Rede von
Fritz
Logemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt die heutige Debatte über die Preise. Diese Aussprache war nach all den vielen Reden und Auslassungen in der Presse in der letzten Zeit wirklich notwendig, und wir hoffen, daß sie heute in Klarheit und Sachlichkeit geführt wird. Herr Bading hat vorhin schon festgestellt, daß die Landwirtschaft an den Preissteigerungen, die wir in den letzten Monaten hatten, nicht schuld ist. Damit ist zugleich bereits gesagt, daß man dann auch die Landwirtschaft als unschuldigen Berufsstand nicht bestrafen kann, indem man Maßnahmen trifft, wie sie sich jetzt aus dem Bestreben der Bundesregierung ergeben, zu einer Preissenkung zu kommen. Ich möchte mich heute mit all den Maßnahmen beschäftigen, die inzwischen getroffen worden sind, und auch mit denen, die noch getroffen werden sollen und die nach meiner Auffassung das Agrarpreisniveau in den nächsten Monaten stark nach unten drücken werden.
Zunächst will ich aber noch kurz allgemein zu den Ursachen vorübergehender Preiserhöhungen Stellung nehmen. Hier liegt kein agrarpolitisches Versagen vor, sondern die wirkliche Ursache ist eine Naturkatastrophe, eine Dürre, hervorgerufen durch die Sonne, die über der Bundesrepublik und über vielen Nachbarländern den ganzen letzten Sommer hindurch gebrannt hat. Die Auswirkungen der Dürre zeigen sich in den Nachbarländern noch
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viel stärker als in der Bundesrepublik. In Holland, Dänemark und besonders der Schweiz gibt es Preissteigerungen. All das ist heute schon hervorgehoben worden.
Nach meiner Auffassung wäre es nicht gut, wenn wir einen vollständigen Verbraucherschutz gegen Auswirkungen einer solchen Naturkatastrophe hätten. Wir sollten in der Wirtschafts- und auch in der Agrarpolitik bemüht bleiben, die Funktion der Preise zu erhalten, die doch oftmals eine heilsame Wirkung haben können. Wenn eine Ware knapp ist, muß es das Bestreben sein, auf Waren auszuweichen, die reichlicher vorhanden sind. Wenn eine Ware knapp ist, wird ein höherer Preis die Landwirtschaft oder die betreffenden anderen Betriebszweige veranlassen, mehr Ware an den Markt zu bringen. Es ist falsch, immer wieder Monatsvergleiche bei den Preisen anzustellen. Man sollte da einen besseren Vergleichsmaßstab nehmen. Die letzte Preissteigerung wäre gar nicht so sehr in Erscheinung getreten, wenn statt der Monatsvergleiche ein Jahresdurchschnittsvergleich der landwirtschaftlichen Preise genommen worden wäre.
Die Landwirtschaft ist durchaus an einem stabilen Preisniveau interessiert; es liegt im Interesse von Erzeugern und Verbrauchern. Aber, meine Damen und Herren, Sie werden der Landwirtschaft zugestehen, daß ein solches stabiles Preisniveauich denke an ein Jahresdurchschnittspreisniveau — der allgemeinen Einkommensentwicklung in den übrigen Wirtschaftszweigen angepaßt bleiben muß.
Gestatten Sie mir noch ein weiteres Wort zu den Auswirkungen der Preiserhöhung. Sicher ist eine Steigerung der Lebenshaltungskosten festzustellen; aber ich finde, die Zahlen über die Entwicklung in den letzten Monaten sind doch übertrieben, weil man mit dem Jahre 1958 verglichen hat, in dem die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise, vor allem im Oktober, einen im Verhältnis zu den Vorjahren beachtlichen Tiefstand erreicht hatten.
Die Preissteigerung bei Nahrungsmitteln hat sich besonders empfindlich auf die Bezieher von kleinen Einkommen ausgewirkt. Von der Bundesregierung müßte hier etwas getan werden. Wir von der Landwirtschaft möchten nicht, daß den unteren Einkommensgruppen die Butter vom Brot genommen wird. Die Fraktion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß z. B. die Aufbesserung der Kriegsopferrenten nicht bis zum 1. Juni hinausgezögert werden darf; man wird sich, wenn neue Lohnwellen kommen — sie sind schon angekündigt —, für einen früheren Zeitpunkt entschließen müssen.
