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    Deutscher Bundestag 124. Sitzung Bonn, den 28. September 1960 Inhalt: Nachruf auf die Abg. Dr. Becker, Jahn und Rasch 7159 A Die Abg. Rodiek, Freiherr von Kühlmann-Stumm und Altvater treten in den Bundestag ein 7159 D Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. von Haniel-Niethammer, Brand, Frau Welter, Heye, Dr. Steinmetz, Felder, Dr. Königswarter, Dr. Burgbacher, Keller und Dr. Atzenroth . . . . . . . . 7160 A Begrüßung einer Delegation des Irischen Parlaments 7173 B Übertritt der Abg. Frau Kalinke, Dr. von Merkatz, Dr. Preiß, Dr. Preusker, Probst (Freiburg), Dr. Ripken, Dr.-Ing. Seebohm, Dr. Schild und Dr. Steinmetz von der Fraktion der Deutschen Partei zur Fraktion der CDU/CSU 7173 C Konstituierung der Gruppe Deutsche Partei 7173 C Wahl des Abg. Dr. Dehler zum Vizepräsidenten Dr. Mende (FDP) . . . . . . . 7174 A Begrüßung einer Delegation des Parlaments von Ghana . . . . . . . . . . . 7180 A Fragestunde (Drucksachen 2077, zu 2077) Frage des Abg. Dr. Arndt: Unterbringung des Bundesverfassungsgerichts Dr.-Ing. Balke, Bundesminister . . 7162 B Frage des Abg. Ritzel: Steuerverpflichtungen deutscher Benzingesellschaften Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 7162 D, 7163 A, B Ritzel (SPD) . . . . . . . . 7163 A, B Frage des Abg. Dr. Fritz (Ludwigshafen) : Zollbescheide für Mineralöl Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 7163 B Frage des Abg. Dr. Fritz (Ludwigshafen) : Beförderungsmöglichkeiten im mittleren Dienst der Zollverwaltung Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 7163 C, 7164 A, B Brück (CDU/CSU) . . . . . . . 7164 A Lulay (CDU/CSU) . . . . . . . 7164 B Frage des Abg. Dr. Kohut: Zahl der Beamten und Angestellten der Arbeitsämter Blank, Bundesminister 7164 C, D, 7165 A Dr. Kohut (FDP) . . . . 7164 D, 7165 A Frage des Abg Dr. Arndt: Rechtsansprüche der Witwe des Generalmajors Hellmuth Stieff Blank, Bundesminister . . . . 7165 B Dr. Arndt (SPD) 7165 B Frage des Abg. Kalbitzer: Geldbuße wegen Herausschmuggelung eines Fremdenlegionärs Dr. Seiermann, Staatssekretär . 7165 C, D, 7166 A Kalbitzer (SPD) . . . . 7165 D, 7166 A Frage des Abg. Hackethal: Bundesbahnstrecken in den Zonenrandgebieten Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 7166 B, C Ritzel (SPD) 7166 C Frage des Abg. Baur (Augsburg) : Auflösung einer Schiffswerft am Bodensee Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 7166 C Frage des Abg. Kreitmeyer: Verwendung von vorfabrizierten Häusern im Wohnungsbau für Bundesbedienstete Lücke, Bundesminister 7166 D, 7167 B, C Kreitmeyer (FDP) . . . . . . 7167 A, B Frage des Abg Dr. Brecht: Rechtsverordnung über die Berechnung der Mietbeihilfen Lücke, Bundesminister . . . . 7167 C, D, 7168 A, B, C Dr. Brecht (SPD). . 7167 D, 7168 A Wittrock (SPD) . . . . . . . 7168 B, C Frage des Abg. Dr. Brecht: Kosten der „Wohnfibeln" Lücke, Bundesminister . . . . 7168 C, D, 3169 A, B, C, D, 7170 A Dr. Brecht (SPD) . . . . . . . . 7168 D Baier (Mosbach) (CDU/CSU) . . . 7169 A Seuffert (SPD) . . . . . . . . 7169 B Wittrock (SPD) . . . . . . . . 7169 B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 7169 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 7169 D Neumann (SPD) . . . . 7169 D, 7170 A Dr. Czaja (CDU/CSU) 7170 A Frage des Abg. Dr. Dr. h. c. Friedensburg: Unterbringung der Deutschen Botschaft in Wien 7170 A Fragen des Abg. Seuffert: Gaskammer im KZ Dachau Dr. Carstens, Staatssekretär 7170 B, C, D, 7171 A, B, C, D Seuffert (SPD) . . . . 7170 D, 7171 A Könen (Düsseldorf) (SPD) . . . . 7171 A von Lindeiner-Wildau (CDU/CSU) . 7171 B Graf Adelmann (CDU/CSU) . . . . 7171 B Ritzel (SPD) . . . . . . . . . 7171 C Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Amtspflichtverletzungen von Notaren Schäffer, Bundesminister . . . . 7171 D Frage des Abg. Müller-Hermann: Reform des Verkehrsstrafrechts Schäffer, Bundesminister . . . . . 7172 A Frage des Abg. Neumann: Strafverfahren gegen Staatssekretär Klopfer Schäffer, Bundesminister . . 7172 B, C, D Neumann (SPD) 7172 B, C Jahn (Marburg) (SPD) 7172 C Frage des Abg Jahn (Marburg) : Doppelte Akten bei Untersuchungshaft Schäffer, Bundesminister . 7172 D, 7173 B Jahn (Marburg) (SPD) 7173 B Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 7173 B Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksache 1800) — Erste Beratung —; in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1960 III Entwurf eines Notdienstgesetzes (Drucksache 1806) — Erste Beratung — und Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesleistungsgesetzes (Drucksache 2045) — Erste Beratung — Dr. Schröder, Bundesminister . . . 7174 D, 7185B, 7215 C Dr. Schäfer (SPD) . . . 7180 A, 7223 B Dr. Kanka (CDU/CSU) . . 7185 D, 7224 A Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . 7190 D Dr. Arndt (SPD) . . . . 7194 A, 7222 B Dr, Werber (CDU/CSU) 7198 D Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 7203 B Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) . 7209 B Frau Schanzenbach (SPD) . . . 7210 D Frau Dr. Schwarzhaupt (CDU/CSU) 7212 B Jahn (Marburg) (SPD) 7224 B Rasner (CDU/CSU) 7225 A Erler (SPD) 7225 C Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7226 D Entwurf eines Gesetzes zur Einfügung eines Artikels über die Luftverkehrsverwaltung in das Grundgesetz (Drucksache 1534) ; Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksache 1961) — Zweite und dritte Beratung — Wittrock (SPD) 7214 C Entwurf eines Gesetzes über die Entschwefelung flüssiger und gasförmiger Brennstoffe (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal], Bading, Margulies, Dr. Schild, Geiger [München] u. Gen.) (Drucksache 1980) — Erste Beratung — 7227 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes (Drucksache 1910) — Erste Beratung — . . . . . 