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ID0310211400

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    5. Bundesarbeitsminister.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 102. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1960 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Wittmann und Dr. Böhm . . . . 5485 A Fragestunde (Drucksache 1609) Frage des Abg. Schneider (Bremerhaven) : Filme antideutscher Tendenz im amerikanischen und kanadischen Fernsehen Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5485 C Frage des Abg. Schmitt (Vockenhausen): Verhalten des Konsuls Karl Julius Hoffmann in New York Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5485 D, 5486 A Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5486 A Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Vorlage des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten an den Bundestag Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5486 B Frau Dr. Hubert (SPD) 5486 D. Frage des Abg. Dr. Bucher: Besetzung der deutschen Botschaft in Paris Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5487 A Frage des Abg. Lohmar: Äußerung des Abg. Gradl in der außenpolitischen Debatte des Bundestages am 10. Februar Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5487 A Lohmar (SPD) . . . . . . . . . 5487 B Frage des Abg. Dr. Werber: Nichtseßhaftenfürsorge Dr. Schröder, Bundesminister 5487 C, 5488 A Dr. Werber (CDU/CSU) . . . . . 5487 D Frage des Abg. Lohmar: Verhalten des Publizisten Schlamm Dr. Schröder, Bundesminister . . 5488 A, B Lohmar (SPD) . . . . . . . . 5488 A, B Frage des Abg. Dr. Arndt: Förderung Münchens als bayerische Landeshauptstadt durch dein Bund Lücke, Bundesminister 5488 C Frage des Abg. Baier (Mosbach): Erstellung von Kinderspielplätzen Lücke, Bundesminister . . 5488 D, 5489 B Baier (Mosbach) (CDU/CSU) . . . 5489 B II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1960 Frage des Abg. Schmitt (Vockenhausen) : Steuerfreiheit bei Abwicklung von Geschäften über Gesellschaften mit dem Sitz in Vaduz Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 5489 C Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5489 C Frage des Abg. Dr. Ratzel: Förderung des Ausbaus eines Ferngasnetzes durch die Bundesregierung Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 5489 D Frage des Abg. Ludwig: Kündigung von 350 deutschen Arbeitern des französischen Militärbetriebs BRM zum Jahresende 1959 Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 5490 B Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Vorlage des Bundeswaffengesetzes für den zivilen Bereich durch die Bundesregierung Dr. Westrick, Staatssekretät 5490 D, 5491 A Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 5491 A Frage des Abg. Dr. Bechert: Aufklärung der Käufer von Freibankfleisch Schwarz, Bundesminister . 5491 B, 5492 A Dr. Bechert (SPD) . . . 5491 C, 5492 A Frage des Abg. Seidel (Fürth): Weiterführung von Karteikarten aus der Zeit vor 1945 bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Blank, Bundesminister . . . . . 