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ID0308703200

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    Deutscher Bundestag 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Inhalt: Antrag betr. Aussetzung des Butterzolls (SPD); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1297, 1344) 4681 C Abg. Eberhard tritt als Nachfolger des Abg Glahn in den Bundestag ein . . . . 4682 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung; verbunden mit Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die deutsche Einheit (Drucksache 1284) Antrag der Fraktion der FDP betr. Konvention zur Sicherung des Heimatrechts (Drucksache 493) Dr. von Brentano, Bundesminister 4682 A, 4736 B Ollenhauer (SPD) 4693 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . . 4704 C Dr. Mende (FDP) 4709 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 4718 D Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . . . . 4725 D Jaksch (SPD) 4728 A Majonica (CDU/CSU) 4732 C Krüger (Olpe) (CDU/CSU) . . . 4735 C Zoglmann (FDP) 4739 D Erler (SPD) 4743 A Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 4750 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 4758 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . 4768 A Persönliche Erklärung gemäß § 36 GO Wehner (SPD) . . . . . . . 4768 B Persönliche Bemerkung gemäß § 35 GO Majonica (CDU/CSU) 4768 D Nächste Sitzung 4768 D Anlagen . . . . . . . . . 4769, 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4681 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 10.04 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4769 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7.11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Drachsler 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seidl (Dorfen) 5. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Toussaint 5. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Weinkamm 7.11. b) Urlaubsanträge Dr. Burgbacher 25. 11. Anlage 2 Umdruck 408 Antrag der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244). Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen. Bonn, den 5. November 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Unterzeichneten begründen ihre Ablehnung d es Antrages des Außenhandelsausschusses zum Antrag der SPD betreffend Aussetzung des Butterzolls (Drucksache 1344) wie folgt. Der Antrag des Außenhandelsausschusses betreffend Aussetzung des Butterzolles bringt weder dem Verbraucher noch dem Staat, sondern nur dem ausländischen Exporteur Nutzen. Er ist außerdem unvereinbar mit dem Sinn und dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes. Regierungsvertreter und Opposition haben im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich erklärt, daß sie eine Senkung des Butterpreises durch die Aussetzung des Butterzolles nicht erwarten. Die Unterzeichneten befürchten, daß infolge der weiteren Verknappung des internationalen Buttermarktes die Preise sogar weiter steigen werden. Sie wünschen aber die Verhinderung solcher Preissteigerungen. Unserer Meinung nach dient diese Politik nicht dem deutschen Verbraucher. Die Aussetzung des Butterzolls wird nicht zu einer Senkung der Butterpreise beitragen. Schon jetzt haben die ausländischen Exporteure erklärt, daß sie bei Fortfall des Zolles ihres Preise entsprechend heraufsetzen werden. Nach der Aufhebung des Kartoffelzolles haben die holländischen und polnischen Exporteure die Kartoffelpreise dem Zollausfall entsprechend ebenfalls erhöht. Für die Landwirtschaft dürfen wir die Versicherung abgeben, daß sie durch Zukauf und Verfütterung von Kraftfuttermitteln zur Steigerung der Milchproduktion beitragen wird. Eine Herabsetzung des Butterkonsums durch den Verbraucher ist nicht erforderlich. Es genügt völlig, den Verbrauch bis zum Jahresende auf der Höhe des Vorjahres zu halten. Die Unterzeichneten schlagen eine Andienungspflicht der Butterimporte an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette zu Weltmarktpreisen und die Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle durch 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 die Bundesregierung vor, diese Preise mit Hilfe dafür verfügbarer Abschöpfungsbeträge angemessen zu verbilligen. Wir glauben, daß hierdurch eine weitere Preissteigerung verhindert werden kann. Eine Aussetzung des Butterzolles muß als dem Sinn dem Landwirtschaftsgesetzes widersprechend abgelehnt werden. Wittmer-Eigenbrodt Dr. Reinhard Hackethal Krug Meyer Wittmann v. Lindeiner-Wildau Gehring Gassmann Bauknecht Dr. Reith Stauch Knobloch F. Fritz Solke Hesemann Sühler Bauer Schulze-Pellengahr Riedel (Frankfurt) Mensing Gibbert F. Storm Bauereisen Lermer Spies Engelbrecht-Greve Lenze Dr. Conring v. Bodelschwingh Dr. Gossel Wacher Burgemeister W. Brese
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    Rede von Dr. Wenzel Jaksch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstmalig steht in dieser Aussprache auch das Verhältnis der Bundesrepublik zu den osteuropäischen Ländern zur Diskussion, wenn auch als Nebenthema im Vergleich zu den Hauptthemen, die heute bereits erörtert worden sind.
    Unzweifelhaft stellt das künftige Verhältnis eines freien Deutschland zu der bunt gegliederten und kraftvoll aufstrebenden Völkerwelt Osteuropas ein Kardinalproblem dar, mit dem sich das Haus noch einmal gesondert und mit gebotener Gründlichkeit befassen sollte. Hier geht es nicht nur um unsere Gegenwartssorgen, sondern auch um die Wiederaufnahme jahrhundertealter Traditionen, die mit den glänzendsten Namen des deutschen Geisteslebens, eines Goethe, eines Herder, der Brüder Grimm, verknüpft sind.
    Auch die Lage der deutschen Bevölkerungsteile, die bei dem großen Leidenszug der „zweiten Völkerwanderung" in den Vertreibungsgebieten zurückbleiben mußten, würde zu gegebener Zeit eine breitere Erörterung von der Tribüne dieses frei gewählten deutschen Parlaments aus verdienen. Dank der unermüdlichen Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes wird uns von Zeit zu Zeit die Zahl der unerledigten Anträge auf Familienzusammenführungen zwischen deutschen Menschen in den Vertreibungsgebieten und ihren Angehörigen in der Bundesrepublik mitgeteilt. Das ist ein trauriges Kapitel, das wir aus der heutigen Diskussion nicht ganz ausklammern können. Auch auf seiten der Regierungen, die für die Erledigung dieser Anträge zuständig sind, sollte man 14 Jahre nach Beendigung der Kampfhandlungen endlich den Geboten der Menschlichkeit folgen.

    (Beifall bei der SPD.)

