Rede von
Alois
Niederalt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So ein Bundeshaushalt, der einem auf den Tisch gelegt wird, stellt, bildlich gesprochen, ein Riesenbukett dar, in dem viele Blumen sind, schöne und weniger schöne, solche, die wir besonders gerne haben, und solche, auf die wir auch verzichten könnten. Je nach Veranlagung wird der einzelne die Blumen, die er liebt, besonders loben und andere, die er weniger mag, deren Farbe ihm nicht paßt, kritisieren.
Das Parlament muß sich allerdings, wenn es dieses Bukett des Haushaltsplans sieht, daran erinnern, daß es eine Funktion hat, nämlich die Funktion der Kontrolle und damit auch die Funktion der sachlichen Kritik. Ich spreche dabei vom gesamten Parlament, weil ich der Auffassung bin — das kann gar nicht oft genug klargestellt werden —, daß die Regierungsparteien bei sachlicher, positiver Kritik genauso an dieser Aufgabe der Kontrolle mitarbeiten wie etwa die Opposition. Allerdings wird man bei uns die Kritik gepflegter halten. Sie wird nicht spektakulär sein, sie wird vielleicht auch nicht auf dem offenen Markt ausgetragen. Aber sie braucht deshalb nicht weniger intensiv zu sein.
Vor allem muß eine Kritik — und damit komme ich zu einigen Ausführungen von Herrn Kollegen Ritzel — eine ganze Sache sein. Das heißt, es darf nicht nur die eine Seite des Problems aufgerissen, sondern es muß das ganze Problem dargestellt werden. Herr Kollege Ritzel hat beispielsweise daran Kritik geübt, daß der Bundesfinanzminister in der Frage der Subventionen — so habe ich ihn verstanden — zuwenig forsch vorgegangen sei. Er hat es aber unterlassen zu sagen, welche Subventionen er im Bundeshaushalt streichen will. Will er die Subventionen des Einzelplans 10 für die Landwirtschaft streichen? Will er die Subventionen für die Industrie streichen? Das hätten wir gern gewußt. Dann hätten wir konkret Stellung nehmen und sagen können: Nein, Herr Kollege Ritzel, das können wir aus den und den Gründen nicht mitmachen.
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— Ich gehe davon aus, Herr Kollege Dr. Schäfer, daß Herr Kollege Ritzel gesagt hat, da müsse noch mehr herausgestrichen werden. Dann hätte er konsequenterweise auch sagen müssen, was denn herausgestrichen werden soll.
— Wollen wir das doch in aller Ruhe, gar nicht polemisch erörtern! Geben Sie uns doch einmal Ihren Haushaltsplan, nicht in Kapiteln und Titeln, sondern in den wesentlichen Zügen; sagen Sie uns doch einmal an: soundso viel Milliarden wollen wir für die Landesverteidigung ausgeben, soundso viel für die sozialen Aufgaben, soundso viel für den Straßenbau, soundso viel für andere Aufgaben. Dann können wir die Rechnung aufmachen, dann können wir addieren und können Sie fragen: Woher nehmen Sie die Einnahmen?
— Herr Kollege Schäfer, Sie könnten sich für Ihre Fraktion ein Verdienst erwerben, wenn Sie uns einmal einen SPD-Etat in großen Zügen darstellten.
Meine Damen und Herren! Ich bin ausgegangen von dem Blumenstrauß, den ein solcher Bundeshaushalt darstellt, in dem also sehr Angenehmes und auch weniger Schönes ist. Es ist nicht meine Aufgabe, nun als Angehöriger einer Regierungspartei im einzelnen das herauszustellen, was besonders gut und angenehm ist. Wir, die wir die Regierung tragen, halten es für selbstverständlich, daß unsere Regierung einen guten Haushaltsplan vorlegt, daß sie die Probleme, die uns politisch besonders wichtig sind, auch im Haushaltsplan zur Geltung bringt. Ich will deshalb hier davon absehen, Einzelheiten anzuführen. Ich will nicht auf die mehr als 700 Millionen DM zusätzlich für den Verkehrsetat hinweisen, auch nicht auf die wesentliche Erhöhung für den Sozialetat oder auf die Erhöhungen im kulturellen Bereich. Aber wenn ich von den guten und angenehmen Seiten spreche, möchte ich doch ein Positivum herausstellen, das nach meiner Kenntnis der Dinge bisher noch zu wenig gewürdigt worden ist: Wir haben zum erstenmal einen Etat, in dem mit der Übung, die beinahe Gewohnheitsrecht geworden wäre, gebrochen wurde, daß wir alljährlich soundso viele neue Planstellen, soundso viele Stellenhebungen zu beraten haben. Bei Beginn unserer Bemühungen auf diesem Gebiet hat es manchmal den Eindruck gemacht, als ob unsere Bemühungen erfolglos sein müßten. Ich sage das ganz offen. Es ist doch eine gute Sache, daß wir hier nun einen Erfolg feststellen können.