5492 B Seidel (Fürth) (SPD) 5492 C Frage des Abg. Jahn (Marburg) : Veröffentlichung von Urteilen im Bundesversorgungsblatt Blank, Bundesminister . 5492 D, 5493 A Jahn (Marburg) (SPD) 5493 A Frage des Abg. Brück: Beeinträchtigung des Königsforstes durch die geplante Bundesstraße 55 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 B Frage des Abg. Brück: Linienführung der Umgehungsstraße von Bensberg zur B 55 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 C Frage des Abg. Schmitt (VOckenhausen): Einführung von Parkscheiben Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 D Frage des Abg. Baier (Mosbach) : Unfälle auf der Autobahn Frankfurt— Mannheim und Mannheim—Heidelberg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5494 B Frage des Abg. Hübner: Einrichtung einer 1. Klasse im Flugverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5495 C Frage des Abg. Schmidt (Hamburg) : Besetzung der Radargeräte im Bereich der Bundesanstalt für Flugsicherung Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5495 D, 5496 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 5496 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Neuregelung der sozialen Krankenversicherung (Drucksache 1298); verbunden mit Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz — KVNG) (Drucksache 1540) — Erste Beratung — Rohde (SPD) 5497 A Blank, Bundesminister . 5498 D, 5527 A Stingl (CDU/CSU) 5508 B Dr. Schellenberg (SPD) 5517 B Dr. Stammberger (FDP) 5527 D Frau Kalinke (DP) 5532 C Dr. Franz (CDU/CSU) 5545 A Frau Dr. Hubert (SPD) 5547 C Schneider (Hamburg) (CDU/CSU) 5550 B Dr. Bärsch (SPD) . . . . . . . 5554 C Mischnick (FDP) . . . . . . . 5558 D Geiger (Aalen) (SPD) 5560 C Frau Korspeter (SPD) 5566 B Frau Döhring (Stuttgart) (SPD) . . 5568 A Ruf (CDU/CSU) . . . . . . . 5569 B Börner (SPD) 5571 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . 5572 D Anlage 5573 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1960 5485 102. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 29. 2. Bauereisen 19. 2. Behrisch 18. 2. Benda 19. 2. Dr. Birrenbach 19. 2. Brand 19. 2. Brüns 2. 7. Deringer 19. 2. Eberhard 27. 2. Dr. Eckhardt 28. 2. Eilers (Oldenburg) 19. 2. Even (Köln) 29. 2. Frau Friese-Korn 27. 2. Geiger (München) 19. 2. D. Dr. Gerstenmaier 17. 2. Glüsing (Dithmarschen) 19. 2. Dr. Greve 17. 2. Dr. Gülich 16. 4. Haage 19. 2. Dr. von Haniel-Niethammer 19. 2. Hellenbrock 19. 2. Dr. Höck (Salzgitter) 20. 2. Horn 19. 2. Hübner 19. 2. Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Illerhaus 17. 2. Jacobs 7. 3. Jahn (Frankfurt) 23. 4. Dr. Jordan 19. 2. Kalbitzer 19. 2. Frau Klemmert 15. 5. Koch 19. 2. Leukert 19. 2. Dr. Lindenberg 19. 2. Lulay 29. 2. Maier (Freiburg) 16. 4. Metzger 18. 2. Mühlenberg 19. 2. Müser 20. 2. Probst (Freiburg) 17. 2. Ramms 19. 2. Scheel 17. 2. Schlick 20. 2. Schultz 17. 2. Dr. Starke 19. 2. Dr. Steinmetz 19. 2. Wehr 23. 4. Frau Welter (Aachen) 27. 2. Werner 24. 2. Dr. Willeke 1. 3. b) Urlaubsanträge Frau Berger-Heise 27. 2. Dr. Leverkuehn 25. 2. Spitzmüller 8. 3.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Aber, Herr Kollege Ruf, das sollten Sie mal den Arbeitnehmern Ihrer Fraktion erzählen!