    In Art. XIII des Potsdamer Abkommens steht kein Wort davon, daß es diesen Regierungen anheimgestellt sei, sich schollengebundene Leibeigene zu halten, etwa nach dem Vorbild der russischen Fürsten der Zarenzeit. Es ist ein einfaches und unabdingbares Menschenrecht, daß Angehörige einer entwurzelten Bevölkerung selbst über ihr Domizil entscheiden können.
    Ich habe dies hier kurz sagen wollen, um darzutun, daß uns zu dem vorliegenden Antrag Drucksache 1244 nicht nur politische, sondern auch humanitäre Gründe bewegt haben. Wir haben heute aus dem Munde des Herrn Bundesaußenministers gehört, daß er den Zeitpunkt für die Anknüpfung diplomatischer Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten noch nicht als gegeben erachte. Wir bedauern diese zeitlichen Vorbehalte, weil leider noch viele alte Menschen sterben werden, ehe sie ihre Kinder wiedersehen, wenn die Anträge auf Familienzusammenführung aus politischen Gründen bis dahin unerledigt bleiben sollten.
    Es ist der Sinn des vorliegenden Antrages der SPD-Fraktion dieses Hauses, daß wir uns an den Fragenkomplex einmal in seiner Gesamtheit heranarbeiten. Wir übersehen keineswegs die Tatsache, daß wir es jenseits des. Eisernen Vorhanges mit
    kommunistischen Regierungen zu tun haben. Wir sind auch nicht so naiv, zu glauben, daß durch die Errichtung bundesdeutscher Konsulate oder Gesandtschaften eine Zersetzung des Ostblocks irgendwie wesentlich gefördert werden könnte. Es gibt aber immerhin graduelle Unterschiede etwa zwischen der Sowjetunion, wo eine Monopolpartei seit 40 Jahren die Herrschaft ausübt, und anderen Ostblockstaaten, die erst vor 12 oder 14 Jahren in sogenannte Volksdemokratien umgewandelt sind. Diese Kohäsion, diese inneren Bindungen im Ostblock dürfen wir durch eine negative Haltung von uns aus nicht noch weiter verstärken. Ich bitte die Damen und Herren der Mehrheitsfraktionen dieses Hauses, sich bei der Beurteilung unseres Antrages vor Augen zu halten, welchen fatalen Eindruck ein ständiges Zuschlagen der Tür auf der anderen Seite des Eisernen Vorhanges hervorrufen müßte.
    Uns kommt es bei diesem Antrag darauf an, möglichst bald mit konstruktiven Vorzeichen zu einer sachlichen Klärung des ganzen Fragenkomplexes zu gelangen. Ein erster Schritt in dieser Richtung war wohl die Entscheidung des Außenpolitischen Ausschusses, über diesen heiklen Problemkreis keine Kampfabstimmungen vorzunehmen, sondern eine Arbeitsgruppe mit der Behandlung aller damit zusammenhängenden Einzelprobleme zu betrauen. Um eine Trübung des Arbeitsklimas durch Pressemeldungen zu vermeiden, möchte ich hierzu ausdrücklich feststellen, daß bei dieser Entscheidung keine Partei überfahren oder unter Druck gesetzt wurde, sondern daß eine sachliche Übereinstimmung aller Parteien des Hauses über reine Verfahrensfragen vorliegt.
    Unser Antrag ist als Rahmenauftrag gedacht. Er würde daher auch in formaler Beziehung eine Grundlage für die Beratungen der Arbeitsgruppe und für einen entsprechenden Bericht des Außenpolitischen Ausschusses darbieten. Es ist außerdem der Sinn unseres Antrages, einer neuen Ara freundschaftlicher und konstruktiver Beziehungen zwischen dem deutschen Volk und den osteuropäischen Völkern den Weg zu ebnen. Wir wollen allerdings nicht, daß eine deutsche Bereitschaft zur Überwindung des Trennenden ins Leere stößt. Deswegen sollen die Voraussetzungen durch interne Beratungen geklärt werden.
    Über eine fundamentale Tatsache sollten wir uns in diesem Hohen Hause jedoch im klaren sein: diplomatische Beziehungen bedeuten weder Geschenke an die andere Seite noch Konzessionen von unserer Seite. Solche Beziehungen haben um ein Wort meines Fraktionskollegen Kühn hier mit einzuflechten — ihre Bedeutung als ein wertfreies Instrument zur Wahrung unserer eigenen Interessen in anderen Ländern. Daß die Bundesrepublik bei solchen Regelungen die entsprechenden gebietsrechtlichen und heimatrechtlichen Vorbehalte anmelden muß, die sich aus der grundsätzlichen Anfechtung der Vertreibungsbeschlüsse von Potsdam und aus den einschlägigen Beschlüssen des Bundestages ergeben, entspricht durchaus auch dem programmatischen Standpunkt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

    (Beifall bei der SPD.)




