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    Deutscher Bundestag 102. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1960 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Wittmann und Dr. Böhm . . . . 5485 A Fragestunde (Drucksache 1609) Frage des Abg. Schneider (Bremerhaven) : Filme antideutscher Tendenz im amerikanischen und kanadischen Fernsehen Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5485 C Frage des Abg. Schmitt (Vockenhausen): Verhalten des Konsuls Karl Julius Hoffmann in New York Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5485 D, 5486 A Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5486 A Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Vorlage des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten an den Bundestag Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5486 B Frau Dr. Hubert (SPD) 5486 D. Frage des Abg. Dr. Bucher: Besetzung der deutschen Botschaft in Paris Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5487 A Frage des Abg. Lohmar: Äußerung des Abg. Gradl in der außenpolitischen Debatte des Bundestages am 10. Februar Dr. van Scherpenberg, Staatssekretär 5487 A Lohmar (SPD) . . . . . . . . . 5487 B Frage des Abg. Dr. Werber: Nichtseßhaftenfürsorge Dr. Schröder, Bundesminister 5487 C, 5488 A Dr. Werber (CDU/CSU) . . . . . 5487 D Frage des Abg. Lohmar: Verhalten des Publizisten Schlamm Dr. Schröder, Bundesminister . . 5488 A, B Lohmar (SPD) . . . . . . . . 5488 A, B Frage des Abg. Dr. Arndt: Förderung Münchens als bayerische Landeshauptstadt durch dein Bund Lücke, Bundesminister 5488 C Frage des Abg. Baier (Mosbach): Erstellung von Kinderspielplätzen Lücke, Bundesminister . . 5488 D, 5489 B Baier (Mosbach) (CDU/CSU) . . . 5489 B II Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1960 Frage des Abg. Schmitt (Vockenhausen) : Steuerfreiheit bei Abwicklung von Geschäften über Gesellschaften mit dem Sitz in Vaduz Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 5489 C Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . . 5489 C Frage des Abg. Dr. Ratzel: Förderung des Ausbaus eines Ferngasnetzes durch die Bundesregierung Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 5489 D Frage des Abg. Ludwig: Kündigung von 350 deutschen Arbeitern des französischen Militärbetriebs BRM zum Jahresende 1959 Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 5490 B Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Vorlage des Bundeswaffengesetzes für den zivilen Bereich durch die Bundesregierung Dr. Westrick, Staatssekretät 5490 D, 5491 A Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 5491 A Frage des Abg. Dr. Bechert: Aufklärung der Käufer von Freibankfleisch Schwarz, Bundesminister . 5491 B, 5492 A Dr. Bechert (SPD) . . . 5491 C, 5492 A Frage des Abg. Seidel (Fürth): Weiterführung von Karteikarten aus der Zeit vor 1945 bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Blank, Bundesminister . . . . . 5492 B Seidel (Fürth) (SPD) 5492 C Frage des Abg. Jahn (Marburg) : Veröffentlichung von Urteilen im Bundesversorgungsblatt Blank, Bundesminister . 5492 D, 5493 A Jahn (Marburg) (SPD) 5493 A Frage des Abg. Brück: Beeinträchtigung des Königsforstes durch die geplante Bundesstraße 55 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 B Frage des Abg. Brück: Linienführung der Umgehungsstraße von Bensberg zur B 55 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 C Frage des Abg. Schmitt (VOckenhausen): Einführung von Parkscheiben Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5493 D Frage des Abg. Baier (Mosbach) : Unfälle auf der Autobahn Frankfurt— Mannheim und Mannheim—Heidelberg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5494 B Frage des Abg. Hübner: Einrichtung einer 1. Klasse im Flugverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5495 C Frage des Abg. Schmidt (Hamburg) : Besetzung der Radargeräte im Bereich der Bundesanstalt für Flugsicherung Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5495 D, 5496 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 5496 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Neuregelung der sozialen Krankenversicherung (Drucksache 1298); verbunden mit Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz — KVNG) (Drucksache 1540) — Erste Beratung — Rohde (SPD) 5497 A Blank, Bundesminister . 5498 D, 5527 A Stingl (CDU/CSU) 5508 B Dr. Schellenberg (SPD) 5517 B Dr. Stammberger (FDP) 5527 D Frau Kalinke (DP) 5532 C Dr. Franz (CDU/CSU) 5545 A Frau Dr. Hubert (SPD) 5547 C Schneider (Hamburg) (CDU/CSU) 5550 B Dr. Bärsch (SPD) . . . . . . . 5554 C Mischnick (FDP) . . . . . . . 5558 D Geiger (Aalen) (SPD) 5560 C Frau Korspeter (SPD) 5566 B Frau Döhring (Stuttgart) (SPD) . . 5568 A Ruf (CDU/CSU) . . . . . . . 5569 B Börner (SPD) 5571 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . 5572 D Anlage 5573 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Februar 1960 5485 102. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1960 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 29. 2. Bauereisen 19. 2. Behrisch 18. 2. Benda 19. 2. Dr. Birrenbach 19. 2. Brand 19. 2. Brüns 2. 7. Deringer 19. 2. Eberhard 27. 2. Dr. Eckhardt 28. 2. Eilers (Oldenburg) 19. 2. Even (Köln) 29. 2. Frau Friese-Korn 27. 2. Geiger (München) 19. 2. D. Dr. Gerstenmaier 17. 2. Glüsing (Dithmarschen) 19. 2. Dr. Greve 17. 2. Dr. Gülich 16. 4. Haage 19. 2. Dr. von Haniel-Niethammer 19. 2. Hellenbrock 19. 2. Dr. Höck (Salzgitter) 20. 2. Horn 19. 2. Hübner 19. 2. Abgeordnete() beurlaubt bis einschließlich Illerhaus 17. 2. Jacobs 7. 3. Jahn (Frankfurt) 23. 4. Dr. Jordan 19. 2. Kalbitzer 19. 2. Frau Klemmert 15. 5. Koch 19. 2. Leukert 19. 2. Dr. Lindenberg 19. 2. Lulay 29. 2. Maier (Freiburg) 16. 4. Metzger 18. 2. Mühlenberg 19. 2. Müser 20. 2. Probst (Freiburg) 17. 2. Ramms 19. 2. Scheel 17. 2. Schlick 20. 2. Schultz 17. 2. Dr. Starke 19. 2. Dr. Steinmetz 19. 2. Wehr 23. 4. Frau Welter (Aachen) 27. 2. Werner 24. 2. Dr. Willeke 1. 3. b) Urlaubsanträge Frau Berger-Heise 27. 2. Dr. Leverkuehn 25. 2. Spitzmüller 8. 3.
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    Rede von Theodor Blank


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe auf diesen Tag gewartet.

    (Lachen und Zurufe von der SPD: Wir auch!)

    —Ich betone noch einmal: ich habe darauf gewartet,

    (Zurufe von der SPD: Warten wir mal den Abend ab!)

    weil ich die Möglichkeit habe, dem allein entscheidenden Gremium meine Auffassung und die Auffassung der Bundesregierung vorzutragen, weil damit die Behandlung dieses Themas vor das Forum kommt, das allein zur Behandlung zuständig ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundesarbeitsminister Blank
    Sie mögen daraus entnehmen, wie groß mein Respekt vor diesem Parlament ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der SPD.)

    Die Bundesregierung legt Ihnen heute den in der Regierungserklärung vom 29. Oktober 1957 angekündigten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Diese Vorlage enthält zugleich die Antwort auf die am 20. Oktober 1959 eingebrachte Große Anfrage der Fraktion der SPD, und mein sehr verehrter Herr Vorredner darf sicher sein, daß die von ihm gestellten Fragen in meiner Begründung zum Regierungsentwurf ihre Beantwortung finden.
    Meine Damen und Herren, gestatten sie mir einen kleinen geschichtlichen Rückblick.
    Vor fast genau 50 Jahren hat sich der Deutsche Reichstag mit einer umfassenden Reform des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung befaßt. Am 18. April 1910 begann er die erste Beratung des Entwurfs einer Reichsversicherungsordnung. Seit dieser Zeit ist das 2. Buch der Reichsversicherungsordnung, das das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung enthält, viele Male geändert und ergänzt worden. Das ist verständlich; denn man muß bedenken, daß die Sozialpolitik ihrer Natur nach dynamisch ist und daß das Bestreben, die bestmögliche Form sozialer Sicherung zu finden, niemals als abgeschlossen betrachtet werden kann.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Wenn wir heute wieder — wie vor 50 Jahren — vor der Aufgabe einer Reform stehen, dann deshalb, weil die stürmische Entwicklung dieser Jahre so vielfältige Veränderungen gebracht hat, daß ihnen mit einigen Korrekturen am Recht der sozialen Krankenversicherung nicht Rechnung getragen werden kann. Wir müssen vielmehr im ganzen reformieren und neugestalten. Diese Aufgabe ist nicht leicht. Sie ist sogar sehr schwer. Ich weiß, daß sehr sachverständige Damen und Herren dieses Hohen Hauses, Kenner des Sozialrechts und der Sozialpolitik aus allen Fraktionen, die Neuregelung des Rechts der sozialen Krankenversicherung für die schwerste Aufgabe halten, die ihnen bei der Neuregelung des Sozialrechts gestellt ist. Ich teile diese Auffassung und fühle, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Ihnen allen die Schwere der Verantwortung.
    Bevor ich die Einzelheiten des Gesetzentwurfs vortrage und begründe, darf ich Ihnen kurz die Ausgangssituation aufzeigen und die Grundgedanken des Entwurfs darlegen.
    Die gesetzliche Krankenversicherung ist nicht nur eine der ältesten, sie ist in vieler Hinsicht auch heute noch eine der besten in der Welt. Das gilt für die Leistungen bei kurzdauernden Krankheiten, das gilt in einem gewissen Umfange für den Schutz der Familie. Ihre Organisationsform hat sich bewährt. Die deutsche Krankenversicherung ist daher auch ihrer Aufgabe in der schwierigen Vergangenheit, in zwei Kriegen und ihren Folgezeiten gerecht geworden. Dies darf man nicht übersehen, wenn
    man daran geht, Neues zu schaffen. Was am alten Recht gut ist, sollte auch bei einer Reform verwertet und weiter entwickelt werden.
    Das gilt zunächst für das Leistungsrecht. Die Leistungen, die die Krankenversicherung heute gewährt, sind im großen und ganzen gut, aber sie zeigen — das ist, glaube ich, gemeinsame Überzeugung aller in diesem Hohen Hause Vertretenen — doch einen entscheidenden Mangel. Das Schwergewicht der Leistungen liegt bei den kurzfristigen Krankheiten; bei langdauernden Krankheiten ist der Versicherte — jedenfalls nach unseren heutigen Vorstellungen — ohne den erforderlichen Schutz.
    Die Krankenversicherung hat bei fast allen ihren Leistungen — und in der Vergangenheit sicher aus guten Gründen — eine Begrenzung der Bezugsdauer vorgesehen. Ist die Leistungsdauer aber abgelaufen, dann endet der Schutz, und der Versicherte ist häufig der Not preisgegeben. Diese Fälle sind heute zahlreicher als früher. Warum?
    Früher war der Hauptfeind der menschlichen Gesundheit die Infektionskrankheit, die meist einen schnellen und stürmischen Verlauf nahm und auch oft zum Tode führte. Heute hat dieser Feind dank der Fortschritte der medizinischen Wissenschaft, der Hygiene, der Bakteriologie und der Entwicklung von wirksamen Medikamenten, der Tätigkeit natürlich auch der Ärzte und der Krankenkassen weitgehend seine Schrecken verloren. Auf der anderen Seite aber treten dafür Krankheiten in einem vermehrten Umfange auf, die eine langdauernde Behandlung erfordern.
    Deshalb muß eine moderne Krankenversicherung dies berücksichtigen und ihre Leistungen besonders auf dieses Krankheitsrisiko ausdehnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sagte — ich will es wiederholend zusammenfassen —, bei den kurzfristigen Krankheiten seien die Leistungen vielleicht hinreichend, aber der entscheidende Mangel der herkömmlichen Krankenversicherung sei, daß sie der gewandelten Krankheitsstruktur heute nicht mehr Rechnung trägt und für den langfristigen Krankheitsfall nicht das Maß an Sicherheit bietet, das man in einem modernen sozialen Rechtsstaat an Sicherungen erwarten darf. Aber die Medizin hat doch weitere Fortschritte in der Früherkennung der Krankheiten gemacht, und sie sollten dem Versicherten auch zugute kommen. Deshalb muß das Leistungsrecht auf die Vorsorgehilfe ausgedehnt werden.
    Wesentlich geändert hat sich in diesen fünfzig Jahren aber auch die Einstellung des Menschen zur Krankheit. Dadurch werden Probleme aufgeworfen, die man beachten muß. Zunächst möchte ich Ihnen einmal darlegen, wie sich diese geänderte Einstellung in Zahlen messen läßt.
    Aus einer Feststellung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands ergibt sich, daß die Zahl der Behandlungsfälle im Jahre 1933 37,4 Millionen betrug. 1936 wurden 52,3 Millionen Behandlungsfälle registriert. Im gleichen Zeitraum war die Zahl der Versicherten von 18,6 Millionen auf 21,5 Millionen

