannungen und Schwierigkeiten auszuräumen. Eine solche Lösung wäre wirklich ein echter Beitrag zur Erhaltung und Sicherung des Friedens in der Welt. In dieser ernsten Lage, die durch die Zonenmachthaber heraufbeschworen worden ist, steht die Bundesiregierung mit ihren drei westlichen Verbündeten in engster Verbindung. Sie wird gemeinsam mit ihnen die erforderlichen Maßnahmen vorbereiten und durchführen. Die Bundesregierung und ihre Verbündeten sind sich in der Bewertung der der freien Welt drohenden Gefahren einig. Die Außenminister der drei Westmächte und der Bundesrepublik sind vor zwei Wochen in Paris zu Beratungen zusammengetreten. Ich kann, meine Damen und Herren, mit besonderer Genugtuung feststellen, daß diese Beratungen im Geiste vollen gegenseitigen Einvernehmens geführt wurden. Diese Beratungen wurden ergänzt und bestätigt durch eine ausführliche Konsultation zwischen den vier Mächten und allen NATO-Partnern. Auf diese Weise ist es möglich gewesen, über die Grundlage der weistlichen Haltung eine volle Übereinstimmung nicht nur zwischen den an der Lösung der Deutschlandfrage unmittelbar beteiligten Westmächten und uns, sondern auch zwischen allen NATO-Partnern zu erzielen. Der amerikanische Außenminister Rusk hat im Anschluß an die mit den Außenministern Frankreichs, Großbritanniens und der Bundesrepublik geführten Besprechungen den NATO-Rat unterrichtet, der bei dieser Gelegenheit erneut und unzweideutig die Entschlossenheit aller NATO-Staaten zum Ausdruck gebracht hat, die Freiheit Berlins aufrechtzuerhalten. Zugleich hat der NATO-Rat wiederholt die Überzeugung ausgedrückt, daß eine friedliche und gerechte Lösung der deutschen Frage einschließlich Berlins nur auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes des gesamten deutschen Volkes herbeigeführt werden kann. Wir werden diese engen Kontakte und die Zusammenarbeit in den nächsten Wochen und Monaten fortsetzen und werden im engsten Einvernehmen miteinander gemeinsam die Schritte ergreifen, die zur Abwehr etwaiger sowjetischer Versuche, die Freiheit Berlins zu beeinträchtigen, erforderlich sind. Während aber die Westmächte und insbesondere die den freien Teil Deutschlands repräsentierende Bundesregierung bei dem Versuch, diese Probleme einer Regelung zuzuführen, eine geradezu unendliche Geduld bewiesen haben und allies vermeiden, was zu einer Verschärfung oder Zuspitzung der internationalen Lage führen könnte, glaubt die Sowjetunion, diese Probleme durch Billigung illegaler Aktionen der Zonenmachthaber in einer dem Recht und den Erfordernissen der politischen Vernunft widersprechenden Waise lösen zu können. In dieser Lage muß Europa, muß das Nordatlantische Verteidigungsbündnis die Maßnahmen vorbereiten, die zur Aufrechterhaltung unserer Sicherheit und Freiheit erforderlich sind. Die Bundesregierung hat mit großer Befriedigung von der ausgezeichneten Erklärung Kenntnis genommen, die der amerikanische Präsident Kennedy am 25. Juli an das amerikanische Volk gerichtet hat. Die Bundesregierung stimmt mit dieser Erklärung vollkommen überein. Auch sie ist der Meinung, daß der Westen sich auf die gegen ihn gerichtete Drohung vorbereiten muß, indem er seine militärischen Kräfte zusammenschließt. Wir wissen, und die Sowjetunion weiß es, daß das militärische Gesamtpotential des Westens demjenigen der Sowjetunion überlegen ist. Daher sind die Drohungen, die die sowjetische Regierung von Zeit zu Zeit gegen den einen oder anderen NATO-Partner ausspricht, sie würde sein Gebiet mit Atombomben vernichten, gefährlich. Die sowjetrussische Regierung muß wissen, daß sie durch einen solchen Schlag einen Gegenschlag auslösen würde, der sie selbst vernichten würde. Auch die Bundesrepublik Deutschland wird im Rahmen der Atlantischen Verteidigungsorganisation ihrerseits Maßnahmen zur Stärkung der militärischen Bereitschaft ergreifen müssen, um die Anstrengungen, die insbesondere durch die Vereinigten Staaten, aber in erheblichem Umfange auch von den anderen NATO-Partnern unternommen werden, zu unterstützen und zu ergänzen. Es ist für uns, meine Damen und Herren, ein Gebot der Selbsterhaltung, daß wir uns in diesem Augenblick, in dem es um Berlins Schicksal, um unser Schicksal, geht, mit unseren westlichen Verbündeten solidarisch erklären und mit ihnen gemeinsam die Anstrengungen unternehmen, die erforderlich sind, um der Gefahr zu begegnen. Wir sind jedoch weit davon entfernt; in militärischen Maßnahmen eine Lösung der künstlich von der Sowjetunion erzeugten Krise zu erblicken. Die Bundesregierung ist nicht davon überzeugt, daß der sowjetische Ministerpräsident einen Krieg auslösen will, der auch ,sein Land vernichten würde. Die Bundesregierung glaubt, daß es nach wie vor möglich ist, aus der Lage, in der die Welt sich befindet, durch Verhandlungen einen Ausweg zu finden. Sie ist bereit, jeden Ansatz für Verhandlungen zwischen den vier für Berlin und Deutschland als Ganzes zuständigen Mächten zu unterstützen. Die Bundesregierung erachtet es jedoch für unerläßlich, darauf hinzuweisen, daß das einseitige Vorgehen der Zonenmachthaber, das mit Zustimmung der Regierung der UdSSR erfolgt ist, eine Belastung der vom Westen gezeigten Verhandlungsbereitschaft darstellt. Die Bundesregierung wird aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß alsbald Verhandlungen aufgenommen werden und daß durch .sie eine Lösung des Deutschlandproblems und damit der Berlin-Frage 9772 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 Bundeskanzler Dr. Adenauer auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker ermöglicht wird. Das Prinzip, daß den Völkern das Recht gegeben werden muß, über ihre staatliche Ordnung selbst zu entscheiden, hat seinen Siegeszug über die ganze Welt angetreten. Die Bundesregierung vertraut darauf, daß es auch im Herzen Europas, wo zur Zeit immer noch 16 Millionen Deutschen dieses Recht verweigert wird, durchgesetzt werden kann. Die Bundesregierung hat mehrfach erklärt und wiederholt es bei dieser Gelegenheit, daß sie bereit ist, an Plänen mitzuwirken, die für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands der Sowjetunion Sicherheitsgarantien geben. Zuletzt habe ich noch hier ,an dieser Stelle am 17. Juni dieses Jahres diese Bereitschaft bekräftigt. An dieser Absicht der Bundesregierung hat sich nichts geändert. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit würde nicht nur dem Frieden, sondern auch dem richtig verstandenen Sicherheitsinteresse der Sowjetunion und allen anderen Völkern dienen. (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD und FDP.)


