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ID0308703000

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    Deutscher Bundestag 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Inhalt: Antrag betr. Aussetzung des Butterzolls (SPD); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksachen 1297, 1344) 4681 C Abg. Eberhard tritt als Nachfolger des Abg Glahn in den Bundestag ein . . . . 4682 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung; verbunden mit Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. die deutsche Einheit (Drucksache 1284) Antrag der Fraktion der FDP betr. Konvention zur Sicherung des Heimatrechts (Drucksache 493) Dr. von Brentano, Bundesminister 4682 A, 4736 B Ollenhauer (SPD) 4693 D Dr. Furler (CDU/CSU) . . . . 4704 C Dr. Mende (FDP) 4709 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 4718 D Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . . . . 4725 D Jaksch (SPD) 4728 A Majonica (CDU/CSU) 4732 C Krüger (Olpe) (CDU/CSU) . . . 4735 C Zoglmann (FDP) 4739 D Erler (SPD) 4743 A Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 4750 B Schmidt (Hamburg) (SPD) . . 4758 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . 4768 A Persönliche Erklärung gemäß § 36 GO Wehner (SPD) . . . . . . . 4768 B Persönliche Bemerkung gemäß § 35 GO Majonica (CDU/CSU) 4768 D Nächste Sitzung 4768 D Anlagen . . . . . . . . . 4769, 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4681 87. Sitzung Bonn, den 5. November 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 10.04 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 4769 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Graf Adelmann 25. 11. Dr. Atzenroth 7.11. Fürst von Bismarck 7. 11. Börner 7. 11. Dr. Brecht 6. 11. Dr. Bucerius 6. 11. Drachsler 6. 11. Dr. Greve 15. 11. Dr. Gülich 15. 12. Hahn 28. 11. Dr. Hellwig 6. 11. Heye 25. 11. Hilbert 1. 12. Jacobs 15. 11. Jahn (Frankfurt) 15. 12. Josten 15. 11. Junghans 7. 11. Kisters 28. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 25. 11. Dr. Kohut 28. 11. Kreitmeyer 25. 11. Lenz (Trossingen) 6. 11. Lücker (München) 7. 11. Maier (Freiburg) 15. 12. Matthes 15. 11. Müller-Hermann 6. 11. Müser 7. 11. Pietscher 6. 11. Prennel 6. 11. Probst (Freiburg) 25. 11. Dr. Ratzel 7. 11. Scharnowski 6. 11. Frau Schmitt (Fulda) 25. 11. Schüttler 6. 11. Dr. Seffrin 7. 11. Seidl (Dorfen) 5. 11. Stahl 6. 11. Stierle 7. 11. Dr. Toussaint 5. 11. Dr. Vogel 25. 11. Walpert 12. 11. Weinkamm 7.11. b) Urlaubsanträge Dr. Burgbacher 25. 11. Anlage 2 Umdruck 408 Antrag der Fraktion der SPD betr. die internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1244). Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen. Bonn, den 5. November 1959 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Erklärung zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung. Die Unterzeichneten begründen ihre Ablehnung d es Antrages des Außenhandelsausschusses zum Antrag der SPD betreffend Aussetzung des Butterzolls (Drucksache 1344) wie folgt. Der Antrag des Außenhandelsausschusses betreffend Aussetzung des Butterzolles bringt weder dem Verbraucher noch dem Staat, sondern nur dem ausländischen Exporteur Nutzen. Er ist außerdem unvereinbar mit dem Sinn und dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes. Regierungsvertreter und Opposition haben im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich erklärt, daß sie eine Senkung des Butterpreises durch die Aussetzung des Butterzolles nicht erwarten. Die Unterzeichneten befürchten, daß infolge der weiteren Verknappung des internationalen Buttermarktes die Preise sogar weiter steigen werden. Sie wünschen aber die Verhinderung solcher Preissteigerungen. Unserer Meinung nach dient diese Politik nicht dem deutschen Verbraucher. Die Aussetzung des Butterzolls wird nicht zu einer Senkung der Butterpreise beitragen. Schon jetzt haben die ausländischen Exporteure erklärt, daß sie bei Fortfall des Zolles ihres Preise entsprechend heraufsetzen werden. Nach der Aufhebung des Kartoffelzolles haben die holländischen und polnischen Exporteure die Kartoffelpreise dem Zollausfall entsprechend ebenfalls erhöht. Für die Landwirtschaft dürfen wir die Versicherung abgeben, daß sie durch Zukauf und Verfütterung von Kraftfuttermitteln zur Steigerung der Milchproduktion beitragen wird. Eine Herabsetzung des Butterkonsums durch den Verbraucher ist nicht erforderlich. Es genügt völlig, den Verbrauch bis zum Jahresende auf der Höhe des Vorjahres zu halten. Die Unterzeichneten schlagen eine Andienungspflicht der Butterimporte an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette zu Weltmarktpreisen und die Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle durch 4770 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. November 1959 die Bundesregierung vor, diese Preise mit Hilfe dafür verfügbarer Abschöpfungsbeträge angemessen zu verbilligen. Wir glauben, daß hierdurch eine weitere Preissteigerung verhindert werden kann. Eine Aussetzung des Butterzolles muß als dem Sinn dem Landwirtschaftsgesetzes widersprechend abgelehnt werden. Wittmer-Eigenbrodt Dr. Reinhard Hackethal Krug Meyer Wittmann v. Lindeiner-Wildau Gehring Gassmann Bauknecht Dr. Reith Stauch Knobloch F. Fritz Solke Hesemann Sühler Bauer Schulze-Pellengahr Riedel (Frankfurt) Mensing Gibbert F. Storm Bauereisen Lermer Spies Engelbrecht-Greve Lenze Dr. Conring v. Bodelschwingh Dr. Gossel Wacher Burgemeister W. Brese
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
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    Meine Damen und Herren, eine kurze Bemerkung! Es sind aus dem Hause — ich betone ausdrücklich: aus dem Hause -bis jetzt noch 15 Redner gemeldet. Ich bitte, wenn weitere Redner vorgesehen sind, dies bis etwa 18.30 Uhr zu melden, damit wir uns über die Zeiteinteilung schlüssig werden können.
    Zunächst hat das Wort als Mitglied des Bundesrats der Regierende Bürgermeister Brandt.
    Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sich die Vertreter der Fraktionen dieses Hohen Hauses geäußert haben und bevor sich die Debatte sicher interessanten Einzelfragen zuwendet, die vermutlich nicht alle einheitlich beantwortet werden, liegt mir