Wenn Herr Kollege Ritzel vorhin die 20 000 Stellenhebungen im Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums, das ja aus unserer bekannten Entschließung im vergangenen Haushalt naturgemäß ausgenommen werden mußte, so sehr betont hat, so hat er nach meiner Meinung wiederum nicht
ganz der Wahrheit die Ehre gegeben. Es ist theoretisch, formell richtig, formaljuristisch kaum etwas zu beanstanden. Aber man muß, wenn man von 20 000 Stellenhebungen spricht, auch sagen, um was es sich dabei handelt: daß es sich nicht darum handelt, Oberste zu Generälen, Oberstleutnante zu Obersten und Majore zu Oberstleutnanten zu befördern, sondern darum, daß eine ganz große Gruppe der Obergefreiten in Hauptgefreitenstellen übergeführt werden sollen. Wir werden gerade diese Fragen im Haushaltsausschuß streng prüfen, und ich möchte heute schon sagen, daß Sie — wahrscheinlich genauso wie ich — nach strenger Prüfung des Sachverhalts zu dem Ergebnis kommen werden: „Ja, bei diesen kleinen Leuten können wir nicht gut nein sagen." Hier aber wird es als ganz großer Gegenstand der Kritik herausgestellt. Ich betone noch einmal: ich sage das nicht polemisch, sondern deshalb, weil es mir darum zu tun ist, an den Positionen eine Kritik vorzunehmen, die in der Sache selber weiterführt. Auch ich will ja Kritik üben; und ich übe auch Kritik.
Ich komme gleich zu einem der Punkte, wo ich etwas zu kritisieren habe. Eine Sache, die mir ganz und gar nicht gefällt — auch Herr Kollege Lenz hat sie schon kurz angesprochen, und ich habe im Haushaltsausschuß mit dem Herrn Bundesfinanzminister schon gehadert — ist die sechsprozentige Kürzung; es ist eine äußerst unschöne Sache in diesem Haushalt. Eine sechsprozentige Kürzung — sie ist schon mehrere Jahre alt, ist also auch schon in den vergangenen Jahren geübt worden — kann das eigentliche Klassenziel nicht erreichen, weil das Überraschungsmoment wegfällt, weil die Verwaltung diese 6 Prozent automatisch schon bei ihren Anforderungen einschließt; diese Maßnahme ist also sinnlos geworden, nur noch ein Widerspruch mit der Haushaltswahrheit. Ich bin dem Herrn Bundesfinanzminister sehr dankbar, daß er in der Haushaltsausschußsitzung erklärt hat, er werde sich bemühen, im nächsten Jahr von dieser unschönen Pauschalkürzung Abstand zu nehmen.
Eine andere Sache, die mir ebenfalls nicht gefällt: das Anwachsen des Haushaltsvolumens. Rund 2 Milliarden DM mehr als im vergangenen Jahr! Keine Tatsache des Haushalts hat in der Öffentlichkeit so großes Aufsehen erregt wie gerade diese. Ich bin überzeugt, der Herr Bundesfinanzminister ist derjenige, dem dieses Ansteigen am unangenehmsten ist. Er hat ja nur das auszuführen, was das Plenum des Bundestages in den Spezialgesetzen beschlossen hat, er hat am Schluß nur noch zu addieren, und dann kommt eben die Summe heraus.