    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)


    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD sowie rechts.)


    (Beifall.)


    (Beifall bei der CDU/CSU.)


    (Lebhafter Beifall auf allen Seiten.)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Beifall bei der CDU/CSU.)


    (Beifall auf allen Saiten des Hauses.)


    (Erneuter Beifall.)


    (Beifall.)


    (Beifall bei der CDU/CSU.)


    (Beifall.)

    Die drei westlichen Verbündeten, die im Rahmen der Viermächtevereinbarung eine besondere Verpflichtung für Berlin und für Deutschland übernommen halben, haben einen nachdrücklichen Protest und eine ernste Mahnung an die Sowjetunion gerichtet. Sie haben die ergriffenen Maßnahmen als illegal und als einen unverantwortlichen einseitigen Bruch der bestehenden Vereinbarungen bezeichnet. Sie haben mit Recht die verlogene Behauptung zurückgewiesen, die in der sogenannten Empfehlung der Staaten des Warschauer Paktes enthalten ist, daß nämlich diese Maßnahmen im eigenen Interesse des deutschen Volkes liegen; und sie haben betont, daß diese Behauptung nichts anderes darstellt als eine Einmischung in die inneren Verhältnisse des deutschen Volkes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD und FDP.)

    Wie das deutsche Volk über diese brutalen Maßnahmen denkt, wäre leicht zu ermitteln. Es würde genügen, alle Deutschen in der Bundsrepublik, in der sowjetisch besetzten Zone und in ganz Berlin darüber zu befragen. Die Antwort wäre eine leidenschaftliche Verurteilung durch die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes.

    (Lebhafter Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Die Bundesregierung hat das Recht und hat die Pflicht, für das ganze deutsche Volk zu sprechen, also auch für diejenigen Deutschen, die durch die Gewaltmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone zum Schweigen verurteilt sind. Sie appelliert eindringlich an die Sowjetunion, in diesem kritischen Augenblick zu einer realistischen Betrachtung der Dinge zurückzufinden. Es sollte unter der Würde eines großen Volkes sein, Kreaturen zu schützen, die vom eigenen Volke verachtet werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Beifall bei Abgeordneten der anderen Fraktionen.)

