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ID0310212200

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    1. tocInhaltsverzeichnis
      Deutscher Bundestag 102. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1960 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Wittmann und Dr. Böhm . . . . 5485 A Fragestunde (Drucksache 1609) Frage des Abg. Schneider (Bremerhaven) : Filme antideutscher Tendenz im amerikanischen und kanadischen Fernsehen Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5485 C Frage des Abg. Schmitt (Vockenhausen): Verhalten des Konsuls Karl Julius Hoffmann in New York Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5485 D, 5486 A Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5486 A Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Vorlage des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten an den Bundestag Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5486 B Frau Dr. Hubert (SPD) 5486 D. Frage des Abg. Dr. Bucher: Besetzung der deutschen Botschaft in Paris Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5487 A Frage des Abg. Lohmar: Äußerung des Abg. Gradl in der außenpolitischen Debatte des Bundestages am 10. Februar Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5487 A Lohmar (SPD) . . . . . . . . . 5487 B Frage des Abg. Dr. Werber: Nichtseßhaftenfürsorge Dr. Schröder, Bundesminister 5487 C, 5488 A Dr. Werber (CDU/CSU) . . . . . 5487 D Frage des Abg. Lohmar: Verhalten des Publizisten Schlamm Dr. Schröder, Bundesminister . . 5488 A, B Lohmar (SPD) . . . . . . . . 5488 A, B Frage des Abg. Dr. Arndt: Förderung Münchens als bayerische Landeshauptstadt durch dein Bund Lücke, Bundesminister 5488 C Frage des Abg. Baier (Mosbach): Erstellung von Kinderspielplätzen Lücke, Bundesminister . . 5488 D, 5489 B Baier (Mosbach) (CDU/CSU) . . . 5489 B II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1960 Frage des Abg. Schmitt (Vockenhausen) : Steuerfreiheit bei Abwicklung von Geschäften über Gesellschaften mit dem Sitz in Vaduz Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 5489 C Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5489 C Frage des Abg. Dr. Ratzel: Förderung des Ausbaus eines Ferngasnetzes durch die Bundesregierung Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 5489 D Frage des Abg. Ludwig: Kündigung von 350 deutschen Arbeitern des französischen Militärbetriebs BRM zum Jahresende 1959 Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 5490 B Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Vorlage des Bundeswaffengesetzes für den zivilen Bereich durch die Bundesregierung Dr. Westrick, Staatssekretät 5490 D, 5491 A Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 5491 A Frage des Abg. Dr. Bechert: Aufklärung der Käufer von Freibankfleisch Schwarz, Bundesminister . 5491 B, 5492 A Dr. Bechert (SPD) . . . 5491 C, 5492 A Frage des Abg. Seidel (Fürth): Weiterführung von Karteikarten aus der Zeit vor 1945 bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Blank, Bundesminister . . . . . 5492 B Seidel (Fürth) (SPD) 5492 C Frage des Abg. Jahn (Marburg) : Veröffentlichung von Urteilen im Bundesversorgungsblatt Blank, Bundesminister . 5492 D, 5493 A Jahn (Marburg) (SPD) 5493 A Frage des Abg. Brück: Beeinträchtigung des Königsforstes durch die geplante Bundesstraße 55 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 B Frage des Abg. Brück: Linienführung der Umgehungsstraße von Bensberg zur B 55 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 C Frage des Abg. Schmitt (VOckenhausen): Einführung von Parkscheiben Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 D Frage des Abg. Baier (Mosbach) : Unfälle auf der Autobahn Frankfurt— Mannheim und Mannheim—Heidelberg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5494 B Frage des Abg. Hübner: Einrichtung einer 1. Klasse im Flugverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5495 C Frage des Abg. Schmidt (Hamburg) : Besetzung der Radargeräte im Bereich der Bundesanstalt für Flugsicherung Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5495 D, 5496 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 5496 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Neuregelung der sozialen Krankenversicherung (Drucksache 1298); verbunden mit Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz — KVNG) (Drucksache 1540) — Erste Beratung — Rohde (SPD) 5497 A Blank, Bundesminister . 5498 D, 5527 A Stingl (CDU/CSU) 5508 B Dr. Schellenberg (SPD) 5517 B Dr. Stammberger (FDP) 5527 D Frau Kalinke (DP) 5532 C Dr. Franz (CDU/CSU) 5545 A Frau Dr. Hubert (SPD) 5547 C Schneider (Hamburg) (CDU/CSU) 5550 B Dr. Bärsch (SPD) . . . . . . . 5554 C Mischnick (FDP) . . . . . . . 5558 D Geiger (Aalen) (SPD) 5560 C Frau Korspeter (SPD) 5566 B Frau Döhring (Stuttgart) (SPD) . . 5568 A Ruf (CDU/CSU) . . . . . . . 5569 B Börner (SPD) 5571 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . 5572 D Anlage 5573 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1960 5485 102. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr
    2. folderAnlagen
      Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 29. 2. Bauereisen 19. 2. Behrisch 18. 2. Benda 19. 2. Dr. Birrenbach 19. 2. Brand 19. 2. Brüns 2. 7. Deringer 19. 2. Eberhard 27. 2. Dr. Eckhardt 28. 2. Eilers (Oldenburg) 19. 2. Even (Köln) 29. 2. Frau Friese-Korn 27. 2. Geiger (München) 19. 2. D. Dr. Gerstenmaier 17. 2. Glüsing (Dithmarschen) 19. 2. Dr. Greve 17. 2. Dr. Gülich 16. 4. Haage 19. 2. Dr. von Haniel-Niethammer 19. 2. Hellenbrock 19. 2. Dr. Höck (Salzgitter) 20. 2. Horn 19. 2. Hübner 19. 2. Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Illerhaus 17. 2. Jacobs 7. 3. Jahn (Frankfurt) 23. 4. Dr. Jordan 19. 2. Kalbitzer 19. 2. Frau Klemmert 15. 5. Koch 19. 2. Leukert 19. 2. Dr. Lindenberg 19. 2. Lulay 29. 2. Maier (Freiburg) 16. 4. Metzger 18. 2. Mühlenberg 19. 2. Müser 20. 2. Probst (Freiburg) 17. 2. Ramms 19. 2. Scheel 17. 2. Schlick 20. 2. Schultz 17. 2. Dr. Starke 19. 2. Dr. Steinmetz 19. 2. Wehr 23. 4. Frau Welter (Aachen) 27. 2. Werner 24. 2. Dr. Willeke 1. 3. b) Urlaubsanträge Frau Berger-Heise 27. 2. Dr. Leverkuehn 25. 2. Spitzmüller 8. 3.
    • insert_commentVorherige Rede als Kontext
      Rede von Dr. Wolfgang Stammberger


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

      . . . et licet medicis! Sind wir jetzt einig, Herr Präsident, zumindest in diesem Punkt?
      Nun wird den Ärzten mit Recht entgegengehalten, daß sie einen freien Beruf ausübten, daß sie dann auch das Risiko der Geldeinnahme tragen müßten und daß dies alles, wenn sie freie Berufe sein und bleiben wollten, ihrem standespolitischen Ethos durchaus nichts entgegenstehe. Das ist alles richtig, meine Damen und Herren, aber die Dinge müssen so geregelt werden, daß sie Sinn haben. Den haben diese Regelungen im Regierungsentwurf nun einmal leider nicht. Ich sage bewußt: leider, weil wir ja in den Grundsätzen, Herr Minister, übereinstimmen.
      Im Regierungsentwurf wird davon gesprochen, daß durch dieses Gesetz ein verwaltungsmäßiger Mehraufwand von 20 Millionen DM entstehen soll.



