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ID0309402800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 94. Sitzung Bonn, den 11. Dezember 1959 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Nieberg ...........5185 A Zur Tagesordnung Bauknecht (CDU/CSU) . . . . . . 5185 A Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) (Drucksache 1487) Dr. Arndt (SPD) . . . . . . . 5185 B Jahn (Marburg) (SPD) . . . . . . 5186 C Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Drucksache 1486) Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 5187 A Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Preissteigerungen für Lebensmittel (Drucksache 1414) Bading (SPD) 5187 C, 5225 D Schwarz, Bundesminister . . . . 5190 B Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 5195 C Frau Strobel (SPD) . . . . . . . 5197 A Köhler (FDP) 5202 A Logemann (DP) . . . . . . . 5205 D Dr. Deist (SPD) . . . . . . . 5209 B Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . 5214 C Frau Keilhack (SPD) 5217 D Bauknecht (CDU/CSU) 5223 B Antrag der Abg. Struve, Dr. Pflaumbaum, Wehking u. Gen. betr. Trockenheitsschäden; Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses (Drucksachen 1204, 1479) Diekmann (SPD) . . . . . . . . 5226 C Antrag der Abg. Wilhelm, Bach, Ritzel, Schmitt (Vockenhausen) u. Gen. betr. Abgeltungsbetrag und Härteausgleichszahlung für Arbeiter, Angestellte und Beamte des öffentlichen Dienstes im Saarland; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Inneres (Drucksachen 1453, 1484) Schmitt (Vockenhausen) (SPD) . . 5226 D Nächste Sitzung 5227 C Anlagen 5229 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959 5185 94. Sitzung Bonn, den 11. Dezember 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Frau Ackermann 11. 12. Frau Albertz 12. 12. Blachstein 12. 12. Brüns 12. 12. Dr. Bucerius 11. 12. Dr. Dahlgrün 11. 12. Dr. Dittrich 12. 12. Dopatka 11. 12. Eilers (Oldenburg) 11. 12. Engelbrecht-Greve 11. 12. Even (Köln) 11. 12. Gaßmann 11. 12. Gedat 12. 12. Geiger (München) 11. 12. Gewandt 12. 12. Dr. Gradl 12. 12. Dr. Greve 12. 12. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 12. 12. Hansing 11. 12. Häussler 11. 12. Hilbert 15. 12. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Keller 11.12. Kemmer 11.12. Frau Klemmert 11. 12. Dr. Kopf 11. 12. Kriedemann 12. 12. Kühlthau 11. 12. Lulay 31. 12. Maier (Freiburg) 15. 12. Margulies 11. 12. Mattick 11. 12, Neubauer 11. 12. Odenthal 11. 12. Prennel 12. 12. Rademacher 11. 12. Rasner 11. 12. Dr. Ratzel 11. 12. Richarts 11. 12. Scheel 11. 12. Dr. Schild 11. 12. Dr. Schmidt (Gellensen) 11. 12. Schneider (Hamburg) 11. 12. Schoettle 12. 12. Schütz (Berlin) 11. 12. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Starke 12. 12. Stenger 11. 12. Storch 11. 12. Theis 12. 12. Tobaben 11. 12. Walpert 11. 12. D. Willeke 12. 12. Winkelheide 11. 12. Dr. Winter 11. 12. Wittmer-Eigenbrodt 11. 12. Frau Wolff (Berlin) 11. 12. Anlage 2 Umdruck 451 Antrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Preissteigerungen für Lebensmittel (Drucksache 1414). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die gestiegenen Ernährungskosten wieder zurückzuführen und die Stabilität der Lebenshaltungskosten zu sichern. Bonn, den 11. Dezember 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Umdruck 452 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Preissteigerungen für Lebensmittel (Drucksache 1414) . Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag billigt die preissenkenden Maßnahmen, die von der Bundesregierung zur Überwindung der Dürrefolgen ergriffen worden sind, Er ersucht die Bundesregierung, auch weiterhin besorgt zu sein, daß die Lebenshaltungskosten den berechtigten Ansprüchen der Verbraucher und Erzeuger entsprechen Bonn, den 11. Dezember 1959 Dr. Krone und Fraktion
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    Rede von Fritz Logemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt die heutige Debatte über die Preise. Diese Aussprache war nach all den vielen Reden und Auslassungen in der Presse in der letzten Zeit wirklich notwendig, und wir hoffen, daß sie heute in Klarheit und Sachlichkeit geführt wird. Herr Bading hat vorhin schon festgestellt, daß die Landwirtschaft an den Preissteigerungen, die wir in den letzten Monaten hatten, nicht schuld ist. Damit ist zugleich bereits gesagt, daß man dann auch die Landwirtschaft als unschuldigen Berufsstand nicht bestrafen kann, indem man Maßnahmen trifft, wie sie sich jetzt aus dem Bestreben der Bundesregierung ergeben, zu einer Preissenkung zu kommen. Ich möchte mich heute mit all den Maßnahmen beschäftigen, die inzwischen getroffen worden sind, und auch mit denen, die noch getroffen werden sollen und die nach meiner Auffassung das Agrarpreisniveau in den nächsten Monaten stark nach unten drücken werden.
