— Von Schleswig-Holstein!
— Seien Sie doch nicht so kleinlich! Sie wissen genau, daß es nur ein Lapsus linguae war. Wenn Sie weiter keinen Grund haben, mir in Zwischenrufen zu widersprechen, freut es mich.
Der Herr Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, von Hassel, hat im Bundesrat erklärt, daß die rechtliche Gleichstellung !der Flüchtlinge mit den Vertriebenen notwendig sei. Wir Freien Demokraten begrüßen diese Erklärung durchaus. Hier ist einmal die Möglichkeit, nun nicht nur ,gesamtdeutsch zu reden, sondern auch gesamtdeutsch zu handeln.
Da sollten wir, meine ich, diese Gelegenheit doch wirklich beim Schopfergreifen.
— Wenn Sie dieses Thema anschneiden, darf ich Ihnen folgendes sagen. Unser Entwurf zum Eliten Anderungsgesetz im Jahre 1958 war wesentlich kostspieliger als der heutige. Daraus werden Sie erkennen, Herr Kollege, daß es unis gar nicht darauf ankommt, im Zusammenhang mit dieser Frage der Flüchtlinge und Vertriebenen Wahlgeschenke und irgendwie Wahlpropaganda zu machen. Das lehnen wir ab.
— Mit Recht, weil nämlich die Regierung damals einen sehr sparsamen Entwurf gemacht hat und jetzt vor der Wahl mit einem sehr massiven und teuren Entwurf kommt. Rühren Sie also dieses Theme nicht an! Von mir aus hätte ich das nicht gesagt, also seien Sie vorsichtig mit Ihren Zwischenrufen.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in völliger Übereinstimmung mit dem Regierungsentwurf und auch mit dem SPD-Entwurf im Hinblick auf ¡die Unterhaltshilfe. Die Unterhaltshilfe erlangt gerade für die mittelständischen Kreise eine besondere Bedeutung, weil nämlich durch das Fremdrentengesetz diejenigen, ;die einem abhängigen Arbeitsverhältnis standen, jetzt wieder eine Altersversorgung haben. Die mittelständischen Kreise, die also selbständig waren und sich in der Rentenversicherung keime Altersversorgung erdient hatten, sind jedoch heute noch auf die Unterhaltshilfe angewiesen. Wenn Sie weiterhin überlegen, daß man einer Person zumutet, mit 140,— DM im Monat unter den heutigen Verhältnissen auszukommen, und Wenn Sie dann Vergleiche ziehen zu den Beratungen im Kommunal- und Fürsorgeausschuß und zu dem, was jetzt an „weitem Herz" im Hinblick auf die Fürsorgeleistungen im großen Umfang festzustellen ist, werden Sie zugeben, daß man hier doch weitherziger handeln muß. Es muß eine gewisse Relation zwischen den Menschen, ;die unverschuldet in Not geraten sind — letztendlich durch Verschulden des Staates —, und Personen, die unter Umständen durch ;eigene Schuld sich selbst in diese Not-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1960 7839
Dr. Rutschke
lage gebracht haben, hergestellt werden. Ich möchte
das nur andeuten, rum eine gewisse Gleichmäßigkeit
oder eine gewisse Ausgewogenheit herbeizuführen.
Wir begrüßen es sehr, daß die Degression gerade bei den mittleren Schadensgruppen sowohl nach der Regierungsvorlage als in sehr erfreulichem Maße auch nach der SPD-Vorlage abgebaut werden soll. Wir glauben, daß damit das Prinzip des Eigentums hier stärker zum Durchbruch kommt. Der Herr Bundesminister für Vertriebene, Kriegssachgeschädigte und Flüchtlinge hat bereits darauf hingewiesen, und ich danke ihm besonders herzlich dafür.
Aber auch die Verlegung des Stichtages muß ein besonderes Anliegen des ganzen Hauses sein. Sie alle wissen — ich will darauf nicht näher eingehen—, welche Ungerechtigkeiten die Bestimmung über den Stichtag, die gegenwärtig schematisch ohne Rücksicht auf das Schicksal des einzelnen angewandt wird, mit sich bringt.
Es scheint uns auch dringend notwendig zu sein, eine Uberprüfung der bisherigen Stellungnahme vorzunehmen, um eine Entlastung der Geschädigten, die vor 1948 wiederaufgebaut haben und nunmehr abgabepflichtig sind, herbeizuführen. Ich möchte Ihnen nur das Beispiel eines Karlsruher Betriebes bringen, dessen Gebäude gegen Ende des Krieges zu 85 % beschädigt und dessen Betriebseinrichtung ebenfalls in weitem Maße zerstört wurden. Man hatte dort z. B. aus zehn beschädigten Drehbänken nach vielen Mühen drei wieder zusammensetzen können. Man hat also Einzelteile der beschädigten Drehbänke genommen, um darauf wieder drei Drehbänke fertigzustellen. Man hat alles versucht, um die Produktion wieder notdürftig in Gang zu bringen und mußte nachher feststellen, daß der Betrieb durch das Abschreiben seiner Einrichtung vor dem Krieg im Gegensatz zur DM-Eröffnungsbilanz — obwohl er ganz erheblich, über 60 %, beschädigt war — im Jahre 1948 einen höheren Einheitswert hatte als der völlig ungeschädigte Betrieb im Jahre 1939. Nun muß dieser Betrieb Lastenausgleichsabgabe zahlen, obwohl augenfällig ist, daß hier ganz erhebliche Schäden eingetreten und noch festzustellen sind.