    Regierender Bürgermeister Brandt
    daran, ein Wort zu jenem Teilproblem sagen zu dürfen, das heute mit zur Erörterung steht, das „Berlin" heißt.
    Mir liegt zunächst daran, für meine Mitbürger und Mitbürgerinnen allen Teilen dieses Hohen Hauses und der Bundesregierung Dank dafür zu sagen, daß wir uns — und das geht über dieses Hohe Haus hinaus an breite Teile der westdeutschen Öffentlichkeit in den hinter uns liegenden Monaten einer ernsten, schweren politischen Krise in sehr viel Anteilnahme, moralische und praktische Unterstützung eingebettet wissen durften. Das hat uns wohlgetan, das hat es uns leichter gemacht, mit dem Druck dieser Krise fertig zu werden.
    Ich darf dem ein weiteres Wort hinzufügen. Hier ist davon gesprochen worden, daß die unmittelbar mit der Stellung Berlins zusammenhängenden Fragen durchweg einheitlich beantwortet worden sind. Ich wäre von Herzen froh, wenn das auch weiterhin der Fall wäre. In der Stadt Berlin selbst war das Zusammenrücken der beiden großen Parteien und aller Kräfte guten Willens eine der Voraussetzungen dafür, den Anschlag auf die Moral der Bevölkerung von Berlin und auf die wirtschaftliche Stabilität der Stadt abzuwehren. Dieser Anschlag ist abgeschlagen worden. Darum wird es nötig sein, dort auch weiterhin, wenn neue Bedrohungen kommen sollten, ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten.
    Einer der Herren Diskussionsredner hat heute aufn von Berlin als der Hauptstadt Deutschlands gesprochen. Vor zwei Jahren oder etwas früher haben wir in diesem Hohen Hause fast einmütig eine Entschließung angenommen, die von der Aussage ausging, daß Berlin die Hauptstadt Deutschlands sei. Wir haben uns damals — ich gehörte diesem Hohen Hause zu jener Zeit noch an — auf eine Reihe von praktischen Maßnahmen geeinigt, die dazu beitragen sollten, Berlin auf die hauptstädtische Aufgabe vorzubereiten, die es wieder wahrzunehmen haben wird, wenn die Wiederherstellung der staatlichen Einheit gelungen sein wird. Es ist vielleicht nicht unangebracht, auf den Abstand von 1957 bis heute auch in unserer eigenen Ausdrucksweise, in unserer Aufgabenstellung und Zielsetzung hinzuweisen. Ohne daß jemand die Vorstellung aufgegeben haben wird, die mit der Hauptstadtaufgabe Berlins zusammenhängt, tritt eine neue Sicht der Dinge ein. Darin drückt sich etwas aus, was mit der deutschen Frage und wohl auch unserer eigenen Vorstellung über die Entwicklung der deutschen Frage in diesen zwei Jahren zusammenhängt.
    Ich habe es dankbar begrüßt, daß der Herr Bundesaußenminister heute in seiner Erklärung von Berlin als einem integralen Bestandteil der Bundesrepublik gesprochen hat. Wir hatten uns in früheren Jahren nicht immer so klar und so bestimmt auf diese Formel verständigen können. Aber so war es, so ist es, ohne daß wir jemals in Berlin oder hier daran gedacht hätten, die übergeordneten Rechte und Verantwortlichkeiten der Mächte in Berlin und für Berlin anzutasten.
    Zu dem Bedeutsamen des Jahres der Berlin-Krise, das hinter uns liegt, gehört, daß die — ich sagte es
    schon — Moral der Bevölkerung nicht erschüttert werden konnte; daß die Wirtschaft stabil geblieben ist; daß es, gestützt auf unsere eigene Arbeit und die Hilfe unserer Freunde gelungen ist, die wirtschaftliche Lage gegenüber dem Vorjahr sogar etwas zu verbessern, und daß es nicht gelungen ist, Berlin in der Welt zu isolieren, wie man es vorhatte. Aber ich darf doch als meine und meiner Berliner Freunde Überzeugung sagen, daß es in der nächsten Runde, wenn auch vermutlich verbunden mit weniger Friedensgefährdung als in der vorigen, noch einmal in allem Ernst um den Versuch der Trennung Berlins vom freien Teil Deutschlands gehen wird.

    (Sehr wahr!)

    Wir sind der Überzeugung, daß wir in Berlin den Appell an die, die Verantwortung tragen, wie es dieses Hohe Haus in seiner Gesamtheit tut, richten müssen, uns dabei zu helfen, daß die Lebenslinien zwischen Berlin und dem freien Teil Deutschlands nicht durchschnitten, auch nicht angerührt werden, und zwar aus drei Gründen. Erstens deshalb, weil die Formel von der Freiheit und der Sicherheit für die Bevölkerung von Westberlin nur dann eine befriedigende Formel ist, wenn sie das Wissen darum mit einschließt, daß diese Stadt nur als ein Teil des Währungs- und Wirtschafts- und des Rechtssystems des freien Deutschlands d. h. der Bundesrepublik leben und sich entfalten kann.

    (Beifall.)