      Dr. Stammberger
      Wenn diese Zahl stimmt, kann sie bestenfalls die verwaltungsmäßigen Mehrausgaben der Kasse betreffen. Keinesfalls aber ist darin der erhebliche Verwaltungsaufwand berücksichtigt, der in jeder einzelnen kassenärztlichen Praxis entsteht. Man braucht wirklich kein Kassenarzt zu sein — ich bin ja keiner —, um festzustellen, daß es so ganz einfach nicht geht.
      Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wegen der Sechs-Wochen-Frist und der Sechs-Monate-Frist ein Fristenkalender geführt werden muß, damit der Arzt weiß, wann er jeweils umstellen muß, wann er eine Rechnung zu erstellen hat. Meine Damen und Herren, solche Fristenkalender brauchen in einer Anwaltskanzlei nicht in diesem Umfang geführt zu werden, obwohl wir Anwälte ja mit allerhand Fristen zu tun haben.
      Ich darf darauf hinweisen — und hier scheint es sich um den mangelhaftesten Punkt in dem Regierungsentwurf zu handeln —, daß die Forderung des Arztes in Zukunft zweigeteilt ist. Er bzw. die für ihn handelnde kassenärztliche Vereinigung hat es mit zwei Schuldnern zu tun, nämlich mit dem Patienten bis zur Höhe der Inanspruchnahmegebühr und zum zweiten mit der Kasse für den darüber hinausgehenden Betrag. Das verdoppelt naturgemäß den Verwaltungsaufwand. Dazu kommt, daß der eine Schuldner, die Kasse, die Möglichkeit haben soll, die Schuld des anderen Schuldners, nämlich des Patienten, zu übernehmen. Bis dies ausgefochten ist - unter Umständen sogar durch Anrufung des Sozialgerichts —, sitzt der Arzt da und wartet darauf, daß er sein Geld bekommt. Diese Generalklausel in § 186 Abs. 4, diese Notstandsklausel, wie ich sie einmal nennen darf, dürfte im übrigen im Zuge der nächsten Wahlkämpfe durch ein wohlgeordnetes System von gesetzlich fixierten Ausnahmeregelungen ohnehin so durchlöchert werden, daß von der Inanspruchnahmegebühr nichts mehr übrigbleibt und sie ad absurdum geführt wird. Das Ganze wird auch nicht dadurch einfacher, daß der Herr Bundesarbeitsminister jetzt von einer Beteiligungsbegrenzung nach oben aus sozialen Gründen spricht; es vermehrt nur das Rechnenmüssen in der ärztlichen Praxis.
      Eines der Ziele des Entwurfs soll es sein, die ärztliche Praxis von wirklichen oder angeblichen Bagatellfällen zu entlasten, damit der Arzt mehr Zeit hat, sich um die wirklich Kranken zu kümmern. Aber ich fürchte, Herr Minister, daß durch das Verwaltungssystem, das sich zwangsläufig aus Ihrem Entwurf ergibt, der größte Teil der eingesparten Zeit aufgezehrt wird.
      Die Bundesregierung sagt, daß gerade durch dieses System die Beziehung des Patienten zum Wert der ärztlichen Leistung wiederhergestellt werden soll. Herr Minister, wir sind der gegenteiligen Auffassung. Wir haben das Gefühl, daß Sie durch Ihre Inanspruchnahmegebühr die ärztliche Praxis aus der Sicht des Patienten zu einer Art Einheitspreisgeschäft machen; denn aus der Sicht des Patienten kostet alles 1,50 DM, ob es eine einfache Beratung ist, ob der Arzt des Nachts geholt wird, ob der Arzt sagt: „Husten Sie mal" oder ob es sich um eine
      komplizierte Operation handelt; alles kostet eine Mark fünfzig!

      (Heiterkeit.)

      Nun zu der neuen Gebührenordnung, die ich zum Unterschied von der bisherigen Preugo einmal die Blago, die Blanksche Gebührenordnung taufen möchte.

      (Heiterkeit.)

      Diese Blago steht ebenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederherstellung der Beziehung des Patienten zum Wert der ärztlichen Leistung. Sie sagen ja in Ihrem Entwurf selber, daß sich die Zahl der Leistungsansätze nicht nach der ärztlichen Leistung, sondern nach der Zumutbarkeit der Inanspruchnahmegebühr für den Patienten richte. Hier sind nun die Ärzte mit Recht mißtrauisch geworden; denn, was zumutbar ist, richtet sich natürlich nach dem „langsamsten Schiff im Geleitzug", mit anderen Worten nach dem, der etwa 250 oder 300 DM verdient. Es gibt aber auch Patienten, die 1000 DM und mehr im Monat verdienen. Für diese gilt der gleiche Maßstab. Darin liegt, Herr Minister, nach unserer Meinung, die Unlogik oder zumindest die Ungerechtigkeit Ihres Systems. Was für denjenigen, der 250 oder 300 DM verdient, hart ist, ist für denjenigen, der 1250 DM oder noch mehr verdient, eine Bagatelle.
      In der Begründung des Regierungsentwurfs wird davon gesprochen, daß es nicht zu einem Wechsel des Systems oder zu einer unterschiedlichen Behandlung von Gruppen von Versicherten kommen dürfe, weil nach dem Gesetz alle gleich behandelt werden müßten. Herr Minister, man kann nur gleichgelagerte Fälle gleich behandeln. Man wird aber beim besten Willen nicht behaupten können, daß es sich bei der augenblicklichen Ausdehnung des Versichertenkreises in der sozialen Krankenversicherung nur um gleichgelagerte Fälle handele. Ursprünglich ist die soziale Krankenversicherung das gewesen, was sie nach unserer Überzeugung auch in Zukunft sein muß, nämlich die Hilfe für die sozial Bedürftigsten. Heute sind 80 % und mehr des gesamten deutschen Volkes in der sozialen Krankenversicherung und werden von ihr betreut.

      (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)

      Ich glaube, die Bundesregierung wird die letzte sein, die etwa behaupten dürfte, 80 % unseres Volkes seien sozial bedürftig und müßten in sozialer Hinsicht unterstützt werden. Wir sind daher der Auffassung, daß man zumindest bei den freiwillig Weiterversicherten von dem jetzigen Sachleistungsprinzip abgehen und zum Kostenerstattungssystem übergehen sollte. Nach unserer Ansicht bringt lediglich das Kostenerstattungssystem klare Verhältnisse. Es ist als einziges wirklich geeignet, die Beziehung zwischen Arzt und Patienten wiederherzustellen. Es gibt dem Patienten einen Überblick über die finanziellen Auswirkungen seiner Krankheit, sowohl für ihn selbst wie für die Versichertengemeinschaft. Vor allem aber bringt es Möglichkeiten einer sinnvolleren und gerechteren Kostenbeteiligung als das System des Regierungsentwurfs.



      Dr. Stammberger
      Ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang etwas zitieren, was mein Freund Dr. Richard Hammer, der mein Vorgänger als Vorsitzender des Gesundheitspolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages war, in der zweiten Legislaturperiode für unsere Fraktion zu diesem Problem erklärt hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten, um die ich hiermit bitte, zitieren. Er hat gesagt:
      Wenn man etwa die Idee entwickeln würde, die Naturalleistung, die in der Krankenbehandlung gewährt wird, in der Fürsorge zu gewähren, und wenn man den Fürsorge-Unterstützten einen Korb mit Brot oder mit Fleisch in der Woche aushändigen wollte, dann möchte ich das Gelächter hören, das bei allen fortschrittlichen Sozialpolitikern sofort ausbräche. Naturalleistungen gehören in einen Katalog von Vorstellungen, die heißen: Deputat und Dienstbarkeit und Obrigkeit. Sie passen letzten Endes nicht in einen Staat, von dem wir und alle Parteien dieses Hauses erwarten, daß er von selbstbewußten und freien demokratischen Leuten bewohnt wird.

