Rede von
Hans
Geiger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Aber lieber Kollege Ruf, meine berechtigte Sorge ist ja, daß ich daran keinen Zweifel haben kann!
Ich befürchte, daß das, was Sie hier ausführen, etwas ganz anderes ist als das, was Sie meinen, und
als das, was Sie letzten Endes beschließen werden.
Die Erfahrung der Vergangenheit hat uns hier doch gewitzigt; wir brauchen uns hier nichts vorzumachen.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat einen Regierungsentwurf vorgelegt. Er hat bei der Vorlage dieses Regierungsentwurfs davon gesprochen, daß er einen Freudentag habe. Herr Kollege Schellenberg hat bereits gebührend darauf hingewiesen.
Der Herr Minister hat einen Freudentag, weil das Bundeskabinett einstimmig diesen Gesetzentwurf verabschiedet hat. Ich kann mir auch schon deshalb nicht gut vorstellen, daß Sie dem Herrn Bundesminister für Arbeit die Freude verderben wollen. Ich glaube also, Sie werden von diesen Dingen wenig abweichen.
Mit diesem Ausdruck ist auch der Charakter dieser Gesetzesvorlage von vornherein gekennzeichnet gewesen. Das, was bei Millionen Versicherten eine tiefe Erbitterung und Trauer ausgelöst hat, das gab dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Veranlassung, von einem „Freudentag" zu sprechen. Dieser Gesetzentwurf bringt für Millionen Versicherte und ihre Familien eine untragbare Belastung; ich betone das noch einmal mit aller Deutlichkeit. Außerdem beinhaltet er nach übereinstimmendem Urteil aller Fachleute wegen der ihm innewohnenden Tendenz, den rechtzeitigen Arztbesuch zu verhindern, ernste Gefahren für die Volksgesundheit.
Ich kann leider jetzt dem Herrn Kollegen Dr. Franz nicht beistimmen — ich hätte es gern getan, weil er so freundlich gewesen ist — und kann nicht darauf verzichten, festzustellen, daß tatsächlich die Grundlage dieses Gesetzentwurfs ein Mißbrauchdenken ist. Die Grundlage dieses Gesetzentwurfs liegt darin, daß Sie annehmen, die krankenversicherten Menschen oder die Kranken selbst würden mit ihren Krankenkassen und ihren sozialen Einrichtungen Mißbrauch treiben. Dieses Denken über den Mißbrauch belastet die gesamte krankenversicherte Arbeitnehmerschaft noch stärker, als die materielle Belastung es schon tut. Eine derartige Verdächtigung ist einfach nicht gerechtfertigt und kann nicht Grundlage eines Gesetzentwurfes sein.
Dieses falsche Mißbrauchdenken war der Ausgangspunkt und die Grundlage zur Gestaltung dieses Gesetzentwurfs. Logischerweise ist bei einem solchen falschen Ausgangspunkt auch die Schlußfolgerung falsch.
Obwohl der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung — ich muß das immer dazusagen, damit es auch in seiner ganzen Spannweite erfaßt wird — verkündet hat, er wolle Sozialpolitik für vollmündige Menschen machen — das hat er ausdrücklich erklärt —, hat er einen Gesetzentwurf vorgelegt, der wie bisher noch kein Sozialgesetz staatlichen Dirigismus enthält und mit seinem Mißtrauen die Menschen bis in ihre privateste Sphäre hinein verfolgt.
— Ich komme im Verlauf meiner Ausführungen noch darauf und werde mir erlauben, Sie dann darauf aufmerksam zu machen.
— Vielleicht gelingt es mir doch. Ich fürchte, daß es mir gelingt.
Geiger
Ja; es wäre mir sehr viel lieber, ich müßte das nicht nachweisen, Herr Kollege Ruf, und der Gesetzentwurf hätte eine andere Grundlage. Ich komme aber noch darauf; ich weise es Ihnen nach.
Der Gesetzentwurf geht in seiner Gestaltung von der Annahme aus, daß die kranken oder krankenversicherten Menschen unberechtigterweise ärztliche Leistungen in Anspruch nähmen und daß das verhindert werden müsse. Das ist das erklärte Ziel dieses Gesetzentwurfs, das ist auch das erklärte Ziel der Sozialpolitik neuen Stils, von der so viel gesprochen wird.