    Zunächst will ich aber noch kurz allgemein zu den Ursachen vorübergehender Preiserhöhungen Stellung nehmen. Hier liegt kein agrarpolitisches Versagen vor, sondern die wirkliche Ursache ist eine Naturkatastrophe, eine Dürre, hervorgerufen durch die Sonne, die über der Bundesrepublik und über vielen Nachbarländern den ganzen letzten Sommer hindurch gebrannt hat. Die Auswirkungen der Dürre zeigen sich in den Nachbarländern noch
    5206 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959
    Logemann
    viel stärker als in der Bundesrepublik. In Holland, Dänemark und besonders der Schweiz gibt es Preissteigerungen. All das ist heute schon hervorgehoben worden.
    Nach meiner Auffassung wäre es nicht gut, wenn wir einen vollständigen Verbraucherschutz gegen Auswirkungen einer solchen Naturkatastrophe hätten. Wir sollten in der Wirtschafts- und auch in der Agrarpolitik bemüht bleiben, die Funktion der Preise zu erhalten, die doch oftmals eine heilsame Wirkung haben können. Wenn eine Ware knapp ist, muß es das Bestreben sein, auf Waren auszuweichen, die reichlicher vorhanden sind. Wenn eine Ware knapp ist, wird ein höherer Preis die Landwirtschaft oder die betreffenden anderen Betriebszweige veranlassen, mehr Ware an den Markt zu bringen. Es ist falsch, immer wieder Monatsvergleiche bei den Preisen anzustellen. Man sollte da einen besseren Vergleichsmaßstab nehmen. Die letzte Preissteigerung wäre gar nicht so sehr in Erscheinung getreten, wenn statt der Monatsvergleiche ein Jahresdurchschnittsvergleich der landwirtschaftlichen Preise genommen worden wäre.
    Die Landwirtschaft ist durchaus an einem stabilen Preisniveau interessiert; es liegt im Interesse von Erzeugern und Verbrauchern. Aber, meine Damen und Herren, Sie werden der Landwirtschaft zugestehen, daß ein solches stabiles Preisniveauich denke an ein Jahresdurchschnittspreisniveau — der allgemeinen Einkommensentwicklung in den übrigen Wirtschaftszweigen angepaßt bleiben muß.
    Gestatten Sie mir noch ein weiteres Wort zu den Auswirkungen der Preiserhöhung. Sicher ist eine Steigerung der Lebenshaltungskosten festzustellen; aber ich finde, die Zahlen über die Entwicklung in den letzten Monaten sind doch übertrieben, weil man mit dem Jahre 1958 verglichen hat, in dem die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise, vor allem im Oktober, einen im Verhältnis zu den Vorjahren beachtlichen Tiefstand erreicht hatten.
    Die Preissteigerung bei Nahrungsmitteln hat sich besonders empfindlich auf die Bezieher von kleinen Einkommen ausgewirkt. Von der Bundesregierung müßte hier etwas getan werden. Wir von der Landwirtschaft möchten nicht, daß den unteren Einkommensgruppen die Butter vom Brot genommen wird. Die Fraktion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß z. B. die Aufbesserung der Kriegsopferrenten nicht bis zum 1. Juni hinausgezögert werden darf; man wird sich, wenn neue Lohnwellen kommen — sie sind schon angekündigt —, für einen früheren Zeitpunkt entschließen müssen.
    Die steigenden Ausgaben für die Ernährung sind nicht allein auf die Preiserhöhungen bei den Erzeugnissen der einheimischen Landwirtschaft zurückzuführen; sie sind vielmehr mit bedingt durch eine starke Zunahme des Verbrauchs von Genußmitteln und durch eine gewisse Verteuerung dieser Genußmittel. Ich bitte zu berücksichtigen, daß wir in Westdeutschland in den letzten Jahren auch eine starke Zunahme des Verbrauchs hochwertigerer Nahrungsmittel zu verzeichnen haben. So waren beispielsweise 1958 etwa 57 % der Mehrausgaben
    auf eine Verbesserung der Nahrung zurückzuführen. Auch dieser Gesichtspunkt muß mit beachtet werden.
    Wie man abschließend feststellen kann, war die letzte Preiserhöhung nur kurzfristig, und die allgemeine Einkommensentwicklung hat damit durchaus Schritt gehalten, wie Herr Bundesminister Erhard vorhin ausgeführt hat. Wenn das so ist, muß ich doch sagen, daß von gewisser Seite in den letzten Monaten die Preisentwicklung sehr dramatisiert worden ist. Das ging von den Kartoffeln bis zu den Weihnachtsbäumen.
    Nun noch eine kurze Stellungnahme zu einigen landwirtschaftlichen Einzelerzeugnissen. Meine Fraktion hat immer die Auffassung vertreten, daß es bei Speisekartoffeln kein besonderes Problem gegeben hat. Die Preissteigerungen bei den Speisekartoffeln ergaben sich auf Grund der verschiedenen Entwicklung bei den einzelnen Sorten. Es wäre gut gewesen, wenn dazu früher, als es geschehen ist, von amtlicher Seite Stellung genommen worden wäre. Es ist Tatsache, daß in diesem Herbst Speisekartoffelsorten, die 1958 noch gefragt und verkäuflich waren, entweder nur weit unter Preis verkauft werden konnten oder unverkäuflich waren. Verlangt waren dagegen gewisse Spitzensorten. Bei ihnen ergab sich ein starker Preisanstieg, weil ihre Ernte gering war.
    Ich möchte mich dann mit dem von der SPD erhobenen Vorwurf auseinandersetzen, daß die Marktordnung einseitig gehandhabt worden .sei, und der sich überhaupt gegen die Einfuhr- und Vorratspolitik richtete. Daß ein solcher Vorwurf nicht berechtigt ist, möchte ich an einem Beispiel beweisen, an den Kartoffeln.