    Jaksch
    Dazu hat übrigens mein Fraktionskollege Karl Mommer als Sprecher meiner Parteifreunde auf dem letzten Kongreß der Interparlamentarischen Union unmißverständliche Erklärungen abgegeben, wohlgemerkt, meine Damen und Herren: auf Warschauer Boden. Auf diese Weise wurde auch der polnischen Öffentlichkeit ausdrücklich zur Kenntnis gebracht, daß die im Potsdamer Abkommen zugesicherte friedensvertragliche Regelung der deutschen Ostgrenzen für alle deutschen Parteien ein Kernstück ihrer Politik darstellt. Kollege Mommer hat ausdrücklich noch hinzugefügt, daß wir dabei an einen Friedensvertrag denken, der mit einem deutschen Staat und mit einer frei gewählten deutschen Regierung zu vereinbaren ist.
    Genauso harrt auch die Frage des Heimatrechtes der Sudetendeutschen, dessen Wahrung durch eine gemeinsame Erklärung aller demokratischen Parteien des 1. Bundestages in die Obhut der Bundesrepublik genommen wurde, einer einvernehmlichen Lösung.
    Vielleicht kann ich an diesem Punkt einen Beitrag zur Vereinfachung der Debatte leisten. In Zwischenbemerkungen wurde von Kollegen aus der CDU-Fraktion auf verschiedene Stellungnahmen im „Vorwärts" hingewiesen. Ich nehme an, daß dieses Thema auch noch auf dem Programm der nachfolgenden Redner steht. Dazu lassen Sie mich sagen: für uns alle sollte wohl das positive Moment maßgebend sein, daß auch der Sprecher der Opposition heute mit der vollen Autorität seiner Stellung die Thesen vom Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und vom Heimatrecht der Vertriebenen als tragende Grundsätze der sozialdemokratischen Politik unterstrichen hat.
    Für die Regierungen in Warschau und Prag mag in diesem Zusammenhang der Hinweis eines heimatvertriebenen Sozialdemokraten interessant sein, daß die Kampagne gegen den sogenanten Revanchismus der Landsmannschaften und Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik bisher genau das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielt hat. Es ist ein völlig aussichtsloses Beginnen, die völkerrechtliche Ausgangslage in dieser Erörterung auf den Kopf stellen zu wollen. Ich darf mich in dieser Frage auf ein gewichtiges Zeugnis berufen, nämlich auf das Zeugnis des Deutschlandministers der ersten britischen Nachkriegsregierung, John Hynd. In einer großen Aussprache des Unterhauses über die gegenüber einem friedlichen und demokratischen Deutschland einzuschlagende Politik — sie fand am 23. März 1949, also knapp vier Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten, statt — stellte John Hynd fest, daß die demokratischen Parteien Westdeutschlands durch das Potsdamer Abkommen in eine schwierige Lage gebracht worden seien. Der ehemalige Deutschlandminister warnte davor, von den Deutschen zu erwarten, daß sie über eine geplante Annexion der Saar oder Schlesiens begeistert sein würden. Wenn sich die Deutschen für die Rückgabe Schlesiens einsetzten — sagte John Hynd wörtlich —, so sei dies kein Revisionismus und kein Nationalismus, denn die Frage der endgültigen staatlichen Zugehörigkeit Schlesiens — und damit meinte er wohl ganz Ostdeutschland — sei noch nicht entschieden. In einem ähnlichen Sinne hat sich übrigens in derselben Parlamentsdebatte auch der heutige britische Premierminister Macmillan geäußert.
    Diese profunden Erkenntnisse führender englischer Politiker sind allerdings mittlerweile auf dem Wege zwischen Westminster und der Fleet-street teilweise verlorengegangen. Wir unsererseits sollten aber alles vermeiden, was die ursprüngliche Fairneß des britischen Inselvolkes gegenüber einem besiegten und aufgeteilten Deutschland nachträglich noch in die Bahn gegenseitiger Enttäuschungen lenken könnte.
    Wie gut die Ausgangsposition in den Fragen der deutschen Ostgrenzen und der künftigen Friedensregelung ursprünglich in England war, ist mir erst dieser Tage beim Nachlesen eines Artikels in der angesehenen Londoner Zeitschrift „Economist" vom 3. Mai 1947 zum Bewußtsein gekommen. Ich muß es mir versagen, auf den Inhalt dieses Artikels näher einzugehen, obwohl er rein von der geistigen Schau her ein interessanter Beitrag zu unserer heutigen Aussprache wäre. Er ist eines der glänzendsten Plädoyers, die ich bisher von ausländischer Seite für die deutschen Ansprüche auf die 'Gebiete jenseits der Oder und Neiße zu lesen bekam. Ich habe diesen Artikel erwähnt, um einen beklagenswerten Terrainverlust der deutschen außenpolitischen Position während der letzten Jahre aufzuzeigen, mit dessen Ursachen wir uns in diesem Hause auseinanderzusetzen haben.
    In der letzten Zeit lesen wir in den Spalten der Londoner „Times" kategorische Aufforderungen an die Adresse der Bundesrepublik, die von den Signatarmächten des Potsdamer Abkommens eingeräumten völkerrechtlichen Positionen preiszugeben und die polnischen Ansprüche auf die deutschen Ostgebiete kurzerhand anzuerkennen. Ich bin allerdings, was die Haltung der „Times" in osteuropäischen Fragen angeht, einigen Kummer gewohnt. Ich habe dieses Blatt aus der Zeit vor 1938 noch als Bannerträgerin der Politik des „appeasement" in Erinnerung, als es darum ging, den Herrschaftsbereich Hitlers zu erweitern und ihm eine möglichst gute Ausgangsposition für einen Angriffskrieg zu sichern.
    Mit geziemendem Respekt vor der Meinungsfreiheit der Presse in befreundeten Ländern möchte ich hierzu doch sagen, daß die „Times" wenig Anspruch darauf hat, der deutschen Demokratie gegenüber den belehrenden Zeigefinger zu erheben. Man kann das unbegründete Vertrauen, das seinerzeit Hitler entgegengebracht wurde, nicht nachträglich durch unbegründetes Mißtrauen gegen die deutsche Demokratie kompensieren.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten in der Mitte und rechts.)

    Für die deutsche Öffentlichkeit stellt sich durch solche Vorkommnisse die Frage, was die Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren getan hat, um sich mit dem Stimmungsrückgang in einigen westlichen Ländern in den Fragen der deutschen Ostgrenzen und des Heimatrechtes der Vertriebenen auseinanderzusetzen. Es sind uns ja schließlich,



    Jaksch
    was diese großen Anliegen des deutschen Volkes anlangt, von maßgebenden Staatsmännern des Westens auch einige Hoffnungen gemacht worden. Ich erinnere nur daran, welche moralische Stärkung die deutsche Demokratie durch jene historische Stuttgarter Rede von Staatssekretär Byrnes im Jahre 1946 erfuhr, in der er doch ganz eindeutig sagte, daß nach amerikanischer Auffassung die in Potsdam gezogenen Demarkationslinien nicht das letzte Wort der Geschichte sein sollen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Noch klarer hat dies der große Staatsmann George Marshall anläßlich der Londoner Außenministerkonferenz von 1947 ausgesprochen. In einem Rededuell mit Molotow hat Staatssekretär Marshall damals erklärt, bei der Festsetzung der deutschen Ostgrenzen müßten die Bedürfnisse der wirtschaftlichen und politischen Stabilität in Europa und außerdem die Wünsche der evakuierten Bevölkerungen berücksichtigt werden. Schließlich haben wir noch anläßlich des Treffens von Präsident Eisenhower mit dem damaligen britischen Premierminister Winston Churchill im Jahre 1954 im Kommuniqué lesen können, die beiden Staatsmänner hätten sich darauf geeinigt, daß der Weltfrieden auf die Grundsätze der Atlantic Charta begründet werden sollte, die sie neuerlich gemeinsam bekräftigten Wohlgemerkt: noch im Jahre 1954!
    Meine Damen und Herren, solche Erklärungen bedeuten natürlich auch politische und moralische Verbindlichkeiten gegenüber den Völkern. Denn die Demokratie kann es sich auf die Dauer nicht leisten, angesichts der Probleme einer praktischen Friedensgestaltung ihre feierlich verkündeten Prinzipien immer wieder über Bord zu werfen.