      (im Regierungsentwurf. Sie finden sie wahlweise — nach Wahl des Versicherten — sowohl bei der Krankenhausbehandlung wie bei der zahnärztlichen Prothetik. So fremd und so neu wäre ,der Gedanke nun wirklich nicht. Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß die bisherigen Grenzen erhalten bleiben sollten, vor allem die Grenze zwischen der Pflichtversicherung und ,der freiwilligen Weiterversicherung. Weiterhin sind wir der Meinung, daß die freiwillige Weiterversicherung bei einem Jahreseinkommen von 15 000 DM grundsätzlich aufhören sollte. Die Vorschläge der Regierung enthalten praktisch keine einzige Ausnahme; denn es dürfte wohl nur wenige Menschen geben, die nach zehnjähriger beruflicher Tätigkeit bereits über ein Jahreseinkommen von 15 000 DM verfügen. Es könnte sich bestenfalls um den einen oder anderen Juniorchef handeln. Wenn die private Krankenversicherung zu ihren Schachener Beschlüssen steht, die ja inzwischen vom Bundesaufsichtsamt genehmigt worden sind, wenn danach also jeder früher Sozialversicherte in die privaten Krankenkassen ohne Ausschlußklausel und ohne Risikozuschlag übernommen werden kann, dann sind wir der Meinung, daß wir mit der freiwilligen Weiterversicherung bei einem bestimmten Betrag Schluß machen sollten; wir meinen, daß Menschen, die im Jahre mehr als 15 000 DM verdienen, nicht in die soziale Krankenversicherung gehören, gleichgültig, wie sie gestaltet ist. Ich möchte noch einiges zu den ärztlichen Gebühren sagen, und zwar zum Wert der Leistungsansätze. Herr Minister, es ist uns wirklich nicht klargeworden, warum Sie das Kassenarztrecht von 1955, das sich doch im großen und ganzen bewährt hat, abschaffen und durch eine Rechtsverordnung ersetzen wollen, also praktisch idurch einen staatlichen Eingriff; ich will das Wort „Preisdiktat" hier vermeiden. So schlecht ist das System doch nicht gewesen, sonst würden Sie es doch nicht in Ihren Entwurf für ,das Verhältnis zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern neu einführen. Wenn Sie es da neu einführen wollen, warum schaffen Sie es denn auf der anderen Seite ab? Sie haben zwar inzwischen gerade in diesem Punkt in Ihrer Pressekonferenz vor einigen Tagen etwas eingelenkt, wahrscheinlich, weil Sie, sagen wir einmal, etwas kalte Füße bekommen haben bei der Überlegung, wie sich das nun in der Praxis auswirken soll. Soll denn diese Rechtsverordnung für alle Kassen gelten und praktisch eine Nivellierung darstellen, weil natürlich auch hier wieder das langsamste Schiff im Geleitzug, also ,die zahlungsschwächste Kasse, den Maßstab abgeben würde? Oder wollen Sie etwa für jede einzelne Kasse, mit der keine Einigung zustande kommt, eine eigene Rechtsverordnung erlassen? Man sollte sich die Wirkung in der Praxis überlegen und sollte eis bei dem bisherigen System belassen. Es besteht nach unserer Auffassung gar kein Anlaß, davon abzugehen. Nun zur Frage der ärztlichen Zulassung. Wir sind als Freie Demokraten — wie könnte es anders sein? — grundsätzlich Anhänger der freien Zulassung jedes frei praktizierenden Arztes, und wir sind damit auch für die freie Arztwahl. Wir verkennen durchaus nicht die Notwendigkeit einer gewissen Steuerung, um das Entstehen von ärztlichen Notstandsgebieten zu vermeiden. Aber, meine Damen und Herren, was der Regierungsentwurf tut, ist zuviel des Guten, und wir haben vor allem das Gefühl, daß bei der für den Krankenhausarzt vorgesehenen zehnjährigen Frist im Hintergrund der Gedanke mitspielt, die bei den Krankenhäusern so gern gesehenen, äußerst schlecht bezahlten Assistenzärzte auf diese Weise mit freiwilligem Zwang zu rekrutieren. Wir sind uns durchaus darüber klar, daß man dem „Patienten Krankenhaus" helfen muß. Aber nicht auf diese Weise, Herr Minister, sondern auf eine ganz andere Weise! Darüber werden wir uns wohl bei den Haushaltsberatungen wieder einmal — alle Jahre wieder! — zu unterhalten haben. So aber geht es nicht! Wir sind der Auffassung, daß jeder Arzt praktisch dann zur Behandlung von Sozialversicherten am Ort seiner Wahl zugelassen werden sollte, wenn er fünf Jahre lang entweder in freier Praxis oder am Krankenhaus oder an einem ihm zugewiesenen Kassenarztsitz tätig gewesen ist. Wir glauben nicht an den Trend zur Großstadt, der dann einsetzen könnte. Wir sind fest davon überzeugt, daß auch bei dem Arzt wirtschaftliche Überlegungen mitspielen werden, ob er nach jahrelanger Tätigkeit auf dem Lande an einem ihm zugewiesenen Kassenarztsitz sich in das finanzielle Risiko einer Praxisneugründung in einer Großstadt stürzen soll, vor allem wenn er dann keine Sicherheit mehr hat, weil man ihm ja keinen „Kassenarzterbhof" mehr zuweisen kann. Lassen Sie mich noch ein weiteres Problem anschneiden: den beratungsärztlichen Dienst. Herr Dr. Stammberger Minister, es spricht eigentlich für den Mangel an Phantasie in Ihrem Beamtenstab, daß man keinen anderen Ausdruck gefunden hat als ausgerechnet den, der sich in der sowjetisch besetzten Zone eines höchst unrühmlichen Daseins erfreut. Da muß ich ganz offen sagen: Warum wollen Sie eigentlich an diesem System etwas ändern? Warum wollen Sie ein System einführen, das zweifellos — etwas überspitzt gesagt, aber das ist einer der Punkte, wo ich mit Herrn Kollegen Schellenberg durchaus einer Meinung bin — den dazwischengeschalteten frei praktizierenden und den Patienten in erster Linie behandelnden Arzt mehr oder weniger als eine überflüssige Übergangsstation ansieht? Wir sind der Meinung, wenn man schon etwas an dem vertrauensärztlichen Dienst ändern will, dann sollte man doch daran denken, ihn zu einem wirklichen Selbstverwaltungsorgan zwischen den Versicherten, zwischen der Versichertengemeinschaft, d. h. den Kassen, einerseits und den behandelnden Ärzten, d. h. den kassenärztlichen Vereinigungen, andererseits auszubauen. Denn wenn auch nicht verkannt werden darf, daß es sich bei diesem vertrauensärztlichen Dienst in erster Linie um eine materielle Zweckmäßigkeit, um eine Kontrolle handelt, deren Notwendigkeit wir durchaus nicht bestreiten wollen, so handelt es sich doch letzten Endes auch um ein ärztliches Tätigkeitsfeld. Nun, meine Damen und Herren, noch eine abschließende Bemerkung. Sie sehen, wie groß die Bedeutung des Entwurfs ist. Es handelt sich um den Entwurf eines Gesetzes, das schließlich für einen großen Teil unseres Volkes die wirtschaftliche Sicherstellung oder zumindest Hilfe im Krankheitsfall verankern soll. Die Probleme der Neuordnung sind groß und vielgestaltig. Wir sollten sie eingehend beraten und uns in keiner Weise unter einen irgendwie gearteten Zeitdruck setzen lassen. Nach unserer Ansicht hätte ein solches Gesetz an den Anfang einer Legislaturperiode gehört, und wir bedauern es sehr, daß sich die Bundesregierung diesen mangelhaften Entwurf durch die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion noch hat herauskitzeln lassen. Denn, meine Damen und Herren, was jetzt kommt, sind wir bereits aus dem 2. Bundestag gewohnt. Dieser Gesetzentwurf wird nunmehr in die Wahlkampfpsychose dieses Hauses hineingezogen werden, und was wir dabei erleben werden, sollten uns eigentlich die schlechten Erfahrungen des 2. Bundestages zur Genüge dargetan haben. Wir möchten auch davor warnen, jetzt in die Psychose zu verfallen, eine Reform nur um einer Reform willen zu machen — ut aliquid fieri videatur —, nur weil man glaubt, zu den Bundestagswahlen irgend etwas vorweisen zu müssen. Zweifellos ist die soziale Krankenversicherung reformbedürftig. Aber nichts zwingt uns zu überstürzten und unüberlegten Maßnahmen, die zwar dem Namen nach eine Reform sind, aber Novelle auf Novelle nach sich ziehen und ein ständiges Flickwerk erforderlich machen würden. Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke. Herr Präsident! Meine Herren und Damen! So amüsant nach einer so vielstündig geführten Debatte auch ein charmanter liberaler Plauderer sein kann und sosehr wir vernünftige liberale Grundsätze als Grundlage unserer Wirtschaftspolitik, unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und unserer Sozialpolitik ansehen, so wenig sicher bin ich, ob liberal sein auch immer vernünftig zu handeln bedeutet. Ob die totale Liberalisierung auf dem Gebiet, über das wir heute sprechen, alle Früchte treiben wird, die Sie erwarten, wird die Zukunft lehren. Der Minister hat mit Recht von der Schwere der Aufgabe gesprochen. Ich will sie nicht dramatisieren. Aber wohl niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß das Interesse an den Fragen der Reform unserer Krankenversicherung, das draußen zunächst die Interessenten zeigten, das aber die Versicherten eines Tages weit mehr beschäftigen wird, sehr ernst und in den Auswirkungen sehr umfassend ist. Der Bundesminister für Arbeit hat heute ein Beispiel dafür gegeben, daß ein Staatsmann und ein Vertreter einer Regierung den Mut haben muß, auch Unpopuläres zu sagen, Unpopuläres zu fordern und den Preis zu nennen, den soziale Leistungen für die Bundesrepublik Deutschland und, wie ich hoffe, einmal für ganz Deutschland kosten. Maßhalten ist eine konservative Tugend, und Maßhalten ist sicher die Parole für die Zukunft der Sozialpolitik. Wenn man die Krankenversicherungsreform nur unter dem Gesichtspunkt eines Schlagwortes, wie es hier geschah, mit dem Hinweis auf den „Stilwandel der Sozialpolitik" betrachtet, begreift man den Bedeutungswandel der Sozialpolitik aus den gegebenen Verhältnissen und Notwendigkeiten nicht. Mein Kollege Stingl hat sehr recht gesagt, die erste Lesung eines Gesetzentwurfs könne immer nur über die großen Grundsatzrichtlinien, über die entscheidenden Fragen Aufschluß geben, in denen die Spannung — wer wollte das bestreiten — nicht nur in der Koalition, sondern im ganzen Hause lebendig ist. Denn ich nehme doch an, daß die Probleme der Volkspartei auch die SPD bewegen, und ich bin überzeugt, daß auch in ihren Reihen verschiedene Meinungen sind. Herr Abgeordneter Rohde sprach von so einer Art Finanzreform. Wenn die Reform der Krankenversicherung nichts anderes wäre als nur die Reform Frau Kalinke der Finanzierung der Leistungen, dann hätte er allerdings mit seinem Einwand recht. (Abg. Stingl: Sehr richtig! — Abg. Rohde: Sehen Sie sich doch den Regierungsentwurf an!)