    (Zuruf von der SPD: Bei den Kartoffeln gibt es ja gar keine Marktordnung!)

    Ich möchte auf ein bestimmtes Beispiel eingehen, das Sie vorhin erwähnt haben, nämlich auf den Kartoffelpreis im September 1959. Der Kartoffelpreis lag im September 1959 in der Bundesrepublik mit an niedrigster Stelle. In Frankreich zahlte man im September 1959 für 100 kg Kartoffeln 16,65 DM, in Italien 16,05 DM, in Belgien 15,90 DM, in der Bundesrepublik Deutschland 16,10 DM. Das war ein Jahr mit einer knappen Ernte bei gewissen Spezialsorten — ich will mich vorsichtig ausdrücken — von Speisekartoffeln.
    Wenn hier von einer einseitigen Handhabung der Einfuhrpolitik gesprochen wird, dann muß man auch einmal einen Vergleich mit Jahren ziehen, in denen wir eine reichliche Kartoffelernte hatten und in denen die Speisekartoffeln entsprechend billig waren. 1957 betrugen die Preise in den von mir soeben angeführten Ländern: in Frankreich 14,45 DM — für Italien liegt keine Notiz vor -, in Holland 11,55 DM, in Belgien 7,95 DM und in der Bundesrepublik 9,10 DM. Diese Aufstellung zeigt, daß in den Jahren mit reichlicher Kartoffelernte die Kartoffeln hei uns billiger waren als in den meisten Ländern der EWG. Man hat aber damals nicht daran gedacht, den Zollsatz zu erhöhen. Jetzt wurde aber eine Aussetzung des Zollsatzes beschlossen. Ich
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959 5207
    Logemann
    glaube, dieses Beispiel zeigt ganz deutlich, daß bei Kartoffeln nicht von einseitigen Maßnahmen zugunsten des Erzeugers gesprochen werden kann.
    Nun ein anderes Erzeugnis, die Butter: Hier ist inzwischen für den Verbraucher „alles in Butter". Die Erzeuger haben aber wieder neue Sorgen. Bis vor wenigen Monaten wurden von der Opposition immer die höheren Vorräte der Einfuhr- und Vorratsstellen und die dadurch entstehenden höheren Lagerhaltungskosten kritisiert. In der letzten Zeit war das anders. Der Bundesregierung wird vorgeworfen, daß sie bei der Butter zu spät geschaltet und sich nicht rechtzeitig um eine bessere Versorgung bemüht habe. Ich darf feststellen, daß das Bundesernährungsministerium in die zweite Dürreperiode mit einem Buttervorrat von etwa 20 000 t hineinging. Ich darf weiter feststellen, daß die Milcherzeugung .in der Bundesrepublik bis dahin noch über der Milcherzeugung von 1958 lag. Wir gingen also in die zweite Dürreperiode mit einer reichlichen Versorgung.

    (Vorsitz: Vizepräsident D r. Jaeger.)

