Rede von
Dr.
Emmy
Diemer-Nicolaus
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, entschuldigen Sie den Lapsus, der mir vorhin passiert ist. Über die Problematik, die mit der Einfügung dieser Bestimmungen zusammenhängt, hatte ich gerade noch mit Kollegen der anderen Fraktion gesprochen. Ich sagte schon, ich war überrascht, als ich feststellte, daß eine weitgehende Änderung der Gewerbeordnung infolge der Ersetzung des bisherigen § 33d durch eine Reihe von anderen Bestimmungen im Ausschuß neu hinzugekommen ist. Ich hatte dies vorher nicht gewußt — so was erfährt man erst durch die Drucksachen — und habe mich dann erkundigt, wieso es zu dieser Änderung gekommen ist. Darauf wurde mir gesagt, es sei vor allen Dingen ein Wunsch des Bundesrats gewesen, der diesen damit begründet hätte, mit den bisherigen Bestimmungen des § 33d der Gewerbeordnung und den dazugehörigen Durchführungsverordnungen — ich nehme an, daß es sich dabei insbesondere um den § 10 der Durchführungsverordnung handelt — sei man verwaltungsmäßig nicht zurechtgekommen.
Meine Damen und Herren, ich fühle mich verpflichtet, in diesem Zusammenhang auf folgendes aufmerksam zu machen. Über die Problematik, die mit diesen Bestimmungen des § 33d zusammenhängt, ist ein Rechtsstreit anhängig, in dem sich die Verwaltung auf ein Gutachten der PhysikalischTechnischen Bundesanstalt in Braunschweig gestützt hat. Die Prozeßgegner haben sich auf andere Gutachten gestützt, darunter auch auf das Gutachten eines angesehenen Wissenschaftlers, der zum Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums gehört. Dieser und die anderen Gutachter haben bezüglich der Auslegung andere Auffassungen als die Bundesanstalt in Braunschweig vertreten. Die Verwaltung hat in den beiden ersten Instanzen mit ihrer Auffassung nicht recht bekommen, sowohl beim Verwaltungsgericht nicht als auch beim Oberverwaltungsgericht nicht. Beim Bundesverwaltungsgericht ist die Sache anhängig. Da ging es auch zunächst darum, ob der Gewerbebetrieb wegen Gefährdung der öffentlichen Interessen untersagt werden könne, und auch insofern hat die Verwaltung vom Bundesverwaltungsgericht nicht recht bekommen. Die Hauptentscheidunq steht noch aus.
Da ich nun aber rein zufällig Kenntnis von den divergierenden Gutachten habe. habe ich festgestellt, daß jetzt in den Ermächtigungen, die insbesondere in dem § 33f zugunsten der Bundesanstalt enthalten sind, strittige Punkte, in denen die Bun-
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Frau Dr. Diemer-Nicolaus
desanstalt nicht recht bekommen hat, jetzt kraft Gesetzes zugunsten der Auslegung der Bundesanstalt geregelt werden sollen. Ich muß Ihnen sagen, daß ich außerordentlich starke Bedenken dagegen habe, daß jetzt ein derartiges Gesetz erlassen wird, nachdem in dem Musterverfahren, das nachher für all diese Streitfragen bestimmend sein soll, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts unmittelbar bevorsteht. Ich weiß —das habe ich durch die Kollegen vom Wirtschaftsausschuß erfahren —, daß diese Dinge bei der Beratung dieser Bestimmungen nicht bekannt gewesen sind. Ich fühle mich deshalb verpflichtet, auf diese Tatsache hinzuweisen.
Noch etwas anderes, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als es bei der ersten Lesung darum ging, in welche Ausschüsse das Gesetz überwiesen werden sollte, wurde der Rechtsausschuß nicht eingeschaltet. Jetzt bergen aber diese Bestimmungen, wie sie in den §§ 33d ff. enthalten sind, eine Fülle von Rechtsfragen in sich, die natürlich bei der ersten Lesung nicht zu übersehen waren, weil ja dieser Vorschlag noch gar nicht vorlag. § 33d hat nämlich eine ganz wesentliche Erweiterung der Erlaubnispflicht erfahren. Während vorher § 33d auf mechanisch betriebene Spiele beschränkt war, sollen jetzt darüber hinaus noch sonstige Spiele einbezogen werden; ich habe den Eindruck, als wollte man auch alle Geschicklichkeitsspiele einbeziehen.
