Rede von
Fritz
Schäffer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anlaß für die Bundesregierung, den Entwurf eines Gesetzes gegen Volksverhetzung einzubringen, war, wie Ihnen bekannt ist, eine Reihe von Vorfällen, die mit Recht Aufsehen und Unruhe in der Öffentlichkeit erregt haben. Doch waren diese Vorfälle nur ein äußerer Anstoß. Denn, wie dem Hohen Hause ebenfalls bekannt ist, ist schon seit Jahren geplant, dem geltenden § 130 des Strafgesetzbuches eine neue, wirksamere Fassung zu geben. Die alte Vorschrift ist überholt, weil sie mit dem Begriff der „Klassen der Bevölkerung" arbeitet, der sich für uns überlebt hat. Die alte Vorschrift ist wenig wirksam, weil sie nur dann eingreift, wenn jemand Bevölkerungsklassen zu Gewalttätigkeiten gegeneinander öffentlich anreizt. Diese enge Fassung wird den Formen nicht mehr gerecht, mit denen heute eine friedenstörende Volksverhetzung betrieben wird.
Von beiden Seiten dieses Hohen Hauses wie auch von der Bundesregierung ist daher schon seit langem immer wieder versucht worden, eine wirksamere Vorschrift an die Stelle des alten § 130 StGB zu setzen. Zuerst ist das in § 9 des 1950 von der Fraktion der SPD vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie geschehen. Im gleichen Jahre hat die Bundesregierung im Entwurf des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes eine entsprechende Neufassung des § 130 StGB vorgeschlagen, die auch den Bundesrat durchlief, aber aus Zeitgründen weder mit dem Ersten, noch mit dem Dritten Strafrechtsänderungsgesetz verabschiedet werden konnte. Die Fraktion der CDU/CSU hat daher 1957 den Entwurf eines Fünften Strafrechtsänderungsgesetzes eingebracht, der ebenfalls eine auf den früheren Entwürfen aufbauende Neufassung des § 130 StGB zum Ziele hatte. Zwar konnte auch dieser Entwurf aus zeitlichen Gründen nicht mehr verabschiedet werden. Doch zeigen alle diese Bemühungen, daß Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat hier im Grundsätzlichen ein gemeinsames Anliegen verfolgen.
Trotzdem sind die Auffassungen über die Wege, die man einschlagen sollte, verschieden. In der ersten Lesung des Entwurfs in diesem Hohen Hause sind daher auch Stimmen wohlmeinender Kritik laut geworden, die auch während der Beratungen im Rechtsausschuß nicht verstummt sind. Einmal hat man eingewendet, daß das Strafrecht kein taugliches Mittel sei, um der Intoleranz zu begegnen und zu geistiger Toleranz zu erziehen. Gewiß, das Strafrecht ist kein ideales Erziehungsmittel. Die Aufgabe, Achtung und Verständnis für eine Volksgruppe zu wecken, der man selber nicht angehört, ist eine Aufgabe, die zuerst und vor allem durch Erziehung im Elternhaus, in Kirche und Schule sowie durch Vorbild und gemeinschaftliches Erleben in der staatlichen Wirklichkeit gelöst werden soll und muß.
Doch hat auch hier das Strafrecht seine Aufgabe. Seine Sache ist es, weithin sichtbar Werttafeln aufzurichten, die nicht nur eine negative, sondern auch eine positive Wirkung ausstrahlen. Weiter
hat das Strafrecht auch eine hemmende Wirkung. In den Beratungen des Rechtsausschusses ist bereits das Wort eines hohen englischen Richters zitiert worden, das diese Wirkung sehr schön zum Ausdruck bringt: Das Gesetz kann nicht dazu zwingen, den Nächsten zu lieben; aber es kann es schwieriger machen, Haß gegen ihn zu schüren.
Schließlich lassen Sie mich noch eines sagen: Der Intoleranz stets nur mit Toleranz zu begegnen, ist gefährlich. Die Weimarer Republik ist nicht zuletzt daran zu Grunde gegangen, daß sie die Toleranz gegen die Intoleranten zu weit getrieben hat.
Der zweite wesentliche Einwand gegen den Entwurf war der, daß er trotz seiner allgemeinen Fassung auf ein Schutzgesetz für die Juden hinauslaufe, denen man durch ein solches privilegium odiosum einen schlechten Dienst erweise; denn der Entwurf isoliere sie als eine Sondergruppe der Bevölkerung und erreiche damit gerade das, was die Antisemiten wollten. Sosehr ich Verständnis für die Sorge habe, die hinter diesen Bedenken steht, so vermag ich diese Bedenken doch nicht zu teilen.
Zunächst ist der Entwurf kein Schutzgesetz für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe. Was er schützen will, ist, wie aus dem Wortlaut des neuen § 130 und auch aus dessen systematischer Stellung im Gesetz eindeutig hervorgeht, der öffentliche Frieden, der durch die Erregung von Haß gegenüber einzelnen Volksgruppen sehr empfindlich gestört werden kann. Der öffentliche Frieden ist nicht nur ein durch die Rechtsprechung klar abgegrenzter juristischer, sondern auch ein sehr realer politischer Begriff, wie die Auswirkungen der Fälle gezeigt haben, die Anlaß dieses Entwurfes geworden sind.