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Ruf.)

    Meine Damen und Herren, wie ist die Regelung denn jetzt? Jetzt hat der Versicherte, um den Krankengeldanspruch zu erwerben, seiner Krankenkasse eine Meldung regelmäßig innerhalb von 3 Tagen zu machen. In Zukunft soll der Weg direkt zur Nachuntersuchung führen. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Ruf, wenn das keine Verschlechterung ist, dann muß ich Sie wirklich bitten, einmal in eine Betriebsversammlung zu gehen und das dort darzulegen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Ruf: Eine Meldung ist doch noch keine Nachuntersuchung!)

    — Aber der Vertrauensärztliche Dienst hat doch die Verpflichtung, unverzüglich zu handeln. Die Krankenkasse kann doch bei der vorgesehenen Regelung mit der Krankengeldzahlung praktisch gar nicht einsetzen, bevor die Mitteilung des Vertrauensärztlichen Dienstes da ist; das ist im System vorgesehen. — Aber darüber werden meine Kollegen aus den praktischen Erfahrungen der Krankenversicherung der Betriebe nachher noch einiges sagen, um Herrn Kollegen Ruf weiter zu unterrichten.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Eine weitere Regelung: die wirtschaftlichen Auswirkungen! Finanziell gesehen ist die Kostenbeteiligung ein Zusatzbeitrag bei Krankheit, und eine solche Regelung ändert das finanzielle Gefüge unserer sozialen Krankenversicherung. Die Höhe der Kostenbeteiligung kann nach der Auffassung der Bundesregierung — der ich in diesem Punkt zustimme — nicht im einzelnen geschätzt werden. Ich habe die Mittelwerte zugrunde gelegt, ohne die Leistungsverschlechterungen, ohne die Regelung der Karenztage; allein für die Kostenbeteiligung ergibt sich nach den Angaben der Bundesregierung im Mittelwert eine Belastung von 564 Millionen DM.
    Bisher hat der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge zu zahlen. Es ergibt sich also eine Verschiebung in der Aufbringung der Mittel für soziale Leistungen von den Arbeitgebern zu Lasten der Versicherten. Das haben erfreulicherweise, aber erst in den letzten Tagen, auch Kollegen Ihrer eigenen Fraktion zugegeben. Herr Kollege Stingl hat daraus auch gewisse Folgerungen gezogen, leider noch sehr unbestimmte, Herr Kollege Stingl; das hätten Sie schon deutlicher machen müssen.
    Diese Verschiebung von den Arbeitgebern zu Lasten der Versicherten ist vielleicht mit ein Grund, weshalb sich die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände in so charmanter Weise für die Verbreitung der Schrift „Wer soll das bezahlen?" eingesetzt hat, — ein ganz ungewöhnlicher Vorgang, jene Schreiben, die Sie auch kennen, an die Redaktionen der Zeitungen, sie möchten Propaganda für die Schrift machen.
    Aber es findet nicht nur eine Verlagerung in den Sozialaufwendungen zu Lasten der kranken Versicherten statt, sondern es ergibt sich im großen und ganzen auch eine Verschiebung im Sozialaufwand von Alleinstehenden in Richtung auf die Familie, ungeachtet dessen, was der Herr Bundesarbeitsminister heute über die familienfördernde Gesinnung — so muß ich sagen, nicht: Maßnahmen — gesagt hat. Wieso? Ganz einfach: der Alleinstehende zahlt eine Kostenbeteiligung nur für sich, der Verheiratete die Kostenbeteiligung für sich und seinen Ehegatten bei ärztlicher Behandlung; also 2 mal für die Kinder gibt es zwar die Kostenbeteiligung für die Inanspruchnahme des Arztes nicht mehr, aber für Arzneien, Krankenhauspflege können Sie sie, wenn Sie wollen, mit der Hälfte oder mit einem Drittel einsetzen. Hat die Familie also drei Kinder, dann zahlt sie de facto das Dreifache der Kostenbeteiligung, die ein Alleinstehender im Durchschnitt zu zahlen hat.

    (Zurufe von der Mitte. — Abg. Frau Kalinke: Kinder sind doch ausgenommen!)

    — Aber da ist doch das System! Wir müssen ein solches System als familienfeindlich bezeichnen,

    (Beifall bei der SPD)

    wenn Sie in der Veränderung der Sozialleistungen
    die Familie stärker belasten als den Alleinstehenden.
    Es tritt noch eine andere Umschichtung ein. Wer ist denn überwiegend krank? Nicht derjenige, der auf dem Höhepunkt des Lebens steht, sondern — das ist unser gemeinsames Schicksal — die Älteren in unserem Volke sind genötigt, häufiger ärztliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Wenn Sie nun mit der ärztlichen Leistung, mit den Medikamenten, mit der Krankenhauspflege Kostenbeteiligungen verbinden, dann verlagern Sie soziale Aufwendungen zu Lasten der Alten in unserem Volke. Das halten wir für unsozial.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind deshalb der Auffassung, daß Kostenbeteiligung, wie sie hier vorgeschlagen ist, die unsozialste
    Form der Finanzierung von sozialen Leistungen ist,

    (Beifall bei der SPD)

    weil sie zu Lasten der Kranken, zu Lasten der Familie und zu Lasten der Alten in unserem Volke geht.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Jetzt kommt man und sagt: Es gibt doch soziale Vorschriften für eine Kostenbefreiung: Einkommensbezieher bis zu 200 DM werden von der Kostenbeteiligung befreit.

    (Abg. Killat [Unterbach] : Bedürftigkeitsprüfung!)

    Ja das kommt jetzt. - Ich lese einige Sätze aus der Begründung des Gesetzes vor. Sie sprechen nämlich für sich.



