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    Deutscher Bundestag 159. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1961 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9201 A Begrüßung der in den Kontaktausschuß delegierten Vertreter des Europäischen Parlaments und der Parlamente afrikanischer Republiken 9228 D Fragestunde (Drucksache 2712) Fragen 'des Abg. Dr. Fritz (Ludwigshafen) : Verhaftung des ehemaligen Fremdenlegionärs Karl Gilberg . . . . . . 9201 B Frage des Abg. Kreitmeyer: Maßnahmen gegen eine Bedrohung Berlins Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 9201 C Kreitmeyer (FDP) . . . . . . . 9201 C Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Entwicklungspolitik der Bundesregierung (Drucksache 2608); in Verbindung mit dem Antrag betr. berufliche und soziale Sicherung Deutscher in Entwicklungsländern (SPD) (Drucksache 2607) ; dem Entwurf eines Gesetzes über die Finanzierungshilfe für Entwicklungsländer aus Mitteln des ERP-Sondervermögens (Entwicklungshilfegesetz) (Drucksache 2288) ; Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses (Drucksache 2658) — Zweite und dritte Beratung —; dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1961 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1961) (Drucksache 2380); Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 2669, zu 2669) — Zweite und dritte Beratung —; und dem Entwurf eines Gesetzes zum Übereinkommen vom 14. Dezember 1960 über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (Drucksache 2670) — Erste Beratung — Kalbitzer (SPD) 9202 B Kühn (Köln) (SPD) . . . . . . 9212 A Dr. von Brentano, Bundesminister 9217 A Dr. Westrick, Staatssekretär . . 9225 C Scheel (FDP) . . . . . . . . 9232 A Dr. Fritz (Ludwigshafen) (CDU/CSU) 9236 C Wischnewski (SPD) 9240 D Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses über den Entwurf einer Siebenten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1961 (Senkung von Außen-Zollsätzen aus Anlaß der DM-Aufwertung) (Drucksachen 2682, 2722) . . . 9242 D Nächste Sitzung 9243 C Anlagen 9245 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Mai 1961 9201 159. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1961 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht 1 Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschl. Dr. Arndt 5. 5. Dr. Atzenroth 5. 5. Dr. Baade 5. 5. Baier (Mosbach) 31. 5. Dr. Bärsch 5. 5. Bauer (Wasserburg) 5. 5. Bazille 5. 5. Frau Berger-Heise 6. 5. Berlin 5. 5. Frau Blohm 5. 5. Dr. Böhm 6. 5. Dr. Brecht 5. 5. Frau Dr. Brökelschen 31. 5. Dr. Burgbacher 5. 5. Caspers 5. 5. Dr. Dahlgrün 5. 5. Deringer 5. 5. Diekmann 5. 5. Dr. Dittrich 5. 5. Frau Döhring (Stuttgart) 5. 5. Dowidat 5. 5. Drachsler 5. 5. Dürr 5. 5. Eisenmann 5. 5. Faller 5. 5. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 5. 5. Dr. Furler 5. 5. Geiger (München) 5. 5. Dr. Görgen 1. 7. Dr. Götz 31. 5. Dr. Gradl 6. . Dr. Greve 5. 5. Dr. von Haniel-Niethammer 5. 5. Hauffe 1. 7. Dr. Heck (Rottweil) 1. 6. Hermsdorf 5. 5. Dr. Hesberg 5. 5. Hübner 5. 5. Hufnagel 5. 5. Dr. Jordan 5. 5. Dr. Kempfler 5. 5. Killat (Unterbach) 5. 5. Frau Kipp-Kaule 5. 5. Frau Klemmert 1. 7. Dr. Königswarter 5. 5. Frau Krappe 5. 5. Lenz (Trossingen) 5. 5. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 1. 7. Mattick 5. 5. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschl. Dr. Menzel 31. 5. Frau Nadig 5. 5. Neuburger 5. 5. Neumann 5. 5. Niederalt 3. 6. Dr. Dr. Oberländer 5. 5. 011enhauer 27. 5. Dr. h. c. Pferdmenges 5. 5. Frau Pitz-Savelsberg 31. 5. Pohle 5. 5. Pusch 5. 5. Rademacher 1. 7. Regling 5. 5. Dr. Reith 5. 5. Rhode 5. 5. Ruhnke 7. 5. Sander 4. 6. Frau Schanzenbach 27. 5. Dr. Schild 5. 5. Dr. Schmidt (Gellersen) 5. 5. Schoettle 5. 5. Schüttler 5. 5. Schütz (Berlin) 5. 5. Dr. Seffrin 15. 5. Seuffert 5. 5. Dr. Seume 5. 5. Stahl 5. 5. Dr. Starke 5. 5. Dr. Stecker 5. 5. Dr. Stoltenberg 5. 5. Sühler 5. 5. Unertl 6. 5. Dr. Vogel 10. 6. Wagner 5. 5: Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 5. 5. Frau Welter (Aachen) 5. 5. Frau Wolff 5. 5. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Nahm auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Reitz (Fragestunde der 157. Sitzung vom 3. 3. 1961, Drucksache 2712, Frage XII) : ist es richtig und entspricht es den Absichten der Bundesregierung, daß die im Bundeshaushalt bereitgestellten Sondermittel für die Räumung der Wohnlager nur dazu verwendet werden, die Altvertriebenen aus den Wohnlagern zu bringen, und müssen die Mittel nicht auch dazu verwendet werden, um auch andere Lager und allgemeine Notunterkünfte zu beseitigen? Die Auflösung und Beseitigung der Wohnlager und Notunterkünfte ist eine Angelegenheit der Länder. Der Bund stellt ihnen hierzu alljährlich Kriegs- 9246 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Mai 1961 folgenhilfemittel sowie Mittel des allgemeinen sozialen Wohnungsbaues zur Verfügung. Ohne also verpflichtet zu sein, hat die Bundesregierung 1960 auf meinen Antrag ein zusätzliches Programm zur Auflösung von Wohnlagern aufgelegt, in denen sich seit 10 und mehr Jahren Kriegsgeschädigte befinden. Die Bundesregierung stellt in diesem Programm pro Kopf eines jeden Begünstigten 6,5 % der Mittel zur Verfügung, die im Landesdurchschnitt auf eine Wohnung des sozialen Wohnungsbaues entfallen. Ingesamt werden voraussichtlich, verteilt auf vier Haushaltsjahre, zweckgebunden schätzungsweise 225 bis 230 Mio DM Rückflußmittel nach § 20 Abs. 1 des II. WoBauG und pauschalierter Kriegsfolgenhilfemittel zur Durchführung dieses Programms von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden müssen. Hinzu treten rund 80 Mio DM Aufbaudarlehen. Durch gezielten Einsatz dieser Mittel sollen 100 000 Kriegsgeschädigte aus Wohnlagern, die überwiegend von ihnen bewohnt sind, mit angemessenem Wohnraum versorgt, die Lager für weitere wohnungsmäßige Nutzung unbrauchbar gemacht werden. Die Länder haben es übernommen, die nicht kriegsgeschädigten Insassen der zur Auflösung kommenden 2449 Lager gleichzeitig mit angemessenem Wohnraum zu versorgen.
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    Rede von Hellmut Kalbitzer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Die weltpolitischen Ereignisse der 50er Jahre sind gezeichnet durch Krisen: in Korea, Indochina, Suez, Tibet, in den letzten Jahren Kuba, Kongo, Algerien und Angola. Aus dieser Aufzählung, die Ihnen allen ja geläufig ist, wollen Sie bitte ersehen, daß diese Länder, die allesamt, so unterschiedlich sie auch im einzelnen sind, als Entwicklungsländer bezeichnet werden, heute den wesentlichen Ausschlag in der weltpolitischen Auseinandersetzung geben.
    Deshalb hat sich die Fraktion der SPD erlaubt, die Große Anfrage — Drucksache 2608 — zu stellen, um von der Bundesregierung einige Aufklärung über die Entwicklungspolitik zu erhalten und eine fruchtbare Diskussion zu entwickeln, um dieses Problem voranzustoßen entsprechend seiner großen Wichtigkeit.
    Die erste von uns gestellte Frage ist grundsätzlicher Art und heißt:
    Von welchen Grundsätzen läßt sich die Bundesregierung bei ihrer Politik gegenüber den Entwicklungsländern leiten?
    Lassen Sie mich zur Erklärung dieser ersten Frage einiges sagen.
    Während die deutsche öffentliche Meinung seit Jahren verbissen über die Bedeutung der Atomrüstung für die Zukunft der Menschheit debattiert, ist die Frage ,der Beziehungen zwischen den Industrieländern einerseits und den Entwicklungsländern andererseits zur für die Zukunft beherrschenden und die Zukunft entscheidenden Frage geworden.
    Die heutige für uns wichtige innerdeutsche Auseinandersetzung und die weltideologische Auseinandersetzung werden vom Ost-West-Konflikt beherrscht, wobei beide Seiten die Vorstellung nähren, die Gegenseite könnte durch einen Atomkrieg die Welt unversehens für sich gewinnen. Dieses Trauma auf beiden Seiten, daß die andere Seite plötzlich zur alleinigen Weltmacht würde, verdeckt alle anderen weltpolitischen Entwicklungslinien. Aber verdeckt durch diese bei uns vorherrschende Diskussion über den Ost-West-Konflikt wechselt in Wirklichkeit bereits die Szene, wie die anfängliche Aufzählung der Weltkrisen der letzten zehn Jahre zeigt.
    Eine neue weltbewegende Kraft tritt auf, nämlich die Parias des industriellen Zeitalters, die Entwicklungsländer. Weil ein großer Krieg, der die Gewichte der Weltpolitik verschieben könnte, infolge des Gleichgewichts des atomaren Schreckens nicht möglich ist, erhalten diese neuen Kräfte, die wir noch nicht ausreichend in unser politisches Kalkül einbeziehen, ein entscheidendes neues Gewicht.
    Die Forderung dieser Länder, deren Bevölkerung den größeren Teil der Menschheit darstellt, nach Gleichberechtigung sowohl in der Weltpolitik als auch in der Weltwirtschaft kann von uns nicht mehr ignoriert werden. Der Ost-West-Konflikt, der auch unsere heutige Diskussion fast monoman beherrscht, wird noch in diesem Jahrzehnt unmittelbar von einem Nord-Süd-Konflikt abgelöst werden, d. h. von einem Konflikt größten Ausmaßes zwischen den Industrieländern des nördlichen Teils der Erdkugel und ,den mehr in den Tropen liegenden Entwicklungsländern. Dabei ist die scheinbare Schwäche dieser Entwicklungsländer ihre Stärke. Diese Länder haben nämlich ihre Politik bisher noch nicht abgesteckt; sie sind, von Ausnahmen abgesehen, mit voller Absicht blockfreie Länder. Unsere Aufgabe ist es, zu klären, wie wir uns zu diesem Konflikt, der heraufzieht, stellen.
    Unsere Forderung nach Selbstbestimmungsrecht für unser Volk können wir in der Welt von morgen nur glaubhaft machen, wenn wir dieses Prinzip überall in der Welt vertreten, wenn wir also auch das Unabhängigkeitsstreben der Völker, die heute noch abhängig sind, zu unserem eigenen machen. Anders scheint mir unsere Forderung auf Selbstbestimmung auf Sand gebaut.
    Seit zwanzig Jahren befindet sich das deutsche Volk in diesem Rahmen der Politik gegenüber den



    Kalbitzer
    Entwicklungsländern zum erstenmal nicht in einer bloßen Zwangslage, sondern hat wieder die Gelegenheit politischen Handelns aus eigener Zielsetzung, aus eigenen Möglichkeiten.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Hieraus ersehen Sie, daß es von Grund auf verkehrt ist und daß es an ,dem von uns erstrebten Ziel vorbeiführen muß, wenn wir die Entwicklungspolitik etwa als Abwehr des Kommunismus verstünden. Was in Wirklichkeit nötig ist, ist das Verständnis für ein neues Zeitalter der internationalen politischen und menschlischen Beziehungen.(Beifall bei der SPD.)

    Entwicklungspolitik ist keine Reaktion, sondern muß eine Aktion sein, muß von uns gewollt und von uns ausgebaut werden.

    (Erneuter Beifall ,bei der SPD.)

    Die industrielle Gesellschaft im westlichen Europa und Nordamerika hat 200 Jahre gegen das Elend als eine gesellschaftliche Massenerscheinung gekämpft. Das Massenelend in ,den Industrieländern ist inzwischen überwunden. Das heißt nicht, daß wir keine individuelle Not mehr hätten, aber als gesellschaftliches Übel in der modernen Industriegesellschaft ist das Massenelend überwunden.
    Da wir der kleinere Teil ,der Menschheit sind, gilt es jetzt, das Elend als Völker- und als Massenschicksal in der ganzen Welt zu lindern.

    (Beifall bei der SPD.)

