Wir können die Geschädigten nicht auf die Verhältnisse des Jahres 1948 festnageln!
Starthilfen und gewisse soziale Leistungen müssen nicht mit einem perfektionistisch umschriebenen absoluten Rechtsanspruch verbunden werden, ja sie können es gar nicht.
Die Regierung ist sich bewußt, daß dem Grundsatzpostulat der Beseitigung von Erscheinungsformen der Unterentwicklung noch nicht voll Genüge geschieht. Sie ist aber der Überzeugung, daß mit dem Angebot einer Möbelhilfe für Zonenflüchtlinge ohne C-Ausweis und der dem Hohen Haus vorliegenden 13. Novelle des Lastenausgleichsgesetzes ein eindrucksvoller Schritt getan wird. Es ist ein Schritt, der getan wird, sicherlich nicht der letzte, der zur Vollendung dieses Werkes notwendig ist.
Wir sollten uns von Zeit zu Zeit etwas zurückbesinnen. Was wollte der Lastenausgleich? So leidenschaftlich, wie wir mit vollem Recht die Kollektivschuld ablehnen, wollte er die Kollektivhaftung gegenüber den Trägern der Hauptlast zum Ausdruck bringen.
Bombe und Vertreibung sind kein Gottesurteil, mit
dem sich der Betroffene allein herumzuplagen hat.
Die Ausgebombten, die Vertriebenen und die Bewohner des heimgesuchten Mitteldeutschlands leiden stellvertretend für uns alle! Ihnen Leid und Last zu erleichtern, Ist die Pflicht der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und der nationalen Solidarität.
Die Pflicht, die sich aus diesen Erwägungen ergibt, findet ihre Grenze nicht an der persönlichen Opferscheu, sondern an der Belastbarkeit der Volkswirtschaft, der Verteidigung der Freiheit und der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des individuellen Eigentums, das die Grundlage unserer Wirtschafts- und Sozialform ist.
Ich darf sagen: Eigentum ist gewissermaßen die dingliche Entsprechung der persönlichen Freiheit.
Diese Grundlage verpflichtet uns wiederum, das Eigentum überall dort wieder zu begründen, wo es ohne eigenes Versagen durch die Kriegsfolgen verlorengegangen ist.
Der Lastenausgleich ist Hauptfinanzierungsquelle für die soziale und wirtschaftliche Eingliederung der Vertriebenen, Ausgebomten und Zonenflüchlinge mit dem C-Ausweis. Die bisher ausgeschütteten 37 Milliarden DM wurden gewonnen aus 25 Milliarden DM Abgaben der Abgabepflichtigen, 8 Milliarden DM Pflichtbeiträgen des Bundes und der Länder auf Grund des § 6 des Lastenausgleichsgesetzes, 1,7 Milliarden DM Anleihen, Kassenhilfen und ähnlichen Maßnahmen und 2,1 Milliarden DM vorzeitiger freiwilliger Ablösung der Lasten-ausgleichsschuld. Aus 37 Milliarden DM wurden hauptsächlich geleistet 9,5 Milliarden DM Unterhaltshilfe, 10 Milliarden DM Förderung des Wohnungsbaues, 8 Milliarden DM Hausrathilfe, 3,8 Milliarden DM Existenzaufbauhilfe und 1,4 Milliarden DM Hauptentschädigung. Ca. 5 Milliarden DM Darlehen sind auf die Hauptenschädigung anrechenbar.
Die Geschädigtenorganisationen hatten in den Kämpfen um die Grundkonzeption leidenschaftlich den Vorrang des Entschädigungsgedankens vertreten. Der Kompromiß, den der Gesetzgeber nach langem Ringen mit den parlamentarischen Verfechtern der sozialen Indikation gefunden hat, verpflichtet zur betonten Berücksichtigung des Entschädigungsgedankens in der zweiten Phase.
Diese hat 1958 begonnen. Im Wirtschaftsplan des kommenden Jahres wird dank einer vom Bundeskabinett gegebenen Anleiheermächtigung von 300 Millionen DM zum erstenmal 1 Milliarde DM für die unmittelbare Erfüllung von Hauptentschädigungsansprüchen bar zur Verfügung stehen.
