Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Bändigung der Macht" wäre wohl eine andere Formulierung des Themas der Konzentrationsdebatte. Bändigung der Macht ist nicht nur ein ökonomisches, sondern ein schlechthin gesellschaftliches, auch ein politisches Problem. Niemand anders als unser verehrter Herr Bundestagspräsident hat am 15. September in diesem Hohen Hause, als er über den freiheitlichen Rechtsstaat und über die Freiheit sprach, unter Zustimmung aller Fraktionen den Satz geprägt: Unsere Bahn der Freiheit ist etwas anderes als der Dschungel, in dem der Stärkere, der Bedenkenlose, der Brutale das Faustrecht ausübt.
An diesem Punkt stehen wir jetzt in unserer Debatte. Wir stehen vor der Frage, ob wir im Rahmen unserer Vertragsfreiheit, unserer Koalitionsfreiheit, unserer Gewerbefreiheit, unserer Berufsfreiheit da angelangt sind, wo doch der Stärkere, der Bedenkenlose und der Brutale von der Freiheit einen unangemessenen Gebrauch macht.
Die Erklärung der Bundesregierung zu der Anfrage der Koalition über die Konzentrationsvorgänge läßt meines Erachtens zur Genüge erkennen, daß es der Bundesregierung mit dem Grundsatz, den der Herr Bundestagspräsident über die Auswirkungen und Möglichkeiten der Benutzung unserer Freiheiten aufgestellt hat, ernst ist. Die Verhinderung der unerwünschten Konzentration hat der Herr Bundeswirtschaftsminister heute in aller Form, auch in konkreter Art, als Ziel genannt. Die Definition dessen, was an Konzentration unerwünscht ist, hat ein Mitglied der Bundesregierung heute in diesem Hause erstmals gegeben. Wir sind dem Herrn Bundeswirtschaftsminister für diese Definition dankbar.
Daß die unerwünschte Konzentration nicht nur die betroffenen Konzernherren, Monopolherren, Kartellherren in ihrer zukünftigen Geschäftspraxis und Geschäftsgesinnung und in ihrem zukünftigen Machtstreben angeht, ist bereits gesagt worden. Die zweite Gesellschaftsschicht, die von dieser Frage ebenso betroffen wird, ist die ganze Schicht derer, die wir in unserer Zeit unter dem Begriff der Selbständigen zusammenfassen: der Gewerbetreibenden, der freien Berufe und der Landwirtschaft. Deshalb wird diese Debatte zum Teil auch als eine mittelstandspolitische Debatte angesehen. Letzten Endes sind von der Debatte die Verbraucher und damit die gesamte Schicht der unselbständigen Menschen unserer Zeit berührt.
Ich möchte mich mit Rücksicht auf den ungeheuren Umfang der Möglichkeiten, die diese Debatte in sich birgt, auf die Auswirkungen beschränken, die von dieser Debatte für die Schicht der Seib-ständigen erhofft werden. Gewiß, man kann sich auf den Standpunkt stellen, die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung bedarf überhaupt keiner irgendwie gearteten Ordnungselemente. Aber diese Debatte soll ja auch dazu dienen, die in den letzten Jahren entstandenen Disparitäten zwischen der selbständigen Tätigkeit und der Tätigkeit der Großwirtschaft, zwischen den selbständigen und auch den unselbständigen Menschen unserer Zeit aufzuhellen. Wir haben die Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers gehört, daß bestimmte wissenschaftliche Institute und Professoren dieser Institute aufgefordert sind, eine gewisse Aufklärung zu bringen und Material über die Zusammenhänge zwischen Konzernbildung, Kartellbildung und den übrigen Schichten der selbständigen Wirtschaft darzustellen. Solcher Aufforderungen kann es nach meiner Auffassung ganz bestimmt nicht genug geben.
Wir wissen aber, daß die Wissenschaft an entscheidendes Material unserer Zeit nicht herankommt. Ich verweise — in Abwesenheit des Herrn Bundesarbeitsministers — auf das sogenannte Gutachten über die Disparitäten zwischen lohnintensiven und energieintensiven Betrieben von Professor Müller — Freiburg, das seit etwa 14 Tagen vorliegt. Wenn man dieses Gutachten auf sich wirken läßt, muß man sagen, daß die Wissenschaft hier in lapidaren Erklärungen und Feststellungen hängenbleibt, ohne in die Substanz eintreten zu können. Warum? Weil ihr entscheidendes Material für die Klarstellung der Verhältnisse einfach nicht zugänglich ist.
