Rede von
Wilhelm
Probst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei wird der Überweisung der beiden Regierungsvorlagen an den Ausschuß zustimmen, weil sie dem wesentlichen Anliegen unserer Partei entsprechen, daß die Pflicht zur Verteidigung eine Pflicht für jeden Bundesbürger ist und daß aus dieser Pflicht niemand entlassen werden kann, wenn auch die Form, in der dieser Verteidigungspflicht oder Wehrpflicht nachgekommen werden kann, in diesen Vorlagen in erfreulicher Weise modulationsfähig ist und den jeweiligen Fällen individuell angepaßt werden kann.
Die Ausführungen des Kollegen Wienand von der Sozialdemokratischen Partei zur Begründung des Antrages betreffend den Jahrgang 1922 muß ich allerdings etwas ausführlicher besprechen. Herr Kollege Wienand, Sie haben heute früh festgestellt, daß das Anliegen des Jahrgangs 1922 aus der Gewissensverantwortung heraus zur Sprache gebracht worden ist. Wir haben aber heute früh in der Diskussion in sehr gründlicher Analyse festgestellt, daß wir klar auseinanderhalten müssen, wo das echte Anliegen dieses Jahrganges endet und wo der Mißbrauch dieses Anliegens durch bestimmte Kräfte eingesetzt hat.
Probst
Auch meine Erfahrungen auf diesem Gebiet gehen eindeutig dahin; insbesondere gilt das für das Material, das mir aus solchen Versammlungen zugänglich gemacht worden ist. Hier haben sich Kräfte, die etwas ganz anderes verfolgten, dieses ohne Zweifel legalen Anliegens bemächtigt. Das hat aber bereits heute früh ausführlich den Gegenstand der Diskussion gebildet. Ich möchte nur die Gewissensverantwortung des Jahrganges 1922, die hier angeführt worden ist, etwas näher untersuchen.
Gewiß, der Jahrgang 1922 gehört zu denjenigen, die die Last- des vergangenen Krieges am schwersten getragen haben. Ich bin aber nicht der Meinung, daß wir heute in der aufgabenteiligen Gesellschaft so weit gehen können, daß wir sagen: „Die Verteidigung ist ausschließlich die Aufgabe der Bundeswehr, und selbst dieser vertikale Schnitt genügt noch nicht; die Verteidigung ist nur Aufgabe bestimmter Jahrgänge, daß wir also durch vertikale oder horizontale Schnitte den Bürger aus der Gesamtverpflichtung zur Verteidigung entlassen.
Wir sprechen von der Gewissensverantwortung des Jahrganges 1922 und leiten daraus für diesen Jahrgang bestimmte Rechte ab. Gestatten Sie mir, auch dazu noch ein paar Gedanken auszusprechen. Ich habe den Eindruck, daß wir auf dem besten Wege sind, den Staatsbürger immer und immer nur darauf hinzuweisen, daß er in diesem Staat Rechte hat, unbeschränkte Rechte, denen nicht ein Gewicht von Pflichten gegenübersteht. Nur so können wir die ganze Entwicklung verstehen, die bei uns Raum greift: daß alle vom Staat nur noch fordern, daß Interessenvertretungen sehr präzise Forderungen stellen, daß unsere Demokratie zur Gefälligkeitsdemokratie entartet, weil Interessengesichtspunkte dem Gemeinwohl übergeordnet werden. Hier müssen wir ganz klare Grenzen ziehen. Wir können keinen Einbruch in die Verteidigungspflicht jedes einzelnen Bürgers schlechthin dulden.