      (Zustimmung in der Mitte.)


      (Beifall bei der FDP und in der Mitte.)





      (Beifall bei der FPD und der SPD.)


      (Heiterkeit bei der SPD.)


      (Beifall bei der FDP.)


      (Beifall bei der FDP.)


    Rede von Dr. Carlo Schmid
    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
    • insert_commentNächste Rede als Kontext
      Rede von Margot Kalinke


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


      (Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien)




      — Dann haben Sie ihn nicht gründlich gelesen! — Wenn die Krankenversicherungsreform nichts mehr als eine Beitragsreform wäre oder ein Ergebnis der Überlegung, wie man Beiträge möglichst unauffällig erhöhen kann, dann wäre sie auch schlecht angesetzt. Ob wir wirklich zu einer Reform — nicht zu einer revolutionären Umgestaltung, vielleicht zu einer Renaissance - unserer gesetzlichen Krankenversicherung kommen, wird davon abhängen, wie wir die große Fülle der die Krankenversicherung berührenden Probleme meistern und lösen.
      Eines der wichtigsten Probleme, die gemeistert weiden müssen, ist die Anpassung unserer Sozialversicherungssysteme an die veränderte wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche Situation. Fast 30 Millionen Versicherte, mit Angehörigen fast 50 Millionen
      — es wurde schon gesagt: 85 % unserer Bevölkerung —, sind, ob zwangsversichert oder freiwillig versichert, mit sehr unterschiedlichen Risiken in einem System erfaßt, das wiederum sehr unterschiedliche Risiken aufweist: das Problem der Krankenhilfe mit allen Einzelfragen, das Problem der Krankengeldzahlung als Lohnersatzfunktion und schließlich die Krankenhausversicherung. In einer Wirtschaft mit Vollbeschäftigung bringt die Situation der Mitglieder unserer Krankenkassen wieder sehr unterschiedliche Risiken mit sich. Man sehe nur den Kreis der wirklich gesicherten, freiwillig Versicherten, den großen, ständig wachsenden Kreis der pflichtversicherten Frauen, ohne deren Berufstätigkeit eine Vollbeschäftigung in der Wirtschaft nicht denkbar wäre! Man sehe die verschiedenen Einkommensverhältnisse und das Problem der längst übersteigerten Solidarhaftung in — wie heute schon richtig gesagt wurde — keineswegs immer überschaubaren Versicherungsträgern.
      Herr Kollege Schellenberg hat das Problem des Stilwandels mit sehr harten Worten angesprochen. Ich will gleich zu Beginn dazu Stellung nehmen und sagen: lassen Sie uns von einem Bedeutungswandel der Aufgaben der modernen Krankenversicherung sprechen, aber auch von einem Bedeutungswandel der Sozialpolitik in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, die sich nur mit einem freiheitlichen System der Sozialpolitik verträgt. Die Neuzeit und wir Deutschen im besonderen haben sicher verlernt, was die Antike wußte. Die Freiheit der Menschen ist davon bestimmt, wie weit er den Verlockungen und Parolen seiner Zeit Widerstand leisten kann und wie weit er auch den Verlockungen der Macht widersteht. Maßhalten und Verantwortungsbewußtsein heißt die Parole.

      (Zuruf von der SPD)

      — Ich antworte Ihnen gleich. — Schwierigkeiten bestehen in der Krankenversicherung nicht nur — wieviel einfacher wäre es sonst — in der Meisterung des Problems, das Arzt-Patient-Verhältnis, das Versicherten-Krankenkassen-Verhältnis zu verbessern. Schwierigkeiten bestehen auch in der Auseinandersetzung um das Beharrungsvermögen, in der Vorstellungswelt der Institutionen auf beiden Seiten: bei den Versicherten, bei den Krankenkassen und bei den ärztlichen Organisationen.
      Der Geschäftsführer einer Krankenkasse, der Funktionär — das Wort wird leicht übelgenommen, obwohl es nun einmal kaum ein klareres gibt — einer Organisation, aber auch der eines Kassenverbandes denkt anders und löst sich schwerer von Vorstellungen, als es vielleicht der eine und der andere von uns aus der Sicht der größeren Zusammenhänge tun kann.
      In der Regierungserklärung vom Oktober 1957 ist gesagt worden, daß es Zeit sei, Folgerungen aus der veränderten gesellschaftlichen Struktur unseres Volkes zu ziehen, daß es Zeit sei, sich darüber zu freuen und Konsequenzen daraus zu ziehen; daß weite Teile der Bevölkerung erfreulicherweise in höhere Einkommensschichten aufgestiegen seien und damit weitgehend für sich selbst sorgen könnten. Nach Meinung meiner Fraktion ist die Zielsetzung der Bundesregierung richtig, wenn sie entschlossen ist, den Gedanken der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der privaten Initiative in jeder Weise mehr als bisher zu fördern und damit auch das Abgleiten in einen Zustand zu verhindern, der immer wieder Inhalt der Auseinandersetzungen ist: nennen Sie ihn nun mit einer freundlichen Verbeugung Wohlfahrtsstaat oder nennen Sie ihn — von der anderen Seite — mit einem gewissen Grauen Versorgungsstaat. Im Grunde geht es um dasselbe, um die Frage der Grenze dessen, was ein Staat für seine Bürger tun muß und was er von den Bürgern als eigene Verantwortung verlangen kann.

      (Abg. Stingl: Sehr gut!)

