Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zeit ist ziemlich fortgeschritten, darum möchte ich den Kolleginnen und Kollegen den Gefallen tun, mich so kurz wie nur irgend möglich zu fassen. Aber ich bitte mir das nicht so auszulegen, als wenn ich dieser oder jener Frage ausweichen wollte. Ich kann auch gern längere Ausführungen machen, wenn Sie das wünschen.
Zunächst, Frau Kollegin Keilhack, ein Wort freundlichen Dankes dafür, daß Sie sachliche Mitarbeit bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes zugesagt haben, obschon erhebliche Meinungsverschiedenheiten in den grundsätzlichen Fragen bestehen. Aber, verehrte Frau Kollegin, sonst war manches, was Sie hier vorgetragen haben, wenn ich so sagen darf, etwas starker Tobak. Ich habe aber nicht die Absicht, diesen starken Tobak mit noch männlicherem starken Tobak zu beantworten. Ich möchte vielmehr den Versuch machen, ein der Dame gegenüber angebrachtes zarteres Parfüm zur Anwendung kommen zu lassen.
Ich muß aber eines nachdrücklich vorausschicken, Frau Kollegin. Sie haben an einer Stelle von dem „Nachtwächteramt" gesprochen, das ich dem Staate bei seiner Tätigkeit gegenüber der Familie nur zuerkennen wolle. Das wurde sehr ironisch und mit entsprechendem Gelächter aufgenommen. Ich möchte darauf hinweisen, daß in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes von dem Wächteramt des Staates über die Aufgaben der Familie die Rede ist. Ich möchte Einspruch dagegen einlegen, daß eine solch wichtige Grundgesetzbestimmung hier im Hohen Hause ironisiert wird.
Im übrigen waren manche der Formulierungen recht heftig: „Sprengstoff", „explosiver Sprengstoff", und was es alles war. Meine Damen und Herren, man braucht nicht deshalb alles mies zu machen, weil einem die ganze Richtung nicht paßt. Darum geht es doch bei der Beratung des Gesetzes hier. Da wird auch die Begründung, die ich nach meiner Auffassung überzeugend vorgetragen habe,
warum wir eine Novelle eingebracht haben, einfach ins Gegenteil verkehrt. Da werden einem Unterstellungen gemacht, zu denen gar keine Veranlassung vorliegt.
Ich möchte zunächst auf eines kurz antworten. Es war davon die Rede, daß dem Bundesjugendring die Mittel gesperrt worden seien. Davon ist mir nichts bekannt und meinen Referenten auch nicht.
Ich werde mich noch näher erkundigen. Ich weiß aber, glaube ich, worum es geht, verehrte Frau Kollegin. Da sind Schwierigkeiten bei der Abrechnung. Wir haben seit langen Jahren den gesunden Grundsatz, daß wir neue Mittel erst dann bewilligen, wenn über die alten die Abrechnungen wenigstens vorgelegt worden sind. Wir haben beim Haushaltsausschuß immer wieder ein sehr starkes Drängen erlebt, in dieser Hinsicht unsere Pflicht wahrzunehmen. Die Schwierigkeiten bezüglich des Bundesjugendringes liegen in materieller Hinsicht zur Zeit darin, daß er entgegen mehrfachen Forderungen des Bundesrechnungshofs und des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen seinen hauptamtlich tätigen leitenden Herren Bezüge zahlt, die über das hinausgehen, was im öffentlichen Dienst normalerweise üblich ist.
Das ist nicht angängig, wo wir freie Vereinigungen und Verbände unterstützen.
Meine Damen und Herren, eines überraschte mich. Frau Kollegin Keilhack war mein Gesetzentwurf, wenn ich es kurz sagen soll, zu dürftig. Andererseits wurde aber gesagt, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet müsse erst einmal sehr gründlich nachgeprüft werden. Danach scheint Ihnen im Gesetzentwurf also doch noch zuviel drinzustehen. Ich habe das Gefühl, daß wir bei dem Entwurf gerade den richtigen Mittelweg gegangen sind zwischen den berechtigten Anliegen der Länder einerseits und den berechtigten Ansprüchen des Bundes andererseits.