7227 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und des Gerichtskostengesetzes (Drucksache 1892) — Erste Beratung — 7228 A Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesvertriebenengesetzes (SPD) (Drucksache 1974) — Erste Beratung — . . . . . . . . 7228 B Entwurf eines Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bei Menschen (Bundes-Seuchengesetz) (Drucksache 1888) — Erste Beratung — 7228 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes (Abg. Dr. Jaeger, Merten, Lenze [Attendorn], Matzner u. Gen.) (Drucksache 1990) — Erste Beratung — 7228 B Entwurf eines Gesetzes zu der Erklärung vom 29. Mai 1959 über den vorläufigen Beitritt Israels zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Drucksache 1993) — Erste Beratung — 7228 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Neunten Protokoll vom 22. November 1958 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Bundesrepublik Deutschland und Finnland) (Drucksache 1994) — Erste Beratung — 7228 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Drittes Änderungsgesetz zum AVAVG) (Drucksache 2044) — Erste Beratung — 7228 D Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts (Drucksache 2052) — Erste Beratung — . . . . . 7228 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. März 1960 mit der Französischen Republik über den Schutz von Herkunftsangaben usw. (Drucksache 2061) — Erste Beratung — . . . . . . . . . . . 7228 D Entwurf eines Gesetzes über Zuständigkeiten in der Luftverkehrsverwaltung (Drucksache 1535) ; Berichte des Haushaltsausschusses und des Verkehrsausschusses (Drucksachen 2075, 2002) — Zweite und dritte Beratung - . . . . . . . 7229 A Antrag betr. Rüdesheimer Verkehrsproblem (Abg. Arndgen, Mischnick, Wittrock, Schmitt-Vockenhausen, Müller-Hermann, Dr. Willeke u. Gen.) (Drucksache 1985) 7229 C Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1958 (Drucksache 1922) . 7229 C Entwurf einer Vierundzwanzigsten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Wälzlagerstahl usw.) (Drucksache 2025) 7229 D IV Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1960 Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung eines bundeseigenen Teilgrundstücks des ehemaligen Heeresverpflegungsamtes in Frankfurt (Main) (Drucksache 2013) 7229 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft der ehem. Walterwerke, Ahrensburg in Holstein (Drucksache 2033) 7229 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des ehem. Luftwaffenübungsplatzes Ahrbrück (Drucksache 2036) 7230 A Nächste Sitzung 7230 C Anlagen........... 7231 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1960 7159 124. Sitzung Bonn, den 28. September 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 28. 9. Altmaier * 30. 9. Dr. Atzenroth 28. 9. Balkenhol 30. 9. Bauer (Würzburg) * 30. 9. Frau Bennemann 30. 9. Berger 28. 9. Berkhan 30. 9. Birkelbach 30. 9. Fürst von Bismarck * 30. 9. Blachstein * 30. 9. Corterier * 30. 9. Dr. Dahlgrün 30. 9. Dr. Dollinger 28. 9. Dowidat 30. 9. Enk 30. 9. Dr. Friedensburg 30. 9. Dr. Furler * 30. 9. Gerns,* 30. 9. Dr. Gossel 28. 9. Haage 30. 9. Hackethal 28. 9. Hahn 30. 9. Dr. Harm * 30. 9. Dr. Hesberg 30. 9. Höfler * 30. 9. Frau Dr. Hubert * 30. 9. Hübner 28. 9. Jacobs * 30. 9. Keller 30. 9. Dr. Kliesing (Honnef) * 30. 9. Kriedemann 28. 9. Kühn (Bonn) 28. 9. Kühn (Köln) * 30. 9. Lücker (München) 30. 9. Maier (Freiburg) 30. 9. Maucher 28. 9. Frau Dr. Maxsein * 30. 9. Dr. Mende * 30. 9. Dr. Meyer (Frankfurt) * 30. 9. Paul * 30. 9. Peters 30. 9. Frau Pitz-Savelsberg 30. 9. Dr. Preusker 30. 9. Frau Dr. Rehling * 30. 9. Frau Renger * 30. 9. Rimmelspacher 28. 9. Ruhnke 30. 9. Schröder (Osterode) 30. 9. Schultz 30. 9. Schütz (München) * 30. 9. Seidl (Dorfen) * 30. 9. Dr. Serres * 30. 9. Dr. Toussaint 28. 9. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Wacher 28. 9. Wagner 30. 9. Dr. Wahl * 30. 9. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) * 30. 9. Wehner 28. 9. Werner 28. 9. Wilhelm 28. 9. Dr. Zimmer * 30. 9. Zoglmann 30. 9. Zühlke 30. 9. b) Urlaubsanträge Bals 15. 10. Bauer (Wasserburg) 29. 10. Dr. Böhm 22. 10. Frau Brauksiepe 9. 10. Demmelmeier 7. 10. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 9. 10. Draeger 9. 10. Dr. Gradl 9. 10. Frau Herklotz 9. 10. Heye 9. 10. Höcherl 9. 10. Jürgensen 31. 10. Dr. Kempfler 9. 10. Dr. Kopf 9. 10. Krammig 31. 10. Lermer 15. 10. Majonica 9. 10. Dr. Menzel 22. 10. Merten 9. 10. Pohle 31. 10. Reitzner 9. 10. Dr. Schmid (Frankfurt) 15. 10. Schmidt (Hamburg) 9. 10. Schneider (Bremerhaven) 9. 10. Dr. Schneider (Saarbrücken) 4. 10. Struve 9. 10. Wienand 9. 10. Frau Wolff 10. 10. Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates Abschrift Bonn a. Rh., 1. Juli 1960 An den Herrn Bundeskanzler Bonn Bundeskanzleramt Ich beehre mich mitzuteilen, daß der Bundesrat in seiner 221. Sitzung am 1. Juli 1960 beschlossen * für die Teilnahme an der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates. 7232 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1960 hat, hinsichtlich des vom Deutschen Bundestag am 24. Juni 1960 verabschiedeten Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1960 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1960) einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen. Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefaßt: „Der Verzicht des Bundesrates auf eine Antragstellung gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes beinhaltet keine Anerkennung der Richtigkeit des Ausweises der Rücklage der Kreditanstalt für Wiederaufbau ,aus Mitteln des ERP-Sondervermögens', wie sie in der als Anlage beigefügten Zusammenstellung der Vermögenswerte und Verpflichtungen des ERP-Sondervermögens per 31. März 1959 (Aktiva C ,Sonstige Forderungen', Ziffer 4, ,gegen die Kreditanstalt für Wiederaufbau — Sondereinlage —) enthalten ist." Dr. Röder Bonn, den 1. Juli 1960 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Bonn Bundeshaus Vorstehende Abschrift wird mit Bezug auf das dortige Schreiben vom 24. Juni 1960 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers des Innern auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Pusch, betreffend Rückgabe der in Westdeutschland lagernden Bücher der ehemals Preußischen Staatsbibliothek an Berlin (Fragestunde der 121. Sitzung vom 29. Juni 1960, Drucksache 1957) : Auf den Zeitpunkt der Rückführung der zur Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" gehörigen Kulturgüter nach Berlin hat die Bundesregierung keinen Einfluß. Die Entscheidung trifft der Stiftungsrat. Ich habe in der letzten Fragestunde über den Stand der Bund-Länder-Verhandlungen über das Inkrafttreten der Satzung für die Stiftung berichtet. In Vertretung: Dr. Anders Anlage 4 Schriftliche Begründung der Abgeordneten Frau Korspeter zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesvertriebenengesetzes (Drucksache 1974). Meine Fraktion legt dem Hause den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Regelung des § 3 des Bundesvertriebenengesetzes vor, in dem die Bestimmungen über die Anerkennung der aus der SBZ geflüchteten Deutschen als Sowjetzonenflüchtlinge festgelegt sind. Während im Bundesvertriebenengesetz allen Vertriebenen ein eindeutiger Status gegeben wurde, nach dem jeder, der die Vertreibungsgebiete verlassen muß, auch als Vertriebener anerkannt wird und Rechte und Vergünstigungen als Vertriebener in Anspruch nehmen kann, ging man bei den Deutschen, die aus der Zone in die Bundesrepublik flüchteten, im Gegensatz zu dem allgemeinen Vertriebenen-Schicksal vom Einzel-Schicksal aus. Diese Betrachtungsweise führte dazu, daß die Fluchtgründe für die Anerkennung als SBZ-Flüchtling maßgeblich wurden und daß diese Fluchtgründe einer Bewertung unterzogen wurden. Im § 3 des Bundesvertriebenengesetzes wird daher bestimmt, daß nur solche Deutschen als SBZ-Flüchtlinge anzuerkennen sind, die aus der Zone flüchten mußten, „um sich einer von ihnen nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen", mit der Ergänzung durch die Novelle zum Bundesvertriebenengesetz vom 18. 8. 1957, daß „eine besondere Zwangslage auch bei einem schweren Gewissenskonflikt gegeben ist." Nach dieser Begriffsbestimmung gelten nur die Deutschen aus der Zone als SBZ-Flüchtlinge in eigentlichen Sinne, die die Anerkennung nach § 3 des Bundesvertriebenengesetzes erhalten, und nur sie können Rechte und Vergünstigungen aus der Flüchtlingsgesetzgebung in Anspruch nehmen. Dabei war die Absicht unverkennbar, nur einen relativ eng begrenzten Personenkreis als SBZ-Flüchtlinge im engeren Sinne anzuerkennen und ihnen die Vergünstigungen, die sich aus der Flüchtlingsgesetzgebung ergeben, zuzugestehen. Jedenfalls sind von den rund 4 Millionen Deutschen, davon 21/2 Millionen seit 1950, die aus der Zone in die Bundesrepublik gekommen sind, nur rund 560 000 anerkannte SBZ-Flüchtlinge. Schon bei den Beratungen des Bundesvertriebenengesetzes waren diese Bestimmungen umstritten und konnten nicht befriedigen. Sehr bald nach Erlaß des Bundesvertriebenengesetzes zeigte sich, daß man mit diesen gesetzlichen Regelungen den tatsächlichen Gegebenheiten der seit Kriegsende ununterbrochenen Flucht aus der SBZ in keiner Weise Rechnung tragen konnte. Darüber hinaus hat die Fassung der gesetzlichen Bestimmungen, die eine Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthält — wie die Begriffe „nicht zu vertreten", „durch die politischen Verhältnisse bedingt", „besondere Zwangslage" —, dazu geführt, daß die über die Anerkennung als Sowjetzonenflüchtlinge entscheidenden Verwaltungsbehörden vielfach überfordert wurden und demzufolge Entscheidungen treffen mußten, die häufig weder der Entwicklung der Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1960 7233 politischen Verhältnisse in der SBZ noch den persönlichen Schicksalen des einzelnen ausreichend gerecht werden. Auch die Rechtsprechung zum § 3 ist in den vergangenen Jahren einen Weg gegangen, der dieser Entwicklung nicht immer Rechnung trug und der häufig mit der Absicht des Gesetzgebers kaum noch im Einklang zu sein scheint. Einige Auszüge aus neueren und neuesten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts machen es deutlich. Dort heißt es z. B.: „Der Sowjetzonenflüchtling hat in der Regel die besondere Zwangslage zu vertreten, die für ihn durch einen bewußten Verstoß gegen wirtschaftslenkende Vorschriften entstanden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Vorschriften etwa wegen der Art ihres Zustandekommens oder ihrer Anwendung oder ihrer wirtschaftspolitischen Zielsetzung rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entsprechen." „Für die Entscheidung der Frage, ob die Folgen eines solchen Verstoßes zu vertreten sind, ist es unerheblich, ob die Strafe, die durch die Vorschriften angedroht wird oder die durch den Verstoß im Einzelfall erwartet werden muß oder die bereits verhängt worden ist und verhältnismäßig hoch oder aus sonstigen Gründen mit rechtsstaatlichen Begriffen nicht vereinbar ist." „Das Bundesvertriebenengesetz mutet es also der mitteldeutschen Bevölkerung zu, diese Verhältnisse in Kauf