Die steigenden Ausgaben für die Ernährung sind nicht allein auf die Preiserhöhungen bei den Erzeugnissen der einheimischen Landwirtschaft zurückzuführen; sie sind vielmehr mit bedingt durch eine starke Zunahme des Verbrauchs von Genußmitteln und durch eine gewisse Verteuerung dieser Genußmittel. Ich bitte zu berücksichtigen, daß wir in Westdeutschland in den letzten Jahren auch eine starke Zunahme des Verbrauchs hochwertigerer Nahrungsmittel zu verzeichnen haben. So waren beispielsweise 1958 etwa 57 % der Mehrausgaben
auf eine Verbesserung der Nahrung zurückzuführen. Auch dieser Gesichtspunkt muß mit beachtet werden.
Wie man abschließend feststellen kann, war die letzte Preiserhöhung nur kurzfristig, und die allgemeine Einkommensentwicklung hat damit durchaus Schritt gehalten, wie Herr Bundesminister Erhard vorhin ausgeführt hat. Wenn das so ist, muß ich doch sagen, daß von gewisser Seite in den letzten Monaten die Preisentwicklung sehr dramatisiert worden ist. Das ging von den Kartoffeln bis zu den Weihnachtsbäumen.
Nun noch eine kurze Stellungnahme zu einigen landwirtschaftlichen Einzelerzeugnissen. Meine Fraktion hat immer die Auffassung vertreten, daß es bei Speisekartoffeln kein besonderes Problem gegeben hat. Die Preissteigerungen bei den Speisekartoffeln ergaben sich auf Grund der verschiedenen Entwicklung bei den einzelnen Sorten. Es wäre gut gewesen, wenn dazu früher, als es geschehen ist, von amtlicher Seite Stellung genommen worden wäre. Es ist Tatsache, daß in diesem Herbst Speisekartoffelsorten, die 1958 noch gefragt und verkäuflich waren, entweder nur weit unter Preis verkauft werden konnten oder unverkäuflich waren. Verlangt waren dagegen gewisse Spitzensorten. Bei ihnen ergab sich ein starker Preisanstieg, weil ihre Ernte gering war.
Ich möchte mich dann mit dem von der SPD erhobenen Vorwurf auseinandersetzen, daß die Marktordnung einseitig gehandhabt worden .sei, und der sich überhaupt gegen die Einfuhr- und Vorratspolitik richtete. Daß ein solcher Vorwurf nicht berechtigt ist, möchte ich an einem Beispiel beweisen, an den Kartoffeln.
Ich möchte auf ein bestimmtes Beispiel eingehen, das Sie vorhin erwähnt haben, nämlich auf den Kartoffelpreis im September 1959. Der Kartoffelpreis lag im September 1959 in der Bundesrepublik mit an niedrigster Stelle. In Frankreich zahlte man im September 1959 für 100 kg Kartoffeln 16,65 DM, in Italien 16,05 DM, in Belgien 15,90 DM, in der Bundesrepublik Deutschland 16,10 DM. Das war ein Jahr mit einer knappen Ernte bei gewissen Spezialsorten — ich will mich vorsichtig ausdrücken — von Speisekartoffeln.
Wenn hier von einer einseitigen Handhabung der Einfuhrpolitik gesprochen wird, dann muß man auch einmal einen Vergleich mit Jahren ziehen, in denen wir eine reichliche Kartoffelernte hatten und in denen die Speisekartoffeln entsprechend billig waren. 1957 betrugen die Preise in den von mir soeben angeführten Ländern: in Frankreich 14,45 DM — für Italien liegt keine Notiz vor -, in Holland 11,55 DM, in Belgien 7,95 DM und in der Bundesrepublik 9,10 DM. Diese Aufstellung zeigt, daß in den Jahren mit reichlicher Kartoffelernte die Kartoffeln hei uns billiger waren als in den meisten Ländern der EWG. Man hat aber damals nicht daran gedacht, den Zollsatz zu erhöhen. Jetzt wurde aber eine Aussetzung des Zollsatzes beschlossen. Ich
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glaube, dieses Beispiel zeigt ganz deutlich, daß bei Kartoffeln nicht von einseitigen Maßnahmen zugunsten des Erzeugers gesprochen werden kann.
