Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 1591 und 1592 in seiner 99. Sitzung am 10. Februar 1960 in erster Lesung beraten und sie dem Ausschuß für Wiedergutmachung — federführend — und dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — mitberatend — überwiesen. Der federführende Ausschuß hat die Gesetzentwürfe am 10. März 1960 abschließend erörtert und sie einstimmig gebilligt. Der mitbeteiligte Ausschuß hat dem Ausschuß für Wiedergutmachung am gleichen Tage mitgeteilt, daß auch er den Gesetzentwürfen zustimme.
Der Ausschuß für Wiedergutmachung, dessen Aufgabe es seit seiner Konstituierung ist, sich mit Fragen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts sowohl in materieller als auch in ideeller Hinsicht zu befassen, hat mit den beiden Abkommen eine Materie erörtert, die ihre Grundlage nicht in der innerstaatlichen Gesetzgebung hat. Der Nationalsozialismus hat seine Gewalttaten ja nicht nur in den Gebieten des Deutschen Reiches verübt, sondern er hat, wenn er irgendwelche anderen Länder besetzt hatte, dieselben Gewaltmaßnahmen sofort auf diese Länder ausgedehnt. Die Menschen aus den besetzten Gebieten, die nicht mit dem Nationalsozialismus einverstanden waren, kamen ebenso wie die Gegner des Nationalsozialismus im Altreich in die Gefängnisse, in die Kerker, in die KZs. Ich glaube, ich brauche heute von dieser Stelle aus nicht mehr daran zu erinnern, wieviel Millionen unglücklicher Opfer diese Zeit des Nationalsozialismus gekostet hat. Aber ich glaube, es ist gerade in der gegenwärtigen Zeit notwendig, immer wieder daran zu erinnern, weil ja allzu leicht vergessen
Frenzel
wird, was in dieser unglücklichen Zeit geschehen ist.
Die Bundesrepublik hat als Nachfolgestaat des ehemaligen Deutschen Reiches versucht, soviel wie möglich von diesen Verbrechen wiedergutzumachen. Von einer Wiedergutmachung, wie wir sie uns vorgestellt haben, kann natürlich keine Rede sein; denn Tote kann man nicht mehr lebendig machen und jene, die zum Los des Krüppels und zu Siechtum verurteilt sind, kann man nicht mehr gesund werden lassen. Es ist aber notwendig, daß der Deutsche Bundestag, wenn er einmal die Gelegenheit hat, dieser Opfer zu gedenken, es immer wieder tun sollte mit der Verpflichtung, daß die Wiedergutmachung, wie wir sie uns vorgestellt haben, so bald, so schnell und so gut wie irgend möglich zum Abschluß gebracht wird.
Gerade in der Frage der individuellen Wiedergutmachung liegt noch vieles im argen. Nicht nur der Ausschuß für Wiedergutmachung und alle jene Stellen, die sich damit beschäftigen, sollten immer wieder versuchen, das Beste herauszuholen, sondern wir alle, die wir als Volksvertreter in diesem Hohen Hause sitzen, sollten auch die Aufgabe nicht verkennen, die uns die Wiedergutmachung auferlegt hat.
Ich habe festgestellt, daß in den „Frankfurter Heften" vom 2. Februar zu unserem Bedauern leider allzu wahre Tatsachen über die Entschädigungsleistungen an Opfern der Menschenversuche aus der nationalsozialistischen Zeit mitgeteilt worden sind. Es muß unsere Aufgabe sein — ich habe das Gefühl, daß alle Willigen in diesem Staate dazu bereit sind —, hier schnellstens Abhilfe zu schaffen und die Wiedergutmachung zu dem zu machen, als das sie von uns vorgesehen gewesen ist.
Betrachten wir heute das Ausland, so darf ich wohl sagen, daß es ohne Wiedergutmachung keine deutsche Außenpolitik hätte geben können. Das ist nicht nur eine Frage, die uns oftmals im Ausschuß für Wiedergutmachung beschäftigte, sondern es ist eine Tatsache, der sich auch verantwortliche Minister nicht verschließen können. Gerade die antideutsche Propaganda, die gegenwärtig in England wieder im Gange ist und der wir entgegenwirken müssen, kann immerhin zumindest abgeblasen werden, wenn es uns gelingt, auch die Verhandlungen über die von dort geforderten Wiedergutmachungsleistungen bald zu einem glücklichen Abschluß zu bringen.
Norwegen und Dänemark hatten sich gleichzeitig mit 9 anderen Ländern an die Bundesrepublik gewandt, um Wiedergutmachungsleistungen zugunsten derjenigen Angehörigen ihrer Staaten zu erwirken, die durch die deutsche Entschädigungsgesetzgebung nicht berücksichtigt werden; nach dem Bundesentschädigungsgesetz haben, abgesehen von Staatenlosen und Flüchtlingen, die unter gewissen Voraussetzungen Entschädigungsleistungen erhalten, grundsätzlich nur solche Opfer des Nazismus gesetzliche Ansprüche, die ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik oder im Deutschen Reich in den Grenzen von 1937 haben oder hatten.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat bei der Beratung im Ausschuß vorgetragen, daß sich die Bundesregierung über die bestehende Rechtslage hinaus gerade auch im Bewußtsein der menschlichen Bedeutung dieser Wiedergutmachungsleistungen bereit erklärt hatte, in Verhandlungen über solche Leistungen einzutreten. Der Ausschuß hat mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß es in verhältnismäßig kurzer Zeit gelungen ist, wenigstens zwei dieser Abkommen — mit Norwegen und mit Dänemark — abzuschließen. Wir haben ebenfalls mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß zwei weitere solche Abkommen vor dem Abschluß stehen. Wir möchten nur den Wunsch aussprechen, daß es nicht allzu lange dauern wird, bis solche Globalabkommen mit allen neun Staaten, die Forderungen an die Bundesrepublik gestellt haben, durchgeführt werden können.
Aus den Ihnen nun vorliegenden Vertragstexten und der Denkschrift zu den Zustimmungsgesetzen ist ersichtlich, daß sich die Bundesrepublik verpflichtet hat, Norwegen 60 und Dänemark 16 Millionen DM an Wiedergutmachung zu leisten. Zwei Drittel dieser vorgesehenen Beträge müssen bis zum 1. Mai dieses Jahres gezahlt werden. Die Leistungen sollen zugunsten derjenigen Angehörigen dieser Staaten erfolgen, die aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung Verfolgungsmaßnahmen des nazistischen Regimes ausgesetzt waren.
Selbstverständlich kann es nicht unsere Aufgabe sein, über die Verteilung dieser Gelder zu bestimmen. Aber wie mir bekannt ist, haben sich die in Betracht kommenden Regierungen mit ihren Verbänden der Verfolgten in Verbindung gesetzt und haben eine Lösung und einen Schlüssel gefunden.
Meine Damen und meine Herren, der Ausschuß für Wiedergutmachung hat die Beratung dieser beiden Verträge zum Anlaß genommen, alle innen- und außenpolitischen Fragen der Wiedergutmachung, unter anderem auch unter dem Gesichtspunkt neonazistischer Tendenzen, die sich in der letzten Zeit bemerkbar gemacht haben, aufzurollen. Er hat stundenlang darüber diskutiert und ist zu der Auffassung gekommen, daß wir alle die Verpflichtung haben, nach besten Kräften mitzuarbeiten und mitzuwirken, daß die Wiedergutmachung zu jenem befriedigenden Abschluß kommt, den wir uns alle vorgestellt haben.