Darüber hinaus gelange ich beim Abwägen der Gewissensverantwortung zu der Ansicht, daß dem Jahrgang 1922 Pflichten obliegen, die mit der Formulierung „nun muß dieser Jahrgang in der Bundeswehr Dienst tun" nicht umrissen sind. Seit 1945 ist ein wesentlicher und erfreulicher Wandel in der öffentlichen Meinung über den Soldaten und über die Aufgabe der Verteidigung eingetreten. Der Bürger Professor Dr. Theodor Heuss hat in seinem Buch Soldatentum während seiner Amtszeit als Bundespräsident gerade die Einstellung zu den Soldaten nach 1945 kritisiert. Er sagt — ich darf mit der Zustimmung des Herrn Präsidenten zitieren —, daß der Unfug der alliierten Sieger, den deutschen Berufssoldaten als solchen zu einer Art von nichtswürdigem Verbrecher zu erklären, dann zu dem Ohne-mich-Standpunkt geführt habe, daß aber heute doch auch wieder andere Gesichtspunkte für die Beurteilung dieser Frage bei uns in der Öffentlichkeit aufkämen. Daß sich der Jahrgang 1922 trotz jener Verhetzungsversuche von bestimmter Seite zu 98 % dem Anliegen des Verteidigungsministeriums gefügt hat, führe ich -- auch wieder mit Professor Heuss — nicht allein auf den Gehorsam gegenüber dem Staat, sondern auch darauf zurück, daß sich Einsicht geltend macht. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Satz von Professor Heuss wörtlich zitieren, weil er so klassisch ist:
Es gibt bei den Deutschen, auch bei den Kindern dieser verworrenen Zeit, nicht nur den Straf- und Drohzwang des Gesetzes, sondern auch einen ganz elementaren Pflichtsinn.
Ich glaube, daß gerade in diesem elementaren Pflichtsinn des Jahrgangs 1922 die Ursache dafür zu suchen ist, daß er den Verführungskünsten, durch die er auf eine ganz andere Ebene herabgezogen werden sollte, erfolgreich widerstanden hat.
Der Jahrgang 1922 bekommt, wenn er seine kurzfristigen Übungen in der Bundeswehr oderbesser gesagt in der Verteidigungsiorganisation macht, eine zusätzliche Aufgabe, die die jüngeren Jahrgänge noch nicht haben; ich meine die Aufgabe, in der Bundeswehr die Kontinuität oder — um ein abgegriffenes Wort zu gebrauchen. — die Tradition zu pflegen. Die Leistungen der Armee in beiden Weltkriegen, insbesondere der Armee des zweiten Weltkriegs, sind über jeden Zweifel erhaben. Es wird die Aufgabe des Jahrgangs 1922 sein, die Tradition der Leistung die neue Bundeswehr hineinzutragen. Ich habe durch Zufall das Ergebnis einer Umfrage bei führenden Schriftstellern, Journalisten, Generälen usw, in der ganzen freien Welt in die Hand bekommen, die sich darüber äußern sollten, wie sie die Qualitäten der einzelnen Armeen einstufen. Interessanterweise rangiert für ,den ersten und zweiten Weltkrieg die deutsche Armee mit 86 bzw. 93 von 100 möglichen Punkten ,an der Spitze, während in der jetzigen Situation die Armee der Sowjetunion als beste der Welt beurteilt wird. Gerade diese Beurteilung durch die Weltöffentlichkeit gibt auch .dem 22er Jahrgang einen ganz klaren Auftrag, die Leistungstradition in die Bundeswehr hineinzutragen.
Darüber hinaus muß ich mich auch noch mit einem Argument des Kollegen Wienand auseinandersetzen, der meinte, daß die unmittelbare Kriegserfahrung nicht so notwendig sei, wenn der Jahrgang 22 nur in den rückwärtigen Diensten eingesetzt werde. Ich bin nicht der Meinung, daß Kriegserfahrung nur das ist, was sich im Handwerklichen niederschlägt, in der Handhabung der Waffen oder des Geräts, sondern daß Kriegserfahrung doch sehr viel mehr ist: die ganze Formung, die ,der Mensch dabei erlebt, der Gehorsamsanspruch, nachdem er schon einmal gedient hat, das Einfügen in eine Organisation und darüber hinaus auch — und das sage ich in ,erster Linie an die Offiziere gerichtet, die im Jahrgang 1922 wieder in die Bundeswehr kommen — die Überlieferung der Führungstradition. Was ich damit meine, will ich an einem Beispiel klarmachen.