    Bundesarbeitsminister Blank
    gestiegen. Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren — und ich bitte Sie, das nur als Maß aufzunehmen und festzuhalten —, haben wir bei rund 26 Millionen Versicherten im Jahr 109 Millionen Krankenscheine, die ausgegeben und abgerechnet werden.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Das ist sehr beachtlich.
    Die Tatsache, daß sich die Einstellung des Versicherten zur Krankheit geändert hat, zeigt sich auch aus der völlig veränderten Behandlungsdauer. Aber auch die soziale Situation der Versicherten hat sich geändert. Noch die Novelle von 1892 ging von der Voraussetzung aus, daß ein Arbeiter niemals über ein Jahreseinkommen von 2000 Mark hinauskommen könne. Deswegen wurde für Arbeiter die Versicherungspflicht ohne Begrenzung festgesetzt. Seit dieser Zeit hat sich das Lohnniveau der Arbeiter aber erheblich geändert.

    (Zuruf von der SPD: Auch bei den Unternehmern! — Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Das wird nicht bestritten. Aber ich gebe Ihnen hier Zahlen, die notwendig sind, um die Situation in der Krankenversicherung zu erkennen. — So lag das Durchschnittseinkommen des rentenversicherten Arbeitnehmers — nicht eingerechnet die große Zahl jugendlicher Arbeitnehmer, deren Einkünfte oft in die Haushaltseinkommen der Eltern eingehen — 1950 bei 3161 DM, 1958 bei 5330 DM, während es im Jahre 1936 1783 RM betrug.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch aus der Veränderung dieser Verhältnisse glaubte die Bundesregierung für die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung Folgerungen ziehen zu müssen. Ich darf diese Folgerungen jetzt einmal darlegen.
    Wir glaubten, daß die Leistungen der Krankenversicherungen so auszubauen seien, daß der Versicherte bei schwerer und langdauernder Krankheit geschützt ist. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, daß hier die Krankenversicherung herkömmlicher Art Kritik verdient. Deshalb schlagen wir die Fortzahlung des Krankengeldes über die sechste Woche hinaus in der bis dahin gewährten Höhe vor. Sie wissen alle, daß nach dem herkömmlichen Recht das Krankengeld nach der sechsten Woche absank. Man muß aber wohl im allgemeinen annehmen, daß sich die wirtschaftliche Lage des Kranken gerade nach der sechsten Woche der Krankheit verschlechtert, anstatt sich zu bessern.
    Weiter waren wir der Meinung, daß die Aussteuerung, jener gefürchtete Tatbestand, wegfallen und dem Versicherten ein lückenloser Schutz bei dem Übergang von der Kranken- in die Rentenversicherung gewährt werden müsse.
    Die familienpolitischen Überlegungen nötigen uns dazu, zu erkennen — —

    (Abg. Dr. Schellenberg: Eine Kostenbeteiligung einzuführen, was?)

    — Ich bitte Sie, Herr Professor, mich in Ruhe meine
    Begründung vortragen zu lassen. Ich glaube, wir
    werden heute noch genugend Gelegenheit haben, die Klingen zu kreuzen. Ich werde Ihnen nicht ausweichen! — Die Sachleistungen nötigen uns zu der Überlegung, daß die Leistungen für die Familienangehörigen nicht ausreichend sind, und deshalb unser Vorschlag, die Sachleistungen für die mitversicherten Familienangehörigen in gleichem Umfang zu gewähren wie für die Versicherten selbst.
    Wir waren ferner der Meinung, daß in den Leistungskatalog der Krankenversicherung die Vorsorgehilfe als Leistungsart aufzunehmen und so zu regeln sei, daß eine Weiterentwicklung auch ohne Tätigwerden des Gesetzgebers möglich ist.
    Die veränderte Einstellung des Menschen zur Krankheit zwingt allerdings dazu, auch zu überlegen, ob eine Krankenversicherung als Risikoversicherung mit hundertprozentiger Abdeckung des Risikos noch richtig ist. Die Entwicklung der sozialen Lage der Versicherten berechtigt zu der Frage, ob ein Teil dieses Risikos nicht dem Versicherten überlassen werden kann. Der notwendige Ausbau der Leistungen für den schweren und langdauernden Krankheitsfall könnte dann ohne Hebung des allgemeinen Beitrags erfolgen.
    Die veränderte Einstellung des einzelnen Menschen zur Krankheit hat aber auch eine Änderung in dem Verhältnis des Patienten zum Arzt bewirkt. Dringender als früher verlangt der Versicherte nicht nur die Möglichkeit, von einem Arzt behandelt zu werden, sondern auch die Möglichkeit, von dem Arzt seines Vertrauens behandelt zu werden.

    (Abg. Stingl: Sehr richtig!) Er verlangt die freie Arztwahl.


    (Zurufe von der SPD.)

    Die Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung hat aber auch für den Arzt eine Veränderung seiner beruflichen Bedingungen gebracht. Die Zahl der Ärzte betrug um die Jahrhundertwende 27 000 bei einer Bevölkerung von rund 56 Millionen. 1930 hatten wir rund 47 000 Ärzte bei einer Bevölkerung von 65 Millionen. Heute haben wir bei einer Bevölkerung von rund 52 Millionen rund 76 000 Ärzte.

    (Zuruf der Abg. Frau Dr. Hubert.)

    — Nicht alle sind freipraktizierende Ärzte, Frau Doktor. Aber immerhin haben wir auf 10 000 Einwohner 7,9 freipraktizierende Ärzte, d. h. auf etwa 1250 Einwohner einen praktizierenden Arzt. Da die Versicherten und ihre Familienangehörigen 80 % der Bevölkerung ausmachen, ist ein ausreichendes Betätigungsfeld für den freipraktizierenden Arzt meist nur dann noch gegeben, wenn er berechtigt ist, auch Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung zu behandeln.
    Meine Damen und Herren, das ist eines der Kernprobleme des Vorschlags der Bundesregierung. Ich werde dieses Problem in anderem Zusammenhang noch einmal anschneiden. Lassen Sie mich an dieser Stelle klar sagen, daß dies eine Bestimmung im Gesetzentwurf ist, deren Verwirklichung die Bundesregierung erwartet. Wenn man will, daß der Arzt-

    Bundesarbeitsminister Blank
    beruf ein freier Beruf bleibt, kann man einen Teil derer, die sich für diesen Beruf haben ausbilden lassen, praktisch nicht an der Ausübung ihres Berufes hindern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und vereinzelt bei der FDP.)

    Wenn 80 % des deutschen Volkes von der sozialen Krankenversicherung als Versicherte und Familienangehörige erfaßt sind, bleibt der ärztliche Beruf nur dann ein freier Beruf, wenn jeder Arzt von jedem, der ihm das Vertrauen schenkt, zu Rate gezogen werden kann.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Das Verfassungsgericht wird im April ohnehin ,entscheiden!)

    — Die Bundesregierung, Herr Professor Schellenberg, möchte sich vom Bundesverfassungsgericht gar nicht drängen lassen.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

    Ich weiß, daß sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Frage beschäftigen wird. Wie aber auch immer das Gericht entscheiden wird, die Bundesregierung ist aus der Sache heraus der Meinung, daß allen Ärzten, die sich in freier Praxis niedergelassen haben, das Recht gegeben werden sollte, an der kassenärztlichen Versorgung teilzunehmen, wenn sie es wünschen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich aber freie Zulassung will, wenn ich jedem für die Ausübung seines Berufes hinreichend ausgebildeten Arzt die Möglichkeit geben will, alle Patienten, die zu ihm kommen, zu behandeln, dann muß in der Art der Honorierung der ärztlichen Leistung ein Wandel eintreten. Die Krankenkassen — nicht alle taten es — werden sich nicht mehr wie bisher durch die Zahlung eines Pauschales von ihrer Verpflichtung den Ärzten gegenüber befreien können. Sie werden vielmehr nach unserem Vorschlag jeden Arzt nach seiner einzelnen erbrachten Leistung honorieren müssen. Das ist ein weiterer Kernpunkt der Gesetzesvorlage. Wir wollen nicht, daß der frei praktizierende Arzt in wirtschaftliche Not gerät, wir wollen ihm aber auch nicht irgendeine Einkommensgarantie geben. Wir wollen, daß er für seine Leistung, die er individuell an seinen Patienten erbringt, eine Honorierung bekommt, die es ihm erlaubt, als frei beruflich Tätiger das Leben für sich und die Seinen in angemessener Weise zu gestalten.
    Da aber der Arztberuf ,der einzige Beruf ist, in dem der Umfang der Leistungen durch eigenes Ermessen bestimmt werden kann, ist eine solche Einzelhonorierung ohne ein Korrektiv, ohne eine einem solchen System immanente Kontrolle nicht möglich, nämlich die Kontrolle durch denjenigen, der die Leistung erhält und der sie schließlich und letzten Endes bezahlen muß, d. h. durch den Versicherten. Das ist wiederum ein Kernpunkt des Gesetzesvorschlages. Ich will sowohl den Versicherten als auch den Arzt aus der Anonymität herausheben.

    (Beifall in der Mitte und vereinzelt bei der FDP und DP.)

    Der Versicherte soll wissen, welche ärztliche Leistung an ihm erbracht wird.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Er soll wissen, was die Versichertengemeinschaft, die auch nach meinen Vorschlägen noch den größten Teil des Honorars zu zahlen hätte, dafür an geldlicher Leistung aufbringen muß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Er soll den wirtschaftlichen Wert dessen, was die Solidargemeinschaft ihm gibt, und er soll den wirtschaftlichen Wert der ärztlichen Leistung klar erkennen. An diesem Vorschlag in meinem Entwurf werde ich festhalten; ich werde ihn verteidigen, wie auch immer andere Fragen dieses Entwurfs geregelt werden!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Freie Zulassung, Einzelhonorierung und Selbstbeteiligung des Versicherten hängen eng zusammen. Die Form der Kostenbeteiligung ist erst in zweiter Linie entscheidend. Ich hänge gar nicht an der Technik meines Vorschlages.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Haben Sie sich das vorher überlegt?)