    Was wir für die industrielle Welt erreicht haben, das gilt es nun auf die ganze Welt zu übertragen; nach Linderung des im größten Teil der Welt herrschenden nackten Hungers gilt es, zur Überwindung der Not zu kommen. Die technischen und wissenschaftlichen Voraussetzungen für eine Überwindung des Elends in der ganzen Welt hat uns die moderne Zeit an die Hand gegeben. Es kommt darauf an, ob wir sie politisch beherrschen und handhaben können.

    (Beifall bei der SPD.)

    In ,der Welt, wie sie sich bis heute entwickelt hat, besteht nicht mehr die Alternative: entweder romantische Armut, wie sie in einem vergangenen Feudalzeitalter bestand, oder Modernisierung, sondern es geht zwangsläufig 'darum: entweder industrielle Entwicklung überall in der Welt oder Häufung wirtschaftlicher und damit auch politischer Katastrophen in diesem größeren Teil der Welt.
    Daß wir als Deutsche von einer Häufung solcher Katastrophen nicht unberührt bleiben könnten, ist, glaube ich, inzwischen unser aller Überzeugung. Die Überwindung ides Massenelends in der Welt ist eine unmittelbare Frage unserer Sicherheit. Die Frage der Hilfe für ,die Entwicklungsländer ist nicht nur eine Frage der Humanität — das ist sie auch —, nicht nur eine Frage der weltwirtschaftlichen Integration — das ist sie auch —, sondern sie ist eine unmittelbare Frage für unsere zukünftige persönliche und politische Sicherheit.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben uns in den letzten Jahren nicht selten in einer Panikmache wegen der militärischen Gefährdung Deutschlands befunden, Aber wir tun gut daran, die Panikstimmung mit in Rechnung zu stellen, die sich in den Entwicklungsländern mit ihren rapide sich vermehrenden Volksmassen, mit ihrem nackten Existenzkampf auftut. So wie die Dinge bezüglich des Gleichgewichts der Weltmächte in der augenblicklichen Situation liegen, droht, glaube ich, nicht ein Krieg, vielmehr liegen die Gefahren in dem bis zur Verzweiflung anschwellenden Elend 'der hungernden Welt im Vergleich zu der Lage in den Industrieländern, zu denen natürlich auch die Sowjetunion von heute zählt. Bis jetzt ist alles, was wir gegen die wachsende Not in den Entwicklungsländern unternommen haben, nur das Schleppen von Sandsäcken gewesen, weil ,der Deich jeden Tag zu brechen droht. Solchen Notmaßnahmen von heute auf morgen können natürlich nicht irgendeine langfristige Konzeption aufkommen lassen. Wenn die Flut plötzlich steigt, müssen — das ist ganz klar —erst einmal die Sandsäcke geschleppt werden. Auf lange Sicht aber muß man sich natürlich um einen besseren Deich bemühen, muß man sich also um eine 'bessere Konzeption bemühen.
    Die Entwicklungspolitik ist also einer der wesentlichen Schwerpunkte unserer Außenpolitik. Der Tatbestand, um ,den es sich hier handelt, ist das Erwachen 'dieser Völker, ist ihr Drängen nach politischer Selbständigkeit und nach Unabhängigkeit von den beiden Blöcken des Ostens und 'des Westens, die beide Blöcke der industriellen Welt von heute sind. Ich würde gern einmal von der Regierung eine Bestätigung dafür haben, ,daß wir alle in der Bundesrepublik den Unabhängigkeitskampf aller Völker im Norden und im Süden Afrikas, in Asien und Lateinamerika unterstützen, daß wir Verständnis dafür haben, daß diese Völker, in ein anderes Schicksal hineingestellt, sich auch in einer anderen politischen Lage befinden.
    Die zweite Frage unserer Großen Anfrage lautet:
    Welche organisatorischen Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die entwicklungspolitischen Förderungsmaßnahmen zweckentsprechend schnell und ohne Verluste zu sichern?
    Diese Frage nähert sich schon mehr der Praxis. Zur Durchführung und zur Erreichung ,der Ziele, die ich hier skizziert habe, bedarf es einer ganzen Menge Initiative, und hier — das darf ich offen sagen — setzt meine und meiner Parteifreunde Kritik ein.
    Die Entwicklungshilfe in der Bundesrepublik geht
    daran darf ich dieses Haus erinnern — auf die Initiative des Parlaments zurück, das im Juni 1956, vor fünf Jahren also, durch ein interfraktionelles Vorgehen — wobei sich auf seiten der Regierungspartei mein verstorbener Freund Dr. Leverkuehn hervorgetan hat — die Regierung zur Bereitstellung der ersten Finanzmittel für die Entwicklungsländer veranlaßt hat.

    (Abg. Dr. Mommer: Sehr wahr!)




    Kalbitzer
    In diesen fünf Jahren ist es der Bundesregierung nicht gelungen, dieser Aufgabe, die das Parlament zuerst erörtert hat, bei der das Parlament die Initiative ergriffen hat, die notwendige zentrale Bedeutung innerhalb unserer Politik und innerhalb unserer staatlichen Verwaltung zuzumessen.

    (Sehr richtig! Sehr wahr! bei der SPD.)

    Von 1956 bis 1960 hatte sich die Situation entscheidend verändert. Im vorigen Jahr, im Juni 1960, hat die sozialdemokratische Fraktion für die Entwicklungspolitik Mittel in einer ganz anderen Größenordnung gefordert. Wir haben damals gesagt, sie müßten in einer Größenordnung von 2 1/2 bis 3 Milliarden DM liegen. Die Regierung — auch die Regierungspartei — hat sich im vorigen Jahre nicht ablehnend gegen diese als notwendig erkannte Forderungen gestellt, sondern sie hat sich kleinmütig gezeigt. Sie hat nicht rundweg abgelehnt, sondern sie hat verzögert. Sie hat einen Eiertanz aufgeführt, um um diese politische Notwendigkeit herumzukommen, bis die amerikanische Regierung und der neue Präsident Kennedy in dieser Frage Dampf gemacht haben. In diesem Augenblick, als die Amerikaner aufgeklopft haben, konnte sich die Bundesregierung plötzlich entschließen, für 1961 3 1/2 Milliarden DM für Entwicklungshilfe zu mobilisieren, eine Summe also, die von der sozialdemokratischen Fraktion ein dreiviertel Jahr vorher nicht aus irgendeiner Marotte heraus, sondern aus der Erkenntnis der politischen Entwicklung heraus gefordert worden war.
    Dieses zögerliche Verhalten der Bundesregierung, dieses Sich-nicht-Entscheiden, bis der große westliche Verbündete ein hartes Wort sprach, hat der Sache der deutschen Entwicklungshilfe in der Welt stimmungsmäßig außerordentlich geschadet.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Gerade die politisch reifsten Entwicklungsländer -und auch unter den Entwicklungsländern gibt es ja Unterschiede — sehen nun bei der deutschen Entwicklungshilfe nicht die originär deutsche Aufgabe, eine deutsche Absicht, ein deutsches Ziel, sondern empfinden sie zur Zeit nur als amerikanisch inspiriert, als nicht eigenständig. Das bedauere ich aufs tiefste. Das braucht natürlich kein Dauerzustand zu sein. Es kommt darauf an, ob wir nun beweisen, daß dieser Eindruck falsch ist, daß wir dieses zögerliche Verhalten kompensieren, aber nicht durch Voreiligkeit, wie man vielleicht sagen könnte, sondern dadurch, daß wir die zur Verfügung gestellten Mittel jetzt zügig und — das ist entscheidend; ich darf darauf zurückkommen — für die Empfänger sinnvoll und ohne vermeidbare Zeit- und Wertverluste verwenden.
    Bis 1960 haben 50 bis 100 Millionen DM im Jahr zur Verfügung gestanden. Im Jahre 1961 sollen es plötzlich 31/2 Milliarden sein, also eine völlig andere Größenordnung. Zu der aus dieser neuen Größenordnung sich ergebenden Vermehrung der Aufgaben und Erweiterung des Aufgabengebiets ist die Bundesregierung zur Zeit schon organisatorisch völlig außerstande. Die Bundesregierung befindet sich in der verwaltungsmäßigen Vorbereitung dieser großen Aufgabe nur im Zustand der unproduktiven Hickhacks,

    (Beifall bei der SPD)

    des völligen Durcheinanders in der Frage der Kornpetenz, wer hier politisch zu führen hat und wo koordiniert werden muß.
    Nun, ich gebe Ihnen gern zu: die Koordinierung ist in der Tat außerordentlich kompliziert; denn an der Entwicklungspolitik sind die Außenpolitik, die Wirtschaftspolitik, die Finanzpolitik ebenso wie die Bildungsanstalten, die Universitäten, zu beteiligen, was sich ja schon aus der Größenordnung der jetzt in Frage stehenden Beträge ergibt.
    Die Bundesregierung hat jetzt fünf Jahre Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten, aber sie hat nichts erkennen lassen, was eine positive Lösung dieser Aufgaben als sichergestellt ansehen läßt. Die Koordinierung zwischen den einzelnen Bundesressorts, zwischen den Ländern, zwischen den Organen privater Initiative, die wir natürlich auch nicht missen können, diese Koordinierung ist zugegebenermaßen schwierig. Ich will auch zugeben, daß in dieser Frage täglich zugelernt werden muß. Wir können in dieser Frage nichts Endgültiges haben; aber wir haben überhaupt noch nichts, womit wir diese Aufgaben wenigstens für den Moment lösen können. Für eine spätere Zeit bin ich durchaus bereit, darüber zu sprechen, wie man es anders und besser machen kann. Aber hier und heute haben wir nicht die ausreichende Koordinierung, und wir haben keine Konzentration der Verantwortung — außer auf dem Papier natürlich.
    Ich kenne die Antwort, Herr Minister, die Sie darauf zu geben beabsichtigen — Sie haben sie heute morgen schon durch Rundfunk bekanntgegeben —

    (Zurufe von der SPD)

    und ich weiß, daß Sie einen interministeriellen Ausschuß haben. Darüber, daß das besser ist, als überhaupt nichts zu haben, brauchen wir nicht zu rechten. Der Disput geht vielmehr darum, ob das in der Sache ausreichen kann. Nun, ich will der Bundesregierung nicht in ihre eigene Organisationsverantwortung hineinreden; die Bundesregierung kann in eigener Kompetenz entscheiden, wie sie es macht. Mein Monitum ist, daß sie es mangelhaft macht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Man kann es auf verschiedene Arten machen, das gebe ich Ihnen zu. Ich bin auch der Letzte, ,der einer Bundesregierung kurz vor Ablauf ihrer Amtszeit nun etwa einen Entwicklungsminister aufreden wollte. Um solche Punkte geht dieser Streit nicht, sondern es geht darum, daß Sie überhaupt etwas tun müssen, denn das Gegeneinander, wie es bis jetzt besteht, ist keine Lösung.
    Ich könnte aus dem Block der Erfahrungen ebenso wie mein Kollege Dr. Fritz von der CDU natürlich hundert Beispiele hier aufblättern, die zeigen, was nicht funktioniert. Das ist aber nicht in unserem und nicht im deutschen Interesse. Ich will Ihnen nur ein



