Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für eine schlechte Sache, wenn hier vom Bundestag zur Straße hinaus geredet wird, aber heute möchte ich das ganz bewußt tun. Ich möchte heute weniger im Bundestag als draußen im deutschen Volk gehört werden;
denn zu der Großen Anfrage besteht mindestens zum Zeitpunkt ihrer Beantwortung kein Anlaß mehr.
Wie schon aus den Ausführungen meines Kollegen Schwarz hervorgegangen ist, liegen die Viehpreise, sowohl bei Rind wie bei Schwein, und die Butterpreise unter dem Vorjahresniveau, und daß pflanzliche Ernährungsgüter teurer sind, das weiß man in der ganzen Welt. Anscheinend regt man sich nur in Deutschland darüber auf.
Mir hat ein Einzelhändler gesagt: Uns kann gar nichts Besseres passieren, als daß man im Bundestag jetzt eine heftige Debatte über die Preise führt; denn dann werden wir ein tolles Weihnachtsgeschäft mit steigenden Preisen bekommen.
Gerade das möchte ich verhindert sehen.
Beim deutschen Verbraucher herrscht im Augenblick Gott sei Dank eine absolute Ruhe und Disziplin.
Die Weihnachtsumsätze liegen, gemessen am Vorjahr, um 4 bis 5 % höher bei einem ruhigen Ver-
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kauf. Das entspricht etwa der Zunahme der Massenkaufkraft. Es besteht also kein Grund zur Beunruhigung.
Je mehr wir die Dinge, aus welchen Günden auch immer, hochspielen, um so mehr wird das ruhige Preisklima und überhaupt die ruhige Sicherheit einer geordneten Versorgung gestört. Das ist der Grund, warum ich mich hier zu Wort gemeldet habe.
— Ich habe auch nicht geschwiegen, und ich möchte das hier ganz deutlich sagen.
Herr Kollege Schwarz hat eben erklärt, daß wir uns seit August über diese Dinge unterhalten. Auch ich habe mich eingemischt aus meiner preispolitischen Verantwortung heraus.
— Doch, die haben Sie auch, aber Sie können uns nicht sagen, daß wir keine hätten; das ist der Unterschied.
Denn schließlich waren es die Maßnahmen der Regierung, die den Butterpreis wieder zurückgeführt haben. Sie werden auch jetzt bei den Fleischpreisen sicher noch bessere Erfolge zeitigen.
Ich habe die Dinge mit meinem Kollegen Schwarz erörtert, und ich kann hier sagen — ich sage es zu seinem Lobe; ich sage es vor allen Dingen auch vor dem deutschen Volk —: er hat sich nicht nur als der Landwirtschaftsminister, sondern auch als ein Ernährungsminister erwiesen.
Selbstverständlich mußten wir dafür sorgen, daß neben den Dürreschäden, die die Landwirtschaft zu tragen hatte, nicht noch weitere Schäden durch einen untragbaren Preisverfall hinzukommen. Wenn meine preispolitischen Empfehlungen von der Landwirtschaft so aufgefaßt worden sein sollten, als ob ich damit die Marktordnung angriffe, dann wäre das ein Fehler gewesen. Die Marktordnung hat sich durchaus als ein brauchbares Instrument auch zugunsten einer geordneten Versorgung des deutschen Verbrauchers erwiesen.
Aber, meine Damen und Herren, es ist ja auch völlig abwegig, nur die Zahlen eines Monats, und zwar des ungünstigen Monats, in den Ernährungspreisen herauszunehmen, nämlich den Oktober. Im Oktober lagen bei einer Steigerung des Lebenshaltungsindex von 3,7 % die Ernährungskosten um
6,6 % höher. Da diese innerhalb des Lebenshaltungsindex rund 50% ausmachen, bedeutet das, daß von der Oktobersteigerung des Lebenshaltungsindex -immer gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres — von 3,7 % 3,3 % allein auf die Ernährung entfielen, und das wieder bedeutet, daß auf dem gewerblich-industriellen Sektor nur eine Preissteigerung von etwa 0,4 % zu verzeichnen war, wie denn überhaupt von Januar 1958 bis zum Mai 1959, d. h. über 17 Monate, der Lebenshaltungsindex in Deutschland nur um 0,4% gestiegen ist. Und wenn Sie jetzt nicht einen Monat herausgreifen, sondern die ersten zehn Monate dieses Jahres nehmen und sie mit den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres vergleichen — ich meine die gesamten Lebenshaltungskosten einschließlich der Ernährungsgüter —, dann ergibt sich eine Steigerung von 1 %, sage und schreibe ein Prozent.
Null wäre schöner, aber 1 % ist keine Katastrophe,
zumal dann nicht, wenn im gleichen Zeitraum das
Masseneinkommen immerhin um 6 % gestiegen ist.
Dann möchte ich ganz deutlich sagen: Wenn es etwa Ihre Absicht gewesen wäre, diese Preisdebatte hier zu inszenieren,
um den drohenden überhöhten Anforderungen der Gewerkschaft eine Berechtigung zu geben, dann muß ich dem mit allen Mitteln widersprechen.
Aus den Erhöhungen der Lebenshaltungskosten sind Forderungen, wie sie jetzt z. B. von der Gewerkschaft Öffentliche Dienste erhoben worden sind, die insgesamt 20 % ausmachen, doch unter gar keinen Umständen nachweisbar.
Die Stabilität unserer Wirtschaft droht im Augenblick nicht mehr aus den Preisen,
obwohl wir sicher alles tun werden, um sie im Zaum zu halten, sondern sie droht von der Maßlosigkeit, die unser ganzes Volk mehr und mehr erfaßt hat, verlorenzugehen.
— Ich spreche hier alle Schichten unseres Volkes an. Ich spreche die Unternehmer an, die Industrie und den Handel und sage ihnen, sie müssen alles tun, um die Fortschritte der Produktivität, soweit sie nicht in einer Verbesserung der Lebenshaltung unmittelbar in Lohnerhöhungen Ausdruck finden, im Preise weiterzugeben.
Es gibt Möglichkeiten, und die müssen genützt werden.
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Aber auf der anderen Seite sage ich auch den Arbeitnehmern und der Gewerkschaft, sie müssen mit ihren Forderungen in den Grenzen bleiben, um die Stabilität unserer Wirtschaft und unserer Währung sicherzustellen.