Damit taucht die Frage auf, inwieweit so etwas nach Art. 12 GG möglich ist. Sie müssen sich immer vergegenwärtigen, daß wir in unserem Grundgesetz die Gewerbefreiheit ganz stark als ein Grundrecht ausgestaltet haben, und zwar in Art. 12, als ein Grundrecht, das allerdings in seiner Ausübung gewissen Einschränkungen unterliegen kann. Es liegt aber eine umfangreiche Rechtsprechung darüber vor, in welchem Umfange das möglich ist. Dieses Grundrecht der Gewerbefreiheit darf nur aus überwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls eingeschränkt werden. Soweit es sich dabei um Glücksspiele handelt, bedarf es keiner weiteren Erörterungen. Aber jetzt fängt die Problematik an. Ist es mit Art. 12 GG vereinbar, daß auch reine Geschicklichkeitsspiele in diesen Erlaubnisvorbehalt einbezogen werden? Das ist eine Frage, die eingehend im Rechtsausschuß geprüft werden müßte.
Weiter weise ich noch darauf hin, daß in dem jetzigen Vorschlag auch bezüglich der Ausübung an die Zuverlässigkeit sehr hohe Anforderungen gestellt werden, daß gewisse einmalige Verfehlungen schon ausreichen sollen, drei Jahre ,ein entsprechendes Gewerbe nicht ausüben zu dürfen; insbesondere trifft dies auf eine einmalige Verurteilung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 146 Ziffer 5 zu, also auf jemanden, der fahrlässig eine Übertretung nach diesem Gesetz begangen hat. Das ist ein sehr starker Eingriff in das Recht der freien Berufsausbildung, das jedem Bürger zusteht.
'Die Bestimmungen wären auch darauf zu überprüfen, inwieweit sie mit der bisherigen Rechtsprechung übereinstimmen. Vom Bundesverwaltungsgericht und von den Oberverwaltungsgerichten wird anerkannt, daß Einschränkungen möglich sind und daß die Zuverlässigkeit eine besondere Prüfung erfahren darf. Die Rechtsprechung geht aber dahin, daß es nicht darauf ankommt, ob einmalige Verfehlungen vorliegen. Eine einmalige Verfehlung kann so schwer sein, daß ihretwegen die Zuverlässigkeit ohne weiteres in Frage gestellt werden muß. Entscheidend kommt es aber auf die Gesamtwertung der Persönlichkeit an. Es liegen Entscheidungen vor, die ausdrücklich betonen, daß diese Frage von Fall zu Fall besonders geprüft werden muß; eine einmalige Verfehlung kann gegebenenfalls nicht ausreichen.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf kann schon bei einer Verurteilung wegen einer fahrlässig begangenen Tat — wenn z. B. einmal fahrlässig unterlassen worden ist, eine Ordnungsvorschrift dieses Gesetzes einzuhalten — eine Untersagung der Ausübung des Berufes erfolgen.
— Herr Kollege, ich lasse mich gerne gegebenenfalls berichtigen!
— Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Kolleginnen und Kollegen des Wirtschaftausschusses über die Rechtsprechung in diesen Fragen nicht so unterrichtet sind. Ich würde die Prüfung dieser Frage doch für notwendig erachten. Es liegt eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Berlin vor, Herr Kollege Lange. Die Einschränkung der freien Berufsausübung, wie sie jetzt in diesem Vorschlag enthalten ist, ,entspricht in etwa dem bisherigen § 10 der Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz. Die Entscheidung des Gerichtes sagt eindeutig, daß das in dieser Form nicht zulässig sei. Es müßte also noch einmal genau überprüft werden, inwieweit die hier verwendete Formulierung mit der Rechtsprechung der oberen Verwaltungsgerichte und auch des Bundesverfassungsgerichts in Einklang steht.