Im übrigen habe ich — das wird Sie interessieren —, weil ich schon in den früheren Jahren gerade der Frage des Anwachsens des Haushaltsvolumens immer besondere Bedeutung beigemessen habe, Vergleiche zwischen Haushaltsvolumen und Sozialprodukt angestellt und habe die für mich erfreuliche Tatsache festgestellt, daß wir seit 1950 im großen und ganzen — es gibt natürlich Variationen — ungefähr beim gleichen Prozentsatz des Haushaltsvolumens zum Sozialprodukt geblieben sind.
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Das mag vielleicht ein kleiner Trost bei dieser sonst nicht sehr schönen Sache sein.
Herr Bundesfinanzminister, ich habe mit Aufmerksamkeit Ihre Ausführungen zur konjunkturpolitischen Lage gehört. Wir alle sind uns wohl darin einig, daß gerade diesen Ausführungen große Bedeutung zukommt. Denn der Einfluß eines 40-Milliarden-Haushalts auf den Ablauf der Wirtschaft, auf die Konjunktur ist natürlich ungeheuer.
Ich glaube, wir müssen mehr, als wir das bisher getan haben, darauf achten — wir, Parlament und Regierung —, daß beispielsweise bei den Hochbauten der öffentlichen Hand, die der Bund, die Länder und die Gemeinden durchführen, eine größere Zurückhaltung geübt wird, als es bisher der Fall war,
und daß auf diesem Gebiet vor allem auch eine zeitliche Verteilung durchgeführt wird. Vielleicht kommen wir bei der Beratung des Haushalts dazu, uns hier im einzelnen konkrete Vorschläge zu überlegen und diese dann in einer Entschließung zusammenzufassen.
Andererseits haben Sie selbst, Herr Bundesfinanzminister, wenn auch in anderem Zusammenhang, einen zarten Hinweis darauf gegeben, daß diese Sorgen hinsichtlich einer Hochkonjunktur, um nicht zu sagen einer überhitzten Konjunktur, nicht für alle Teile der Bundesrepublik zutreffen.
Nun komme ich — Sie wissen es wahrscheinlich, Herr Bundesfinanzminister, und meinen: Aha, jetzt kommt sein Steckenpferd — auf ein außerordentlich wichtiges Problem zu sprechen, das immer noch zuwenig Beachtung findet, nämlich auf die Tatsache, daß es noch heute viele, viele Gebiete in unserer Bundesrepublik gibt, in denen nicht die Hochkonjunktur, sondern die Arbeitslosigkeit Hauptgegenstand der Sorge ist.
Das wird einem kaum noch abgenommen, aber es ist so. Hören Sie bitte! Im Jahre 1957 hatten wir im Arbeitsamtsbezirk Cham eine Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 19 %, im Arbeitsamtsbezirk Deggendorf eine Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 16,9 %. Im Bundesgebiet lag der Durchschnitt bei 3,4 %. Im Jahre 1958 hatte der Arbeitsamtsbezirk Cham im Jahresdurchschnitt eine Arbeitslosigkeit von 18,7 %, der Arbeitsamtsbezirk Deggendorf von 17,2 % bei einem Durchschnitt im Bundesgebiet von 3,5 %. Und Ende 1959 hatte der Arbeitsamtsbezirk Cham 11,7 % Arbeitslose, während die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik 1,1 % betrug. Nachdem nunmehr die Bausaison allmählich zu Ende ist, wird die Arbeitslosenzahl abermals steigen, so daß wir voraussichtlich Weihnachten 1959 wieder 15, 16 % aller unselbständigen Erwerbstätigen in diesen Bezirken vor den Arbeitsämtern stehen haben werden, wo sie ihr Arbeitslosengeld zu holen haben.
Warum ist dieses Problem so schwierig? Aus den verschiedensten Gründen, u. a. aber auch deshalb, weil diese Gebiete keinen Anwalt haben, weil sie nicht organisiert sind. In der Massendemokratie gilt
doch nur das, was von Sprechern der großen Verbände gesagt wird. Ich brauche hier unter politisch denkenden Menschen kein Wort darüber zu sagen, daß solche Kontraste — Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und Sorgen wegen der Hochkonjunktur auf der anderen Seite — in unserer Bundesrepublik auf die Dauer zu sozialpolitisch, wirtschaftspolitisch und allgemeinpolitisch außerordentlich unerwünschten Folgen führen müssen, vor allem dann, wenn es sich um Gebiete handelt, die unmittelbare Nachbarn, unmittelbare Anrainer der östlichen Welt sind.