Nun ein anderes Erzeugnis, die Butter: Hier ist inzwischen für den Verbraucher „alles in Butter". Die Erzeuger haben aber wieder neue Sorgen. Bis vor wenigen Monaten wurden von der Opposition immer die höheren Vorräte der Einfuhr- und Vorratsstellen und die dadurch entstehenden höheren Lagerhaltungskosten kritisiert. In der letzten Zeit war das anders. Der Bundesregierung wird vorgeworfen, daß sie bei der Butter zu spät geschaltet und sich nicht rechtzeitig um eine bessere Versorgung bemüht habe. Ich darf feststellen, daß das Bundesernährungsministerium in die zweite Dürreperiode mit einem Buttervorrat von etwa 20 000 t hineinging. Ich darf weiter feststellen, daß die Milcherzeugung .in der Bundesrepublik bis dahin noch über der Milcherzeugung von 1958 lag. Wir gingen also in die zweite Dürreperiode mit einer reichlichen Versorgung.
Nun kam allerdings die zweite Dürreperiode; und hier ist es tragisch, daß sie nur der Kollege Kriedemann und sonst niemand vorausgesehen hat. Gerade dann nahm allerdings der Trinkmilchverbrauch sehr stark zu; die Buttererzeugung ging infolgedessen zurück. Ich möchte aber ausdrücklich feststellen, daß die Milcherzeugung, die Milchanlieferung an die Molkereien insgesamt in den letzten Monaten nicht niedriger gewesen ist als im Jahre 1958.
Sehr deutlich zeigt sich auch, wie stark das Bundesernährungsministerium bemüht war, den Markt zu versorgen. Im Oktober 1959 standen für den Markt 36 000 t Butter zur Verfügung. Im Monat Oktober 1958 waren es 32 600 t. Der Mehrverbrauch — trotz steigender Preise — im Oktober 1959 wird auf etwa 2100 t geschätzt.
Die Landwirtschaft hat durchaus kein Interesse an hektischen Preissteigerungen, wie sie bei Butter vorgekommen sind. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Ursachen dieser Preissteigerungen nicht in landwirtschaftlichen Kreisen zu suchen sind. Wir hätten es lieber gesehen — das ist auch im Ernährungsausschuß zum Ausdruck gekommen —, wenn statt der Zollaussetzung eine Regelung der Buttereinfuhren über die Einfuhr- und Vorratsstelle erfolgt wäre. Eine solche Regelung wäre wirksamer gewesen.
Die neue Situation aber, die wir jetzt bei der Butter haben, gibt uns zu großen Sorgen Anlaß. Wir haben meiner Auffassung nach eine verhältnismäßig geringe Fehlmenge bis zum März; das Bundesernährungsministerium beziffert sie auf etwa 8000 bis 10 000 t. Es sind aber schon Importe in Höhe von 50 000 t in Aussicht genommen. Wir sind also in Gefahr, uns einen neuen Butterberg zu importieren. Auf diese Gefahr möchte ich besonders hinweisen.
Ich bedauere, daß Herr Minister Schwarz vorhin auf die Anfrage der SPD über ihre Preisvorstellungen bei Butter keine klare Preisansage gegeben hat.
Herr Minister Schwarz, ich kann Ihren Argumenten nicht ganz zustimmen. Sie haben u. a. gesagt, man werde bemüht sein, den Butterpreis auf dem Niveau vom Kalenderjahr 1958 zu halten. Ich darf darauf hinweisen, daß die Landwirtschaft schon im Wirtschaftsjahr 1958/59 gegenüber dem Vorjahr einen Milchpreisrückgang um 1,6 Pf je Liter und infolgedessen einen Mindererlös von rund 220 Millionen DM hatte. Herr Minister Schwarz, wenn Sie hier sagen: „Butterpreis des Kalenderjahres 1958", dann möchte ich die Frage an Sie richten: Sind Sie, wenn wir diesen Butterpreis akzeptieren sollen, bereit, dann auch das Kraftfutter für unsere Milchkühe zu den Preisen des Kalenderjahres 1958 zur Verfügung zu stellen? Es ist doch Tatsache, daß in der Zwischenzeit die Unkosten gerade bei der Milcherzeugung sehr erheblich gestiegen sind.