    Kalbitzer
    Beispiel nennen und auch dabei im allgemeinen Interesse den Namen verschweigen.
    Der Botschafter eines Entwicklungslandes, eines Landes, das allgemeine Sympathie auf allen Bänken dieses Hauses besitzt, ist mit einem Projekt seiner Regierung zur Entwicklung seines Landes beim Auswärtigen Amt gewesen. Nach einiger Zeit kommt er wieder, um sich eine Antwort zu holen, und das Auswärtige Amt sagt, das Projekt sei zwar interessant, aber es müsse bedauern: das sei gar nicht im Konzept der Bundesregierung vorgesehen. Der Mann ist natürlich betrübt und geht anschließend zum Bundeswirtschaftsministerium, wo er die für ihn überraschende Antwort erhält, daß das gerade das Projekt sei, auf das man schon lange gewartet habe.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich bin bereit, Ihnen den Namen zu nennen, wenn es darauf ankommt. Aber Sie werden verstehen, daß der Name hier keine Rolle spielt. Dieser Botschafter muß die Verwaltung der Bundesrepublik für „unterentwickelt" halten.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, von diesem Kalauer abgesehen: die Modernisierung der Verwaltung ist für die Entwicklungsländer entscheidend wichtig. Sie müssen verwalten lernen. Aber sie können doch zu uns überhaupt kein Vertrauen haben, wenn ihnen so etwas noch in den letzten Monaten passiert.
    Das Bundeswirtschaftsministerium hat sich, wie wir aus der Presse erfahren und wie ich inzwischen im Ausschuß gehört habe, entschlossen, eine eigene Abteilung für Entwicklungspolitik zu gründen. Ich finde das lobenswert. Ich glaube, die anderen Ministerien sollten entsprechende Abteilungen gründen. Es würde mich interessieren, vom Herrn Außenminister nicht nur die vorbereitete Antwort, sondern auch eine Antwort auf diese konkrete Frage zu hören, ob denn nun seine Abteilung endgültig einschließlich des Leiters steht oder ob er sich nach diesen fünf Jahren immer noch um die Person bemüht.
    Der bestehende interministerielle Ausschuß, der also jetzt eine Konzentration der Verwaltung mit sich bringen soll und in dem immer abwechselnd einer den Vorsitz führt, wobei offenbar der eine nicht genau weiß, was der andere tut, ist nebst einem ihm untergeordneten Referentenausschuß nicht in der Lage das wiederhole ich hier —, alle herangetragenen Projekte schnell, kompetent und allseitig zu prüfen und darüber zu entscheiden.
    Hier muß ich Ihnen sagen: es fehlt der Verwaltung — auch bei bestem Willen, der nicht abgestritten wird — an umfassender Sachkenntnis, an umfassender Kenntnis der lokalen Bedingtheiten eines jeden solchen Projekts und natürlich auch an den technisch-fachlichen Kenntnissen über die auf uns zukommenden Projekte. Es ist von der Verwaltung nicht ohne weiteres zu erwarten, daß sie all das kennt. Wir haben in Afrika und in Asien natürlich nicht die Erfahrung wie meinetwegen die Engländer oder die Franzosen, und diesen Mangel müssen wir irgendwie ausgleichen.
    Dafür könnte man hier vielleicht eine Anregung geben: Da die Verwaltung ausreichende Fachkenntnisse nicht hat und auch nicht haben kann, darf sie eben diese Sache auch nicht allein machen, sondern muß die fachlich versierte Öffentlichkeit zur Beurteilung dieser Projekte heranziehen. Wir haben in Deutschland außerhalb der Verwaltung — und vielleicht auch innerhalb —, wir haben im deutschen Volk in seiner Gesamtheit eine ganze Menge von wirklichen Fachleuten, von Forschern, die in allen Winkeln der Erde gewesen sind, von Kaufleuten, Wissenschaftlern, Menschen aus allen Bereichen, die uns helfen könnten, zu einem fundierten Urteil über diese Projekte zu kommen.
    Bis jetzt ist doch im Grunde bei der Beurteilung eines Projekts eigentlich nur über den Daumen gepeilt worden. Wenn ein Projekt zur Beurteilung ansteht, pflegt ,das Auswärtige Amt in der Regel zu sagen: Dieser exotische Fürst oder Präsident aus Afrika, oder woher immer er kommt, wünscht unbedingt, daß dieses Projekt A auch wirklich durchgeführt wird. — Das ist zugegebenermaßen für das Auswärtige Amt ein Standpunkt. Aber Sie werden mir zugeben, das reicht nicht aus. Es ist eine Komponente für die Urteilsbildung, aber es sprechen noch viele andere Komponenten dabei mit.
    Wenn die Beurteilung beim Bundeswirtschaftsministerium liegt, dann ist im allgemeinen das Urteil des Wirtschaftsministeriums — und das liegt wiederum in der Natur dieses Ministeriums —: Ja, das Projekt ist gut, weil die deutsche Industrie oder eine spezielle Firma in Deutschland dieses Projekt gerade aufgenommen hat, weil diese oder jene Firma sich dafür einsetzt. — Ich bin nicht dagegen; es ist ja das gute Recht jeder Firma, sich für ein solches Projekt einzusetzen.

    (Zuruf des Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard.)

    — Ich werde Ihnen genug Beispiele nennen, Herr Minister, das können Sie doch gar nicht bestreiten. Es ist auch gar nichts Ehrenrühriges, Sie brauchen sich nicht darüber aufzuregen. Es ist das gute Recht einer Firma in Deutschland, zu sagen: Ich möchte dieses oder jenes. Wenn es eine seriöse Firma ist, hat sie natürlich auch Anspruch darauf, ernsthaft gehört zu werden, und sie hat Anspruch darauf, daß ihr Angebot erwogen wird. Nur sind das keine genügenden Voraussetzungen, um zu einem kompetenten Urteil zu kommen. Deshalb rege ich an, daß man zur Beurteilung Experten aus der versierten Öffentlichkeit mitheranzieht. Vielleicht kann man auch bei dem einen oder anderen Projekt, bei dem es jeweils um viele Millionen geht, die aus deutschen Steuergeldern gezahlt werden, vorsehen, daß diese Projekte z. B. auch von ausländischen Experten mitgeprüft werden.
    Die Frage der Finanzierung dieser Projekte hat in der Öffentlichkeit bisher die größte Aufmerksamkeit erregt. Natürlich kostet Entwicklungspolitik Geld, sie kostet auch viel Geld. Aber, meine Damen und Herren, wichtiger, als Geld für die Entwicklungshilfe zu haben, ist es, Menschen zu haben, die dieses Geld im Interesse der Entwicklung dieser



    Kalbitzer
    Länder verwenden können, die wirklich mit diesem Geld zweckmäßig umgehen können, also Menschen zu haben, die in Entwicklungsländer gehen, um dort praktische Arbeit zu leisten. Wenn wir dieser zweiten Aufgabe, der menschlichen Durcharbeitung, nicht die nötige Aufmerksamkeit widmen, ist dieses Geld sehr schnell verbuttert, ohne den notwendigen Effekt zu haben. Wir sind uns doch alle klar: hier wie in Übersee warten schon Hyänen darauf, diese Entwicklungsgelder für sich abzusahnen, um dann die Magermilch zu dem einzelnen Projekt hinfließen zu lassen. Wenn ein Projekt auf diese Art mißlingt, ist es nicht nur ein Verlust an Geld, sondern es ist zugleich ein politischer Verlust. Ein Objekt, das nicht richtig durchgeführt ist, ist ein Verlust an Prestige und ein Verlust an Gesicht. Wenn wir die mangelhafte Vorbereitung und Durcharbeitung der vorgesehenen Projekte, die zusammengerechnet Milliardenbeträge ausmachen, nicht in den nächsten Monaten abstellen, so gehen wir, wage ich zu sagen, einem Panama-Skandal entgegen.
    Ich sage nicht, daß wir heute schon diese Aufgabe verfehlt haben, sondern ich sage, daß wir bisher nicht genug getan haben, um die Aufgabe, die jetzt auf uns zukommt, richtig durchzuführen, daß wir keinen Apparat haben, um über 3 Milliarden DM für die Entwicklungsländer zweckmäßig zu verwenden.
    Ich sage, daß viele bereits darauf hoffen, an diesen Gelder partizipieren zu können, ohne dem Zweck dieser Gelder zu dienen. Dem muß man beizeiten ins Auge sehen, und dagegen muß man beizeiten etwas unternehmen.
    Deshalb stellen wir die Frage nach den organisatorischen Maßnahmen, um die Entwicklungspolitik auch praktizieren zu können, um vom Schlagwort zur Tat kommen zu können. Fünf Jahre haben Sie Vorbereitungszeit gehabt, meine Herren von der Regierung, jetzt müssen Sie die Sache durchführen.
    Damit darf ich zum dritten Punkt unserer Frage kommen: In welcher Höhe, für welchen Zeitraum und in welcher Form will die Bundesregierung Mittel für die Entwicklungshilfe bereitstellen, und wie sollen diese Entwicklungsmittel aufgebracht werden? Die Frage nach der Höhe der Beträge ist in die öffentliche Diskussion Anfang dieses Jahres gekommen. Darüber kam es gleich zu Streitereien. Dieser Streit um die Höhe der Beträge für Entwicklungshilfe hat in mehrfacher Hinsicht einen unguten Ton gehabt. Der ungute Ton lag meines Erachtens darin, daß man nur mehr Geld forderte, ohne völlig klarzumachen, wofür und auf Grund welcher Notwendigkeit man dieses Geld benötigte. So hat man einfach nur um Summen gestritten, ohne klarzumachen, welche politischen Notwendigkeiten für unsere gesamte Politik dahinterstehen.
    Ein anderer unguter Ton ist dadurch in die Debatte gekommen, daß gleich eine Entwicklungssondersteuer mit in die Debatte geworfen wurde. Wenn die Entwicklungspolitik eine Frage der politischen Priorität ist, eine Frage der gesamtpolitischen Konzeption, dann ist natürlich auch die Höhe des notwendigen Betrages eine Frage der politischen Priorität innerhalb unseres Gesamtetats. Wenn man dann voreilig mit Entwicklungssteuern kommt, was natürlich vom Steuerzahler nicht gern gehört wird, kommt man in eine falsche Diskussion. Diese Bemerkung möchte ich nicht ausgesprochen zur Fraktion der Regierungspartei machen, sondern die möchte ich gegenüber all denen machen, die mit solchen Vorschlägen gekommen sind und damit den Eindruck erweckt haben, es gehe um eine Sache, die man tun oder die man besser noch lassen könne.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Es geht bei der Frage, ob man für die Entwicklungshilfe eine Sondersteuer haben müsse — das war ja ein Diskussionsbeitrag besonders der deutschen Banken —, nicht um Überlegungen der Konjunkturförderung oder Exportförderung oder Einfuhrförderung, sondern es ist eine Frage der politischen Priorität, wie ich es genannt habe, die Frage, wie wir unsere öffentlichen Mittel, die für die Sicherheit unseres Volkes und unserer Zukunft ausgegeben werden müssen, entsprechend den verschiedenen militärischen und politischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten richtig verteilen.
    Zum zweiten hängt die Höhe des Finanzbetrages auch davon ab, daß wir uns bemühen, mehr geeignete Menschen zu kriegen, die in die Entwicklungsländer gehen, um diese Hilfe zu praktizieren.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Darauf komme ich hier und muß ich in jedem Punkte zurückkommen, weil es sich nicht nur um ein wirtschaftliches oder ein politisches, sondern im letzten und wesentlichen um ein menschliches Problem handelt. Dabei gehöre ich keineswegs zu den Pessimisten, die sagen, daß sich die Deutschen zur Zeit des Wirtschaftswunders nicht bereit finden, unter diesen schwierigen Umständen in die Entwicklungsländer zu gehen. Jeder, der sich mit diesen Fragen befaßt, weiß aus Erfahrung, daß sich überall versierte, tüchtige Leute bereit finden, diese Aufgaben zu normalen Bedingungen zu übernehmen. Dafür braucht man kein besonderes Korps zu schaffen. Aber wir haben es bisher nicht verstanden, diese Menschen an ihre Aufgaben heranzuführen.
    In der Debatte über die Höhe des Finanzbeitrages ist von der Bundesregierung die These vertreten worden: Für 1961 geben wir, ich glaube, 3,5 Milliarden DM und für 1961 und 1962 zusammen — die Zahlen variieren immer, so daß ich nicht weiß, auf welcher Grundlage die Bundesregierung im Augenblick diskutiert; aber das werden wir noch hören — zirka 5 Milliarden DM; aber man kann natürlich für die Zukunft keine ähnlichen Beträge versprechen. — Nun, es gibt etatrechtliche Gründe dafür, daß man das in der Tat nicht kann. Aber ich möchte Sie vom Politischen her warnen, zu glauben, daß Sie das einmal Gegebene später nicht wieder zu geben brauchten. Es ist eine harte Tatsache, daß wir das, was wir in einem Jahr geben, im nächsten Jahr nicht vorenthalten können. Eine gegenteilige These ernsthaft zu vertreten, dazu sind wir weder den Entwicklungsländern gegenüber noch den westlichen Verbündeten gegenüber stark ge-