    Dr. Schellenberg
    Eine gesetzliche Befreiung für Versicherte mit
    einem monatlichen Einkommen unter 200 DM
    -- so heißt es in der Begründung —
    ist nicht angezeigt, weil es Versicherte gibt, die
    zwar ein geringes Einkommen haben, denen
    aber eine Zuzahlung zugemutet werden kann.
    Das ist, wie Herr Kollege Killat schon dazwischengerufen hat, die Einführung von Bedürftigkeitsprüfungen in der Sozialversicherung.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wahrlich, welcher Stilwandel in unserer Sozialpolitik!

    (Beifall bei der SPD.)

    Oder eine andere Vorschrift — Begründung zu § 186 Abs. 5 —:
    Die Selbstverwaltung soll die Möglichkeit haben, durch Einführung einer Höchstbegrenzung für jeden Behandlungsfall die Kostenbeteiligung besonderen sozialen Gegebenheiten anzupassen.
    Die Selbstverwaltung soll Kostenbeteiligung besonderen sozialen Bedürfnissen anpassen, das bedeutet: Prüfung des einzelnen Falles der sozialen Gegebenheiten, Prüfung fürsorgerechtlicher Art. Anders kann man das nicht verstehen.

    (Zuruf von der SPD: Polizeistaat!)

    Im übrigen führen die Sondervorschriften über die Befreiung von der Kostenbeteiligung für die Bezieher niedriger Einkommen zu grotesken Auswirkungen. Für die Bezieher eines Einkommens unter 200 DM monatlich entfällt nämlich die Erziehung zur Selbstverantwortung durch Kostenbeteiligung. Das ist die Sonderregelung. Der Bezieher eines Einkommens von 400 DM dagegen, der das Doppelte oder das Dreifache an Beiträgen zahlt, soll durch Kostenbeteiligung zur pfleglichen Inanspruchnahme von Leistungen erzogen werden. Das ist doch die Konstruktion!
    Ein anderes Beispiel: Krankenhauspflege. Ein Angestellter, der 600 DM Gehalt hat, zahlt dreimal höhere Beitrage als der Versicherte, der 200 DM verdient. Weil er das Dreifache an Beiträgen zahlt, soll er bei Krankenhauspflege das Dreifache an Kostenbeteiligung zahlen. Das ist eine groteske Regelung. Das hat nichts mit einem sozialen Ausgleich zu tun. Meine Damen und Herren, es wird uns niemand bestreiten, daß wir immer für den sozialen Ausgleich eintreten. Das Beispiel zeigt — diese Lehre sollten Sie ziehen —, daß man ein verfehltes System nicht durch Ausnahmeregelungen sinnvoll machen kann.

    (Beifall bei der SPD.)

    Jetzt zur Gebührenordnung. Die Gebührenordnung ist deshalb wichtig, weil von ihr wesentlich die Höhe der Zuzahlung abhängt. Nach dem Regierungsentwurf soll wegen des Zusammenhanges zwischen der Höhe des Honorars und der Kostenbeteiligung eine sogenannte Leistungsansatzgebührenordnung erlassen werden. Der Bundesarbeitsminister hat diese Gebührenordnung noch nicht vorgelegt. Heute hat er sich weniger darüber ausgelassen, aber
    in der Pressekonferenz hat er erklärt, das könne er noch nicht tun, weil diese Gebührenordnung erst nach Verabschiedung des Gesetzes durch Rechtsverordnung erlassen werden solle. Das bedeutet, daß uns heute zugemutet werden soll, in erster Lesung einen Gesetzentwurf über die Neuregelung der Krankenversicherung zu verabschieden, ohne die Gebührenordnungsansätze und damit, was sozialpolitisch entscheidend ist, die Höhe der Kostenbeteiligung für den einzelnen Versicherten zu kennen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Um es volkstümlich zu sagen: wir sollen hier die Katze im Sack kaufen!