    (Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

    Für eine deutsche Öffentlichkeitsarbeit in den verbündeten und neutralen Ländern im Sinne der Friedenswünsche und der berechtigten Anliegen des deutschen Volkes gäbe es also nach unserer Überzeugung genügend Anhaltspunkte. Eine Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses des letzten Bundestages hat dazu in einem sorgfältig ausgearbeiteten Dokument, dem sogenannten Paul-Bericht, eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Dieser Bericht wurde auch vom Auswärtigen Ausschuß einstimmig angenommen. Er kam leider in der Torschlußsituation vor den letzten Bundestagswahlen nicht mehr zur Abstimmung im Plenum, was wir sehr bedauern, weil er eine Willenserklärung einer berufenen parlamentarischen Körperschaft und damit auch eine nützliche Direktive für das Auswärtige Amt bedeutete. Einiges davon, wie der Ausbau der Ostabteilung des Auswärtigen Amts und die Schaffung einer recht bescheidenen Dokumentenstelle im Auswärtigen Amt, ist mittlerweile verwirklicht worden. Auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit in den verbündeten und neutralen Ländern hat die Bundesrepublik mit ihren beachtlichen finanziellen Hilfsquellen leider bisher weniger geleistet, als die Exilgruppen der polnischen und tschechischen Emigration zu leisten imstande waren.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Weithin im Lande draußen wird heute die Frage erörtert, was das Bundespresseamt mit den beträchtlichen Mitteln, über die es verfügt, auf diesem Gebiete bisher geleistet oder, richtiger gesagt, nicht geleistet hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, ehe ich zum Schluß komme, noch einige Bemerkungen zur Aufnahme der hier schon mehrfach zitierten jüngsten Erklärungen des französischen Ministerpräsidenten, Herrn Debré, durch amtliche bundesdeutsche Stellen machen. Sicher waren diese Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten zur Frage der „Oder-Neiße-Grenze", wie er sich ausdrückte, in zweideutige Wendungen eingepackt. Aber sie sind weder von der französischen Presse noch von der „Trybuna Ludu" in Warschau und auch nicht von Herrn Chruschtschow mißverstanden worden, wie wir seinen Darlegungen vor dem Obersten Sowjet schwarz auf weiß entnehmen konnten.
    Nur in Bonn hat man die tragische Bedeutung dieser offiziellen Stellungnahme des französischen Regierungschefs mißverstehen wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Der Chef des Bundespresseamtes, Herr Staatssekretär von Eckardt, hat sie sogar in einer Weise verniedlicht, die es Herrn Debré ermöglichte, nachträglich zu erklären, er sei eigentlich mit Bonn einig. Meine Damen und Herren, ich habe den Wortlaut der diesbezüglichen Äußerungen des Chefs des Bundespresseamtes hier. Es ist geradezu ein Gebot der christlichen Nächstenliebe, dieses Gestammel nicht dem Protokoll des Bundestages einzuverleiben.

    (Zustimmung und Heiterkeit bei der SPD und der FDP.)

    Man muß sich immer wieder wundern, aus welcher inneren Haltung solche Erklärungen abgegeben werden.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: Der arme Mann!)

    Ich möchte hier, ohne das Thema nochmals in voller Breite zu behandeln, die Frage aufwerfen, die ich gern von zuständiger Stelle beantwortet hätte, wie lange wir noch in dieser schicksalsschweren Angelegenheit eine Vogel-Strauß-Politik betreiben wollen. Man weiß doch hier ganz genau, daß es sich nicht um Einzelbemerkungen handelt, sondern daß die diesbezüglichen Erklärungen des Herrn de Gaulle an Deutlichkeit überhaupt nichts zu wünschen übrig ließen. Ich meine damit seine Stellungnahme vom 25. März 1959, in der er erklärte — ich darf dies im Wortlaut zitieren —:
    Die völlig freie Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands erscheint uns als das normale Schicksal des deutschen Volkes, unter der Voraussetzung, daß dadurch nicht die gegenwärtigen Grenzen gegenüber dem Westen, dem Osten, dem Norden und dem Süden in Frage gestellt werden.



    Jaksch
    Auch hier wurde bereits von einer deutschen Grenze im Osten gesprochen. Ich bitte, das mit zu beachten.
    Ganz katastrophal aber vom deutschen Standpunkt aus war die Vertierung, die in einer Debatte der franzöischen Nationalversammlung am 30. April dieses Jahres der Sprecher der Christlichen Volkspartei, Maurice Schuman, früheren Auslassungen de Gaulles dieser Art gegeben hat. Ich zitiere hier nach dem Bericht einer sehr seriösen Tageszeitung, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die schließlich der Bundesregierung nicht feindselig gegenübersteht.

    (Zuruf von der SPD: Na, na! Das sagen Sie so aus christlicher Nächstenliebe! — Heiterkeit.)