    Nun kam allerdings die zweite Dürreperiode; und hier ist es tragisch, daß sie nur der Kollege Kriedemann und sonst niemand vorausgesehen hat. Gerade dann nahm allerdings der Trinkmilchverbrauch sehr stark zu; die Buttererzeugung ging infolgedessen zurück. Ich möchte aber ausdrücklich feststellen, daß die Milcherzeugung, die Milchanlieferung an die Molkereien insgesamt in den letzten Monaten nicht niedriger gewesen ist als im Jahre 1958.
    Sehr deutlich zeigt sich auch, wie stark das Bundesernährungsministerium bemüht war, den Markt zu versorgen. Im Oktober 1959 standen für den Markt 36 000 t Butter zur Verfügung. Im Monat Oktober 1958 waren es 32 600 t. Der Mehrverbrauch — trotz steigender Preise — im Oktober 1959 wird auf etwa 2100 t geschätzt.
    Die Landwirtschaft hat durchaus kein Interesse an hektischen Preissteigerungen, wie sie bei Butter vorgekommen sind. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Ursachen dieser Preissteigerungen nicht in landwirtschaftlichen Kreisen zu suchen sind. Wir hätten es lieber gesehen — das ist auch im Ernährungsausschuß zum Ausdruck gekommen —, wenn statt der Zollaussetzung eine Regelung der Buttereinfuhren über die Einfuhr- und Vorratsstelle erfolgt wäre. Eine solche Regelung wäre wirksamer gewesen.
    Die neue Situation aber, die wir jetzt bei der Butter haben, gibt uns zu großen Sorgen Anlaß. Wir haben meiner Auffassung nach eine verhältnismäßig geringe Fehlmenge bis zum März; das Bundesernährungsministerium beziffert sie auf etwa 8000 bis 10 000 t. Es sind aber schon Importe in Höhe von 50 000 t in Aussicht genommen. Wir sind also in Gefahr, uns einen neuen Butterberg zu importieren. Auf diese Gefahr möchte ich besonders hinweisen.
    Ich bedauere, daß Herr Minister Schwarz vorhin auf die Anfrage der SPD über ihre Preisvorstellungen bei Butter keine klare Preisansage gegeben hat.
    Herr Minister Schwarz, ich kann Ihren Argumenten nicht ganz zustimmen. Sie haben u. a. gesagt, man werde bemüht sein, den Butterpreis auf dem Niveau vom Kalenderjahr 1958 zu halten. Ich darf darauf hinweisen, daß die Landwirtschaft schon im Wirtschaftsjahr 1958/59 gegenüber dem Vorjahr einen Milchpreisrückgang um 1,6 Pf je Liter und infolgedessen einen Mindererlös von rund 220 Millionen DM hatte. Herr Minister Schwarz, wenn Sie hier sagen: „Butterpreis des Kalenderjahres 1958", dann möchte ich die Frage an Sie richten: Sind Sie, wenn wir diesen Butterpreis akzeptieren sollen, bereit, dann auch das Kraftfutter für unsere Milchkühe zu den Preisen des Kalenderjahres 1958 zur Verfügung zu stellen? Es ist doch Tatsache, daß in der Zwischenzeit die Unkosten gerade bei der Milcherzeugung sehr erheblich gestiegen sind.
    Meine Damen und Herren, ich behandle dieses Thema etwas ausführlicher, weil ein Rückgang des Milchpreises vor allen Dingen eine Vielzahl von bäuerlichen und kleinbäuerlichen Betrieben trifft. Jeder Preisrückgang bei Milch senkt den Familienlohn in der Landwirtschaft. Deshalb ist es wichtig, gerade hier die Entwicklung der Erzeugerpreise sehr genau zu beobachten.
    Ich will mich bei der Butter nicht lange damit befassen, wieweit hier in den letzten Monaten eine einseitige Auslegung der Marktordnung erfolgt ist, weise aber darauf hin, daß auch in den Nachbarländern die Butterpreise stark gestiegen sind. Herr Kollege Köhler hat vorhin schon auf die holländische Situation aufmerksam gemacht. Ich glaube, die deutsche Landwirtschaft wäre durchaus bereit, über eine Milchpreisregelung zu verhandeln, wie sie Holland hat. Der holländische Erzeuger hat einen Garantiepreis für Milch von 32 Pf. Der wird so oder so, unabhängig vom Butterpreis, ausgezahlt. Aber das würde hier eine Subvention von 8 bis 9 Pf je Liter Milch kosten. Das bitte ich zu beachten. Ich bitte aber auch zu beachten, daß trotz der Dürre der Trinkmilchpreis unverändert geblieben ist und daß — wenn ich das noch einmal sagen darf — die Erzeugerpreise jetzt bei Butter sogar unter den Vorjahrspreisen liegen.
    Herr Kollege Bading hat vorhin gesagt, die Landwirtschaft sei nicht schuld an den jetzigen Preisauswirkungen. Ich bin der Auffassung, daß die Landwirtschaft, wenn sie unschuldig ist, auch nicht bestraft werden darf, daß man ihr nicht die Folgen der Entwicklung aufhalsen darf, die sich auf dem Buttersektor — in Richtung auf einen „Butterberg" — anbahnt. Herr Bading, wenn Sie sagen, die Landwirtschaft sei hier unschuldig, müssen Sie mir auch zustimmen, wenn ich sage, der Butterzoll, der vor kurzem ausgesetzt worden ist, müsse sofort wieder eingeführt werden. Meiner Ansicht nach muß er wieder eingeführt werden, wenn wir Preisabbröckelungen verhindern wollen, die für eine Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe verhängnisvoll werden könnten.
    Nun noch eine ganz kurze Stellungnahme zu den Fleischpreisen. Es ist bereits gesagt worden, daß die Erzeugerpreise in diesem Jahr weit unter die des Vorjahres gesunken sind. Die Eingriffe der Einfuhr-
    5208 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959
    Logemann
    und Vorratsstelle bei Rindern waren berechtigt. Es konnte der Landwirtschaft nicht zugemutet werden, bei Notverkäufen auch noch Spottpreise hinzunehmen. Hier war die Entwicklung der Preise auch volkswirtschaftlich durchaus gerechtfertigt. Bei den Schweinepreisen haben wir in der Zwischenzeit einen neuen Tiefstand erreicht, und mir ist nicht erklärlich, warum neulich im Bulletin der Bundesregierung geschrieben wurde, daß ein Schweinepreis von zur Zeit 1,34 DM dem Bundesernährungsministerium immer noch zu hoch erscheine. Ich darf darauf hinweisen, daß wir im Jahre 1958/59 einen Durchschnittspreis von 1,31 DM erreicht hatten, daß dieser Durchschnittspreis des Jahres 1958/59 aber auch bereits der Durchschnittspreis des Jahres 1954 war und damals trotz geringerer Kaufkraft von den Verbrauchern durchaus hingenommen worden ist.
    Zu den Handelsspannen, über die heute morgen wiederholt gesprochen worden ist, wollte ich eigentlich nichts sagen. Ich möchte aber auch nicht ganz daran vorbeigehen, weil wir als Landwirte ja in Gefahr sind, für die überhöhten Vermarktungsspannen, die wir auf verschiedenen Gebieten haben, bestraft zu werden. Daß die Handelsspannen größer geworden sind, ist durch neutrale Institute auf Grund genauester Untersuchungen festgestellt worden. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften, aber auch die Konsumvereine, sollten versuchen, diese Handelsspannen zu korrigieren. Es ist besser, hier wird jetzt gehandelt, als daß noch viel über diese Dinge geredet wird.