Meine Damen und Herren, ich komme auf mein Versprechen zurück, mich möglichst kurz zu fassen. Es wurde, was ich erwartet habe, sehr nachdrücklich beanstandet, daß die Frage der Ausbildungsbeihilfen in diesem Gesetz nicht geregelt worden ist. Es war sogar von einer Mißachtung des Bundestages die Rede. Wir haben zwischen den beteiligten Bundesressorts eine Erklärung zu dieser Frage ausgearbeitet, die ich an sich heute dem Hohen Hause vorzutragen vorhatte, um Sie wenigstem über den Stand der Dinge zu unterrichten. Ich bin aber bereit, wenn Sie den Wunsch haben, im Augenblick darauf zu verzichten — das würde etwa acht oder zehn Minuten dauern — und diese Erklärung zu Protokoll des Bundestages zu geben*), so daß sie von jedem dort eingesehen werden kann. Ich nehme
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 135. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1960 7739
Bundesminister Dr. Wuermeling
nicht an, daß diese heute hier noch des näheren diskutiert werden wird. Aber mir liegt sehr daran, durch diese Erklärung das große Interesse der Bundesregierung daran zu unterstreichen, daß die Frage der Ausbildungsbeihilfen so bald wie möglich geregelt wird. Vielleicht können wir uns dann im Ausschuß noch näher über diese Dinge unterhalten.
Dann war die Rede von einer überstürzten Einbringung des Gesetzentwurfs. Als hätte ich hier mein Steckenpferdchen noch im letzten Moment unter Dach bringen wollen! Ich habe bereits vorher dargelegt, daß diese Novelle in dreijähriger Arbeit vorbereitet worden ist und im übrigen sachlich all das enthält, was auch ein gesamter Gesetzentwurf enthalten hätte.
Meine Damen und Herren, die Dinge liegen, glaube ich, ein bißchen anders. Hier wurde nichts überstürzt, hier wurde nur überrundet. Überrundet wurden nämlich die sozialistischen Kreise, die, wie wir wissen und erlebt haben, nun schon seit langem versuchen, das Zustandekommen dieses Gesetzes wegen seiner möglichst behördenfreien Grundtendenz zu verhindern,
denen die parteipolitische Zielsetzung hier wichtiger ist als die Sorge um die Jugend, für die wir dieses Gesetz brauchen.
Dann wurde beanstandet, daß die Finanzierung im Gesetz nicht geregelt sei. Darüber haben wir uns sehr viele Gedanken gemacht. Neue Finanzierungswege — Herr Kollege Kemmer hat es schon angedeutet — sind im Entwurf deshalb nicht vorgesehen, weil die Finanzierungswege für Selbstverwaltungsaufgaben durch die Finanzausgleichsgesetze der Länder wie auch durch Art. 106 des Grundgesetzes erschöpfend geregelt sind. Ihre Neuregelung hätte eine neue Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zur Voraussetzung, die doch sicher niemand wollte. Deshalb mußten neue Finanzierungsvorschriften aus dem Gesetz herausbleiben.
Dann kam das Stichwort vom „lebendigen Jugendamt",
das angeblich getötet werden soll, und von der „Schrumpfung des Jugendamtes" usw. Meine Damen und Herren, was steht denn in § 4 Abs. 3 Satz 1 in voller Breite?:
Das Jugendamt hat darauf hinzuwirken, daß die für die Wohlfahrt der Jugend erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen ausreichend zur Verfügung stehen.
Das heißt also, die volle Verantwortung dafür, d a ß das Notwendige geschieht, ist und bleibt wie bisher beim Jugendamt. Lediglich in der Handhabung des „ Wi e " soll das Jugendamt an die Grundsätze einer nicht von Staatsomnipotenz beherrschten Ordnung gebunden sein. Das ist das, was wir mit dieser Vorschrift bezwecken.
Es wurde behauptet, daß ein Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung einzelner freier Verbände statuiert werde,
Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, Herr Kollege, daß der Entwurf keinen einklagbaren Rechtsanspruch auf Subventionierung einzelner freier Verbände vorsieht und deshalb von der bisherigen Konzeption nicht abweicht. Die Formulierung „hat", an die man dabei anknüpft, ist nach § 6 bereits geltendes Recht. Wie das geltende Recht enthält also auch der Entwurf keine gesetzliche Norm, die den zu fördernden Institutionen einen einklagbaren Anspruch auf Subventionierung gibt. Die erläuternden Bestimmungen der Novelle verpflichten also nicht zur Zahlung bestimmter Förderungsbeträge im Einzelfall.
Die Höhe der Förderung liegt nach wie vor im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. § 4 a bringt ebenfalls nur einen Förderungs grundsatz und läßt, indem er die Berücksichtigung einer Eigenleistung vorschreibt, den notwendigen Ermessensspielraum. Diese Ermessensentscheidungen — und bier kommt nun die gerichtliche Kontrolle — sind nur nach den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung über die gerichtliche Nachprüfung von Ermessensfehlern im Rechtsweg angreifbar. Aber gegen eine verwaltungsgerichtliche Nachprüfbarkeit etwaigen Ermessensmißbrauchs wird doch wohl niemand etwas einwenden können, dem an dem notwendigen Schutz der freien Träger vor einer Überrollung durch die öffentliche Hand gelegen ist.