      Der Generalsekretär für die Sozialreform, Herr Dr. Jantz, hat im Bulletin vom 24. November 1959 erklärt, daß die Ausgestaltung der Krankenversicherung nicht lediglich in einer quantitativen Erhöhung und Vermehrung von Leistungen bestehen darf. Ich kann ihm darin nur zustimmen. Eine moderne Krankenversicherung muß sich vielmehr an die veränderte Aufgabenstellung anpassen, aber auch an die veränderte Einstellung des Menschen zur Krankheit, zur Gemeinschaft, zur Verpflichtung in der Solidarhaftung. Die Einstellung des Menschen zu seiner Versicherung als einer Schutzgemeinschaft auf Gegenseitigkeit hat sich gewandelt, auch wenn Sie es bestreiten. Auch die Einstellung der Versicherten zum Arzt hat sich gewandelt. Die Höhe der laufend gestiegenen Sozialbeiträge hat dazu beigetragen, daß man für jeden — als zu hoch empfundenen — Beitrag mehr und weitere Leistungen verlangt. Das System des Krankenscheins, für den man scheinbar alles umsonst bekommt, ist mit schuld daran, daß von dem Arzt und von der Krankenversicherung alles, auch die kleinste alltägliche Hilfe, erwartet wird. Ein System, das vor 75 Jahren sicher noch das fortschrittlichste der Welt war, paßt nach Auffassung meiner politischen Freunde nicht mehr in allen Teilen in die soziale und wirtschaftliche Ordnung unseres Landes.
      Der Bedeutungswandel, der so offenbar ist, hat auch noch eine ganz bestimmte Komponente, näm-



      Frau Kalinke
      lieh in der Bändigung der Macht der öffentlichen Haushalte und der öffentlichen Hand, gesehen im Zusammenhang mit dem Sozialhaushalt und den wachsenden Haushalten unserer Versicherungsträger. Es geht hier wirklich um letzte Fragen der Freiheit. Der steigende Sozialbeitrag und die steigenden Steuern machen das Bilden von Eigentum in weiten Kreisen unserer Arbeitnehmer einfach unmöglich. Kernprobleme werden angesprochen, die der christliche Denker und Ratgeber Romano Guardini, der heute seinen 75. Geburtstag feiert und dem wir alle, die seine Bücher gelesen haben, sehr viel zu verdanken haben, in seinem Buch „Am Ende der Neuzeit" beschrieben hat, die Kernfrage nämlich, die auch die Krankenversicherungsreform berührt, und von deren Lösung die Freiheit des anderen abhängt und nicht nur die Lösung der Probleme der Wohlfahrt und die Bewältigung der Not unserer Zeit — ob wir die Kraft haben, den Menschen in der ungeheuren Verantwortung und Bedrohung unserer Zeit dazu zu bewegen, daß er selber mehr Verantwortung trägt und alle seine Forderungen an die Gemeinschaft vor das Gewissen stellt.
      In der Auseinandersetzung um die Grenzen der staatlichen Sozialpolitik berührt die Krankenversicherungsreform — das hat die heutige Debatte nur anklingen lassen — viel mehr Probleme als etwa die so heiß umkämpfte Rentenreform. Sie rührt an die Apparaturen, an die Institutionen, an Rechte, an Besitzstandswahrung, an Sorge um wirtschaftliche Lage und wirtschaftliche Sicherheit. So spricht sie direkt und indirekt einen ungeheuren Kreis an, der den meisten nicht vor Augen steht, wenn sie über Versicherungsprobleme diskutieren.
      Die Leistungsgestaltung muß in einem Zeitalter wachsenden Wohlstandes und stärkerer Selbstverantwortung andere Schwerpunkte haben, als sie unsere Krankenversicherung bisher hat. Jeder spricht von Selbstverantwortung, von Selbsthilfe und Selbstbeteiligung; in Festreden wird davon gesprochen. Nun geht es darum, diese Auffassung in die Paragraphen der Krankenversicherungsreform umzugießen. Gegen Angst und Sorge, gegen Krankheit und Not wird es niemals für alle und immer eine entscheidende Hilfe geben können. Gesundheit für alle kann kein Staatsmann, sei er noch so christlich und noch so sozial verantwortungsbewußt in seinem Handeln, garantieren. Gesundheit für alle gibt es nicht — Gesundheit hat jedermann in unserem Staat weitgehend aus eigener Verantwortung zu erhalten, zu schützen oder wiederzugewinnen, und der Staat kann nur da Hilfestellung geben, wo die Kraft des einzelnen nicht ausreicht. Nur in so begrenztem Rahmen wird der Sozialpolitiker dazu beitragen können, daß das soziale Gefüge gesünder wird, daß die Bemessung der Leistungen gerechter und die Belastung der Beitrags- und Steuerzahler geringer wird.
      Ohne Verzicht, ohne die Bereitschaft zum Sparen, ohne all jene guten Eigenschaften, über die soviel gesprochen wird, nämlich Fleiß und Willen zur Mehrarbeit, gibt es sicher kein Eigentum. Aber Lohn und Gehalt, die durch Sozialbeiträge weitgehend geschmälert werden können, sind Eigentum. Deshalb bedeutet die Beitragsgestaltung der Krankenversicherung, soweit sie laufend Beitragserhöhungen zur Folge hat, oder die Forderung nach Staatszuschüssen für die Krankenversicherung, die wiederum vom Steuerzahler bezahlt werden müssen, eine Beschränkung des Eigentums und der Freiheit.

      (Abg. Frau Korspeter: Das will doch kein einziger hier!)

      Wenn man die Parolen der Straße gelesen und gehört hat, sollte man meinen, daß überhaupt niemand mehr eine Krankenversicherungsreform wollte. Ist denn das alles nicht wahr, was die Sozialdemokraten mit ihrer Anfrage heute und mit ihren Thesen in der Vergangenheit gefordert haben? Ist denn das alles nicht mehr wahr, was sozialistisch geführte Gewerkschaften gefordert haben? Gilt nichts mehr von dem, was Politiker aller politischen Parteien und Sozialpolitiker aller Richtungen einsichtsvoll in bezug auf die Reform immer wieder zum Ausdruck gebracht haben?
      Jeder erwartet etwas von dieser Krankenversicherungsreform. Die Krankenhäuser hoffen auf den Ausgleich ihrer Fehlbeträge, die heute durchschnittlich 1 DM bei den privaten und gemeinnützigen Krankenhäusern und 2 DM bei den kommunalen Krankenhäusern ausmachen. Die Krankenkassen hoffen auf Mehreinnahmen durch Beitragserhöhung, durch Krankenscheingebühren, durch Erstattungen für Auftragsangelegenheiten. Die Apotheker wehren sich und fürchten, daß sie verminderte Einnahmen haben, wenn die Flut des Arzneimittelverbrauchs, die immer noch steigt, eingedämmt wird. Ja, die Bandagisten, die Masseure, alle diejenigen, die dem kranken Menschen Hilfestellung geben, fürchten, daß ihr Teil am Kuchen kleiner wird.

      (Ein Abgeordneter der SPD meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

      — Nein, ich werde Ihnen antworten, wenn Sie nachher sprechen.
      Heute mittag haben viele von Ihnen das gleiche erfahren wie ich: Telegramme erreichten uns in Bergen. Ich glaube, der Postminister freut sich in diesen Tagen über die vielen Mehreinnahmen, mit denen er hoffentlich die Lohnerhöhungen finanzieren kann. Unter den vielen Telegrammen waren sogar solche wie das des Verbandes elektrophysikalischer Fachberater, des Berufverbandes der Firmen und der Unternehmen, die die Ärzte mit Geräten für Diagnostik versorgen. Wenn dieser Verband dann telegraphiert, wir sollten das Gesetz in seiner Gesamtheit ablehnen, fehlt auch mir eine Erklärung für diese Art Sinn für das Geschäft und für diese Art Interesse, das man an der Krankenversicherungsreform nimmt.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Mit Bestürzung, ja mit großer Sorge muß jeder sachlich Denkende bedauern, daß man einen ganzen Entwurf ablehnt, weil man zu einzelnen Punkten dieses Entwurfs Beanstandungen hat.

      (Sehr richtig! in der Mitte.)