    Noch ein Hinweis zur Agrarpolitik. Ich bringe ihn vor allem deshalb noch, weil ich der Auffassung bin, daß die Einfuhrpläne der Bundesregierung, von denen hier ebenfalls schon gesprochen worden ist, bereits jetzt zu Preisstürzen führen und unser landwirtschaftliches Preisniveau in der nächsten Zeit noch weiter in Bewegung bringen werden. Es ist notwendig, hier an den § 1 des Landwirtschaftsgesetzes zu erinnern. Dieser Paragraph darf nicht nur auf dem Papier stehen; vielmehr ist die Bundesregierung verpflichtet, nach ihm zu handeln, und sie sollte dieser Verpflichtung nachkommen.
    Herr Minister Erhard hat heute morgen viel Beifall bekommen, als er in seiner Rede auf die allgemeine Entwicklung der Preise einging. Ich stimme ihm in vielem zu, muß ihm aber doch einen Vorwurf machen. Nach Pressemeldungen, die uns vorliegen, hat der Bundeswirtschaftsminister — ich bedauere, daß er nicht mehr anwesend ist — in der letzten Zeit sehr wenig Rücksicht auf die Belange der Landwirtschaft genommen. Er scheint meiner Ansicht nach nicht bereit zu sein, einem zahlenmäßig schwächeren Berufsstand in schwierigen Situationen die notwendige Unterstützung zu gewähren.
    In Verbindung mit der allgemeinen Wirtschaftspolitik darf ich weiter darauf aufmerksam machen, daß trotz Landwirtschaftsgesetz und Grüner Pläne das Je-Kopf-Einkommen in den landwirtschaftlichen Betrieben, besonders in den bäuerlichen Betrieben und hier vor allem auch in den Familienbetrieben, die ja in der Aussprache immer wieder so sehr herausgestellt werden, nach wie vor — das ergibt sich aus dem Vergleich mit der Industrie und dem Gewerbe — auf der untersten Stufe steht. Das Erschütternde ist, daß das landwirtschaftliche Je-Kopf-Einkommen dem Je-Kopf-Einkommen in der Industrie und im Gewerbe nicht einmal nähergekommen ist. Ich befürchte, daß die neue Lohnwelle, die jetzt angekündigt wird, den Abstand der Landwirtschaft gegenüber Industrie und Gewerbe noch weiter vergrößern wird.
    Heute morgen ist festgestellt worden, für die neue Lohnwelle könne nicht die Entwicklung der landwirtschaftlichen Preise die Ursache sein. Ich begrüße es, daß Herr Minister Erhard das heute in aller Deutlichkeit gesagt hat. Ich möchte aber doch meine Sorge darüber zum Ausdruck bringen, daß mit dem Voreilen konjunkturbegünstigter Bereiche der Wirtschaft die Gefahr immer wieder neuer Lohnwellen entsteht. Auch vom Standpunkt der Agrarpolitik aus ist es bedauerlich, daß Rationalisierungserfolge dort, wo sie erreicht sind, nicht auch zu Preissenkungen geführt haben.
    Wir hätten in der Landwirschaft bei Preisforderungen kürzer treten können, wenn die landwirtschaftlichen Betriebsmittel in den letzten Jahren durch Preissenkungen verbilligt worden wären. Die neue Lohnwelle im Baugewerbe zeigt, daß wir auch hier noch Preissteigerungen zu erwarten haben. Ich weiß nicht, wie es möglich sein soll, den in der Landwirtschaft vorhandenen Nachholbedarf auf dem Bausektor bei den steigenden Preisen überhaupt noch irgendwie vor der Eingliederung in die EWG zu befriedigen.
    Ein typisches Beispiel, wie eine Wirtschaftspolitik nicht gemacht werden sollte, ist die Entwicklung bei einem anderen Betriebsmittel der Landwirtschaft, bei den Düngemitteln. Wir hatten Herrn Minister Erhard im vorigen Jahre wiederholt bei Gelegenheit Kleiner Anfragen gebeten, keine Preiserhöhungen für die Düngemittelindustrie zu bewilligen. Wir hatten darauf hingewiesen, daß die Bilanzen der Düngemittelindustrien sehr günstig seien. Wir hatten auch darauf hingewiesen, daß z. B. bei Stickstoff sogar ein überhöhter Inlandspreis gefordert würde. Nun aber ist bezeichnend für die Überhöhung des Inlandspreises bei Stickstoff ein Preisvergleich, den ich hier anführen möchte. Im zweiten Halbjahr 1958 betrug der Inlandspreis je Kilogramm Ammonsulfat 1,13 DM, zu gleicher Zeit lag der Exportpreis bei 0,81 DM. Wir haben also einen gegenüber dem Exportpreis um 25 bis 30 % höheren Inlandspreis.
    Es wird davon gesprochen, daß die Subventionen für die Landwirtschaft langsam abgebaut werden sollen. Die Landwirtschaft muß einen Fortfall der Subventionen bei einem überhöhten Preis dieser Industriezweige kritisieren, weil man die Preise trotz günstiger Tendenzen, trotz überhöhter Inlandspreise vorher erhöht hat. Herr Minister Etzel hat gestern über das Problem der Subventionen nach meiner Auffassung gerechter als im Vorjahr gesprochen. Im vergangenen Jahr wurde die Landwirtschaft einseitig als Nutznießer herausgestellt. Der Bundesfinanzminister ging gestern so weit, anzuerkennen, daß es in der Wirtschaft auch viele unsichtbare Subventionen ,gebe, daß besonders auch
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959 5209
    Logemann
    daran gedacht sei, die Siebenerreihen des Einkommensteuergesetzes genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir hoffen, es geschieht, und hoffen weiter, daß nicht einseitig abgebaut wird. Wir haben das Recht, zu verlangen, daß alle im Etat erscheinenden Subventionen überprüft werden.
    Die jetzige Entwicklung zeigt, daß wir nicht auf eine Senkung der Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel hoffen können. Schon der Vorgänger des Herrn Ministers Schwarz ist immer wieder enttäuscht worden.
    Ich möchte aber doch Herrn Minister Erhard sagen — ich hoffe, es wird ihm ausgerichtet —: Es geht nicht an, daß nur die Landwirtschaft von ihm scharf an die Kandare genommen wird, er zu gleicher Zeit aber in den konjunkturbegünstigten Bereichen, wo nicht maßgehalten wird, die Zügel schleifen läßt. Diese Entwicklung der allgemeinen Wirtschaftspolitik zwingt uns in der Agrarpolitik immer wieder zu neuen Preisforderungen.
    Zum Schluß noch einmal zusammengefaßt: Die Landwirtschaft wünscht keine sprunghaften Preissteigerungen. Was wir in der Agrarpolitik verlangen, ist ein Agrarpreisniveau, das der allgemeinen Einkommensentwicklung ,auf längere Sicht angepaßt bleibt.
    Zum Schluß noch einen Appell an Minister Schwarz: Sorgen Sie dafür, daß eine solche Agrarpolitik in der Zukunft geführt wird. Für den Bundesernährungsminister besteht kein Anlaß zu irgendwelchen Entschuldigungen. Vielmehr ist Tatsache, daß eine solche Agrarpolitik der gesamten Landwirtschaftspolitik und durchaus auch der gesamten Volkswirtschaft dient. Wir werden uns aber gegen Maßnahmen wehren, wie sie jetzt angekündigt worden sind, die eine große Gefährdung der Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe mit sich bringen können.

