Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Umdruck 447 ersuchen wir darum, Obst, Gemüse und Kindernährmittel in die Ziffer 4a des Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes — Drucksache 1270 — aufzunehmen. Zur Begründung darf ich folgendes ausführen.
In den Ausschüssen haben lange Debatten über die aufzustellende Warenliste stattgefunden. Man hat sich zum Schluß auf den Begriff „lebensnotwendige Artikel" geeinigt. Wir waren uns aber von Anfang an klar darüber, daß dieser Begriff schwer abgrenzbar ist. Es wäre natürlich besser, außerdem sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Finanzämter einfacher und vor allen Dingen steuergerechter gewesen, wenn man alle Lebensmittel einbezogen hätte. Es kam aber darauf an, daß ein bestimmtes Volumen nicht überschritten wird, und so betrachteten alle an der Diskussion Beteiligten das Problem sehr stark unter dem Gesichtspunkt, welche Steuerminderung für den Finanzminister eintritt. Dabei muß ich erwähnen, daß gerade das Jahr 1959 bei der Umsatzsteuer eine Mehreinnahme von 450 Millionen DM gebracht hat.
Die Aufnahme von Obst, Gemüse und Kindernährmitteln, wie wir sie jetzt beantragen, war schon vom Mittelstandsausschuß beschlossen. Der Finanzausschuß hat sich nach langer Debatte für eine Streichung entschieden; das Abstimmungsergebnis war 9 zu 7 bei 3 Enthaltungen. Sie erkennen aus diesem Abstimmungsergebnis, wie groß die Problematik und die Meinungsverschiedenheiten waren.
Inzwischen ist uns eine große Anzahl von Eingaben aus der Öffentlichkeit zugegangen, aus Kreisen, die man keinesfalls als direkte oder indirekte Interessentengruppen bezeichnen kann. Ich darf nur einzelne nennen: der Deutsche Familienverband, die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, Raiffeisenverband.
Bei der Beurteilung unseres Antrages sollten Sie mit uns davon ausgehen, daß Obst, Gemüse und Kindernährmittel nichts anderes sind als lebensnotwendige Artikel; von diesem Begriff sind wir ausgegangen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5135
Frau Beyer
Bei der Auseinandersetzung im Ausschuß wurde vor allen Dingen die Frage aufgeworfen, ob die Handelsspannen auf den einzelnen Gebieten die Beibehaltung der Umsatzsteuer nicht doch rechtfertige. Das ist stark angezweifelt, ja bestritten worden. Selbstverständlich lassen sich für eine bejahende wie verneinende Antwort auf die aufgeworfene Frage Argumente anführen; das läßt unsere heutige Marktwirtschaft einfach zu. Wir haben aber inzwischen, glaube ich, überzeugendes Material dafür erhalten, daß man von der bisherigen Auffassung abweichen muß. Wir haben erkennen müssen, daß bei Obst und Gemüse allein schon durch die Verschärfung des internationalen Wettbewerbs eine andere Handhabung Platz greifen muß. Heute ist es durchaus nicht mehr so, daß die Klein- und Mittelbetriebe direkt einkaufen; sie müssen vielmehr einheitlich über die Einkaufsstellen des Auslands, die mit ganz bestimmten Versteigerungssystemen arbeiten, einkaufen. Dazu kommt eine einheitliche Sortierung und Verpackung über den Großhandel. Außerdem kommt hinzu, daß gerade bei Frischobst und Gemüse die Gefahr ,des Verderbs sehr groß ist. Diese Erwägungen haben, glaube ich, ebenso die Urheber des Initiativgesetzentwurfs geleitet, wie sie die Beratungen des Mittelstandsausschusses bestimmt haben.
Bei der Beurteilung unseres Antrages sollten wir auch nicht vergessen, daß in dem Neunten Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes aus dem Jahre 1957 dem Bundesfinanzminister bereits die Ermächtigung erteilt wurde, im Wege der Rechtsverordnung den Umsatz von Obst und Gemüse von der Umsatzsteuer zu befreien oder aber die Steuer zu ermäßigen. Von dieser Ermächtigung ist kein Gebrauch gemacht worden, einfach deshalb, weil der Finanzminister die Verfassungsmäßigkeit einer solchen steuerlichen Sonderbehandlung eines einzelnen Produkts für fraglich ansah. Wenn wir uns aber schon seinerzeit zu dem Begriff „lebensnotwendige Artikel" bekannt haben, dürfen wir auch jetzt, glaube ich, nicht davon abweichen. Inzwischen ist auch von den Regierungsparteien auf Umdruck 449 ein Antrag bezüglich Frischobst und -gemüse vorgelegt worden. Ich hoffe daher, daß wir uns in diesem Punkte einig sind.
Unterschiedliche Meinungen bestehen nur hinsichtlich des dritten Punktes unseres Änderungsantrages, der die Kindernährmittel noch einzufügen wünscht. Ich glaube, es kann sich eigentlich nur um ein Versehen handeln, daß man Kindernährmittel nicht einbezogen hat. Die Familienverbände bezeichnen es als einen glatten Mißstand, wenn man Kindernährmittel nicht einbezieht, da diese Produkte auf der Getreide- und Milchgrundlage aufgebaut sind. Wir haben diese Artikel schon immer als lebenswichtig anerkannt. Es würde auch grotesk wirken, wollte man gerade diese Gruppe ausnehmen, während z. B. Backaromen, Backhilfsmittel und Gewürzsoßen in der Liste Aufnahme gefunden haben und damit steuerfrei bleiben. Ich will hier auf Markenartikel und Preisbindungen nicht besonders eingehen. Wir sollten uns also dafür entscheiden, auch die Kindernährmittel unter den Begriff „lebensnotwendige Artikel" fallen zu lassen.
Ich bitte daher um Annahme unseres Änderungsantrages Umdruck 447. Sollten Sie der Ziffer 3 unseres Antrages nicht zustimmen wollen, dann bitte ich, Herr Präsident, über die Ziffern 1, 2 und 3 getrennt abzustimmen.