      Es geht doch auch um die Neuordnung der Finanzverantwortung, an der selbstverständlich alle diejenigen Gruppen interessiert sind, die mit Lieferungen und Leistungen an der Finanzgestaltung und



      Frau Kalinke
      Verteilung der Krankenversicherung teilhaben. Es ist das gute Recht der Interessenten, ihre Meinung zu sagen. Ich halte aber Form und Inhalt der Kritik für falsch. Es ist auch richtig, was der Kollege Schellenberg gesagt hat: daß die Versichertengemeinschaft nicht unbegrenzt belastet werden kann. Ich bin mit dieser These einverstanden. Im Sozialplan für Deutschland stehen allerdings einige Forderungen an den Staat, die die Versichertengemeinschaft ungeheuerlich belasten würden, wenn sie verwirklicht würden.
      Warum nun Reform, wenn alle diejenigen, die davon betroffen sind, sie angeblich gar nichtwollen? Ich meine, daß die Versicherten, die bisher geschwiegen haben, die nur zu einem bestimmten Prozentsatz von allen Gewerkschaften vertreten werden können und für die auch die Ärzte kein Mandat in irgendeiner Wählerversammlung bekommen haben, um etwas ganz anderes besorgt sind als um Honorare oder wirtschaftliche Beteiligung an den Aufgaben der Krankenversicherung. Die Versicherten — und sie geht es an — sind darum besorgt, daß die Leistungsgestaltung der Krankenversicherung eine bessere, eine andauernde, eine ausreichende wird. Dieser Gesichtspunkt muß den Vorrang haben, wenn man die Krankenversicherungsreform betrachtet.
      Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt die Grundhaltung der Regierung. Es versteht sich aber von selbst, daß sie jeden einzelnen Vorschlag gemeinsam mit allen Fraktionen prüfen wird.
      In der Öffentlichkeit hat man eine Mißtrauenswelle erzeugt. Mißtrauen ist immer ein schlechter Ratgeber! Das gilt für Versicherte wie für Ärzte, und Temperament und Lautstärke — für die ich durchaus ein Gespür habe —

      (Heiterkeit und Beifall — Abg. Stingl: Und Verständnis!)

      sollten doch immer vom kritischen Verstand gezügelt werden.

      (Abg. Stingl: Ausgezeichnet!)

      Selbst wenn auf der Seite des Arbeitsministeriums hier und da eine Ungeschicklichkeit passiert ist — es menschelt halt überall —, selbst wenn Irrtümer oder Mißverständnisse die Gespräche belasten, sollten doch alle sachlich Denkenden immer wieder versuchen, zu einer gemeinsamen Aussprache zu kommen. Wenn beim Hobeln Späne fliegen, muß man sie halt zusammenfegen, wenn man wieder Ordnung haben will.

      (Beifall rechts.)

      Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat gemeinsam mit der sozialdemokratischen Opposition und mit, wie ich immer noch glaube, Funktionären einzelner Ärzteorganisationen — nicht der Gesamtheit der deutschen Ärzte — Thesen gegen das Gesetz vertreten, etwa: „Das Gesetz diskriminiert die arbeitende Bevölkerung und die Ärzteschaft" oder „Die Ärmsten werden am stärksten belastet", wie Herr Voges gesagt hat, obwohl er doch weiß — das hat
      ihm sogar der Spiegel-Reporter bestätigt, der das Gesetz offenbar sehr gründlich gelesen hat , daß gerade die Ärmsten, ja noch viele junge Menschen, die nicht zu den Ärmsten gehören, bis zu einem Einkommen von 200 DM völlig unbelastet von zusätzlicher Kostenbeteiligung sein sollen. Man meint, das Gesetz sei gesundheitsgefährdend und sozialpolitisch ungerecht. Wenn das alles zuträfe, würden die Versicherten ganzer Länder, die eine Kostenbeteiligung kennen, würden die Versicherten der privaten Krankenversicherung, würden die Versicherten in Schweden und Frankreich heute alle viel kränker sein als die Versicherten in Deutschland. Dennoch gibt es auf den internationalen Tagungen die erstaunliche Feststellung, daß fast überall die gleiche Entwicklung zu beobachten ist, daß Morbidität und Arbeitsunfähigkeit irgendwann und irgendwie durch das Gesetz der großen Zahl bestimmt werden, selbst wenn die Systeme noch so sehr voneinander abweichen.
      Selbst Sachkenner der Krankenversicherung, die Mitglieder der größten Regierungspartei sind, sprechen vom „Durchpeitschen des Gesetzes", obwohl sie doch wissen, daß dieses Gesetz, angefangen vom Beirat des ehemaligen Arbeitsministers Storch bis zur Stunde in der Öffentlichkeit, so diskutiert worden ist wie nie zuvor ein sozialpolitisches Gesetz. Wenn man den Entwurf beurteilt, sollte man die demokratischen Rechte der Sorge um die Besitzstandswahrung auf der einen oder anderen Seite doch so behutsam gebrauchen, daß man dabei nicht alle Türen zuschlägt, wenn man im Endeffekt um der Sache willen etwas erreichen will.
      Wer wäre nicht betroffen gewesen, der in diesen Tagen die „Ärztlichen Mitteilungen" aufgeschlagen hat und darin jene wirklich, ich will ein behutsames Wort sagen, mehr als geschmacklose Darstellung der vier Männer, die den Sarg des Bagatellfalles heraustragen, gesehen hat!
      Ich meine, daß man mit solchen Argumenten denjenigen sehr nahe kommt, die in der „DDR" und im „Deutschlandsender" tagtäglich die Freiheit der Menschen bedrohen, die glücklich wären, wenn sie unser Krankenversicherungssystem hätten.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Ich war mit Herrn Professor Schellenberg sachlich einig und wäre es auch noch, wenn ich nicht dieses Flugblatt gelesen hätte. Aber ich nehme an, Sie kennen es gar nicht. Es ist das Flugblatt Nr. 5 der SPD. — Ich habe leider nur eine Fotokopie.

      (Abg. Dr. Schellenberg: Da sind Sie besser als ich unterrichtet!)

      — Ja, das gehört dazu.

      (Abg. Stingl: Wer macht denn die sozialpolitischen Flugblätter bei Ihnen, Herr Schellenberg?!)

      Herr Kollege Schellenberg, ich habe Ihnen zugestimmt, als Sie dem Minister zum Vorwurf machten — diesen Vorwurf mache auch ich ihm , daß die Gebührenordnung zur Stunde noch nicht be-



      Frau Kalinke
      kennt ist. Daher ist es mir auch völlig unerfindlich,
      woher Sie diese Selbstkostenanteile haben wollen.

      (Abg. Stingl: Frau Kalinke, die passen so schön ins Konzept! — Abg. Dr. Schellenberg: Steht im Flugblatt nicht „Preugosätze"?)

      Es ist mir auch völlig unerfindlich, daß man so viele brave Kassenärzte beunruhigt hat mit der Behauptung, sie sollen 30 % weniger Honorar bekommen. Die Gebührenordnung ist doch in ihren Ansätzen noch gar nicht bekannt; also kann das auch noch niemand ausgerechnet haben.
      Ich bekenne hier ganz offen, und ich sage das auch für meine politischen Freunde, daß ich nicht in der Lage bin, auszurechnen, was in Zukunft die Ärzte wirklich verdienen und die Versicherten wirklich zubezahlen müssen. Deshalb bedaure ich — ich sage das für meine Fraktion —, daß es nicht möglich war, die Gebührenordnung, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf steht, vorher kennenzulernen oder sie wenigstens vorher erläutert zu bekommen.
      Herr Kollege Schellenberg, im Flugblatt Ihrer Partei — ich kann mir nicht denken, daß Sie so etwas machen, weil Sie die Dinge zu gut kennen — heißt es: „Es geht nicht nur um Ihr Geld, es geht um Ihre Gesundheit". Ich antworte Ihnen darauf: es geht um beides!
      Man kann natürlich die Auffassung vertreten, die der Deutsche Gewerkschaftsbund in meinem Wahlkreis geäußert hat: „Weil du krank bist, sollst du doppelt zahlen!" Es gab einmal eine andere Parole: „Weil du arm bist, mußt du sterben!"

      (Zuruf von der SPD: Das gehört zusammen!)

      Diese Parole ist gescheitert einschließlich des Films, den man darüber gedreht hat.

      (Abg. Stingl: Da ist wohl der Film gestorben!)