    Die russische Regierung und das russische Volk sollten sich nicht dazu hergeben, daran mitzuwirken, daß ein Teil eines großen ihnen benachbarten Landes gegen den Willen der Bewohner in ein Konzentrationslager umgewandelt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD und FDP.)

    Man sollte in Moskau erkennen, daß alle Menschen der Welt, die sich zu dem mit der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Selbstbestimmungsrecht der Völker. bekennen, nur eine tiefe Verachtung für ein Regime haben können, das dieses Selbstbestimmungsrecht mit Füßen tritt. Eine Neuordnung der 'Beziehungen zwischen dem rassischen Volk und dem deutschen Volk ist auf dem von den Behörden der Sowjetzone beschrittenen Wege nicht denkbar.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Deutschen in der Zone empfinden Haß und Verachtung gegenüber denen, die sie in unmenschlicher Weise vergewaltigen. Und sie müssen ähnliche Gefühle denen gegenüber tragen, die dieses System unterstützen. Die Schließung der Grenzen ist eine beispiellose 'Bankrotterklärung; sie zeigt, daß die Menschen, die in diesem Teil Deutschlands zu leben gezwungen sind, nur unter Anwendung physischen Zwanges daran gehindert werden können, dieses Paradies der Arbeiter und Bauern zu verlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es gibt nur eine Möglichkeit, die Beziehungen zwischen dem russischen und dem deutschen Volk auf eine neue Grundlage zu stellen: Dem deutschen Volk muß das Recht zurückgegeben werden, das man keinem Volk der Welt verweigert, durch freie und unbeeinflußte Willensentscheidung eine Regierung zu bilden, die dann den legitimen Auftrag besitzt, für das ganze deutsche Volk zu sprechen, zu handeln und zu entscheiden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD und FDP.)

    Die Bundesregierung appelliert aber auch an die Regierungen aller Nationen der Welt, die die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet oder anerkannt haben. Die Maßnahmen, die von den sowjetzonalen Behörden durchgeführt werden und angekündigt wurden, sind nichts anderes als ein flagranter Verstoß gegen dieses Grundgesetz, das für die innere Ordnung der Völker der Welt ebenso gültig sein soll wie für die Beziehungen zwischen den Nationen.
    Mit tiefer Bewegung gedenkt die Bundesregierung aber auch der persönlichen Schicksale von vielen Millionen, die ein Opfer dieser unmenschlichen Maßnahmen geworden sind. Nahezu dreieinhalb Millionen sind in den zurückliegenden Jahren aus der Zone und dem Ostsektor von Berlin geflohen, weil ihnen keine andere Möglichkeit blieb, ein Leben in Freiheit zu führen. Unter Aufgabe ihres Berufes, unter Zurücklassung von Hab und Gut haben sie sogar die menschlichen Beziehungen abgebrochen, die sie mit 'ihrer Familie, mit ihren Verwandten, mit ihren Freunden verbanden. Für un-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9773
    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    zählige Menschen, die den gleichen Weg gehen wollten, ist nun die Tür 'zugeschlagen worden. Die Bundesregierung gibt der Hoffnung, aber auch der Überzeugung Ausdruck, daß am Beginn der auch von ihr gewünschten Verhandlungen die Aufhebung dieser Maßnahmenstehen wird.

    (Beifall.)

    Nichts könnte das deutsche Volk besser davon überzeugen, daß solche Verhandlungen der Aufrechterhaltung des Friedens in der Welt und einer dauerhaften Neuordnung der Beziehungen zwischen den Völkern dienen, als eine solche Maßnahme.
    Es genügt nicht, meine Damen und Herren, von Frieden zu sprechen; dem mündlichen Bekenntnis müssen Taten folgen,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    die erkennen lassen, daß der Friede nicht nur zwischen, sondern erst recht und ganz besonders in den Völkern bestehen muß.

    (Beifall.)

    Jeder einzelne hat ein Recht darauf, in Frieden zu leben. Die Unfreiheit ist die schauerlichste Form der Friedlosigkeit.
    Lassen Sie mich zum Schluß einige Sätze an die Bewohner des Ostsektors von Berlin und der Zone richten. Ihr Leid und Ihre Sorge ist unser Leid und unsere Sorge.

    (Allgemeiner starker Beifall.)