    Kalbitzer
    nug. Die These: Wir geben einmal, und was wir später tun, wissen wir noch nicht, ist einfach Augenauswischerei kurz vor der Wahl, und nicht mehr.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich denke, wir brauchen und werden die Frage der Entwicklungspolitik nicht zum Gegenstand ,der Auseinandersetzungen im Wahljahr machen. Weil wir das nicht wollen, müssen wir auch, von allen Seiten, die Notwendigkeiten und Schwierigkeiten nennen und dürfen nicht so tun, als ob dieser Betrag 1961 nur mal aus Versehen gegeben worden wäre, als ob das nicht mehr in Frage käme. Das ist einfach nicht richtig, weil es politisch unmöglich ist.
    Nun darf ich zu einem anderen Aspekt kommen. Was bei uns in der Bundesrepublik als Entwicklungshilfe bezeichnet wird, ist zu einem großen Teil privates Geschäft mit Entwicklungsländern, wobei die großen Risiken vom Bund abgedeckt werden. Privates Geschäft ist notwendig, eine gute Sache; ich habe überhaupt nichts dagegen. Aber Handel mit Afrika oder Lateinamerika z. B. ist noch keine Entwicklungshilfe. Die Hamburger handeln schon 300 Jahre mit Afrika und haben sich dabei gut entwickelt; aber die Entwicklungsländer haben sich nicht gut entwickelt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Also ich sage hier kein Wort gegen den Handel und gegen den normalen wirtschaftlichen Austausch. Er muß sein und muß weiter gefördert werden. Exportförderung ist eine gute Sache, die von mir von diesem Platz aus schon mehr als einmal unterstützt worden ist. Aber Entwicklungshilfe ist eben etwas anderes und muß von anderen Grundsätzen ausgehen.
    Die sogenannte Entwicklungshilfe bei Investitionen ist nicht in ihrer ganzen Summe echte Entwicklungshilfe, weil natürlich das deutsche Eigeninteresse eine gewichtige, entscheidende Rolle dabei spielt. Entwicklungshilfe ist bei einem solchen Projekt jeweils nur der Teil, bei dem ein Risiko besteht. Die entsprechenden Kredite können also nur mit einem Teilbetrag in die Entwicklungshilfe eingesetzt werden.
    Die Bundesregierung hat die deutsche Industrie aufgefordert, für die Entwicklungshilfe einen Kredit von 1 1/2 Milliarden DM bereitzustellen. Man muß sich doch darüber im klaren sein, daß diese 1 1/2 Milliarden DM — die, wie ich befürchte, noch immer nicht ganz aufgebracht sind — im Interesse der deutschen Industrie selber verwendet werden. Es ist also eine Selbstverständlichkeit, daß dieser Betrag aufgebracht werden muß. Wenn die deutsche Industrie in Entwicklungsländern liefert — und daran ist sie selbst interessiert —, dann hat die Bundesregierung bereit zu sein, Garantien für das Risiko und unter Umständen Zinssubventionen zu geben. Aber man kann die Sache doch nicht so darstellen, als ob ein Kredit der deutschen Industrie an die Bundesregierung zur Verwendung für die Entwicklungshilfe bei 5 % Verzinsung eine außerordentliche Leistung wäre. Das ist eine politische und wirtschaftliche Selbstverständlichkeit. Ich kann, offen gesagt, das Geschrei um diese anderthalb Milliarden DM nicht verstehen. Ein Wirtschaftsminister, der seine Leute nicht einmal dazu bringt, diese anderthalb Milliarden DM, die nachher wieder in deren eigenen Interesse ausgegeben werden, bereitzustellen, der tut mir leid; das muß ich offen sagen, Herr Minister.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Scheel: „Seine Leute" ist gut!)

    — Na ja, das war gemeint.
    Die Barleistungen an die Entwicklungsländer sind allerdings auch nur wieder ein Teilaspekt der volkswirtschaftlich notwendigen Gesamtleistung für die Entwicklungsländer. Ich meine damit folgendes Problem.
    1958 z. B. sind die Preise für tropische Rohstoffe insgesamt um etwa 20 % gefallen. Durch dieses 20 %ige Absinken der Rohstoffpreise der tropischen Länder, also der Entwicklungsländer, haben diese Länder einen Milliardenausfall gehabt, dessen Größenordnung genauso hoch war wie das, was alle Industrieländer zusammen in demselben Jahr als Entwicklungskredite und Entwicklungsleistungen in diese Länder hineingesteckt haben. Das heißt also, was man 1958 an Barmitteln gegeben hat, das hat man die Länder durch eine Preissenkung ihrer eigenen Produkte wieder ausbluten lassen. Der Erfolg ist also gleich Null.
    Deshalb besteht die beste Finanzhilfe, die besser als die Hilfe durch bare Mittel ist, in einer reichlichen Abnahme tropischer Produkte zu Preisen, die sich den Industriepreisen in ihrer tendenziellen Entwicklung anpassen. Das ist das, was die Amerikaner „aid by trade" nennen, also Hilfe durch einen normalen Handel. Das ist ein Gesichtspunkt, der durchaus unserer Aufmerksamkeit bedarf.
    Ich kenne aus Ausschußsitzungen die generelle Ansicht der Bundesregierung dazu — aber ich bin natürlich gern bereit, Genaueres zu hören —, die dahin geht, daß eine wirtschaftliche Unterstützung durch Stabilisierung der Rohstoffpreise in der Welt zwar außerordentlich wichtig und notwendig sei, daß man aber leider dieser Frage, ich glaube, aus ideologischen Gründen — aus ideologischer Verklemmtheit, Herr Minister — nicht nähertreten könne. Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn Sie dieser Frage einfach aus politisch-praktischen Erwägungen und nicht aus irgendwelchen, wie Sie es nennen, grundsätzlichen Überlegungen nähertreten würden. Für die Entwicklungsländer selber ist eine solche Hilfe, d. h. eine Hilfe, die in der Möglichkeit besteht, daß sie ihre eigene Produktion exportieren können, von allen Hilfen weitaus am meisten erwünscht.
    Zur Debatte stehen großenteils Kredite zum Aufbau von Werken, zum Aufbau von Kraftwerken, Eisenwerken usw. in den Entwicklungsländern. Aber der andere Teil der materiellen Hilfe, die gegeben werden muß, ist natürlich das, was man mit einem Fachwort „Infrastruktur" nennt und was man besser als die Aufgabe bezeichnet, die Voraussetzungen für die Modernisierung dieser Länder zu schaffen, also durch Bau von Straßen, von Schulen,



    Kalbitzer
    von Krankenhäusern, von Forschungslaboratorien und ähnlichem.
    Für diese Aufgaben muß ebenfalls Geld bereitgestellt werden; denn eine Fabrik ist, wenn die Menschen, die in ihr arbeiten sollen, nicht lesen und schreiben können und nicht die einfachsten Begriffe der modernen Bildung kennen, natürlich zum Untergang verurteilt. Man muß also einerseits direkte wirtschaftliche und zum anderen gründlich untermauernde Maßnahmen treffen.
    Da wäre es eine gute Sache, wenn überlegt würde, ob man nicht die Zinsen und die Amortisationen, die aus den Krediten zurückfließen, im Entwicklungsland selber stehenlassen sollte mit der Auflage, daraus die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren, mit anderen Worten: ob man in den Entwicklungsländern nicht das tun könnte, was die Amerikaner zum Aufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Kriege getan haben, d. h. in den Entwicklungsländern einen „Marshallplan" zu praktizieren. Das würde bedeuten, daß man erst einmal Wirtschaftskredite gibt und die daraus fließenden Zinsen und Amortisationen dann nicht wieder in die Bundesrepublik zurückpumpt, sondern sie im Entwicklungsland stehenläßt und damit die weitere Entwicklung dieses Landes forciert.
    Ich meine, eine solche Methode, die schon andere uns gegenüber und zu unserer Rettung, möchte ich sagen, praktiziert haben, sollte für uns nicht so ganz abseits der politischen Überlegung liegen. Ein solcher Plan, den man nach und nach, d. h. über viele Jahre verteilt, durchführen müßte, würde natürlich eine erhebliche deutsche Leistung bedeuten. Vor allem aber wäre es eine wirklich glaubwürdige, generöse und wirksame Hilfe.
    Ich komme auf meine anfängliche Bemerkung zurück, daß wir durch das zögernde Verhalten Anfang dieses Jahres sehr an Glaubwürdigkeit eingebüßt. haben. Durch eine Realisierung dieses Vorschlages hätte die Bundesregierung die Möglichkeit, diese Scharte auszuwetzen. Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn die Bundesregierung positive Worte für diesen Vorschlag fände, der ja nicht ganz neu ist, sondern den die Amerikaner uns gegenüber schon verwirklicht haben.
    Ich darf zu der finanziellen Frage noch eine kritische Bemerkung machen. Ich habe den Eindruck, daß manche finanziellen Zusagen voreilig gegeben worden sind, nur deshalb, weil sich prominente Abgeordnete oder Minister auf Blitzreisen um die Welt begeben haben und dadurch natürlich die speziellen Kenntnisse für das, was notwendig und vernünftig und für das, was leichtfertig und nur Propaganda ist, nicht haben konnten ,und dann Zusagen machten, die uns nachher belasten und 'die den wirklichen Bedürfnissen dieser Länder entweder gar nicht oder nur sehr am Rande Rechnung tragen. Ich möchte Sie herzlich bitten — das geht uns alle an, auch uns Abgeordnete —, von solchen unverantwortlichen Versprechungen in der Zukunft Abstand zu nehmen. Wenn man sich in ein Land begibt und in diesem Lande wirkliche finanzielle Leistungen investieren will, sollte man sich vorher erklären lassen, was sinnvoll und was nur Propaganda ist.
    Meine Damen und Herren, ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, daß die Initiative zur Entwicklungspolitik aus diesem Hause gekommen ist. Ich meine, dieses Haus muß in einem besonderen Falle jetzt eine weitere Initiative entfalten. Wir haben als Parlament natürlich das Recht der Ausgabenkontrolle. Diese Ausgabenkontrolle wird im Haushaltsausschuß und in allen möglichen Ausschüssen für Ausgaben innerhalb unseres Landes selbst minutiös gehandhabt. Aber wir haben bisher überhaupt keine Kontrolle darüber, wohin Millionen — unter Umständen Hunderte von Millionen auf einen Schlag — fortgegeben werden, ohne daß irgendein Mensch auch nur zu prüfen versucht, ob diese großen Beträge wirklich dahin fließen, wohin sie auf dem Papier fließen sollen. Ich weiß, daß die Herren der Regierung mir jetzt sehr böse sein werden, aber dieser Punkt muß hier ausgestanden werden. Wir müssen die Ausgaben für die Entwicklungsländer genauso unter Kontrolle haben wie die Ausgaben im eigenen Lande.
    Es kann nicht argumentiert werden, daß das eine oder andere Entwicklungsland nur Geld als Blankoscheck à fonds perdu haben wolle. Wer dieses Ansinnen an den deutschen Steuerzahler stellt, der stellt ein unerfüllbares Ansinnen. Ich bin bereit, die deutsche Öffentlichkeit mit darüber aufzuklären, daß diese Zahlungen notwendig sind, aber ich bin nicht bereit zuzugeben, daß diese Gelder unkontrolliert herausgegeben werden sollen. Das Parlament muß sich also sehr viel mehr als bisher um den Verbleib der Entwicklungsgelder kümmern. Was im Innern gilt, muß auch nach außen gelten, Ich gebe Ihnen zu, es kann ein bestimmter Fall eintreten, über den man nicht abrechnen kann. Das muß dann eben festgestellt werden. Das gibt es ja in unserem Etat auch. Aber man kann doch nicht 3 1/2 Milliarden DM öffentlicher Gelder ausgeben — die schließlich als Steuern eingebracht werden müssen —, ohne daß wir die Gewißheit haben, daß diese Gelder vom Parlament geprüft und vom Bundesrechnungshof auch kontrolliert werden. Vielleicht ist der Bundesrechnungshof organisatorisch zur Stunde dazu nicht in der Lage. Warum soll er prinzipiell bessere Einsichten haben als die allgemeine Verwaltung! Dann muß auch der Bundesrechnungshof in dieser Hinsicht ausgebaut werden. Aber ich kann nicht von dem Prinzip abgehen, daß der Bundesrechnungshof die einzige Barriere gegen den Mißbrauch dieser Milliardenbeträge ist.
    In diesem Punkte unterscheide ich mich z. B. grundsätzlich von Herrn von Hassel, der Parlament und vor allen Dingen Bundesrechnungshof bei der Vergabe dieser Gelder ausgeschlossen wissen will.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    — Ja, doch, das hat Herr von Hassel gesagt. Aber wir wollen hier über Herrn von Hassel gar nicht debattieren. Er ist nicht im Hause und deshalb wäre es unfair, das zu tun. Ich möchte nur von Ihnen bestätigt haben, daß Sie meine Meinung teilen
    einerlei, was Herr von Hassel gesagt hat —, daß die Kontrolle über die Ausgabe dieser Gelder gründlich und zuverlässig sein muß und daß natür-



    Kalbitzer
    lieh Parlament und Rechnungshof dazu Stellung nehmen müssen.

    (Abg. Dr. Fritz [Ludwigshafen]: In der Diskussion der DAG ist doch während der Tagung in London dasselbe gesagt worden!)

    — Es hat doch keinen Zweck, hier im Plenum auf Auseinandersetzungen in Ausschüssen Bezug zu nehmen. Was da gesagt worden ist, ist ganz egal. Wenn Sie es hier bestätigen, bin ich vollauf befriedigt, und dann geht es nur noch darum, das auch durchzuführen. Das ist natürlich immer noch ein weiterer Schritt.
    Zu dieser Frage noch eine letzte Bemerkung bezüglich der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau, ursprünglich zum Wiederaufbau innerhalb der Bundesrepublik organisiert, soll jetzt die bankmäßigen Aufgaben bei der Transformierung der Entwicklungsgelder in die Entwicklungsländer übernehmen. Hierfür fehlt die gesetzliche Grundlage. Ich will hier nicht untersuchen, wer daran mehr oder weniger schuld ist. Das ist mir hier zur Stunde nicht interessant. Wichtig ist für mich, daß das Gesetz für die Kreditanstalt für Wiederaufbau noch in diesem Bundestag durchkommt. Mir genügt nicht die Erklärung eines Regierungsvertreters — die ich vor einigen Tagen erhalten habe —, daß ,die Kreditanstalt für Wiederaufbau auch ohne ein solches Gesetz arbeitsfähig sei. Eine Arbeit der Kreditanstalt für Wiederaufbau ohne ein entsprechendes Gesetz ist eine Muschelei, die sich auf die Dauer nicht auszahlt. Hier debattieren wir zum erstenmal darüber, daß diese Gelder sorgfältig vergeben werden müssen. Also brauchen wir in diesem Punkte auch die gesetzliche Grundlage. Ich bitte Sie daher, sich hierfür mit einzusetzen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Mit den Ländern!)