    Zweitens, weil der Jammer der deutschen Spaltung, der widernatürlichen Zerklüftung Deutschlands, gewiß nicht gelindert, sondern vergrößert werden würde, wenn es dazu käme, ein drittes Staatsfragment auf deutschem Boden zu errichten. Drittens, weil ein Vertrauensschwund ausgelöst werden würde, der einem schleichenden Gift gleichkommen müßte, wenn wesentliche Rechte in Berlin geschmälert, geschweige denn aufgegeben werden würden.
    Ich meine, weil es sich nicht lohnt, mit anderen als offenen Karten zu spielen, haben wir alle miteinander die Pflicht, gestützt auch auf die Verträge, die zwischen der Bundesrepublik und den Westmächten geschlossen sind, offen zu sagen, wie es um das Verhältnis Bund—Berlin steht. Es muß auch für die Zukunft gelten, was sich unter dem Dach der alliierten Oberverantwortung und mit Wissen und Zustimmung der allierten Mächte an rechtlicher und tatsächlicher Verbindung und Verknüpfung zwischen Berlin und dem deutschen Westen ergeben hat.
    Einer der Herren Diskussionsredner hat bei der Warnung vor kritischen Entwicklungen heute ge- sagt, bei den Fahnen in Berlin fange es an. In den letzten Tagen hat es manches Rätselraten darüber gegeben, ob wegen der Flaggenfrage schon in den nächsten Tagen Zusammenstöße auf Westberliner Boden zu erwarten seien.
    Ich darf das Hohe Haus in wenigen Sätzen noch einmal daran erinnern, worum es ging. Es ging darum, daß während der Laufzeit des Stillhalteabkommens, das der amerikanische Präsident und der sowjetische Ministerpräsident in der Berlin-Frage



    Regierender Bürgermeister Brandt
    der Sache nach getroffen haben, Provokateure aus dem anderen Teil Deutschlands ihr Symbol, das Symbol der deutschen Teilung, auf West-Berliner Gebiet getragen und damit die Absicht verbunden haben, Hoheitsansprüche auf einen Teil West-Berliner Gebiets geltend zu machen, Enklaven entstehen zu lassen, von denen aus Ruhe und Ordnung in West-Berlin gefährdet werden könnten.
    Heute morgen hat das Zentralorgan der kommunistischen Einheitspartei noch einmal den unsinnigen Anspruch geltend gemacht, daß das Eisenbahngelände der sogenannten DDR gehöre. Das ist falsch, und damit wird die Zone nicht durchkommen.

    (Lebhafter Beifall.)

    Aber im „Neuen Deutschland" steht heute morgen auch etwas anderes, nämlich, daß Brandts Bürgerkrieg nicht stattfinden werde. Nun, meine Damen und Herren, das soll heißen, daß auf den Versuch, die Flaggen dieser Tage erneut zu hissen, verzichtet worden ist. Ich möchte hier vor aller Öffentlichkeit sagen: ich freue mich aufrichtig darüber, daß es Stellen gegeben hat, die den Zonenbehörden in dieser Sache ein ordnendes Wort gesagt und ihnen einen guten Rat gegeben haben.

    (Abg. Dr. Mommer: Sehr gut! — Zustimmung bei der SPD.)

    Uns gelüstet in Berlin nicht nach Konflikten und Zusammenstößen. Wir möchten unsere Stadt weiter aufbauen. Wir möchten weiter daran arbeiten, eine Trümmerwüste umzuwandeln in eine Stätte wirtschaftlicher und geistiger Aktivität, und wir würden auf diesem Wege des Aufbaus der eigentlichen deutschen Hauptstadt noch rascher vorankommen, wenn nicht gewisse Leute von Zeit zu Zeit eine Krise vom Zaune brächen.
    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch einmal unterstreichen, wie sehr es uns bei allem, was sonst umstritten sein mag, darauf ankommen muß, in der Stadt Berlin loyal mit unseren Landsleuten und denen, die im deutschen Westen für sie sprechen, sowie mit den Freunden draußen in der Welt zusammenzuwirken, wie sehr uns auch daran liegen muß, genau hinzuhören, wenn dort, wo wir leben und wohnen, das Wort der Landsleute in der Zone an unser Ohr dringt.
    Zweierlei sagt man uns in diesen Tagen und Wochen immer wieder. Das eine: Ihr werdet vielleicht, eingeordnet wie ihr seid in einen größeren internationalen Zusammenhang, auch durch diese Krise hindurchkommen; aber wird das nicht bedeuten— so fragen die Menschen im andern Teil Deutschlands —, daß sich unsere Hoffnung auf den Tag des Wiederzusammenfügens des deutschen Volkes noch weiter verringert? Und das andere, das an unser Ohr dringt, ist: Falls das Licht in Berlin ausgehen sollte, bliebe uns — so sagen die Menschen in der Zone — nur noch die schwarze Verzweiflung.
    Es ist nicht meine Sache und nicht Sache eines Mitglieds des Bundesrates, auch nur den Versuch eines Beitrags zu den hier zu erörternden Fragen der Wiedervereinigungspolitik zu machen. Aber
    ich darf meiner Überzeugung Ausdruck geben: so wie die Dinge heute liegen, bleibt die Berliner Frage, bleibt Berlin in der Diskussion, mit seinen im freien Teil, wie hier richtig gesagt wurde, 21/4 Millionen, aber in ,ganz Berlin 31/2 Millionen Menschen, und die Menschen im anderen Teil der Stadt denken so wie die 21/4 Millionen im westlichen Teil.

    (Allseitiger lebhafter Beifall.)

    Auch das ist eine Entwicklung, die sich vollzogen hat. Ich sage es in ,gar keiner polemischen Absicht. Aber das Thema hat sich verengt, es ist durch die Entwicklung schon viel zu sehr ein „West-BerlinThema" geworden, obwohl es, nach den ursprünglichen Abmachungen der Mächte, ein „Gesamtberlin-Thema" sein müßte.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Denn wenn man sich auf Vier-Mächte-Abmachungen stützt, sollte man daran denken, daß diese Vier-Mächte-Abmachungen 1944 und 1945 für ganz Berlin getroffen worden sind.

    (Erneuter lebhafter Beifall auf allen Seiten.)