Folgerichtig sind wir an die 13. Novelle unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung und der Beschleunigung der Hauptentschädigung herangegangen. Vieles wurde mit Hilfe der allgemeinen Förderungsmaßnahmen der Mittel des Lastenausgleichs bereits erreicht. Wir wollen es weder als eine per-
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fekte Lösung ansehen, die es meines Erachtens überhaupt nicht geben kann — denn die Heimat ist ja unersetzlich —; wir wollen es aber auch nicht unterschätzen. Erreicht werden konnten erstens die Sicherung des Arbeitsplatzes für alle Arbeitsfähigen, zweitens die soziale Sicherung ehemals Unselbständiger durch das umfassende Fremdrentengesetz und drittens die Versorgung mit ordentlichem Wohnraum zu 85 bis 90 %. Dabei wollen wir allerdings nicht übersehen, daß auch hinter den Mauern eines Neubaues noch eine lagerähnliche Belegungsdichte angetroffen werden kann.
Nicht oder nur teilweise bewältigt sind erstens trotz imponierender Eingliederungszahlen die Eingliederung in einen ,dem Beruf in der Heimat entsprechenden Beruf — hier sind vor allem die Bauern besonders hart betroffen; sie verdienen unsere besondere Sorge —, zweitens die hinreichende soziale Sicherung der ehemals Selbständigen, die hier Unterhaltshilfe in Anspruch nehmen müssen, und drittens die Neubildung des verlorenen Eigentums. Der totale Verlust des Eigentums für Millionen stellt einen gefährlichen Bruch in unserer Sozialstruktur dar.
Die 13. Novelle soll zur Heilung dieses Bruches beitragen. Sie bringt erstens die Erhöhung der Hauptentschädigung in den unteren und mittleren Schadensgruppen, zweitens die Barverzinsung der Hauptentschädigung und drittens die Verkürzung der Wartezeit bis zur Auszahlung der Hauptentschädigung. Diese drei Punkte, die die Novelle enthält bitte ich Sie als eine Einheit, als einen in innerem Zusammenhang stehenden Schritt zur Besserung zu betrachten.
Die Wirkung der partiellen Anhebung der Entschädigungssätze wird ergänzt durch die allgemeine Barverzinsung. Diese macht den Zuerkennungsbescheid zu einem Wertpapier mit allen dem Wertpapier innewohnenden sozialen und wirtschaftlichen Vorteilen.
Die Bundesregierung legt größten Wert auf die Verkürzung der Auszahlungsfrist um rund 10 Jahre. Sie weiß sich dabei mit den Geschädigten einig, die immer wieder betonen und betont haben, daß es ihnen in erster Linie auf eine schnelle Auszahlung ankommt. Es muß unser aller Ziel sein, die älteren Anspruchsberechtigten die Zahlung ihrer Hauptentschädigung noch erleben zu lassen. Gerade die Anstrengungen und Vorschläge der Bundesregierung wenden sich diesem vordringlichen Ziel zu. Die Bundesregierung unterbreitet praktische Vorschläge zur Geldbeschaffung und zur Durchführung.
Die Wächter unserer Währung und Wirtschaft haben aus dem Verhalten der Währungsgeschädigten und den bereits mit Hauptentschädigungszahlungen bedachten Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten die Überzeugung gewonnen, daß die ausgezahlten Gelder nicht zu einem Konsumstoß führen, sondern vornehmlich der Substanzbildung dienen und gedient haben.
— Ja, der Eigentumsbildung.
Die Novelle enthält keine unmittelbare Vorfinanzierungsmaßnahmen. Sie schafft aber unter anderem die Ermächtigung, aussichtsvoll geführte Verhandlungen mit Sparkassen und Banken zu einem guten Abschluß zu bringen, um über Sparbücher einen Teil der Hauptentschädigung sobald wie möglich abzuwickeln. Dabei bietet sich das Modell an, das sich bei der vorzeitigen Auszahlung der Altsparerentschädigung bewährt hat. Ich danke von dieser Stelle aus den Instituten für die in den Vorverhandlungen gezeigte Bereitschaft. Ich hoffe, daß die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesausgleichsamt und den Instituten zu einem guten sozialen und — das möchte ich unterstreichen — volkswirtschaftlichen Ergebnis führen wird.
Die Bundesregierung bleibt in ihrem Bemühen um Vorfinanzierungsmaßnahmen nicht stehen. Ich werde noch während der Ausschußberatungen der Novelle Vorschläge nachreichen. Dabei ist besonders 'daran gedacht, die Laufzeit der Abgaben für jene Abgabenpflichtige zu kürzen, die infolge der wirtschaftlichen Entwicklung zu einem großen — ich betone: großen — Vermögenszuwachs gekommen sind.
