Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auch die heutige Debatte in diesem Hause hat, wie es in Zukunft alle sozial-
Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1959 4787
Frau Kalinke
politischen Debatten zeigen werden, den Zwang deutlich gemacht, in Zusammenhängen zu denken, und uns an die heilsame Notwendigkeit erinnert, alle finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte bei der Diskussion sozialpolitischer Probleme stets zu berücksichtigen und die Auswirkung auf die Volkswirtschaft, auf die Steuerzahler, auf die Beitragszahler, ja selbst auf die Konsumenten, wie Kollege Mischnick mit Recht gesagt hat, zu prüfen. Weder eine Gesamtrechnung, die unseren sozialpolitischen Etat deutlich macht, noch eine Durchleuchtung in den einzelnen Positionen ist entbehrlich, wenn Koalition und Opposition in Zukunft solche Probleme wie heute verantwortungsbewußt diskutieren wollen.
Auch ich möchte bei dem Gespräch über den Sozialbericht dem Bundesminister für Arbeit und den verantwortlichen Mitarbeitern in seinem Hause, auch den Mitgliedern des Beirats, insbesondere denen, die den Mut zu einer Minderheitsmeinung hatten, meinen aufrichtigen Dank sagen, weil es ihre mühevolle und nicht immer populäre Arbeit uns im Parlament erst ermöglicht, alle Probleme zu erkennen und mutig und aufrichtig eine redliche Stellungnahme abzugeben, die unsere Staatsbürger von uns fordern können. Ich halte trotz aller umstrittenen Probleme daher das Experiment mit dem Beirat für unersetzlich und durchaus positiv, auch dann, wenn deutlich wird, ja, vielleicht gerade weil deutlich wird, daß man sich nicht zu einer einheitlichen Meinung gezwungen, sondern den Mut gehabt hat, klar zu sagen, wie die Dinge aussehen, auch wenn sie eine Mehrheit anders sah als eine Minderheit des Beirats.
Der Jahresbericht von 1958 hat die bedrohliche Entwicklung der Finanzlage schon sehr sichtbar gemacht. Wenn auch der vorliegende Bericht dank der Vollbeschäftigung und eines steigenden Beitragsaufkommens nicht ganz so pessimistisch ist, so bleibt doch die große Sorge um die finanzielle Entwicklung am Ende des ersten Zehnjahresabschnitts nach der Reform.
Die von mir ausgesprochene Besorgnis bezieht sich nicht auf die Finanzlage von heute, sondern auf morgen und übermorgen. Wenn wir hier von der Zukunft sprechen, so heißt das, daß wir in der Sozialpolitik nicht denken wollen „nach uns die Sintflut", sondern daran denken müssen, wie die Renten auch in der Zukunft finanziert werden können.