    Herr Professor, Sie müßten wissen, daß wir fortwährend überlegen. Sie müßten weiter wissen, daß dieses Parlament in seinen Ausschußberatungen sicher die Möglichkeit haben wird, eine bessere Lösung zu finden, als sie mir eingefallen ist. Ich bin bescheiden genug, diese Möglichkeit in Rechnung zu stellen.

    (Beifall in der Mitte und bei einzelnen Abgeordneten der FDP und DP.)

    Ich sage noch einmal, die Form der Kostenbeteiligung ist in diesem Zusammenhang erst in zweiter Linie entscheidend. Was entscheidend ist, habe ich vorhin in meinen Sätzen gesagt, und, meine Damen und Herren, Sie dürfen sicher sein: darüber wird ernst beraten werden. Verläßt man aber das System der heutigen Pauschalhonorierung und geht man zur Honorierung nach Einzelleistungen über, so ist eine weitere zwangsläufige Folge eines solchen Systemwandels die Zugrundelegung einer Gebührenordnung für die Einzelleistungen. Auf die Frage nach der zweckmäßigen Form einer solchen Gebührenordnung werde ich später zu sprechen kommen.
    Sie sehen, meine Damen und Herren, daß sich hier ein Stück des Entwurfs zwangsläufig in das andere Stück fügt und fügen muß, um ein sinnvolles Ganzes zu ergeben. Von der Sicht des Versicherten her fordern hohe Leistungen Besonnenheit und Maß in der Inanspruchnahme dieser Leistungen.

    (Abg. Frau Kalinke: Sehr wahr!)

    Hier meine ich, darf der Gesetzgeber einen wichtigen Umstand nicht übersehen: daß dieses Gesetz für Menschen gemacht wird, Menschen mit Vorzügen, aber auch mit Schwächen.

    (Abg. Stingl: Sehr richtig!)

    Noch einen weiteren Gesichtspunkt darf ich. hinzufügen. Die Gemeinschaft — und das ist auch ein



    Bundesarbeitsminister Blank
    Prinzip der Sozialethik — hat zwar die Aufgabe, alles zu tun, um dem einzelnen Menschen in den Wechselfällen des Lebens Hilfe angedeihen zu lassen. Diese Hilfe muß aber so beschaffen sein, daß sie dem einzelnen nicht jede Verantwortung abnimmt, ihn vor allem nicht des Willens zur Selbsthilfe beraubt, der einen der entscheidenden Faktoren für die Entfaltung des menschlichen Lebens darstellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diesen Willen zur Selbsthilfe zu wecken und zu fördern, sollte gerade das Ziel einer verantwortungsvollen sozialpolitischen Gesetzgebung sein. Ich weiß, daß diese Gedanken nicht neu sind. Sie sind auch in diesem Hause bei verschiedenen Gelegenheiten und von verschiedenen Seiten wiederholt betont worden. Ich meine, daß wir jetzt und bei dieser Vorlage die Gelegenheit hätten, solche Gedanken in die Tat umzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)

    Ich meine, wir sollten im Bereich der sozialen Krankenversicherung den Willen des Versicherten fördern, das wirtschaftliche Risiko der Krankheit auch aus eigenen Kräften mitzutragen und sich nicht ausschließlich auf die Hilfe der Gemeinschaft zu verlassen, selbst wenn er diese Hilfe mit eigenen Beiträgen finanziert.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Da ist der Beifall aber schwach! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Gestatten Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, nachdem ich versucht habe, die Grundgedanken dieses Gesetzes zu erläutern, auf einige Einzelheiten einzugehen. Ich werde vielleicht im Laufe der Debatte Gelegenheit haben, noch einmal den einen oder anderen dieser Grundsätze hier zu behandeln. Jetzt möchte ich mich darauf beschränken, Ihnen die wichtigsten Einzelheiten des Gesetzentwurfs vorzutragen, insonderheit diejenigen, bei denen Neuerungen zu verzeichnen sind. Sie mögen, meine Damen und Herren, schon daraus entnehmen, daß viel vom heute geltenden Recht auch bei dieser Reform erhalten bleibt.
    Wir haben in den vergangenen Tagen merkwürdige Einheitsfronten erlebt. Ich bin sicher, diese Einheitsfronten zerbrechen schon bei der Beratung des Paragraphen, den ich Ihnen jetzt kurz darlege, wo es darum geht, wie denn nun der Kreis der Versicherten zu umreißen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Manche Flugblätter werden eine etwas verbindlichere Sprache sprechen.
    Was nämlich den Kreis der versicherten Personen betrifft, geht der Regierungsentwurf davon aus, daß die Krankenversicherung wieder vorwiegend eine Versicherung der unselbständig Beschäftigten, der Arbeitnehmer, werden soll. Die bisher versicherungspflichtigen Selbständigen sind aus der Versicherungpflicht entlassen; aber ihnen wird die Versicherungsberechtigung zuerkannt. Der Versicherungsschutz für den Arbeitnehmer, soweit er sicherungsbedürftig ist, soll sich von der Arbeitsaufnahme bis zu seinem Tode über alle Stationen des Arbeitslebens, mit denen erfahrungsgemäß gerechnet werden muß — wie Arbeitslosigkeit, Krankheit und schließlich Rentenbezug , hinweg erstrecken. Schon vor der Arbeitsaufnahme ist er, wenn er Kind eines Versicherten ist, über die Familienhilfe in den Schutz der Versichertengemeinschaft einbezogen. Damit gewährt die Krankenversicherung Schutz in allen Lebensabschnitten dem, der dessen bedarf.
    Es ist einer der Grundsätze der Sozialpolitik der Bundesregierung — ich habe sie diesem Hohen Hause, den für die Sozialpolitik zuständigen Ausschüssen, schriftlich und mündlich dargelegt —, daß man soziale Leistungen nur dort erbringen soll, wo soziale Leistungen erforderlich sind, dann aber in ausreichendem Ausmaße,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und daß man soziale Leistungen dort nicht erbringt,
    wo der einzelne aus eigener Kraft für sich und die
    Seinen mit den Lebensrisiken fertigzuwerden weiß.
    Deshalb sehen wir vor, daß wie bisher versicherungspflichtig alle Arbeitnehmer mit einem Jahresarbeitsverdienst bis zu 7920 DM sind. Ist der Jahresarbeitsverdienst höher als 7920 DM oder 660 DM monatlich, so sind Arbeitnehmer dann versicherungspflichtig, wenn sie im Krankheitsfalle nicht mindestens für sechs Wochen Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts haben. Damit behandelt der Entwurf Arbeiter und Angestellte unter gleichen versicherungsrechtlichen Bedingungen gleich. Wenn das Arbeitsentgelt eine gewisse Höhe übersteigt und der Arbeiter wie der Angestellte im Krankheitsfalle Anspruch auf volle Lohnfortzahlung hat, so ist von der Krankenversicherung her gesehen eine unterschiedliche Behandlung nicht mehr gerechtfertigt.
    Lassen Sie mich hier gleich über ein Problem sprechen, auf das der Herr Kollege Rohde eine Antwort eigens erbeten hat, ich meine Punkt 4 der Großen Anfrage der SPD. Ich bin der Auffassung, die Lohnfortzahlung der Arbeiter im Krankheitsfalle ist nicht ein versicherungsrechtliches, sondern ein arbeitsrechtliches Problem. Im Sommer 1957 hat sich dieses Hohe Haus eingehend mit der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle beschäftigt. Das Ergebnis war das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle. Diesem Gesetz und dem darin verkörperten Kompromiß haben Regierungsparteien und Opposition zugestimmt. In der kurzen Zeit, die seither verflossen ist, sind von keiner Seite Gründe vorgebracht worden, die nicht auch schon damals zur Erörterung gestanden hätten. Die Bundesregierung hat daher keinen Anlaß gesehen, von sich aus eine Änderung der Entscheidungen vorzuschlagen, die das Hohe Haus im Jahre 1957 getroffen hat.
    Was die Höhe der Versicherungspflichtgrenze betrifft, so war die Bundesregierung der Meinung, daß die im Jahre 1957 gefundene Grenze auch heute noch den sozialpolitischen Notwendigkeiten und Gegebenheiten entspricht. Wenn wir die geschichtliche Entwicklung der Versicherungspflichtgrenze betrachten, stellen wir fest, daß diese Grenze von 1914 bis

    Bundesarbeitsminister Blank
    1949 zweimal erhöht wurde, und zwar von 2500 Mark auf 3600 Mark. Seit 1949 wurde sie dreimal erhöht; sie stieg von 3600 auf 7920 DM. Seit ihrer Einführung im Jahre 1914 ist sie bis heute um mehr als das Dreifache gestiegen. Gemessen an der Entwicklung der Lohn- und Preisverhältnisse im gleichen Zeitraum erscheint uns diese Grenze deshalb heute noch angemessen. Die Bundesregierung konnte sich daher dem Vorschlag des Bundesrates nicht anschließen, der diese Grenze an die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung mit der Wirkung einer jeweils automatischen Erhöhung knüpfen wollte.
    Auf die freiwillige Versicherung will ich, da sie in ihren Formen der freiwilligen Weiterversicherung und der Versicherungsberechtigung im wesentlichen gegenüber dem geltenden Recht nicht verändert worden ist, nicht näher eingehen. Erwähnen möchte ich aber, daß der Regierungsentwurf erstmals seit 1941 wieder vorsieht, die Versicherung erlöschen zu lassen, wenn ,ein bestimmtes Einkommen — nach dem Regierungsentwurf 15 000 DM pro Jahr — überschritten wird und die Versicherung noch nicht zehn Jahre bestanden hat.
    Die im Entwurf vorgesehenen Leistungsverbesserungen runden das Leistungsrecht der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung so ab, daß man es als optimal bezeichnen muß.
    Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist zunächst einmal die Vorsorgehilfe zu erwähnen. Der Entwurf wählt bewußt den Ausdruck „Vorsorgehilfe", um damit klarzumachen, daß die Gemeinschaft dem einzelnen Hilfe nur dazu leisten kann, selbst für seine Gesundheit vorzusorgen, und daß sie ihm nur Leistungen anbieten kann, deren er sich zu diesem Zwecke bedienen soll. Eines nämlich kann weder der Gesetzgeber noch kann es die soziale Krankenversicherung, nämlich auf den Menschen einwirken, daß er selbst ein gesundheitsförderndes, ein gesundheitsgerechtes Leben führt. Das ist eine Erziehungsaufgabe, der wir uns leider nicht unterziehen können.
    In einem gewissen Umfang — das soll hier dankbar anerkannt werden — haben auch heute schon Krankenkassen bestimmte Vorsorgeleistungen gewährt. Diese Leistungen sind jedoch Ermessensleistungen, und die Krankenkassen gewähren sie sehr unterschiedlich. Aber in Zukunft sollen als Pflichtleistungen ärztliche Vorsorgeuntersuchungen für Versicherte, die das vierzigste Lebensjahr vollendet haben, gewährt werden. Sie können sich zur Früherkennung von Krankheiten innerhalb von drei Jahren einmal ärztlich untersuchen lassen. Dasselbe gilt übrigens auch für die Familienangehörigen der Versicherten. Der Selbstverwaltung, die hier gute Vorarbeit geleistet hat, sind auf diesem Gebiet, das weitgehend Neuland bedeutet, weite Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Sie kann kürzere Zeiträume als drei Jahre zulassen, sie kann gezielte Vorsorgeuntersuchungen für besonders gefährdete Berufsoder Personengruppen einführen, sie kann schließlich Vorsorgeuntersuchungen auch für Versicherte vor ihrem vierzigsten Lebensjahr gewähren. Zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen sind in jährlichen Abständen vorgesehen. Wer diese Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt regelmäßig durchführen läßt, soll dadurch belohnt werden, daß er notwendigen Zahnersatz als Sachleistung erhält.
    Weitere Vorsorgemaßnahmen sind Vorsorgekuren, die von den Kassen nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen gewährt werden können und die entweder in der Form von Sachleistungen oder von Zuschußleistungen möglich sind. Voraussetzung ist, daß ein Zustand eingetreten ist, der nach ärztlichem Gutachten die Arbeitsfähigkeit des Versicherten bedroht. Die Gewährung einer solchen Kur darf nicht daran scheitern, daß der Versicherte während der Kur ohne Arbeitsverdienst ist. Er erhält daher Krankengeld wie bei Krankenhauspflege auch dann, wenn während der Kur Arbeitsunfähigkeit nicht besteht. Weitere Maßnahmen der Vorsorgehilfe sind im Regierungsentwurf nur als Beispiele aufgezählt.
    Ich komme jetzt zu einem Kapitel, das sicherlich von besonderem Interesse ist. Nach geltendem Recht fällt das Krankengeld von der 7. Woche an auf 50 v. H. des Arbeitsentgelts ab, soweit nicht einzelne Kassen Mehrleistungen vorgesehen haben. Da die Notwendigkeit wirtschaftlich ausreichender Sicherung bei den Versicherten aller Kassenarten im gleichen Maße gegeben ist, schreibt der Regierungsentwurf vor, daß das Krankengeld für die gesamte Krankheitsdauer in gleichbleibender Höhe zu zahlen ist. Dies dürfte eine beachtliche Neuerung sein. Als Grundbetrag sind 60 v. H. des Bruttoarbeitsentgelts für den ledigen Versicherten und für die Familienangehörigen Zuschläge von je 5 v. H. vorgesehen. Der Gesamtbetrag von Krankengeld und Familienzuschlägen ist auf 75 v. H. des Bruttoarbeitsentgelts begrenzt. Neu ist auch die Berechnungsgrundlage für das Krankengeld, nämlich das Arbeitsentgelt, das im letzten abgerechneten Kalendermonat vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erzielt worden ist. Der Entwurf behält allerdings grundsätzlich zwei Karenztage bei. Die Vorschrift, die durch das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle von 1957 eingefügt worden ist, nach der die Karenztage bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als zwei Wochen nachgezahlt werden, entfällt.
    Verbesserungen sind auch für das Krankengeld vorgesehen, das während eines Krankenhausaufenthaltes des Versicherten zu zahlen ist und das im geltenden Recht als Hausgeld bezeichnet wird.
    Was die Leistungsdauer betrifft, so hält der Entwurf daran fest, daß Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arzneimitteln ohne zeitliche Begrenzung während der Mitgliedschaft besteht. Wesentlich erweitert wird dagegen die Leistungsdauer bei Krankengeld und Krankenhauspflege, die nach dem Entwurf praktisch zeitlich unbegrenzt zu gewähren sind. Damit, meine Damen und Herren, wird die in der Vergangenheit so gefürchtete Aussteuerung beseitigt, die, sozialpoli-



