Ich komme zur Außenfinanzpolitik. Von Jahr zu Jahr wachsen die internationalen Verpflichtungen unserer Finanzpolitik. Die großen Fortschritte des Verkehrswesens lassen unsere Welt mehr und mehr zusammenschrumpfen. Zugleich mit der Entwicklung der Verkehrstechnik, zum Teil aber auch unabhängig davon, nimmt die Verflechtung der einzelnen Volkswirtschaften zu, soweit sie nicht der Eiserne Vorhang durch eine verschiedene Wirtschaftsphilosophie trennt; Tempo und Ausmaß dieser Verflechtung sind dabei allerdings in den einzelnen Teilen der freien Welt verschieden.
Dieser Sachverhalt bedeutet für uns die Verpflichtung, einen angemessenen Anteil an den gemeinsamen Aufgaben auf uns zu nehmen und nach dem bereits erwähnten Grundsatz, die Unterschiede zwischen arm und reich zu mildern, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um den Ländern zu helfen, die sich noch im Zustand der Entwicklung befinden.
Zu dieser Aufgabe ist zweierlei zu bemerken. Das rasche Wachstum der Bevölkerung in diesen Ländern und der Drang ihrer Einwohner, ihren Lebensstandard zu heben, macht diese Hilfe besonders vordringlich. Außerdem haben wir Verständnis dafür, daß die Vereinigten Staaten, die so viel für die übrige Welt tun, im Hinblick auf ihre Zahlungsbilanz eine andere Verteilung der Lasten auf diesem Gebiete anstreben.
Dieses Bekenntnis zur Übernahme internationaler Verpflichtungen darf aber nicht so verstanden werden, als ob in diesem Bereiche bei uns bisher noch nicht viel geschehen sei. Auf weltweiter Ebene haben wir unsere Beteiligung an dem Internationalen Währungsfonds und an der Weltbank erhöht, und zwar bei der letzten von knapp 1,4 Milliarden DM auf rund 4,5 Milliarden DM, d. h. im Verhältnis zu den meisten übrigen Ländern stark überproportional. In absehbarer Zukunft werden wir auch zu den Mitgliedsländern der Internationalen Entwicklungs-Vereinigung gehören, der sogenannten IDA, die in enger Anlehnung an die Weltbank den Entwicklungsländern Kredite zu Vorzugsbedingungen gewähren soll. In Europa sind wir an der Europäischen Investitionsbank und an dem Überseefonds für die überseeischen Gebiete der Mitgliedsländer der EWG mit rund 1,25 Milliarden DM und 840 Millionen DM beteiligt, ferner mit rund 200 Millionen DM an dem Kreditfonds des Europäischen Währungsabkommens, das an die Stelle der Europäischen Zahlungs-Union getreten ist. Zu welchen Leistungen wir im Rahmen des Europäischen Sozialfonds im laufenden und in den nächsten Haushaltsjahren herangezogen werden, läßt sich noch nicht abschließend übersehen.
Soweit internationale Einrichtungen nicht tätig werden, kommen Kredite an weniger entwickelte Länder aus Mitteln von Sondervermögen, also vor allem des ERP-Sondervermögens, und aus dem Kapitalmarkt in Betracht. Kredite aus Haushaltsmitteln können für diese Zwecke grundsätzlich nicht
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Was das ERP-Sondervermögen anlangt, so prüfen wir zur Zeit, ob die Entwicklung des Kapitalmarktes es gestattet, einige seiner bisherigen Aufgaben dort wegfallen zu lassen und die frei werdenden Mittel im verstärkten Maße für die Förderung von Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Eine unmittelbare Inanspruchnahme des Kapitalmarktes durch die Entwicklungsländer würde, insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit einer deutschen Kapitalausfuhr, den klassischen Vorstellungen entsprechen. Bei der immer noch labilen Lage dieses Marktes und der regen Nachfrage der öffentlichen Hand, der privaten Wirtschaft und des Wohnungsbaues nach langfristigen Finanzierungsmitteln wird jedoch für größere Anleihen der Entwicklungsländer auf dem deutschen Kapitalmarkt zunächst wenig Raum sein. Um so mehr ist es er-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 93. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1959 5133
Bundesfinanzminister Etzel
forderlich, die Kapitalausfuhr auf sonstige Weise, vor allem also durch Übernahme von Bürgschaften und ähnlichen Gewährleistungen, zu fördern.