    (Beifall bei der DP.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, zu diesem Punkt 10 der Tagesordnung sind alle Fraktionen bisher einmal zu Wort gekommen. Es haben sich noch acht weitere Redner gemeldet.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Daran sehen Sie, wie hoch die Preise sind!)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister wird nicht erwartet haben, daß auf seinen unfairen Angriff, auch nachdem er nach seinem Auftritt den Saal verlassen hat, nicht mehr geantwortet werden würde.

    (Beifall bei der SPD.)

    Lassen Sie mich zunächst drei Feststellungen treffen, die mir für das Auftreten des Herrn Bundeswirtschaftsministers bemerkenswert erscheinen.
    Der Herr Bundesernährungsminister hatte am Schluß seiner Rede dem Redner der sozialdemokratischen Fraktion bestätigt, daß er die Große Anfrage in ausgesprochen sachlicher und fairer Weise begründet habe. Diese Worte waren noch nicht ganz verklungen, als der Herr Bundeswirtschaftsminister auf die Bühne trat und uns ein Beispiel an Unfairneß und Maßlosigkeit gab, das in eklatantem Widerspruch zu dieser Feststellung seines Ministerkollegen stand.

    (Beifall bei der SPD.)

    Er hat sich nicht gescheut, obwohl er weiß, wie die Preisentwicklung ist, davon zu sprechen, hier werde eine Debatte „inszeniert".

    (Zuruf von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, eine zweite Feststellung: Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat nach dieser Intervention a tempo das Haus verlassen. Das ist eine Mißachtung des Parlaments

    (lebhafte Zustimmung bei der SPD)

    und zugleich eine Mißachtung aller derer, die sowohl durch die Preiserhöhungen als auch durch seine Ausführungen sehr betroffen werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und eine dritte Bemerkung. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat wieder versucht, seine einseitigen Angriffe zu tarnen und so zu tun, als handele es sich um wohlmeinende Ratschläge an alle Seiten. Er hat sich selber gleich Lügen gestraft, indem er von der Straße sprach, indem er sagte, die Preiserhöhungen seien keine Gefahr. Damit hat er die Verbraucher, die diese Preiserhöhungen zu bezahlen haben, verhöhnt. Er hat gesagt, die kommenden Löhne seien das kritische Element. Damit diffamierte er jene Arbeitnehmer, die nunmehr versuchen müssen, die Entwertung der Mark durch erhöhte Löhne wieder wettzumachen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Außerdem muß ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister richtigstellen. Er muß wissen, daß die Lohnforderung der ÖTV nicht auf 20 %, sondern auf 15 % geht; er muß wissen, daß die letzte Lohnerhöhung im Jahre 1957 stattfand, also drei Jahre zurückliegt; er muß wissen, daß es sich darum handelte, den Arbeiter am Produktivitätsfortschritt und am Aufschwung der Wirtschaft für diese drei Jahre zu beteiligen. Schließlich weiß der Herr Bundeswirtschaftsminister, daß wir auf dem Arbeitsmarkt Tarifautonomie mit Verhandlungen haben und daß es sich hier um Forderungen handelt. Was würden Sie sagen, wenn ich hier behauptete, die Arbeitgeber wollten keinen Pfennig geben, es drohe also die Auspowerung der Arbeitnehmerschaft. Das wäre die gleiche Methode, die der Herr Bundeswirtschaftsminister hier angewandt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn natürlich weiß man aus der Erfahrung, daß das Endergebnis etwa um die Mitte zwischen Angebot und Nachfrage liegen wird. Ein Marktwirtschaftler sollte das verstehen.

    (Lachen bei der SPD. — Zuruf links: Das ist zuviel verlangt!)

    5210 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959
    Dr. Deist
    Dann möchte ich aber ein Zitat verlesen, das zugleich die Unaufrichtigkeit der Argumentation des Herrn Bundeswirtschaftsministers offenlegt. Wir lesen in den Vorbemerkungen zum Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1960 auf Seite 13 unter dem Kapitel Löhne:
    Das Tariflohnniveau der Arbeiter und Angestellten nahm in der ersten Jahreshälfte 1959 gegenüber dem Vorjahre um 5 v. H. zu. Obwohl für fast 8 Millionen Beschäftigte neue Tarifverträge abgeschlossen wurden, blieben die Aufbesserungen in ihrem Ausmaß hinter den tariflichen Lohnerhöhungen des Vorjahres von etwa 6 v. H. zurück.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Und der Herr Bundesarbeitsminister hat in seinem Bericht zur Lohnsituation zum 30. Oktober — wenn ich nicht irre; ich bitte, mich auf das Datum nicht festzulegen, entweder September oder Oktober — gesagt:
    Insgesamt ist hiernach anzunehmen, daß die
    Steigerung der Löhne durch neue Tarifverträge im Jahre 1959 geringer sein wird als in
    den Vorjahren, und die geringste seit 1954.
    Meine Damen und Herren, wenn das Lohnklima so ruhig ist, d. h. wenn die Lohnentwicklung im laufenden Jahre hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben ist, wie kann der Bundeswirtschaftsminister es wagen, solche diffamierenden Worte gegen diese selbe Arbeiterschaft zu richten?

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Unaufrichtigkeit — und ich kann das nicht
    anders nennen — ergibt sich auch aus Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers in der Kurzfassung seines Wirtschaftsberichts vom 28. November 1959. Die Druckerschwärze ist noch keine drei Wochen trocken. Dieser Bericht spricht davon, daß man eine lebhaftere Tendenz in der Verbrauchsentwicklung feststelle, und er stellt fest, „die Verbrauchsentwicklung sei nicht etwa die Folge einer stärkeren Aufwärtsentwicklung der Masseneinkommen, die im Gegenteil hinter der im Vorjahr zurückgeblieben ist", sie sei vielmehr überwiegend eine Folge der Preissteigerungen. Meine Damen und Herren, ,das stellt der Herr Bundeswirtschaftsminister fest: Wir haben Verbrauchssteigerungen nicht wegen der Entwicklung der Löhne, die zurückgeblieben sind, sondern wegen der Preissteigerungen, um die es hier heute geht.
    In demselben Monatsbericht sagt der Herr Bundeswirtschaftsminister auf Seite 6:
    Im dritten Quartal lag das Produktionsergebnis der Industrie je Arbeiterstunde um 7,7 %, im Vorquartal allerdings um 10,4 % über den jeweils entsprechenden Vorjahresziffern.
    Also eine ungeheure Steigerung der Produktivität.
    Und weiter heißt es:
    Die Zuwachsraten für den Lohn je Arbeiter-
    stunde lauten für die gleichen Zeiträume 5,5 % — das ist etwa die Hälfte der Produktivitätssteigerung —
    und 3,8 %,
    — das ist etwas weniger als die Hälfte —
    was einen wichtigen Hinweis für die Beurteilung der Preisentwicklung in der Industrie liefert.
    Meinen Sie, meine Damen und Herren, daß ein Bundeswirtschaftsminister, der das sachlich feststellen muß, berechtigt ist, so unfaire Angriffe gegen die Lohnpolitik der Gewerkschaften zu führen?