zu nehmen und ihrer ungeachtet in der sowjetischen Besatzungszone zu bleiben." „Dem Gesetzgeber war die politische, wirtschaftliche und soziale Bedrängnis bekannt, die auf ihnen (den Bewohnern der SBZ) lastet; gleichwohl hat er durch die Fassung des § 3 BVFG der Erwartung Ausdruck gegeben, daß die Bevölkerung die Opfer und Einschränkungen, ,die mit dieser allgemeinen Bedrängnis verbunden sind, auf sich nimmt und am bisherigen Wohnsitz ausharrt." „Eine solche Tat mag ihr (der Klägerin) in menschlicher Hinsicht zur Ehre gereichen; dennoch hat sie deren Folgen zu vertreten. Da, wie gesagt, dem Bundesvertriebenengesetz der Gedanke zugrunde liegt, daß die Bewohner der sowjetischen Besatzungszone grundsätzlich in ihrer Heimat bleiben sollen, widerspricht seinen Zielen auch ein — oder unter Strafandrohung verbotenes — Verhalten, .das 'zwar nach rechtsstaatlichen Maßstäben rechtmäßig und vielleicht sogar menschlich erfreulich ist, bei dem aber der angestrebte und erreichbare Erfolg in offenbarem Mißverhältnis zu dem Umstande steht, daß der Täter wegen dieses Verhaltens mit großer Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten hat, die ihn zur Flucht nötigen werden." Es mag dahingestellt bleiben, ob und inwieweit man der Verwaltung oder der Rechtsprechung einen Vorwurf ,dahingehend machen kann, daß sie den Willen des Gesetzgebers nicht ausreichend berücksichtigt habe. Zweifellos, das muß mit allen Nachdruck gesagt werden, ist diese Entwicklung nicht zuletzt auf die Problematik der Bestimmun gen des § 3 des Bundesvertriebenengesetzes selbst zurückzuführen. Es kann unseres Erachtens keinem Zweifel unterliegen, daß die derzeitigen Bestimmungen des § 3 des Bundesvertriebenengesetzes nicht mehr dier Entwicklung der politischen Verhältnisse zwischen den beiden Teilen Deutschlands entspricht. Insbesondere erscheint es uns heute weder menschlich, noch sozial, noch politisch vertretbar, jene Deutschen, die auf Grund der Entwicklung in der SBZ und der dortigen allgemeinen Zwangslage Zuflucht in der Bundesrepublik suchen, unterschiedlich zu behandeln; das heißt etwa, sie praktisch fast alle über das Notaufnahmeverfahren als „Flüchtlinge" aufzunehmen, aber dann später, wenn sie in der Bundesrepublik Aufnahme gefunden haben, nur eine geringe Zahl von diesen „Flüchtlingen" als Sowjetzonenflüchtlinge anzuerkennen. Dies gilt um so mehr, als die Bundesrepublik grundsätzlich den Standpunkt der Freizügigkeit zwischen beiden Teilen Deutschlands vertritt und den Deutschen aus der SBZ im Grundsatz die gleichen Rechte gewährt, wie 'den in der Bundesrepublik ansässigen Deutschen. Der § 3 des Bundesvertriebenengesetzes sollte deshalb eine Fassung erhalten, die sicherstellt, daß jeder Deutsche aus der SBZ, der in der Bundesrepublik Zuflucht sucht, als Sowjetzonenflüchtling anerkannt wird. Eine solche Fassung würde nicht nur dem Grundsatz der Freizügigkeit zwischen beiden Teilen Deutschlands und der Gleichberechtigung dieser Deutschen entsprechen, sondern gleichzeitig auch eine Gleichstellung mit jenen Vertriebenen herbeiführen, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen als Aussiedler aus den Vertreibungsgebieten in die Bundesrepublik kommen und hier entsprechende Aufnahme finden. Selbstverständlich wird dabei nicht außer Acht gelassen werden dürfen, daß unter den aus der sowjetischen Besatzungszone geflohenen Deutschen sich, wenn auch in verhältnismäßig geringer Zahl, Personen befinden, die dem totalitären Regime in der SBZ in erheblicher oder bedenklicher Weise Vorschub geleistet, oder die in der SBZ gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben oder aber die SBZ nur verlassen haben, um sich dort den Folgen einer auch nach rechtsstaatlicher Auffassung strafbaren Handlung zu entziehen. Für solche Fälle geht unser Antrag in der Neufassung der Bestimmungen des § 3 davon aus, eine Versagung der Anerkennung als Sowjetzonenflüchtling festzulegen. Eine Neufassung des § 3 mit dem Ziel der Anerkennung der großen Masse aller jener Deutschen ais Sowjetzonenflüchtlinge, die aus achtenswerten Gründen die Zone verlassen haben, wird schließlich auch berücksichtigen müssen, ob und in welchem Umfang allen diesen Deutschen jetzt noch die besonderen materiellen Vergünstigungen gewährt werden können, die für Sowjetzonenflüchtlinge vorgesehen sind. Obwohl diese Vergünstigungen an sich nicht übermäßig umfangreich sind, würde jedoch zum Beispiel die nachträgliche Gewährung etwa der Hausratshilfe aus dem Härtefonds des § 301 7234 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1960 LAG an alle Sowjetzonenflüchtlinge im Sinne der erstrebten Änderung des § 3 BVFG nicht nur einen erheblichen finanziellen Aufwand erfordern, sondern in einer großen Zahl von Einzelfällen auch nicht mehr als berechtigt erscheinen, und zwar in jenen Fällen, in denen diese Sowjetzonenflüchtlinge bereits aus eigener Kraft oder durch andere Hilfen einen erträglichen Lebensstandard erzielt haben. Es ist deshalb vorgesehen, daß derartige Leistungen noch nicht in das wirtschaftliche und soziale Leben in einem nach ihren früheren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zumutbaren Maße im Sinne des § 13 des Bundesvertriebenengesetzes eingegliedart sind. Wir hoffen sehr, daß von keiner Seite in der Richtung argumentiert wird, daß eine solche Änderung des § 3 des Bundesvertriebenengesetzes unausweichlich eine Sogwirkung zur Folge haben könne. Ich möchte von vornherein bereits darauf hinweisen, daß sich aus Veröffentlichungen des Bundesministeriums eindeutig ergibt, daß sich der Zustrom aus der SBZ nach Wegfall der hohen Ablehnungsquote im Aufnahmeverfahren keineswegs