    Bundesarbeitsminister Blank
    tisch gesehen, das schwächste Glied in der Leistungskette unserer Krankenversicherung ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Dr. Schellenberg: Die Aussteuerung wird nicht ganz beseitigt!)

    Nach geltendem Recht werden Krankengeld und Krankenhauspflege als Pflichtleistungen für längstens 26 Wochen gewährt. Durch Satzungsbestimmung kann die Leistungsdauer auf 52 Wochen erweitert werden. Von dieser Möglichkeit ist jedoch nur in beschränktem Maße Gebrauch gemacht worden. Von den 2059 Kassen im Bundesgebiet haben nach dem Stande von Ende 1957, dem letzten Berichtsjahr, nur 113 Kassen die Bezugsdauer des Krankengeldes verlängert.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Mit wieviel Versicherten?)

    — Die Zahlen habe ich im Augenblick nicht da. —Der Entwurf sieht vor, daß Krankengeld und Krankenhauspflege unbegrenzt gewährt werden. Nur wenn es sich um die gleiche Krankheit handelt, ist der Leistungsanspruch innerhalb von jeweils drei Jahren auf eineinhalb Jahre begrenzt. Da insbesondere bei chronischen Krankheiten Krankenhauspflege nicht ständig, sondern nur in Zeitabständen notwendig ist, der Anspruch auf die Krankenhauspflege aber nach Ablauf von drei Jahren für eineinhalb Jahre von neuem entsteht, ist die Aussteuerung damit praktisch beseitigt. Wenn wir überhaupt noch eine Grenze vorgesehen haben, dann nur deshalb, um in medizinisch schwierigen Fällen eine Abgrenzung des Behandlungsfalles vom reinen Pflegefall zu finden, mit dessen Kosten die Krankenversicherung ihrer Aufgabe nach nicht belastet werden soll.
    Sichergestellt ist auch, daß die Sozialleistungen der verschiedenen Versicherungsträger lückenlos ineinander greifen, ohne daß es zum sozialpolitisch ungerechtfertigten Doppelbezug von Leistungen kommt. So ist der Bezug von Krankengeld ausgeschlossen, wenn Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld gewährt wird.
    Ich will das nicht alles im einzelnen aufzählen, aber ich will mich an dieser Stelle mit einer Polemik auseinandersetzen. Es wird nämlich gegen die Leistungsverbesserungen oft ins Feld geführt, daß nur ein geringer Teil der Versicherten in den Genuß dieser Verbesserungen komme. Ich kann demgegenüber nur sagen: Gott sei Dank, daß sie nur einem kleineren Teil der Versicherten zugute kommen! Hier ist nämlich nicht die Zahl entscheidend, sondern die Schwere des Schicksals.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Der Sinn einer wirklichen sozialen Sicherung ist der, zu helfen, wenn das Schicksal mit seiner ganzen Schwere für eine lange Dauer zuschlägt. Deshalb sind diese Bestimmungen von so eminentem Wert für die Versicherten.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Bazille.)

    Schon immer ist die Familie in der gesetzlichen Krankenversicherung besonders geschützt gewesen.
    Man kann behaupten, daß es keine soziale Einrichtung in der Bundesrepublik gibt, die sich den Schutz der Familie mehr angelegen sein läßt als die gesetzliche Krankenversicherung. Denn schon herkömmlich wurden, ohne daß für Ehefrau und Kinder zusätzliche Beiträge erhoben wurden, Familienleistungen erbracht. In Zukunft aber sollen diese Leistungen kraft Gesetzes nach Umfang und Dauer die gleichen sein wie für den Versicherten selbst. Ich glaube, das ist ein familienpolitischer Fortschritt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich komme nun zu einem Problem, das im Bundesrat zu Auseinandersetzungen geführt hat — ich habe mich selber an den Ausschußberatungen beteiligt — und das man heute aus der gesetzlichen Krankenversicherung verbannen möchte. Die Leistungen bei Mutterschaft sollen künftig einheitlich durch die Reichsversicherungsordnung geregelt werden. Das Mutterschutzgesetz soll, wie es auch seiner Systematik entspricht, die arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen für die erwerbstätige Mutter enthalten. Im Rahmen der Mutterschaftshilfe werden aber nach diesem Gesetz ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe bei der Entbindung und — als neue besondere Vorsorgeleistungen — auch während der Schwangerschaft gewährt, wobei die ärztliche Betreuung auch etwa erforderliche Behandlung umfaßt. Das bisherige Stillgeld und der Entbindungskostenbeitrag wird mit einem Pauschbetrag in Höhe von 100 DM abgegolten. Auf die Stillbescheinigung nach bisherigem Recht wird verzichtet. Sie ist, wie alle Fachleute übereinstimmend sagen, von zweifelhaftem Wert. Die Bundesregierung geht von dem Gedanken aus, daß man lieber eine Leistung ohne fragwürdigen Nachweis gewähren, als eine Versuchung schaffen sollte. Sie hat in ihrem Vorschlag einen Rechtsanspruch auf Pflege in einer Entbindungsoder in einer Krankenanstalt bis zur Dauer von 10 Tagen vorgesehen. Dieser Anspruch ist neu. Die Bundesregierung hält ihn für sozial- und gesundheitspolitisch erwünscht.
    Das Mutterschaftsgeld wird wie bisher in der Höhe des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts für sechs Wochen vor und für sechs bis zwölf Wochen nach der Entbindung gewährt. Die bisher für den Bezug der Leistungen nach der Reichsversicherungsordnung geforderte Vorversicherungszeit von 10 Monaten in den letzten zwei Jahren vor der Niederkunft entfällt. Voraussetzung ist nur noch, daß zwischen dem 10. und dem 4. Monat vor der Entbindung für mindestens sechs Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
    Schließlich darf ich noch erwähnen, daß auch das Sterbegeld nicht unwesentlich erhöht worden ist. Das Mindeststerbegeld beträgt statt bisher 100 DM künftig 400 DM. Im übrigen wird es als Regelleistung in Höhe des Betrages gezahlt, der zuletzt für die Bemessung des monatlichen Beitrages maßgebend war.
    Ich darf zu den Leistungsverbesserungen noch erwähnen, daß der Versicherte künftig auch bei vorübergehendem Auslandsaufenthalt, also nicht nur



    Bundesarbeitsminister Blank
    bei Beschäftigung im Ausland, sondern auch bei Auslandsurlaub, Anspruch auf Leistungen aus der Versicherung hat. Ich bin überzeugt, daß das Hohe Haus diesen bedeutenden Leistungsverbesserungen zustimmen wird, und stehe nicht an, zu erklären, daß ich die Äußerung einer großen Gewerkschaft als wohltuend empfunden habe, die ihren Beschluß damit einleitete, daß sie die geplanten Leistungsverbesserungen anerkannte und begrüßte, und dann die Vorschläge kritisierte, die sie glaubte nicht billigen zu können. Sie unterscheidet sich damit in der Form und in den Möglichkeiten des Ausdrucks wesentlich von den Verfassern anderer Flugblätter, die für sich einen höheren Bildungsgrad in Anspruch nehmen.
    Nunmehr komme ich zu dem heißumstrittenen Teil der Vorlage, zur Frage der Selbstbeteiligung der Versicherten, und hier bitte ich Sie, Herr Professor Schellenberg, um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Sosehr der Gedanke der Kostenbeteiligung bei der ärztlichen Behandlung, beim Bezug von Arznei und bei Krankenhauspflege in der Diskussion der vergangenen Jahre bejaht worden ist, so weit sind die Vorstellungen über die Technik der Durchführung auseinandergegangen.
    Meine Damen und Herren, ich hatte heute morgen vor Beginn dieser Sitzung nur wenig Zeit und ich war nicht in der Lage, alle das heutige Thema betreffenden Pressemitteilungen zu lesen. Aber eines ist mir im Gedächtnis geblieben. Ich habe es noch nicht genau gelesen. Ich sah nur mein Bild mitten in einem großen Aufsatz, und es stand darunter: Blank, der Schöpfer des Gedankens der Selbstbeteiligung. Meine Damen und Herren, ich möchte kein Plagiat begehen. Ich bin nicht der Schöpfer dieses Gedankens.

    (Abg. Frau Kalinke: Sie sind zu jung dafür!)

