Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Preissteigerungen, die in den letzten Monaten auf dem Lebensmittelmarkt stattgefunden haben, haben zweifellos eine starke Beunruhigung in der Bevölkerung hervorgerufen. Diese Beunruhigung ist nicht etwa von der Opposition in die Bevölkerung hineingetragen worden. Verbraucherverbände, Familienorganisationen und ähnliche Zusammenschlüsse von Menschen, die an den Lebensmittelpreisen besonders interessiert sind, haben mit Fug und Recht ihrer Empörung darüber Ausdruck gegeben, daß die Bundesregierung bisher wenig oder gar nichts getan hat, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Aber nicht nur diese direkt in ihrem Lebensbereich betroffenen Kreise haben Einspruch erhoben. Ich erinnere daran, daß auch die Bundesbank starke Bedenken gegen die Entwicklung der Preise, besonders der Lebensmittelpreise, geäußert hat. Im letzten Jahr sind die Lebenshaltungskosten von 118 auf 123 gestiegen — den Preisstand von 1950 mit 100 festgesetzt —, und auch das Organ des Herrn Wirtschaftsministers hat festgestellt, daß die Lebensmittelkosten gegenüber dem Vorjahr um 6,6 % gestiegen sind.
Damit ist eine Verminderung der Währungskaufkraft um fast 4 % erfolgt, und das ist ein sehr bedenkliches Zeichen. In dem ersten Aufschwungsjahr nach der Rezession 1957/1958 hat sich die Kaufkraft der Währung um fast 4 % verringert. In dem ersten Jahr nach der Koreakrise sind die Preise ebenfalls gestiegen, aber damals hat sich die Währungskaufkraft lediglich um 1,9 % verringert. Nach früheren Krisen ist der mit dem Ansteigen der Preise in Zusammenhang stehende Verlust der Währungskaufkraft noch geringer gewesen.
Nun ist es immer so, daß sich im Verlaufe einer Aufschwungsperiode die Steigerung der Preise noch
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stärker fortsetzt. Deswegen ist es so besonders bedenklich, daß sich die Währungskaufkraft jetzt schon im ersten Jahr eines neuen Aufschwungs um 4 % gesenkt hat.
Es ist auch völlig gleichgültig, wer die Preis-LohnSpirale in Bewegung setzt, ob nun die Dürre den Preisauftrieb verursacht oder irgendwelche Spekulationen die Ursache sind.
Es besteht also eine echte Sorge, die uns alle bewegen muß, und nicht etwa nur ein Ärger, wie es oft dargestellt wird, eine Unannehmlichkeit, die vorübergeht. Es ist auch vollkommen falsch, Verbraucherkreisen den Vorwurf einer überflüssigen Dramatisierung der Situation zu machen. Im übrigen habe ich neulich in einer Molkereizeitung die Überschrift gelesen: „Butter am Marterpfahl"; wenn das keine Dramatisierung ist, weiß ich nicht, was eine ist.
Ferner möchte ich feststellen, daß der Vorwurf, der von den Verbraucherkreisen wegen der Lebensmittelpreissteigerung erhoben wird, sich keineswegs gegen die Landwirtschaft richtet. Auch wir sind uns vollkommen darüber klar, daß der Bauer natürlich keine Schuld daran hat, daß jetzt die Preise so gestiegen sind. Auch wir wie die ganze Wirtschaft sind daran interessiert, daß wir eine kaufkräftige Landwirtschaft haben. Aber die Landwirtschaft hat auch kein Interesse an zu starken Preissteigerungen und ebenfalls nicht an zu starken Preisschwankungen. Natürlich hat auch der Verbraucher kein Interesse an zu starken Preisschwankungen, denn Preisschwankungen geben immer gewissen Kreisen von Spekulanten die Möglichkeit, besondere Gewinne auf Kosten anderer einzustekken. Die Landwirtschaft meint, die Folgen einer überhitzten Konjunktur sollten auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Nun, ich kann ihr versichern, es ist unsere Ansicht, daß das keineswegs der Fall sein darf.
Wer aber ist eigentlich an dem ganzen Preisaufauftrieb schuld? Der Anlaß ist zweifelsohne die Dürre — darüber gibt es keine Diskussion —, aber diese einfache Erklärung scheint nicht auszureichen. Man sollte sich auch die Beantwortung der Frage, wer denn nun schuld ist, nicht allzu leicht machen.