verstärkt hat, und daß eine graphische Darstellung des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte die Flucht aus der SBZ als eine Folge der dortigen politischen und sozialen Verhältnisse dargestellt hat. Damit hat das Ministerium selbst dokumentiert, daß die Fluchtzahlen nicht auf besseren Betreuungsmaßnahmen in der Bundesrepublik beruhen, sondern von Maßnahmen innerhalb der Zone abhängig sind. Wir sollten deshalb in dieser Zeit auf Grund der politischen Entwicklung und der Erfahrungen damit aufhören, von einer Sogwirkung zu sprechen. Die Forderung, eine Änderung der gesetzlichen Grundlage für den Flüchtling anzustreben, wird in immer stärkerem Maße von vielen Seiten seit langer Zeit gefordert. Wir bedauern, daß dem Hause von Seiten des zuständigen Ministeriums bislang noch keine Reformvorschläge vorgelegt wurden. Mit Verwaltungsmaßnahmen, mit Verordnungen, mit Richtlinien und Anweisungen können wir dieses Problem nicht entscheidend beeinflussen, können wir auch den Menschen aus der Zone, die auf Grund ,der politischen Entwicklung — und ich möchte noch einmal sagen, auf Grund der politischen Zwangslage, in der sich alle Menschen in der Zone befinden — nicht mehr gerecht werden. Wir sollten endlich damit aufhören, die unnatürliche Aufteilung in die große Masse der nicht Anerkannten und die kleine Gruppe der Anerkannten fortzusetzen, weil sie nicht nur als unbefriedigend angesehen werden muß, sondern weil sie von den Betroffenen als ungerecht empfunden und weil sie auch der politischen Situation nicht gerecht wird. Die Situation zwingt deshalb zu neuen grundsätzlichen Überlegungen des Problems und zwingt uns zu einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen des bestehenden Flüchtlingsrechtes. Frau Korspeter
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ewald Bucher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Notwendigkeit einer Notstandsgesetzgebung wird von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei bejaht. Wir möchten sogar, wenn wir von der Tatsache der Einbringung eines Notstandsgesetzes hören, ausrufen: endlich! Wir haben schon anläßlich der Beratung des Wehrpflichtgesetzes darauf hingewiesen, daß es heutzutage einer umfassenden Verteidigungspflicht bedarf und daß zu den dazu notwendigen Gesetzen auch ein Notstandsgesetz gehört.
    Um so mehr bedauern wir einmal die Art und Weise, in der dieses Gesetz eingebracht worden ist, und dann auch einige Einzelheiten, die es enthält. Der Herr Bundesminister des Innern hat zu Beginn seiner Einbringungsrede von einem historischen Tag gesprochen. Er hat am Schluß seiner Ausführungen die Situation in Berlin in einer Weise bemüht, die ich für nicht ganz passend halte. In Zusammenhang mit diesem Gesetz hat er von Schecks gesprochen, die eingelöst werden müßten, aber nicht genau gesagt, wer diese Schecks ausgestellt hat.
    Um so mehr wundert man sich dann, daß sich die Bundesregierung bei einer als so historisch bedeutsam bezeichneten Sache nicht bemüht, mit der Opposition Fühlung zu nehmen, bevor das Gesetz eingebracht wird. Der Verdacht liegt nahe, daß hier einmal wieder ein schwarzer Peter zugeschoben werden soll, daß nämlich gesagt wird: Wenn ihr von der oder jener Seite des Hauses dieses Gesetz ablehnt, etwa deshalb, weil ihr erklärt: „Grundsätzlich ja, aber nicht so" —, dann wird in der Öffentlichkeit



    Dr. Bucher
    eben der Eindruck erweckt: Aha, die sind wieder einmal dagegen!
    Ich habe deshalb zu Beginn meiner Ausführungen ausdrücklich betont, daß wir grundsätzlich die Notwendigkeit einer Notstandsgesetzgebung bejahen. Eine solche Gesetzgebung ist in jedem demokratischen Staat erforderlich und nur in einem demokratischen Staat; denn der totalitäre Staat lebt ja im Zustand permanenten Notstandes. Wir kennen aus der Geschichte das populärste Beispiel einer Notstandsgesetzgebung, die funktioniert hat: in der Römischen Republik, wo es die Einrichtung des Diktators auf Zeit gab, der in Notfällen gerufen werden konnte. Es gab jenen bekannten Mann namens Cincinnatus, der vom Pflug weggeholt wurde, und das sogar zweimal.
    Es lohnt sich, wenn wir uns mit der Ausgestaltung eines Notstandsrechts befassen, auf die grundsätzliche Frage einzugehen, weshalb eigentlich ein Notstandsgesetz erforderlich ist. Nun, sicher nicht nur wegen des Art. 5 des Deutschlandsvertrages. Ich messe dem Artikel nicht die große Bedeutung bei, die ihm, zwar nicht in diesem Hause, aber in der öffentlichen Diskussion, beigemessen wurde. Man sprach davon, es sei ein „kategorischer Imperativ nationaler Ehre", die Kontrollmöglichkeiten, die in Art. 5 enthalten sind, durch ein eigenes, deutsches Notstandsgesetz zu beseitigen. Es herrschte auch ziemliche Unklarheit darüber, was der Art. 5 verlangt. Ich darf nur in Ihre Erinnerung zurückrufen, was der Vertreter der Bundesregierung im Ausschuß, Herr Professor Grewe, und der Berichterstatter hier im Hause, Herr Kollege Furler, damals sagten: Art. 5 beziehe sich nur auf den äußeren Notstand. — Aber das kann, wie gesagt, heute dahingestellt bleiben.
    Ich bin außerdem auch nicht der Ansicht, daß die Notstandsbefugnisse, die der Exekutive zugeteilt werden sollen, aus der Stellung der Exekutive als einer Art Obrigkeit abzuleiten seien. Herr Kollege Schäfer hat davon gesprochen, daß hier noch Vorstellungen vom Gottesgnadentum spukten. Ich werde Vorstellung auch nicht ganz los, schon wenn ich höre, wie der Herr Bundesinnenminister erklärt: Der Notstandsfiall ist die Stunde der Exekutive. Na ja, gut; daran ist vieles richtig, aber der Ton macht die Musik. Und ich sage ganz offen: wir haben diesen Ton nicht gern.