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich darf einen Vergleich aus unserer eigenen Arbeit bringen: Herr Kollege Storch, Sie, den ich früher manchmal heftig kritisiert habe, hätten es damals nicht gewagt, uns die Rentenneuregelungsgesetze ohne eine Rentenformel vorzulegen. Heute erklärt man uns, die Gebührenordnung, die für die Höhe der Kostenbeteiligung entscheidend ist, werde erst später durch Rechtsverordnung erlassen. Das kann ich nur mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Neuregelung der Rentenversicherung vergleichen, die ohne eine Unterrichtung darüber vorgenommen wird, wie die Höhe der Rente im einzelnen berechnet werden soll.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Nein, das weiß auch der Kollege nicht! Denn er hat sich mit dem System bisher noch nicht beschäftigt. Ich werde ihn noch darüber unterrichten.

    (Heiterkeit.)

    — Ich komme nun gleich zum Schluß, denn meine Kollegen wollen auch noch reden, und auch ich möchte vielleicht nach dem Abendessen noch einiges sagen.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Der Herr Bundesarbeitsminister hat in einer allgemein gehaltenen Erklärung seine Vorstellungen über die Ansatzgebührenordnung entwickelt. Ich möchte dazu nur einige Bemerkungen machen; man kann dazu erst Stellung nehmen, wenn man den Entwurf der Gebührenordnung kennt. Dem Gesetzentwurf liegt die Konzeption zugrunde, daß für jede einzelne Honorarposition ein Zuzahlungsbetrag geleistet werden soll, damit der Versicherte die einzelne ärztliche Leistung mit Bedacht in Anspruch nimmt. Für eine solche Gebührenordnung gibt es zwei Möglichkeiten.
    Erstens: Wegen der Vielfältigkeit der einzelnen ärztlichen Leistungen wird für jede einzelne Leistung des Arztes, beispielsweise Untersuchung, EKG, Besuch des Kranken, eine Honorarposition angesetzt, für die dann nach dem Gesetzentwurf jeweils eine Zuzahlung zu leisten wäre. Die praktische Folge muß sein, daß im Rahmen einer Konsultation unter Umständen mehrmals die Zuzahlung von 1,50 DM zu leisten ist. Über diese Auffassung hat sich der zuständige Referent des Arbeitsministeriums im „Deutschen Arzt" wie folgt geäußert:



    Dr. Schellenberg
    Hat der Arzt z. B. beim Besuch eines Patienten drei nach der Gebührenordnung berechenbare Leistungen erbracht, so ist der festgesetzte Betrag dreimal zu zahlen.
    Das ist also die eine Möglichkeit.
    Die andere Möglichkeit besteht darin, mehrere ärztliche Leistungen, z. B. Weg des Arztes zum Patienten, intravenöse Injektion, EKG usw., in einer Honorarposition zusammenzufassen. Dadurch beschränkt sich — das ist richtig — die Höhe der Zuzahlung, wenn man sie sehr stark zusammenfaßt, in der Regel auf eine Zuzahlung bei einer Konsultation.
    Aber welche Wirkung hat das? Das bedeutet de facto, daß die Honorare für vielfältige ärztliche Leistungen pauschaliert und damit nivelliert werden. Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns heute vorgetragen, daß er einer Pauschalierung des Honorars begegnen will. Er hat uns jedoch die Gebührenordnung nicht vorgelegt, so daß wir nicht übersehen können, wie er diese Probleme nun wirklich lösen will.
    Ich würde eine dritte Möglichkeit vorschlagen, nämlich die Koppelung von Zuzahlung und ärztlicher Leistung fallenzulassen und damit einen der großen Fehler des Entwurfs zu beseitigen.
    Herr Kollege Stingl, Sie wollen von mir eine Erklärung zu dem haben, worüber Sie schmunzeln. Wenn sie konkret Stellung nehmen, geben wir Ihnen auch darauf eine Antwort. Jetzt setzen wir uns einmal mit dem Regierungsentwurf auseinander.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sonst spreche ich noch länger, und dann falle ich Ihnen lästig.
    Der Herr Bundesarbeitsminister hat mich gezwungen, noch zu der Arzneifrage etwas zu sagen. Sonst heißt es: Der Schellenberg kneift. Aber wir fechten miteinander. Der Herr Bundesarbeitsminister hat liebenswürdigerweise den Sozialplan der SPD durcharbeiten lassen. Wir haben im Hinblick darauf, daß in Deutschland für Arzneien bereits eine Kostenbeteiligung besteht, selbstverständlich die Frage der Kostenbeteiligung zur Diskussion gestellt und uns darüber Gedanken gemacht. Aber Sie müssen den Sozialplan ganz lesen und nicht nur die Stellen herausziehen, die Ihnen willkommen sind. Wir haben im Sozialplan die Frage aufgeworfen, ob es nicht zweckmäßig ist, zwischen Heilmitteln und Linderungsmitteln zu unterscheiden, wir haben aber erklärt, daß dort, wo Linderungsmittel notwendig sind, sie als Leistungen der Sozialversicherung gewährt werden müssen.
    Was Sie, Herr Bundesarbeitsminister, aber vorschlagen, ist leider — ich muß es wieder sagen — wirklichkeitsfremd, noch wirklichkeitsfremder als — so meinen Sie — Vorstellungen, die wir einmal zur Diskussion gestellt haben. Ich möchte Ihnen darlegen, wie wirklichkeitsfremd Ihr Gesetzentwurf hinsichtlich der Beteiligung an Arzneikosten ist.
    Durch die Beteiligung soll der Arzneimittelbedarf eingeengt werden. Wenn jemand nach Ihrer Regelung Arzneien im Wert bis 5 DM bezieht, beträgt die Zuzahlung 1 DM. Die praktische Wirkung wird sein, daß jeder, der ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt und eine Arzneiverordnung erhält, seinen Arzt bitten wird, ihm eine größere Packung zu verschreiben, damit der Zuzahlungsbetrag nicht zu häufig fällig wird. Er wird den Arzt bitten, nicht zu billige Arzneien zu verschreiben; denn wenn die Arznei nur 2 DM wert ist, macht seine Kostenbeteiligung 50 % aus.