Allerdings kann ich nicht verhehlen, daß mir die Höhe dieser Bürgschaften gewisse Sorgen bereitet und daß die Grundsätze, nach denen diese Hilfe gewährt wird, einer ständigen Beobachtung und Überprüfung bedürfen.
In dieser Hinsicht hat der Bundesrat eine zutreffende Bemerkung gemacht. Die gesamte Haftungssumme aus Bundesbürgschaften dieser Art hat inzwischen bereits 10 Milliarden DM überschritten. Das darin liegende Risiko, für das es keine Rückstellungen gibt, ist groß und kann in Zukunft noch größer werden. Bisher schon mußten wir 370 Millionen DM zur Ablösung unserer Bürgschaftsverpflichtungen aus dem Haushalt aufbringen.
Sie erkennen aus diesem Überblick, daß der Bund auf dem Gebiete der Außenfinanzpolitik keineswegs müßig ist. Neben den materiellen Leistungen, die wir in Zukunft voraussichtlich in verstärktem Maße zu erbringen haben werden, erscheint es mir jedoch dringend geboten, daß die Hilfe für die Entwicklungsländer nach klaren und eindeutigen Grundsätzen erfolgt und daß die hochindustrialisierten Länder nicht neben- und unabhängig voneinander vorgehen, sondern ihre Maßnahmen koordinieren. Vor der Schaffung neuer größerer oder kleinerer Fonds muß dringend gewarnt werden: es gilt auch hier der lateinische Satz: „Non multa, sed multum", nicht vielerlei, sondern viel! In Zusammenarbeit mit dem Kollegen Erhard bin ich um eine Ordnung und Straffung auf diesem Gebiete bemüht. Die Auffassung der Bundesregierung hierzu wird dem Hohen Hause zu gegebener Zeit noch dargelegt werden.
Bei aller Anerkennung der Notwendigkeit, den Entwicklungsländern zu helfen, soll im übrigen die finanzielle Förderung zur strukturellen Verbesserung zurückgebliebener Landesteile in unserem eigenen Lande keineswegs vergessen werden.
Meine Damen und Herren! Damit habe ich Ihnen einen Überblick über den Stand der Bundesfinanzen und über die Hauptprobleme unserer Finanzpolitik gegeben. Sie wollen daraus bitte die Überzeugung gewinnen, daß die Finanzen des Bundes geordnet sind und auch künftig in Ordnung gehalten werden können.
Wir verfügen zwar nicht mehr über die hohen Kassenrücklagen früherer Jahre, in denen auch sehr erhebliche Gefahren steckten. Unsere Finanzpolitik wird nunmehr natürlich schwieriger. Wir haben aber klare Vorstellungen über unsere finanzpolitischen Möglichkeiten und ihre Grenzen. Unsere größte Sorge ist es, das weitere unaufhaltsame Wachstum der öffentlichen Ausgaben zu bremsen. Wir müssen dies nicht nur tun, um den Bundeshaushalt in Ordnung zu halten. Bei der gegenwärtigen
Konjunkturentwicklung müssen wir die Ausgaben aller öffentlichen Körperschaften auch niedrig halten, um die Konjunktur im Gleichgewicht zu behalten.
Wir wollen auch die Steuerlasten nicht ohne zwingenden Grund wieder wachsen lassen, nachdem wir sie in den letzten Jahren so wesentlich vermindert haben. Zu diesem Ziele sollten beide Häuser des Parlaments, die Bundesregierung und nicht zuletzt auch eine breite öffentliche Meinung ihre Bemühungen vereinigen.
Lassen wir unser junges Staatswesen, an dessen kraftvollem Aufbau und dessen wachsender Autorität wir Schritt für Schritt bauen, nicht in einen kraftlosen Gefälligkeitsstaat abgleiten. Der Staat kann keine Geschenke machen. Alle Leistungen des Staates an seine Bürger müssen von eben diesen Bürgern, sei es unmittelbar oder mittelbar, durch Steuern wieder hereingebracht werden. Wer nach zusätzlichen Staatsleistungen ruft, sollte ihre Rechtfertigung daran prüfen, ob er entsprechende Hilfen auch unmittelbar von seinem Nachbarn verlangen würde. Um der Demokratie willen sollten wir uns rechtzeitig genug gegen die Anfälligkeit der modernen Massendemokratie in Finanzfragen schützen. Hier liegt die wichtigste Zukunftsaufgabe unserer Finanzpolitik.