Die Bundesregierung hat sich auch bemüht, in der Novelle der inzwischen erkannten besonderen Lage der Kriegssachgeschädigten, die Teilschäden erlitten haben, Rechnung zu tragen. Neben der bereits in der Novelle enthaltenen Verbesserung der Kürzungsbestimmungen ist die Bundesregierung gewillt, Aufbauleistungen, die vor dem Währungsstichtag vorgenommen worden sind, realistischer zu bewerten. Auch den Zonenflüchtlingen, die Vermögenswerte in der Bundesrepublik hatten oder vor dem Währungsstichtag geschaffen haben, soll eine weitere Milderung der Abgabeleistung gewährt werden.
In allen ihren Teilen ist die Novelle ein weiterer Schritt zur Herstellung der durch Krieg und Kriegsfolgen empfindlich gestörten harmonischen Schichtung der Bevölkerung. Ein französischer Enzyklopädist hat einmal gesagt, der Reichtum eines Volkes bestehe in seiner Proportion, also in seiner sozialen Ebenmäßigkeit — la richesse d'un peuple, c'est la proportionalité —. An diesem Reichtum, der trotz der Erschütterungen infolge des ersten Weltkrieges noch vorhanden war und durch den Nationalsozialismus freventlich verspielt worden ist, fehlt uns heute noch viel, sehr viel.
Die Förderung des möglichen Teils der Wiederherstellung der inneren Ebenmäßigkeit unter Bejahung der beruflichen Selbständigkeit und des Eigentums ist der Leitsatz, den ich vorgefunden habe und den ich weiterführen möchte. Ich sage mit aller Betonung: die Wiederherstellung der Ebenfäßigkeit oder Homogenität ist keine Nivellierung und keine karitative Aufgabe.
Sie führt nicht in den Wohlfahrtsstaat, sondern von
diesem weg. Diese Tendenz kommt von den Geschädigten selbst, die auch in den schwersten Tagen
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ein, ich möchte sagen, geschichtsbildendes Beispiel zähen Selbstbehauptungswillens gegeben haben.
Sie wollten aus der Nivellierung und Vermassung heraus, in die ein grausamer Land- und Eigentumsnehmer sie gestoßen hatte.
Selbstbehauptung, beharrlicher Wille auf Wiederherstellung des sozialen Profils, also des europäischen Gesichts, ist der wertvollste Impuls, den die Geschädigten dem gesamten Westen gebracht haben.
Mögen alle westdeutschen Menschen, besonders die Behördenvertreter, denen der unmittelbare Umgang mit den Geschädigten obliegt, stets an dieses Geschenk der Vertriebenen und Flüchtlinge denken!
Es darf in unserer Hand nicht verkümmern.
Ich erwähne hier das Wort eines in den Kampf mit den Paragraphen verstrickten Menschen, der am 19. November folgendes geschrieben hat:
Wir Flüchtlinge sind mit so viel Begeisterung und ganzer Kraft für die Freiheit eingetreten. Man muß mit uns etwas mehr Geduld haben — besonders wenn die Ämter statt miteinander gegeneinander arbeiten.
Ich weiß, daß die ausführenden Bediensteten oft nein sagen müssen, weil ihre materielle Zuständigkeit eben endet. Aber die menschliche Zuständigkeit endet nie.
Oft ist ein guter Rat — ein empfehlendes Wort an eine andere Behörde — die Rettung aus einer Verstrickung, in die der Unkundige geraten ist. Nicht das Prestige eines Amtes, sondern die Hilfe hat den Vorrang. Ich bitte alle um diese nie erlöschende Zuständigkeit im Menschlichen.
Sosehr ich für die Herstellung der Homogenität eintrete, sosehr bemühe ich mich, die Sonderrechte und Betreuungsmaßnahmen dort beendet zu sehen, wo sie nicht mehr notwendig sind. Ich meine die Anwendung des § 13 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes, der die Einstellung der Rechte und Vergünstigungen vorsieht, wenn der Geschädigte — nun zitiere ich wörtlich —
in das wirtschaftliche und soziale Leben in einem nach seinen früheren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zumutbaren Maße eingegliedert st.