    Aber wie dem auch sei: Berlin bleibt in dieser Runde und in der nächsten noch einmal das nächste Glied im Ringen um die Wiederherstellung unserer staatlichen Einheit. Ich habe selbst — auch außerhalb der Grenzen unseres Landes — erfahren dürfen, wie am Beispiel des Ringens um Berlin in dem hinter uns liegenden Jahr manches in der Welt in bezug auf das Schicksal Deutschlands klarer gemacht werden konnte. Ich bin, gestützt auf diese Erfahrungen, fest davon überzeugt, daß es in der Welt noch stärkere Reserven im Ringen um die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands gibt, als mancher annehmen möchte, Reserven zumal bei denen, die erkennen, daß es sich hierbei nicht nur um einen Lebensanspruch dieses Volkes, sondern auch um ein wohlverstandenes gemeinsames Interesse derer handelt, die den Frieden in diesem Teil der Welt erhalten und sichern möchten.
    Aber gestützt auf diese Erfahrungen in dieser Krise in und um Berlin bin ich auch stärker denn je davon überzeugt, daß es eine andere Reserve gibt: sie liegt in unserem Volk selber, sie liegt in dem Willen dieses Volkes und in unserer Fähigkeit, die geistigen Kräfte und moralischen Reserven unseres Volkes auf den jeweils entscheidenden Punkt zu konzentrieren.
    Ich darf Ihnen sagen: Berlin wird auch in der Zeit, die vor uns liegt, nicht versäumen, sich zumindest ehrlich darum zu bemühen, seinen bescheidenen Beitrag zum Ringen um die deutsche Einheit zu leisten. Berlin vertraut darauf, daß es nicht allein gelassen, daß es nicht abgeschnitten wird, sondern daß es eingeordnet bleibt in den Zusammenhang des freien Teils Deutschlands bis zu dem Tag, an dem wir die widernatürliche Spaltung unseres Volkes überwunden haben werden.

    (Lebhafter Beifall auf allen Seiten.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Jaksch.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wenzel Jaksch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstmalig steht in dieser Aussprache auch das Verhältnis der Bundesrepublik zu den osteuropäischen Ländern zur Diskussion, wenn auch als Nebenthema im Vergleich zu den Hauptthemen, die heute bereits erörtert worden sind.
    Unzweifelhaft stellt das künftige Verhältnis eines freien Deutschland zu der bunt gegliederten und kraftvoll aufstrebenden Völkerwelt Osteuropas ein Kardinalproblem dar, mit dem sich das Haus noch einmal gesondert und mit gebotener Gründlichkeit befassen sollte. Hier geht es nicht nur um unsere Gegenwartssorgen, sondern auch um die Wiederaufnahme jahrhundertealter Traditionen, die mit den glänzendsten Namen des deutschen Geisteslebens, eines Goethe, eines Herder, der Brüder Grimm, verknüpft sind.
    Auch die Lage der deutschen Bevölkerungsteile, die bei dem großen Leidenszug der „zweiten Völkerwanderung" in den Vertreibungsgebieten zurückbleiben mußten, würde zu gegebener Zeit eine breitere Erörterung von der Tribüne dieses frei gewählten deutschen Parlaments aus verdienen. Dank der unermüdlichen Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes wird uns von Zeit zu Zeit die Zahl der unerledigten Anträge auf Familienzusammenführungen zwischen deutschen Menschen in den Vertreibungsgebieten und ihren Angehörigen in der Bundesrepublik mitgeteilt. Das ist ein trauriges Kapitel, das wir aus der heutigen Diskussion nicht ganz ausklammern können. Auch auf seiten der Regierungen, die für die Erledigung dieser Anträge zuständig sind, sollte man 14 Jahre nach Beendigung der Kampfhandlungen endlich den Geboten der Menschlichkeit folgen.

    (Beifall bei der SPD.)