Nehmen wir doch zum Beispiel das, was wir in diesem Herbst bei den Kartoffeln erlebt haben. Die Kartoffelernte war in diesem Jahr um etwa 100 000 t geringer; das ist noch nicht 1 %. Die Preise für Kartoffeln lagen aber im September um 60% über den Vorjahrespreisen. Im Oktober waren es noch etwa 32%. Ich weiß, daß dabei das Sortenproblem eine Rolle spielt, aber es ist auch hier eine gewisse Panikmacherei zu verzeichnen. Man hat immer wieder geschrieben, daß eben zu wenig Kartoffeln da seien, und die an einer Preissteigerung interessierten Kartoffelverkäufer im Handel und auch in der Landwirtschaft selber haben sich in verantwortungsloser Weise an der Preistreiberei beteiligt.
Betrachten wir einmal die Gemüsepreise. Sie lagen im Oktober um 109 % über den Preisen des Vorjahres. Die Ernte war aber nur um etwa 20%, nach den Ergebnissen der Statistik im Durchschnitt
sogar nur um 18 % niedriger als im Vorjahr. Die Preisentwicklung hat also die Verminderung des Angebots überkompensiert.
Eigenartigerweise müssen wir feststellen, daß beim Obst die Preissteigerung der geringeren Ernte und damit dem verminderten Angebot in etwa entspricht. Die Ernte an deutschem Obst war um etwa 54 % niedriger, und die Obstpreise liegen um 55 % höher.
Die Märkte, die ich eben geschildert habe, werden nicht durch den Staat geordnet. Eine Beeinflussung der Preise ist nur über die Einfuhr möglich, und wenn auch in den Nachbarländern, die bisher unsere Lieferanten waren, die Ernte schlecht ausgefallen ist, kann man natürlich wenig tun. Aber was man zumindest tun kann, ist, eine Verteuerung der Einfuhr zu verhindern. Man kann den Zoll für eine gewisse Zeit entweder ermäßigen oder ganz aufheben.
Die Aufhebung des Kartoffelzolls hat sich zweifelsohne günstig auf die Preisentwicklung ausgewirkt. Es sind zwar relativ geringe Mengen aus dem Ausland hereingekommen, aber allein die psychologische Wirkung hat genügt, um der Preisentwicklung Einhalt zu gebieten.
Ich verstehe gar nicht, weshalb sich meine Berufskollegen vorgestern in den Ausschüssen für Ernährung und Außenhandel über die zeitweise Ermäßigung des Zolls für Bohnenkonserven so aufgeregt haben. Die Landwirtschaft ist völlig ausverkauft an Bohnen. Es handelt sich doch nicht darum, nun irgendwie die Erzeuger, sowohl die Grunderzeuger wie auch die weiterverarbeitende Industrie, zu schädigen, sondern es geht doch lediglich darum, einen weiteren Preisauftrieb zu verhindern, indem nämlich das zu geringe Angebot durch eine Einfuhr etwas verstärkt wird.
Auch der Verbraucher soll an den Preissteigerungen schuld sein, wie ich in dem Publikationsorgan des Deutschen Industrieinstituts gelesen habe. Ich freue mich über die Klarstellung des Bundesfinanzministers, aus der hervorgeht, daß die Löhne als Kostenfaktor in ihrer Entwicklung im Jahre 1959 sogar preisneutralisierend gewirkt haben. Der Hinweis, den man öfters in landwirtschaftlichen Zeitungen findet, die Verbraucher könnten ja ruhig etwas höhere Preise bezahlen, da sie doch stets und ständig mehr verdienten, ist unrealistisch. Lohnerhöhungen werden von den Gewerkschaften nicht deswegen erkämpft, um die Erhöhung direkt an die Landwirtschaft weiterzugeben. Lohnkämpfe werden geführt, um eine Steigerung des Anteils am Wert des gemeinsam mit den Unternehmern erarbeiteten Produkts zu erzielen, aber nicht, um die erkämpfte Erhöhung an die Landwirtschaft abzuführen. Das kann die Landwirtschaft wirklich nicht verlangen.