Daß es sich bei dem Entwurf nicht um ein Schutzgesetz für unsere jüdischen Mitbürger handelt, zeigt auch, daß er sich auf Gruppen verschiedenster Art bezieht. Inwieweit das Gesetz hinsichtlich dieser Gruppen praktische Bedeutung erlangen wird, läßt sich heute noch nicht übersehen. Als das 1. Strafrechtsänderungsgesetz entworfen wurde, spielten auch die Flüchtlinge eine aktuelle Rolle. In weiteren acht Jahren wird vielleicht eine andere Volksgruppe Zielscheibe einzelner Böswilliger werden. sicher ist jedenfalls, daß der Entwurf nicht ein Sondergesetz zum Schutz der Juden ist.
Dem Entwurf liegt auch nichts ferner, als die in dem neuen § 130 genannten Volksgruppen von der Gesamtbevölkerung zu isolieren. Daß es innerhalb des Volkes Gruppen gibt, ist eine Realität, und zwar in der Regel eine sehr gesunde und begrüßenswerte Realität. Erst diese Gruppen sind es, die in ihrer Eigenart den Gesamtkörper eines Volkes und Staates prägen und darstellen. Daß ein Gesetz solche Gruppen nennt, heißt in keiner Weise, das es sie isoliert.
Ob unsere jüdischen Mitbürger eine Gruppe im Sinne des Entwurfs bilden, ist eine Frage, die sich der Kompetenz des Gesetzgebers entzieht. Der Rechtsausschuß hat insoweit auch eine Fassung gefunden, die die Frage mit aller Vorsicht offenläßt und es für ausreichend erklärt, wenn der Täter be-
5082 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 92. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1959
Bundesjustizminister Schäffer
stimmte Menschen als Gruppe treffen will. Ich möchte meinen, daß mit dieser Fassung auch der Rest des Bedenkens ausgeräumt sein sollte, daß der Entwurf legalisiere, daß es eine isolierte Gruppe der jüdischen Mitbürger gebe.
Wir beseitigen die Gefahr nicht, wenn wir es beim geltenden Recht bestehen lassen. Denn wie sieht es mit der Heraushebung der Juden als einer besonderen Gruppe aus, wenn das geltende Recht den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland dazu zwingt, in solchen Fällen Strafantrag wegen Beleidigung der deutschen Juden als eine beleidigungsfähige Personengemeinschaft zu stellen?
Damit komme ich zum letzten Punkt der Kritik, dem Einwand, daß das Gesetz nicht nötig sei, weil andere Vorschriften des Strafrechts ausreichten, um den erforderlichen Schutz zu gewähren, und weil es in Deutschland einen Antisemitismus im eigentlichen Sinne nicht gebe. Gewiß ist richtig, daß in manchen Fällen das geltende Strafrecht helfen kann, etwa mit den §§ 93 oder 140 des Strafgesetzbuches. Das gilt aber nur für Einzelfälle. Die Beleidigungsvorschriften kommen zwar für die große Masse der Fälle in Betracht. Ich bin aber mit Entschiedenheit der Meinung, daß sie keinen ausreichenden Ersatz bieten; denn es geht nicht darum, daß einzelne Mitbürger beleidigt werden, deren Sache es dann sein muß, ihr Recht mit Hilfe eines Strafantrags selber zu suchen, sondern es geht darum, daß der Frieden im gemeinsamen Hause des Volkes gestört wird, und damit um eine Angelegenheit, die den Staat unmittelbar angeht und in die er eingreifen muß, um den öffentlichen Frieden zu sichern.
Der neue § 130 soll solchen Störungen vorbeugen. Gewiß kann zum Glück keine Rede davon sein, daß es einen Antisemitismus in eigentlichem Sinne in Deutschland gibt. Doch kommen immer wieder einzelne Fälle antisemitischer Äußerungen vor, die mit den Beleidigungsvorschriften nur unbefriedigend erfaßt werden können. Erst in diesen Tagen ist durch meine Hände das Urteil eines Schöffengerichts gegen den Betriebsratsvorsitzenden eines mittleren Betriebes gegangen, der mehrmals gegenüber seinen Arbeitskollegen erklärt hatte, daß noch viel zu wenig Juden vergast worden seien. Sehr mit Recht wehrt sich der Zentralrat der Juden in Deutschland dagegen, in solchen Fällen Strafantrag stellen zu müssen, damit es überhaupt zu einer Bestrafung kommt. Es ist Sache des Staates, hier den Anfängen zu wehren. Nach den schrecklichen Erlebnissen der Jahre vor 1945 kann das nicht früh genug geschehen. Deshalb ist das Gesetz gegen Volksverhetzung meiner Überzeugung nach heute und jetzt notwendig.
Zu den einzelnen rechtlichen Problemen, die der Entwurf aufwirft, möchte ich nicht Stellung nehmen. Ich glaube, daß diese Probleme in der Arbeit des Rechtsausschusses und schon vorher in den Beratungen des Rechtsausschusses des Bundesrates und der Großen Strafrechtskommission, die ebenfalls den Entwurf decken, vorbildlich gelöst worden sind. Der Dank der Bundesregierung gilt allen diesen Gremien. Sie haben den Weg frei gemacht für meine rechts- und kriminalpolitisch wohl begründete Bitte
an das Hohe Haus, dem Entwurf eines Gesetzes gegen Volksverhetzung zuzustimmen.