Rede von
Fritz
Walter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ergebnis des 6. Grünen Berichtes ist, daß auf rund 94 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche das Ziel des Landwirtschaftsgesetzes nicht erreicht worden ist. Nur auf 6 % sind leidlich rentable Ergebnisse möglich. Es wird wohl auch niemand glauben, daß die Ursache dieses Mißerfolges nur in Strukturschwierigkeiten oder mangelnder Rationalisierung gesucht werden kann. Die Testbetriebe, auf die sich der Grüne Bericht bezieht, gehören überwiegend gut geleiteten und strukturell gesunden Betrieben an. Wenn der Herr Bundesernährungsminister in seinem Bericht vor dem Hohen Hause bemerkte, daß ,die Landwirtschaft an der allgemeinen günstigen Entwicklung nicht im gleichen Maße Anteil genommen habe, so war das recht milde ausgedrückt. Das bäuerliche Arbeitseinkommen wurde in Wirklichkeit noch tiefer unter den Vergleichslohn heruntergestoßen. Die Klage, daß das zu stürmische Aufwärts der Konjunktur in der übrigen Wirtschaft eine Agrarpolitik im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes erschwere, ist uns hinreichend bekannt. Solche und ähnliche Eingeständnisse der Bescheidenheit des Agrarministers gegenüber der allgemeinen Wirtschaftspolitik hören wir nun schon seit Jahren und fast immer mit demselben Wortlaut. Schlicht und klar heißt das: wir konnten bisher nicht an das Ziel des Landwirtschaftsgesetzes herankommen.
Die Disparität bleibt nun einmal der Agrarpolitik dieser Bundesregierung treu. Dafür wollen wir keineswegs das Landwirtschaftsministerium allein verantwortlich machen. Wir haben sogar für den Kummer des Herrn Ernährungsministers, der des Kabinetts wirtschaftliche Sünden tragen muß, großes menschliches Verständnis. Bekanntlich trägt letzten Endes der Chef des Kabinetts die Verantwortung, und der Bundeskanzler — das wollen wir hier gleich festhalten — hat der Landwirtschaft den kostendeckenden Preis versprochen. Zweimal sogar sagte er die Beseitigung der Disparität zu, und zwar zum erstenmal in der Regierungserklärung von 1949 und zum zweitenmal in Rhöndorf im Jahre 1951. Übrigens jährt sich die zweite Zusage am kommenden Montag zum zehnten Male. Dieses doppelte Versprechen scheint bei dem Herrn Bundeskanzler jedoch etwas in Vergessenheit geraten zu sein.
Im sechsten Jahre des Landwirtschaftsgesetzes und zehn Jahre nach der Erklärung von Rhöndorf steht das Arbeitseinkommen der in der Landwirtschaft Beschäftigten nach wie vor tief unter dem Lohnniveau der vergleichbaren Berufsgruppen. Das ist ausschließlich Schuld der Bundesregierung. Daß auch der Herr Bundesernährungsminister die Selbsthilfe, die Rationalisierung und die Strukturverbesserung in seinem Bericht wieder so stark in den Vordergrund stellte und zu verstehen gab, daß die Landwirtschaft von der Einnahmeseite her keine Rettung zu erhoffen habe, muß hier mit aller Deutlichkeit erwähnt werden. Herr Bundesminister Schwarz, Sie wissen als Mann der Praxis genausogut wie Wir, daß der Bauer alle Anstrengungen gemacht hat, die notwendig waren. Tun Sie bitte auch das Ihre, um das Landwirtschaftsgesetz zu verwirklichen.
1,3 Millionen Arbeitskräfte hat die Landwirtschaft, wie schon mehrfach erwähnt worden ist, seit dem Jahre 1950 an die Industrie und das Gewerbe abgegeben. Die Mechanisierung wurde, wie jeder im Grünen Bericht nachzulesen vermag, aus diesem Grunde schon über das betriebswirtschaftlich und nach der Rentabilitätslage vertretbare Maß hinaus durchgeführt. Die deutsche Landwirtschaft ist im europäischen Wirtschaftsraum am besten mechanisiert. Es wurden riesige, früher unvorstellbare Investitionen für die Mechanisierung der Betriebe und für bauliche Veränderungen vorgenommen. Der gesamte Rinderbestand - das wurde vorhin auch von Frau Kollegin Strobel schon erwähnt — ist mit einem Aufwand von schätzungsweise über 6 Milliarden DM aus der Tasche des Bauern bezahlt wor-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 146. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Februar 1961 8253
Walter
den. Dabei handelt es sich eigentlich um eine Aufgabe des Staates, deren Lösung weitgehend im Interesse der Volksgesundheit liegt.
Nebenbei bemerkt, Herr Bundeslandwirtschaftsminister, Ihre mehr als großzügige Buttereinfuhrpolitik aus dem Jahre 1959/60, die wohl niemand hier im Hause, als wir damals der Aufhebung des Butterzolls zustimmten, erwartet hätte, kostete die Landwirtschaft allein 450 Millionen DM.
Man kann sich kaum noch vorstellen, daß sich der Besatz mit Vollarbeitskräften in bäuerlichen Familienwirtschaften noch weiter herabdrücken ließe, wie es von manchen Wissenschaftlern für notwendig gehalten wird. Auf diesem Gebiet sind wir praktisch bereits an der Abbaugrenze der Menschenkraft angelangt.