Auf den Vergleich mit Hilfe des Einheitswertes wird kaum verzichtet werden können; denn man muß sich an irgendwelche festen Größen halten. Aber hier sollten wir doch nicht glauben, daß nur der, der mit Butter unid Speck vor 1948 aufgebaut hat, allein aufgebaut hat. Mancher hat mit viel Fleiß Backsteine und Holz aus Trümmern geborgen und damit gebaut. Es gibt eben wesentlich andere Fälle, die jetzt zur Lastenausgleichsabgabe herangezogen werden, obwohl ganz erhebliche Schäden nachgewiesen werden können. Man bestraft nämlich damit die eigene Initiative, und davor sollten wir uns hüten.
Von der Hausratentschädigung ist bereits gesprochen worden. Ich glaube, daß auch da eine Verbesserung im Hinblick auf den kostbareren Hausrat ermöglicht werden muß. Es ist nicht zu verstehen — der Kollege von der SPD hat vorhin darauf hingewiesen —, daß es erhebliche Ungleichheiten bei der Hausratentschädigung gibt. Ich freue mich, daß die Kollegen nder SPD — Herr Kollege Zühlke, Sie haben es gesagt — jetzt auf dem Standpunkt stehen, daß die Schadenszeit mit entscheidend für die Hausratentschädigung sein muß. Ich darf Sie daran erinnern, daß die SPD diesen Standpunkt im Jahre 1952 sehr hart bekämpft hat; aber wir freuen uns, wenn sich auch auf diesem Gebiet die Einsicht eingestellt hat. Vielleicht hat auch das wohltuende Klima von Hannover irgendwie einen Einfluß darauf gehabt; immerhin erfreulich.
Vorhin wurde uns der Vorwurf gemacht, der FDP-Entwurf sei vielleicht auch im Hinblick auf die Wahl eingebracht worden. Man sagt so allgemein, die FDP habe ja doch wenig Verständnis für den Lastenausgleich gehabt. Das widerspricht den Tatsachen.
— Das haben Sie nicht im Augenblick gesagt, aber das ist so die Vorstellung, die man draußen gerne nährt. Meine Damen und Herren, dem ist keineswegs so. Wenn wir als Freie Demokraten uns insbesondere für die Freiheit einsetzen, dann meinen wir auch die Freiheit des Eigentums. Wenn aber das Eigentum durch staatlichen Eingriff oder staatliche Schuld beschädigt worden ist, dann gehört es auch zum Begriff der Verteidigung der Freiheit und des Eigentums, den Menschen eine gerechte Entschädigung für verlorenes Eigentum zu zahlen. Die liberale Partei war von jeher konsequent gegen eine entschädigungslose Enteignung. Sie hat sich in der Geschichte von jeher dagegen gewehrt. Es ist doch eine entschädigungslose Enteignung — wir können ihr nie zustimmen —, wenn dieser Personenkreis benachteiligt wird. Wenn man aus irgendwelchen Gründen — aus steuerlichen oder anderen Gründen — annehmen wollte, ,daß wir jemals gegen eine Entschädigung dieser Menschen seien, so ist diese Annahme grundfalsch. Im Gegenteil, es ist eine entschiedene Forderung von uns, und ich glaube, wir können darauf hinweisen, daß wir diese Zielsetzung im Hinblick auf 'den Lastenausgleich in der Vergangenheit stets verfolgt haben.
Zum Schluß möchte ich noch auf ein Thema eingehen, das man in Briefen und in Versammlungen immer wieder anklingen hört. Ich möchte es wegen seiner besonderen Wichtigkeit noch kurz behandeln. In Versammlungen und in vielen, sehr vielen Briefen wird darauf hingewiesen, die Bundesregierung, die Bundesrepublik habe Milliardenbeträge für die Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt; die gebe man, aber für die einheimischen Geschädigten, für die Vertriebenen und Flüchtlinge habe man kein Geld gehabt.
— Ihnen, den Geschädigten, habe man keine ausreichende Entschädigung gegeben! — Ich habe nur zitiert, das sind nicht meine Worte. — Wir Freien Demokraten bejahen die Entwicklungshilfe; sie ist notwendig, vielleicht für uns einmal lebensentscheidend im Kampf gegen die Ausweitung des Kommunismus. Sie ist eine sittliche Verpflichtung für uns, unid außerdem ist sie auch unter volkswirtschaft-
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lichen Gesichtspunkten wegen der Stabilisierung unserer Währung notwendig.
Aber wenn wir die Entwicklungshilfe auch im breiten Volk populär machen wollen — und das müssen wir tun —, dann sollten wir auch daran denken, daß der einfache Geschädigte nicht in der Lage ist, alle diese Fragen :so zu übersehen, wie wir sie übersehen können. Wir müssen auch in dieser Hinsicht etwas für die Geschädigten tun, weil sonst der Einwand nicht auszuräumen ist, wir wollten zwar andere Völker entwickeln, behaupteten aber, für 'die einheimischen Geschädigten nicht genügend Geld zu haben. Ich glaube, daß das ein sehr wichtiger Grund ist, auch in der jetzigen Situation, in der uns vier Gesetzentwürfe vorliegen, uns damit zu beschäftigen und ernsthaft zu versuchen, Ungerechtigkeiten ,aus dem Gesetz herauszubringen.