Meine Damen und Herren, ich behandle dieses Thema etwas ausführlicher, weil ein Rückgang des Milchpreises vor allen Dingen eine Vielzahl von bäuerlichen und kleinbäuerlichen Betrieben trifft. Jeder Preisrückgang bei Milch senkt den Familienlohn in der Landwirtschaft. Deshalb ist es wichtig, gerade hier die Entwicklung der Erzeugerpreise sehr genau zu beobachten.
Ich will mich bei der Butter nicht lange damit befassen, wieweit hier in den letzten Monaten eine einseitige Auslegung der Marktordnung erfolgt ist, weise aber darauf hin, daß auch in den Nachbarländern die Butterpreise stark gestiegen sind. Herr Kollege Köhler hat vorhin schon auf die holländische Situation aufmerksam gemacht. Ich glaube, die deutsche Landwirtschaft wäre durchaus bereit, über eine Milchpreisregelung zu verhandeln, wie sie Holland hat. Der holländische Erzeuger hat einen Garantiepreis für Milch von 32 Pf. Der wird so oder so, unabhängig vom Butterpreis, ausgezahlt. Aber das würde hier eine Subvention von 8 bis 9 Pf je Liter Milch kosten. Das bitte ich zu beachten. Ich bitte aber auch zu beachten, daß trotz der Dürre der Trinkmilchpreis unverändert geblieben ist und daß — wenn ich das noch einmal sagen darf — die Erzeugerpreise jetzt bei Butter sogar unter den Vorjahrspreisen liegen.
Herr Kollege Bading hat vorhin gesagt, die Landwirtschaft sei nicht schuld an den jetzigen Preisauswirkungen. Ich bin der Auffassung, daß die Landwirtschaft, wenn sie unschuldig ist, auch nicht bestraft werden darf, daß man ihr nicht die Folgen der Entwicklung aufhalsen darf, die sich auf dem Buttersektor — in Richtung auf einen „Butterberg" — anbahnt. Herr Bading, wenn Sie sagen, die Landwirtschaft sei hier unschuldig, müssen Sie mir auch zustimmen, wenn ich sage, der Butterzoll, der vor kurzem ausgesetzt worden ist, müsse sofort wieder eingeführt werden. Meiner Ansicht nach muß er wieder eingeführt werden, wenn wir Preisabbröckelungen verhindern wollen, die für eine Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe verhängnisvoll werden könnten.
Nun noch eine ganz kurze Stellungnahme zu den Fleischpreisen. Es ist bereits gesagt worden, daß die Erzeugerpreise in diesem Jahr weit unter die des Vorjahres gesunken sind. Die Eingriffe der Einfuhr-
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und Vorratsstelle bei Rindern waren berechtigt. Es konnte der Landwirtschaft nicht zugemutet werden, bei Notverkäufen auch noch Spottpreise hinzunehmen. Hier war die Entwicklung der Preise auch volkswirtschaftlich durchaus gerechtfertigt. Bei den Schweinepreisen haben wir in der Zwischenzeit einen neuen Tiefstand erreicht, und mir ist nicht erklärlich, warum neulich im Bulletin der Bundesregierung geschrieben wurde, daß ein Schweinepreis von zur Zeit 1,34 DM dem Bundesernährungsministerium immer noch zu hoch erscheine. Ich darf darauf hinweisen, daß wir im Jahre 1958/59 einen Durchschnittspreis von 1,31 DM erreicht hatten, daß dieser Durchschnittspreis des Jahres 1958/59 aber auch bereits der Durchschnittspreis des Jahres 1954 war und damals trotz geringerer Kaufkraft von den Verbrauchern durchaus hingenommen worden ist.
