Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben — das Gefühl wird wohl niemand in diesem Saale los — heute eine Debatte mit einer etwas merkwürdig schiefen Schlachtordnung geführt. Eigentlich hätte es doch wohl so sein müssen, daß die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung sich nicht auf einen Rückblick auf das Geschehene und auf die Festlegung einiger ziemlich allgemein unumstrittener Prinzipien beschränkt, sondern uns auch sagt, mit welchen Vorstellungen, eigenen Gedanken und Ideen sie in die kommende Serie internationaler Konferenzen hineinzugehen gewillt ist.
Das ist uns die Bundesregierung schuldig geblieben. Statt dessen hat sie, da sie eigene Gedanken für die Zukunft nicht vorzutragen hatte, die Gedanken abzuwerten sich bemüht, die wenigstens andere im Schweiße ihres Angesichts inzwischen erarbeitet
hatten, nämlich die Gedanken der Opposition. Ich würde der Regierung eine höhere Legitimation zur Kritik an der Opposition zusprechen, wenn sie wenigstens ihre eigenen Gedanken hier zur Diskussion stellte. Das hat sie nicht getan.
Aber ein Zweites. Wenn man schon etwa aus der Vorstellung heraus, diese Debatte sei so eine Art Rache für Sadowa, für den März 1958, glaubte, sich auf den Deutschlandplan der Sozialdemokratie stürzen zu müssen, dann sollte man, verehrter Herr Minister, doch wenigstens zur Kenntnis nehmen, was die Sozialdemokratische Partei in diesem Plan und in den von ihr dazu herausgegebenen — ausdrücklich so bezeichneten — „Erläuterungen", die sich ja im Besitze auch unserer Freunde von der CDU befinden, dazu gesagt hat. Maßgebend für die Beurteilung des Deutschlandplanes ist nicht, wie er von denen erläutert wird, die ihn nicht verfaßt haben, sondern maßgebend ist das, was die Meinung der Verfasser ist, was die Verfasser selber dazu gesagt haben.
So halten wir es ja auch mit Ihnen. Maßgebend für die Beurteilung von Auffassungen der Regierung muß schließlich das sein, was die Regierung selber zur Rechtfertigung ihres Standpunktes vorträgt, nicht das, was andere in die Regierungsstandpunkte hineininterpretieren.
Um welche Punkte — um die vorweg gleich einmal vom Tisch zu bringen — geht es dabei? Da hat
es z. B. geheißen, es sei ein Selbstbetrug, überhaupt auf die Idee zu kommen, sich mit Vertretern eines von uns allen als Gewaltregime angesehenen diktatorischen Regiments von der anderen Seite — auch unter dem Dach einer Vier-Mächte-Verantwortung, wie sie der Deutschlandplan festhält, und nicht aus eigenem Recht — zusammensetzen zu wollen; denn mit denen könne man über die Fragen, die zur Erörterung stünden, überhaupt nicht reden. Ja, wenn das ein Selbstbetrug ist, dann ist auch dieser Teil des in Genf vorgetragenen westlichen Friedensplans ein Selbstbetrug. Dann hat auch dort die Bundesregierung diesem Selbstbetrug zugestimmt. Dann darf sie nicht der Opposition das anrechnen, wessen sie sich selber schuldig gemacht hat.
Ich fürchte, die Dinge liegen tiefer. Es ist eine verdammt schwierige Sache, auf diese Weise wenigstens einige Probleme, solange sie uns nicht endgültig davongelaufen sind, noch einer vernünftigen Regelung zuzuführen. Es ist eine verdammt schwierige Sache; aber ich fürchte, es wird uns, so wie die Dinge in den letzten Jahren gelaufen sind, nichts anderes übrigbleiben, als auf eine solche Weise wenigstens doch noch den Weg zu ein bißchen mehr Freiheit und schließlich zur Wiedervereinigung in gesicherter Freiheit für die Deutschen zu ebnen. Welchen anderen Weg sehen Sie denn?
Da ist in einer tiefschürfenden Analyse sowjetischer Politik gesagt worden, niemals habe die Sowjetunion auch nur den geringsten Willen erkennen lassen, in die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit einzuwilligen. Wir wollen gar nicht den alten Streit hier aufrühren, ob das so wahr ist oder ob da in der einen oder anderen Situation Chancen gewinkt haben mögen. Das ist jetzt gar nicht das Thema. Nehmen wir dieses Wort so, wie es gesagt wurde, dann ergibt sich daraus doch nur zweierlei: Entweder man nimmt diesen sowjetischen Willen als unabänderlich hin, oder man muß sich Gedanken darüber machen, wie man mit diesem Willen ohne Krieg fertigwerden und dennoch auch ein Interesse der Sowjetunion an einer Deutschlandlösung wekken kann. Wie wollen Sie es denn sonst machen?