    Dort werden die Ausführungen des Herrn Schuman wie folgt wiedergegeben:
    Auch die Wiedervereinigung in Freiheit sei denkbar, wenn dabei, wie General de Gaulle erklärt hätte, die Oder-Neiße-Linie anerkannt würde, die seinerzeit nicht von Frankreich, sondern von den drei Großmächten vorgezeichnet worden war.
    Bitte, jetzt folgendes zu beachten — auch diesen Wortlaut darf ich hier noch mit einflechten —:
    Bei diesen Worten
    — so lautet der Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung"
    unterbrach großer Beifall den Redner, besonders auch, als er hervorhob, mit welcher Würde der Bundeskanzler und die Bundesregierung diese Stellungnahme de Gaulles aufgenommen hätten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Eine weitere Illustration zu diesem Thema bietet das Vorwort des französischen Botschafters in Warschau, Brugiere, zu dem Buch des polnischen Historikers Krakowski „Die polnische Grenze und der deutsche Revisionismus". Dort heißt es:
    Heute liegt die tatsächliche deutsch-polnische Grenze an der Oder-Neiße-Linie und stabilisiert sieht dort, obwohl kein Friedensvertrag sie offiziell anerkannt hat. Aber es ist undenkbar, daß es unserer Diplomatie nicht am Herzen liegen sollte, sie sehr bald von allen anerkannt zu sehen.
    Das sagt der französische Botschafter in Warschau in einem Vorwort zu einem polnischen polemischen Buch gegen den deutschen Standpunkt.
    Meine Damen und Herren, durch diese offiziellen und offiziösen Kundgebungen von französischer Regierungsseite wird wahrhaftig ein sehr ernstes Problem aufgeworfen, nämlich das Problem der politischen und moralischen Substanz der westeuropäischen Bündnispolitik. Ich verweise hier auf ganz eindeutige Festlegungen, die sowohl im Deutschlandvertrag als auch in der Schlußakte der Londoner Neun-Mächte-Konferenz des Jahres 1954 getroffen wurden. In dem Deutschlandvertrag Artikel 7 Absatz 1 wird gesagt:
    Die Unterzeichnerstaaten sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß.
    Das steht im Generalvertrag mit der Unterschrift der Staatsmänner der französischen Republik. Herr de Gaulle hat seinerzeit darauf angespielt, daß sich Frankreich durch die Klauseln des Potsdamer Abkommens bezüglich der Vorläufigkeit der Oder-Neiße-Linie nicht gebunden fühle.
    Darf ich hierzu an die Schlußakte der Londoner Neun-Mächte-Konferenz erinnern. In der gemeinsamen Erklärung der Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten verpflichteten sie sich unter Punkt 3, daß „eine zwischen Deutschland und seinen früheren Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für Gesamtdeutschland, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden legen soll, ein wesentliches Ziel ihrer Politik bleibt. Die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands muß bis zum Abschluß einer solchen Regelung zurückgestellt werden."
    Ich kann mich darauf beschränken, diese eindeutige Dokumentation dem Hohen Hause zu unterbreiten und darum zu bitten, daß man sich in Paris um eine restlose Aufklärung der verhängnisvollen Irrtümer — wenn wir sie so nennen wollen — bemüht. Ich nehme an, daß im Archiv des Quai d'Orsay sowohl der Wortlaut des Deutschlandvertrages als auch die Schlußakte der Londoner Neun-MächteKonferenz zur Verfügung stehen. Ich würde auch dafür plädieren, daß der Herr Bundeskanzler bei seinem bevorstehenden Besuch in Paris Gelegenheit nimmt, den deutschen Standpunkt in diesen Schicksalsfragen eindeutig zu präzisieren. Für eine diesbezügliche Zusicherung des Herrn Bundeskanzlers in der heutigen Aussprache wäre ich besonders dankbar.
    Ein Wort noch über die Auswirkungen. Hier geht es nicht allein um die völkerrechtliche Seite, sondern auch um die moralischen Auswirkungen einer solchen Haltung auf weite Kreise des deutschen Volkes. Sie kommt einer Unterminierung eines Bündnisverhältnisses gleich, welches zur Zeit wohl als die Achse der westdeutschen Außenpolitik betrachtet werden kann.
    Zusammenfassend darf ich darum bitten, daß man unsere politische und rechtliche Position bei den kommenden politischen Entscheidungen sowohl gegenüber den osteuropäischen Staaten als auch gegenüber unseren Verbündeten im Westen mit demselben Nachdruck vertritt, mit dem sich der Herr Bundesaußenminister heute zu den Fragen des Heimatrechts und des Selbstbestimmungsrechts geäußert hat. Nach der innenpolitischen Seite bestehen in dieser Hinsicht wohl keine Zweifel mehr daran, daß eine Übereinstimmung aller Parteien dieses Hohen Hauses vorliegt. Ich wäre sehr dank-



    Jaksch
    bar, wenn die Erklärungen auf außenpolitischer Ebene mit der gleichen Eindeutigkeit abgegeben würden.
    Ich darf noch einmal auf die Einwendungen bezüglich des Verhältnisses zu den osteuropäischen Staaten zurückkommen. Es gibt im Völkerleben eine Kraft, die die Engländer law of change nennen, das Gesetz des Wandels. Dieses Gesetz hat das amerikanisch-russische Gespräch erzwungen, es hat neue internationale Entwicklungen eingeleitet, die in ihren Ergebnissen für das deutsche Volk keineswegs ungünstig zu sein brauchen. Wir können auf diese neue Entwicklung in der Weltpolitik nicht mit einem diplomatischen Sitzstreik antworten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wenn die Russen und die Amerikaner trotz fundamentaler Gegensätze, die sie ideologisch und politisch trennen, zu einem Gespräch bereit sind, so läge es wohl im Interesse einer internationalen Entspannung, zwischen der Bundesrepublik und den Regierungen der osteuropäischen Länder ein Simultangespräch zu führen und auch in diesem Bereich neue Anknüpfungen zu suchen.
    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, vor allzu viel Pessimismus in diesen Dingen warnen. Gewiß gibt es Schwierigkeiten. Aber auch das Zuwarten hat seine Gefahren. Man verweist immer auf die berühmte Hallstein-Doktrin, deren Verletzung zu weiteren Anerkennungen des Pankower Regimes und damit zu einer Verschlechterung unserer Lage in der Frage der Wiedervereinigung führen könnte. Ich möchte nur die Frage stellen: Ist die Hallstein-Doktrin heute noch ein Damm, der der diplomatischen Aktivität des Pankower Regimes im Wege steht, oder ist sie zu einer Kulisse geworden, hinter der die Pankower ihre diplomatischen Geschäfte machen?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Unter Umständen kann eine ostzonale Handelsvertretung mehr politische Arbeit leisten als eine offizielle Vertretung der Bundesrepublik, die strengstens nach Laufbahnrichtlinien, Protokoll und diplomatischen Usancen amtiert.
    Zum Schluß wollte ich noch ein Wort des Optimismus sagen. Ich bin der Überzeugung, daß im hoffenden Osteuropa mehr Zukunft liegt als im saturierten Westeuropa. In diesen Ländern hat das deutsche Volk trotz allem, was geschehen ist, noch viele Freunde und Bewunderer. Die zwölf Jahre der Hitler-Zeit haben nicht alles auslöschen können, was es an geistigen, kulturellen, religiösen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem deutschen Volk und seinen Nachbarn im europäischen Osten gab. Lassen wir dieses Guthaben einer besseren Vergangenheit, diese Früchte jahrhundertelanger Aufbauarbeit nicht kleinmütig aus der Hand gleiten, weil die ersten Schritte einer neuen Wiederbegegnung zweifellos mit erheblichen politischen und formalen Schwierigkeiten verbunden sein werden!
    Ich bitte das Hohe Haus, unseren Antrag — Drucksache 1244 dem Auswärtigen Ausschuß zur weiteren Verhandlung zu überweisen.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Majonica.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ernst Majonica