    In Ihrer so besonders schweren Lage fanden Sie wenigstens in ,dem Gedanken Trost, daß Sie, wenn Ihr Los nicht mehr tragbar sei, ihm durch die Flucht entgehen könnten. Es sieht jetzt so aus, als wenn Ihnen auch dieser Trost genommen ist. Ich bitte unsere Brüder und Schwestern im Ostsektor von Berlin und in der Zone von Herzen: Geben Sie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Sie und Ihre Kinder nicht auf.

    (Beifall.)

    Wir sind überzeugt, daß es den Anstrengungen der freien Welt und insbesondere auch unseren Anstrengungen doch eines Tages gelingen wird, Ihnen die Freiheit wieder zu verschaffen.

    (Erneuter Beifall.)

    Das Selbstbestimmungsrecht wird seinen Siegeszug durch die Welt fortsetzen und wird auch vor den Grenzen der Zone nicht haltmachen. Sie werden eines Tages — glauben Sie es mir — mit uns in Freiheit vereint sein. Wir stehen nicht allein in der Welt, das Recht steht auf unserer Seite, und auf unserer Seite stehen die Völker der Welt, die die Freiheit lieben.

    (Anhaltender starker Beifall bei der CDU. — Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat als Mitglied des Bundesrates der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von August Berlin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht häufig vor, daß vor diesem Hohen Hause von der Bundesratsbank aus das Wort ergriffen wird. Wenn ich heute namens des Landes Berlin vor Sie hintrete, dann spiegelt sich darin die außerordentliche Lage wider, in die wir gebracht wurden.
    Es geht nicht um Berlin allein. Es geht um das kalte Ungarn, das sich im anderen Teil Deutschlands und im Ostsektor meiner Stadt vollzogen hat: Sie alle kennen die Bilder vom Stacheldraht, von den Betonpfählen und Betonmauern, von den Panzern, von den spanischen Reitern und von den feldmarschmäßig ausgerüsteten Soldaten. Was geschehen ist, ist mehr als ein schreiendes Unrecht.
    Man muß die Unzahl menschlicher Tragödien im Auge haben, die ,sich in diesen Tagen abspielen. Mitten durch eine Stadt, in der es trotz der administrativen Teilung noch immer täglich vieltausendfache Verbindungen gab, sind die Betonpfähle einer Grenze eingerammt worden, die zu einer Art chinesischer Mauer ausgebaut wird.
    Was zusammengehört, ist weiter auseinandergerissen, es wird brutal zerschlagen. Das Recht auf Freizügigkeit wurde zertrampelt. Dabei ist es primitives Menschenrecht, fliehen zu dürfen von einem Land in das andere. Um wieviel mehr gilt das erst, wenn es sich um die Flucht innerhalb eines Landes und innerhalb einer einzigen Stadt handelt.
    Deshalb ist es die Meinung Berlins, daß vor allem eine Initiative ergriffen werden müßte, um die flagrante Verletzung der Menschenrechte international zu brandmarken. Der Schutz der Menschenrechte ist eine ureigene Aufgabe der Vereinten Nationen. Den Weg vor das Weltforum kann man sich nicht aufheben für den Fall, daß eine Welt zu brennen beginnt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Es ist schon heute ein Zustand eingetreten, der das Eingreifen internationaler Institutionen notwendig macht, zumal die unmittelbar Betroffenen nicht mehr glauben, die Akte des Rechtsbruchs und der Aggression ohne Gefährdung des Friedens wirksam zurückweisen zu können.
    Die Menschen in der von Ulbricht geknebelten und von sowjetischen Panzern in Schach gehaltenen Zone und in dem von Ulbricht besetzten und annektierten Ostberlin sind voll Haß und Verzweiflung. Sie befinden sich in einem Gefühl grenzenloser Verlassenheit.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Sie müssen ihre Empörung unterdrücken. Niemand von uns wird sie der Verzweiflung preisgeben wollen.
    Auch aus diesem Grund ist es gut, daß der Deutsche Bundestag zusammengetreten ist, und es ist erfreulich, daß sich in diesen Tagen manche Zeichen der Verbundenheit, der Solidarität gezeigt haben. Wir dürfen jetzt — das ist die Meinung Berlins — mit den Ulbricht-Leuten weder über Ge-
    9774 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Regierender Bürgermeister Brandt
    schäfte reden noch sonst so tun, als sei nichts Besonderes passiert.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Für die Stadt Berlin ist eine neue Lage entstanden. Als Stätte täglicher menschlicher Begegnungen zwischen West und Ost ist sie ausgeschaltet worden. Ausgeschaltet worden ist aber auch das Ventil, durch das bisher der Überdruck aus dem Ulbricht-Staat entweichen konnte.
    Meine Damen und Herren, mehr als 9 Millionen Karten für kulturelle Veranstaltungen sind im letzten Jahr an Ostberliner und Bewohner der Zonenrandgebiete ausgegeben warden. 60 000 Bürger meiner Stadt, die ihren Wohnsitz in Ostberlin haben, haben ihre Arbeit in Westberlin gefunden. Ich kenne aus diesen letzten Tagen Fälle, in denen Menschen nachts durch den Stacheldraht gekrochen sind, um sich von ihren Arbeitskollegen zu verabschieden, und mit Tränen in den Augen hinter den Stacheldraht zurückgingen, weil ihre Frauen, ihre Kinder und ihre Eltern drüben sind. Berlin ist nicht mehr der Ort, zu dem die Menschen kommen konnten, um die Luft der Freiheit zu atmen, um sich neue Kraft zu holen, bevor sie in ihren grauen Zonenalltag zurückkehrten.
    Der Senat von Berlin — und dieses möchte ich dem Hohen Hause in aller Form zur Kenntnis bringen — hat im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten getan oder eingeleitet, was die Lage erfordert. Er hat dafür gesorgt, daß die Ordnung tin der Stadt aufrechterhalten wurde und daß dass Wirtschaftsleben nicht in Unordnung geriet.
    Ich muß von dieser Stelle aus herzlich darum bitten, daß jetzt erst recht Aufträge nach Berlin gegeben werden.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Das freiheitliche Berlin kann nicht leben ohne sein eigenes und das Vertrauen seiner Freunde in seine Lebensfähigkeit und Lebenskraft. Es wird noch mehr als bisher ausgebaut werden müssen zu einer großen modernen Stadt wirtschaftlichen und kulturellen Schaffens.
    Meine Mitbürger haben Vertrauen in die für die Freiheit der Bevölkerung Westberlins, die Anwesenheit der alliierten Truppen in Westberlin und den Zugang von und nach Westberlin gegebenen alliierten Garantien. Ich bin nicht nur überzeugt, ich weiß es — und ich habe es meinen Mitbürgern auf einer großen Kundgebung dieser Tage gesagt —, daß das Überschreiten der dadurch gezogenen Linie mehr als ein Risiko wäre. Diese Garantien sind heute Garantien des Friedens. Sie sind die Basis unserer Existenz in Berlin. Aber das gilt auch für Westdeutschland und für den Westen überhaupt.
    Die Berliner haben seit mehr als zwölf Jahren bewiesen, daß sie lieber Entbehrungen auf sich nehmen, als ihren Nacken unter das Joch einer neuen Diktatur zu beugen.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Heute kommt es dort und anderswo trotz bitterer
    Enttäuschungen mehr denn je darauf an, daß wir
    fest und entschlossen an der Seite unserer Freunde stehen.