    (Abg. Stingl: So wenig vertrauen Sie den Versicherten?)

    Wissen Sie, was die praktische Wirkung sein wird? Die chemische Industrie wird Packungen im Wert von 4,95 DM produzieren, damit sich die Zuzahlung für den Versicherten lohnt. Das würde eine Folge der Regelung sein. Jeder Praktiker wird Ihnen sagen, daß dadurch der Arzneiaufwand nicht gesenkt wird.

    (Zuruf von der Mitte: Sie machen die Menschen schlechter, als sie sind!)

    Zum Schluß möchte ich nur noch hinsichtlich des Verwaltungsaufwands eine Frage an den Herrn Minister stellen. Die Kassenärztliche Vereinigung, die der Aufsicht des Herrn Bundesarbeitsministers untersteht, hat in der Öffentlichkeit erklärt, daß die Verwaltungsaufwendungen durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung um 230 Millionen DM steigen würden. Ich bitte den Herrn Bundesarbeitsminister, zu den Erklärungen dieser Körperschaft des öffentlichen Rechts, die seiner Dienstaufsicht untersteht, Stellung zu nehmen und zu erklären, ob die Behauptung richtig oder falsch ist. Ich muß nämlich daran erinnern, daß der Herr Bundesarbeitsminister am 27. Januar 1959 erklärt hat:
    Ärzteverbände und SPD
    — damals schon das, was Sie als „Einheitsfront" bezeichnet haben —
    erklären, der Referentenentwurf verursache einen Verwaltungsmehraufwand bei den Arbeitgebern, den Krankenkassen und den Ärzten. Wenn man die Stärkung der Selbstverantwortung für ein hohes Ziel hält, muß man auch grundsätzlich einen höheren Verwaltungsaufwand in Kauf nehmen.
    Soweit der Herr Bundesarbeitsminister. Wir teilen die Auffassung nicht, daß Methoden zur allgemeinen Stärkung des Verantwortungsbewußtseins entwickelt werden müssen, und sind auch der bescheidenen Auffassung, daß es der Sinn einer Sozialreform sein sollte, den Verwaltungsaufwand zu senken.
    Ich möchte kurz zusammenfassen. Wir bestreiten nicht, daß der Gesetzentwurf eine Reihe von Verbesserungen enthält.