    In Art. XIII des Potsdamer Abkommens steht kein Wort davon, daß es diesen Regierungen anheimgestellt sei, sich schollengebundene Leibeigene zu halten, etwa nach dem Vorbild der russischen Fürsten der Zarenzeit. Es ist ein einfaches und unabdingbares Menschenrecht, daß Angehörige einer entwurzelten Bevölkerung selbst über ihr Domizil entscheiden können.
    Ich habe dies hier kurz sagen wollen, um darzutun, daß uns zu dem vorliegenden Antrag Drucksache 1244 nicht nur politische, sondern auch humanitäre Gründe bewegt haben. Wir haben heute aus dem Munde des Herrn Bundesaußenministers gehört, daß er den Zeitpunkt für die Anknüpfung diplomatischer Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten noch nicht als gegeben erachte. Wir bedauern diese zeitlichen Vorbehalte, weil leider noch viele alte Menschen sterben werden, ehe sie ihre Kinder wiedersehen, wenn die Anträge auf Familienzusammenführung aus politischen Gründen bis dahin unerledigt bleiben sollten.
    Es ist der Sinn des vorliegenden Antrages der SPD-Fraktion dieses Hauses, daß wir uns an den Fragenkomplex einmal in seiner Gesamtheit heranarbeiten. Wir übersehen keineswegs die Tatsache, daß wir es jenseits des. Eisernen Vorhanges mit
    kommunistischen Regierungen zu tun haben. Wir sind auch nicht so naiv, zu glauben, daß durch die Errichtung bundesdeutscher Konsulate oder Gesandtschaften eine Zersetzung des Ostblocks irgendwie wesentlich gefördert werden könnte. Es gibt aber immerhin graduelle Unterschiede etwa zwischen der Sowjetunion, wo eine Monopolpartei seit 40 Jahren die Herrschaft ausübt, und anderen Ostblockstaaten, die erst vor 12 oder 14 Jahren in sogenannte Volksdemokratien umgewandelt sind. Diese Kohäsion, diese inneren Bindungen im Ostblock dürfen wir durch eine negative Haltung von uns aus nicht noch weiter verstärken. Ich bitte die Damen und Herren der Mehrheitsfraktionen dieses Hauses, sich bei der Beurteilung unseres Antrages vor Augen zu halten, welchen fatalen Eindruck ein ständiges Zuschlagen der Tür auf der anderen Seite des Eisernen Vorhanges hervorrufen müßte.
    Uns kommt es bei diesem Antrag darauf an, möglichst bald mit konstruktiven Vorzeichen zu einer sachlichen Klärung des ganzen Fragenkomplexes zu gelangen. Ein erster Schritt in dieser Richtung war wohl die Entscheidung des Außenpolitischen Ausschusses, über diesen heiklen Problemkreis keine Kampfabstimmungen vorzunehmen, sondern eine Arbeitsgruppe mit der Behandlung aller damit zusammenhängenden Einzelprobleme zu betrauen. Um eine Trübung des Arbeitsklimas durch Pressemeldungen zu vermeiden, möchte ich hierzu ausdrücklich feststellen, daß bei dieser Entscheidung keine Partei überfahren oder unter Druck gesetzt wurde, sondern daß eine sachliche Übereinstimmung aller Parteien des Hauses über reine Verfahrensfragen vorliegt.
    Unser Antrag ist als Rahmenauftrag gedacht. Er würde daher auch in formaler Beziehung eine Grundlage für die Beratungen der Arbeitsgruppe und für einen entsprechenden Bericht des Außenpolitischen Ausschusses darbieten. Es ist außerdem der Sinn unseres Antrages, einer neuen Ara freundschaftlicher und konstruktiver Beziehungen zwischen dem deutschen Volk und den osteuropäischen Völkern den Weg zu ebnen. Wir wollen allerdings nicht, daß eine deutsche Bereitschaft zur Überwindung des Trennenden ins Leere stößt. Deswegen sollen die Voraussetzungen durch interne Beratungen geklärt werden.
    Über eine fundamentale Tatsache sollten wir uns in diesem Hohen Hause jedoch im klaren sein: diplomatische Beziehungen bedeuten weder Geschenke an die andere Seite noch Konzessionen von unserer Seite. Solche Beziehungen haben um ein Wort meines Fraktionskollegen Kühn hier mit einzuflechten — ihre Bedeutung als ein wertfreies Instrument zur Wahrung unserer eigenen Interessen in anderen Ländern. Daß die Bundesrepublik bei solchen Regelungen die entsprechenden gebietsrechtlichen und heimatrechtlichen Vorbehalte anmelden muß, die sich aus der grundsätzlichen Anfechtung der Vertreibungsbeschlüsse von Potsdam und aus den einschlägigen Beschlüssen des Bundestages ergeben, entspricht durchaus auch dem programmatischen Standpunkt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

    (Beifall bei der SPD.)




    Jaksch
    Dazu hat übrigens mein Fraktionskollege Karl Mommer als Sprecher meiner Parteifreunde auf dem letzten Kongreß der Interparlamentarischen Union unmißverständliche Erklärungen abgegeben, wohlgemerkt, meine Damen und Herren: auf Warschauer Boden. Auf diese Weise wurde auch der polnischen Öffentlichkeit ausdrücklich zur Kenntnis gebracht, daß die im Potsdamer Abkommen zugesicherte friedensvertragliche Regelung der deutschen Ostgrenzen für alle deutschen Parteien ein Kernstück ihrer Politik darstellt. Kollege Mommer hat ausdrücklich noch hinzugefügt, daß wir dabei an einen Friedensvertrag denken, der mit einem deutschen Staat und mit einer frei gewählten deutschen Regierung zu vereinbaren ist.
    Genauso harrt auch die Frage des Heimatrechtes der Sudetendeutschen, dessen Wahrung durch eine gemeinsame Erklärung aller demokratischen Parteien des 1. Bundestages in die Obhut der Bundesrepublik genommen wurde, einer einvernehmlichen Lösung.
    Vielleicht kann ich an diesem Punkt einen Beitrag zur Vereinfachung der Debatte leisten. In Zwischenbemerkungen wurde von Kollegen aus der CDU-Fraktion auf verschiedene Stellungnahmen im „Vorwärts" hingewiesen. Ich nehme an, daß dieses Thema auch noch auf dem Programm der nachfolgenden Redner steht. Dazu lassen Sie mich sagen: für uns alle sollte wohl das positive Moment maßgebend sein, daß auch der Sprecher der Opposition heute mit der vollen Autorität seiner Stellung die Thesen vom Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und vom Heimatrecht der Vertriebenen als tragende Grundsätze der sozialdemokratischen Politik unterstrichen hat.
    Für die Regierungen in Warschau und Prag mag in diesem Zusammenhang der Hinweis eines heimatvertriebenen Sozialdemokraten interessant sein, daß die Kampagne gegen den sogenanten Revanchismus der Landsmannschaften und Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik bisher genau das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielt hat. Es ist ein völlig aussichtsloses Beginnen, die völkerrechtliche Ausgangslage in dieser Erörterung auf den Kopf stellen zu wollen. Ich darf mich in dieser Frage auf ein gewichtiges Zeugnis berufen, nämlich auf das Zeugnis des Deutschlandministers der ersten britischen Nachkriegsregierung, John Hynd. In einer großen Aussprache des Unterhauses über die gegenüber einem friedlichen und demokratischen Deutschland einzuschlagende Politik — sie fand am 23. März 1949, also knapp vier Jahre nach Beendigung der Feindseligkeiten, statt — stellte John Hynd fest, daß die demokratischen Parteien Westdeutschlands durch das Potsdamer Abkommen in eine schwierige Lage gebracht worden seien. Der ehemalige Deutschlandminister warnte davor, von den Deutschen zu erwarten, daß sie über eine geplante Annexion der Saar oder Schlesiens begeistert sein würden. Wenn sich die Deutschen für die Rückgabe Schlesiens einsetzten — sagte John Hynd wörtlich —, so sei dies kein Revisionismus und kein Nationalismus, denn die Frage der endgültigen staatlichen Zugehörigkeit Schlesiens — und damit meinte er wohl ganz Ostdeutschland — sei noch nicht entschieden. In einem ähnlichen Sinne hat sich übrigens in derselben Parlamentsdebatte auch der heutige britische Premierminister Macmillan geäußert.
    Diese profunden Erkenntnisse führender englischer Politiker sind allerdings mittlerweile auf dem Wege zwischen Westminster und der Fleet-street teilweise verlorengegangen. Wir unsererseits sollten aber alles vermeiden, was die ursprüngliche Fairneß des britischen Inselvolkes gegenüber einem besiegten und aufgeteilten Deutschland nachträglich noch in die Bahn gegenseitiger Enttäuschungen lenken könnte.
    Wie gut die Ausgangsposition in den Fragen der deutschen Ostgrenzen und der künftigen Friedensregelung ursprünglich in England war, ist mir erst dieser Tage beim Nachlesen eines Artikels in der angesehenen Londoner Zeitschrift „Economist" vom 3. Mai 1947 zum Bewußtsein gekommen. Ich muß es mir versagen, auf den Inhalt dieses Artikels näher einzugehen, obwohl er rein von der geistigen Schau her ein interessanter Beitrag zu unserer heutigen Aussprache wäre. Er ist eines der glänzendsten Plädoyers, die ich bisher von ausländischer Seite für die deutschen Ansprüche auf die 'Gebiete jenseits der Oder und Neiße zu lesen bekam. Ich habe diesen Artikel erwähnt, um einen beklagenswerten Terrainverlust der deutschen außenpolitischen Position während der letzten Jahre aufzuzeigen, mit dessen Ursachen wir uns in diesem Hause auseinanderzusetzen haben.
    In der letzten Zeit lesen wir in den Spalten der Londoner „Times" kategorische Aufforderungen an die Adresse der Bundesrepublik, die von den Signatarmächten des Potsdamer Abkommens eingeräumten völkerrechtlichen Positionen preiszugeben und die polnischen Ansprüche auf die deutschen Ostgebiete kurzerhand anzuerkennen. Ich bin allerdings, was die Haltung der „Times" in osteuropäischen Fragen angeht, einigen Kummer gewohnt. Ich habe dieses Blatt aus der Zeit vor 1938 noch als Bannerträgerin der Politik des „appeasement" in Erinnerung, als es darum ging, den Herrschaftsbereich Hitlers zu erweitern und ihm eine möglichst gute Ausgangsposition für einen Angriffskrieg zu sichern.
    Mit geziemendem Respekt vor der Meinungsfreiheit der Presse in befreundeten Ländern möchte ich hierzu doch sagen, daß die „Times" wenig Anspruch darauf hat, der deutschen Demokratie gegenüber den belehrenden Zeigefinger zu erheben. Man kann das unbegründete Vertrauen, das seinerzeit Hitler entgegengebracht wurde, nicht nachträglich durch unbegründetes Mißtrauen gegen die deutsche Demokratie kompensieren.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten in der Mitte und rechts.)