    — Liebe Frau Kalinke, ich nehme die Kritik gern entgegen. — Ich habe zu meinem Erstaunen gesehen, daß auch in früheren Gesetzesvorlagen solche Vorschläge enthalten waren, und ich kenne sie aus einer Unzahl von ärztlichen Meinungsäußerungen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich müßte den ganzen Morgen hier reden — das will ich aber nicht; ich will nicht unhöflich sein —, wenn ich auch nur einen Bruchteil dieser Äußerungen zitieren wollte. Aber ich wage gar nicht, den Herrn Präsidenten darum zu bitten. Ich stelle Ihnen dieses Material, sofern Sie es nicht haben, auszugsweise gerne zur Verfügung.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Das habe ich auch schon der Presse gegeben!)

    — Herr Professor Schellenberg, was ich der deutschen Presse zur Verfügung stelle, haben auch Sie immer; denn Ihr Mitarbeiter pflegt ja, worüber ich mich sehr freue, an allen meinen Pressekonferenzen teilzunehmen.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Nachdem ich Ihren zuerst eingeladen hatte!)

    — Sehen Sie, Herr Professor, dann ist also die eine Ehre die andere wert.

    (Heiterkeit.)

    Dieser Gedanke, der in der Vergangenheit so bejaht wurde, wird plötzlich zum Zentralpunkt der ganzen Angelegenheit. Ich brauche Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht vorzutragen, was für Vorschläge im einzelnen gemacht worden sind. Wir haben sie geprüft. Der Vorwurf, den Herr Rohde hier machte, daß die Herren des Arbeitsministeriums überheblich seien, besteht zu Unrecht. Lassen Sie mich an dieser Stelle einen einzigen Satz sagen. Die Herren, die mit der Ausarbeitung des Entwurfs beschäftigt waren, haben ein Übermaß an Arbeit geleistet und stehen mit ihrer ganzen sittlichen Überzeugung und Verantwortung hinter dem, was sie hier zu Papier gebracht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage gar nicht, daß es nicht vielleicht bessere Vorschläge gäbe. Ich habe mehrfach, auch vor der deutschen Öffentlichkeit, geäußert, daß wir im Ausschuß des Parlaments, in dem sehr sachverständige Damen und Herren sitzen, diese Problematik beraten werden, und ich würde mir nicht im mindesten beschämt vorkommen, wenn es dann gelänge, Lösungen zu finden, die ich als besser ansehen müßte als die, die im Regierungsentwurf stehen.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Abg. Dr. Schellenberg: Dafür werden wir sorgen!)

    - Ich freue mich über diese Bereitschaft, bessere
    Lösungen zu finden, die Sie, Herr Professor, hier bekunden.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Nur werden wir Ihre Konzeption etwas ändern müssen!)

    - Ich bin ganz sicher, Ihre Konzeption, die Sie vom staatlichen Gesundheitsdienst haben, wird keinerlei Niederschlag in diesem Gesetz finden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schellenberg: Ich schicke Ihnen das Godesberger Programm zu, Herr Minister!)

    — Herr Professor Schellenberg, ich habe schon eingangs gesagt: die merkwürdige Einheitsfront wird nicht über den § 2 dieses Gesetzentwurfs hinauskommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schellenberg: Nun, warten Sie einmal ab!)

    Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich mich wieder meinem Thema zuwenden. Was ist denn eigentlich gewollt? Man muß nur einmal die Flugblätter lesen! Was ist denn eigentlich gewollt? Eine Selbstbeteiligung in einem gewissen Umfange. Ich stehe nicht an, hier zu erklären, daß es vielleicht klüger gewesen wäre, statt in das Gesetz hineinzuschreiben, die Selbstverwaltung könne das Ausmaß der Beteiligung begrenzen, gleich hineinzuschreiben eine Begrenzung nach oben. Dann wäre vielleicht der Vorwurf gekommen: „Schon wieder die Möglichkeiten der Selbstverwaltung eingeengt!" Aber



    Bundesarbeitsminister Blank
    der wäre dann vielleicht leichter zu ertragen gewesen.
    Um den Schauermärchen von der furchtbaren Belastung, die nun auf den Ärmsten der Armen zukommen könne, entgegenzutreten, stehe ich auch nicht an, hier zu erklären, was ich mir erlaubt habe der deutschen Presse zu sagen.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Das Parlament kommt immer an zweiter Stelle!)

    Ich würde es begrüßen, wenn sich das Parlament in der Ausschußberatung mit dieser Problematik beschäftigte, und rich bin der Meinung, daß eine absolute — ich weiß, es fällt Ihnen schwer, Herr Professor Schellenberg, zu warten, bis Sie hier stehen; aber Sie kommen noch hierhin —(Heiterkeit) Begrenzung zu finden ist.
    Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, von wem fordert denn dieser Entwurf eine Selbstbeteiligung? Doch von dem, der entweder als Angestellter in den ersten sechs Wochen sein Gehalt weiterbezieht oder der als Arbeiter nach dem Gesetz, das man kurz immer „Lohnfortzahlungsgesetz" nennt, 90 % seines Netto-Lohnes bekommt. Er fordert doch keine Beteiligung — um die Dinge wieder einmal familienpolitisch zu beleuchten — für die Behandlung der Kinder beim Arzt. Ich bin also der Meinung, daß das ein Punkt ist, über den man sprechen kann. Und die Kostenbeteiligung wird ja, weil auf sechs Wochen begrenzt, dann in Wahrheit den Schwerkranken und den, der lange krank ist, unverhältnismäßig weniger betreffen als den, der den Arzt nur einmal in Anspruch nimmt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben genügend Zahlenmaterial darüber zur Verfügung.
    Nun nehme ich den Einwand, daß die Kostenbeteiligung Gefahren für die Gesundheit in sich bergen könne, wenn sie so gehalten ist, daß sie dem Versicherten den Weg zum Arzt versperrt, sehr ernst. Meine Damen und Herren, ich will nicht zitieren, was über diese Frage von ärztlicher Seite gesagt worden ist, auch noch in jüngster Zeit. Ich will nicht einmal zitieren, was in einigen Ärztlichen Mitteilungen — ich habe es hier neben mir liegen — darüber steht. Ich will nicht einmal Ausdrücke gebrauchen, die hier gebraucht sind, weil man mir dann vorwerfen würde, ich hätte meine Worte nicht gewählt. Aber, meine sehr verehrten Damen und Heren, wir haben Zeugnisse, Aussprüche von Medizinern von Rang, die eine solche Behauptung, daß dies gesundheitspolitisch unvertretbar sei, nicht gelten lassen. Meine Damen und Herren, wie furchtbar müßte es, wenn das zutrifft, um die Gesundheit in den Ländern — auch westlichen Ländern — bestellt sein, in denen die Selbstbeteiligung seit langem gang und gäbe ist.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Frau Korspeter: In ganz anderer Form!)

    Frau Korspeter, Sie haben offenbar überhört, daß ich so bescheiden war, zuzugeben, daß es wahrscheinlich bei Beratungen vielleicht auch noch bessere Lösungen gibt, als sie mir und meinen Mitarbeitern eingefallen sind. Ich habe ausdrücklich erklärt, daß ich in dieser Hinsicht keinen Autorenehrgeiz hätte.

    (Zuruf von der SPD: Das hat aber lange gedauert!)

    — Alles braucht seine Zeit, auch bei Ihnen. Das haben Sie gemerkt.

    (Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)

    Wenn aber die Behauptung, die von mir vorgesehene Selbstbeteiligung erschwere den Weg zum Arzt und sei gesundheitspolitisch von ungeheurer Gefahr, von jemandem aufgestellt wird, der in gleichem Atemzuge eine Selbstbeteiligung, aber in prozentualer Form an den Gesamtarztkosten, vorschlägt oder sogar ein Kostenerstattungssystem, bei dem der Versicherte zunächst den gesamten Betrag der ärztlichen Rechnung vorlegen müßte, um nachher einen vereinbarten Teil zurückzuerhalten, dann darf man sich nicht wundern, daß ich diesem Argument keine besondere Gewichtigkeit mehr zusprechen kann.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich habe schon dargelegt, wie ich mir die Lösung dieser Frage denke. An den Kosten der Arznei- und Verbandsmittel ist der Versicherte heute schon nach geltendem Recht mit einem Betrag von 50 Pf pro Verordnungsblatt beteiligt. Das rapide Anwachsen der Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel, die seit 1949 fast um das Doppelte gestiegen sind und 1957 im Etat der Krankenversicherung 738,7 Millionen DM betragen, zeigt, daß dieser Betrag von 50 Pf den heutigen Verhältnissen nicht mehr entspricht. Ich weiß nicht, Herr Professor Schellenberg, ob Sie in der Frage der Selbstbeteiligung bei den Medikamenten, bei den Heilmitteln noch auf dem Standpunkt stehen, der im Sozialplan der SPD niedergelegt ist, oder ob Sie auch
    — recht spät — Ihre Ansicht geändert haben.

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Schellenberg: Wir werden dazu Stellung nehmen!)

    — Ich bin überzeugt, daß Sie das tun werden. Damit es Ihnen aber nicht entfällt, habe ich mir erlaubt, Sie daran zu erinnern.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Da gerade auf dem Gebiet der Arzneiversorgung der Wunschgedanke mancher Versicherter eine Rolle spielt, scheint eine starre Gebühr nicht zweckmäßig zu sein, sondern eine nach den Kosten des Medikaments gestaffelte. Der Entwurf hat daher einen Vorschlag übernommen, der früher schon einmal gemacht worden ist. Daß man natürlich von dieser Kostenbeteiligung bei Medikamenten, die chronisch Kranke brauchen — ich nenne nur das Wort Insulin —, Ausnahmen machen muß, ist eine bare Selbstverständlichkeit.
    Kein Punkt meines Vorschlags ist in der Öffentlichkeit so falsch dargestellt worden wie der Punkt der Selbstbeteiligung an den Pflegekosten im Krankenhaus. Man tut so, als ob ich hier etwas Neues einführte. Das hat es aber immer gegeben. Immer ist



    Bundesarbeitsminister Blank
    das Krankengeld dessen, der im Krankenhaus lag, gekürzt gewesen gegenüber dem Krankengeld dessen, der in ambulanter Behandlung war, und die Begründung — nicht von mir erfunden — war immer die, daß der Betreffende ja bei seinem Krankenhausaufenthalt und durch ihn einige Einsparungen mache. Und was tue ich jetzt? Ich führe nur gleiches für gleiches ein und sage: Dann soll auch der, der seinen Lohn oder sein Gehalt fortgezahlt bekommt, beim Krankenhausaufenthalt eine gewisse Beteiligung tragen. Darauf läuft mein Selbstbeteiligungsvorschlag hinaus.
    Im übrigen weiß jeder Kundige, daß es im Bereich der gesamten sozialen Krankenversicherung eine erhebliche Selbstbeteiligung stiller Art gibt. Wer von Ihnen kennt nicht den Fall, daß ein Versicherter, der der sozialen Krankenversicherung angehört, ins Krankenhaus muß und es sich die Angehörigen zu einer sittlichen Pflicht machen, weil sie ihm etwas Besonderes gewähren wollen, unter Aufbietung aller Kräfte den Übergang in eine höhere Klasse, als sie die Kasse gewährt, zu ermöglichen und den entsprechenden Betrag zuzuzahlen.
    In der öffentlichen Behandlung dieser Frage steckt viel von dem Motto: Hier ist der Punkt. Je unklarer man sich ausdrückt, um so leichter ist die öffentliche Meinung aufzuputschen. Es war mein Bestreben, hier vor dem Deutschen Bundestag und damit vor dem deutschen Volk einmal den wesentlichen Inhalt meines Gesetzentwurfes vorzutragen. Dieser Inhalt wird in der deutschen Presse und im Rundfunk, sei es zustimmend, sei es kritisierend — ich scheue keine Kritik —, behandelt werden. Und ich werde, sobald Sie diesen Gesetzentwurf in die Beratung genommen haben, auch das Meine tun, um die deutsche Öffentlichkeit bis in jede Familie hinein darüber aufzuklären, was die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf will.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich werde Ihnen nicht unwidersprochen gestatten, Flugblätter ins Volk zu werfen, von denen Sie selber wissen, daß der Inhalt unwahr ist.