Zu den Handelsspannen, über die heute morgen wiederholt gesprochen worden ist, wollte ich eigentlich nichts sagen. Ich möchte aber auch nicht ganz daran vorbeigehen, weil wir als Landwirte ja in Gefahr sind, für die überhöhten Vermarktungsspannen, die wir auf verschiedenen Gebieten haben, bestraft zu werden. Daß die Handelsspannen größer geworden sind, ist durch neutrale Institute auf Grund genauester Untersuchungen festgestellt worden. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften, aber auch die Konsumvereine, sollten versuchen, diese Handelsspannen zu korrigieren. Es ist besser, hier wird jetzt gehandelt, als daß noch viel über diese Dinge geredet wird.
Noch ein Hinweis zur Agrarpolitik. Ich bringe ihn vor allem deshalb noch, weil ich der Auffassung bin, daß die Einfuhrpläne der Bundesregierung, von denen hier ebenfalls schon gesprochen worden ist, bereits jetzt zu Preisstürzen führen und unser landwirtschaftliches Preisniveau in der nächsten Zeit noch weiter in Bewegung bringen werden. Es ist notwendig, hier an den § 1 des Landwirtschaftsgesetzes zu erinnern. Dieser Paragraph darf nicht nur auf dem Papier stehen; vielmehr ist die Bundesregierung verpflichtet, nach ihm zu handeln, und sie sollte dieser Verpflichtung nachkommen.
Herr Minister Erhard hat heute morgen viel Beifall bekommen, als er in seiner Rede auf die allgemeine Entwicklung der Preise einging. Ich stimme ihm in vielem zu, muß ihm aber doch einen Vorwurf machen. Nach Pressemeldungen, die uns vorliegen, hat der Bundeswirtschaftsminister — ich bedauere, daß er nicht mehr anwesend ist — in der letzten Zeit sehr wenig Rücksicht auf die Belange der Landwirtschaft genommen. Er scheint meiner Ansicht nach nicht bereit zu sein, einem zahlenmäßig schwächeren Berufsstand in schwierigen Situationen die notwendige Unterstützung zu gewähren.
In Verbindung mit der allgemeinen Wirtschaftspolitik darf ich weiter darauf aufmerksam machen, daß trotz Landwirtschaftsgesetz und Grüner Pläne das Je-Kopf-Einkommen in den landwirtschaftlichen Betrieben, besonders in den bäuerlichen Betrieben und hier vor allem auch in den Familienbetrieben, die ja in der Aussprache immer wieder so sehr herausgestellt werden, nach wie vor — das ergibt sich aus dem Vergleich mit der Industrie und dem Gewerbe — auf der untersten Stufe steht. Das Erschütternde ist, daß das landwirtschaftliche Je-Kopf-Einkommen dem Je-Kopf-Einkommen in der Industrie und im Gewerbe nicht einmal nähergekommen ist. Ich befürchte, daß die neue Lohnwelle, die jetzt angekündigt wird, den Abstand der Landwirtschaft gegenüber Industrie und Gewerbe noch weiter vergrößern wird.
Heute morgen ist festgestellt worden, für die neue Lohnwelle könne nicht die Entwicklung der landwirtschaftlichen Preise die Ursache sein. Ich begrüße es, daß Herr Minister Erhard das heute in aller Deutlichkeit gesagt hat. Ich möchte aber doch meine Sorge darüber zum Ausdruck bringen, daß mit dem Voreilen konjunkturbegünstigter Bereiche der Wirtschaft die Gefahr immer wieder neuer Lohnwellen entsteht. Auch vom Standpunkt der Agrarpolitik aus ist es bedauerlich, daß Rationalisierungserfolge dort, wo sie erreicht sind, nicht auch zu Preissenkungen geführt haben.
Wir hätten in der Landwirschaft bei Preisforderungen kürzer treten können, wenn die landwirtschaftlichen Betriebsmittel in den letzten Jahren durch Preissenkungen verbilligt worden wären. Die neue Lohnwelle im Baugewerbe zeigt, daß wir auch hier noch Preissteigerungen zu erwarten haben. Ich weiß nicht, wie es möglich sein soll, den in der Landwirtschaft vorhandenen Nachholbedarf auf dem Bausektor bei den steigenden Preisen überhaupt noch irgendwie vor der Eingliederung in die EWG zu befriedigen.