    (Erneuter Beifall im ganzen Hause.)

    Gestern habe ich in einer Korrespondenz gelesen, was sich am Sonntag ereignet habe, sei „eine Maßnahme der Kommunisten in ihrem Machtbereich, nicht eine Maßnahme gegen die Freiheit im Bereich des Westens" gewesen. Ich halte diese Einschätzung für falsch.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Erstens werden die Interessen des freiheitlichen Berlin unmittelbar berührt, wie ich noch darlegen werde. Zweitens wird das Leben unseres gespaltenen Volkes tief berührt. Vor allem ,aber dürfte es keine Äußerung mehr geben, die indirekt den Akt der unrechtmäßigen Besetzung ides Ostsektors entschuldigt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der übrigen Fraktionen.)

    In diesen Tagen vollziehen sich nicht nur unzählige Einzelschicksale. In diesen Tagen geschieht etwas mit unserem Volk, und zwar in beiden Teilen unseres Landes. Die einen fragen die anderen, ob sie abgeschrieben werden. Die einen fragen die anderen, wie hoch wir, die wir frei sind, Rechtlichkeit und Solidarität achten.
    Es ist schon einmal namenloses Unglück über unser Volk und über die Menschheit gekommen, weil wir Gesetz und Moral gering geachtet haben, weil wir geglaubt haben, daß das Schicksal anderer uns wenig angehe, solange es uns nur gut gehe.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat in diesen Tagen aus allen Teilen der Bevölkerung unzählige Beweise dafür erhalten, daß es falsch ist, zu glauben, die Menschen in der Bundesrepublik würden nicht verstehen, was seit idem Sonntag in Berlin und in der Zone passiert ist. Unser Volk ist nicht der Kühlschrank-Ideologie zum Opfer gefallen. Unser Volk hat sich den Sinn für die gemeinsame Verantwortung bewahrt. Und das ist für unsere Landsleute drüben in der Zone wichtig zu wissen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der übrigen Fraktionen.)