Also schwierig ist der Weg; das ist unbestritten.
Hier ist auch von den Menschenrechten geredet worden. Der westliche Plan sieht ihre Sicherung in der zweiten Stufe vor. Bei uns stehen sie vor der ersten: „Unerläßlich ist jedoch, daß diese Vereinbarungen für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten einer gesamtdeutschen Verfassung die Menschenrechte und Grundfreiheiten in beiden Teilen Deutschlands sichern."
Man kann über manche Einzelheit streiten; aber über die Klarheit dieses Satzes kann man nicht streiten.
Der Deutschlandplan ist kein Plan der Kapitulation
auf Raten, er ist ein offensiver Plan der Ausdeh-
4744 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959
Erler
nung der Freiheit auf die Gebiete Deutschlands, die der Freiheit beraubt sind, nichts anderes.
Sie scheinen aber unter offensiv nur eine Sprache zu verstehen, die jener Macht, ohne deren Mitwirkung in den deutschen Fragen leider nichts geschehen kann, schon von Anfang an das Zuhören künstlich erschwert. Offensiv soll die Politik sein, wo es um die Wiederherstellung der Freiheit geht. Die Sprache kann dabei durchaus gemessen sein; sie braucht nicht die Sprache des Kalten Krieges zu sein.
Dann ist hier — sehr vorwurfsvoll — von der Parität in der gesamtdeutschen Konferenz die Rede gewesen. Nun, ich lese vor:
In der ersten Stufe soll eine gesamtdeutsche Konferenz aus Vertretern beider deutschen Teilregierungen gebildet werden. Die Konferenz kann deshalb paritätisch zusammengesetzt sein, weil sie keine Mehrheitsentscheidungen zu fällen in der Lage ist. Sie einigt sich oder sie einigt sich nicht.
Das ist trotz verschiedener Kopfzahlen durch den Abstimmungsmodus die gleiche. Regelung, wie sie der westliche Friedensplan für seine Kommission enthält, bei der die Vertreter der Sowjetzone auch nicht überstimmt werden können, wo man sich also in der Sache einigt oder nicht einigt, weil es eben nicht auf die Anzahl der Köpfe und auf Stimmzettel, sondern darauf ankommt, ein Ergebnis zustande zu bringen, dem auch die beiden Regierungen zustimmen oder auch nicht; im letzten Falle ist es eben nicht zustande gekommen.
Dann haben wir vom parlamentarischen Rat gesprochen. Da heißt es:
Es kann auch jetzt noch keine Seite die andere überstimmen. Ohne solche Beschränkungen in der Zusammensetzung und den Befugnissen des parlamentarischen Rats und die sich daraus ergebenden Sicherungen für die weiter bestehenden Regierungen und Parlamente in beiden deutschen Teilen wird sich der Übergang zur vollen staatlichen Einheit mit Mehrheitsbeschlüssen eines einheitlichen, frei gewählten gesamtdeutschen Vollparlaments nicht verwirklichen lassen.
Wo steht da, daß es etwa ein deutsches Parlament gibt, das auf Grund einer Verfassung zustande kommt, die ihrerseits von einem halb aus Kommunisten bestehenden Körper zusammengebraut wird? Der Deutschlandplan enthält — ich habe es vorhin in meinen Zwischenbemerkungen ausdrücklich gesagt — an den verschiedenen Stellen den Hinweis darauf, daß die verfassunggebende Nationalversammlung aus freien, geheimen und gleichen Wahlen in ganz Deutschland gebildet werden muß und nicht anders.
— Es steht, damit auch diejenigen, die vielleicht beim
Text Zweifel haben mögen, wissen, was der Text
bedeutet, ausdrücklich in der Broschüre, aus der Herr Kollege Majonica aus der Seite 55 zitiert hat. Dann wird doch wohl auch der Außenminister mit seiner Lektüre bis zur Seite 22 vordringen können!
Ein neuer Punkt! Aus dem einleitenden Text der dritten Stufe der Zusammenfügung hat Herr von Brentano zitiert.
— Was verstehen Sie denn nun unter Text?
— Gehören die Erläuterungen nicht dazu?
— Sie können doch heute, nachdem eine Reihe von Punkten, die Ihnen und vielleicht auch manchem anderen unklar waren, durch die Erläuterungen eindeutig klargestellt worden sind, sich nicht so stellen, als gäbe es die Erläuterungen nicht. Wer heute so tut, als gäbe es nicht diese zusammenfassende Darstellung des Deutschlandplans, der beschäftigt sich nicht mit den Gedanken der Sozialdemokratischen Partei, sondern der beschäftigt sich damit, wie er sie am zweckmäßigsten der Kommunistenhörigkeit beschuldigen kann.