    Die Notwendigkeit einer Notstandsregelung liegt ganz einfach darin, daß man sonst den Wettlauf mit der Zeit nicht aushält. Genauso wie im Strafrecht idem einzelnen ein Notwehrrecht in den Fällen gegeben ist, in denen er nicht mehr die Zeit hat, die Gerichte 'in Bewegung zusetzen, um sich gegen ein Unrecht zu verteidigen, genauso muß dem Staat ,die Möglichkeit gegeben werden, nicht in Zeitdruck zu kommen, wenn Gefahr ist. Das ist der ganz schlichte, simple Grund für jede Notstandslösung. Dabei stellen stich zwei Hauptprobleme. Das erste möchte ich das Problem der Identität nennen. Das ist die Frage: Ist derjenige, der den Notstand in Anspruch nimmt, der also den Ausnahmezustand verhängt, wirklich der Staat, oder maßt er sich diese Rolle nur an, ist er ein Usurpator?
    Das zweite Problem liegt darin, daß im Gegensatz zur Notwehr des einzelnen im Notstand auch Maßnahmen ergehen können und müssen, die sich nicht nur gegen unrechte Handlungen wenden, sondern auch gegen rechtmäßige Handlungen, also Einschränkung von Grundrechten usw. Aus diesen beiden Hauptfragen ergibt sich die Aufgabe, eine Regelung zwischen ,der Szylla des Überhaupt-nichts-
    Tuns und der Charybdis zu großer Vollmachten für die Exekutive zu treffen.
    Wir haben hier das heute schon mehrfach zitierte mahnende Beispiel des Art. 48 der Weimarer Verfassung vor Augen, des Art. 48, der zunächst, in den Jahren 1921 und 1922, durchaus korrekt und sinngemäß angewandt wurde, der aber später als bequemer Weg zur Aushilfsgesetzgebung mißbraucht wurde, mit dessen Hilfe ja sogar, glaube ich, Reblausbekämpfung betrieben wurde und Steuerermäßigungen verordnet wurden und der schließlich noch schlimmer mißbraucht wurde, nämlich um die Türe für die Gewaltherrschaft zu öffnen. Man kann nun freilich sagen und sagt es sicher mit Recht: Nicht der Art. 48 hat das Hitlerregime ermöglicht, Hitler wäre trotzdem gekommen. Wir dürfen aber licht übersehen — und das sage ich gegenüber all denen, die es als kleinlich bezeichnen, wenn man möglichst viele Schranken der Rechtssicherheit auch in ein Notstandsrecht einbauen will —, daß eine Gewaltherrschaft, bei der die Regierung — und wenn auch nur unter dem Schein der legalen Benutzung bestehenden Rechts — an die Macht kommt, natürlich dauernd damit operieren kann. Es hat also zumindest bedeutende psychologische Fernwirkungen, wenn man von vornherein zu große Vollmachten festlegt, die die Möglichkeit geben, auf legale Weise oder, sagen wir, scheinbar legitime Weise ein Gewaltregime zu errichten.
    Denken wir doch daran, daß zum Beispiel jenes unselige Ermächtigungsgesetz noch in der Diskussion um die Männer des 20. Juli eine Rolle gespielt hat, indem die Gegenseite sagt: Ja bitte, wir können doch darauf hinweisen, daß dieses System, dem wir geschworen haben, seinerzeit völlig legal an die Macht gekommen ist. Es liegt mir dabei natürlich — das möchte ich betonen — völlig fern, Kritik an den Männern zu üben, die seinerzeit jenem Gesetz zugestimmt haben. Ich sehe mich dazu nicht in der Lage; denn hintennach ist es für uns natürlich viel leichter, über eine Situation zu urteilen, die damals völlig neu und einmalig war und bei der diese Männer vor einer sehr schweren Entscheidung standen. Aber objektiv betrachtet sollte uns gerade dieser Vorgang eine Warnung sein, zu weitgehende Vollmachten zu geben. Ich glaube, Sie ersehen aus diesen Ausführungen — Herr Kollege Kanka, Sie haben so viel vom Mißtrauen gesprochen —, daß ich mich keineswegs von einem Mißtrauen etwa gegenüber der derzeitigen Bundesregierung oder Bundestagsmehrheit leiten lasse, sondern an ganz andere mögliche Entwicklungen denke.
    Das Grundgesetz hat diesen Weg des Art. 48 vermeiden wollen, und ich anerkenne ohne weiteres,



    Dr. Bucher
    daß der vorliegende Entwurf ihn in der Generalklausel, die er vorsieht, auch vermeidet. Diese Generalklausel spricht ja davon, daß die Maßnahmen, die hier verlangt werden, „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche Grundordnung des Bundes oder der Länder" notwendig sein müssen. Es ist auch ohne weiteres zuzugeben, daß die bestehenden Bestimmungen nicht ausreichen, insbesondere nicht der Art. 91 des Grundgesetzes, wo der Polizeinotstand vorgesehen ist, der für wirkliche Notfälle nicht genügt. Hier stimme ich mit Herrn Kollegen Kanka überein. Auch die Art. 59 a und 65 a genügen nicht; denn sie regeln nicht, wie oft behauptet wird, den äußeren Notstand. Sie schaffen nur für den äußeren Notstand klare Befehlsverhältnisse für die Bundeswehr, nicht aber für den ganzen übrigen Teil des Volkes. Nur der Oberbefehl ist ja hier geregelt, und infolge des Oberbefehls und der davon abhängenden Disziplinarhierarchie weiß die Bundeswehr, was sie zu tun hat, nicht aber die Zivilbevölkerung.