Auch die Ratschläge, die an Verbraucher gegeben werden, z. B. bei einer Verknappung des Butterangebots — es war tatsächlich eine Verknappung des Butterangebots; in Hamburg konnte teilweise überhaupt nur noch ein viertel Pfund Butter je Hausfrau verkauft werden — doch etwas mehr
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Margarine zu essen und, wenn genügend Butter da ist, wieder zum Butterkonsum zurückzukehren, scheinen mir ebenfalls unrealistisch zu sein. Denn ein einmal verlorengegangener Käufer und Konsument kehrt eben nicht so leicht zur Butter zurück. Diese Ratschläge scheinen mir sogar etwas dummerhaft zu sein — entschuldigen Sie bitte den Ausdruck —, wenn sie von landwirtschaftlicher Seite damit begründet werden, wie ich es gelesen habe, Butter enthielte Cholesterin, und das wäre doch gar nicht gesund und fördere die Verkalkung.
Meine Damen und Herren, mir scheint, daß derjenige, der das geschrieben hat, selber zuviel Butter gegessen hat.
— Auch ein Herr in der Leitung der Bauernverbände.
— Ich darf's Ihnen später sagen.
Ich möchte betonen, daß auch dem Groß- und Einzelhandel, insgesamt gesehen, keine Schuld an den Preissteigerungen zuzuschieben ist. Gewiß, auch dort gibt es Spekulationstendenzen, die selbstverständlich preistreibend gewesen sind. Auch im Großhandel, im Einfuhrhandel gibt es Kreise, die sich keineswegs immer marktkonform verhalten, z. B. wie man gerade jetzt bei der Butter gesehen hat.
Aber wer gibt dem Handel die Möglichkeit, sich spekulativ zu betätigen? Man soll sich nicht wundern, das Gewinnmöglichkeiten ausgenutzt werden, wenn der Zoll zu spät aufgehoben wird, wenn die Regierung preistreibenden Tendenzen zu spät entgegenwirkt. Die Regierungserklärung, die sich ziemlich eingehend mit den Maßnahmen gegen erhöhte Lebenshaltungskosten beschäftigt, wurde am 26. November veröffentlicht. Am 22. November wurde unsere Große Anfrage wegen der Preissteigerungen für Lebensmittel angekündigt. Es hat den Anschein, als ob die Regierungserklärung erst durch unsere Große Anfrage veranlaßt worden ist. Ich muß mit Freude feststellen, daß die Opposition doch wenigstens noch einen Sinn hat.
Geradezu als einen Witz muß ich es betrachten, wenn der Vorstand der CDU-Fraktion am 25. November, einen Tag vor der Regierungserklärung, verlautbaren läßt, man müsse sich nun mit den Preissteigerungen beschäftigen. Herr Kollege Dr.Mende hat durchaus recht, wenn er das als einen Versuch der Täuschung der Bevölkerung bezeichnet. Die CDU/CSU, die die Bundesregierung trägt, hat seit sechs Jahren die Majorität in diesem Hause. Die Regierungsparteien sind mit der Bundesregierung voll und ganz für die Preisentwicklung und für die Fehler, die gemacht wurden, verantwortlich.
Man soll sich nicht damit herauszureden versuchen, die Sache sei völlig überraschend gekommen und erst im Oktober zu merken gewesen! Am
25, Juni dieses Jahres, also genau fünf Monate vor der Regierungserklärung über die Preissteigerung, hat die CDU-Fraktion den Antrag gestellt, der Bundestag möge sich mit den Trockenheitsschäden befassen und die Bundesregierung ersuchen, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Wenn es um die Beseitigung von Trockenheitsschäden bei der Landwirtschaft geht, meine Damen und Herren, ist Ihre Fraktion sehr rasch bei der Hand;
wenn es sich aber darum handelt, daß Schäden beseitigt werden sollen, die die ganze Bevölkerung betreffen, warten Sie sehr lange. Das muß hier doch festgestellt werden.
Man soll auch nicht sagen, es lohne sich gar nicht mehr, sich mit der Großen Anfrage zu beschäftigen, weil die Preise schon wieder gefallen seien! Gott sei Dank sind sie wieder gefallen, und wir sollten alle sehr froh darüber sein; aber bilden Sie sich nicht ein, daß sich die Preisminderungen, die sich nun bereits beim Import- oder Großhandel anzeigen, überall schon bis zu den Einzelhandelspreisen, also für den Verbraucher, durchgesetzt haben! Es ist sogar zu befürchten, daß sie sich nicht wieder auf den alten Stand senken. Butter macht hiervon eine Ausnahme; das ist eine andere Sache.