Dann ein weiterer Punkt! Ich darf in Ihre Erinnerung rufen, daß uns der Art. 80 GG im Bundestag schon wiederholt Kummer bereitet hat. Es ist uns nicht sehr angenehm, daß das Bundesverfassungsgericht Gesetze mit der Begründung aufgehoben hat, daß in diesen Gesetzen die Grenzen des Art. 80, die für Rechtsverordnungen gegeben sind, nicht entsprechend eingehalten worden sind. Im Rechtsausschuß wird deshalb immer sehr sorgfältig geprüft, oh sich die Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Grundsätze halten, damit nach Möglichkeit die vom Bundestag verabschiedeten Gesetze nicht für verfassungswidrig erklärt werden.
In dem § 33f werden einer ,einzelnen Bundesanstalt sehr weitgehende Befugnisse erteilt. Es ist für mich als Juristin im Augenblick nicht zu übersehen, ob hier die Grenzen der Bestimmbarkeit, wie sie in Art. 80 des Grundgesetzes gefordert sind, tatsächlich eingehalten sind.
Es ist natürlich ein schlechter Zustand, daß diese Dinge erst jetzt bei der zweiten Lesung zur Sprache
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kommen; zudem soll die dritte Lesung so schnell wie möglich erfolgen. Das kommt aber daher, daß diese Bestimmung erst im Ausschuß eingefügt wurde. Sonst hätte ich, auch wenn ich nicht dem Wirtschaftsausschuß angehöre, schon vorher darauf aufmerksam gemacht.
Es geht also ,einmal um die wichtige Tatsache, daß der Rechtsstreit in der Revisionsinstanz beim Bundesverwaltungsgericht anhängig ist und dort in Kürze zur Entscheidung steht, zum anderen um die Überprüfung der Vereinbarkeit mit den Art. 12, 19 und 80 GG.
Nach meiner Auffassung ist es unbedingt notwendig, daß sich der Rechtsausschuß doch noch mit diesem Teil der Gewerbeordnung befaßt. Sie werden mich fragen, wie das geschäftsordnungsmäßig geschehen soll. Wir hatten gestern bereits eine sehr instruktive Aussprache über die Möglichkeit der Rückverweisung eines Teils eines Gesetzes, die ich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt habe.
In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht auf folgendes aufmerksam machen. Nach meiner persönlichen Auffassung müßte es geschäftsordnungsmäßig möglich sein, daß dann, wenn es sich um einen Teil eines Gesetzentwurfs handelt, der in sich ein vollkommen abgeschlossenes Ganzes bildet — so wie es hier bei §§ 33d ff. der Fall ist —, dieser Teil an einen Ausschuß — in diesem Fall an den Rechtsausschuß, der bisher noch nicht mit der Sache befaßt war, obwohl hier ganz wichtige rechtliche Fragen zu beurteilen sind — zurückverwiesen wird, ohne daß dadurch der Fortgang der übrigen Beratungen inhibiert würde. Es müssen dann nur die notwendigen redaktionellen Änderungen — bei Verweisungen in einigen späteren Bestimmungen — vorgenommen werden. Das könnte ohne weiteres in ganz kurzer Zeit zwischen der zweiten und dritten Lesung geschehen.
Sollte das Hohe Haus jedoch der Auffassung sein, daß dies geschäftsordnungsmäßig nicht möglich sei, so gibt es zwei weitere Verfahren, die eingeschlagen werden könnten.
Einmal könnte man das ganze Gesetz an den Rechtsausschuß zurückverweisen und insofern die Beratung aussetzen, oder, falls das Hohe Haus der Auffassung sein sollte, daß die Sache dadurch zu lange verzögert würde, könnte man zunächst einmal die Regierungsvorlage bezüglich des § 33d wiederherstellen, also heute — ich betone ausdrücklich: heute! — zunächst einmal gegen diese Bestimmungen stimmen, dann durch eine Gesetzesinitiative die hier vorgeschlagenen Bestimmungen aufnehmen und diesen Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß verweisen. Ich sage mir aber: Warum so umständlich, wenn man es nach der Weise, die ich zuerst vorgeschlagen habe, auch einfacher machen kann?
Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Kollegien und Kolleginnen, um Verständnis für meine Ausführungen heute, und ich bitte Sie, bei der Entscheidung daran zu denken, daß es sich doch um ganz wesentliche verfassungsrechtliche Fragen handelt. Die Gewerbefreiheit, die freie Berufsausübung sind Grundrechte, die nur dann eingeschränkt werden
dürfen, wenn ihnen überwiegende öffentliche Belange entgegenstehen. Das muß geprüft werden.