    Wenn wir nun den vorliegenden Entwurf im einzelnen ansehen — und zwar an Hand der beiden Hauptprobleme, die ich vorhin erwähnt habe: erstens, wer den Notstand feststellt, und zweitens, wie die Notstandsbefugnisse im einzelnen ausgestaltet werden —, so ergibt sich folgendes: Prinzipiell ist nach diesem Entwurf der Bundestag zuständig zur Feststellung des Notstandes. Das ist richtig so. — Es mag wohl sein, daß diese prinzipielle Zuständigkeit weithin Theorie bleibt in einer Zeit, wo Atomkriege möglich sind, in einer Zeit, wo Kriegserklärungen nach biederem altem Muster längst nicht mehr ausgetauscht werden, sondern wo man sich einfach gegenseitig überfällt. In einer solchen Zeit mag es vielleicht allzu theoretisch erscheinen, in erster Linie ein so umfangreiches Organ wie ein Bundesparlament hier als zuständig zu bestimmen. Trotzdem ist an dieser grundsätzlichen Zuständigkeit festzuhalten; denn wir können ja gar nicht voraussehen, welche Fälle eintreten. Es kann auch ganz anders kommen, als man sich dies für den schlimmsten Fall vorstellt. Es ist vor allem wohl kaum möglich, eine klare Abgrenzung zwischen innerem und äußerem Notstand zu finden. Ein Fall, der für uns sehr wohl denkbar ist, wird etwa der Kombinationsfall von innerem und äußerem Notstand sein, d. h. also ein innerer Notstand, der durch subversive oder auch offene Einwirkung von außen hervorgerufen ist.
    Bei dieser Feststellung durch den Bundestag begnügt sich der Entwurf der Bundesregierung mit einfacher Mehrheit. Ich möchte trotz aller Bedenken doch zu erwägen geben, ob eine Zweidrittelmehrheit, eine wirklich qualifizierte Mehrheit hier nicht zweckmäßiger wäre. Finnland z. B. sieht eine qualifizierte Mehrheit vor. Die einfache Mehrheit bedeutet praktisch die Regierungsmehrheit, ob es nun diese oder jene Partei ist. Dies bedeutet die Gefahr einer voreiligen und nicht sachbedingten Feststellung des Notstandsfalles.
    Nun kann man natürlich sagen, bei qualifizierter Mehrheit bestehe die Gefahr einer Sabotage durch eine verantwortungslose Minderheit. Aber in beiden Fällen müssen wir in irgend jemand unser Vertrauen setzen, im ersten Fall in das Verantwortungsbewußtsein der Mehrheit, im zweiten Fall in das der Minderheit. Ich meine, es wird doch weniger die Gefahr bestehen, daß sich eine Parlamentsminderheit im Falle eines wirklichen Notstandes der sich daraus ergebenden Verantwortung entzieht, als die Gefahr, daß eine eventuell sehr kleine Parlamentsmehrheit eine Situation, die in Wirklichkeit kein Notstand ist, dazu ausnutzt, um einen Notstand zu ,deklarieren.

    (Beifall bei der FDP und SPD.) Vertrauen müssen wir also so oder so haben.

    Ich glaube, auch das Argument stimmt nicht, das der Herr Bundesinnenminister heute angeführt hat: wenn man die Zweidrittelmehrheit für die Einführung des Notstandes bestimme, dann müsse man sie auch für die Aufhebung vorsehen. — Das ist ein logischer Fehlschluß. Logisch könnte man sagen: Wenn für die Einführung des Notstandes zwei Drittel notwendig sind, dann sind auch für die Fortdauer des Notstandes zwei Drittel notwendig, also gerade umgekehrt: Für die Aufhebung des Notstandes würde dann eine Stimme mehr als ein Drittel genügen. Das wäre ein logisch möglicher Gedankengang, natürlich kein praktisch zweckmäßiger. Man könnte also die Aufhebung gut mit einfacher Stimmenmehrheit vorsehen. Ich darf zu dieser Frage Ausführungen des bereits mehrfach erwähnten Professors Schneider auf dem internationalen Juristentag zitieren. Er sagt:
    Wenn die verfassungsmäßigen Parteien im eigentlichen Notstand nicht zueinanderfinden, ist das Ende des Rechtsstaates da.
    Das untermauert, was ich vorhin sagte. Man kann doch davon ausgehen, daß im eigentlichen Notstand keine Minderheit so böswillig ist, sich der Erkenntnis der notwendigen Schritte zu entziehen. Er sagt weiter:
    Aber wenn sich eine Gruppe voreilig auf Kosten anderer des Notstandsrechts zu bemächtigen vermag ,so ist es auch da,
    — nämlich das Ende des Rechtsstaates — und zwar schneller als im andern Fall.
    Wie gesagt, man muß über diese Frage noch diskutieren.
    Nun zur Frage der Ersatzlösung, also zur Anordnung des Ausnahmezustandes, falls das Parlament nicht dazu imstande ist. Auch für diese Ersatzlösung sollte, so meinen wir, ein Minimum an Gewaltenteilung erhalten bleiben. Sehr wesentlich ist zunächst einmal der Anknüpfungspunkt: in welchem Fall tritt die Ersatzlösung ein? Herr Kollege Schäfer hat bereits auf die merkwürdige Abweichung gegenüber dem Art. 59 a — beim Verteidigungsfall — hingewiesen. Hier ist nämlich plötzlich nicht davon die Rede, daß dem Zusammentritt des Bundestages Hindernisse entgegenstehen, sondern der Beschlußfassung. In ihrer Begründung begnügt sich die Bundesregierung mit der ominösen Floskel, das gelte mit der Maßgabe, daß auf die Möglichkeit der



    Dr. Bucher
    Beschlußfassung des Bundestages, nicht seines Zusammentritts abgestellt sei. Eine wirklich stichhaltige Begründung, warum diese Abweichung notwendig ist, ist uns bis heute noch nicht gegeben worden, und wir warten mit einigem Interesse darauf.
    Ich will nicht so weit gehen wie Herr Schäfer, der ein Zitat von Herrn Ministerpräsident Zinn gebracht hat: es könnte so aufgefaßt werden, als ob dann Hindernisse der Beschlußfassung des Bundestages entgegenstehen, wenn der Bundestag nun eben nicht wolle. Jedenfalls können wir eine Aufklärung erwarten, was der Sinn dieser doch auffallenden Abweichung sein soll.