Aber ich weiß, hier scheiden sich eben die Geister. Wir wollen den Schutz der freien Träger und ihres angestammten Wirkungsbereichs. Die SPD hingegen verlangt praktisch schrankenlose Rechte der öffentlichen Hand gegenüber den freien Trägern,
wie sie entgegen dem Geist des geltenden Gesetzes in sozialistisch beherrschten Gemeinden unter Mißachtung der freien Träger wiederhol in Anspruch genommen wurden und in Anspruch genommen werden.
Solchen Mißbrauch der öffentlichen Gewalt wollen wir allerdings in Zukunft unmöglich machen, weil die Freiheit des staatsbürgerlich-gesellschaftlichen Raums nicht ohne Not angetastet werden sollte. Von einer verfassungswidrigen Einschränkung der Selbstverwaltung der Gemeinden kann doch wirklich keine Rede sein, brenn die verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte der Bürger in ihren
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1 engeren Gemeinschaften gesetzlich geschützt werden.
Es war schließlich von der notwendigen Zusamarbeit der öffentlichen und der freien Jugendpflege die Rede, es wurde von Partnerschaft und von einer angeblichen Übermacht der freien Verbände gesprochen. Wenn man von Partnerschaft zwischen freier und öffentlicher Jugendhilfe redet, dann muß man beachten, daß eine echte Partnerschaft — wenn ich mir den Ausdruck einmal zu eigen machen soll — voraussetzt, daß der eine Partner den anderen nicht einfach überfahren kann, wo er will.
Wenn also ein Partner eine wesentlich stärkere Position hat als der andere — und der wesentlich Stärkere, Frau Kollegin Keilhack, ist hier doch wohl die öffentliche Gewalt mit ihrer Kompetenzkompetenz und ihren Finanzen —, dann muß der andere, der schwächere Partner — und das sind ohne Zweifel die freien Verbände mit ihren meist schwachen Finanzmitteln —, gegen einen etwaigen Mißbrauch der Machtstellung des stärkeren Partners geschützt werden, um auch wirklich Partner sein zu können.
Meine Damen und Herren, daß die Beamten der Behörden solche Schutzvorschriften gegen mißbräuchliche Anwendung ihrer Ermessensfreiheit, also gegen Ermessensüberschreitung, vielfach nicht wünschen und daß sie sich über Spitzenverbände und Ministerialbürokratien gegen solche Kontrolle ihrer Ermessenshandhabung zu wehren suchen, ist
zwar menschlich verständlich, aber nach meiner Auffassung staatspolitisch bedauerlich. Hier liegt doch ein wesentlicher Teil der Widerstände gegen den Schutz des schwächeren freien Partners begründet. Weder Beamte noch kommunale Parlamente sollen aber gegenüber den freien Trägern machen können, was sie wollen, ohne an gesetzliche Schutzvorschriften zugunsten des schwächeren Partners gebunden zu sein. f
Gerade solche Bindung wollen wir mit dem Entwurf, wie sie schon der geltende § 6 nachweislich wollte, aber nicht überall durchsetzt. Ich erkläre das nochmals ausdrücklich, weil die Bundesregierung der Meinung ist, daß die öffentliche Hand eben nicht soll machen können, was sie will — das Umgekehrte haben wir von 1939 bis 1945 wohl zur Genüge erleiden müssen —, daß die öffentliche Hand also nicht berechtigt ist, ohne Not in den freien Raum einzugreifen.
„So wenig Staat und so viel Freiheit wie möglich", muß das stets gesunde Prinzip bleiben, von dem ich übrigens, meine Damen und Herren, auch im Godesberger Programm der SPD gelesen zu haben glaube.
Da steht ,auch wörtlich drin, daß „die Eigenständigkeit der freien Wohlfahrtsverbände zu schützen" ist.
Soll das in der Jugendhilfe etwa nicht — oder wohlweislich nicht wirksam — geschehen?
Meine Damen und Herren, wenn man schon bei anderen Parteien Programmpunkte abschreibt: Hic Rhodus, hic salta! Verleugnen Sie bitte Ihr theoretisches neues Godesberger Programm hier nicht, wie wir auf manchen anderen Gebieten bereits den Eindruck haben. Hier geht es wirklich einmal darum, Ihre Absage an die marxistische Staatsomnipotenz glaubwürdig zu beweisen.
Die Entscheidung, ob Sie ,das tun wollen ,oder nicht, liegt bei Ihnen, meine Damen und Herren. Wir haben unsere Entscheidung getroffen ,gegen die Staatsomnipotenz und für die Freiheit und werden diese Entscheidung durchsetzen.