4452 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Oktober 1959
Dr. Schild
So wird es auch mit den wissenschaftlichen Gutachten hinsichtlich der Auswirkungen der Konzernbestrebungen auf die selbständige mittelständische Wirtschaft sein. Auch hier sind bestimmte Daten einfach nicht vorhanden, die man aber haben muß. Wenn es nicht anders geht, wird man ein Gesetz schaffen müssen, um sie zu erlangen, damit es überhaupt erst einmal möglich wird, die Disparitäten und die Relationen festzustellen.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß in unserer Bundesrepublik beispielsweise nicht feststellbar ist, wieviel PS in der deutschen Wirtschaft insgesamt installiert sind, geschweige denn die branchenweise Verteilung dieser PS auf konzernierte Wirtschaft, auf Großwirtschaft, auf automatisierte Wirtschaft, auf mittelständische Wirtschaft usw. Solange diese statistischen Feststellungen über die installierten Energien nicht vorhanden sind, nützt uns die wissenschaftliche Forschung über Konzerne überhaupt nichts.
Genauso ist es mit der verbrauchten künstlichen Energie. Auch die Kilowattstunden und sonstigen Einheitswerte für verbrauchte Energien sind statistisch bei uns nicht feststellbar. Diese Dinge werden bei uns nicht erfaßt. Daher ist auch die Diskussion über die Auswirkungen der Konzernierung auf lohnintensive und energieintensive Betriebe mit der Tatsache belastet, daß wir kein konkretes Material für die letzten Beurteilungen haben.
Wir sind der SPD dafür dankbar, daß sie einen Antrag gestellt hat, wonach die Bundesregierung einen Jahresbericht über die Situation der gewerblichen Selbständigen und die Situation der freien Berufe veranlassen soll, der etwa dem Grünen Bericht oder dem Sozialbericht ähnlich ist. In diesem Jahresbericht sollen die Disparitäten und Relationen festgestellt und Vergleiche vorgenommen werden, die Erkenntnisse über die Auswirkungen der unerwünschten Konzentration objektiv bringen.
Deshalb muß diese Debatte auch dazu dienen, das Material für diese wissenschaftlichen Untersuchungen herbeizuschaffen. Ich kann mir denken, daß die zukünftigen Umsatzsteuererklärungsformulare ganz andersaussehen als die augenblicklichen, daß man nämlich in ihnen auch Angaben über die installierten PS-Kräfte, Angaben über die verbrauchten Energien verlangen wird, damit man endlich einmal zu den Problemen Stellung nehmen kann, die mit der Konzernierung technischer Art, 'aber auch wirtschaftlicher Art zusammenhängen..
Die Koalitionsparteien, die diese Debatte über die Wirtschaftskonzentrationdurch ihre Große Anfrage forciert haben, haben dem Hohen Hause heute einen Entschließungsantrag unterbreitet, mit dem erreicht werden soll, Entartungserscheinungen, die mit der unerwünschten Konzentration zusammenhängen durch gezielte Maßnahmen zu beseitigen und auch behärdliche Untersuchungen anzustellen, wie diese unerwünschte Konzentration eingeengt und beschränkt werden kann. Ich halte diese gezielten Einzelmaßnahmen für sehr wichtig. Ich bin der Ansicht, daß man in diesem Hohen Hause zu diesem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP noch ein kurzes Wort sagen muß.
Diese Einzelmaßnahmen, beispielsweise Eigentumsbildung in Personenhand, sind, soweit es sich um die Schicht der Selbständigen handelt, hier bereits erörtert worden. Aber es ist ein der Praxis nichts dabei herausgekommen. Wir haben bei den Etatberatungen beispielsweise Zins verbilligungsmaßnahmen für die Finanzierung gewerblicher Räume und Läden, und zwar für die nachstellige Finanzierung, beschlossen. Ihre Durchführung scheiterte dann aber an den Verwendungsrichtlinien. Diese Verwendungsrichtlinien waren praktisch nicht realisierbar. Wir dürfen aber nicht nur an Eigentumsmaßnahmen für die Unselbständigen denken; für die selbständigen kleinen und mittleren Betriebe ist die Eigentumsfrage genauso wichtig. Denn wir haben in der Handwerksstatistik 1956 festgestellt, daß 50 % der 770 000 Handwerksbetriebe unserer Bundesrepublik ihre Werkstatt und ihren Laden nicht auf eigenem Grund und Boden haben.
Diese Eigentumsbildung in den Kreisen des selbständigen gewerblichen Mittelstands läßt sich nicht einfach mit einer Erklärung fördern. Es ist vielmehr notwendig, eine effektive Kapitalzinspolitik zu betreiben und sonstige Maßnahmen zur Eigentumsbildung, zum Beispiel Baulandbeschaffung für diese Kreise, zu treffen, um diese Eigentumspolitik überhaupt glaubwürdig zu machen. Diese Eigentumspolitik für die Selbständigen, die noch kein Privateigentum an Grund und Boben für Fabriken, Werkstätten und Läden haben, ist augenblicklich bei der Baulandfrage, vor der wir stehen, ungeheuer schwierig gewarden.
Darauf wollte ich im Hinblick auf das Problem, das in dem Gesamtantrag der Koalition angeschnitten ist, noch einmal hingewiesen haben.