    — Natürlich auch mit den Ländern! Sie brauchen sich gar nicht angegriffen zu fühlen, ehe ich Sie angreife.

    (Abg. Majonica: Tun wir doch nicht!)

    Ich stelle hier nur fest, daß wir das in den nächsten paar Wochen gemeinsam machen müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Schließlich ist eine Kreditanstalt für Wiederaufbau eine Sache der Bundesregierung. Ich wäre bereit, mit Ihnen eine Kreditanstalt für Wiederaufbau auch ohne Beteiligung der Länder zu schaffen, wenn nur überhaupt eine geschaffen wird. Die Katastrophe ist doch, daß bis heute überhaupt keine gesetzliche Grundlage da ist. Ich möchte verhindern, daß mit ,dem bisherigen unzureichenden Gesetz gemuschelt wird.
    Unter Punkt 4 unserer Großen Anfrage fragen wir die Bundesregierung:
    In welchem Umfange und in welcher Weise gedenkt die Bundesregierung mit den einzelnen internationalen Organisationen auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe zusammenzuarbeiten?
    Selbstverständlich muß ein Teil der Entwicklungspolitik bilateral, zwischen der Bundesrepublik und dem Empfängerland, ausgehandelt und ausgeglichen werden. Aber wir sind außerordentlich daran interessiert, daß es in dieser Frage, weil es eine weltweite Frage ist, auch zu einer weltweiten Zusammenarbeit kommt, daß man also nach Möglichkeit internationale Organisationen an dieser Aufgabe beteiligt, weil die Aufgabe in ihrer Gesamtheit natürlich nicht von unserem Volk allein aufs Kreuz genommen werden kann. Wir haben Verbindung zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die nach dem Vertrag von 1957 einen Entwicklungsfonds hat. Dieser Entwicklungsfonds läuft bis Ende 1962 aus.
    Die politische Lage Afrika hat sich seitdem von Grund auf geändert. Wir müssen nach unserer Vorstellung zu einem neuen Entwicklungsfonds kommen. Wir können nicht etwa den Standpunkt vertreten: Das Abkommen über den Entwicklungsfonds sei auf fünf Jahre geschlossen, und nun brauche nichts weiter geleistet zu werden. Hier gilt das von mir schon genannte Prinzip: Wenn man einmal gegeben hat, kann man sich nicht zurückziehen; ob einem das in allen Einzelheiten paßt oder nicht! Der Entwicklungsfonds muß also nach 1962 mindestens — ich sage „mindestens" ! — in dem Umfange wie bisher weiterlaufen.
    Aber er muß von Grund auf reformiert werden. Da die Empfangsländer gleichberechtigte und souveräne Länder geworden sind, muß auch der EWG-Entwicklungsfonds künftig gleichberechtigt von Europäern und Afrikanern verwaltet werden, und der Anschluß an die Assoziierung in Afrika muß offen sein. Es darf kein exklusiver Klub der ehemaligen französischen Kolonien sein, sondern jedes Land in Afrika, das die entsprechenden Verpflichtungen übernimmt, muß bei uns aufgenommen werden können. Es kann sich nicht darum handeln, daß man ehemalige Kolonialgebiete nun in einer andereren Form und Methode zusammenschließt, um zum Schluß auf diese Weise doch den alten Einfluß zu konservieren. Das wäre verderblich, das wäre tödlich für die europäisch-afrikanische Zusammenarbeit.
    Ein Drittes: Neben der Zone der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Afrika, der EWG-Zone also, besteht in Afrika noch eine andere Zone, die des Commonwealth. Diese beiden Zonen haben unterschiedliche Zollvorzüge für ihre Mitglieder. Wir halten es im Interesse der europäischen Zusammenarbeit und im Interesse der Entwicklung Afrikas für notwendig, daß diese beiden Zonen koordiniert werden, daß sie zusammenarbeiten.
    Ich möchte die Bundesregierung hiermit ausdrücklich fragen, ob sie den kürzlich von der englischen Regierung vorgelegten Vorschlag, sich darüber zu unterhalten, wie die EWG-Zone und die Commonwealth-Zone in Afrika künftig zusammenwirken sollen, unterstützt, ob die Bundesregierung bereit ist, in der EWG dafür einzutreten, daß diese Verhandlungen aufgenommen werden, und ob sie meine Ansicht teilt, daß es sowohl für unser europäisches Ansehen als auch für die Entwicklung Afrikas verderblich wäre, wenn die innereuropäischen Differenzen zwischen EWG und EFTA nun auch noch auf Afrika übertragen würden, wenn die innereuropäischen Wirtschaftszwistigkeiten auch auf Afrika



    Kalbitzer
    übergreifen sollten. Ich frage: Wozu ist die Bundesregierung bereit, um diese unmittelbar vor uns stehenden, schon in der Entwicklung begriffenen Schwierigkeiten zu überwinden?
    Ich möchte noch einen weiteren Vorschlag machen, daß nämlich die Beteiligung der Bundesrepublik an dem EWG-Entwicklungsfonds für Afrika ergänzt wird: es sollte überlegt werden, ob es nicht zweckmäßigt wäre — ich sage offen: ich halte es für zweckmäßig —, daß wir uns finanziell auch beim Colombo-Plan engagieren, d. h. bei einer Gemeinschaft von Industrie- und Entwicklungsländern in Südostasien, an der auch Länder außerhalb des Commonwealth, zum Beispiel Japan, teilnehmen, um die eigene Finanz- und Wirtschaftskraft für Südostasien nutzbar zu machen. Zu dieser Anregung, die ich mir erlaube, würde ich gerne die Meinung der Bundesregierung hören.
    Ich komme nun zu einer internationalen Organisation, der gegenüber nach meiner Meinung einige Bedenken angemeldet werden müssen, über deren Ausräumung man sich unterhalten kann. Auf Initiative der Nordamerikaner ist vor einigen Monaten eine Arbeitsgruppe „Development Assistance Group" — abgekürzt „DAG" — gebildet worden. Diese Arbeitsgruppe hat keine Statuten, hat keinen Vertrag, ist einfach aus ,dem Augenblick heraus geboren. Ihr gehören fast ausschließlich Industrieländer an, die ehemals kolonialen Besitz gehabt haben, mit Ausnahme von Kanada und der Bundesrepublik selber. Aber wenn man sich die Liste dieser Mitgliederländer ansieht, so stellt man fest, daß sie früher sämtlich Kolonialmächte gewesen sind — was in der damaligen Zeit eine Sache war, über die wir heute kein Wort mehr zu verlieren brauchen —, des weiteren aber, daß sich in ,der Liste dieser Mitglieder u. a. auch Portugal befindet; und nun würde ich gern einmal hören, was die Bundesregierung bewogen hat, dafür zu sein, daß Portugal — neben Spanien das einzige Land auf dieser Welt, das die alte, überholte, der Vergangenheit angehörende Kolonialpolitik auch noch für die Zukunft konservieren will — Mitglied der DAG wurde. Portugal ist kein Industrieland, das den Entwicklungsländern überhaupt helfen könnte; es ist selber rückständig, es ist selber noch in einem halbfeudalen Zustand. Aber in diesen halbfeudalen Zustand, in dieser politischen Borniertheit wird von der portugiesischen Regierung heute ein Krieg, ein Rassen- und Kolonialkrieg, in Angola geführt. Wenn wir uns mit den Portugiesen hier in ein Boot setzen, so setzen wir uns also der Gefahr aus, ,daß wir die Schläge, die Portugal bekommt, mit auf unseren Buckel herniederziehen.
    Ich meine also, daß die Development Assistance Group aus Gründen ins Leben gerufen worden ist, die bis heute nicht ganz klar sind. Die Art dieser Gruppe wird von mir mit um so mehr Mißtrauen betrachtet, als ich kürzlich hörte, daß Schweden — also ein wirkliches Industrieland, das potente Entwicklungshilfe leistet — auf ,die Erklärung, es möchte bei der Development Assistance Group künftig zunächst als Beobachter mitarbeiten um sich dann zu entscheiden, ob es Vollmitglied werden könne —,die Antwort erhalten hat, daß solches unerwünscht sei. Es ist also unerwünscht, daß Schweden bei der DAG zunächst Beobachter und künftig vielleicht Vollmitglied wird. Es ist andererseits Tatsache, daß die bornierte rückständige Kolonialmacht Portugal in diesem Verein Mitglied ist. Was also soll das Ganze?
    Die Sache wird dadurch noch obskurer, daß man behauptet, ,die Development Assistance Group sei nur ein Vorläufer der demnächst zu gründenden europäisch-amerikanischen Wirtschaftsorganisation, bei der natürlich Schweden zu den Signatarmächten gehört. Also die, die später dabei sein sollen, werden heute ohne Not ausgeschlossen; dafür wird aber ein Land eingeschlossen, das sich in dieser Gesellschaft schlecht ausnimmt.
    Ich möchte also die Bundesregierung bitten, der Gefahr, daß sie als neokolonialistisch mißverstanden wird, beizeiten zu begegnen und klarzustellen, warum sich Portugal innerhalb der Development Assistance Group und Schweden außerhalb der Development Assistance Group befindet.
    Es ist in der Öffentlichkeit wiederholt auch die Forderung aufgestellt worden, die NATO. solle künftig die Entwicklungspolitik betreiben. Ich war sehr bestürzt, als ich vor einiger Zeit hörte, daß dieser Vorschlag vom Bundesaußenminister gemacht worden sei, und ich freue mich, daß wir so schnell ein Dementi von ihm erhalten haben, die Erklärung, daß nicht daran gedacht ist, die NATO, die militärpolitische Aufgaben hat — und nur haben kann; dazu ist sie gegründet —, mit der Entwicklungspolitik zu vermischen; und ich muß Ihnen offen sagen, Herr Minister: es wäre mir beruhigend, wenn die Bundesregierung künftig keinen Anlaß mehr zu derartigen Mißverständnissen gäbe, die immerhin aus sehr seriösen amerkanischen Quellen bekannt wurden. Die NATO ist ein Bündnis zur militärischen Verteidigung Westeuropas. Sie ist kein westlicher Interessentenklub zur Sicherung irgendwelcher abendländischer Interessen in den Entwicklungsländern. Man würde die blockfreien Länder abstoßen, wenn man die NATO wieder ins Spiel brächte und militärpolitische Notwendigkeiten der Sicherung Europas mit weltpolitischen Notwendigkeiten der Entwicklungsländer verquickte.
    Der Sicherheitsfaktor der Entwicklungsländer ist langfristig, weil er die Umwandlung der zusammenbrechenden Gesellschaftsform in den Entwicklungsländern in moderne Industriestaaten fördern soll. Die Bundesregierung würde also, besonders auf Grund unserer jüngsten Vergangenheit, in einer schiefen Schlachtordnung stehen, wenn sie sich voreilig an der militärischen Ausrüstung von Entwicklungsländern beteiligen würde.
    Ich will hier keineswegs die Frage zur Diskussion stellen, ob nicht deshalb, weil die eine Weltmacht Entwicklungsländer militärisch unterstützt, die andere natürlicherweise das auch tun muß, sondern möchte nur sagen, daß es für uns mit unserer politischen Vergangenheit, mit unseren politischen Lasten auf dem Rücken unzweckmäßig wäre, uns an einer solchen Militärpolitik gegenüber den Entwicklungsländern zu beteiligen.