Daß den Anstrengungen zur Rationalisierung und Modernisierung sowie zur Steigerung der Produktivität je Arbeitskraft, denen von der Industrie, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister einräumen mußte, nicht einmal etwas Gleiches an die Seite gestellt werden kann, dennoch der wirtschaftliche Erfolg versagt blieb, muß die Bundesregierung auch in diesem 6. Grünen Bericht zugeben, wenn sie es auch hier und da etwas zu verschleiern sucht.
Der Grüne Bericht — das war der Wille des Hohen Hauses beim Beschluß des Landwirtschaftsgesetzes — sollte die wahre Wirtschaftslage in der Landwirtschaft wirklich offenlegen. Dieser Bericht jedoch, durch den sich selbst der Fachmann nur mit Mühe hindurchzuarbeiten vermag, bleibt für die Außenstehenden ein Buch mit sieben Siegeln. Kein Wunder, daß die Grünen Pläne zu dieser miserablen Optik der „grünen" Milliarden und ähnlichen Irrtümern beigetragen haben, anstatt, wie es von uns seinerzeit erhofft wurde, das Verständnis zwischen Stadt und Land zu verbessern und einen Brückenschlag zu ermöglichen.
Darum forderte meine Fraktion im vorigen Jahr einen Einkommensvergleich auf der Basis des Stundenlohns und vor allem den Nachweis der Gesamtsumme der Disparität, um die die Landwirtschaft hinter dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes zurückgehalten wird. Diese Forderung stellen wir erneut. Wir wollen endlich die Wahrheit über die Disparität wissen. Mein Freund Mauk wird unseren diesbezüglichen Antrag nachher noch im einzelnen begründen. Nach unseren einstweiligen Berechnungen darf man das tatsächliche Minus der westdeutschen Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr 1959/60 auf mindestens 6 Milliarden DM veranschlagen.
Nachdem die Agrardebatte wieder einmal auf den „kurzen Freitag" geschoben wurde, womit man der Bundesregierung zweifellos eine erstaunliche Regiehilfe gab, verbleibt mir nicht die Zeit, um die uns hier vorgelegten Ergebnisse des Grünen Berichts im einzelnen auf die Gabel zu nehmen. Aber so viel dürfte klar sein: Der Grüne Plan steht in gar keinem Verhältnis zu dem Einkommensverlust, den die westdeutsche Landwirtschaft durch die Politik der Bundesregierung einstecken mußte. Die Einkommensverluste und die Zwangsmechanisierung haben den Schuldenberg der Landwirtschaft sehr hoch ansteigen lassen. Nach dem Bericht hat er bereits die 12-Milliarden-Grenze überschritten.
Wir sind keineswegs so naiv zu glauben, daß das Minus von vielen Milliarden nun automatisch mit dem Grünen Plan ausgeglichen werden könnte. Der Bauer draußen will gar keine Subventionen; er nimmt nach wie vor den Bundeskanzler beim Wort und wünscht, daß die gesamte Wirtschafts-, Handels-, Finanz- und Preispolitik auf den Kurs gebracht wird, der allein zu dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes führen kann.
Uns geht es hier in erster Linie um die Frage, ob und in welchem Umfang die Bundesregierung eine deutsche Nahrungsmittelproduktion und einen Bauernstand noch für notwendig hält und ob sie bereit ist, die erforderlichen Konsequenzen daraus zu ziehen. Es hat sich in den sechs Jahren nunmehr erwiesen, daß das Landwirtschaftsgesetz, so wie es hier entgegen unseren besseren Vorschlägen — Paritätsgesetz usw. —, aber schließlich doch im Glauben an den guten Willen der Bundesregierung beschlossen wurde, offenbar zu weich gewesen ist.
Darum versagt die Agrarpolitik der Bundesregierung. Sie ist genaugenommen zu echten agrarpolitischen Maßnahmen für den Ausgleich der Disparität überhaupt nicht verpflichtet. Der Bundesminister Schwarz hat uns dies ja auch bei jeder möglichen Gelegenheit erklärt. Je nachdem, wie es der Bundesregierung nach der Gunst oder der Ungunst des Augenblicks, nach ihren politischen oder konjunkturpolitischen Verlegenheiten gefällt, bewegt man sich näher zum oder weiter vom Landwirtschaftsgesetz, meist aber sehr weit entfernt davon. Es kann doch heute niemand mehr bestreiten, daß das Landwirtschaftsgesetz in der gegenwärtigen Fassung mehr oder weniger ein Gesetz zur Vertiefung der betriebswirtschaftlichen Statistik in der Landwirtschaft und kein Paritäts- und kein Rentabilitätsgesetz darstellt.
Wir hätten es begrüßt — und nach den starken Worten, die man gelegentlich in diesem Hause hörte, hätte man es eigentlich mit Bestimmtheit erwarten müssen —, daß auch die bäuerlichen Sprecher in der Regierungspartei ihre Kritik mehr auf diese Frage konzentrierten
und eine Revision des Landwirtschaftsgesetzes verlangt hätten. Für meine Fraktion darf ich Ihnen ankündigen, daß wir in Kürze eine Novelle vorlegen werden, die eine jede Bundesregierung verpflichten wird, Kanzlerversprechen einzulösen.