    Für die deutsche Öffentlichkeit stellt sich durch solche Vorkommnisse die Frage, was die Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren getan hat, um sich mit dem Stimmungsrückgang in einigen westlichen Ländern in den Fragen der deutschen Ostgrenzen und des Heimatrechtes der Vertriebenen auseinanderzusetzen. Es sind uns ja schließlich,



    Jaksch
    was diese großen Anliegen des deutschen Volkes anlangt, von maßgebenden Staatsmännern des Westens auch einige Hoffnungen gemacht worden. Ich erinnere nur daran, welche moralische Stärkung die deutsche Demokratie durch jene historische Stuttgarter Rede von Staatssekretär Byrnes im Jahre 1946 erfuhr, in der er doch ganz eindeutig sagte, daß nach amerikanischer Auffassung die in Potsdam gezogenen Demarkationslinien nicht das letzte Wort der Geschichte sein sollen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Noch klarer hat dies der große Staatsmann George Marshall anläßlich der Londoner Außenministerkonferenz von 1947 ausgesprochen. In einem Rededuell mit Molotow hat Staatssekretär Marshall damals erklärt, bei der Festsetzung der deutschen Ostgrenzen müßten die Bedürfnisse der wirtschaftlichen und politischen Stabilität in Europa und außerdem die Wünsche der evakuierten Bevölkerungen berücksichtigt werden. Schließlich haben wir noch anläßlich des Treffens von Präsident Eisenhower mit dem damaligen britischen Premierminister Winston Churchill im Jahre 1954 im Kommuniqué lesen können, die beiden Staatsmänner hätten sich darauf geeinigt, daß der Weltfrieden auf die Grundsätze der Atlantic Charta begründet werden sollte, die sie neuerlich gemeinsam bekräftigten Wohlgemerkt: noch im Jahre 1954!
    Meine Damen und Herren, solche Erklärungen bedeuten natürlich auch politische und moralische Verbindlichkeiten gegenüber den Völkern. Denn die Demokratie kann es sich auf die Dauer nicht leisten, angesichts der Probleme einer praktischen Friedensgestaltung ihre feierlich verkündeten Prinzipien immer wieder über Bord zu werfen.