Die Bundesregierung hat bisher im Wege des regionalen Förderungsprogramms zu helfen versucht. Damit sind zweifellos schon sehr gute Erfolge erzielt worden, auch in jenen Gegenden, die ich eben angeführt habe. Vor Durchführung dieses Programms bzw. in der Zeit, wo dieses Programm noch zu gering war, hatten wir in diesen Gebieten ja haarsträubende Verhältnisse. Da hatten wir eine Arbeitslosigkeit von 30, 32 %. Also die Erfolge sind auch dort festzustellen; das darf nicht geleugnet werden. Wir wissen der Bundesregierung Dank dafür, daß wir hier von Jahr zu Jahr immer etwas mehr tun konnten. Fürs nächste aber — und deshalb spreche ich in diesem Jahr überhaupt dieses Problem an — scheint mir eines wichtig zu sein: In diesem Jahr ist erstmals das Darlehen in Höhe von 70 Millionen DM im außerordentlichen Haushalt. Wir müssen es unbedingt wieder in den ordentlichen Etat umstellen, nicht sosehr deshalb, weil uns etwa die 70 Millionen Darlehen im außerordentlichen Etat nicht sicher genug wären — sie befinden sich dort in bester Gesellschaft mit den Wohnungsbaumitteln usw.; auf die Sicherheit stelle ich es also nicht ab —, sondern einfach deshalb, weil für die Beträge, unterteilt in Zuschüsse und Darlehen, die gegenseitige Deckungsfähigkeit zwischen diesen beiden Gattungen vorhanden sein muß. Diese kann aber nicht mehr durchgeführt werden, wenn das Darlehen im außerordentlichen Etat steht. Ich bin überzeugt, Herr Bundesfinanzminister, daß wir in gütlichem Einvernehmen miteinander zu einem positiven Ergebnis kommen, weil Sie und auch Ihr Staatssekretär für diese Situation Verständnis haben.
Ein weiteres Problem geht uns im Parlament, vor allem die Damen und Herren vom Unterausschuß Zonenrandgebiet, an. Wir müssen überlegen, die Richtlinien zu ändern. Die Richtlinien müssen nach meiner Auffassung in der Weise geändert werden — ich will auf keine Einzelheiten eingehen —, daß eine allzu schematische, nur regional verständliche Handhabung bei der Vergabe der Mittel in Zukunft ausgeschlossen ist. Insgesamt aber möchte ich zu diesem Problem die Bundesregierung bitten, endlich einmal die Sache nicht nur vorn Ressortstandpunkt zu betrachten, sondern von einer Gesamtschau aus.
Dazu gehört viel mehr, als etwa nur Subventionen in irgendeinem Ressort einzusetzen. Dazu gehört beispielsweise auch die Mitwirkung des Verkehrsministeriums. Der Verkehrsminister hat einen Vierjahresplan für den Straßenbau vorgelegt. Zu meinem Entsetzen habe ich festgestellt, daß die Autobahn Nürnberg—Regensburg nicht in dem Plan
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enthalten ist. Diese Autobahn wäre eine richtige und geeignete Maßnahme — ich erwähne das nur als Beispiel — zur Erschließung des ganzen Gebiets, von dem ich vorhin gesprochen habe. Warum ist sie nicht im Plan enthalten? Weil man eben im Verkehrsministerium — verständlich wegen der mangelnden Mittel — nur immer die mathematische Lösung sucht und nicht die politische Lösung in den Vordergrund schiebt.
Ich muß in diesem Zusammenhang auf eine wichtige Tatsache hinweisen. Wir können auf dem Gebiet der regionalen Wirtschaftsförderung nicht auf die tätige Mitarbeit der Länder verzichten. Unter „tätiger Mitarbeit der Länder" verstehe ich etwas mehr als nur die Verteilung der Mittel des Bundes auf die einzelnen Projekte und die Reden darüber. Ich verstehe vielmehr darunter auch die Aufbringung von Eigenmitteln.