    (Beifall in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Herr Blank, wo bleibt der Rang? — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Ich weiß, daß Ihnen das unangenehm ist.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Wer soll das bezahlen?! — Abg. Börner: Erst beweisen!)

    — Das machen wir diesmal sogar noch besser, Herr Schellenberg.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Das wird aber dringend notwendig sein!)

    — Ja, davon bin ich überzeugt, daß das notwendig ist. Es wird wahrscheinlich auch heute notwendig sein, hierzu noch einiges zu sagen.
    Mit dieser Frage steht natürlich auch das Problem der allgemeinen Zulassung in Zusammenhang. Der Entwurf sieht vor, daß grundsätzlich jeder Arzt Anspruch darauf hat, an der kassenärztlichen Versorgung teilzunehmen. Ich hatte mir zu Eingang dieses Problem zu behandeln erlaubt, und weil auch hier völlig Falsches in die deutsche Öffentlichkeit geworfen worden ist und dort plötzlich Spekulationen darüber angestellt werden, wie viele Jahre man tätig sein müsse, um endlich Patienten behandeln zu dürfen, die voller Vertrauen zu einem kommen, will ich es noch einmal näher darlegen.
    Grundsätzlich hat nach meinem Entwurf jeder frei praktizierende Arzt Anspruch darauf, an der kassenärztlichen Versorgung teilzunehmen.

    (Zuruf von der SPD: Das ist aber auch begrenzt!)

    Nur dann, wenn er die Kassenpraxis an einem frei gewählten Ort ausüben will, machen wir ihm, um die kassenärztliche Versorgung überall sicherzustellen, Auflagen. Dann muß er entweder sieben Jahre in eigener Praxis niedergelassen oder zehn Jahre in einem Krankenhaus tätig gewesen sein oder fünf Jahre eine ärztliche Tätigkeit ausgeübt und das 40. Lebensjahr überschritten haben. Bei Zahnärzten liegen die Dinge noch etwas günstiger.
    Freie Zulassung, freie Arztwahl, Selbstbeteiligung des Versicherten, Klarheit für den Versicherten — dadurch, daß er und nicht nur die Krankenkasse die Rechnung des Arztes in die Hand bekommt, machen als dritte Komponente natürlich eine neue Form ärztlicher Vergütung notwendig.
    Ich bin außerordentlich darüber erstaunt, daß in den letzten Wochen gewisse Proteste gegen das losgingen, was man vorher jahrelang gefordert hat. Die Bundesregierung ist entschlossen — und ich glaube, daß Sie uns, meine Damen und Herren, dabei unterstützen werden —, endlich wieder eine Gebührenordnung einzuführen, die für den Arzt die Einzelhonorierung bringt.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wie ist die Lage heute? Ich behaupte, kein Versicherter weiß genau Bescheid; ja, nicht einmal der Arzt, der — das setze ich voraus — seine Patienten in höchstem Verantwortungsbewußtsein behandelt, seine erbrachten Leistungen nach der geltenden Gebührenordnung in Ansatz gebracht und die Zusammenstellung seiner Leistungen der Kassenärztlichen Vereinigung eingereicht hat, weiß, auf welche Vergütung er jetzt Anspruch hat.

    (Abg. Frau Kalinke: Das ist leider wahr!)

    Das, meine Damen und Herren, ist einmalig im Bereich aller freien Berufe.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Ich will, daß er in Zukunft weiß, worauf er einen Anspruch hat. Natürlich muß er seine erbrachten ärztlichen Leistungen der Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen, weil ja das Geld von den Kassen kommt; aber er muß genau wissen, wie seine erbrachten Leistungen honoriert werden, welchen Betrag er dafür zu fordern hat, natürlich gemindert um notwendige Verwaltungskosten. Er muß genau wissen, was seiner individuellen Leistung entsprechend rechtens sein Arbeitsverdienst ist. Das, meine Damen und Herren, will ich.
    Sie werden daraus ersehen, daß mir nichts fernerliegt als eine Proletarisierung der Ärzte. Ich möchte,



    Bundesarbeitsminister Blank
    daß der Arzt in Zukunft wieder sein kann, was er sein muß. Er soll nicht die zu behandelnden Fälle deshalb zu Bagatellfällen machen, weil er nur noch einige Minuten Zeit hat.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Die Behandlung eines Kranken kann nicht darin bestehen, schnell ein Rezept auszuschreiben, so notwendig Rezepte sind. Der Arzt muß wieder werden, was er sein muß, ein Mann, der Zeit hat für den, der in seiner menschlichen Not zu ihm kommt und von ihm nicht nur Behandlung verlangt, sondern ein aufgeschlossenes Herz erwartet. Ich möchte nicht so große Worte gebrauchen, wie sie an anderer Stelle gebraucht sind, und hier nicht den Namen Gottes anführen; aber ich möchte sagen, daß der Arzt für seine Patienten wieder Heilender, Helfender in individueller Behandlung werden muß. Dazu gehört, daß er ein ausreichendes individuelles Honorar bekommt. Ihm dazu zu verhelfen, ist die Bundesregierung und, ich weiß es, sind meine politischen Freunde bereit; denn wir wollen keinen beamteten Arzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei der DP.)

    Wir wollen, daß der Arzt Helfer und Heiler ist. Wir wollen, daß im Mittelpunkt dieser Reform — und das ist das Entscheidende — der Mensch steht. Wir wollen nicht den kranken Menschen übersehen, dem kranken Menschen wollen wir in seiner Not helfen. Wir wollen aber auch nicht die Gemeinschaft übersehen, in der der kranke Mensch steht.
    Wenn Sie unter diesem Gesichtswinkel an die Arbeit gehen, fürchte ich mich nicht davor, daß Sie Bestimmungen meines Vorschlages ändern. Sie werden manches ändern.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Viel!)

    Ich glaube, daß wir mit dem heutigen Tage den Anfang gemacht haben, auf dem Wege zu einer Sozialreform ein großes Stück fortzuschreiten. Zu der Arbeit, die jetzt vor Ihnen liegt, möchte ich Sie beglückwünschen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren! Wir treten nun in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Josef Stingl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne Zweifel berät dieses Hohe Haus heute einen Gesetzentwurf von besonderer Wichtigkeit. Die erste Lesung des KrankenversicherungsNeuregelungsgesetzes ist deshalb wichtig, weil allein 26 Millionen Versicherte und, zählt man die Familienangehörigen dazu, über 40 Millionen Bürger unseres Staates von den Bestimmungen dieses Gesetzes betroffen sein werden. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß ein Berufsstand, daß 70 000 Ärzte unsere Diskussion mit Spannung verfolgen. Sie warten darauf, zu erfahren, wie dieses Gesetz, das für ihre Existenz sicherlich von großer Bedeutung ist, aussehen wird. Daran ist die Bedeutung
    der Beratungen zu erkennen, in die wir jetzt eingetreten sind.
    Eine erste Lesung ist keine Ausschußberatung. Wie groß die Bedeutung dieses Gesetzentwurfes ist, mögen Sie aus dem Umstand ersehen, daß über 7 Milliarden DM jährlich über die Krankenkassen laufen. Jeder von uns hat die Wichtigkeit der Beratung auch daran erkennen können, daß ihm kaum jemals bei irgendeiner Gesetzesmaterie eine solche Fülle von Material von den verschiedenen Seiten, von Interessierten und Betroffenen, zugegangen ist. Wir hätten alle schon übermenschliche Kräfte haben müssen, um alles Material bis zur heutigen ersten Lesung gewissenhaft in allen Einzelfragen zu studieren. Sie sehen, meine Damen und Herren, man hat nicht versäumt, uns auch noch hier auf die Bank einen Packen Material zu legen. Wir können allerdings nicht zugleich debattieren und das auch noch lesen.

    (Zuruf: Das ist kein Material!)

    - Das mag sein; ich habe es nicht sehen können. Aber es sieht so aus, als ob Sie sehr genau darüber Bescheid wissen, was hierher gelegt wird.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir erkennen die Bedeutung des Gesetzes aber auch daran, daß wir, zumindest wir Sozialpolitiker, die Tribünen dieses Hauses selten so voll besetzt finden wie gerade jetzt. All dies macht uns nachdenklich und veranlaßt uns, diese Gesetzesmaterie mit besonderer Sorgfalt zu betrachten.
    Ich habe die Ehre, da mein Kollege Horn leider krank ist, für die Fraktion der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union die Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Krankenversicherung vorzutragen. Wer allerdings annehmen sollte, daß diese meine Stellungnahme für die Fraktion, die in diesem Hause die absolute Mehrheit hat, Aufschluß darüber geben würde, wie das Gesetz in seiner endgültigen Form aussehen wird, dem muß ich eine Enttäuschung bereiten.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr. Schellenberg: Aber, Herr Kollege Stingl, vielleicht sagen Sie, wie die CDU dazu steht!)

    Mit gutem Grund wird jedes Gesetz, das dem Staatsbürger zwingende Vorschriften auferlegt, in diesem Hohen Hause dreimal beraten, und das Verlangen, schon in der ersten Beratung alle Einzelbestimmungen in ihrer endgültigen Gestalt darzulegen, wäre sinnlos.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)

    Die erste Lesung kann — es sei denn, es handle sich um eine unwichtige Vorlage oder um eine Vorlage, bei der es überhaupt nicht zweierlei Meinungen gibt — immer nur Aufschluß darüber geben, wie die Fraktionen dieses Hohen Hauses grundsätzlich denken. Es ist daher meine Aufgabe, Ihnen vorzutragen, welche grundsätzlichen Auffassungen in meiner Fraktion vertreten werden, dabei aber zugleich den



    Stingl
    Spannungsbogen aufzuzeigen, der zugegebenermaßen auch in unserer Fraktion hinsichtlich der Einzelbestimmungen dieses Gesetzes vorhanden ist.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Hört! Hört! bei der SPD.)

    Den Ausschußberatungen muß es überlassen bleiben, die Formulierungen vorzubereiten, die dieses Hohe Haus dann in der zweiten und dritten Lesung beschließen soll. Das gilt selbstverständlich um so viel mehr bei einem so wichtigen Gesetz; seine Bedeutung hat Herr Minister Blank ja in allen Einzelheiten herausgestellt.
    Keines der großen Gesetze, die dieses Hohe Haus bisher beschlossen hat und die in erster Lesung große Beachtung gefunden haben, hat nach der Ausschußberatung genauso ausgesehen wie vorher. Der Herr Minister hat gesagt, daß er den Parlamentsausschüssen zur Verfügung stehen wird, weil er weiß, daß Ratschläge von außerhalb gewürdigt werden müssen und daß bei der Fülle dieser Ratschläge nicht jeder von uns so wie er ein und denselben Rat als den besten empfinden wird. Es ist keine Hilfe für die Arbeit dieses Hohen Hauses, wenn man sich darauf beschränkt, zu verkünden, der Entwurf müsse weg. Meine Damen und Herren, wer hier gehört werden will, muß seine Beratung so einstellen, daß er sagt, wie dieser Entwurf aussehen solle.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die reine Negation, in der sich Rechts und Links treffen mag, war noch nie staatsaufbauend.

    (Beifall bei der CDU/CSU.—Abg. Dr. Schellenberg: Das war eine Beleidigung für Frau Kalinke!)