Die Preisentwicklung geht meistens nach dem Schema der Echternacher Springprozession vor sich: zwei Schritte rauf, einen Schritt runter, zwei Schritte rauf, einen Schritt runter. Wenn man die Preise erst hochklettern läßt, bekommt man sie nur schwer auf den ursprünglichen Stand zurück; das ist gerade die Gefahr.
Wir wollen die durch die diesjährige Trockenheit entstandenen Probleme zum Anlaß nehmen, hier einmal eine grundsätzliche Diskussion über die Marktordnung zu führen. Wir wollen hierbei die Gretchenfrage an die Regierung stellen: Betrachten Sie die Marktordnung lediglich als ein Instrument zur Hochhaltung der Preise, oder sind Sie sich dessen bewußt, daß die Regierung bei der Handhabung der Marktordnung auch die Pflicht hat, die Verbraucherinteressen zu berücksichtigen? Wenn eine Marktordnung funktionieren soll, muß sie zweiseitig sein. Sie muß sich für die Erzeugerseite und für die Verbraucherseite — nicht nur für eine Bevölkerungsgruppe — auswirken.
Aber auch bei den Waren, die ich zunächst genannt hatte, also den Waren, die nicht einer Marktordnung unterliegen, hat die Regierung die Pflicht, sich um die Preisbildung zu kümmern und dafür zu sorgen, daß die Bevölkerung ausreichend und zu vernünftigen Preisen versorgt wird. Wir möchten auch gerne wissen, was die Regierung auf diesem Gebiet zu tun gedenkt.
Eine andere Sache ist das Spannenproblem; es ist eine sehr unerquickliche Angelegenheit. Wir wissen, daß eine große Spanne zwischen den Erzeuger-und den Verbraucherpreisen besteht. Gerade die Landwirtschaft sollte daran interessiert sein, zu
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einer Lösung dieses Spannenproblems beizutragen. Der Verbraucher merkt ja immer nur die Verbraucherpreise. Aus der Höhe dieser Verbraucherpreise schließt er auf eine entsprechende Höhe der Erzeugerpreise; das ist teilweise natürlich völlig irrig.
Interessant ist ein Vergleich der Unterlagen der verschiedenen Berufszweige. Ich nehme als Beispiel die Spanne bei den Fleischpreisen. Der Bauernverband kommt hier zu einem völlig anderen Ergebnis als die Verbände der Fleischer. Es liegt hier eine große Differenz vor. Bei der Rechnung der Bauernverbände ergibt sich, daß die Rinderpreise gesunken und die Rindfleischpreise gestiegen sind. Die Metzger kommen zu dem Ergebnis, es liege eine völlig parallele Preisentwicklung vor.
Wir fordern die Regierung auf, eine echte Aufklärung über das Preisspannenproblem zu betreiben. Es genügt nicht, daß man einfach eine von den Interessenten aufgestellte Marktberichterstattung der Öffentlichkeit übergibt. Jede Marktberichterstattung, die von Interessenten veröffentlicht wird, ist interessengebunden und bringt keine tatsächliche Aufklärung über die Marktentwicklung.
Zusammenfassend darf ich sagen: Wir wünschen von der Regierung zu hören, welches Ziel ihr bei der Marktordnung vorschwebt. Schwebt ihr bei der Marktordnung ein bestimmter Preis vor, den sie halten will? Selbstverständlich gibt es immer kleine Preisschwankungen; 10 %, 15 % nach oben oder unten sind gar nicht zu vermeiden. Aber es ist ein Unterschied, ob man eine Marktordnung mit dem Ziel handhabt, einen bestimmten Preis zu halten, oder ob man eine Marktordnung betreiben will, die lediglich zum Ziele hat, den Preis nicht unter eine bestimmte Grenze sinken zu lassen. Es würde uns also interessieren, was die Regierung für ein Ziel verfolgt.
Damit bin ich am Schluß meiner vorbereitenden Ausführungen angekommen. Ich hoffe, daß die Erklärung der Regierung und die sich daran anschließende Diskussion für alle, die am Markt beteiligt sind, für Erzeuger, Handel und Verbraucher, ein positives Ergebnis haben werden.