Ein typisches Beispiel, wie eine Wirtschaftspolitik nicht gemacht werden sollte, ist die Entwicklung bei einem anderen Betriebsmittel der Landwirtschaft, bei den Düngemitteln. Wir hatten Herrn Minister Erhard im vorigen Jahre wiederholt bei Gelegenheit Kleiner Anfragen gebeten, keine Preiserhöhungen für die Düngemittelindustrie zu bewilligen. Wir hatten darauf hingewiesen, daß die Bilanzen der Düngemittelindustrien sehr günstig seien. Wir hatten auch darauf hingewiesen, daß z. B. bei Stickstoff sogar ein überhöhter Inlandspreis gefordert würde. Nun aber ist bezeichnend für die Überhöhung des Inlandspreises bei Stickstoff ein Preisvergleich, den ich hier anführen möchte. Im zweiten Halbjahr 1958 betrug der Inlandspreis je Kilogramm Ammonsulfat 1,13 DM, zu gleicher Zeit lag der Exportpreis bei 0,81 DM. Wir haben also einen gegenüber dem Exportpreis um 25 bis 30 % höheren Inlandspreis.
Es wird davon gesprochen, daß die Subventionen für die Landwirtschaft langsam abgebaut werden sollen. Die Landwirtschaft muß einen Fortfall der Subventionen bei einem überhöhten Preis dieser Industriezweige kritisieren, weil man die Preise trotz günstiger Tendenzen, trotz überhöhter Inlandspreise vorher erhöht hat. Herr Minister Etzel hat gestern über das Problem der Subventionen nach meiner Auffassung gerechter als im Vorjahr gesprochen. Im vergangenen Jahr wurde die Landwirtschaft einseitig als Nutznießer herausgestellt. Der Bundesfinanzminister ging gestern so weit, anzuerkennen, daß es in der Wirtschaft auch viele unsichtbare Subventionen ,gebe, daß besonders auch
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daran gedacht sei, die Siebenerreihen des Einkommensteuergesetzes genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir hoffen, es geschieht, und hoffen weiter, daß nicht einseitig abgebaut wird. Wir haben das Recht, zu verlangen, daß alle im Etat erscheinenden Subventionen überprüft werden.
Die jetzige Entwicklung zeigt, daß wir nicht auf eine Senkung der Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel hoffen können. Schon der Vorgänger des Herrn Ministers Schwarz ist immer wieder enttäuscht worden.
Ich möchte aber doch Herrn Minister Erhard sagen — ich hoffe, es wird ihm ausgerichtet —: Es geht nicht an, daß nur die Landwirtschaft von ihm scharf an die Kandare genommen wird, er zu gleicher Zeit aber in den konjunkturbegünstigten Bereichen, wo nicht maßgehalten wird, die Zügel schleifen läßt. Diese Entwicklung der allgemeinen Wirtschaftspolitik zwingt uns in der Agrarpolitik immer wieder zu neuen Preisforderungen.
Zum Schluß noch einmal zusammengefaßt: Die Landwirtschaft wünscht keine sprunghaften Preissteigerungen. Was wir in der Agrarpolitik verlangen, ist ein Agrarpreisniveau, das der allgemeinen Einkommensentwicklung ,auf längere Sicht angepaßt bleibt.
Zum Schluß noch einen Appell an Minister Schwarz: Sorgen Sie dafür, daß eine solche Agrarpolitik in der Zukunft geführt wird. Für den Bundesernährungsminister besteht kein Anlaß zu irgendwelchen Entschuldigungen. Vielmehr ist Tatsache, daß eine solche Agrarpolitik der gesamten Landwirtschaftspolitik und durchaus auch der gesamten Volkswirtschaft dient. Wir werden uns aber gegen Maßnahmen wehren, wie sie jetzt angekündigt worden sind, die eine große Gefährdung der Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe mit sich bringen können.