      Man sollte sehr redlich sein. Es war ein geschickter Osterreicher der ein sehr erregend gemachtes Buch darüber geschrieben hat. Aber Gott sei Dank war das Empfinden, ich könnte sagen, und ich kann es sagen: „das gesunde Volksempfinden" bei uns so gut, daß niemand darauf hereingefallen ist.

      (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

      In dem Flugblatt heißt es dann weiter: „Wenn du krank bist, glaubt dir niemand!" Dieses Flugblatt steht unter dem Diktat des Mißtrauens, das man der Regierung unterstellt.

      (Abg. Dr. Schellenberg: Das ist die Folge des Gesetzenwurfs!)

      — Wir beide kennen ja die Probleme. Ich weiß, wie so etwas entsteht. Sie haben sich — das will ich der SPD bestätigen — in dieser Gemeinschaft sehr geschickt herausgehalten und haben sich auf die Thesen der organisierten Ärzte bezogen, die natürlich nicht so politisch sind wie Sie und deshalb auch herrlich darauf hereingefallen sind!

      (Beifall bei der DP und der CDU/CSU.)

      Wie gefährlich eine solche Beunruhigung der
      Patienten wirkt, habe ich aus einem Berliner Ärzteblatt entnommen, in dem zu lesen war, daß ein Patient zum Arzt kam und sagte: „Herr Doktor, wissen Sie schon: in Ihrem Wartezimmer ist Ostpropaganda ausgelegt!"

      (Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Stingl.)

      Natürlich, Kollege Stingl, die Berliner haben ein feines Gespür für die Bedrohung der Freiheit und für die unlauteren Thesen der Ostpropaganda. Ich bin überzeugt, daß keinem, der das Flugblatt in Auftrag gegeben hat, etwa nahegelegen hat, Ostpropaganda zu treiben. Wer aber die Situation in der Bundesrepublik kennt, wer weiß, mit welchen Parolen im geteilten Deutschland gearbeitet wird, der sollte doppelt behutsam sein, wenn es darum geht, Schlagworte zu gebrauchen, die östlicher Propaganda nahekommen.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      „Es ist sicher mehr als Unverfrorenheit" — hat der Sprecher im „Gruß an die Zone" gesagt, und ich stimme ihm voll zu —, „diesen Gesetzentwurf als gesundheitsschädigend zu bezeichnen." Ich überlasse jedem einzelnen, der kritikfähig ist, sich darüber Gedanken zu machen.
      Nun habe ich persönlich — höchst persönlich — einen Zusammenstoß gehabt; er hat nicht hier in diesem Raume stattgefunden, er ist auch in meiner Abwesenheit geschehen. Man hat mir den Vorwurf gemacht, ich hätte die hohen Herren der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als Funktionäre bezeichnet und hätte die irrige Auffassung vertreten, die Honorare, die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verteilt werden, seien Eigentum der Versicherten. Ich habe allerdings der Presse gegenüber auf Befragen gesagt, daß ich sehr besorgt bin über das, was im Augenblick die Organisationen der Ärzte ihren Ärzten empfohlen haben; und ich will hier in aller Öffentlichkeit sagen, daß es zutrifft, daß ich damals angenommen habe, man könne von einem Durchschnittshonorar der Kassenärzte — ohne Privatpraxis, ohne Zahnärzte — von 1,5 Millarden ausgehen; dann eben wären 2 % immerhin die erkleckliche Summe von 30 Millionen. Ich bin gern bereit, mich zu berichtigen und zu sagen, daß ich in der Zwischenzeit belehrt worden bin, daß es sich um ein nach den Vorschlägen eines Justitiars der Kassenärztlichen Bundesvereinigung freiwillig durch Unterschrift geleistetes Opfer der Kollegen und Kolleginnen der Ärzteschaft handelt.
      Aber, meine Herren und Damen — und ich hoffe, daß auch viele Ärzte davon hören oder es erfahren —: ist das Opfer für einen Kampffonds nicht zu groß, wenn man sich klar wird, daß bei einem Beitrag von 1 % des Quartaleinkommens — meine Angaben stammen nun wieder aus einem Ärzteblatt, aus den „Ärztlichen Mitteilungen" selbst — bei einem Durchschnittshonorar von 40 000 bis 48 000 Mark - brutto, wohlgemerkt —, das sind 10- bis 12 000 Mark im Quartal, der Vierteljahrbeitrag für den Kampffonds für jeden Kassenarzt 100 bis 120 DM betragen würde? Meine Herren und Damen, ich bekomme oft Briefe von Arztwitwen und von



      Frau Kalinke
      Hinterbliebenen von Angehörigen der freien Berufe. Was meinen Sie, wieviel Sie der Sache der Krankenversicherungsreform und der Wiedergewinnung des guten alten Ansehens der deutschen Ärzte Gutes tun könnten, wenn Sie ab sofort die Mittel des Kampffonds für die bessere Versorgung der Witwen und Waisen der freien Berufe, insbesondere aber der Arztwitwen zur Verfügung stellten!

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Ich habe — auch mit großer Sorgfalt — die Ärztlichen Presseinformationen gelesen und daraus Kenntnis erlangt von den Forderungen, die vom Deutschen Ärztetag für eine sinnvolle Fortentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgestellt worden sind. Für mich und meine politischen Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei —und ich darf wohl sagen, weitgehend auch in der Koalition — muß ich sagen, daß es für jeden dieser neun Punkte im Regierungsentwurf zum mindesten einen guten Ansatz gibt.

      (Sehr gut! bei der DP und bei der CDU/CSU.)

      Für mich kann ich sagen, daß ich mich für die Verwirklichung dieser neun Punkte persönlich einsetzen werde.
      Nun lassen Sie mich einiges sehr deutlich sagen: Es jammert mich um den Standort der deutschen Ärzteschaft, und ich kann es kaum ertragen, zu sehen, in welche Kampfgemeinschaft man sich begeben hat,

      (Lachen bei der SPD)

      nicht aus persönlichen Gründen — persönlich finde ich Sie alle sehr nett —,

      (Zuruf von der SPD: Daran liegt uns gar nicht!)

      aber wegen der Ideologie, die Sie vertreten. Die wird sich ja in den nächsten Jahren wandeln.
      Die Ärzte fordern erstens die Neuordnung der Versichertenkreise unter Berücksichtigung der veränderten Sozialstruktur und die Begrenzung der Versicherungspflicht auf die sozial Schutzbedürftigen. — Genau das will die Bundesregierung, und genau das wollen die Regierungsparteien. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Sozialdemokratische Partei fordern allerdings, wenn ich den Sozialplan recht gelesen habe und die Eingaben des DGB genau kenne, immer noch die umfassende Versicherungspflicht. Wenn der Herr Präsident gestattet, möchte ich aus dem Sozialplan die Stellungnahme zum Personenkreis verdeutlichen. — Ich mache also sozusagen Propaganda für Sie.

      (Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Tun Sie das lieber nicht! — Weitere Zurufe von der SPD.)

      — Aber wieso, wieso? Wer sich dazu bekennt, soll bei Ihnen bleiben.

      (Heiterkeit.)

      Der Kreis derer,
      heißt es im Sozialplan für Deutschland -
      die in der heutigen Gesellschaft der Versicherungspflicht im Sinne der Gesundheitssicherung
      unterliegen, kann sich auch bei Verdienstfortzahlung nicht danach bestimmen, wer allenfalls in der Lage wäre, das Arzthonorar für kleine Erkrankungen aufzubringen. Das Maß muß in den großen Krankheits- und Unfallrisiken liegen, das die gesamte Bevölkerung treffen kann.
      Es heißt weiter:
      Versicherungspflicht bedeutet nicht notwendig die Pflicht, einer bestimmten Kasse anzugehören. Die Grenzen versicherungspflichtigen Einkommens können nicht nach der Leistungsfähigkeit des Alleinstehenden für ausreichende Vorsorge bemessen werden.
      Nun, das sind alles Sätze, mit denen man jeweils genau dasselbe tun könnte wie mit einem Gutachten, das einmal für die Beratung im Beirat bestellt wurde. Mit dem konnte man alles beweisen: die totale Versicherungspflicht, die Staatsbürgerversorgung, aber auch die zur Zeit — weil es politisch nicht opportun ist — vielleicht noch mögliche Begrenzung dieses Zieles. Die Ärzte sollten wissen, daß die Sozialdemokratische Partei von ihrem Ziel der totalen Staatsbürgerversorgung, zu dem die Ausdehnung der Versicherungspflichtgrenze immer nur ein weiterer Schritt ist, niemals abgegangen ist.