Der Bund kann, glaube ich, die Länder aus der Mitverantwortung für diese Aufgabe nicht entlassen.
Es ist ein Leichtes, etwa im Bundesrat ohne Rücksicht auf die einmal gegebene Haushaltslage eine Erhöhung der Mittel für das regionale Förderungsprogramm zu empfehlen. Ich fürchte, daß bei diesem Antrag das Bestreben der beteiligten Länder eine Rolle spielte, sich selbst auf Kosten des Bundes zu entlasten. Gerade die bei diesem Programm beteiligten Länder Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein erhalten alljährlich im horizontalen Finanzausgleich hohe Millionenbeträge, nicht zuletzt deshalb, weil diese wirtschaftlich zurückgebliebenen Gebiete den Finanzkraftdurchschnitt unter den Bundesdurchschnitt herabdrücken. Die Notstands- und Grenzlandgebiete haben deshalb nach meiner Meinung einen moralischen Anspruch, an diesen Mitteln des horizontalen Finanzausgleichs beteiligt zu werden.
Der Bund — ich möchte das ausdrücklich erwähnen — hat bisher gute Arbeit geleistet. Im Jahre 1953 haben wir im wesentlichen angefangen. Damals betrug der Etat für diesen Posten noch 50 Millionen DM, heute ist er auf 132 Millionen DM gestiegen. Ich bin überzeugt, wenn auch die Länder eine solche Entwicklung vorweisen könnten, würde der Bund wieder weiter gehen.
Dieser Punkt, die regionale Wirtschaftsförderung, war ein wichtiger Gesichtspunkt, der nach meiner Meinung im neuen Haushalt nicht genügend beachtet worden ist.
Ich habe noch andere Sorgen. Ich sehe — Herr Kollege Lenz ist auch schon darauf eingegangen -
in diesem Haushalt einige Risiken. Ich glaube, es wäre falsch, diese Risiken nicht klar anzusprechen. Das eine Risiko besteht zweifellos in der Tatsache, daß ein Betrag von drei Milliarden DM für den Ausgleich des Haushalts durch Anleihen beschafft werden muß. Die Erfahrungen des laufenden Haushalts ermutigen nicht zu der Annahme, daß das so ohne weiteres möglich ist.
Das zweite Risiko, auf das ich näher eingehen möchte, ergibt sich aus den finanziellen Auswirkungen jenes Urteils des Bundesverfassungsgerichts, in dem das Gesetz über die Tilgung der Ausgleichsforderungen für nichtig erklärt wurde. Die unmittelbare Folge dieses Urteils ist, daß die Länder nunmehr vom Bund die Tilgungsbeträge in Höhe von jährlich 110 Millionen DM und die Zinsbeträge in Höhe von 330 Millionen DM erwarten. Herr Kollege Lenz, daß solche Beträge im Haushalt 1960 noch nicht eingestellt sind, finde ich nur natürlich. Es wäre falsch, solche Beträge etwa schon in den Haushalt einzusetzen, weil ja über die Höhe dieser Beträge noch verhandelt werden soll.
Mittelbar hat das Urteil aber zur Folge, daß der Bund alle Kriegsfolgelasten, die in die vielen Milliarden gehen, zu tragen hätte. Es ist selbstverständlich, daß in diesem Falle Artikel 106 des Grundgesetzes angewendet werden müßte, daß also eine Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern vorgenommen werden müßte. Ich glaube, wir haben in Bund und Ländern genug andere Probleme zu lösen und können auf diese neue Belastung gern verzichten, die eine solche Auseinandersetzung zwangsläufig mit sich bringen würde. Ich möchte dies besonders betonen, weil das natürliche Spannungsverhältnis, das nun einmal zwischen Bund und Ländern besteht, nach meiner Ansicht in der gegenwärtigen Zeit doch um einige tausend Volt zuviel Spannung hat. Es ist nicht notwendig, daß wir — wie ich schon sagte — angesichts der sonstigen Probleme auch noch diese unnötige Spannung heraufbeschwören.