    Auch ich halte es für möglich, daß, bevor man nun sofort dem Bundespräsidenten das Recht zur Verkündung des Ausnahmezustandes gibt, vorher noch ein kleines Gremium sozusagen dazwischengeschaltet wird. Das brauchen gar nicht die erwähnten zweimal elf Persönlichkeiten aus Bundestag und Bundesrat zu sein. Es können auch etwas weniger sein, meinetwegen ein Siebzehner-Ausschuß. Das wäre immerhin ein Mann weniger als die Bundesregierung Mitglieder zählt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich sehe nicht ein, warum im Falle eines Notstandes ein solcher Ausschuß sich nicht ebenso schnell sollte in Bonn oder sonst irgendwo versammeln können wie die Bundesregierung. Wenn ein Notstand wirklich aus heiterem Himmel herunterbricht, ist es für beide gleich schwierig. Wenn man aber die Sache vorher riecht, wären die Mitglieder des Ausschusses, die wissen, daß sie im Falle des Falles diese Aufgabe haben, doch sicher so verantwortungsbewußt, nicht etwa ihren Urlaub in Ländern über dem Meere zuzubringen, genauso wie es die Mitglieder der Bundesregierung auch nicht täten. Ein solcher Ausschuß wäre also durchaus praktikabel, und das ist eben das, was ich mir unter dem Prinzip vorstelle, ein Minimum an Gewaltenteilung zu erreichen.
    Ob der Bundesrat dabei eingeschaltet werden kann wie er wünscht, ist mir sehr fraglich; denn hier ,ist die Sache insofern komplizierter, als die Mitglieder des Bundesrates erst Weisungen ihrer Kabinette einholen müssen. Ich glaube, man muß auch bedenken: die Aufgabe des Bundesrates ist ja in erster Linie die Wahrung der föderalistischen Gliederung des Bundes, und ,diese Aufgabe tritt natürlich — bei allem Respekt, den wir vor ihr haben — im Falle eines Notstandes erheblich zurück. Demgegenüber ist die Aufgabe des Bundestages die Wahrung der Grundrechte, und diese bleibt auch während des Notstandes bestehen.
    Nun zu der zweiten Frage, welche Grundrechte eingeschränkt werden müssen, also wie weit der Ausnahmezustand gehen soll. Selbstverständlich soll hier das Prinzip gelten, daß die Macht des Staates möglichst wenig weit ausgedehnt werden soll und daß die Grundrechte möglichst unangetastet bleiben sollen. Natürlich kann man sich nicht der Erkenntnis entziehen, daß hier erhebliche Einschränkungen notwendig sind. Jedenfalls erscheint uns zu diesem Punkt der Vorschlag, den der Bundesrat gemacht hat, besser als der der Bundesregierung. Er geht ins einzelne, ist detaillierter und substantiierter. Man kann auch an einen Vorschlag, den Professor Eschenburg gemacht hat, denken, der einen Negativkatalog einfügen will, in dem z. B. steht, daß das Wahlgesetz oder das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht nicht angetastet werden darf. Ich halte es nicht für notwendig, eigene Bestimmungen über die Verfassungsgerichtsbarkeit in ein Notstandsgesetz hineinzusetzen. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle ergibt sich ja aus den bestehenden Gesetzen. Aber es wäre, glaube ich, den Bedenken von Herrn Schäfer auch Rechnung getragen, wenn in Form einer solchen Negativliste bestimmt würde, daß etwa das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht im Notstandsfalle nicht angetastet werden darf.
    Ich fasse zusammen. Dem Gesetz so, wie es jetzt vorliegt, könnte meine Fraktion nicht zustimmen. Wir beanstanden sehr ernsthaft die merkwürdige Bestimmung über Hindernisse für die Beschlußfassung — statt Hindernisse für das Zusammentreten — als Auslösungsgrund für die Ersatzzuständigkeit des Bundespräsidenten, und wir geben zu bedenken, ob nicht in folgenden Punkten eine Änderung getroffen werden sollte:
    Erstens: Qualifizierte Mehrheit für Verhängung des Ausnahmezustandes.
    Zweitens: Einschaltung eines eigenen parlamentarischen Gremiums, etwa nach Art des Ausschusses zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung, eines kleinen Notstandsparlaments.
    Drittens: Präzisere Formulierung der möglichen Einschränkung der Grundrechte.
    Viertens und fünftens — zwei Punkte, die ich nicht eigens erwähnt habe, nur in der Zusammenfassung noch erwähnen will —:
    Viertens: Man muß auch an die Möglichkeit denken, einen sachlich und örtlich beschränkten Ausnahmezustand zuzulassen, der dann allerdings nur mit qualifizierter Mehrheit durch den Bundestag beschlossen werden könnte; denn hier handelt es sich ja offensichtlich nicht um einen totalen Ausnahmezustand, und hier wären erhöhte Rechtsgarantien erforderlich.
    Fünftens: Es ist auch an den Fall zu denken — der, glaube ich, auch heute schon erwähnt wurde —, daß die Zentrale nicht aktionsfähig ist, dagegen die untergeordneten Verwaltungs- und Regierungsgliederungen in Gemeinden und Ländern, ohne daß der Ausnahmezustand bereits verkündet ist. Auch dieser Fall sollte im Gesetz geregelt werden.
    Nun, trotz all dieser Beanstandungen, die es uns, wie gesagt, unmöglich machen würden, dieser Formulierung des Gesetzes zuzustimmen, möchten wir aber doch nicht so weit gehen, wie es der Geschäftsordnungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion will, daß nämlich dieser Gesetzentwurf überhaupt von der Tagesordnung abgesetzt wird. Denn wir halten wie gesagt, die baldige Verabschiedung eines Notstandsgesetzes für erforderlich. Und wenn man betrachtet, wie der Bundesrat mit dem Gesetz ver-



    Dr. Bucher
    fahren ist, so sieht man ja: er hat das Gesetz nicht gerade freundlich behandelt, sondern praktisch einen eigenen Entwurf danebengestellt, und er hat dies — und das veranlaßt mich auch zu unserem Vorschlag — auch mit Stimmen von Ländern getan, die von der CDU regiert werden. Das veranlaßt mich doch zu der Hoffnung, daß wir, wenn auch die Regierung einen nicht geeigneten Entwurf vorgelegt hat, in der Zusammenarbeit in diesem Hause auch mit der Fraktion der CDU/CSU zu einer Lösung kommen werden, die wirklich die für die Verfassungsänderung erforderliche Mehrheit findet.
    Aus diesem Grunde stimmen wir also der Ausschußüberweisung des Entwurfs zu.

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren, vereinbarungsgemäß wird die Sitzung jetzt unterbrochen bis 14.45 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.40 bis bis 14.49 Uhr.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard Jaeger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.