    Kalbitzer
    Ich würde es sehr gerne sehen — lassen Sie mich damit die vierte Frage abschließen —, wenn die Bundesregierung alles in ihrer Kraft Stehende täte, um die friedlichen Aktionen der Vereinten Nationen für die Entwicklungsländer möglichst effektiv zu machen.
    Ich darf zur letzten, zur fünften Frage, kommen:
    Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung von der Zusammenarbeit mit den Ländern der Bundesrepublik, um eine wirksame Koordinierung aller entwicklungspolitischen Maßnahmen ,der öffentlichen Hand zu erreichen?
    Die Frage betrifft das Verhältnis zwischen Bundesländern und Bundesregierung in der Frage der Verpflichtung in der Entwicklungspolitik. Die Bundesländer haben bereits zu erkennen gegeben, daß sie sich dieser Verpflichtung bewußt sind. Wir sollten das allesamt begrüßen. Aber wir müssen natürlich auch klarstellen, daß es unzweckmäßig wäre, wenn heute einzelne Bundesländer eigene auswärtige Beziehungen zu irgendeinem Entwicklungsland aufnehmen wollten. Die Aufgabe in der Entwicklungspolitik ist den deutschen Bundesländern durch die grundgesetzliche Regelung der Kompetenzen der Bundesländer, wie ich meine, bereits gestellt: es sind die Fragen der Kulturpolitik. In den Fragen der Kulturpolitik haben die Länder Kompetenzen, die ihnen keiner abnehmen kann. Es ist natürlich ganz selbstverständlich, daß auch das Auswärtige Amt eine Kulturpolitik betreibt. Aber der Bund kann nicht alle für die Entwicklungspolitik sich stellenden kulturellen Aufgaben übernehmen; er soll es auch nicht und braucht es nicht. Die Bundesländer haben sich vor einigen Monaten bereit erklärt, zu den etwa 3 1/2 Milliarden DM einmalig 500 Millionen DM in der ersten Finanzierungstranche zuzuschießen. Das war eine gute Leistung der Bundesländer; aber sie kann, weil sie den Bundesländern wesensfremd ist, nicht wiederholt werden. Die Bundesländer können aus dieser einmaligen Leistung natürlich keine Ansprüche auf Mitsprache von sich aus geltend machen.
    Ich habe gesagt, daß sich die Bundesländer bereit erklärt haben, und zwar aus der Notwendigkeit des Augenblicks geboren, 500 Millionen DM zu geben. Das heißt, daß sie ihre Aufgabe mindestens in entsprechendem Umfang, und zwar auf dem Gebiet der Kultur, zu erfüllen haben und daß sich daraus den Ländern gegenüber, wenn sie hier ihre Aufgabe erfüllen, Pflichten ergeben.
    Was die Bundesländer für die Entwicklungspolitik insbesondere tun sollten, wäre der Ausbau und die Modernisierung der Hochschulen. Es müßten Ausbildungsprogramme vorgelegt werden, Ausbildungsprogramme für Deutsche, die in die Entwicklungsländer gehen, und für überseeische Studenten, die hierherkommen. Es handelt sich aber natürlich nicht einfach um die Aufnahme von Studenten oder den Bau von Studentenwohnheimen. In diesen Fragen sind die Schwierigkeiten inzwischen überwunden; diese Dinge sind im allgemeinen angelaufen. Die Universitäten und die Hochschulen müssen auf den verschiedensten Gebieten Forschungsprobleme der Entwicklungshilfe übernehmen. Ich muß offen sagen: ich habe den Eindruck, daß in dieser Frage die Hochschulen zur Zeit ihrer Aufgabe überhaupt nicht gewachsen sind. Ich behandle das hier nicht in extenso, sondern nur in Paranthese deshalb mit, weil hier die Kompetenz natürlich bei den Ländern liegt. In den politischen Wissenschaften, in der Volkswirtschaft, der Finanzwissenschaft, der Soziologie, der Pädagogik und der Geschichte haben die deutschen Hochschulen heute keine Programme, um wirklich wissenschaftlich für diese Aufgaben tätig werden zu können. Die finanzielle Hilfe, die wirtschaftliche Hilfe und menschliche Hilfe genügen eben nicht, sondern es muß auch wissenschaftliche Hilfe in großem Maße gewährt werden. Zufriedenstellend ist, soweit ich es beobachtet habe, die Leistung der Hochschulen in dieser Beziehung eigentlich nur auf den Gebieten der Technik und der Medizin. Das ist gut und schön, aber ich habe ja darauf hingewiesen, daß das eben nicht alles ist. Ein Entwicklungsland zu modernisieren heißt nicht nur, Kapital zu geben, sondern heißt, das ganze Leben in diesem Lande zu modernisieren und es dem einer Industriegesellschaft anzupassen.
    Zur Mobilisierung der deutschen Bildung auf dieses Ziel hin bedarf es der verantwortlichen Mitarbeit der Länder in Zusammenarbeit mit {dem Bund und in Zusammenarbeit mit Organisationen privater Initiative. Es ist in ,den letzten Monaten häufig darüber gelästert worden, daß sich alle möglichen privaten Entwicklungsklubs gebildet hätten. Sicher hat es manchmal mehr guten Willen gegeben als praktische Leistung, aber im Prinzip muß man feststellen, daß es für ,die privaten Organisationen, die es sich angelegen sein lassen, für die Entwicklungshilfe etwas zu tun, für die Organisationen, die den Kirchen, den Gewerkschaften oder anderen öffentlichen Einrichtungen nahestehen, eine wesentliche Aufgabe ist. Ich unterschätze auch in diesem Punkte nicht Idie Schwierigkeiten der Koordinierung der Aufgaben zwischen dem Bund, den Ländern und den freien Organisationen.
    Damit möchte ich schließen. Die Bundesregierung sollte Erwägungen über eine bessere Koordinierung der Mitarbeit der Länder in den zentralen Planungsarbeiten für Entwicklungspolitik anstellen. Wenn Sie .sich, meine Damen und Herren, darüber klar sind, daß auch Wissenschaft und Bildung für die gesamte Entwicklungspolitik eine entscheidende Aufgabe haben, dann können Sie nicht übersehen, daß die Länder bei der zentralen Planung der Entwicklungspolitik eine Aufgabe haben und deshalb dabei sein müssen. Man könnte erwägen, aus diesem Grunde die Länder zu dem interministeriellen Ausschuß hinzuzuziehen; aber wie Sie aus meinen Ausführungen schon ersehen, gebe ich — im Hinblick auf seine bisherige Leistung — auf diesen interministeriellen Ausschuß nicht allzu viel. Ich glaube, daß er falsch angelegt ist. Das liegt jedoch nicht an den Persönlichkeiten, sondern daran, daß er nur eine Notlösung ist.
    Wenn Sie also nicht ,dem Gedanken nähertreten, daß die Länder an dem interministeriellen Ausschuß selber beteiligt werden, dann müssen Sie eine an-



    Kalbitzer
    dere organisatorische Form finden, um die Länder in die Entwicklungspolitik verantwortlich mit einzuschalten. Die Länder haben für diese Aufgabe ihrerseits große Beträge zur Verfügung zu stellen. Sie haben ihre Bereitschaft dazu schon einmal bewiesen, und ich bin überzeugt, daß sie das auch weiter tun werden. Diese Bereitschaft der Länder zur Entwicklungshilfe muß honoriert werden. Wir müssen lernen, alle in Deutschland vorhandenen Kräfte, die guten Willens sind — woran ich nicht zweifle —, auch wirklich zu aktivieren.
    Die Führung der Entwicklungspolitik muß bei der Bundesregierung liegen, und ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, mehr als bisher zu tun, sich nicht in diese Politik hineindrängen zu lassen, nicht nur zögernd nachzukommen, sondern kühn zu einer neuen Politik voranzuschreiten, die dem deutschen Volk künftig eine neue und bessere Position in !der Weltpolitik geben wird.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Der Antrag unter 2 b der Tagesordnung wird von dem Herrn Abgeordneten Kühn (Köln) begründet. Er hat das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heinz Kühn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Freund Kalbitzer hat das Gespräch über die Entwicklungshilfe vor allen Dingen unter den politischen Gesichtspunkten und unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftshilfe für die Entwicklungsländer eröffnet. Ich habe den Antrag Drucksache 2607 zu begründen, bei dem es um die menschliche Hilfe geht, d. h. die Hilfe, die wir durch Entsendung von Menschen zu leisten haben. Das ist eine Aufgabe, die vielleicht noch wichtiger ist als die Hergabe von Krediten und die Lieferung von Maschinen.
    Diese Hilfe steht arg im Schatten aller Entwicklungsdebatten, und es gibt ein bitteres Wort unter den mit diesem Problem Vertrauten, ein Wort, das besagt, es sei leichter, für ein Projekt der Wirtschaftshilfe 5 Millionen loszumachen, als für ein Projekt der Menschenhilfe 50 000 DM zu mobilisieren. Nun, ich glaube, die Erkenntnis, daß auch auf diesem Gebiete sehr viel mehr getan werden muß, schreitet sehr schnell fort. In diesen Tagen hat der beim Auswärtigen Amt geschaffene Kulturpolitische Beirat sehr stark darauf hingewiesen, daß wir viel mehr als bisher deutsche Fachkräfte in die Entwicklungsländer schicken sollten.
    Ich weiß, daß wir deshalb mit unserem Antrag kein Problem ansprechen, das zwischen den Fraktionen dieses Hauses kontrovers ist. In allen Arbeitskreisen der Fraktionen sind Gruppen von Spezialisten damit beschäftigt, an diesem Problem zu arbeiten, und es ist die Aufgabe dieses Teiles der Debatte, hier auch nur einige Hinweise zu geben, Akzente zu setzen und vielleicht auch durch einiges Drängen dieses Problem nach vorn zu schieben.
    Lassen Sie mich dabei eine Bemerkung vorwegschicken. Ich möchte auf einen Gesichtspunkt hinweisen, der der Notwendigkeit der Entsendung deutscher Menschen, um immer wieder dies Wort zu gebrauchen: als Menschenhilfe nach draußen, ein besonderes Gewicht gibt. Die Emanzipation der asiatischen und afrikanischen Völker in den Entwicklungsländern beschränkt sich ja nicht auf das Politische, auf das Wirtschaftliche und auf das Soziale, sondern sie vollzieht sich auch auf dem Gebiet des Kulturellen. Es kommt zu einem immer stärkeren aktiven geistigen Austausch dessen, was wir in Europa, in der sich als entwickelt empfindenden Welt und die Entwicklungswelt untereinander auszutauschen haben. Es wird nicht mehr lange dauern, und diese Länder werden nicht mehr nur oder vorwiegend die Annehmenden, sondern sie werden auch die Anbietenden sein. Die historische Situation dieses partnerschaftlichen geistigen Austauschs erfordert aber eine gegenseitige Kenntnis. Heute haben wir es, wenn wir Besuche in den Entwicklungsländern machen, vor allen Dingen mit Menschen zu tun, die auf westeuropäischen, manchmal auch auf osteuropäischen Universitäten ausgebildet sind, sei es Oxford oder Paris, sei es in manchen Gegenden Moskau oder Prag. Und wenn sie auf einheimischen Schulen und Universitäten ausgebildet worden sind, dann sind es solche, die nach Ausbildung und Bildungsinhalten von den Kolonialmächten oder weißen Vormundschaftsmächten nach ihren eigenen heimatlichen, europäischen Vorbildern errichtet worden sind, ob das in Senegal die Universität in Dakar, ob es in Ghana die Universität Legon, ob es in Nigeria die Universität Ibadan ist. Aber das ist ja alles nur ein vorläufiges, ein Durchgangsstadium. Immer stärker kommen in den Bildungsprozeß und in den geistigen Formungsprozeß dieser Völker auch die eigenen Elemente ihrer Kultur und werden zur Bildungswirksamkeit gebracht. In einer Generation wahrscheinlich schon werden diese Völker nicht nur zahlenmäßig die Mehrheit unter der Weltbevölkerung haben, sondern sie werden auch ihre volle kulturelie Emanzipation vollzogen haben. Sie werden dann in den Prozeß der Mitbestimmung über den Weg der Menschheit in vollem Umfange eintreten. Sie werden sich dabei auch der modernen und der traditionellen Massenmedien bedienen. Sie werden in Zeitungen und Zeitschriften, in Büchern und Filmen, in Radio und Fernsehen genauso zu uns sprechen und ihre Lebensinhalte und Vorstellungen an uns herantragen, wie wir es umgekehrt heute tun.
    Sind wir nun auf diesen Austausch, der ein gegenseitiges Sichkennen voraussetzt, auch nur annähernd vorbereitet? Ich glaube, wir sind es nicht. Es wäre falsch, wenn wir uns aus einem vielleicht manchmal unbewußten Hochmut dauernd in der Rolle der Gebenden fühlten. Wir werden sehr damit konfrontiert sein, uns auf gleichberechtigter Ebene auch mit dem auseinanderzusetzen, was man dort anbietet, und ich glaube, wir sind eben darauf nicht vorbereitet.
    Eine Untersuchung des Generalsekretärs des Deutschen Kunstrates hat jüngst ermittelt, daß es zum Beispiel in der ganzen Bundesrepublik nicht mehr als 20 bis 30 Menschen gibt, die eine japanische Zeitung oder ein japanisches Buch lesen können. Der Bundestag hat dieses Problem erkannt und die Initiative ergriffen. Wir haben in den letzten



    Kühn (Köln)