Ich möchte deshalb Sie, Herr Bundesfinanzminister, bitten, alles zu tun, um mit den Ländern zunächst einmal hinsichtlich der unmittelbaren finanziellen Folgen des Urteils ins reine zu kommen. Allerdings müßte dabei gleichzeitig bezüglich der mittelbaren Folgen des Urteils Einvernehmen darüber hergestellt werden, daß es insoweit bei der bisherigen Regelung bleibt. Dieses Einvernehmen müßte auch in einer verfassungsrechtlich unangreifbaren Form festgelegt werden. Die Länderfinanzminister, die die Haushaltslage des Bundes genau kennen, müssen wissen, daß Ihr Verhandlungsterrain, Herr Bundesfinanzminister, nicht sehr groß ist. Keinesfalls könnten Sie, Herr Bundesfinanzminister, etwa nach den Verhandlungen mit den Ländern mit der Forderung nach Steuererhöhungen in den Bundestag zurückkommen, mit der Forderung nach Steuererhöhungen, die ihren Grund nur in der Umverteilung der Finanzmasse zwischen Bund und Ländern hätten. Ich kann Ihnen Brief und Siegel geben, daß Sie hierfür niemals eine Mehrheit des Bundestages finden würden, und am allerwenigsten würden Sie hierfür das Verständnis des Steuerzahlers finden, der natürlicherweise nur an die Belastung als solche denkt und dem es völlig egal ist, wo seine Steuer hingeht, zum Bund oder zum Land.
Nun noch ein Anliegen, das Sie vielleicht nur aus dem Mund eines bayerischen Abgeordneten verstehen! In die erwähnten Verhandlungen bezüglich der Tilgung der Zinsforderungen sollte tunlichst
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auch das Problem der Leistungen des Bundes auf kulturellem Gebiet eingeschlossen werden,
wenigstens mit dem Ziel, endlich eine gewisse Flurbereinigung herbeizuführen, und mit dem Ziel, das heillose Durcheinander von Zuständigkeiten und von Töpfchenwirtschaft,
das auf diesem Gebiet allmählich eingerissen ist, etwas abzubauen und einzudämmen. Die deutsche Öffentlichkeit und zum Teil auch die Kultusminister der Länder und ihre Verwaltungen machen es sich häufig zu leicht auf diesem Gebiet. Wo immer im kulturellen Bereich — und wir haben das heute auch schon wieder einmal in der Diskussion gehört — irgendwelche Unzulänglichkeiten der vorhandenen Mittel festgestellt werden, ruft man sofort nach dem Bund um finanzielle Hilfe. An die Zuständigkeit der Länder erinnert man sich gar nicht. Die Anziehungskraft des größeren Etats ist auf keinem Gebiet so sichtbar wie gerade auf diesem. Die einen rufen nach der Hilfe des Bundes; andere, die vielleicht den Ruf nach Bundesmitteln selbst gar nicht erheben, sehen diesem Treiben untätig zu, weil sie bei Gewährung der Bundeshilfe nicht genötigt sind, sich im eigenen Haus oder im eigenen Land mit ihren Forderungen durchzusetzen.
Viel zuwenig wird bei all dem bedacht, daß mit der Vergabe der Mittel auch die tatsächliche Zuständigkeit verbunden ist,
und nachträglich entstehen dann wie immer die bekannten Kompetenzstreitigkeiten. Denken Sie nur an den allerjüngsten Fall auf diesem Gebiet! Der Bundesinnenminister läßt die Denkschrift eines Referenten über die Lage an den deutschen Universitäten veröffentlichen. Es ist keine offizielle Denkschrift des Bundesinnenministers; es ist die Arbeit eines Referenten. Der Bundesinnenminister gibt sein Vorwort. Die Länder wehren sich sofort dagegen und sagen: Was geht das den Bund an? Das ist doch unsere Zuständigkeit!