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich soeben den Kollegen Jaksch hier über unsere Ostbeziehungen und vor allen Dingen auch über die Oder-Neiße-Linie sprechen hörte, wurde ich doch an die Zeit erinnert, wo gewisse Sprecher seiner Partei von einem Teil der deutschen Presse gefeiert wurden, weil sie endlich einmal ein heißes Eisen realistisch angefaßt hätten. Heute haben wir eine Situation, wo sich auch Ihre Fraktion als Rocher de bronze vor die Oder-Neiße-Linie stellt, die Aushöhlung des Rechtsanspruchs in dieser Frage verneint und wir so ein wenig durch die Regierung in die Rolle des unsicheren Kantonisten hineingedrängt werden sollen. Ich glaube, daß das völlig falsch ist.
    Die Erklärungen der Regierung in dieser Frage sind völlig einheitlich. Es ist gut, daß wir heute feststellen können, hierin einen einheitlichen Standpunkt zu haben. Nach der Rede des Kollegen Jaksch kann ich wirklich nur sagen: Welche Wendung durch Gottes Fügung! Wir wollen hoffen, daß wir noch auf einer ganzen Reihe von Gebieten zu dieser Gemeinsamkeit kommen werden, die wir heute in dieser Frage haben feststellen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte zu der gleichen Frage unserer Ostbeziehungen sprechen und versuchen, sie einmal in die allgemeine sowjetische Politik und vor allen Dingen in die allgemeine sowjetische Deutschlandpolitik einzuordnen.
    Wenn wir uns die sowjetische Deutschlandpolitik ansehen, stellen wir fest, daß sie immer sehr — wenn wir nicht die Leidtragenden wären, könnten wir fast sagen: bewundernswert — konsequent gewesen ist. Man kann die sowjetische Deutschlandpolitik seit 1945 in dem einen Satz zusammenfassen: daß sie immer hat halten wollen, was ihr der zweite Weltkrieg gegeben hat, und daß sie nach Möglichkeit ihren Einflußbereich weiter hat ausdehnen wollen. Das ist immer die sowjetische Deutschlandpolitik gewesen. Nicht eine einzige Sekunde in der Vergangenheit hat die Sowjetunion in dieser Frage geschwankt. Wer glauben machen möchte, vielleicht aus innenpolitischen Gründen, daß die Sowjetunion einen Augenblick einmal nicht diese Grundhaltung vertreten habe, der, meine ich, möchte uns auch glauben machen, daß für eine bestimmte Zeit keine Kommunisten im Kreml gesessen haben, sondern andere Menschen, die andere internationale Grundsätze als die Kommunisten verträten. Bei dieser Politik der Ausdehnung und der gleichzeitigen Konsolidierung des eigenen Herrschaftsbereiches hat es natürlich verschiedene Phasen gegeben.
    Nach dem zweiten Weltkrieg stand zunächst die Phase der Ausdehnung des Einflußbereiches der Sowjetunion im Vordergrund. Man glaubte, eine durch den zweiten Weltkrieg zerstörte, durcheinander gebrachte Welt sei ein ideales Feld für diese Ausbreitungspolitik der Sowjetunion. Man glaubte
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4733
    Majonica
    auch, die Chance nützen zu können, daß die Westmächte abgerüstet hatten, die Sowjetunion aber nicht. Man versuchte dann, diese Ausweitungspolitik durchzuführen. Ich brauche Sie ja nur an die Beispiele zu erinnern, an die großen Streiks hier im Westen, an die Bürgerkriege in Griechenland, Indochina, Indonesien, Burma, den Überfall auf Korea, den Druck auf die Türkei, den Druck auf Persien. Alles das sind ja Beispiele für jene Phase der Ausdehnungspolitik der Sowjetunion.
    Das Vorhandensein starker Kontingente alliierter Truppen, das Nichtvorhandensein revolutionärer Massen hier bei uns in der Bundesrepublik, in Westdeutschland, ließen derartige Methoden, wie sie in anderen Teilen der Welt angewandt wurden, nicht zu. Hier verlegte man sich auf diplomatische, hier verlegte man sich auf politische Mittel, um eben diese Ausdehnungspolitik betreiben zu können. Ich brauche nur an jenen Vorschlag zu erinnern, die Sowjetunion an der Ruhrbehörde zu beteiligen. Ich brauche nur an jene Noten zu erinnern, die von 1952 bis 1954 mit den Westmächten getauscht wurden, wo man doch versucht hat, bei uns dieselbe Ausgangsposition zu schaffen, wie sie in dem Satellitenraum zur Bolschewisierung geführt hat.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Das war doch der eigentliche Inhalt dieser Noten.
    Brachten nun aber schon Stalins Tod die fortschreitende Konsolidierung in Europa und vor allen Dingen der Eintritt der Bundesrepublik in den Nordatlantikpakt einen Wandel in dieser Politik, so versuchte man eben nicht mehr, sich in Europa auszudehnen, sonder verlegte diese Ausdehnungspolitik im wesentlichen in die Räume der sogenannten Entwicklungsländer, in die Räume Asiens, Afrikas und Südamerikas. Hier versuchte man, diese Ausdehnungspolitik mit allen wirtschaftlichen und diplomatischen Mitteln zu betreiben. Ich glaube, diese Erkenntnis verpflichtet uns dazu, mit diesen Entwicklungsländern auf das engste und auf das beste zusammenzuarbeiten, nicht nur, um sie vor dem neuen Kolonialismus des Kommunismus zu schützen, sondern auch weil wir in einer Welt leben, die zu einer Einheit drängt. Es ist deshalb unerträglich, daß es große Unterschiede im Einkommen, in der Lebenshaltung gibt. Aus moralischen Gründen müssen wir diesen Klassenkampf der Völker eben unterbinden, müssen für eine gute Zusammenarbeit, müssen dafür !sorgen, daß auch hier der Lebensstandard gehoben wird. Nur so können wir diese Völker frei und unabhängig an unserer Seite halten.
    Damit ergibt sich eine völlige Interessengleichheit zwischen dem, was diese Nationen wollen, und dem, was wir selber wollen. Damit ergibt sich eine Interessengleichheit, daß da und hier die Unabhängigkeit, die Freiheit gewahrt bleibt. Ich glaube, wenn die Völker unsere Situation sehen, dann werden Sie erkennen können, daß eben das Selbstbestimmungsrecht, das man ihnen gewährt hat, uns in der Zone verweigert wird. Diese Interessengleichheiten des Selbstbestimmungsrechts
    müßten wir noch viel stärker, noch viel eindringlicher in den Vordergrund ,schieben.
    Nun gibt es 'gewisse Leute, die glauben, diese Probleme, die wir in Europa haben, diese Probleme, die wir auch in Asien haben, würden sich eines Tages dadurch auflösen, würden eines Tages dadurch verschwinden, daß uns der russisch-chinesische Gegensatz der Sorge in Europa und auch der Sorge in Asien ,enthöbe. Sicherlich wird es Spannungen ideologischer Natur zwischen diesen beiden Mächten geben. Ich brauche nur an die Volkskommune zu erinnern. Es gibt Spannungen ,auf dem Gebiete der Grenzen. Aber wir sollten doch nicht vergessen, daß beides kommunistische Mächte sind und daß daher beider außenpolitische Zielsetzung aggressiver Natur ist. Beide Mächte müssen deshalb zusammenarbeiten, beide Mächte sind aufeinander angewiesen. Man kann in dem Bündnissystem beider Mächte einfach die Partner nicht auswechseln. Es gibt für Rotchina keinen Ersatz für die Sowjetunion, und es gibt für die Sowjetunion keinen Ersatz für Rotchina. Beide Mächte sind aufeinander angewiesen, um ihre aggressive Außenpolitik miteinander durchführen zu können.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das brutale Vorgehen Rotchinas in Tibet, im indisch-chinesischen Grenzkonflikt, läßt diese Völker erkennen, in welcher Gefährdung sie leben. Ich glaube, das gibt uns eine neue Chance, das gibt uns eine neue Möglichkeit, mit ihnen für Frieden und Freiheit in dieser Welt zusammenzuarbeiten. Ich meine, meine Damen und Herren, wir sollten diese Chance der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern nutzen, weil der Verlust Asiens auch Europa mitreißen und auch unsere eigene Freiheit vernichten würde.
    Die Konsolidierung Westeuropas, die Hinwendung der Sowjetunion zu den Entwicklungsländern und vor allen Dingen die Schwierigkeiten im eigenen Bereich brachten die sowjetische Außenpolitik dazu, hier in Europa für eine gewisse Zeit die Konsolidierung in den Vordergrund zu schieben. Im Augenblick geht es der Sowjetunion nicht um die Ausdehnung, sondern um die Konsolidierung ihres europäischen Machtbereichs. Ich glaube, Herr Kollege Jaksch, in diesen Zusammenhang, in den Zusammenhang mit der Konsolidierung des europäischen Machtbereichs der Sowjetunion, müssen wir die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den sogenannten Satellitenstaaten stellen.
    Niemand von uns -- ich glaube, da ist sich das gesamte Haus einig — hat irgendwelche Haßgefühle gegenüber den Völkern im Osten. Jeder von uns möchte den Ausgleich mit diesen Nationen im Osten. Es gibt bei uns keine grundsätzliche Ungarnoder Polenfeindschaft. Im Gegenteil, wir würden lieber heute als morgen sehen, daß wir zu einem guten Nachbarschaftsverhältnis zu diesen Nationen kommen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