    Haushaltsplan Mittel für das Erlernen komplizierter Sprachen eingesetzt.
    Aber das ist alles nur ein geringer Anfang. Im Hinblick auf das Problem, das wir heute hier zu diskutieren haben, bedeutet die Notwendigkeit, die wir aus dieser Erkenntnis ableiten, daß wir viel mehr junge Menschen — nicht nur junge, aber vor allen Dingen junge Menschen — in die Entwicklungsländer entsenden müssen, nicht nur unter dem Gesichtspunkt: wie können sie drüben mit ihren Kenntnissen helfen?, sondern auch unter dem Gesichtspunkt: was sollen sie dort an Erkenntnissen gewinnen? Sie sollen nicht nur Kenntnisse und Fähigkeiten dort hinbringen, sondern auch Kenntnisse und Fähigkeiten zu uns zurückbringen. Wir brauchen auch für uns Kenner der ganzen Problematik jener Entwicklungsländer und der kulturellen, der menschlichen, der sozialen und der politischen Begegnung. Es ist also ein Doppelproblem, und hier gilt es nicht nur, einen Appell ins Volk zu schicken — „Junge Menschen, findet euch bereit, diese Aufgaben zu übernehmen!", ich glaube, dies ist gar nicht so sehr notwendig —, sondern es kommt darauf an, daß wir auch die materiellen Sicherungen für die Menschen schaffen, die diese Aufgabe übernehmen, die Sicherung ihrer Eingliederung, wenn sie später wieder in unsere Heimat zurückkommen.
    Es handelt sich vor allen Dingen um ein Problem auf dem Felde der akademischen Hilfe, der Entsendung von Dozenten und Lektoren, aber es ist nicht nur ein solches Problem. Doch zunächst zu diesem! Es gibt die Denkschrift der Rektorenkonferenz, die ) einen ganzen Katalog von Berichten enthält und die zu der alarmierenden Schlußfolgerung kommt, daß man in einer ganzen Reihe von Ländern, teils als Folge des Krieges, teils aber auch einfach als Folge der Nichtbeachtung dieses Problems, den Kontakt mit der deutschen Forschung und mit den deutschen Lehrmethoden fast völlig verloren hat. Der Einfluß der deutschen Wissenschaft, insbesondere die Zahl der in den Entwicklungsländern wirkenden Wissenschaftler, ist erschreckend gering geworden. Zum Teil, sagte ich, sind das Kriegsfolgeerscheinungen. An der Technischen Hochschule in Istanbul, an der Universität in Ankara, wo einmal deutsche Lehrer und deutsche Wissenschaftler eine ganz besondere Bedeutung gehabt haben — wir wissen von zwei Männern, die in unserer Mitte gewirkt haben oder noch wirken, nämlich Ernst Reuter und Professor Baade, daß sie an diesen Hochschulen gewirkt haben und mit ihnen viele andere deutsche Wissenschaftler —, sind die deutschen Wissenschaftler fast alle verschwunden. An ihre Stelle sind Wissenschaftler anderer europäischer Nationen getreten. Wir haben, und zwar vor allem, weil wir nicht ausreichende soziale und wirtschaftliche Sicherungen gewähren können, nicht mehr genug Wissenschaftler, die bereit sind, in diese Länder zu gehen.
    Demonstratives Beispiel ist vielleicht das Erlebnis eines Bundesministers, der von einer Reise nach Teheran zurückkehrte und das Angebot mitbrachte, daß 18 aus der sowjetisch besetzten Zone geflüchtete Hochschullehrer in die iranischen Fakultäten entsendet werden könnten. Es fanden sich schließlich nur 6 Wissenschaftler bereit, in engere Verhandlungen einzutreten. Zum Schluß hat sich nicht ein einziges dieser Angebote realisieren lassen. Keiner der Herren ist hingefahren, weil eben die soziale und wirtschaftliche Sicherung nicht gewährleistet war.
    Professor Jahrreiß hat am 6. Mai 1960 auf der Westdeutschen Rektorenkonferenz ein Manifest vorgelegt, in dem die Schlußfolgerung steht, daß heute der Entschluß zur Lehrtätigkeit im Ausland gleichbedeutend mit dem Entschluß sei, die akademische Laufbahn in Deutschland nicht mehr fortzusetzen. Jüngere Wissenschaftler gehen nicht mehr hinaus, weil sie in der Bundesrepublik für ihre Lehrtätigkeit sehr viel attraktivere Voraussetzungen finden und weil draußen ihre Bezahlung und — noch einmal sei es gesagt — vor allen Dingen auch ihre soziale Sicherung nicht ausreichen. Lektoren der deutschen Sprache erhalten heute nach diesem Bericht der Rektorenkonferenz draußen eine Bezahlung, die der einer deutschen Sekretärin bei unseren diplomatischen Auslandsvertretungen, nämlich der Tarifgruppe TOA VI, entspricht. Das Ergebnis ist in einer einzigen Zahl wiedergegeben, daß nämlich heute nur 58 Professoren unter den Bedingungen der Entwicklungsländer im Ausland tätig sind. In all diesen Entwicklungsländern weit um den Erdball 58! Das ist ein alarmierendes Zeichen. In den Mitteilungen der Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer ist gerade für das Jahr 1960 eine Statistik veröffentlicht worden, wonach 97 Anfragen von 30 Hochschulen aus Entwicklungsländern nicht erfüllt werden konnten, und der Bericht der Deutschen Ibero-Amerikanischen Stiftung kommt zu dem Ergebnis, es handele sich um einen „Rückzug der deutschen Wissenschaft aus der Welt".
    Es ist aber nicht nur ein Problem der Wissenschaftler, es ist auch ein Problem, das insbesondere unter den grundsätzlichen Gesichtspunkten, die ich in den einleitenden Teil meiner Ausführungen stellte, weiter und insbesondere auf junge Menschen hin gesehen werden muß. Hier haben wir es mit einem Problem zu tun, das durch das Stichwort „Friedenskorps" aus Amerika auf uns zugekommen ist, Ich weiß nicht, ob eine sorgfältige Beratung zu dem Ergebnis kommen kann, daß ein solches Friedenskorps die geeignetste Form der Entsendung junger Menschen ist. Darüber muß sorgfältig beraten werden; manches läßt sich hier für und gegen sagen.
    Aber die Grundidee scheint mir auch in unsere politischen Überlegungen eingeführt werden zu sollen. In Amerika ist sie aus einer Anregung des Vorsitzenden der amerikanischen Automobilarbeitergewerkschaft Walter Reuther entstanden, der zu Beginn des Jahres 1960 die Idee entwickelte, hunderttausend junge Menschen sollten auf einen besonderen Friedensdienst vorbereitet werden, den man sie auch als Ersatz für den Wehrdienst ableisten lassen könne. Das amerikanische Repräsentantenhaus hat im Februar 1960 eine Enquete darüber anstellen lassen, und Kennedy hat schließlich diesen Gedanken in seine Präsidentschaftskampagne hineingetragen.



    Kühn (Köln)

    In Deutschland haben die Sozialdemokraten auf ihrem Kulturkongreß in Wiesbaden diesen Gedanken der Öffentlichkeit unterbreitet. Wir haben auf diesem Wiesbadener Kongreß darauf hingewiesen, wie notwendig es sei, junge Menschen wieder zu bewegen, dieses Wagnis der Entwicklungshilfe auf sich zu nehmen, eine Weile unter den annähernd gleichen Lebensumständen zu leben, wie die Völker in den Entwicklungsländern leben, nicht mit all dem Komfort entsandter Experten großer internationaler Organisationen. Ihr menschlicher Kontakt zu den Menschen dort draußen wird nur in dem Maße herzustellen sein, in dem diese jungen Menschen bereit sind, auch in erträglich angenäherten Lebensumständen zu denjenigen dieser Menschen dort zu leben.
    Nun, dieser Appell an die Opferbereitschaft und an den Idealismus darf nicht nur ein belletristischer Appell sein. Wir werden einiges zur praktischen Durchführung zu tun haben. Dazu gehört auch die materielle und soziale Sicherung dieser Menschen, dazu gehört ihre Ausbildung. Wir haben gefordert, man möge besondere Ausbildungsstätten eines solchen Entwicklungsdienstes erwägen, die genauso materiell in unsere Haushalte eingebaut werden müßten wie die Ausbildungsstätten des Militärdienstes. Es ist durchaus auch hier zu überlegen — und ich bin sehr froh darüber, zu hören, daß diese Überlegung sogar im Inneren ,der Bundesregierung angestellt wird —, ob man nicht einen solchen Entwicklungsdienst, der unter diesen erschwerten Bedingungen und nach einer sorgfältigen Vorbereitung übernommen wird, als Ersatz für den Militärdienst anerkennen sollte.
    Wenn man diesen Weg beschreitet, sollte man es nicht in Form eines staatlichen Korps machen, sondern man sollte sich auch hier der privaten Organisationen bedienen, die sehr viel erfolgreicher auf diesem Gebiet wirken können als behördliche Institutionen. Die Jugendorganisationen, die politischen Organisationen, die kirchlichen Einrichtungen, die gewerkschaftlichen Verbände, sie alle werden erfolgreicher wirken können, weil sie als Gesinnungsgemeinschaften stärkere geistige Mobilisationskräfte auslösen können als behördliche Einrichtungen.
    Man hat dieser Idee oft entgegengehalten, es handle sich dabei um ein schwer zu lösendes Problem, weil es einen Bereitschaftsmangel in unserem Volk gebe, sich für einen solchen Entwicklungsdienst zur Verfügung zu stellen. Vor wenigen Wochen hat in Tegel im Rahmen 'der Akademie eine Konferenz der Organisationen stattgefunden, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Diese Organisationen sind zu einem völlig gegenteiligen Ergebnis gekommen. Der Vertreter der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung hat gesagt, es meldeten sich jährlich 50 000 Menschen für diese Arbeit und es sei damit zu rechnen, daß in naher Zukunft ein Ansturm auf alle zuständigen Stellen einsetzen werde, dem man durch Vorausplanung gewachsen sein müsse.
    Aber auch hier geht es nicht nur um die politische und menschliche Seite des Problems, sondern darum, die sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, die soziale Sicherung und die Sicherung der weiteren beruflichen Aufstiegsmöglichkeit 'in der deutschen Heimat zu schaffen.
    Bei der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit will ich hier nichts über die innen- und außenpolitische Problematik einer solchen Organisationsform sagen; sie gehört auch nicht zum heutigen Themenkreis. Wir wissen, daß die amerikanische Idee eines Friedenkorps in dein Entwicklungsländern auf einige Reserve gestoßen ist. Ich selber war in Westafrika, als die Zeitungen darüber berichteten, und kenne die Argumente, die hinter dieser Reserve stehen. Wenn wir einen solchen Weg 'beschreiten sollten, käme es natürlich darauf an, einem solchen Entwicklungsdienst nicht den Charakter einer militanten, politisch-missionarischen und geistig uniformierten Organisation zu geben. In dieser Form könnte ein solcher Jugendentwicklungsdienst keineswegs zu einem Erfolg werden.
    Aber gerade junge Menschen hinauszuschicken in diese Länder, ist, glaube ich, doppelt wichtig, wenn wir uns noch eine Tatsache vor Augen führen: das ist die Alterspyramide in den Entwicklungsländern. Wir wissen, wie sehr die jungen Menschen in den Entwicklungsländern immer mehr deren äußeres Bild prägen. In den Entwicklungsländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sind 40 % der Bevölkerung unter 15 Jahren.
    Das Problem präsentiert sich uns aber nicht nur unter dem Stichwort „Friedenskorps". Es ist eine andere Idee aufgeworfen worden: die der Juniorexperten. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat schon vor längerer Zeit auf die Möglichkeit hingewiesen, die bereits seit langem besteht, Nachwuchskräfte, die zu späterer selbstverantwortlicher Tätigkeit in den Entwicklungsländern fähig gemacht werden sollen, den Experten der großen internationalen Organisation als Juniorexperten beizugeben.
    Es gibt auch andere Überlegungen, die hier praktiziert werden könnten. Es gibt eine Organisation, die sich „International Association for the Exchange of Students for Technical Experimences" nennt, eine Organisation, die mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst zusammenarbeitet und sich den Austausch von Praktikanten zur Aufgabe gesetzt hat, die an deutschen technischen Hochschulen lernen. Das Ziel ist, daß künftig jeder Bergbauingenieur und auch möglichst andere darüber hinaus sechs bis acht Wochen unter Tage im Ausland arbeiten. Der geographische Bereich dieser Organisation ist zunächst auf die EWG-Länder zu beschränken. Aber man könnte sich vorstellen, daß wir in den Beratungen des Ausschusses auch Wege finden, Ideen zu entwickeln, Variationen, Ausgestaltungen solcher Ideen auch für die Entwicklungsländer
    Aber immer wieder: ein breites Feld kann diese Aktivität nur gewinnen, wenn die Probleme der sozialen und wirtschaftlichen Sicherung gelöst sind. Ein weiter Kreis von Betroffenen muß in diese Aufgabe einbezogen werden. Der Personenkreis konzentriert sich auf vier Gruppen: auf die Beamten und Angestellten des Bundes, der Länder und Ge-
    Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Mai 1961 9215
    Kühn (Köln)