    (Beifall bei der SPD.)

    Um die Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers zutreffend zu charakterisieren, eine weitere Ausführung aus seinem eigenen Monatsbericht. Er weiß ganz genau, daß wir nicht nur Preissteigerungen im Ernährungssektor haben, sondern daß leider auch im industriellen Sektor Preissteigerungstendenzen vorhanden sind;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

    er weiß auch — vielleicht lesen Sie einmal den Bericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers —, daß z. B. in der Textilindustrie oder Verbrauchsgüterindustrie innerhalb von sechs bis sieben Monaten eine Preissteigerung zwischen 1 1/2 und 2 % stattgefunden hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wo steht das?)

    Sie können doch nicht fragen, „Wo?", wenn das in allen statistischen Darlegungen festgelegt ist.
    Meine Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsminister weiß, daß diese Preissteigerungen in erster Linie auf die marktbeherrschende Stellung von Großunternehmungen zurückzuführen sind, die einfach nicht bereit sind, den Produktivitätsfortschritt und die dadurch eintretende Kostensenkung weiterzugeben, sondern die auf Grund ihrer Marktstellung ihre Preise halten wollen.
    Da wir heute, wie alle Stellen — Bundesbank und Bundeswirtschaftsminister — feststellen, ein geradezu hektisches, unvernünftiges Verhalten der Industrie zu verzeichnen haben, ergibt sich folgende paradoxe Situation. Wir haben eine geringe Steigerung der Masseneinkommen, eine noch geringere Steigerung der Verbrauchernachfragen, aber geradezu unvernünftige Bestellungen des Handels, der Verbrauchsgüterindustrie und der Investitionsgüterindustrie. Durch dieses unvernünftige Unternehmerverhalten tritt eine Marktsituation ein, in der die marktbeherrschenden Unternehmungen ihre Marktstellung ausnutzen können, während wir eine schwache Nachfrage der Verbraucher haben.

    (Zuruf von der SPD: Sinkende Kaufkraft!)

    Dazu sagt der Herr Bundeswirtschaftsminister, der I das weiß:
    Durch die Lockerung des Konkurrenzdrucks werden Preissenkungen selbst in den Bereichen verhindert, in denen der Produktivitätsfortschritt außerordentlich groß ist und durch höhere Lohnkcsten keinesfalls voll aufgezehrt wird.
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959 5211
    Dr. Deist
    Dann folgt:
    Neben solchen „verborgenen" Preiserhöhungen sind in wichtigen Bereichen Preissteigerungen schon klar sichtbar geworden.
    Er spricht, Herr Kollege Atzenroth, von der traditionellen Verbrauchsgüterindustrie: „letztere hat ihre Preise seit April um 2,2 % heraufgesetzt." Er fährt fort:
    Auch im Oktober setzte sich hier der Preisanstieg fort. Hinzu trat im Berichtsmonat eine merkliche Verteuerung des Angebots der Nahrungsmittelindustrie.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Herr Bundesminister für Wirtschaft diesen steigenden Trend feststellt — es handelt sich nicht um einen Monat, den sich irgend jemand unbilligerweise ausgesucht hat —, woher nimmt er dann das Recht, zu sagen: „An den Preisen liegt es nicht"?

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein Stück weiter zitieren, weil es mir wichtig erscheint, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister zu sagen, daß sich ein Parlament nicht gefallen lassen kann, daß er innerhalb von drei Wochen so widersprechende Äußerungen von sich gibt:
    Beim Verbraucher sind die Preiserhöhungen von den landwirtschaftlichen Erzeugermärkten her bereits deutlich angekommen.
    Und der Herr Bundeswirtschaftsminister fährt fort — nicht wir bringen das hier vor, um eine Debatte zu „inszenieren" —:
    Im ganzen haben sich die Kosten für Ernährung binnen Jahresfrist um 6,6 % erhöht. Da außerdem im Vergleich zum Vorjahr bei den meisten anderen Ausgabegruppen, vor allem bei Wohnung und Bekleidung sowie bei verschiedenen Dienstleistungen, die Preise gestiegen sind, während nur Getränke und Hausrat im Preis nachgegeben haben, weist der Preisindex für die Lebenshaltung gegenüber Oktober 1958 eine Erhöhung um 3,7 % auf.
    Er sagt dann, daß es sich hier um eine „nicht unerhebliche Verteuerung der allgemeinen Lebenshaltung" handle, von der vornehmlich solche Bevölkerungskreise betroffen werden, deren Einkommen wie das der oben erwähnten Index-Familie fast zur Hälfte für Nahrungsmittel ausgegeben wird.

    (Lebhafte Zurufe von der Mitte.)

    - Ich diskutiere mit Ihnen nur darüber, ob ein Bundeswirtschaftsminister, der ja wohl seine eigenen statistischen Feststellungen kennen muß, hier in der Form auftreten darf, wie es geschehen ist.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Er hat wissentlich etwas anderes gesagt! Er lebt von der Agitation!)