Wenn Sie mich persönlich fragen, meine Damen und Herren: auch ich bin der Meinung, daß es nicht eine unabdingbare Notwendigkeit war, diese Denkschrift vom oder durch das Bundesinnenministerium herauszugeben. Man hätte das mit der Rektorenkonferenz oder irgendwelchen anderen Stellen auch machen können. Aber das ist eine ganz nebensächliche Frage. Nachdem feststeht, daß im Bund viele hundert Millionen für die Wissenschaft ausgegeben werden, und nachdem weiter feststeht, daß in diesem Etat beispielsweise 59 Millionen für die Studentenförderung ausgegeben werden, darf man sich bei den deutschen Ländern doch nicht wundern — darauf möchte ich hinaus —, daß der Bundesinnenminister oder seine Referenten sich Gedanken machen, wie diese Mittel verwendet werden!
Der Bundesinnenminister trägt die Verantwortung für die Verwaltung dieser Mittel gegenüber dem Parlament, gegenüber dem Bundestag, und im Bundestag ist es nun einmal so — das geht aus dem Budgetrecht eindeutig hervor —: Wer die Mittel hergibt, muß auch beim Einsatz der Mittel mitwirken und muß sicherstellen, daß die Mittel richtig eingesetzt werden. Und wenn er mitwirkt, ist damit schon die praktische Zuständigkeit zum Ausdruck gebracht. Was ist denn das sonst? Mitwirkung ist doch nichts anderes als praktische Zuständigkeit. Ich mache auf diese Dinge aufmerksam, weil sie in der Praxis zuwenig bedacht werden.
— Sagen Sie es doch Herrn Minister Mauntz; ich wäre Ihnen sehr dankbar. — Ich habe in diesem Raume schon einmal gesagt, daß ich es nicht verstehen kann, daß die Kultusminister diese politischen Folgen nicht übersehen. Ich habe es nicht verstehen können, daß die Kultusminister der Länder die Forderung auf 300 Millionen DM für Schulbauten stellen. Meine Damen und Herren, man muß sich klar sein: Solches Verhalten ändert die faktische Zuständigkeit ohne Rücksicht darauf, wie sie das Grundgesetz vorschreibt.
Darauf sollten wir — Herr Bundesfinanzminister, das ist mein Anliegen — bei den anstehenden Verhandlungen jetzt zurückkommen und sollten eine kleine Flurbereinigung durchführen. Gewiß, es gibt Anliegen, die auch auf kulturellem Gebiet eine zentrale Regelung erfordern. Das verwehrt und verneint kein vernünftiger Mensch. Aber das Durcheinander soll weg, und jedem das Seine in seiner Zuständigkeit!
Das waren zwei Risiken, die ich Ihnen bisher aufzeigte. Es gibt noch mehr. Das größte Risiko, wenn Sie so wollen, für den Haushalt 1960 und seine Durchführung sehe ich aber in dem Verhalten des Deutschen Bundestages.
Machen wir uns nichts vor! Es werden im Jahr der Bewährung, 1960, viele politische Forderungen an uns herangetragen werden, die außerordentlich hohe Ausgaben nach sich ziehen, und es wird in allen Fraktionen, bei Ihnen in der Opposition und bei uns in den Regierungsparteien, ernsthaft um eine Lösung gerungen werden müssen; das ist unvermeidlich.
Aber wenn wir hier um Lösungen ringen — das sollte wenigstens der Sinn des heutigen Tages sein —, müssen wir uns alle, gleichgültig, wo wir sitzen, ob links oder rechts oder in der Mitte, klar sein, daß mehr Ausgaben in diesem Haushalt zugleich Steuererhöhungen bedeuten. Nach meiner festen Überzeugung gibt es kein Jonglieren mehr. Es gibt kein Umdisponieren von Zahlen. Wir sind — beinahe möchte ich sagen: Gott sei Dank — wieder bei dem natürlichen Zustand angekommen, daß eben mehr Ausgaben mehr Einnahmen bedeuten müssen und mehr Einnahmen, da der Kapitalmarkt eben doch nicht so offen ist, nur in Form von neuen Steuern erschlossen werden können. Deshalb soll sich jeder Abgeordnete — darum bitte ich —, wenn
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er sich mit diesen Problemen befaßt, dieses Junktim der Steuererhöhung immer vor Augen halten.