    Wir wollen auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht von dem inneren System dieser



    Majonica
    Völker abhängig machen. Wir lehnen ein Einmischen in die inneren Verhältnisse dieser Völker ab. Das sind, glaube ich, Grundsätze, in denen sich das ganze Haus einig ist.
    Es soll auch nicht bestritten werden, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen gewisse Vorteile bringen wird. Sie haben sie schon aufgezählt: die Möglichkeit der Information aus erster Hand, die Möglichkeit, dort das Zerrbild ein wenig zu berichtigen, das jetzt einzig und allein vom Pankower Vertreter gezeichnet wird, die Möglichkeit, sich der Deutschen anzunehmen, die noch in diesen Ländern wohnen. Das sind selbstverständlich Vorteile, die wir sorgfältig wägen müssen.
    Aber Sie haben selbst schon an das Grenzproblem erinnert. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß in diesem Zusammenhang die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie in Form einer Vorleistung für uns unter keinen Umständen in Frage kommen kann.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

    Ich möchte auch die Zweckmäßigkeit einer solchen Vorleistung im Interesse einer Entspannung, eines Ausgleichs mit dem polnischen Volk in Zweifel ziehen. Denn Sie wissen ebensogut wie ich, Herr Kollege Jaksch, daß die Polen sehr nationalbewußte Menschen sind, und ich bin der Meinung, daß sie uns einen Verzicht auf diese Gebiete einfach nicht abnehmen würden; sie würden ihn einfach nicht glauben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Deshalb glaube ich, daß es keinen Sinn hat, in dem Zusammenhang eines versuchten Ausgleichs etwa mit Polen das Grenzproblem im Sinne einer vorherigen Verzichtleistung durch die deutsche Bundesregierung, durch das deutsche Volk anzusprechen. Das kommt unter keinen Umständen in Frage; in dieser Frage ist sich das ganze Haus einig.
    Sie haben auch die Public-relations-Arbeit, die Frage der deutschen Propaganda angeschnitten. Auf diesem Gebiete ist schon einiges getan worden. Ich darf darauf hinweisen, daß die Osteuropainstitute arbeiten, die doch wirklich eine echte wissenschaftliche Grundlage für die Behandlung dieser Fragen erbracht haben. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir einen Attaché an der Botschaft in Washington haben, der sich mit dieser Frage beschäftigt. Es gibt eine Reihe von Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Aber ich gebe Ihnen gern zu, daß auf diesem Gebiete noch nicht alles getan worden ist, was getan werden muß.
    Ich darf das überhaupt in einen größeren Zusammenhang hineinstellen. Ich bin der Meinung, daß der Deutsche Bundestag fordern sollte, auch von, seinen Mitgliedern im Haushaltsausschuß, daß mehr als bisher für Public-relations-Arbeit im Ausland ausgegeben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber selbst wenn es, wie Sie sagen, möglich wäre, das Grenzproblem auszuklammern, würde
    doch das Vorhandensein eines deutschen Botschafters in Warschau, der in Gebieten tätig werden muß, die wir rechtlich als zu Deutschland gehörig betrachten, zu einer fortlaufenden Aushöhlung des Rechtsstandpunktes Deutschlands in diese Frage führen.
    Vor allen Dingen muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Jaksch, daß Sie meines Erachtens das Hauptargument, das wir in dieser Frage haben, etwas stiefmütterlich und etwas kümmerlich am Rande behandelt haben. Das ist die Frage: Was wird geschehen, wenn wir einen großen Teil von Staaten anerkennen, die ihrerseits ,aus dem Zwang ihrer Verhältnisse heraus Pankow anerkannt haben? Dann müßten wir mit Zwangsläufigkeit damit rechnen, daß ein großer Teil der neutralen Welt, ein großer Teil der non-committed world seinerseits Pankow anerkennen wird. Denn dann werden diese Staaten mit Recht fragen, warum für sie andere Grundsätze gelten sollen als für die osteuropäischen Staaten. Wir hätten dann ein international anerkanntes Pankow. Sicherlich, wir hätten als Gegengabe eine Vertretung in einem Raum völkerrechtlich beschränkter Handlungsfähigkeit. Aber der sogenannten DDR wäre der entscheidende diplomatische Durchbruch gelungen. Damit wäre das Problem der Wiedervereinigung internationalisiert. Die Zwei-Staaten-Theorie Moskaus wäre dadurch anerkannt, und wir hätten eine internationale Anerkennung der Spaltung. Damit wäre das Ziel Moskaus in dieser Sache erreicht: eine internationale Anerkennung seines europäischen Besitzstandes einschließlich der sogenannten DDR.
    Ich darf vor allen Dingen im Hinblick auf die kommenden Konferenzen darauf hinweisen, daß damit die Ausgangsposition Moskaus noch erheblich verbessert worden wäre für das, was uns in der deutschen Frage auf den Gipfelkonferenzen von dieser Seite entgegengebracht werden wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb darf ich ganz eindeutig feststellen, daß, wenn wir sagen: jetzt keine diplomatischen Beziehungen, jetzt kein Austausch von Botschaftern, das gar keine Brüskierung Warschaus oder Budapests oder Bukarests ist, sondern daß das einzig und allein eine Maßnahme ist, die gegen Pankow, gegen eine Internationalisierung des Wiedervereinigungsproblems gerichtet ist.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Wir haben nichts gegen Warschau in dieser Frage, wir haben alles gegen Pankow. Nach diesem Grundsatz müssen wir so handeln, wie wir uns im Augenblick entschieden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Heute ist viel von den versäumten Gelegenheiten in der deutschen Ostpolitik überhaupt gesprochen worden. Ich möchte da den Satz, den ich eingangs gesagt habe, wiederholen: daß Sowjetrußland in der Deutschlandpolitik immer nur den einen Grundsatz vertreten hat, das zu halten, was ihm der zweite Weltkrieg gegeben hat, und nach Möglichkeit seinen Einflußbereich weiter auszudehnen oder,