    Was in Ostberlin geschehen ist, das ist ,der Einmarsch einer Armee in ein Territorium, in dem sie nichts zu suchen hat.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Die sogenannte Volksarmee mit ihren Nebenorganisationen hat Ostberlin annektiert. Sie hat den Viermächtestatus unter ihren Panzerketten zermahlen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Anordnungen, die dazu geführt haben, stammen vom sogenannten „Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik". Die Anordnungen, die den S- und U-Bahnverkehr unterbrochen haben, sind vom sogenannten „Minister für Verkehrswesen der Deutschen Demokratischen Republik" unterzeichnet. Die Anordnungen, die den Bewohnern
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9775
    Regierender Bürgermeister Brandt
    Ostberlins das Betreten Westberlins verboten haben, sind vom „Minister des Innern der Deutschen Demokratischen Republik" unterzeichnet. Die Erlaubnis für „friedliche Westberliner", den Ostsektor der Stadt zu betreten, stammt vom Innenminister der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik". Das gleiche gilt für die Anordnungen, die die Einwohner Westdeutschlands betreffen. Der Minister des Innern der sogenannten DDR hat den ausländischen Staatsangehörigen einschließlich der Angehörigen des Diplomatischen Corps und der Angehörigen der westlichen Besatzungsstreitkräfte gestattet, zunächst 13, im Augenblick 12 — ich weiß nicht, wie viele in Zukunft — Übergangsstellen in den Ostsektor zu benutzen. Für den Oberbürgermeister Ostberlins blieb die klägliche Aufforderung übrig, seinen Bürgern zu sagen, daß sie nicht mehr in Westberlin arbeiten dürfen, und sie aufzufordern, sich eine neue Arbeit zu suchen.
    Die Zonenregierung hat ihre quasi Souveränität voll auf Ostberlin ausgedehnt. Sie hat Ostberlin annektiert, und sie hat diese Souveränität ausgeübt über alle — ich wiederhole: über alle —, die in Frage kommen könnten, Ostberlin zu betreten.

    (Abg. Wehner: Sehr richtig!)

    Das sind die nackten Tatsachen, an denen es nichts zu beschönigen gibt, über die man nicht hinweggehen kann, wenn man sich nicht selbst betrügen will.
    Die Anerkennung der Tatsachen, die durch eine bewaffnete Macht geschaffen sind, ist eine denkbar starke Form der Anerkennung einer staatlichen Organisation. Wer in den letzten Tagen das Organ des Zentralkommitees der kommunistischen Einheitspartei, wer das „Neue Deutschland" gelesen hat, der weiß, welche Töne des Triumphes, der Genugtuung, ,des Stolzes und des Hohnes auf den Westen dort zu vernehmen sind. In den letzten Anordnungen der Zonenbehörden ist sogar die Sektorengrenze amtlich als — ich zitiere — die „Grenze der Deutschen Demokratischen Republik" bezeichnet worden.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Das, was man dort bisher als Staatsgrenze bezeichnet hat — die Schlagbäume am Ostrand des Ostsektors — ist an den Potsdamer Platz und an das Brandenburger Tor vorverlegt worden.
    Und dann kommt — wenn ich es richtig gelesen habe — der sowjetische Botschafter rund erklärt, daß Ministerpräsident Chruschtschow die Lage in Berlin nicht weiter verschärfen wolle.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Solche Töne hat man früher schon von anderen ,gehört.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Man nimmt und sagt, im Augenblick sei es genug.
    Selbstverständlich kann das Verhältnis zur Regierung der Sowjetunion — so haben es die Berliner dieser Tage vor dem Abgeordnetenhaus und an anderer Stelle gesagt, und so sage ich es auch hier — nicht unbeeinflußt bleiben durch den empörenden Rechtsbruch vom 13. August.

    (Beifall bei der SPD sowie in der Mitte und rechts.)

    Selbstverständlich können wir nicht so tun und werden wir nicht so tun, als ließe sich das Vorgefallene isolieren und ausklammern. Selbstverständlich können wir angesichts der flagranten Verletzung der Menschenrechte nicht über ein Kulturabkommen verhandeln, als ob nichts geschehen wäre.