    Die Pflicht, in sachliche Erwägungen einzutreten, bringt es mit sich, daß wir auch den Rat derer hören müssen, die betroffen werden. Ich erkläre hier zu wiederholten Malen für meine Fraktion, daß wir über die Anhörung der Sachverständigen im Sozialpolitischen Ausschuß hinaus den Rat sachverständiger Freunde jederzeit hören und ihn wägen werden. Überzeugen wird uns dabei aber nicht die Massivität des Vorbringens, sondern die sachliche Berechtigung der Argumente.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zustimmung der Abg. Frau Kalinke.)

    Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat uns, wozu sie sich in der Regierungserklärung von 1957 verpflichtet hatte, einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Krankenversicherung vorgelegt. Wir sind ihr dafür dankbar.

    (Zuruf von der SPD: Wir nicht!)

    Wir sind jetzt als zuständiges und verantwortliches Gremium in der Lage, an Hand einer Vorlage entsprechend den gesellschaftspolitischen Verhältnissen, die sich seit der Schaffung der Krankenversicherung doch wohl geändert haben, in die Beratung einzutreten.
    Dieser Gesetzentwurf zur Neuregelung des Krankenversicherungsrechts kann nicht isoliert von allen
    anderen Gesetzen betrachtet werden. Er muß selbstverständlich in Zusammenhang mit dem Gesetz zur Neuregelung der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten und der Knappschaften gesehen werden, er muß in Zusammenhang mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz gesehen werden, und er muß eine Übereinstimmung und eine Verzahnung mit allen anderen Sozialgesetzen bringen. Hierin sind wir sicher alle miteinander einer Meinung. Er muß der veränderten Sozialstruktur, die ja Gott sei Dank einen Wandel mitgemacht hat, angepaßt werden. Der Gesetzentwurf muß ,die Krankenversicherung der Wandlung anpassen.
    Schon der Herr Minister hat vorhin darauf hingewiesen, daß das Sozialgeschehen nichts Statisches ist, sondern etwas Dynamisches, und daß man der Dynamik der Entwicklung mit den jeweils entsprechenden Mitteln begegnen muß. Der Gesetzentwurf versucht, der heutigen gesellschaftlichen Struktur unseres Volkes gerecht zu werden. Ich kann mich dem nur anschließen, was der Herr Minister gesagt hat: wir können durchaus nach allen Seiten hin vertreten, daß das bisherige Krankenversicherungsrecht eine grandiose und großartige Leistung gewesen ist. Aber wir müssen feststellen, ,daß sich im Laufe der Entwicklung Mängel gezeigt haben, die es zu beseitigen gilt.
    Vor allem ist der Mangel zu nennen, daß unsere Krankenversicherung heute viel mehr auf den kurzdauernden Krankheitsfall und die Hilfe dagegen eingestellt ist als auf ,den langdauernden Krankheitsfall. Es ist einer der Zentralpunkte des Gesetzes, auch hierbei den vom Schicksal schwer Getroffenen den Schutz der Gemeinschaft angedeihen zu lassen.
    Wir wissen, daß sich seit der Einführung der Krankenkasse das Urteil darüber, wer schutzbedürftig ist, völlig gewandelt hat. Wir sind heute im Sozialpolitischen nicht mehr in der Meinung befangen, es komme darauf an, einen Betroffenen nur davor zu schützen, daß er nicht untergehe. Wir meinen, daß uns heute die Gesellschaftsstruktur die Verpflichtung auferlegt, ihn nicht nur vor dem Untergang, sondern auch vor dem Absinken von seinem sozialen Standard zu schützen. Darum wird die Überlegung bei dieser Frage doch wohl einen anderen Ansatzpunkt finden müssen als die Überlegungen in der Bismarckschen Zeit.

    (Abg. Winkelheide: Sehr richtig!)

    Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung hierin neue Wege beschreitet, indem sie vorschlägt, Vorsorgeuntersuchungen, Vorsorgekuren, überhaupt die Vorsorgehilfe Gesetz werden zu lassen.
    Wir, die Christlich-Demokratische Union und die Christlich-Soziale Union, gehen bei allen Überlegungen in der Sozialpolitik davon aus, daß der verantwortlich gegen sich und die Umwelt handelnde Mensch im Mittelpunkt der Sozialpolitik zu stehen hat. So müssen wir immer wieder eine sinnvoll aufeinander abgestimmte Eigen- und Gemeinschaftshilfe sehen. Die Eigenhilfe wünschen wir überall da, wo sie zumutbar ist und ohne Schaden verlangt werden kann. Die Gemeinschaftshilfe wollen wir überall da einführen, wo die Kräfte des ein-



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    zelnen zur Beseitigung von Härtefällen überfordert sind. Die Regierung hat einen Entwurf vorgelegt, der diese Abstimmung versucht. Wir werden prüfen, ob diese Grundgedanken unserer Überlegungen zur Sozialpolitik in dem Gesetzentwurf ausreichend berücksichtigt sind oder ob wir an verschiedenen Stellen Verbesserungen anbringen müssen.
    Ich will versuchen, dazu einiges zu sagen. Zunächst darf ich mich damit beschäftigen, daß die Bundesregierung den Kreis der Versicherten neu faßt, wenn auch diese Neufassung keine entscheidende und wesentliche Veränderung ergibt. Wir begrüßen es, daß auch für den Arbeiter eine Versicherungspflichtgrenze eingeführt werden soll, wenn er in gleicher Weise wie die Angestellten durch die Fortzahlung des Lohnes für sechs Wochen gesichert ist. Wir wissen aber nicht, ob der Betrag von 660 DM, den der Regierungsentwurf als Versicherungspflichtgrenze vorsieht, bei Betrachtung aller gegebenen Verhältnisse heute noch angemessen ist. Man mag davon ausgehen — dies hat der Herr Minister getan —, wie das Einkommen gestiegen ist, und danach die Bemessungsgrenze neu festsetzen. Will man aber dieses Problem gewissenhaft prüfen, muß man die Aufwendungen gegen die Einnahmen setzen. Man muß beachten, daß ein Familienvater mit 660 DM Einkommen ganz anders gestellt ist als ein Lediger, der keine anderen Verpflichtungen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wissen dabei, daß wir mit diesem Gesetz weder die Verpflichtung haben noch auf uns nehmen wollen, die soziologischen Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten zu beseitigen. Wir wissen, daß es diese Unterschiede gibt. Wir haben dafür in der Debatte über die Rentenneuregelungsgesetze hier ausreichend gesprochen. Wir wollen diese Begrenzung jetzt nicht neu festlegen. In der Wissenschaft sind die Begriffe gar nicht so eindeutig geklärt. Wir wollen diese Unterschiede in der Gliederung unseres Volkes aufrechterhalten. Aber das kann uns nicht dazu führen, bei Bleichgelagerten Tatbeständen etwa verschiedenes Recht einzuführen. Wenn die Tatbestände gleichgelagert sind, sollen sie vielmehr auch gleichbehandelt werden. Wenn eine Versicherungspflichtgrenze, in welchér Höhe auch immer, für den Angestellten eingeführt wird, der sein Gehalt weiter empfängt, soll sie auch für denjenigen gelten, dem als Arbeiter die gleiche Sicherung auf vertraglicher oder sonstiger Grundlage zugestanden worden ist.
    Wir sind der Regierung dankbar, daß in der Fassung des Personenkreises des Gesetzes noch deutlicher als bisher zum Ausdruck kommt, daß die Krankenversicherung wie die Rentenversicherung — ich erinnere an das, was wir vor drei Jahren beschlossen haben eine Einrichtung zum Schutze der unselbständigen Arbeiter und Angestellten ist. Darum ist die Zulassung von Selbständigen in anderer Weise als bisher geregelt. Wir müssen noch prüfen, ob es angebracht ist, die Versicherungsberechtigung tatsächlich so zu begrenzen, wie es die Regierung vorschlägt.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Die Entscheidung über diese Frage wird nicht allein davon abhängen, welchen Betrag oder welche vorherige Zugehörigkeit man nimmt, sondern auch davon, welche sachlichen Entscheidungen man in bezug auf die Krankenhilfe und Krankenpflege getroffen hat.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich extemporierend etwas anderes sagen. Ich will mich damit nicht festlegen. Wenn wir in etwa Vorstellungen nahetreten, die dahin gehen, daß man die freiwillig Versicherten in anderer Weise an der Eigenhilfe beteiligen sollte, dann wird die Versicherungsberechtigungsgrenze und die Versicherungspflichtgrenze wesentlich an Bedeutung verlieren. Darum werden wir dieses Problem immer im Zusammenhang mit der Gestaltung des materiellen Rechts sehen müssen.
    Wir begrüßen es, daß sich die Bundesregierung Gedanken darüber gemacht hat, ob es angesichts der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse zweckmäßig ist, den gleichen Personenkreis wie bisher zu versichern. Wir haben natürlich zu berücksichtigen, was der Bundesrat zu den einzelnen Bestimmungen sagt. Der Bundesrat schlägt, wie Sie wissen, eine bewegliche Versicherungspflichtgrenze vor. Es will mir scheinen, daß eine bewegliche Versicherungspflichtgrenze, ohne daß man erhebliche Toleranzen einführt, gerade für die Versicherten von großem Nachteil wäre, weil sie ständig zwischen einer Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zur Versicherung schwankten, ohne daß sich ihr Gehalt dabei verändern müßte. Wir werden also auch die Vorschläge des Bundesrates ausgiebig beraten.
    Der Entwurf will die Versicherungsberechtigung demjenigen nicht entziehen, der selber lange zur Versichertengemeinschaft gehört hat. Wer zehn Jahre versichert war, soll ,die Versicherungsberechtigung ohne Rücksicht auf das Einkommen behalten. Ich muß hier anmerken, daß mir im Regierungsentwurf der gleiche Gedanke bei den Rentnern nicht ganz durchgeführt erscheint. Wir werden uns hier noch einmal mit der Frage auseinandersetzen, ob nur die Pflichtversicherung vor dem Rentenfall eine Einbeziehung in den Versichertenkreis begründen soll oder ob nicht auch ein freiwilliges, damit ein echtes Bekenntnis zur Versichertengemeinschaft, eine ausreichende Voraussetzung ist. Hier wird uns der Regierungsentwurf genauso wie seinerzeit der Entwurf zur Rentnerkrankenversicherung zu Überlegungen nach allen Richtungen hin zwingen.
    Ich darf mit besonderem Nachdruck das begrüßen, wozu der Herr Minister nähere Ausführungen gemacht hat, nämlich die Vorsorgehilfe. Wir wissen nicht — und kein Arzt wird uns das beantworten können —, ob eine Vorsorgeuntersuchung den Versicherten auch unter allen Umständen davor schützt, daß er einmal krank wird. Man sollte die Vorsorgeuntersuchung natürlich nicht überbewerten. Aber wir glauben, daß die Einführung von Vorsorgeuntersuchungen doch ein bedeutendes Gewicht hat.
    Wir wissen nicht, ob die Begrenzung auf eine Untersuchung in drei Jahren, ob die Begrenzung auf den Kreis derer, die über vierzig Jahre alt sind, den



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    heutigen Gegebenheiten entspricht. Auch bei jüngeren Menschen ist oft ein großer Verschleiß festzustellen. Hier wird nicht nur auf die Satzungen verwiesen werden können, sondern hier wird sich der Bundestag im Bewußtsein seiner Verantwortung einer Entscheidung stellen müssen.
    Die Vorsorgekuren sind zu begrüßen, vor allem deshalb, weil jetzt der, dem empfohlen wird, in eine Kur zu gehen, damit eine sich abzeichnende Krankheit schon im Anfang bekämpft werden kann, keine Angst um die wirtschaftliche Sicherheit zu haben braucht. Wir begrüßen es, daß für Vorsorgekuren die Gewährung von Krankengeld vorgesehen ist.
    Wir begrüßen auch die zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen. Wir sind uns allerdings bewußt, daß die Behandlung beim Zahnarzt wesentlich anders als die beim Arzt ist, nicht deshalb, weil der Schmerz aufhört, wenn man ins Wartezimmer des Zahnarztes kommt, sondern weil es beim Zahnarzt sich selbst auflösende Bagatellfälle gar nicht gibt. Jedes kleine Loch, das der Zahnarzt feststellt, muß leider behandelt werden. Das mag uns schmerzlich sein, wir müssen das aber sehen.