      (Zustimmung in der Mitte.)

      Die zweite Forderung der Ärzte: die Erhaltung einer die beruflichen, sozialen und regionalen Unterschiede der Versichertengemeinschaften berücksichtigenden, echt gegliederten sozialen Krankenversicherung. — Ich möchte an diesem Platz nicht an die Kämpfe erinnern, die wir um die gegliederte soziale Krankenversicherung geführt haben. Daß wir sie in der Bundesrepublik wieder haben, haben die Regierungsparteien durchgesetzt, gegen die Stimmen der SPD.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Daß sie zur Zeit — zur Zeit! — auch von den Sozialdemokraten nicht angegriffen wird, ist nur ein Ausdruck politischer Klugheit, weil man die Mehrheit noch nicht dazu hat, sein Ziel zu verwirklichen.

      (Heiterkeit und Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe von der SPD.)

      — Sie können das alles widerlegen.
      Die dritte Forderung, die zumindest kontenmäßige Trennung der Krankenpflegeversicherung von der Krankengeldversicherung, ist eine Frage, die die Koalitionsparteien sicher sehr gründlich prüfen werden. Ich persönlich halte das für eine gute Anregung; Herr Schellenberg weiß das. Die Auswirkungen dieses Systems sind sehr gründlich zu überlegen, ich bin durchaus aufgeschlossen dafür. Das Ziel allerdings, das wir verfolgen, wird mehr als in Nuancen unterschiedlich sein.
      Vierter Punkt: der Ausbau der freien Arztwahl durch die Zulassung aller zulassungsfähigen und zulassungswilligen, in eigener Praxis tätigen Ärzte in einer die ärztliche Versorgung der Versicherten gewährleistenden Ordnung. — Das ist genau das, was die Regierungsparteien im Kassenarztrecht beschlossen haben, und das ist genau das, was der Bundes-



      Frau Kalinke
      arbeitsminister — allerdings mit dem Versuch einer weitgehenden, so weit wie möglich gehenden Liberalisierung der Zulassung im Interesse der freien Arztwahl — verwirklicht haben möchte, und das ist das, wofür sich meine Freunde in der Fraktion der Deutschen Partei und, wie ich hoffe, auch in der CDU/ CSU einsetzen werden.
      Fünftens: die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen durch die frei praktizierende Ärzteschaft. — Das ist sehr wichtig. Für die frei praktizierende Ärzteschaft haben sich die Regierungsparteien immer eingesetzt. Es hat aber Zeiten gegeben — es wird sie wieder geben —, in denen wir uns mit dem „Sozialarzt" und dem Ambulatorium und all den Fragen, die bei dem Marsch zum totalen Gesundheitsdienst auftauchen, sehr ernst haben auseinandersetzen müssen. Die Erhaltung der Vertragsfreiheit — nämlich die Fortentwicklung der gemeinsamen Selbstverwaltung von Kassenärzten und Krankenkassen — sowie die Gestaltung des vertrauensärztlichen Dienstes als Gemeinschaftsaufgabe ist genau das, was die Regierungsparteien schon im Stadium der Aussprache über den Referentenentwurf und Vertreter aus den Regierungsparteien mit mir dem Herrn Minister vorgetragen haben.
      Es ist sicher nicht unbekannt — und man kann ruhig darüber sprechen, Herr Minister —, daß wir jene straffe staatliche dirigistische Hand hier nicht ) gern sehen wollen und daß Sie den Entwurf verbessert haben. Aber der Kollege Killat wird heute gewiß noch etwas dazu sagen. Ich bin neulich als in besonders enger Verbundenheit mit ihm stehend bezeichnet worden, weil wir beide gemeinsam einige notwendige Einsichten vertreten haben. Ich betrachte es immer als einen großen politischen Erfolg, wenn. in diesem Hause die Einsicht aus der Kenntnis der Zusammenhänge ohne starre demagogische Vorstellungen dazu führt, daß zwei Leute, der eine links und der andere rechts, der Herr Kollege Killat bei der SPD und ich auf dem äußersten rechten Flügel, bei der Deutschen Partei, gemeinsam einen Unfug ablehnen.
      Die Erfahrungen, die wir in der Praxis des Alltags gesammelt haben, haben gezeigt, daß Vertragsfreiheit zwar etwas Gutes ist, daß aber die Grenzen immer da sind, wo das Gemeinwohl seine Forderungen erhebt. Deshalb meine ich, daß wir über die Frage der Schlichtung — ich will das noch besonders erläutern — ruhig sprechen sollten. Die leistungsgerechte Honorierung der Ärzte auf vertraglicher Grundlage ist genau das, was der Herr Minister heute vertreten hat. Wir müssen doch wohl alle sagen, daß das augenblickliche System der Honorierung niemanden befriedigt.
      Was sagt nun zu all diesen Dingen der Sozialplan der SPD? Der Minister hat schon auf einige Thesen hingewiesen. Ich kann nur immer wieder sagen: sorgen Sie dafür, daß die deutschen Ärzte und alle, die es angeht, den Regierungsentwurf lesen, daß sie aber auch den Sozialplan für Deutschland lesen, ehe
      Ärzte wieder bereit sind, in einer DGB-Versammlung als Redner aufzutreten.

      (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Ich darf, Herr Präsident, zitieren. Die SPD sagt:
      Eine eigentliche Gesundheitsvorsorge gibt es in Deutschland bisher nicht.

      (Abg. Dr. Schellenberg: Stimmt doch!)

      Ursächlich spielt unter den Hemmnissen eine wesentliche Rolle die Haltung der praktizierenden Ärzte, die gegenüber den Einrichtungen der Krankenversicherung wie gegenüber dem Öffentlichen Gesundheitsdienst eine Haltung steter Abwehr gegen vermeintliche oder tatsächliche Versuche zu Einbrüchen in den Bereich der ambulanten Behandlung nie überwunden haben.
      Nun, ich kann nur sagen: die Ärzte, die dieses gesunde Gefühl für die da drohende Gefahr haben, werden nicht nur von der Fraktion der Deutschen Partei, sondern von den Fraktionen der Regierungsparteien ganz sicher auch in Zukunft Unterstützung bekommen.

      (Zuruf von der SPD: Die Deutsche Partei ist zu klein!)

      — Verwechseln Sie nicht immer Quantität mit Qualität; das ist eine schlechte Sache.
      Was die Zusammenarbeit mit den Ärzten angeht, so darf vielleicht noch interessieren, was über das Ärzte-Kollektiv im Sozialplan gesagt ist. Es heißt dort: „ohne die Bildung ärztlicher Arbeitsgruppen aus praktischen Ärzten und Fachärzten" ist das alles „nicht realisierbar", nämlich das alles, was man sich als Ärzte-Kollektiv zur Verwirklichung des staatlichen Gesundheitsdienstes vorstellt.
      Noch ein Wort zu dem Kassenarztrecht; es wird ja von sämtlichen Tribünen aus als etwas dargestellt, was unbedingt und um jeden Preis in dieser Form erhalten werden muß. Darüber heißt es im Sozialplan, daß das Gesetz über das Kassenarztrecht, das 1955 geschaffen worden ist, nur Bestehendes gefestigt habe. Von einer schöpferischen Neuordnung, so sagt die SPD, sei es weit entfernt. Und nun verteidigt man diese Neuordnung, die so wenig schöpferisch sein soll. Wir sollten das Kassenarztrecht, soweit es funktioniert, beibehalten, seine Verbesserung aber immer vor Augen haben. Da ich kein 01 ins Feuer gießen will, möchte ich den Ärzten empfehlen, das Kapitel im Sozialplan der SPD über die Honorierung selber nachzulesen.
      Die Durchführung der vorgesehenen Leistungsverbesserungen, die wir begrüßen, wollen wir garantieren und die Entlastung der Krankenkassen von Ausgaben, die ihrer Natur nach anderen Kostenträgern obliegen, ernsthaft verteidigen.