Die Länder sind auf Grund der von meinem Ministerium ausgearbeiteten empfehlenden Richtlinien an eine gerechte Durchführung des durchaus logischen und notwendigen § 13 herangegangen. Ich wünsche die zügige Durchführung nicht etwa im Interesse des Fiskus, sondern im Hinblick auf die noch der Betreuung bedürftigen Geschädigten. Ich kann für diese nur dann mit Überzeugung und Erfolg eintreten, wenn dem § 13 Rechnung getragen wird.
Dieser Paragraph nimmt mit Fug und Recht sein Maß an den heimatlichen Verhältnissen. Er ist eine im Gesetz verankerte Widerlegung der materialistischen Auffassung, die da meint, daß jeder, der einen Arbeitsplatz, Wohnung und Hausrat hat, als eingegliedert betrachtet werden kann. Ein derart Ausgestatteter ist nicht eingegliedert, er ist versorgt. Eingegliedert, d. h. an den ihm gebührenden Platz in der Volksgemeinschaft gebracht ist er damit noch nicht.
Daß er diesen Platz erhält, erstreben wir jedoch im Interesse unseres ganzen Volkes.
Der Auftrag zur Eingliederung wird uns täglich neu gestellt. 550 Flüchtlinge treffen Tag für Tag aus dem Teil unseres Vaterlandes ein, der dem kommunistischen Machtbereich gewaltsam ausgeliefert worden ist. 550 Menschen treffen in der Bundesrepublik ein, die mit der Beschaffung einer zweiten Wäschegarnitur, mit Bett, Tisch, Stuhl ganz von vorn anfangen müssen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie in diesem Punkte um Ihre besondere Aufmerksamkeit. Eine Hochkonjunktur verdeckt den beispiellosen Vorgang der Entwurzelung und Deklassierung.
Wir sind im Begriff, uns an einen Zustand zu gewöhnen, der so widernatürlich, grausam und rechtswidrig ist, daß er die ganze Welt, erst recht aber uns stündlich empören müßte.
550 Menschen! Das ist ein Dorf, das wir tagtäglich neu bauen, mit Arbeit versehen und gliedern müssen. Wir bauen und geben Arbeit, aber die Gliederung scheinen wir zu vergessen, wenn wir uns mit der Nivellierung, die aus dem Tatbestand der Vertreibung und der Flucht hervorgeht, abfinden wollten. Die 550 bleiben nicht ohne einen Reflex auf die sowjetisch besetzte Zone, die wir auch — das möchte ich sehr deutlich namens der Regierung zum Ausdruck bringen—weder entvölkern noch in ihren wirtschaftlichen Funktionen stören wollen.
Wir alle wünschen sehnlichst, daß das System der Zone niemanden zwingt, wegen seines Gewissens und seines Dranges nach Freiheit und Selbständigkeit, wegen Bedrohung von Freiheit und Leben, die Zone zu verlassen. Solange aber ein freiheitsfeindliches System Menschen in die harte Wahl zwischen Heimat und Freiheit drängt, wächst uns aus den Opfern des Zwangs eine Dynamik zu, die sich auf alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens auswirkt und zunächst mit ganzer Wucht auf mein Ministerium fällt.
Die Ostzonenflüchtlinge mit dem C-Ausweis nehmen an allen Verbesserungen der Novelle mit Ausnahme der Hauptentschädigung teil. Die Möglichkeiten des Härtefonds wurden zunächst bis zum Jahre 1965 verlängert. Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich auch die Zonenflüchtlinge ohne C-Ausweis hier erwähne. Ich muß meinen Auftrag komplex sehen und für diesen Personenkreis an pragmatische Lösungen außerhalb der zementierten
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Einnahmen des Fonds denken. Mit dem Vorschlag einer Möbelhilfe hat die Bundesregierung nicht nur den Willen, sondern auch den Weg gezeigt. Sie will großzügig überall dort helfen, wo die Hilfe benötigt wird. Aber sie will vermeiden, ja, sie muß vermeiden, daß öffentliche Gelder 'dorthin fließen, wo sie nicht benötigt werden. Wir müssen im Interesse der Gerechtigkeit und der Hilfsbedürftigen, der wirklich Hilfsbedürftigen, die zu versorgen sind, Ärgernisse vermeiden.
Endlich ist es gelungen, — —
— Frau Korspeter, ich bitte, mich zu Ende sprechen zu lassen.