    (Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

    Für eine deutsche Öffentlichkeitsarbeit in den verbündeten und neutralen Ländern im Sinne der Friedenswünsche und der berechtigten Anliegen des deutschen Volkes gäbe es also nach unserer Überzeugung genügend Anhaltspunkte. Eine Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses des letzten Bundestages hat dazu in einem sorgfältig ausgearbeiteten Dokument, dem sogenannten Paul-Bericht, eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Dieser Bericht wurde auch vom Auswärtigen Ausschuß einstimmig angenommen. Er kam leider in der Torschlußsituation vor den letzten Bundestagswahlen nicht mehr zur Abstimmung im Plenum, was wir sehr bedauern, weil er eine Willenserklärung einer berufenen parlamentarischen Körperschaft und damit auch eine nützliche Direktive für das Auswärtige Amt bedeutete. Einiges davon, wie der Ausbau der Ostabteilung des Auswärtigen Amts und die Schaffung einer recht bescheidenen Dokumentenstelle im Auswärtigen Amt, ist mittlerweile verwirklicht worden. Auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit in den verbündeten und neutralen Ländern hat die Bundesrepublik mit ihren beachtlichen finanziellen Hilfsquellen leider bisher weniger geleistet, als die Exilgruppen der polnischen und tschechischen Emigration zu leisten imstande waren.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Weithin im Lande draußen wird heute die Frage erörtert, was das Bundespresseamt mit den beträchtlichen Mitteln, über die es verfügt, auf diesem Gebiete bisher geleistet oder, richtiger gesagt, nicht geleistet hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, ehe ich zum Schluß komme, noch einige Bemerkungen zur Aufnahme der hier schon mehrfach zitierten jüngsten Erklärungen des französischen Ministerpräsidenten, Herrn Debré, durch amtliche bundesdeutsche Stellen machen. Sicher waren diese Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten zur Frage der „Oder-Neiße-Grenze", wie er sich ausdrückte, in zweideutige Wendungen eingepackt. Aber sie sind weder von der französischen Presse noch von der „Trybuna Ludu" in Warschau und auch nicht von Herrn Chruschtschow mißverstanden worden, wie wir seinen Darlegungen vor dem Obersten Sowjet schwarz auf weiß entnehmen konnten.
    Nur in Bonn hat man die tragische Bedeutung dieser offiziellen Stellungnahme des französischen Regierungschefs mißverstehen wollen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Der Chef des Bundespresseamtes, Herr Staatssekretär von Eckardt, hat sie sogar in einer Weise verniedlicht, die es Herrn Debré ermöglichte, nachträglich zu erklären, er sei eigentlich mit Bonn einig. Meine Damen und Herren, ich habe den Wortlaut der diesbezüglichen Äußerungen des Chefs des Bundespresseamtes hier. Es ist geradezu ein Gebot der christlichen Nächstenliebe, dieses Gestammel nicht dem Protokoll des Bundestages einzuverleiben.

    (Zustimmung und Heiterkeit bei der SPD und der FDP.)

    Man muß sich immer wieder wundern, aus welcher inneren Haltung solche Erklärungen abgegeben werden.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: Der arme Mann!)

    Ich möchte hier, ohne das Thema nochmals in voller Breite zu behandeln, die Frage aufwerfen, die ich gern von zuständiger Stelle beantwortet hätte, wie lange wir noch in dieser schicksalsschweren Angelegenheit eine Vogel-Strauß-Politik betreiben wollen. Man weiß doch hier ganz genau, daß es sich nicht um Einzelbemerkungen handelt, sondern daß die diesbezüglichen Erklärungen des Herrn de Gaulle an Deutlichkeit überhaupt nichts zu wünschen übrig ließen. Ich meine damit seine Stellungnahme vom 25. März 1959, in der er erklärte — ich darf dies im Wortlaut zitieren —:
    Die völlig freie Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands erscheint uns als das normale Schicksal des deutschen Volkes, unter der Voraussetzung, daß dadurch nicht die gegenwärtigen Grenzen gegenüber dem Westen, dem Osten, dem Norden und dem Süden in Frage gestellt werden.



    Jaksch
    Auch hier wurde bereits von einer deutschen Grenze im Osten gesprochen. Ich bitte, das mit zu beachten.
    Ganz katastrophal aber vom deutschen Standpunkt aus war die Vertierung, die in einer Debatte der franzöischen Nationalversammlung am 30. April dieses Jahres der Sprecher der Christlichen Volkspartei, Maurice Schuman, früheren Auslassungen de Gaulles dieser Art gegeben hat. Ich zitiere hier nach dem Bericht einer sehr seriösen Tageszeitung, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die schließlich der Bundesregierung nicht feindselig gegenübersteht.

    (Zuruf von der SPD: Na, na! Das sagen Sie so aus christlicher Nächstenliebe! — Heiterkeit.)