    (Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

    Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß die, die Verantwortung tragen in Deutschland — die Bundesregierung und auf unserer bescheideneren Ebene der Senat von Berlin —, nichts zu tun beabsichtigen, was die internationale Lage verschlechtert. Es kann keine Stadt geben und es kann kein Volk geben, die die Sicherung des Friedens mehr wünschten als Berlin und als das .deutsche Volk; und ich bin überzeugt, ,es wird dabei bleiben. Aber die Regierung der Sowjetunion darf nicht glauben, uns ins Gesicht schlagen zu können, und wir lächelten noch dazu.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Beifall bei Abgeordneten der Mitte und rechts.)

    Die über eine Viertelmillion Menschen, die vorgestern in Berlin freiwillig vor dem Rathaus zusammengekommen sind und empört und erbittert die Schande der letzten Tage in alle Welt gerufen haben, diese Menschen haben gemeinsam mit meinem Kollegen Amrehn und mir bekundet, daß sie kein Verständnis hätten für eine Haltung — irgendwo in der Bundesrepublik oder irgendwo in der westlichen Welt —, der die primitivste Selbstachtung fehlt. Ein Wurm krümmt sich noch, wenn er getreten wird.
    Für die westlichen Schutzmächte bedeutet der vergangene Sonntag, daß sie aus jenen Viermächtevereinbarungen herausgedrängt worden sind, die sich auf Berlin als Ganzes beziehen. Die Erklärung der Warschauer-Pakt-Staaten und das, was die Zonenregierung, darauf gestützt, verkündet hat, bedeutet in Wirklichkeit auch, daß den Westmächten die Mitverantwortung für Deutschland als Ganzes streitig gemacht wird, und zwar noch vor dem vielerörterten separaten Friedensvertrag.
    Unsere westlichen Schutzmächte haben in allem Ernst gestern auch in Moskau protestiert. Sie haben in voller Übereinstimmung mit uns die Verantwortung der Sowjetunion festgestellt. Sie haben diesen Einmarsch als illegal bezeichnet und die Rücknahme der damit verbundenen Maßnahmen verlangt. Das deckt sich auch mit der Meinung des Senats von Berlin und der Berliner Bevölkerung. Darüber hinaus haben die Westmächte in ihren Noten auf die Tatsache aufmerksam gemacht, „daß diese einseitige Abänderung des Vier-Mächte-Status von Berlin die Spannung und die bestehenden Gefahren nur vergrößern kann". Diese Vergrößerung der Spannung ist eingetreten. Sie liegt in der einseitigen Schuld der Regierung der Sowjetunion,

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

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    Regierender Bürgermeister Brandt
    die nicht davon ablassen will, das aus Brutalität und Unfähigkeit zusammengesetzte Ulbricht-Regime zu stützen.

    (Beifall.)

    Die Regierung der Sowjetunion muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, wie gefährlich es ist, wenn sie auf dem Bruch der Vier-Mächte-Vereinbarungen beharrt. Aber die von der Sowjetunion zerfetzten Vier-Mächte-Vereinbarungen dürfen, ehe sie nicht wiederhergestellt sind, nicht zu einem Selbsthindernis des Westens werden, wenn es sich darum handelt, das zu tun, was im Interesse des freiheitlichen Berlin als Teil des freien Deutschland erforderlich ist. Dis Verbindungen zwischen der Bundesrepublik und Westberlin dürfen nicht gelockert, sie müßten eher gestrafft werden.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Die Bundesrepublik, die die völkerrechtliche Vertretung des Landes Berlin übernommen hat, darf auch keine internationalen Verträge schließen, ohne daß die Interessen Berlins gesichert sind.
    Der Senat von Berlin würde es für gut halten, wenn sichtbare Zeichen der alliierten Präsenz und der alliierten Rechte erfolgten und wenn alle möglichen politischen Initiativen ergriffen würden. Der Senat erwartet außerdem, daß eine weltweite Aufklärung dieses neuen Unrechts unternommen wird, und er ist selbstverständlich bereit, dabei mitzuwirken.
    Der Senat von Berlin hat vor dem Abgeordnetenhaus, vor der Berliner Bevölkerung und gegenüber der Bundesregierung betont, daß überzeugende, nichtmilitärische Maßnahmen ergriffen werden sollten. Er verbindet damit keine Vorwürfe an die Adresse der westlichen Verbündeten. Er hält nur nichts von sogenannten Gegenmaßnahmen, die ein schallendes Gelächter vom Potsdamer Platz bis Wladiwostok auslösen würden.

    (Beifall bei der SPD und ,der FDP.)

    Er hält nichts von Ankündigungen, denen nichts folgt.