    meinden sowie anderer öffentlich-rechtlicher Dienstherren, auf die Angehörigen sonstiger Berufe, die im Rahmen eines normalen beruflichen Vertragsverhältnisses oder freiberuflich im Rahmen der Entwicklungsförderung hinausgehen oder bei der Errichtung von Entwicklungsprojekten tätig sind. Die dritte Gruppe würden die Entwicklungshelfer in dem Sinne sein, den ich soeben behandelt habe, also Menschen, ,die im Rahmen gemeinnütziger Entwicklungsvorhaben einen Dienst leisten. Die vierte Gruppe wären die Personen, die sich zur Ausbildung oder Weiterbildung in Entwicklungsländern aufhalten oder sich auf die Tätigkeit in Entwicklungsländern im Inland oder in anderen Industrieländern vorbereiten. Es sollte bei diesem Personenkreis, dessen soziale und wirtschaftliche Sicherung man ins Auge fast, gleichgültig sein, ob die Betreffenden im Rahmen deutscher oder internationaler amtlicher Stellen, ob sie bei Projekten der gewerblichen Wirtschaft oder im Dienst von Verbänden und freien Organisationen tätig sind oder ob sie im Vertragsverhältnis mit ausländischen Entwicklungsstellen, ausländischen Firmen oder Behörden stehen.
    Voraussetzung für die Einbeziehung in dieses System von zu erarbeitenden sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen sollte allein sein, daß die Tätigkeit, die die Betreffenden draußen ausüben, einer sinnvollen Entwicklungsförderung dient und den Interessen der Bundesrepublik und einer freiheitlichen Entwicklung nach den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen nicht zuwiderläuft. Auf diesen Personenkreis, auf diesen Tätigkeitsbereich und auf diese Prinzipien sollte sich die komplexe Summe von Maßnahmen zur beruflichen und sozialen Sicherung von Deutschen, die in Entwicklungsländern wirken, aufbauen. Es wird ein komplexes Werk von Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsabkommen sein müssen. Das Ziel sollte sein, daß es, ähnlich wie wir es für Wirtschaftsmaßnahmen unter dem Begriff der Hermesbürgschaft haben, auch eine Hermesbürgschaft für menschlichen Einsatz gibt. Da werden sich in die Verantwortung Bund und Länder zu teilen haben. Die Kultusministerkonferenz hat sich auf ihrer Darmstädter Tagung und auf ihrer letzten Plenarsitzung im Dezember 1960 bereit erklärt, auf diesem Gebiet aktiv zu werden.
    Es kommt nun darauf an, daß die Bundesregierung und wir im Ausschuß alle die Aktivitäten und Anregungen auf diesem Gebiet koordinieren. Ich will ein paar Punkte — angesichts der freitäglichen Zeitbedrängnis im Telegrammstil — anführen:
    Es handelt sich zunächst um die Sicherung des Arbeitsplatzes in der Heimat für die ins Ausland gehenden Menschen. Hier sollten Vorkehrungen getroffen werden, die eine bevorzugte Vermittlung von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik für diese Menschen bei ihrer Rückkehr vorsehen, wobei der Auslandsaufenthalt als qualifikationssteigernd gewertet werden sollte. Man sollte die Wiedereingliederung dieser Menschen in den normalen beruflichen Entwicklungsprozeß in der Heimat mit Darlehen, Rechtshilfen und Beratungen erleichtern.
    Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat in seiner Denkschrift vom
    Januar 1960 vorgeschlagen, daß man finanzielle Voraussetzungen dafür im Bundeshaushalt schaffen sollte. Er hat insbesondere die Anrechnung der im Ausland verbrachten Dienstjahre, die Aufrechterhaltung von Pensionsansprüchen und auch von Anciennitätsansprüchen — was ja gelegentlich im Universitätsleben eine Rolle spielt — genannt. Hier handelt es sich vor allem um entsandte Kräfte aus dem wissenschaftlichen Dienst. Aber sie sind nicht allein betroffen. Es handelt sich um alle, die hinausgehen und einen ausländischen Arbeitgeber haben.
    Die Überprüfung der hier zur Diskussion stehenden Probleme hat ergeben, daß diejenigen, die von einem deutschen Arbeitgeber entsandt werden, sei es von einer Behörde, sei es von einem privaten Arbeitgeber — und darum geht es ja bei fast allen technisch-industriellen Projekten —, im Regelfall annähernd ausreichend gesichert sind. Ganz anders sieht es aus, wenn der Arbeitgeber ein fremder Arbeitgeber ist.
    Völlig unzureichend ist 'bisher für die ins Ausland Gegangenen die Frage des Versicherungsschutzes sowie die Frage der Sicherung im Krankheitsfall geregelt. Es gibt vorläufig überhaupt noch keine ausreichende Vorsorge für den Fall der Erkrankung an Tropenkrankheiten. Da bleibt nur der private Versicherungsschutz, der meistens mit enormen Kosten verbunden ist. In die Überlegungen der Bundesregierung und des Ausschusses, der sich mit diesen Fragen zu beschäftigen haben wird, sollte einbezogen werden, ob man nicht durch Abschluß einer Gruppenversicherung gegen Unfall für diese Menschen eine Sicherung schaffen kann, die sie sich durch privaten Versicherungsschutz angesichts der hohen Prämien nicht verschaffen können.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Mir ist von einem Fall erzählt worden, wo einer entsandten Kraft, also jemandem, der sich noch eines besonderen Schutzes sicher. fühlen konnte, nach dreimaliger Erkrankung an Amöbenruhr mitgeteilt worden ist, daß ihm eine Beihilfe nicht mehr gegeben werden könne; er müsse, sich privat weiterhelfen. Ich glaube, das geht einfach nicht. An mannigfachen Beispielen wird sichtbar, wie unzureichend der soziale Schutz hier noch ist, vor allen Dingen in Fällen der Krankheit.
    Für die Sicherung der Universitätskräfte sollte man vielleicht erreichen können — und das ist nicht so sehr eine Sache des Bundes, aber die Bundesregierung könnte hier im Gespräch mit den Ländern eine Initiative auslösen —, daß die Fakultäten die Professoren und Dozenten entweder selbst entsenden oder so bewerten und sichern, als ob sie durch die Fakultät entsandt worden wären. Das gibt ein höheres Maß an moralischer Verpflichtung, sich des Schicksals dieser Menschen anzunehmen.
    Die Kultusminister haben ihre Bereitschaft er- klärt, Leerstellen in den Studienplänen zu schaffen. Nun kommt es darauf an, die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die die Wiedereingliederung — ich weiß, daß Mittel im Haushalt dafür vorhanden sind, aber in einem völlig unzureichenden Maß —, die Überbrückung in einem viel stär-



    Kühn (Köln)

    keren Maße garantieren, wenn die Leute von ihrem wissenschaftlichen Lehrauftrag in die Heimat zurückkommen.
    In Kreisen der Universitäten ist erwogen worden, ob es nicht möglich sei, Menschen, die glauben durch ihren Auslandsaufenthalt den Anschluß an die wissenschaftliche Entwicklung in der Heimat verloren zu haben oder ihn vielleicht wirklich verloren haben, ein Lehrjahr zu ermöglichen, in dem sie von Verwaltungsarbeit völlig befreit werden und sich ausschließlich der Forschungsarbeit widmen können. Das muß mehr in den Landtagen als in diesem Hause besprochen werden. Aber, ich glaube, auch von dieser Tribüne sollte gesagt werden, daß es ebenfalls Sache der Universitäten ist, ein gewisses „binnenländisches" Denken zu überwinden, und daß wir alle vom Bund und von den Ländern her die Voraussetzungen schaffen müssen für einen, ich möchte es nennen: Entwicklungsdienst der deutschen Wissenschaft, der vor allen Dingen eine Aufgabe des jungen wissenschaftlichen Nachwuchses ist.
    Zum Schluß möchte ich ganz kurz noch ein Problem erwähnen, dem ich unlängst bei einer Reise begegnet bin. Sowohl in Togo als auch in Ghana wurde von unseren diplomatischen Vertretungen und von den Regierungsstellen der Länder der dringende Wunsch ausgesprochen, ihnen Ärzte zu senden. Zufällig hatte mir bei dem letzten Gespräch, das ich auf afrikanischem Boden führte, unser diplomatischer Vertreter in Ghana noch in einem besonderen Maße diesen Wunsch mit auf den Weg gegeben. Im Flugzeug über europäischem Boden war mein erster Gesprächspartner ein junger Arzt, mit dem ich über diese Probleme ins Gespräch kam. Er sagte mir, es gebe seiner Überzeugung nach eine große Zahl von jungen Ärzten — und er war schon einer —, die bereit sein würden, einen solchen Dienst in Entwicklungsländern zu leisten, dorthin zu gehen und Arbeit als Arzt zu tun. Hier können wir helfen.
    Auf dem Gebiet der Entsendung wissenschaftlicher Lehrkräfte wissen wir, wie arg es oft bei uns selbst aussieht und daß viele Lehrstühle nicht besetzt werden können, daß in unserem eigenen Universitätsleben noch manche Lücken zu schließen sind. Aber 'mit Ärzten könnten wir helfen. Bei uns entfällt, wenn ich die Zahlen richtig weiß, ein Arzt auf 600 Menschen, in sehr vielen Entwicklungsländern kommt ein Arzt ,auf nahezu 60 000 Menschen. Hier ist eine große humanitäre Aufgabe zu bewältigen.
    An diesem Beispiel zeigt sich ein richtiges Problem. Wenn ein solcher Wunsch an unser Auswärtiges Amt oder eine andere Stelle der Regierung herangetragen wird — und in diesem Fall ist er herangetragen worden, und er könnte erfüllt werden, aber trotzdem hat häufiges Nachfragen nicht zu einem Ergebnis geführt —, ergibt sich doch die Frage: Wohin wendet sich das Amt, um ein solches Bedürfnis auch bekanntzumachen und zu erfüllen? Ist die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der geeignete Ort? Ist sie nicht vielleicht zu sehr ein Mammutapparat und für solche Aufgaben nicht geeignet?
    Auch dies, was hier als Anregung vorgetragen wird, werden wir im Ausschuß beraten: Ist es nicht, falls die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung die zuständige Instanz dafür wird, zumindest richtig, ihr einen Beirat aus sachkundigen und in Entwicklungsprojekten erfahrenen Persönlichkeiten beizugeben?
    Ich habe gesagt, daß wir glauben, die Bereitstellung des Entwicklungspersonals, seine Vorbereitung und seine Betreuung bis zu seiner Wiedereingliederung sollte in unserer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaftsordnung vor allen Dingen einer Vielzahl von Einrichtungen übertragen werden. Es werden sich in die Summe der hier behandelten Maßnahmen, in die Verantwortung für diese Maßnahmen und in die Festlegung zu teilen haben die Bundesregierung und unser Parlament, die Länderregierungen und die Ständige Konferenz der Kultusminister. Diese Arbeit werden freie Verbände und Organisationen, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, Erwachsenenbildungs-Organisationen und solche des internationalen Kulturaustausches, die Kirchen und die Religionsgemeinschaften, die Universitäten und die Hochschulen und die Gemeindeverbände zu tragen haben.
    Es ist zu überprüfen — auch dies als Anregung an die Adresse der Bundesregierung und an die des Ausschusses; der das Problem zu beraten hat, vorgetragen —, ob es nicht zweckmäßig ist, eine Bundesstiftung für Entwicklungspersonal zu schaffen und die Zusammenfassung der Aufgaben einem Bundesbeauftragten für Personal in Entwicklungsländern zu übertragen.

    (Abg. Dr. Fritz [Ludwigshafen] : Noch ein Verein!)

    Ich bitte das Haus, damit einverstanden zu sein, daß unser Antrag dem Ausschuß für Entwicklungsfragen überwiesen wird, um dort sorgfältig geprüft zu werden.
    Ich möchte zum Schluß noch einmal sagen, daß wir hier nicht ein Problem zur Debatte gestellt haben, das im Streit und Widerstreit von Regierung und Opposition steht. Es war auch nicht Sinn meiner Ausführungen, eine Anklage wegen Versäumnisses gegen die Bundesregierung zu erheben, wenngleich wir die Mahnung an die damit nun einmal verantwortlich beauftragten Stellen aussprechen möchten: Es ist hohe Zeit, konkrete Lösungen zu finden. Wenngleich wir auch auf eine Reihe von wirklich beklagenswerten Versäumnissen hinweisen können, ist es nicht Sinn dieser Unterhaltung, Anklage zu erheben, sondern einen Appell an die Einsicht aller Verantwortlichen zu richten. Verantwortlich in diesem Sinne sind die Regierungen in Bund und Ländern. Die Verantwortlichen sitzen auf den Bänken dieses Parlaments und der Landtage. Sie sitzen in den Fakultäten der Universitäten und in den Selbstverwaltungen der Gemeinden. Sie alle müssen erkennen, daß wir hier eine vordringliche Aufgabe zu erfüllen haben, die uns im Drange der täglichen Geschäfte unserer Arbeit nicht in den Hintergrund geraten darf.

    (Beifall bei der SPD.)