    Majonica
    wie es Herr Chruschtschow — nicht wörtlich, aber dem Sinne nach — formulierte: Ich bin bereit, über alles zu reden, nur nicht über das, was ich im Augenblick besitze; über alles andere kann gesprochen werden, aber das, was ich einmal in Besitz genommen habe, ist tabu, über diese Dinge darf einfach nicht gesprochen werden.
    Ich stelle fest, daß wir uns mit der deutschen Sozialdemokratie in dieser Analyse des Verhaltens der Sowjetunion gegenüber Deutschland früher einmal einig waren. Herr Kollege Erler, noch auf Ihrem Hamburger Parteitag im Jahre 1950 wurde festgestellt:
    Die kommunistische Aggressionspolitik hat die Zonengrenze zu einer Frontlinie des Kalten Krieges werden lassen.
    Wie weit davon entfernt ist aber die Feststellung auf dem Stuttgarter Parteitag:
    Die Wiedervereinigung droht der Wehrpolitik der herrschenden Gewalten im geteilten Deutschland zum Opfer zu fallen.
    Oder Ihre Feststellung im Annex zum sogenannten Deutschlandplan der SPD

    (Abg. Wehner: Der sogenannten SPD!)

    — nein, des sogenannten Deutschlandplans (Abg. Wehner: Der sogenannten SPD!)

    — ich meinte das „sogenannte" beim Deutschlandplan

    (Abg. Wehner: Sicherheitshalber überall „sogenannt" vorsetzen!)

    — nur bei Ihnen nicht, Herr Kollege Wehner; da würde ich es mir nicht erlauben —:
    Daß es zu dieser Lage gekommen ist, daran tragen Adenauer, seine Regierung und seine Regierungsmehrheit mit ein gerüttelt Maß an Schuld.
    Ich meine, Herr Kollege Erler, daß das unlogisch ist, was Sie hier sagen. Denn wenn Sie diese Situation schon im Jahre 1950 zu erkennen glaubten, wie soll sie dann durch eine nachfolgende Politik erst geschaffen worden sein; und meines Erachtens haben Sie sie 1950 richtig erkannt.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich glaube, ich habe an Hand dieser Zitate deutlich aufgezeigt, daß sich hier ein Hinwenden zur sowjetischen Auffassung der Deutschlandpolitik abhebt, daß bei uns ein Aufweichungsprozeß, ein Ausverkauf westlicher, insbesondere deutscher Positionen, vor sich geht. Ich frage nur, Herr Kollege Erler: Wem nützt das eigentlich? Ich glaube, es ist nicht richtig, die immer größere Härte der Sowjetunion in dieser Frage mit einem ständigen Weicherwerden auf unserer Seite zu beantworten.

    (Beifal bei den Regierungsparteien.)

    Auf die Dauer wird man damit nicht zur Lösung der deutschen Frage kommen. Ich meine, daß wir der konsequenten Deutschlandpolitik der Sowjets ebenso konsequent unsere Deutschlandpolitik entgegenstellen müssen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Die Sowjets müssen erkennen, daß man so nicht zur Lösung kommt, daß wir zwar zur Verständigung bereit sind, daß wir gerne bereit sind, in einem Gespräch die Differenzen zu klären, daß aber der Störenfried einer Verständigung zwischen der Sowjetunion und uns Ulbricht und sein Zwangssystem sind; ein laufendes Nachgeben gegenüber den Forderungen der Sowjetunion würde ihn nur stärken. Der Sowjetunion muß klargemacht werden, daß ein friedliches Gesamtdeutschland ihrem Interesse mehr dient als dieser Störenfried, der eine deutschsowjetische Verständigung verhindert. Deshalb müssen wir den Weg, den wir bisher gegangen sind, konsequent weitergehen.
    Wir resignieren gar nicht. Wir sind der Meinung, daß die Resignation und Illusion vielmehr bei dem Deutschlandplan der SPD Pate gestanden haben. Wir resignieren auch deshalb nicht, weil wir wissen, daß die Freiheit auf die Dauer stärker sein wird als die Unfreiheit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)