    (Erneuter, lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Er hält mehr davon, daß unserem ganzen Volk ein möglichst klares Bild vermittelt wird von den tatsächlichen Gegebenheiten und von der veränderten Wirklichkeit, mit ,der wir es zu tun haben, wenn es nicht gelingt, den Rechtsbruch rückgängig zu machen. Alle Beteiligten müssen sich völlig darüber im klaren sein, daß die Maßnahmen des letzten Sonntags nur ein Auftakt gewesen sind. Sie waren der erste Akt eines Dramas, dessen zweiter Akt bereits angekündigt ist.
    Der sowjetische Ministerpräsident hat die Hälfte seiner Forderungen für das, was er eine „Freie Stadt Westberlin" nennt, verwirklicht. Er hat sich, was er gefordert hat, selbst genommen. Durch derartige Teilerfolge ist der Appetit noch jeder Diktatur größer geworden.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Das ist das eigentliche Gefährliche der Lage.
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin kann nur vor einer Haltung warnen, die eine Prämie für Vertragsbruch, eine Belohnung für Gewalt sein würde. Sie wäre eine Einladung für Ulbricht, die Politik der vollendeten Tatsachen fortzusetzen. Die Spannung wird nicht verschärft, indem man die Wahrheit sagt, sondern die Spannung wird verschärft, indem einseitige Akte des Unrechts begangen werden.

    (Beifall.)

    Wir haben in der Zeit vor diesen Ereignissen oft und wiederholt gehört, daß Verhandlungen nicht unter Drohungen stattfinden dürfen. So hieß es seinerzeit, das Ultimatum müsse weg, bevor man verhandeln könne. Der Westen wird unserer Meinung nach zu sichern haben, daß er nun nicht bei kommenden Verhandlungen den Zustand der vollendeten Erpressung akzeptiert.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP.)

    Wir haben gehört, daß bei der Pariser Konferenz auch über eine westliche Verhandlungsinitiative gesprochen worden ist. Es müßte absolut klar sein, daß Verhandlungen nur auf einer eindeutigen Rechtsbasis stattfinden können, es sei denn — was keiner von uns glauben darf —, man wäre bereit, in Anerkennung vollendeter Tatsachen über einen verschlechterten Status für Westberlin zu verhandeln.
    Was am Sonntag geschehen ist — ich sage es noch einmal —, das ist keine unmittelbare Bedrohung Westberlins. Aber es ist ein tiefer Einschnitt im Leben unseres Volkes, und es ist auch ein Anschlag auf die westliche Gemeinschaft. Ich meine, daß es um die Glaubwürdigkeit geht, um die Glaubwürdigkeit der westlichen Politik.
    Der zweite Akt der Erpressung, der separate Friedensvertrag, den ich nur Teilungsdiktat nennen kann, wird in aller Offenheit angedroht. Ein Teilungsdiktat bringt uns mehr als das Problem der Agententheorie. Es geht dabei nicht um Stempelfragen, sondern um das Ansinnen, daß die Bundesrepublik meineidig werden soll an den Landsleuten in der Zone.
    Die Berliner stehen ganz gewiß nicht allein, wenn sie sagen: Die Bundesrepublik wird sich mit einem Teilungsdiktat nicht abfinden können.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Sie wird es niemals anerkennen können, nicht nur, weil sie ihre eigene Verfassung nicht brechen darf, die uns verbindlich auffordert, stellvertretend für alle Deutschen zu handeln. Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesrepublik — wie es auch hier erneut gesagt worden ist —, sich um die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone zu kümmern. Die Bundesrepublik kann und darf ein Teilungsdiktat nicht anerkennen, ohne die Verfassung zu brechen.
    Wir sind uns mit den Verbündeten einig, die ebenfalls die Wiedervereinigung vertraglich zum Ziele ihrer Politik gemacht haben. Auch sie könnten sich nicht mit einem Vertrag abfinden, der das Gegenteil der gemeinsamen Politik bedeutet.
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9777
    Regierender Bürgermeister Brandt
    Die Preisgabe unserer Landsleute wird nicht stattfinden. Wir sind ein Volk — das haben die Berliner angesichts der Drohungen dieser Tage auf ihre Weise noch einmal zu zeigen gehabt —, ein Volk, das auch eine Selbstachtung hat. Recht und Moral verpflichten uns zu diesem Standpunkt. Diese Haltung ergibt sich aber auch aus unserer demokratischen Überzeugung; denn ohne diese integre und unerschütterliche Haltung würden wir selbst, aus Schwäche oder Opportunismus, Wegbereiter eines neuen Nationalismus werden. Und niemand, dem der Friede etwas wert ist, in Ost oder West, kann das wünschen.
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin weiß mit seinen Mitbürgern, daß wir vor schweren Monaten stehen. Hoffentlich werden wir uns darin bewähren.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD. Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)