    Dort werden die Ausführungen des Herrn Schuman wie folgt wiedergegeben:
    Auch die Wiedervereinigung in Freiheit sei denkbar, wenn dabei, wie General de Gaulle erklärt hätte, die Oder-Neiße-Linie anerkannt würde, die seinerzeit nicht von Frankreich, sondern von den drei Großmächten vorgezeichnet worden war.
    Bitte, jetzt folgendes zu beachten — auch diesen Wortlaut darf ich hier noch mit einflechten —:
    Bei diesen Worten
    — so lautet der Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung"
    unterbrach großer Beifall den Redner, besonders auch, als er hervorhob, mit welcher Würde der Bundeskanzler und die Bundesregierung diese Stellungnahme de Gaulles aufgenommen hätten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Eine weitere Illustration zu diesem Thema bietet das Vorwort des französischen Botschafters in Warschau, Brugiere, zu dem Buch des polnischen Historikers Krakowski „Die polnische Grenze und der deutsche Revisionismus". Dort heißt es:
    Heute liegt die tatsächliche deutsch-polnische Grenze an der Oder-Neiße-Linie und stabilisiert sieht dort, obwohl kein Friedensvertrag sie offiziell anerkannt hat. Aber es ist undenkbar, daß es unserer Diplomatie nicht am Herzen liegen sollte, sie sehr bald von allen anerkannt zu sehen.
    Das sagt der französische Botschafter in Warschau in einem Vorwort zu einem polnischen polemischen Buch gegen den deutschen Standpunkt.
    Meine Damen und Herren, durch diese offiziellen und offiziösen Kundgebungen von französischer Regierungsseite wird wahrhaftig ein sehr ernstes Problem aufgeworfen, nämlich das Problem der politischen und moralischen Substanz der westeuropäischen Bündnispolitik. Ich verweise hier auf ganz eindeutige Festlegungen, die sowohl im Deutschlandvertrag als auch in der Schlußakte der Londoner Neun-Mächte-Konferenz des Jahres 1954 getroffen wurden. In dem Deutschlandvertrag Artikel 7 Absatz 1 wird gesagt:
    Die Unterzeichnerstaaten sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß.
    Das steht im Generalvertrag mit der Unterschrift der Staatsmänner der französischen Republik. Herr de Gaulle hat seinerzeit darauf angespielt, daß sich Frankreich durch die Klauseln des Potsdamer Abkommens bezüglich der Vorläufigkeit der Oder-Neiße-Linie nicht gebunden fühle.
    Darf ich hierzu an die Schlußakte der Londoner Neun-Mächte-Konferenz erinnern. In der gemeinsamen Erklärung der Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten verpflichteten sie sich unter Punkt 3, daß „eine zwischen Deutschland und seinen früheren Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für Gesamtdeutschland, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden legen soll, ein wesentliches Ziel ihrer Politik bleibt. Die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands muß bis zum Abschluß einer solchen Regelung zurückgestellt werden."
    Ich kann mich darauf beschränken, diese eindeutige Dokumentation dem Hohen Hause zu unterbreiten und darum zu bitten, daß man sich in Paris um eine restlose Aufklärung der verhängnisvollen Irrtümer — wenn wir sie so nennen wollen — bemüht. Ich nehme an, daß im Archiv des Quai d'Orsay sowohl der Wortlaut des Deutschlandvertrages als auch die Schlußakte der Londoner Neun-MächteKonferenz zur Verfügung stehen. Ich würde auch dafür plädieren, daß der Herr Bundeskanzler bei seinem bevorstehenden Besuch in Paris Gelegenheit nimmt, den deutschen Standpunkt in diesen Schicksalsfragen eindeutig zu präzisieren. Für eine diesbezügliche Zusicherung des Herrn Bundeskanzlers in der heutigen Aussprache wäre ich besonders dankbar.
    Ein Wort noch über die Auswirkungen. Hier geht es nicht allein um die völkerrechtliche Seite, sondern auch um die moralischen Auswirkungen einer solchen Haltung auf weite Kreise des deutschen Volkes. Sie kommt einer Unterminierung eines Bündnisverhältnisses gleich, welches zur Zeit wohl als die Achse der westdeutschen Außenpolitik betrachtet werden kann.
    Zusammenfassend darf ich darum bitten, daß man unsere politische und rechtliche Position bei den kommenden politischen Entscheidungen sowohl gegenüber den osteuropäischen Staaten als auch gegenüber unseren Verbündeten im Westen mit demselben Nachdruck vertritt, mit dem sich der Herr Bundesaußenminister heute zu den Fragen des Heimatrechts und des Selbstbestimmungsrechts geäußert hat. Nach der innenpolitischen Seite bestehen in dieser Hinsicht wohl keine Zweifel mehr daran, daß eine Übereinstimmung aller Parteien dieses Hohen Hauses vorliegt. Ich wäre sehr dank-



    Jaksch
    bar, wenn die Erklärungen auf außenpolitischer Ebene mit der gleichen Eindeutigkeit abgegeben würden.
    Ich darf noch einmal auf die Einwendungen bezüglich des Verhältnisses zu den osteuropäischen Staaten zurückkommen. Es gibt im Völkerleben eine Kraft, die die Engländer law of change nennen, das Gesetz des Wandels. Dieses Gesetz hat das amerikanisch-russische Gespräch erzwungen, es hat neue internationale Entwicklungen eingeleitet, die in ihren Ergebnissen für das deutsche Volk keineswegs ungünstig zu sein brauchen. Wir können auf diese neue Entwicklung in der Weltpolitik nicht mit einem diplomatischen Sitzstreik antworten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wenn die Russen und die Amerikaner trotz fundamentaler Gegensätze, die sie ideologisch und politisch trennen, zu einem Gespräch bereit sind, so läge es wohl im Interesse einer internationalen Entspannung, zwischen der Bundesrepublik und den Regierungen der osteuropäischen Länder ein Simultangespräch zu führen und auch in diesem Bereich neue Anknüpfungen zu suchen.
    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, vor allzu viel Pessimismus in diesen Dingen warnen. Gewiß gibt es Schwierigkeiten. Aber auch das Zuwarten hat seine Gefahren. Man verweist immer auf die berühmte Hallstein-Doktrin, deren Verletzung zu weiteren Anerkennungen des Pankower Regimes und damit zu einer Verschlechterung unserer Lage in der Frage der Wiedervereinigung führen könnte. Ich möchte nur die Frage stellen: Ist die Hallstein-Doktrin heute noch ein Damm, der der diplomatischen Aktivität des Pankower Regimes im Wege steht, oder ist sie zu einer Kulisse geworden, hinter der die Pankower ihre diplomatischen Geschäfte machen?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Unter Umständen kann eine ostzonale Handelsvertretung mehr politische Arbeit leisten als eine offizielle Vertretung der Bundesrepublik, die strengstens nach Laufbahnrichtlinien, Protokoll und diplomatischen Usancen amtiert.
    Zum Schluß wollte ich noch ein Wort des Optimismus sagen. Ich bin der Überzeugung, daß im hoffenden Osteuropa mehr Zukunft liegt als im saturierten Westeuropa. In diesen Ländern hat das deutsche Volk trotz allem, was geschehen ist, noch viele Freunde und Bewunderer. Die zwölf Jahre der Hitler-Zeit haben nicht alles auslöschen können, was es an geistigen, kulturellen, religiösen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem deutschen Volk und seinen Nachbarn im europäischen Osten gab. Lassen wir dieses Guthaben einer besseren Vergangenheit, diese Früchte jahrhundertelanger Aufbauarbeit nicht kleinmütig aus der Hand gleiten, weil die ersten Schritte einer neuen Wiederbegegnung zweifellos mit erheblichen politischen und formalen Schwierigkeiten verbunden sein werden!
    Ich bitte das Hohe Haus, unseren Antrag — Drucksache 1244 dem Auswärtigen Ausschuß zur weiteren Verhandlung zu überweisen.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt in der Mitte und rechts.)