    Meine Damen und Herren, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich nicht gescheut, darauf hinzuweisen, daß in den ersten zehn Monaten des Jahres 1959 das Preisniveau gegenüber den ersten
    zehn Monaten 1958 nur um rund 1 % gestiegen ist. Er hat zweifellos recht. Nur, meine Damen und Herren, ist denn die Bundesregierung eigentlich lediglich dann in der Lage, ein einigermaßen stabiles Preisniveau zu sichern, wenn sich krisenhafte Erscheinungen in der Wirtschaft zeigen, wie das Ende 1958 und im ersten Halbjahr 1959 der Fall gewesen ist? Ich erinnere an die Stagnation bei der Kohle, in der Stahlindustrie und in der ganzen Konsumgüterindustrie. Ist es so, daß diese Bundesregierung immer ein bißchen Krise braucht, damit die Preise nicht steigen, weil sie sonst keine Möglichkeit sieht, Preiserhöhungen zu verhindern?

    (Beifall bei der SPD.)

    Es kommt auf den langfristigen Preistrend an, nicht auf die Entwicklung innerhalb von acht oder zehn Monaten. Wir haben von 1950 bis 1954 eine Konjunkturaufschwungsperiode gehabt. In dieser Periode ist das Lebenshaltungskostenniveau um 8 % gestiegen. Wir haben eine zweite Periode von 1954 bis 1958 gehabt. In dieser Zeit ist das Lebenshaltungskostenniveau um 10 % gestiegen. Das ist eine regelmäßige Aufweichung der Kaufkraft der D-Mark um jährlich 2 bis 2 1/2 %. Wenn man angesichts dessen so spricht, wie das der Herr Bundeswirtschaftsminister getan hat, dann ist das eine Verhöhnung des Verbrauchers, der die Kosten dieser Preiserhöhungen zu tragen hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich frage mich, wie es eigentlich der Herr Bundeswirtschaftsminister wagen kann, die Dinge so darzustellen, als seien die Preiserhöhungen nicht wichtig zu nehmen, und damit eine so verbraucherfeindliche Haltung zu offenbaren. Wie kommt er dazu, solche Ausfälle zu machen, wie sie hier beinahe haßerfüllt hervorgequollen sind?

    (Widerspruch bei der CDU/CSU. — Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das ist eine krankhafte Erscheinung!)

    Vielleicht sollte man auch in seinen Ausführungen maßhalten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen Sie tun! — Zuruf von der SPD: Der Minister der Großindustrie! — Glocke des Präsidenten. — Abg. Dr. Mommer: Ist das unparlamentarisch, Herr Präsident?)

    Ich habe mich gefragt, wie der Minister diese einseitige Frontstellung gegen Verbraucher und Arbeitnehmer, wie sie ganz unverkennbar aus seinen Äußerungen herauszuhören war, einnehmen kann. Da fiel mir ein, daß ich in den „Monatsblättern für freiheitliche Wirtschaftspolitik", herausgegeben von Herrn Volkmar Muthesius, der Ihnen und dem Bundeswirtschaftsminister ja nicht ganz fern steht, eine Randnote von Herrn Muthesius — ich will vorsichtig sein: ich nehme an, daß sie von ihm ist; sie ist ohne Namensnennung wiedergegeben — gelesen habe, in der es heißt:
    Die Interessen der Produzenten setzen sich
    leichter durch als die der Konsumenten. Die
    letzteren begehren nicht auf, wenn ihnen ir-
    5212 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 94. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1959
    Dr. Deist
    gendwo ein paar Mark mehr abgezwackt werden, weil es sich für sie nicht lohnt. Bei den Produzenten dagegen sind die paar Mark —auf jedes Erzeugnis! Sie summieren sich also — ein so großer Einkommenszuwachs, daß sich eine entsprechende politische Kampagne gut auszahlt.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das ist das Konzept von Herrn Erhard!)

    So leuchtet Herr Volkmar Muthesius in die Hintergründe Ihrer Politik:

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Ach was!)

    Daß Sie glauben eine Politik treiben zu können, die den Konsumenten belastet, weil er sich nicht in einer Weise wehren kann, die sich gut auszahlt. Es ist eine abgrundtiefe Haltung, die hier zum Ausdruck kommt.
    Nach dem, was der Herr Bundeswirtschaftsminister ausgeführt hat, darf ich — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — auch noch einige Ausführungen zitieren, die der Herr Präsident der Deutschen Bundesbank aus Anlaß der Diskonterhöhung gemacht hat. Ich wäre dankbar, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister von seinen Herren auf dieses Zitat hingewiesen würde. Es geht nicht an, daß er andere Versionen in die Welt setzt, ohne sich mit solchen Ausführungen wenigstens auseinanderzusetzen. Es heißt in den Ausführungen von Herrn Blessing, Präsident der Bundesbank:
    Die Unternehmer haben von der ihnen gebotenen Chance, zur Mengenkonjunktur durchzustoßen, zwar weitgehend Gebrauch gemacht, jedoch nur in der Weise, daß sie die bisherigen Preise nicht erhöht haben. Sie haben es aber recht oft versäumt, dort, wo die Produktivitätszunahme es erlaubt hätte, auch die Preise zu senken.
    Die Aufrechterhaltung des allgemeinen Preisniveaus ist nur möglich, wenn unvermeidlichen Preiserhöhungen auf der anderen Seite entsprechende Preissenkungen gegenüberstehen. Seien wir doch ehrlich
    — sagt Herr Blessing! —:
    in den meisten Unternehmungen ist in letzter Zeit gut verdient worden. Man kann von den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften schwer ein Maßhalten in den Lähnen verlangen, wenn die Produktivitätsgewinne im übertriebenen Umfange dem Unternehmer verbleiben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das sollte sich auch der Herr Bundeswirtschaftsminister einmal zu Gemüte führen.
    Unter diesen Umständen hat der Bundeswirtschaftsminister kein Recht, zu behaupten, die Preise seien für die Entwicklung der Konjunktur uninteressant, und gewissermaßen als Ablenkungsmanöver — nachdem er vorher in seinem Bericht festgestellt hat, wie ruhig sich die Löhne verhalten haben —
    auf angeblich ganz gefährliche Lohnentwicklungen hinzuweisen.

    (Zuruf von der SPD: Er merkt das gar nicht!) — Bitte schön, Herr Kollege Ruf.