Wir hatten in der deutschen Armee eine ganz klare Auftragstaktik. Es wurde der Auftrag gegeben, und wie der Auftrag ,ausgeführt werden sollte, hatte der Autfragsempfänger selber zu bestimmen. Wir sind also mit dieser Führungstradi-
5280 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 95. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 20. Januar 1960
Probst
tion, die größtmögliche Selbständigkeit zu erzielen, wohl am weitesten von allen Armeen gegangen. Das zeigte sich, wenn man einmal einen erbeuteten Befehl irgendeines unserer damaligen Feinde in die Hände bekam. Führungstradition und die Tradition der Leistung zu übermitteln sehe ich als die erste Aufgabe des 22er Jahrgangs in der Bundeswehr an.
Es kommt aber noch ein Gesichtspunkt hinzu, der es angeraten erscheinen läßt, hier keine Sonderregelung zu treffen. Ich meine, daß man einen Jahrgang auch dadurch benachtedligen kann, daß er nicht mehr zu den Verteidigungsaufgaben herangezogen wird. Ich glaube, daß wir uns von den Vorstellungen frei machen müssen, daß nur der Soldat an der Front gefährdet ist, daß wir uns völlig von den Vorstellungen lösen müssen, daß es eine Front, ein rückwärtiges Operationsgebiet oder ein rückwärtiges Armeegebiet und Nachschubräume in einem künftigen Kriege, sofern es sich nicht nur um den subversiven Krieg handelt, gibt. Es kann praktisch sogar so sein, daß an der Front der sicherste Platz ist. Es kann sein, daß in der Nachschuborganisation, in der territorialen Verteidigungsorganisation mindestens soviel Mut und Tapferkeit gebraucht wird wie an der Front. Deshalb ist es eben auch notwendig, daß gerade in diese rückwärtigen Dienste erfahrene Soldatem kommen, die, mit der Gefahr vertraut, auch von sich aus die notwendige Ruhe ausstrahlen, um das Ausbrechen von Paniken, wie wir sie auch an der Front erlebt haben und wie wir sie insbesondere in der Zivilbevölkerung befürchten müssen, nach Möglichkeit zu verhindern.
Die ganze heutige Diskussion hat einen erfreulichen Grad von Sachlichkeit erreicht. Genauso wie wir das Anliegen des Jahrgangs 1922 durch diese Analyse versachlicht haben, so wollen wir auch die künftige Behandlung dieses Problems versachlichen, und auch hier hat uns die Bundeswehr, so jung sie ist, schon ein gutes Beispiel gegeben. Ich denke z. B. an den Kommißstiefel. Der Kommißstiefel war nach dem ersten Weltkriege das Symbol einer verachtenswerten Geisteshaltung und eines verachtungswürdigen Berufsstandes in der Polemik bestimmter politischer Kräfte. Nun hat die Bundeswehr mit dem Kommißstiefel kurzerhand das getan, was eigentlich damit getan werden mußte: sie hat ihn als Ausrüstungsstück wieder an die Füße der Soldaten gebracht, und das halte ich für sehr vernünftig. Das entspricht einfacher, nüchterner Überlegung und ist — fern von jeder Polemik — das Zweckmäßigste gewesen.
Ich halte es deshalb auch in diesem Falle für das Zweckmäßigste, die Gedanken, die uns die Sozialdemokratische Partei in ihrem Antrag nahegebracht hat und die heute in allen Diskussionsbeiträgen gegeben worden sind, nicht weiter zu verfolgen, sondern mit Rücksicht auf den Pflichtbegriff für jeden Bürger auch den Jahrgang 1922 so zu behandeln wie jeden anderen auch.