    (Zuruf des Abg. Geiger [Aalen].)

    — Das gleiche gilt sicher für den Blinddarm. Aber sicher gilt nicht das gleiche für eine Erkältung, Herr Kollege Geiger; die dauert mit ärztlicher Behandlung 21 Tage und ohne drei Wochen.

    (Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Da pflichten wir Ihnen bei!)

    — So sagt man bei uns zu Hause. — Wir verkennen also nicht, daß der Unterschied zwischen einer ärztlichen und einer zahnärztlichen Behandlung beachtet werden muß. Insbesondere werden wir darüber diskutieren müssen, Herr Minister, was notwendiger Zahnersatz ist und wem die Entscheidung zusteht, wieweit notwendiger Zahnersatz zu gewähren sei. Man muß bedenken, daß, wie uns Sachverständige gesagt haben, eine Prothese für ein und denselben Schaden in dem einen Fall 100 DM und in dem anderen Fall 1000 DM kosten kann. Daraus ersieht man, welch große Probleme hier von uns bewältigt werden müssen.
    Wie sollte der Sprecher der Christlich-Demokratischen Union nicht mit besonderem Nachdruck begrüßen, daß die Aussteuerung, die bisher ein Schmerzenskind der ganzen Krankenversicherung war, nunmehr beseitigt wird?!

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Das hätten Sie schon 1957 haben können, Herr Kollege Stingl, wenn Sie damals unserem Gesetzentwurf zugestimmt hätten!)

    — Herr Kollege Schellenberg, man hätte sehr vieles auch schon sehr viel früher anders machen können, aber es ist nun einmal so, daß man die Veränderungen auch mit Maß vornehmen muß. Ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir die Aussteuerung praktisch beseitigen müssen. Die 78-Wochen-Frist ist — der Minister hat es vorhin gesagt — im wesentlichen nur deshalb vorgesehen, weil wir die Pflegefälle von den Krankheitsfällen unterschieden wissen wollen.
    Wir begrüßen es, daß die Regierung im Zusammenhang mit den Leistungen für die schwerer Erkrankten und im Zusammenhang mit den Vorsorgeuntersuchungen in ihrem Entwurf vorsieht, daß auch orthopädische Leistungen als Kassenleistungen gewährt werden können. Wir sind der Meinung, hier besteht noch ein weiter Spielraum für die Behandlung der Frage, wie für alle der Krankenversicherung Unterliegenden und krank Werdenden eine weitere Besserung erzielt werden kann.
    Wir freuen uns darüber, daß nunmehr die Familienhilfe als Pflichtleistung eingeführt wird. Nun soll gar nicht bestritten werden, daß sehr viele Kassenarten Familienhilfen gewährt haben. Aber es ist doch ein ander Ding, ob so etwas eine gesetzliche Pflichtleistung ist oder ob man darauf angewiesen ist, daß die Satzung Mehrleistungen dazu vorsehen kann.
    Wir begrüßen es auch — Sie haben vorhin etwas darüber gelächelt, Herr Kollege Schellenberg —, daß das Sterbegeld erhöht und die Mindestleistung festgesetzt wird.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Das ist die einzige Leistungsverbesserung ohne Kostenbeteiligung!)

    — Nun, Herr Kollege Schellenberg, ich weiß nicht, ob dies gerade der Moment ist, an dem wir uns darüber auseinandersetzen müssen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wir stellen mit besonderer Genugtuung fest, daß das Krankengeld nach sechswöchiger Dauer nicht mehr absinken soll. Es war doch wirklich sehr betrüblich, daß gerade der Patient, der sechs Wochen lang krank war, der also sechs Wochen lang sowieso nicht in der Lage war, seinen Lohn oder sein Gehalt zu empfangen, weil er nicht zur Arbeit gehen konnte, nach sechs Wochen, in denen das Familienleben gestört war, in seinem Einkommen auf 50 % des Grundlohnes absank. Wir begrüßen es lebhaft, daß das Krankengeld zunächst in der Höhe gewährt wird, in der es vorher gewährt worden war, und daß es auch über die Zeiten hinaus gewährt wird, die jetzt als Begrenzung vorgesehen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich darf darauf hinweisen, daß die Gemeinschaftshilfen, die jedem einzelnen zugute kommen, verbessert werden. Wir begrüßen lebhaft auch die Verbesserung der Mutterschaftshilfe, so auch die Bestimmung, daß die werdende Mutter frühzeitig die Beratung durch einen Arzt in Anspruch nehmen kann. Der Familienarbeitskreis unserer Fraktion stellt dankbar fest, daß der Regierungsentwurf dessen Wünsche hier berücksichtigt hat. Wir freuen uns auch darüber, daß die unnötigen Bescheinigungen durch die Gewährung von Pauschalleistungen abgeschafft werden und daß man auch Aushilfen finanzieren kann. Wir müssen aber — hier mache ich eine Anmerkung zu dem, was der Herr Minister gesagt hat — im Ausschuß doch wohl auch eindeutig prüfen, ob diese Hilfen wirklich ihren Platz in der Reichsversicherungsordnung zu finden haben.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Lebhafte Zurufe von der SPD: Aha!)




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    — Ich bin gar nicht so, Herr Schellenberg! Aber wir müssen uns dabei darüber klarwerden, daß mindestens von der Kostenseite her der Versichertenkreis nicht in Anspruch zu nehmen ist. Wir wissen nämlich sehr wohl — und es gibt keinen Zweifel darüber —, daß die Schwangerschaft keine Krankheit ist, die in das Risiko der Versicherungsgemeinschaft hineingehört.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

    — Herr Kollege Schellenberg, wir werden uns mit dieser Frage ernsthaft auseinandersetzen, das werden Sie in der Einzelberatung des Ausschusses sehen.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber jetzt etwas zum Krankengeld sagen. Auf Grund nachträglicher Überlegungen sehen wir durchaus, daß das Gesetz zur Besserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall von 1957 wohl nicht der Weisheit letzter Schluß war.

    (Abg. Ruf: Das kann man wohl sagen!)

    Die Bundesregierung hat daraus eine Konsequenz gezogen. Der von ihr vorgelegte Entwurf läßt die Aufhebung der Karenztage nach 14tägiger Krankheit nicht mehr zu. Wir glauben nicht, daß das die einzige Möglichkeit ist, diese Frage neu zu regeln. Sosehr ich vorhin betont habe, daß es einen soziologischen Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten gibt, werden wir doch mit allem Nachdruck zu prüfen haben, ob es gerechtfertigt erscheint, den Arbeiter zwei Tage lang ohne jedes Einkommen zu lassen. Wir werden dabei mit besonderer Gewissenhaftigkeit die Verzahnung mit der von der Regierung vorgeschlagenen, in welcher Form auch immer durchzuführenden Selbstbeteiligung prüfen. Es erscheint uns nämlich nicht vertretbar, den Arbeiter in dem Augenblick, in dem jedes Einkommen für ihn gestoppt wird, zu Leistungen heranzuziehen, die die Wiederherstellung seiner Gesundheit betreffen. Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, daß in diesem Zusammenhang sicherlich das Problem der Lohnfortzahlung angeschnitten werden wird. Wir unterstreichen, daß es sich dabei um ein Problem des Arbeitsrechts handelt, aber das wird uns nicht hindern, gemäß unserer Verantwortung in den Beratungen auch darüber Überlegungen anzustellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD.)

    Die Fortentwicklung des Rechts darf aber nicht dazu führen, daß der Zug zum Großbetrieb verstärkt wird. Wir werden gewissenhaft zu prüfen haben, inwieweit die Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, von eventuellen Entscheidungen betroffen wird. Wir werden verantwortungsbewußt nach allen Seiten wägen und überlegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Das haben wir schon Anfang 1956 gefordert!)

    — Herr Kollege Schellenberg, ich weiß, daß Sie einen Antrag vorlegten, aber dieser Antrag schien uns damals nicht der Weisheit letzter Schluß zu sein.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Aber jetzt kommen Sie darauf zurück!)

    — Ich glaube sagen zu können: auch heute noch nicht, sondern hier werden wir wiederum andere Überlegungen anstellen.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Spät kommt Ihr!)

    Soweit, meine Damen und Herren, zu der Frage, wie wir denn zu den Überlegungen stehen, die Leistungen der Gemeinschaft zu verstärken. Kurz zusammengefaßt: Wenn wir auch die einzelnen Modalitäten nicht in jedem Fall billigen, so bejahen wir doch, daß die Gemeinschaftshilfe für den potentiell Kranken in der Krankenversicherung verstärkt wird.
    Lassen Sie mich nun die Kehrseite der Medaille betrachten. Ich sagte bereits, daß wir jederzeit bereit sind, zu prüfen, wie die Eigenhilfe sinnvoll mit der Gemeinschaftshilfe gekoppelt werden kann. Zur Lösung der Frage der Eigenhilfe sieht der Regierungsentwurf eine Beteiligung an den Kosten der Wiederherstellung der Gesundheit, d. h. eine Eigenbeteiligung bei der Leistung des Arztes, der Beschaffung der Arznei und der Einlieferung in das Krankenhaus vor.
    Bei all diesen Problemen werden wir nicht nur den Vorschlag der Bundesregierung prüfen — er wird natürlich die Ausgangsbasis unserer Überlelungen sein —, sondern wir werden gewissenhaft untersuchen, ob die Vorschläge, die von draußen an uns herangetragen werden, bessere Lösungen enthalten.
    Eines werden wir allerdings nicht ändern, und hier ist meine Fraktion völlig geschlossen einer Meinung: Der Patient soll in Zukunft wissen, welche Leistung der Arzt bei der Wiederherstellung der Gesundheit für ihn erbracht hat und welchen Wert in Mark und Pfennig sie darstellt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das jetzige System ist nicht das beste System zur Wiederherstellung der Gesundheit — ich schließe mich hier dem Herrn Minister an —; denn es zwingt den Arzt dazu, manchen Fall, auch wenn es sich um keinen Bagatellfall handelt, zum Bagatellfall zu machen, weil die Zeit für die Behandlung, für Diagnose und Therapie nicht ausreicht. Nach unseren Vorstellungen von einer Neuregelung der Krankenversicherung soll die Leistung des Arztes nicht nach der Quantität, sondern nach der Qualität der Leistung bezahlt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist nicht entscheidend, wieviel Leistungen der Arzt erbracht hat, sondern es kommt darauf an, mit welcher Intensität er seine geistige Arbeitskraft dabei eingesetzt hat. Unter diesem Gesichtspunkt werden wir auch einen Entwurf für eine Gebührenordnung prüfen. Ich wiederhole: Uns geht es entscheidend darum, daß der Patient weiß, die Leistung des Arztes ist ihres Lohnes wert, und dazu muß er wissen, wieviel das Honorar überhaupt ausmacht.

    (Zurufe von der SPD: Na, na!)