    (Bravo! von der Mitte.)

    — Wir halten sie für unzureichend, aber darüber läßt sich noch reden. Das Entscheidende ist jedoch: Wir halten die Grundkonzeption des Gesetzentwurfs, durch den ein Stilwandel unserer Sozialpolitik erreicht werden soll, für völlig verfehlt. Die



    Dr. Schellenberg
    entscheidenden Vorschriften des Gesetzentwurfs, z. B. über die Kostenbeteiligungen und über die Kontrolluntersuchungen, werden den sozialen und gesundheitlichen Bedürfnissen in unserem Volk nicht gerecht, und sie beruhen auf einem allgemeinen Mißtrauen gegenüber den arbeitenden Menschen und seiner Familie.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Theodor Blank


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, noch einmal eine längere Rede zu halten, weil ich den Damen und Herren, die auch noch zu sprechen den berechtigten Wunsch haben, nicht die Zeit wegnehmen will.
    Eines muß aber kurz festgehalten werden. Ich weiß, daß Sie, Herr Kollege Schellenberg, der Meinung waren, man könne heute in diesem Hause über den Gesetzentwurf der Bundesregierung sprechen, ohne den Sozialplan der SPD zu erwähnen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich weiß sogar, Herr Kollege Schellenberg, daß Ihnen das äußerst unangenehm ist, möchte aber mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur ganz wenige Sätze aus diesem Sozialplan zitieren.

    (Zuruf von der SPD: Noch mehr, das ist besser!)

    Der Sozialplan für Deutschland ist auf Anregung des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei vorgelegt worden. Ich will nicht alle Namen aufzählen, aber zu den verdienstvollen Verfassern gehört auch mein Freund, der Herr Professor Ernst Schellenberg. Herr Schellenberg hat eben vom Mißtrauen gesprochen und von dem Mißbrauch, von dem ich ausgegangen sei. In dem Sozialplan gibt es ein Kapitel mit der Überschrift: Arneimittelmißbrauch. Daraus nur wenige Sätze:
    Ein sehr großer Teil des heutigen Arzneimittelverbrauchs gilt der Abwendung von Folgen unbesonnener Handlungen oder gänzlich fehlgeleiteter Lebensführung, so der massenhafte Verbrauch von Schlafmitteln und von schmerzlindernden Mitteln in direktem Zusammenhang mit bedenkenlosem Genußmittelverbrauch.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, aber damit nicht einmal genug!

    (Abg. Dr. Schellenberg: Sie sehen, wir haben Mut!)

    — O ja, ich bewundere Ihren Mut! — Daß aber nicht nur die Versicherten diesen Mißbrauch betreiben, das wird ausdrücklich noch einmal hervorgehoben, indem gesagt wird — von mir gibt es eine solche Äußerung nicht, ich zitiere —:
    Zweifellos sind aber auch manche Ärzte

    (Zuruf von der SPD: Manche!)

    selbst in der Verordnung von Arzneimitteln nicht sonderlich kritisch. Wenn in weiten Kreisen der Wert einer Behandlung, ja eines Arztes nach der Menge der verordneten Arzneimittel gemessen wird, so spiegelt das in erster Linie den Glauben vieler Ärzte an die bestimmte Wirkung chemischer Präparate wider.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Und nun, Herr Schellenberg, obwohl wir uns heute sonst so nett unterhalten haben, ich kann Sie daraus nicht entlassen! Es heißt hier weiter:
    Deshalb wird zu prüfen sein, ob man nicht eben von diesem Punkt ausgehen soll
    — Herr Schellenberg unterschied hier vorhin zwischen Linderungs- und Heilmitteln —
    und nur den Verbrauch vermeidbarer Arzneimittel mit einer Kostenbeteiligung belasten, vielleicht sogar von der Kostenübernahme in der sozialen Sicherung überhaupt ausnehmen soll.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß dieses Dokument auch für uns von einem erheblichen Wert ist, wenn wir uns mit den Dingen beschäftigen, die unter das Kapitel „Kostenbeteiligung" gehören. Ich danke Ihnen für diesen Plan.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)